Kitabı oku: «Die neue Medizin der Emotionen», sayfa 4

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CHAOS UND ORDNUNG

Ich habe mein eigenes Herz-Hirn-System auf dem Bildschirm eines Laptop gesehen. Man hatte mir einen kleinen, mit dem Apparat verbundenen Ring über die Fingerspitze geschoben. Der Computer maß einfach das Intervall zwischen den aufeinander folgenden Herzschlägen am Ende meines Zeigefingers. War das Intervall ein wenig kürzer – hatte mein Herz schneller geschlagen –, verschob sich eine blaue Linie auf dem Monitor um eine Stufe nach oben. War es länger – hatte mein Herz sich ein wenig verlangsamt –, so neigte die Linie sich nach unten. Auf dem Bildschirm habe ich gesehen, wie die blaue Linie sich ohne ersichtlichen Grund im Zickzack von oben nach unten bewegte. Mit jedem Schlag passte mein Herz sich offenbar an irgendetwas an, doch es ließ sich keine Struktur in den Gipfeln und Tälern – wenn der Herzschlag sich beschleunigte oder verlangsamte – feststellen. Die Linie, die sich abzeichnete, ähnelte dem unregelmäßigen Kamm eines Gebirgszugs. Selbst wenn mein Herz im Durchschnitt 62-mal pro Minute schlug, konnte die Frequenz von einem Augenblick auf den anderen auf 70 ansteigen und dann auf 55 absinken, ohne dass ich wusste, warum. Die Technikerin beruhigte mich: Das sei die normale Variabilität der Herzfrequenz. Dann bat sie mich, Folgendes im Kopf auszurechnen: »Ziehen Sie 9 von 1356 ab und dann 9 von jeder Zahl, die Sie dabei erhalten …« Das erledigte ich ohne allzu große Schwierigkeiten, auch wenn es nicht gerade angenehm war, vor der kleinen Gruppe neugieriger Beobachter auf die Probe gestellt zu werden, die dieses System zum selben Zeitpunkt kennen lernten wie ich. Sofort wurde zu meiner großen Überraschung der Kurvenverlauf noch unregelmäßiger und chaotischer, und der durchschnittliche Puls kletterte auf 72. Pro Minute zehn Herzschläge mehr, nur weil ich mit ein paar Zahlen jonglierte! Wie viel Energie das Gehirn doch verschlingt! Oder lag es vielleicht an der Belastung, diese Berechnungen mit lauter Stimme vor einem Publikum durchzuführen?

Abbildung 3: Chaos und Kohärenz – Bei Stresszuständen, Angstgefühlen, Depressionen oder Zorn wird der Rhythmus des Pulses ungleichmäßig, »chaotisch «. Wohlbefinden, Mitgefühl und Dankbarkeit führen zu gleichmäßigen Pulsveränderungen, zur »Kohärenz«; der Wechsel zwischen Beschleunigung und Bremsen verläuft gleichmäßig.Kohärenz maximiert in einer gegebenen Zeit die Veränderung, führt zu größerer Variabilität und ist damit gesünder. (Die grafische Darstellung stammt aus dem am Hearth Math Institute in Boulder Creek/Kalifornien entwickelten Computerprogramm »Freeze-Framer«.)


Die Technikerin erklärte, die Kurve sei entsprechend der Beschleunigung meines Herzschlags immer unregelmäßiger geworden; dies sei eher ein Zeichen von Angst als das einer geistigen Anstrengung. Ich spürte jedoch nichts. Daraufhin forderte sie mich auf, ich solle mich auf den Bereich um mein Herz konzentrieren und mir eine angenehme oder glückliche Empfindung ins Gedächtnis rufen. Das überraschte mich. Normalerweise braucht man sich, um durch Meditation oder Entspannung einen Zustand innerer Ruhe zu erlangen, nichts Schönes vorzustellen, sondern soll nur möglichst an nichts mehr denken. Doch ich tat, worum sie mich gebeten hatte, und binnen weniger Sekunden war auf dem Bildschirm – welche Überraschung! – eine völlig andere Kurve zu sehen: anstelle unregelmäßiger, unvorhersehbarer Zacken sanfte Auf- und Abbewegungen, eine regelmäßige, sanftelegante Welle. Als schwanke mein Herz jetzt friedlich und gleichmäßig zwischen Beschleunigung und Abbremsung hin und her. Mein Herz wollte anscheinend sicherstellen, dass es – wie ein Sportler, der vor einer Übung die Muskeln an- und entspannt – beides kann, und zwar so oft es will … Wie ein Fenster unten auf dem Monitor zeigte, war in meinem Körper anstelle eines hundertprozentigen Chaos ein Zustand von 80 Prozent Kohärenz eingekehrt. Und dazu hatte es offenbar genügt, mich an etwas Angenehmes zu erinnern und auf mein Herz zu konzentrieren!

Im Verlauf der letzten zehn Jahre ist es gelungen, mit Hilfe von Computerprogrammen wie diesem zwei charakteristische Arten von Herzschlagschwankungen zu beschreiben: Chaos und Kohärenz. Meistens sind es nur mäßige und »chaotische« Schwankungen; Bremsen und Beschleunigen folgen ohne jedes System aufeinander. Ist die Variabilität hingegen ausgeprägt und stark, folgen Brems- und Beschleunigungsphasen schnell und gleichmäßig aufeinander. Dies ergibt eine ebenmäßige Welle, die der Begriff »Kohärenz« des Herzschlags sehr gut veranschaulicht.

Zwischen der Geburt, bei der die Variabilität am größten ist, und der Zeit des Sterbens – zum Todeszeitpunkt ist sie am niedrigsten – lässt die Veränderlichkeit um etwa drei Prozent pro Jahr nach38; ein Zeichen dafür, dass unser Körper sich immer weniger gut an Veränderungen der physischen und psychischen Konstellation anpassen kann: ein Symbol des Alterns. Die Variabilität wird geringer, da wir die physiologische Bremse – das parasympathische System – nicht trainieren, sodass es nicht mehr unter Spannung steht. Ein Muskel, dessen man sich nicht bedient, verkümmert im Lauf der Jahre. Der Beschleuniger – das sympathische System – hingegen bleibt weiterhin im Einsatz. Nach Jahrzehnten lässt unser Körper sich schließlich mit einem Auto vergleichen, das freie Fahrt hat und beliebig beschleunigen, aber praktisch nicht mehr auf Befehl abbremsen kann.

Der Rückgang der Herzschlagvariabilität bringt eine Reihe von gesundheitlichen Problemen mit sich, die mit Stress und Altern zusammenhängen: Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Diabetes, Herzinfarkt, plötzlicher Tod und sogar Krebs. Untersuchungen, die dies bestätigen, wurden in Lancet und Circulation (der kardiologischen Fachzeitschrift) veröffentlicht: Sobald es mit der Variabilität vorbei ist, das Herz beinahe nicht mehr auf Gefühle reagiert und vor allem nicht mehr »bremsen« kann, steht der Mensch kurz vor dem Tod.39


EIN TAG MIT CHARLES

Charles ist zwar erst vierzig, aber bereits Direktor eines Kaufhauses in Paris. Er beherrscht sein Metier meisterlich und ist schon etliche Male befördert worden. Doch jetzt leidet er seit Monaten unter starkem Herzklopfen. Das beunruhigt ihn sehr, und er hat deswegen bereits etliche Kardiologen aufgesucht. Diese konnten jedoch keinerlei Krankheit diagnostizieren. Mittlerweile ist er so weit, dass er aus Angst vor einem »Herzanfall«, der ihn wieder auf die Notfallstation brächte, den Sport aufgegeben hat und sich selber genau beobachtet, wenn er mit seiner Frau schläft. Seiner Einschätzung nach sind seine Arbeitsbedingungen »völlig normal« und auch »nicht anstrengender als anderswo«. Im Lauf unserer Sitzungen stellt sich jedoch heraus, dass er mit dem Gedanken spielt, seine Stelle – auch wenn sie ungemein prestigeträchtig ist – zu kündigen. Denn der Vorsitzende der Gruppe äußert sich oft geringschätzig und zynisch über ihn. Obwohl Charles schon länger in diesem aggressiven Klima arbeitet, ist er doch nach wie vor verletzlich und leidet unter den spitzen oder übertrieben kritischen Bemerkungen seines Chefs. Zudem setzt sich dessen Zynismus die gesamte Hierarchie hindurch fort, sodass Charles’ Kollegen im Marketing, der Öffentlichkeitsarbeit, der Finanzabteilung sich auch untereinander kühl behandeln und beißende Kommentare übereinander abgeben.

Auf meinen Rat hin stimmte Charles einer Aufzeichnung seiner Herzrhythmusschwankungen über vierundzwanzig Stunden zu. Um die Ergebnisse auswerten zu können, musste er seine verschiedenen Betätigungen im Lauf des Tages notieren. Die Interpretation der Kurve war nicht sonderlich schwierig. Um elf Uhr vormittags suchte er an seinem Schreibtisch ruhig, konzentriert und zügig Fotos für einen Katalog aus. Sein Puls war normal kohärent. Mittags tauchte sein Herz mit einer Beschleunigung um zwölf Pulsschläge pro Minute schlagartig ins Chaos ein. Zu genau diesem Zeitpunkt ging er zum Büro seines Chefs. Eine Minute später schlug sein Herz noch schneller, das Chaos war vollkommen. Dieser Zustand hielt zwei Stunden an: Er hatte sich sagen lassen müssen, sein Entwurf zur Entwicklungsstrategie, an dem er wochenlang gearbeitet hatte, tauge nichts, und es sei besser, wenn jemand anders sich darum kümmere; offenbar sei er selber nicht in der Lage, ihn klarer zu strukturieren. Beim Verlassen des Chefbüros hatte Charles einen seiner typischen Anfälle von Herzklopfen, so schlimm, dass er hinausgehen musste, um sich zu beruhigen.

Nachmittags fand eine Sitzung statt. Die Aufzeichnung zeigte erneut eine chaotische Phase, die über eine halbe Stunde andauerte. Als ich ihn fragte, konnte Charles sich zunächst nicht erinnern, was ihn so aufgebracht hatte, doch nach einigem Nachdenken fiel ihm ein, dass der Marketingdirektor, ohne ihn anzusehen, die Bemerkung ins Gespräch gestreut hatte, die Themen des Katalogs passten schlecht zu dem neuen Image, das man propagieren wolle. Bei der Rückkehr in sein Büro hatte das Chaos sich wieder gelegt, und an seine Stelle war eine relative Kohärenz getreten: Zu diesem Zeitpunkt war Charles damit beschäftigt, eine Produktionsplanung zu überarbeiten, von der er sehr viel hielt. Als er dann abends im Stau stand, schlug seine Nervosität sich unmittelbar in einer weiteren Chaosphase nieder. Nachdem er, zu Hause angekommen, seine Frau und seine Kinder begrüßt hatte, folgte erneut eine zehnminütige Kohärenz. Warum nur zehn Minuten? Weil er dann den Fernseher eingeschaltet hatte, um sich die Nachrichten anzusehen…

Verschiedene Untersuchungen ergaben, dass negative Gefühle – Zorn, Angst, Traurigkeit und selbst alltägliche Sorgen – starke Pulsschwankungen auslösen und unseren Körper ins Chaos stürzen.40 Umgekehrt zeigen andere Studien, dass positive Gefühle wie Freude, Dankbarkeit und vor allem Liebe die Kohärenz fördern. Binnen einiger Sekunden führen sie zu einer regelmäßigen Welle, die bei einer Aufzeichnung der Pulsfrequenz förmlich ins Auge sticht.41

Für Charles, wie für die meisten von uns, bedeuten die täglichen chaotischen Phasen einen veritablen Energieverlust. In einer Studie, die mehrere tausend leitende Angestellte einbezog, bezeichneten über 70 Prozent sich als »ein Gutteil der Zeit« – das heißt praktisch die ganze Zeit – »erschöpft«. Und 50 Prozent schätzten sich als eindeutig »ausgelaugt« ein!42 Wie können kompetente, engagierte Männern und Frauen, für die ihre Arbeit ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität ist, es so weit kommen lassen? Die Anhäufung chaotischer Phasen – die sie selber kaum bemerken –, die tagtäglichen Beeinträchtigungen ihrer emotionalen Ausgeglichenheit entziehen ihnen auf die Dauer Energie. Zu dem Zeitpunkt fangen wir dann an, von einer andere Stelle oder, im persönlichen Bereich, von einer anderen Familie, einem anderen Leben zu träumen.

Auf der anderen Seite durchleben wir aber auch Augenblicke der Kohärenz. Dies fällt uns ebenfalls nicht immer auf – es sind nicht unbedingt Entzückungsausbrüche oder ekstatische Momente. Josh, Sohn eines Ingenieurs, besucht oft seinen Vater und dessen Team in einem Labor in Kalifornien, das sich mit der Erforschung der Kohärenz beschäftigt. Stets begleitet ihn seine Labradorhündin Mabel. Eines Tages kamen die Ingenieure auf die Idee, die Herzkohärenz bei Josh und Mabel zu messen. Waren sie voneinander getrennt, war der Herzrhythmus bei beiden halb chaotisch, halb kohärent, völlig normal also. Sobald man sie jedoch zusammenließ, ging dieser Zustand in Kohärenz über. Trennte man sie wieder, verschwand diese beinahe augenblicklich. Bei Josh und Mabel führte die schlichte Tatsache des Zusammenseins zu Kohärenz. Das spürten sie offenbar instinktiv, denn sie waren unzertrennlich. Für sie war das Zusammensein gewiss keine außergewöhnliche Erfahrung, sondern etwas, das sie gefühlsmäßig schlicht brauchten. Etwas, das ihnen in jedem Moment gut tat. Josh fragte sich nie, ob er nicht lieber einen anderen Hund hätte, und Mabel wollte bestimmt kein anderes Herrchen. Ihre Beziehung bescherte ihnen innere Ausgeglichenheit und Kohärenz, war im Einklang mit ihrem Herzen.

Der Zustand der Kohärenz beeinflusst auch die anderen physiologischen Rhythmen; vor allem die natürlichen Schwankungen des Blutdrucks und der Atmung gleichen sich rasch der Herzkohärenz an, und alle drei Systeme stimmen sich aufeinander ab.

Es handelt sich hier um ein der »Phasenanpassung« von Lichtwellen in einem Laserstrahl vergleichbares, in diesem Fall tatsächlich als »Kohärenz« bezeichnetes Phänomen. Und eben diese Angleichung verleiht dem Laser seine Energie und Kraft. Dieselbe Energie in Form von Licht, das eine 100-Watt-Glühbirne ineffizient in alle Richtungen streut, reicht aus, um ein Loch in eine Metallplatte zu bohren, wenn sie durch Phasenangleichung kanalisiert wird. Entsprechend bedeutet Kohärenz für den Körper reine Energieeinsparung. Das war zweifelsohne der Grund, weshalb sich ein halbes Jahr nach einem Tag Kohärenztraining 80Prozent der bereits erwähnten Führungskräfte nicht mehr als »ausgelaugt« bezeichneten. Und sechsmal weniger als vorher beklagten sich noch über Schlaflosigkeit, achtmal weniger fühlten sich noch »angespannt«. Es scheint in der Tat zu genügen, nutzlosen Energieverlust zu vermeiden, um eine natürliche Vitalität wiederzuerlangen.

Charles ermöglichten einige Stunden Kohärenztraining vor dem Computer, sein Herzklopfen unter Kontrolle zu bringen. Daran ist nichts Magisches oder Geheimnisvolles. Indem er zwischen diesen Sitzungen jeden Tag ein wenig übte, sicherte er seine Fortschritte ab und verstärkte von neuem die Aktivität seines parasympathischen Systems, das heißt, seiner physiologischen Bremse. Ist man erst einmal, wie ein durchtrainierter Jogger, »in Form«, wird es immer leichter, sich ihrer zu bedienen. Und mit einer funktionierenden Bremse, die man jederzeit betätigen kann, kommt die Physiologie nicht einmal mehr dann ins Schleudern, wenn die äußeren Umstände sich schwierig gestalten. Zwei Monate nach der ersten Sitzung trieb Charles wieder Sport und schlief so leidenschaftlich mit seiner Frau, wie ihre Beziehung dies verdiente. Und er hatte gelernt, sich, wenn er seinem Chef gegenüberstand, auf die Gefühle in seiner Brust zu konzentrieren, um seine Kohärenz zu wahren und nicht zuzulassen, dass seine physiologischen Reaktionen außer Rand und Band gerieten. Er war nun sogar in der Lage, mit mehr Taktgefühl zu antworten und leichter die richtigen Worte zu finden, um die Aggressivität anderer wirkungslos verpuffen zu lassen, ohne sie zu verletzen.


DER UMGANG MIT STRESS

Bei Laborexperimenten ermöglicht die Kohärenz es dem Gehirn, schneller und präziser zu arbeiten.43 Im alltäglichen Leben empfinden wir dies als Zustand, in dem wir ganz natürlich und ohne jegliche Anstrengung auf Ideen kommen: Ohne lange nachzudenken, fallen uns die richtigen Worte ein, um das, was wir sagen wollen, zum Ausdruck zu bringen, und wir handeln zügig, effizient. In dieser Verfassung sind wir auch eher bereit, uns auf alles mögliche Unvorhergesehene einzustellen, da unser Körper sich in einem optimalen Gleichgewicht befindet, wir allem gegenüber offen und in der Lage sind, Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu entwickeln. Kohärenz ist also kein Zustand der Entspannung im herkömmlichen Sinne des Wortes. Sie erfordert keine Absonderung von der Welt und auch keineswegs, dass um uns herum alles reglos, ja, nicht einmal, dass es ruhig ist. Im Gegenteil, sie entspricht einer Eroberung der Außenwelt, einem nahezu körperlichen Kontakt mit ihr, doch einem harmonischen, keinem konfliktgeladenen.

So stellten Forscher in Seattle im Rahmen einer Studie mit fünfjährigen Scheidungswaisen fest, wie wichtig ihr physiologisches Gleichgewicht für ihre künftige Entwicklung war. Auf Kinder, deren Pulsvariabilität vor der Scheidung am höchsten war – und die daher am besten in der Lage waren, in einen Zustand der Kohärenz zu gelangen –, hatte die Auflösung ihrer Familie eine weit geringere Auswirkung gehabt, wie man drei Jahre danach feststellte.44 Zudem hatten sie sich eine größere Fähigkeit bewahrt, Zuneigung zu entwickeln, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich in der Schule zu konzentrieren.

Céleste hat mir sehr anschaulich beschrieben, wie sie den Herzrhythmus gezielt einsetzt. Als ihr im Alter von neun Jahren ein Wechsel in eine andere Schule bevorstand, geriet sie regelrecht in Panik. Etliche Wochen vor Schulanfang begann sie Nägel zu beißen, weigerte sich, mit ihrer kleinen Schwester zu spielen und stand nachts mehrmals auf. Auf Befragen erklärte sie ohne zu zögern, am meisten Lust zum Nägelkauen habe sie, wenn sie an die neue Schule denke. Doch dann lernte sie sehr schnell – wie dies bei Kindern oft der Fall ist –, durch Konzentration ihren Puls zu kontrollieren. Einige Tage später erzählte sie mir, der erste Schultag sei sehr gut verlaufen: »Wenn ich mich aufrege, gehe ich in mein Herz und rede mit der kleinen Fee darin. Sie sagt mir, dass alles gut gehen wird, und manchmal sagt sie mir sogar, was ich sagen oder machen soll.« Als ich das hörte, musste ich lächeln. Hätten wir nicht alle gern eine kleine Fee, die immer bei uns ist?

Der Begriff der Herzkohärenz und die Tatsache, dass man ohne weiteres lernen kann, sie zu kontrollieren, laufen allen überkommenen Vorstellungen hinsichtlich der Art und Weise zuwider, wie man am besten mit Stress umgeht. Chronischer Stress führt zu Angstgefühlen und Depression. Er hat, wie man weiß, auch negative Auswirkungen auf den Körper: Schlaflosigkeit, faltige Haut, Bluthochdruck, Herzklopfen, Rückenschmerzen, Hautprobleme, Verdauungsschwierigkeiten, Anfälligkeit für Infektionen, Unfruchtbarkeit, Impotenz. Schließlich beeinträchtigt er auch die sozialen Beziehungen und die beruflichen Leistungen: Reizbarkeit, Verlust der Fähigkeit, anderen zuzuhören, Nachlassen der Konzentration, Rückzug auf sich selber und Fehlen von Teamgeist – all diese Symptome sind charakteristisch für eine Überforderung, die ebenso aus Arbeit wie aus dem Gefühl resultieren kann, in einer festgefahrenen Beziehung zu stecken. Beides kostet uns viel Energie. In einer solchen Situation ist die gängigste Reaktion, sich auf die äußeren Gegebenheiten zu konzentrieren. Man sagt sich: »Wenn ich nur meine Situation ändern könnte, hätte ich einen viel klareren Kopf, und es ginge mir auch körperlich besser.« Gleichzeitig beißen wir die Zähne zusammen, warten auf das nächste Wochenende oder die Ferien und träumen von der besseren Zeit »danach«. Alles werde in Ordnung kommen, »wenn ich erst einmal die Schule abgeschlossen … wenn ich eine andere Stelle habe … wenn die Kinder aus dem Haus sind … wenn ich meinen Mann verlasse … wenn ich erst einmal in Pension bin« und so weiter. Leider läuft es nur selten so. Wahrscheinlich tauchen in anderen Situationen genau die gleichen Probleme wieder auf, und die Wunschvorstellung von einem Paradies, das gleich um die Ecke oder an der nächsten Kreuzung liegt, wird sehr schnell wieder zur Hauptmethode, mit Stress umzugehen. Unglücklicherweise geht das oft bis zu unserem Tod so weiter.

Aus Studien über die positiven Wirkungen von Kohärenz lässt sich der Schluss ziehen, dass man das Problem von der anderen Seite her angehen muss. Statt ständig zu versuchen, ideale äußere Bedingungen herzustellen, sollte man sich darauf konzentrieren, das Innenleben unter Kontrolle zu bringen: unseren Körper. Wenn wir das physiologische Chaos bändigen und uns um eine möglichst große Kohärenz bemühen, fühlen wir uns automatisch wohler; die Beziehung zu anderen, Konzentration, Leistung und deren Ergebnisse werden besser. Mit einem Mal sind die günstigen Umstände, hinter denen man ständig herläuft, von selber da. Und das ist beinahe eine Folgeerscheinung, eine sekundäre positive Auswirkung der Kohärenz: Sobald wir unser Innenleben unter Kontrolle haben, kann das, was aus der Außenwelt kommt, keine so massiven Auswirkungen mehr auf uns haben.

Das Computerprogramm zur Messung der Herzkohärenz wird auch zur Untersuchung des Herz-Hirn-Systems eingesetzt. Es kann Zweiflern beweisen, dass ihr Herz augenblicklich auf ihren Gefühlszustand reagiert. Doch auch ohne Computer ist es ohne weiteres möglich, sich in einen Zustand der Kohärenz zu versetzen und die positiven Auswirkungen auf das Alltagsleben unmittelbar zu spüren. Man muss nur lernen, die Kohärenz auch im Alltag zu leben.


38.Umetani, K., D. Singer, et al. (1999), »Twenty-four hours time domain heart rate variability and heart rate: relations to age and gender over nine decades«, Journal of the American College of Cardiology, Bd. 31 (3), S. 593–601.
39.Tsuji, H., F. Venditti, et al. (1994), »Reduced heart rate variability and mortality risk in an elderly cohort. The Framingham Heart Study«, Circulation, Bd. 90 (2), S. 878–883; Dekker, J., E. Schouten, et al. (1997), »Heart rate variability from short term electrocardiographic recordings predicts mortality from all causes in middle-aged and elderly men. The Zutphen Study«, American Journal of Epidemiology, Bd. 145 (10), S. 899–908; La Rovere, M., J. T. Bigger, et al. (1998), »Baroreflex sensitivity and heart-rate variability in prediction of total cardiac mortality after myocardial infraction«, The Lancet, Bd. 351, S. 478–484.
40.Carney, R. M., M. W. Rich, et al. (1988), »The relationship between heart rate, heart rate variability, and depression in patients with coronary artery disease«, J Psychosom Res, Bd. 32, S. 159–164; Rechlin, T., M. Weis, et al. (1994), »Are affective disorders associated with alterations of heart rate variability?«, Journal of Affective Disorders, Bd. 32 (4), S. 271–275; Krittayaphong, R., W. Cascio, et al. (1997), »Heart rate variability in patients with coronary artery disease: differences in patients with higher and lower depression scores«, Psychosomatic Medicine, Bd. 59 (3), S. 231–235; Stys, A., T. Stys (1998), »Current clinical applications of heart rate variability«, Clinical Cardiology, Bd. 21, S. 719–724; Carney, R., K. Freedland, et al. (2000), »Change in heart rate heart rate variability during treatment for depression in patients with coronary heart disease«, American Psychosomatic Society, Bd. 62 (5), S.639–647; Luskin, F., M. Reitz, et al. (2002), »A controlled pilot study of stress management training in elderly patients with congestive heart failure«, Preventive Cardiology, Bd. 5 (4), S. 168–172.
41.McCraty, R., M. Atkinson, et al. (1995), »The effects of emotions on short-term power spectrum analysis and heart rate variability«, The American Journal of Cardiology, Bd. 76 (14), S. 1089–1093.
42.Barrios-Choplin, B., R. McCraty, et al. (1997), »An inner quality approach to reducing stress and improving physical and emotional wellbeing at work«, Stress Medicine, Bd. 13 (3), S. 193–201.
43.Watkins, A. D. (2002), Corporate Training in Heart Rate Variability: 6 weeks and 6 months follow-up studies, Alan Watkins Consulting, London.
44.Katz, L. F., J. M. Gottman (1997), »Buffering children from marital conflict and dissolution«, J Clin Child Psychol, Bd. 26, S. 157–171.

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