Kitabı oku: «Seewölfe Paket 34», sayfa 28

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8.

„An Land scheint sich ebenfalls was zu tun“, sagte der Seewolf und ließ seine Blicke prüfend am Ufer der Bucht entlangschweifen. Die Sicht war noch gut, obwohl der Stand der Sonne den baldigen Beginn des Abends erkennen ließ.

In der Nähe der beladenen Segler zogen einige Männer ein schmales Boot ins Wasser und sprangen hinein. Mit einigen geübten Handgriffen setzten sie ein einfaches, rechteckiges Mattensegel und befestigten ein weißes Tuch am Schaft eines Speeres. Dann nahm das Boot Kurs auf die Buchteinfahrt.

Die Bewohner des Küstendorfes hatten das kurze Gefecht zwischen den beiden fremden Seglern vom Ufer aus mitverfolgt und waren in lauten Jubel ausgebrochen, als sie sahen, wie das schnelle Schiff mit den Lateinersegeln die schwarze Galeone mutig angriff, ihr einen ordentlichen Denkzettel verpaßte und sie in die Flucht schlug.

„Wahrscheinlich wollen sie sich bei uns bedanken“, fuhr Hasard fort. „Zumindest signalisiert das weiße Tuch friedliche Absichten. Vielleicht hat es sie auch ermutigt, daß wir unsere Stückpforten geschlossen haben, um unsere friedlichen Absichten zu demonstrieren.“

Die Schebecke glitt mit langsamer Fahrt in die Bucht und hielt auf das Boot zu.

Die beiden Portugiesen befanden sich mit der Erlaubnis Hasards inzwischen wieder auf dem Achterdeck. Doch sie sprachen nicht viel. De Pereira zog zeitweise ein Gesicht, das an die essigsaure Miene Mac Pellews erinnerte. Cegos hielt sich in allen Dingen vornehm zurück und war stets bemüht, seinen Gesichtsausdruck demjenigen seines Kapitäns anzugleichen.

In seinem Fall vermuteten die Arwenacks jedoch, daß das verbiesterte Gesicht noch mit dem von Mac zubereiteten „Tandoori Machchi“ zusammenhing.

Die Mannen hingen wieder einmal ihren Gedanken nach.

Während Sam Roskill bereits Mutmaßungen darüber anstellte, ob es denn wenigstens auch einige hübsche Ladys dort drüben in dem indischen Dorf gebe, wurden die Blicke Edwin Carberrys immer wieder von jenen merkwürdigen, zylindrischen Rundturm angezogen, der abseits des Dorfes auf den Felsen stand.

„Ein eigenartiger Turm ist das“, sagte er sinnierend. „Eigentlich taugt der zu gar nichts. Wenn er Feinde beeindrucken oder Wachtposten als Ausguck dienen soll, müßte er viel höher sein. Mit ein paar Kanonen obendrauf wäre das Ding ja vielleicht noch zu verwenden. Dann hätten die Inder den verlausten Halb-Dons wenigstens ein bißchen einheizen können.“

„Sonst ist dir nichts aufgefallen?“ fragte Old Donegal mit seltsamem Gesichtsausdruck.

„Doch“, antwortete der Profos, „es wird bald Abend.“

„Das habe ich nicht gemeint, Mann. Wir reden doch die ganze Zeit über von dem niedrigen Turm.“

„Natürlich, du hast recht, mein lieber Donegal“, sagte der Profos artig. „Klar, mir ist da noch etwas aufgefallen. Es fliegen ständig Möwen drum herum, als hätten die dummen Viecher sonst nirgends Platz.“

Old Donegal schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.

„O du heiliger Strohsack!“ Sein Kurzgebet klang eher wie ein qualvolles Stöhnen. „Dieser Riesenrochen kann nicht mal Möwen von Geiern unterscheiden. Nun reiß doch die Klüsen mal richtig auf, Mister Carberry. Das sind Geier, keine Möwen!“

Der Profos verstand die ganze Aufregung nicht. „Na schön, dann sind es eben Geier. Ist doch egal, was da oben herumfliegt. Oder kannst du plötzlich keine Möwen mehr leiden?“

Old Donegal Daniel O’Flynn rang die Hände. „Darum geht es doch gar nicht, mein lieber Ed. Wichtig ist nur die Feststellung, daß über diesem eigenartigen Turm ständig Geier kreisen. Verstehst du? Geier – keine Möwen …“

„Nun sei doch nicht so pingelig, Donegal“, unterbrach ihn der Profos. „Es kann doch immerhin sein, daß ab und zu mal ein Möwerich oder eine hübsche Möwenlady eine Runde mitfliegen will. Dann gönn doch dem armen Tierchen den Spaß. Vielleicht verfällt sogar Sir John auf die Idee, da mal einige Runden zu drehen.“

„Beim Großlord!“ Old Donegal erschrak sichtlich. „An Sir John habe ich gar nicht mehr gedacht. Du mußt ihn sofort einsperren, Ed. Bring ihn unter Deck und achte darauf, daß er dort bleibt, solange wir uns in dieser Bucht befinden.“

Der Profos schüttelte den Kopf. „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Erst veranstaltest du einen Wirbel um Geier und Möwen, und jetzt soll ich Sir John einsperren.“ Er blickte Old Donegal aus zusammengekniffenen Augen an. „Sag mal, alter Freund – du hast nicht zufällig auch noch ’ne kleine Meise unter deiner Perücke, wie?“

Normalerweise hätte Old Donegal jetzt einen wilden Blick aufgesetzt und wäre fuchtig geworden. Doch der Ernst der Lage zwang ihn, dem Profos die Unwissenheit noch einmal zu verzeihen.

„Ed!“ sagte Old Donegal jetzt beinahe feierlich. „Es geht nicht um die Vögel, sondern um das, was sie fressen.“

„Sir John mag am liebsten Nüsse.“

Old Donegal verdrehte die Augen. „Es geht aber nicht um Sir John, sondern um die Geier!“

„Hähä!“ lachte der Profos. „Du wirst immer wunderlicher, Alterchen. Und warum soll ich dann nicht die Geier einsperren, sondern Sir John?“

Die Männer, die den Disput aus der Nähe mitverfolgen konnten, bogen sich vor Lachen. Auch der Kutscher, der den alten O’Flynn selbst erst vor wenigen Minuten „aufgeklärt“ hatte, japste nach Luft.

„Um mich kurz zu fassen, Ed“, sagte der vielbelesene Koch und Feldscher jetzt. „Donegal wollte dir nur verdeutlichen, daß dort, wo Geier kreisen, auch Aas zu finden ist. Das heißt logischerweise, daß es sich bei dem niedrigen Rundturm um einen Bestattungsturm handelt. Wir scheinen es hier mit einem Dorf der Parsen zu tun zu haben, und bei denen ist es nun mal üblich, die Toten auf der Plattform solcher Türme den Vögeln zum Fraß vorzulegen. Wegen ihrer stillen Bewohner nennt man diese grausigen Bauwerke auch ‚Türme des Schweigens‘.“

Carberry sah den Kutscher verblüfft an, dann räusperte er sich.

„Da kriegen ja selbst die Heringe eine Gänsehaut“, knurrte er. „Und ich wollte den Kerlen schon vorschlagen, einige Kanonen da aufzustellen. Aber sag mal, warum tun die Leute das? Meine Urgroßmutter jedenfalls würde mich heute noch als Bilgengespenst verfolgen, wenn ich sie auf einem solchen – Friedhof den Geiern zum Backen und Banken …“

Der Kutscher unterbrach ihn.

„Das hat religiöse Gründe“, erklärte er. „Die Parsen sind von ihrer Abstammung her keine Inder, sondern Perser, und gemäß ihrer Religion dürfen durch die Beseitigung einer als unrein geltenden Leiche die Elemente nicht verschmutzt werden. Weil das Feuer als heilig gilt, verbrennt man die Toten nicht. Ebenso verschont man das Wasser, die Erde und die Luft.“

Der Profos runzelte die Stirn. „Merkwürdige Sitten sind das. Aber Donegal hat recht. Ich sperre Sir John unter Deck ein, bevor er auf dumme Gedanken kommt. Man weiß ja nie, von welchen Gelüsten so ein Vögelchen gepackt wird. Womöglich bildet er sich noch ein, er sei ein Geier auf Landgang.“

Gleich darauf rief der Profos nach seinem gefiederten Liebling. Und nach mehreren gar lieblichen Lockrufen, von denen der letzte dem „lieben Sir Jöhnchen ein leckeres Nüßlein“ versprach, flatterte der bunte Aracanga-Papagei vom Ausguck hinunter, wo er Dan O’Flynn Gesellschaft geleistet hatte.

Sir John empfing sein „Nüßlein“ und ließ sich sogar von den Versprechungen Carberrys in denen von „Nüssen so groß wie Kanonenkugeln“ die Rede war, unter Deck locken.

Endlich hatte auch Old Donegal Grund zum Aufatmen.

„Ein Menschenfresser an Bord hätte uns gerade noch gefehlt“, murmelte er, ohne den geheimnisumwitterten Turm aus den Augen zu lassen.

Das Boot der Dorfbewohner hatte die Schebecke fast erreicht. Es befanden sich vier Männer an Bord. Einer von ihnen hielt den Speer mit der weißen Fahne hoch.

Der Seewolf ließ die Segel ins Gei hängen, winkte den Eingeborenen freundlich zu und bedeutete ihnen, an der Backbordseite der Schebecke längsseits zu gehen.

Die Dorfbewohner folgten dieser Einladung, ohne zu zögern.

„Mein Name ist Yasna!“ rief der hochgewachsene junge Mann, der den Speer mit dem weißen Tuch in der Hand hielt. „Willkommen in unserem Dorf. Ihr Männer aus der Fremde habt uns vor der Plünderung bewahrt, und dafür möchten wir uns gern bedanken.“

„Da war auch Glück im Spiel“, erwiderte Hasard, „denn wir sind nur durch Zufall auf den Überfall aufmerksam geworden. Der Kapitän der schwarzen Galeone befindet sich bei uns an Bord. Er wurde schon viele Stunden vor dem Überfall von der meuternden Mannschaft ins Wasser geworfen. Wir hoffen, daß die Schäden, die die Piraten in eurem Dorf angerichtet haben, nicht allzu groß sind.“

„Der Schaden hält sich dank eures Eingreifens in Grenzen“, sagte Yasna. „Bitte, erlaubt uns, euch aus Dankbarkeit zu einem bescheidenen Mahl einzuladen. Euer Schiff hat wenig Tiefgang, es kann bis aus vierzig Schritte an das Ufer der Bucht heransegeln.“

„Wir nehmen eure Einladung gerne an“, sagte Hasard, „aber wir möchten aus Sicherheitsgründen hier, in der Nähe der Buchteinfahrt, vor Anker gehen. Unserer Meinung nach werden die Piraten zwar nicht zurückkehren, doch wenn sich ein Schiff in feindlicher Absicht nähert, können wir jederzeit den Kampf aufnehmen. Im Inneren der Bucht ist das für ein Schiff von dieser Größe sehr viel gefährlicher, weil der Platz zum Manövrieren fehlt.“

Die Argumentation des Seewolfs leuchte Yasna und seinen Begleitern ein. Sie warteten geduldig in ihrem Boot, bis die Schebecke am Rand der Buchteinfahrt den Anker geworfen und eine Jolle abgefiert hatte.

Während Ben Brighton das Kommando über das Schiff übernahm, folgten dem Seewolf zehn bewaffnete Männer der Crew in die Jolle, die dann gemeinsam mit dem Boot der Parsen zum nahegelegenen Dorf segelte.

Dort herrschte bereits wieder reges Leben. Die Frauen, Kinder und alten Leute, die landeinwärts geflohen waren, hatten sich nach der Entwarnung wieder in ihren Häusern und auf den Plätzen eingefunden. Das bedrohliche Ereignis wurde im Schatten der Bäume lebhaft diskutiert.

Während eine Anzahl von Männern bereits damit begonnen hatte, das in Jutesäcke verpackte Getreide, Gemüse und Obst aus dem zerstörten und nur wenige Fuß tief gesunkenen Lastkahn ans Ufer zu ziehen, verschwand die Sonne hinter der westlichen Kimm.

Wie sich rasch zeigte, waren die Parsen ein fleißiges und lebensfrohes Völkchen, das trotz vieler Widerwärtigkeiten über Jahrhunderte hinweg an seinen Sitten und Gebräuchen, vor allem aber an seiner Religion, festgehalten hatte.

Hasard und seine Begleiter waren von der gesamten Dorfbevölkerung mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden. Danach hatte sie Yasna in sein Haus gebeten, wo sich bereits die anderen Oberhäupter des Dorfes eingefunden hatten, um ihre Dankbarkeit zu bekunden.

Die einfachen Bauern und Fischer bereiteten in kurzer Zeit ein Festmahl zu, das selbst den Kutscher in Erstaunen versetzte.

„Das wäre genau das Richtige für unsere beiden verwöhnten Gäste“, sagte er zu Hasard. „Doch wie es das Schicksal will, müssen sie an diesem Abend mit Macs Pfannkuchen vorlieb nehmen.“

„Und die sind ja auch nicht zu verachten“, ergänzte der Seewolf lächelnd. „Meines Wissen erzeugen sie nicht mal die gefürchteten Blähungen.“

„Ganz recht“, sagte der Kutscher. „Senhor Cegos kann getrost wie ein Scheunendrescher reinhauen. Ob das Mahl allerdings seiner vornehmen Persönlichkeit angemessen ist, weiß ich natürlich nicht. Aber notfalls wird dem guten Mac auch noch eine weitere indische Spezialität einfallen.“

Hasard lachte. „Sofern Cegos noch Appetit darauf verspürt.“

Die Männer saßen auf kleinen Teppichen im Kreis und ließen sich die einheimischen Gerichte munden. Da gab es „Malai Kofta Curry“, würzige Hackfleischbällchen in Currysoße, und im nächsten Gang „Sabzi Bhindi“, gebratene Okraschoten mit Kreuzkümmel. Es folgten noch einige Gänge, bevor das Mahl mit „Gajar Halva“, einem süßen Karottendessert, seinen Abschluß fand.

Danach saßen die Mannen noch viele Stunden mit den Parsen zusammen beim Tee und berichteten von ihrer langen Reise, die sie vom fernen England mit vielen Schwierigkeiten an die indische Westküste geführt hatte.

Unter anderem erzählten sie auch von ihrer Königin, die sehr daran interessiert war, Handelsbeziehungen zu Indien anzuknüpfen, und mußten zudem noch viele Fragen der Dorfbewohner über die Sitten und Gebräuche in England beantworten.

„Unser nächstes Ziel ist Bombay“, berichtete Hasard. „Wir hoffen, dort endlich mit einigen Geschäftspartnern Kontakt aufnehmen zu können.“

Yasna, neben dem sich Laneh und Meso niedergelassen hatten, nickte verständnisvoll.

„Bombay ist eine sehr bunte und lebendige Stadt“, sagte er. „Es gibt dort tausend Möglichkeiten, mit anderen Geschäfte anzuknüpfen. Außerdem gibt es dort alles zu kaufen, was die Welt zu bieten hat. Auch wir haben bereits unsere großen Boote mit den Früchten unserer Felder beladen, um sie auf die Märkte von Bombay zu bringen. Leider hat die schwarze Galeone eins davon versenkt. Trotzdem wollen wir – wie das ursprünglich geplant war – morgen bei Tagesanbruch aufbrechen, auch wenn ich ohne den Segen meines Vaters fahren muß.“

„Ihr Vater ist nicht damit einverstanden?“ fragte Hasard.

Yasna schüttelte den Kopf.

„So ist das nicht zu verstehen“, erklärte er. „Eines der großen Boote gehört mir, und die Fahrt findet auch im Sinne meines Vaters statt. Doch er wird nicht mehr voller Freude auf unsere Rückkehr warten können, weil er heute morgen nach einem Unfall verstorben ist.“

Der Seewolf zeigte sich betroffen. „Es wäre nicht nötig gewesen, uns zu diesem festlichen Mahl einzuladen, wenn Ihre Familie an diesem Tag ohnehin schon vom Unglück heimgesucht wurde.“

Yasna lächelte. „Das Leben geht auch hier stets weiter. Das wäre ganz im Sinne meines Vaters. Sein Körper wurde bereits bestattet – die Totenträger haben ihn zu unserem ‚Dakhma‘, zum Turm des Schweigens, gebracht. Dennoch steht ihm das Wichtigste seines ganzen Daseins noch bevor, und ich bin zuversichtlich, daß er auch diese große Prüfung meistern wird, die uns irgendwann allen bevorsteht.“

„Was ist das für eine Prüfung?“ fragte Hasard.

Yasna lächelte noch immer. Seine Augen schienen in weite Fernen gerichtet zu sein.

„Am Morgen des vierten Tages nach dem Tode geht die Seele des Menschen ins Jenseits ein. Sie muß die große Cinvat-Brücke, die Brücke der Trennung, betreten, die vom Diesseits ins Jenseits führt und von der der Gottlose in die Hölle hinunterstürzt, während der Gläubige von Sraosha in die Seligkeit des Himmels hinübergeführt wird. Die Mitte der Brücke ist wie die Klinge eines Schwertes. Überschreitet ein Frommer sie, ist sie waagerecht hingebreitet – fünfzehn Speerlängen breit. Will aber die Seele eines Übeltäters hinüber, dann steht die Schwertbrücke senkrecht mit messerscharfer Schneide nach oben, und die Gottlose stürzt hinab in den Abgrund, der ihn in der Tiefe erwartet, während der Gläubige in das ewige Licht gelangt. Mein Vater war ein sehr gläubiger Mensch. Er war Ahura Mazda, dem Herrn des Lichts, treu ergeben, und hat Ahriman, den Fürsten der Finsternis stets verabscheut. Er wird die Brücke der Trennung voller Zuversicht überschreiten.“

„Wir alle wünschen es ihm“, sagte Hasard.

Das Gespräch drehte sich rasch wieder um Bombay und die bevorstehende Fahrt dorthin. Da die Seewölfe den gleichen Weg hatten, boten sie Yasna für die verbliebenen drei Pinassen eine Art Geleitschutz an.

Dieser Vorschlag wurde von den Parsen mit Begeisterung angenommen. Als Hasard und seine Begleiter spät in der Nacht auf ihre Schebecke zurückkehrten, wurden sie mit großer Herzlichkeit verabschiedet.

Der Rest der Nacht verging schnell. Als das erste Morgengrauen den neuen Tag ankündigte, wurden wie vereinbart die Segel gesetzt. Als die Schebecke mit den drei Lastenseglern im Gefolge die Bucht verließ, ahnten die Arwenacks noch nicht, daß die Parsen ihre Dankbarkeit schon bald unter Beweis stellen würden.

9.

Obwohl der letzte Monsunregen erst vor wenigen Stunden niedergegangen war, breitete die Sonne ihren flirrenden Hitzeteppich über der großen Hafenstadt aus.

Die beiden Männer, die langsam durch die „Straße der Mädchen“ schlenderten, fielen nicht nur wegen der europäischen Art ihrer Kleidung auf, sondern auch wegen ihrer sichtbar guten Laune.

Sie lachten und schäkerten nicht nur mit den Mädchen, die von ihren Besitzern in die zahlreichen Bambuskäfige gesperrt worden waren, die zu Hunderten auf beiden Seiten der Gasse standen, sondern warfen auch die eine oder andere Münze in die Hände der zahlreichen Bettler.

Eine solche Spendierfreudigkeit zog natürlich eine Fülle von Angeboten nach sich.

„Meine Mädchen sind die schönsten in der ganzen Straße, Sahibs!“ rief ein zahnloser alter Mann und deutete zu sechs Käfigen, die nebeneinander standen. „Nur ein einziges kleines Goldstück, und Sie haben die freie Auswahl.“

Die Ladys, die in den teilweise mit Matten abgedeckten Käfigen saßen, versuchten auf ihre Weise, das Angebot noch verlockender zu gestalten – die eine durch ein scheues Lächeln, die andere durch eine unmißverständliche Einladung.

Die beiden Männer winkten jedoch freundlich ab, verließen wenig später die schmale, langgezogene Gasse und traten auf einen Platz zu, auf dem teils buntgekleidete, teils halbnackte Menschen durcheinanderwimmelten.

Eine unübersehbare Zahl von Marktständen und Gemüsekarren befand sich auf dem Gelände, und es gab fast nichts, um das dort nicht gefeilscht worden wäre. Neben Getreide und Gemüse lagen dort die herrlichsten Früchte und glänzten in der Sonne. Gleich daneben wurden Brotfladen gebacken und grüne, gelbe, rote und weiße Stoffe feilgeboten.

Die beiden Männer bahnten sich mühsam einen Weg durch das Menschengewühl und strebten augenscheinlich einem bestimmten Ziel zu. Nur noch einmal verhielten sie die Schritte, als ihre Blicke von einem Schauspiel angezogen wurden, das für Menschen aus dem fernen Abendland faszinierend und abstoßend zugleich wirkte.

Ein junger Mann mit einem leuchtend roten Turban auf dem Kopf hockte vor einem geflochtenen Weidenkorb und spielte eine schier endlose, monotone Weise auf einer Bambusflöte. Dazu pendelte der gelblich-weiße Leib einer großen Schlange hin und her, die sich hoch aufgerichtet hatte und den Flötenspieler nicht aus den Augen ließ.

„Gehen wir lieber, ich mag keine Schlangen“, sagte der große, dunkelhaarige Mann, an dem besonders die hellen Fischaugen auffielen. „Ich werde ohnehin nie verstehen, warum die Kobra den Kerl nicht beißt.“

Sein Begleiter, der eher kleinwüchsig war und etwas verhärmt wirkte, zuckte mit den Schultern.

„Es muß mit seinem Flötenspiel zusammenhängen“, sagte er. „Aber so genau weiß das niemand.“

Die Männer setzten ihren Weg fort und betraten schließlich auf der anderen Seite des Marktplatzes eine Art Teehaus, das zur Marktseite hin völlig offen war. Dort ließen sie sich auf den etwas schmuddeligen Sitzkissen nieder, die überall um die niedrigen Tische herumlagen, und bestellten grünen Tee.

Der Mann mit dem gestutzten Bart und den hellen Fischaugen rieb sich zufrieden die Hände.

„Es ist bestimmt nicht alltäglich, mein lieber Capitán Garcia, daß Engländer und Spanier so gut zusammenarbeiten wie wir beide.“ Er fügte seinen Worten ein meckerndes Lachen hinzu.

Der Spanier nickte. „Da haben Sie recht, Señor Ruthland. Unsere Zusammenarbeit gestaltet sich hervorragend. Aber glauben Sie mir – um El Lobo del Mar zur Strecke zu bringen, würde ich selbst einen Pakt mit dem Teufel schließen.“

„Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie übel Ihnen von meinen Landsleuten mitgespielt wurde“, fuhr Francis Ruthland fort. „Und mit der Zerstörung Ihres Schiffes, der ‚Aguila‘ hat dieser Killigrew dem Ganzen natürlich die Krone aufgesetzt.“

„Ich muß diesen Mann vernichten“, sagte César Garcia, während sich seine Augen verengten. „Bevor mir das nicht gelungen ist, werde ich Indien nicht verlassen.“

Ruthland nutzte die Situation sofort, um weiteres Öl ins Feuer zu gießen.

„Ich kann das sehr gut nachempfinden“, sagte er. „Auch ich habe nur den einen Wunsch, Killigrew auszuschalten, bevor es für alle seriösen englischen Kaufleute unmöglich wird, in Indien Handelsbeziehungen anzuknüpfen, Sie sehen, lieber Freund, daß wir das gleiche Ziel verfolgen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.“

„Und Sie sind wirklich davon überzeugt, daß er schon bald Bombay anlaufen wird?“ fragte Garcia.

Ruthland lachte abermals. „Darauf würde ich jede Wette abschließen. Bei dem Auftrag, den er auszuführen hat, kann er eine bedeutende Handelsstadt wie Bombay unmöglich auslassen. Nachdem wir ihm in Surat das Korn verhagelt haben, bietet sich Bombay als nächstgelegene Station geradezu an.“

„Na schön“, sagte Garcia finster, „dann möge El Lobo del Mar ruhig aufkreuzen. Er wird rasch merken, daß das Feld, das er beackern will, längst von uns bestellt worden ist.“

Francis Ruthland war nach wie vor guter Dinge. Er hieb dem spanischen Kapitän sogar leutselig die Hand auf die Schulter.

„Wir haben fürwahr trefflich vorgesorgt, mein Lieber. Meine Leute werden mich benachrichtigen, sobald sich auch nur der Masttop seiner verflixten Schebecke an der Kimm zeigt.“

Wie um ihren Pakt zu besiegeln, führten die beiden unterschiedlichen Männer, deren Bündnis nur vom gemeinsamen Haß zusammengehalten wurde, die Teebecher an die Lippen und schlürften mit siegessicheren Gesichtern das heiße und aromatisch duftende Getränk.

Auch am zweiten Tag, nachdem der kleine „Konvoi“ die Bucht der Parsen verlassen hatte, lag die Schebecke der Seewölfe gut am Wind auf Südkurs. Die Segel hoben sich deutlich vom strahlend blauen Himmel ab, die Wasserfläche dehnte sich gleißend in der Sonne und würzte die Luft mit frischem, salzigem Geruch.

Die Pinassen der Parsen folgten in einigem Abstand und kamen trotz ihres Tiefgangs erstaunlich gut voran. Dennoch ließ Hasard von Zeit zu Zeit Tuch wegnehmen, damit die Schebecke den Lastseglern nicht einfach davonlief.

Was Bombay betraf, war die Crew im großen und ganzen zuversichtlich. Die große Hafenstadt auf der dem Festland vorgelagerten Halbinsel Salsette galt unter Handelsfahrern aus aller Herren Länder als sehr offene Stadt, so daß der Seewolf darauf hoffte, dort endlich im Sinne seines königlichen Auftrages agieren zu können.

Auch die Mannen freuten sich bereits auf einen bevorstehenden Landgang und damit natürlich auf alles das, was eine Stadt dieser Größenordnung zu bieten hatte.

Der Kutscher hatte in Zusammenarbeit mit Mac Pellew eine lange Liste zur Ergänzung der Vorräte erstellt. Es würde ihnen Spaß bereiten, auf den großen Märkten von Bombay einzukaufen und den Speiseplan wieder mal um einige exotische Genüsse zu bereichern.

Mac versprach sogar, den berühmten „Tandoori Machchi“ noch einmal zuzubereiten, allerdings mit einer anderen Gewürztunke. Und der Kutscher hoffte im stillen, dem einen oder anderen indischen Heilkundigen zu begegnen, um den eigenen Horizont ein bißchen zu erweitern.

So hatte jeder an Bord seine persönlichen Vorstellungen und Erwartungen, und als die Stadt schließlich gesichtet wurde, gab es ein großes Hallo unter den Arwenacks.

Schon in der Nähe des Hafens verdichtete sich der Schiffsverkehr merklich. Man war plötzlich nicht mehr allein auf weiter See, eine beträchtliche Anzahl von Seglern aller Bauarten und Größenordnungen, bis hin zu winzigen Fischerbooten, waren unterwegs nach Bombay oder im Begriff, die Stadt wieder zu verlassen.

Auch auf der Reede herrschte rege Betriebsamkeit. Dennoch war es kein Problem für die Arwenacks, ihre wendige Schebecke zunächst mal zu einem freien Platz in der Nähe einer portugiesischen Galeone zu manövrieren und Anker zu werfen.

Wie die Arwenacks rasch bemerkten, stellten die Portugiesen einen beträchtlichen Anteil aller Schiffe. Für Miguel de Pereira und Rafael Cegos würde es kein Problem sein, Unterstützung bei Landsleuten zu finden.

„Schade, daß der schwarze gepönte Nachttopf nirgends zu sehen ist“, sagte der Profos. „Da hätten wir unsere vornehmen Halb-Dons gleich an der richtigen Adresse abliefern können.“

Die beiden Portugiesen schienen jedoch, was die „richtige Adresse“ betraf, nicht allzu wählerisch zu sein. Sie hatten offenbar sofort ein Auge auf die Galeone geworfen, die in unmittelbarer Nachbarschaft ankerte.

„Wenn Sie erlauben, preie ich das Schiff an, Senhor Killigrew“, erklärte de Pereira.

Hasard lächelte. „Wir haben zwar keine Eile, Senhor de Pereira, und betrachten Sie als Gäste, solange Sie das wünschen, doch wenn Sie mit Ihren Landsleuten in Kontakt treten möchten – bitte sehr.“

Die Portugiesen eilten sofort ans Schanzkleid und winkten zu der Galeone hinüber, von der aus die Besatzung eher mißtrauisch zu dem englischen Segler äugte.

Kurze Zeit später war – getragen von südländischem Temperament – bereits eine rege Unterhaltung von Bord zu Bord in Gang, in deren Verlauf de Pereira dem Kapitänkollegen sein Leid klagte.

Er erreichte sein Ziel. Die Portugiesen fierten ein kleines Boot ab und pullten es auf die Schebecke zu.

Der Abschied der beiden Männer von der „Madre de Deus“ vollzog sich kurz und ohne großes Palaver. De Pereira bedankte sich nochmals – auch im Namen von Rafael Cegos – für die gewährte Hilfe. Dann enterten die beiden Männer in das Boot ab.

Old Donegal atmete hörbar auf. „Dem heiligen Nepomuk sei’s gedankt, daß wir diese beiden Affen los sind.“

Hasard lachte. „Eigentlich waren sie doch ganz umgänglich, oder?“

„Umgänglich nennst du das?“ Old Donegal spie über Bord. „Du hättest sie an jenem Abend erleben sollen, an dem du mit den Parsen gefeiert hast. Bei uns an Bord gab’s leckere Speckpfannkuchen. Aber statt sich den Bauch endlich mal mit was Richtigem vollzuhauen, haben sie Gesichter gezogen, als hätten wir einige der über dem Turm kreisenden Geier abgeschossen und gebraten.“

„Hauptsache, sie haben die Speckpfannkuchen überlebt“, erwiderte Hasard. „Vielleicht speisen die Herren ja ab heute wieder im Kapitänssalon – mit dem dazugehörigen Rotwein, wer weiß?“

Wenn es um die Zoll- und Hafengebühren ging, brauchte man nirgends lange auf die entsprechenden Eintreiber zu warten. Diese Erfahrung bestätigte sich auch auf der Reede von Bombay. Bevor sich die Arwenacks versahen, hielt bereits eine Jolle auf sie zu, der ihre amtliche Eigenschaft schon von weitem anzusehen war.

In der Jolle hielten sich insgesamt acht Männer auf. Sechs davon schienen zur festen Besatzung zu gehören, denn sie bedienten das Segel und bei Bedarf die Riemen. Bei den beiden anderen Männern handelte es sich offensichtlich um Beamte der Zollverwaltung.

Einer von ihnen trug eine Art Uniform, der weiße Turban auf seinem Kopf bildete einen scharfen Kontrast zu seinem pechschwarzen Bart. In seinem breiten Gürtel steckte ein mit Silber verzierter Krummdolch, daneben hing – wohl als Zeichen seines hohen Amtes – ein Krummsäbel.

Vor ihm saß ein kleiner, dicklicher Mann, der eine Ledermappe samt Schreibzeug auf den Knien festhielt. Er diente dem Zollbeamten, wie sich bald herausstellte, als Sekretär und Dolmetscher.

Die Jolle schor an der Steuerbordseite der Schebecke längsseits, der Turbanträger und sein Dolmetscher erhoben sich.

„Wer ist der Kapitän dieses Schiffes?“ fragte der kleine, dickliche Mann mit einer hohen, fast singenden Stimme, aber in gut verständlichem Englisch.

„Das bin ich. Mein Name ist Philip Hasard Killigrew.“ Der Seewolf beugte sich über das Schanzkleid.

Der Dolmetscher deutete mit einer leichten Verbeugung zu dem Mann mit dem Turban.

„Das ist Kandur Singh, der Leiter der Zollbehörde des Moguls. Er bittet, in meiner Begleitung an Bord kommen zu dürfen.“

„Der Bitte ist stattgegeben“, erwiderte Hasard höflich und ließ eine Jakobsleiter ausbringen.

Die beiden Männer enterten an Bord und sahen sich sofort neugierig um. Kandur Singh entpuppte sich dabei als ein sehr gesprächiger Mann. Sein Dolmetscher hatte Mühe, mit ihm mitzuhalten.

Zunächst überhäufte er Hasard geradezu mit Fragen über das Woher und Wohin ihrer Reise, über die Größe des Schiffes, die Zahl der Besatzungsmitglieder und die Art der Ladung. Sogar die Geschwindigkeit, mit der die Schebecke segeln konnte, interessierte ihn. Dann ließ er sich die Laderäume zeigen und besichtigte auch die übrigen Kammern, einschließlich der Krankenunterkunft.

„Fehlt nur noch, daß er in der Vorratskammer die Krautköpfe und Speckseiten nachzählt oder das Fassungsvermögen unserer Pfannen und Suppentöpfe kontrolliert“, raunte Mac dem Kutscher zu.

Der lächelte nur. „Vielleicht trägt das alles zu seiner Preisgestaltung bei.“

„Preisgestaltung?“ fragte Mac. „Hier wird doch wohl nicht gefeilscht. Ich denke, bei solchen Behörden gibt es feste Gebührensätze.“

Der Kutscher lächelte noch immer: „Die gibt es auch, mein lieber Mac, aber sie lassen sich bekanntlich durch Eintritt besonderer Umstände elegant verändern. Vor allem nach oben.“

Der Kutscher lag mit seiner Vermutung genau richtig, denn Kandur Singh rückte schon recht bald mit seiner Gebührenforderung heraus.

„Nun, Kapitän Killigrew, da Goldstücke in allen Ländern der Welt als Zahlungsmittel akzeptiert werden, setze ich die Gebühren auf den angemessenen Betrag von einhundertundfünfzig Goldstücke fest.“

Der Seewolf schluckte. Er hatte in den verschiedensten Häfen der Welt ja schon einiges erlebt und sich von vornherein darauf eingestellt, daß dieser Mann den doppelten Betrag verlangen würde. Aber mit dem Dreifachen hatte er nicht gerechnet.

Er konnte nicht verhindern, daß eine eiskalte Wut in ihm hochkroch. Am liebsten hätte er diesen korrupten Turbanträger am Kragen gepackt und über das Schanzkleid gehievt. Doch Bombay sollte nicht auch noch zum Fiasko werden, nachdem es bereits in Surat jede Menge Ärger gegeben hatte. Er zwang sich deshalb, freundlich und sachlich zu bleiben.

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