Kitabı oku: «Der Duft von Pfirsichen», sayfa 4
TEIL 2
KAPITEL 7
Cruz erinnerte sich an das genaue Datum, an dem Zoe Collins in sein Leben getreten war.
Seine Mutter und er waren erst seit ein paar Monaten in Copper Creek, aber Brady Collins war ihm bereits der Bruder, den er nie gehabt hatte. Am ersten Schultag hatte Brady Cruz in der Mittagspause an seinen Tisch eingeladen. Und da entdeckten sie ihre gemeinsame Leidenschaft für Autos, Angeln, Mädchen – ohne besondere Reihenfolge.
Brady ging offen damit um, dass seine leibliche Mutter eine Drogenabhängige war und dass seine Tante und sein Onkel ihn als Baby adoptiert hatten. Für alle Welt waren Mr. und Mrs. Collins Vater und Mutter für ihn, aber Cruz merkte, dass Brady sich manchmal ein wenig fehl am Platz fühlte.
Bradys Familie hatte ein schönes Haus, aber trotzdem zog er es vor, Zeit in Cruz´ abgewohnter Mietwohnung zu verbringen. Tatsächlich trafen sie sich meist dort. Vielleicht lag es an der Anziehungskraft von Cruz´ Mutter – selbst mit 17 musste Cruz zugeben, dass sie ziemlich cool war. Sie hatte zwei Jobs, aber jetzt, wo Cruz eine Anstellung in einem Eisenwarenladen bekommen hatte, hoffte sie, dass sie in der Wäscherei aufhören könnte.
Es ging langsam auf Mitternacht zu, und er und Brady hatten gerade angefangen, oben in seinem Zimmer PlayStation zu spielen, als Cruz draußen vor dem Fenster ein Geräusch hörte. Er runzelte die Stirn und stand auf, um das Licht auszuschalten. Copper Creek schien wie ein sicherer Ort zu sein, aber in Atlanta, wo sie vorher gewohnt hatten, hatte er gelernt, sich um seine Mutter und sich zu kümmern.
„Was machst du?“ Bradys Finger bearbeiteten die Knöpfe des Controllers, während er Aliens aus dem Weg sprengte.
„Ich habe gedacht, ich hätte da was gehört.“ Cruz ging zum Fenster.
Vom Fernseher her erklang eine letzte Explosion, dann wurde es leise. „Ich geh mal aufs Klo“, sagte Brady.
Cruz hörte kaum, wie sein Freund das Zimmer verließ. Er zog die Gardine beiseite und wich erschrocken zurück, als er ein Gesicht entdeckte, das sich genau vor ihm befand.
Es war ein Mädchen. Ihr Haar glühte im Mondlicht wie eine Löwenmähne und umspielte ihr alabasterfarbenes Gesicht. Doch es waren ihre Augen, die ihn gefangen nahmen. Augen, die schelmisch leuchteten, als wüssten sie irgendein lustiges Geheimnis.
Sein Herz machte einen heftigen Satz, und durch seinen ganzen Körper strömte Hitze, die ihm das Hirn vernebelte. Cruz´ olivfarbene Haut und sein schwarzes Haar machten ihn in der Damenwelt sehr beliebt – dafür konnte er sich bei seiner Mutter bedanken. Aber wäre er je auf die Idee gekommen, er könnte sich ein Mädchen wünschen, das am Fenster seines Zimmers auftaucht, er hätte sich dieses hier gewünscht.
Cruz fing sich so weit, dass er das widerspenstige Schiebefenster hochzerren konnte. Aber nachdem er das geschafft hatte, versiegten ihm die Worte wie eine Pfütze im Juli.
Ihre Lippen kräuselten sich. „Willst du mich mal reinlassen? Ich falle nämlich gleich.“
Er schob das Fenster ganz auf und half ihr herein. Ihre Haut war das Weichste, das er je berührt hatte. Flink zwängte sie ihren schlaksigen Körper mit den langen Gliedmaßen in einem zarten weißen Oberteil und abgeschnittenen Jeans durch die Fensteröffnung.
Sie ließ sich auf sein großes Bett fallen und rubbelte sich die Beine ab.
Er blinzelte und fand endlich seine Stimme wieder. „Wer bist du … wie bist du …?“
„Ich bin Zoe. Euer Spalier müsste mal repariert werden. Das ist an einigen Stellen morsch. Zweimal bin ich fast gefallen. Tut mir leid mit der Sauerei.“
Zoe. Bradys 15 Jahre alte Schwester. Die, die er so sehr beschützen wollte.
Cruz wollte das Licht einschalten und sie sich genauer anschauen, aber er befürchtete, damit irgendwie den Zauberbann zu brechen. Oder vielleicht träumte er auch. In dem Fall wollte er ganz bestimmt nicht aufwachen.
Ihre Augen funkelten im Licht des Bildschirms, als sie seinen Blick erwiderte. „Warum schaust du mich so an?“
„Wie ,so‘?“
„Als wäre ich ein Gespenst.“
„Bist du denn eins?“
„So was gibt es doch gar nicht, du Blödmann.“
„Woher willst du das wissen?“
Spielerisch hob sie eine Augenbraue. „Hast du je eins gesehen?“
„Vielleicht.“
Sie griff nach seiner Hand und drückte sie sacht. „Siehst du? Hundert Prozent echt.“
Er spürte einen elektrischen Schlag vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen − und überall dazwischen auch. Er wollte ihre Hand für immer und ewig halten und nie wieder loslassen.
Aber sie zog sie weg, verschränkte die Arme und legte den Kopf schief. Ihre Augen wanderten über seinen Körper, und er spürte ihren Blick wie eine Berührung. Ein Schauder überlief seinen Rumpf und erinnerte ihn daran, dass er nur seine Jeans trug.
„Spielst du in irgendeiner Mannschaft? Du treibst bestimmt viel Sport. Du hast echt eine Menge Muskeln.“
Plötzlich wünschte er sich, eine dieser Sportskanonen zu sein, die einer Maschine Wiederholungen abrangen, anstatt eines Jugendlichen, der sein Sportprogramm erledigte, indem er die Regale einer Eisenwarenhandlung einräumte.
„Mit wem redest …“ Brady blieb im Türrahmen stehen. Sein Blick fiel auf das Mädchen, das auf dem Bett saß. „Zoe. Was machst du denn hier?“
Unverfroren hob sie eine Schulter. „Du solltest mal auf deinen Rücksitz gucken, bevor du losfährst, großer Bruder. Man kann nie wissen, wer da so mit unterwegs ist.“
„Was soll das? Jetzt muss ich dich heimfahren, und ich bin gerade erst hier angekommen.“
„Ach, entspann dich. Ich will doch bloß ein bisschen Spaß haben. Welches Spiel spielt ihr gerade? Oh, das liebe ich.“ Sie griff nach der Konsole.
Brady schnappte sie am Ellbogen. „Oh nein, das wirst du nicht. Du fährst geradewegs mit mir nach Hause.“
„Du bist schlimmer als Mum und Dad. Ich bin kein Baby mehr.“
„Es ist nach Mitternacht.“
Sie schaute ihn gespielt erschrocken an. „Oh nein! Mitternacht. Nicht, dass ich mich noch in einen Kürbis verwandle.“
„Du musst aufhören, dich davonzuschleichen, Zoe. Das ist nicht sicher.“
Sie verdrehte die Augen. „Wir sind in Copper Creek. Hier könnte ich nicht einmal in eine Gefahr geraten, wenn ich vorher deswegen herumtelefonieren würde.“
„Diesmal sage ich Mom und Dad Bescheid. Lass uns gehen.“
Zoe entwand sich seinem Griff und sah ihn frech an. „Du wirst es ihnen nicht sagen. Weil ich weiß, wer letzten Freitag mit Bridgette Malloy bei Sutter’s Bend geparkt hat, obwohl er eigentlich noch bei der Arbeit sein sollte.“
Bradys Lippen kniffen sich zusammen. „Wie hast du … egal. Komm jetzt, wir fahren nach Hause.“
Zoes Gesicht erhellte sich. „Oh, ich weiß was. Lass uns schwimmen gehen. Oder ein paar Böller anzünden. Wir können zur Brücke runtergehen, da erwischt uns keiner.“
„Wir fahren an genau einen Ort: nach Hause nämlich.“
„Bäh! Du bist so ein Langweiler. Schön, dann gehe ich eben nach Hause, aber zu Fuß.“
Sie marschierte an Cruz vorbei und hinterließ eine Duftspur des herrlichsten Parfüms, das er je gerochen hatte.
Brady war ihr auf den Fersen. „Oh nein, das wirst du nicht.“
Sie drehte sich in der Tür um und schenkte Cruz ein koboldhaftes Zwinkern. Und so einfach war es um ihn geschehen. Er war verliebt.
KAPITEL 8
Zoe schlüpfte in die schattige Scheune ihrer Eltern, wo ihr altvertraute Gerüche nach Heu und Pferden entgegenschlugen. Ihr Blick fiel auf Cruz, der bei den Boxen drüben stand. Die Bürste in seiner Hand glitt über Buttercups Widerrist.
„Was machst’n du da?“
Er fuhr zu ihr herum, wandte sich dann aber wieder Buttercup zu. „Ich warte auf Brady.“
Seit ein paar Jahren kam Cruz nun vorbei und verbrachte Zeit mit ihrem Bruder. Er war so hübsch, mit seiner herrlichen Haut und den achtsamen braunen Augen. Ihn nur anzuschauen ließ in ihrem Bauch Schmetterlinge umherflattern.
Aber er ignorierte sie, ignorierte sie so sehr, dass es schon beinahe unhöflich war. Für ihn war sie nur Bradys nervtötende kleine Schwester.
Sie kam näher und lehnte sich nah genug neben ihm an die Boxentür, dass ihr Arm seinen streifte.
Er versteifte sich, zog sich aber nicht zurück.
Sie biss sich auf die Lippe. Sie hätte sich keinen weniger geeigneten Kandidaten als Schwarm aussuchen können. Aber jetzt, wo das feste Fleisch seines Arms ihren berührte und sein subtiler herber Duft ihre Sinne in Beschlag nahm, machte sich eine unerbittliche Hoffnung in ihr breit. An Mut hatte es ihr schließlich noch nie gemangelt.
„Willst du ausreiten?“
„Wenn er kommt, bevor es dunkel wird.“
„Ich könnte mit dir los. Ich kenne die schönsten Ecken.“
Sein hüpfender Adamsapfel lenkte ihre Aufmerksamkeit auf seinen Hals und sein Kinn, beides unrasiert. Er wirkte älter als die anderen Jungen seines Jahrgangs. Das lag wohl an dem Bartschatten, überlegte sie. Oder an dem abgekämpften Blick in seinen tiefgründigen Augen.
Er legte die Bürste weg, trat beiseite und schob die Hände in die Hosentaschen. „Nein, danke.“
Mit zitternder Hand streichelte Zoe Buttercups Schnauze. „Du brauchst gar nicht so gemein zu sein. Ich wollte nur freundlich sein.“
„Ich bin nicht gemein. Ich warte einfach nur auf Brady.“
Sie bedachte ihn mit einem stolzen Blick. „Die ganze Zeit ignorierst du mich.“
Seine Wangenmuskeln bewegten sich. „Tu ich gar nicht.“
„Doch, wohl.“
Er schaute sie an.
„Na, tust du wohl.“
„Ich bin Bradys Freund. Ich bin hier, um ihn zu besuchen, nicht dich.“
„Da, jetzt bist du schon wieder gemein.“ Sie klimperte mit den Wimpern, ein Trick, den sie von Marci Allen gelernt hatte. „Egal, ich bin jedenfalls nur zwei Jahre jünger als du.“
Er seufzte schwer und murmelte etwas auf Spanisch.
„Was heißt das?“
Seine Augen blitzten. „Ich habe Gott um Geduld gebeten.“
Hmpf. Sie kniff die Augen zusammen und zog eine Schnute.
Er sah auf ihren Mund hinunter, und ihr blieb fast die Luft weg. Hatte sich da gerade noch etwas außer Gleichgültigkeit in seinen Augen gezeigt?
Aber einen Augenblick später tigerte er davon, als wäre er von ihrer Unterhaltung zu Tode gelangweilt.
Sie seufzte. Versuchen und nochmals versuchen. „Wann fängst du am College an?“ Brady würde im Herbst anfangen, und Cruz war ein ganzes Jahr älter. Er arbeitete immer noch im Eisenwarenladen.
„Wer sagt denn, dass ich aufs College gehe?“
„Was hast du denn sonst vor?“
„Ich überlege noch.“ Er sah von ihr weg. Ein Lichtstrahl fiel ihm ins Gesicht, der seine Konturen hart und klar wirken ließ.
Plötzlich wurden ihr die Unterschiede zwischen den Umständen, in denen sie aufwuchsen, bewusst. Ihre Eltern bezahlten für Bradys Studium, und wenn sie sie dazu überreden konnten, zu studieren, würden sie auch für ihres bezahlen. Sie fragte sich, ob Cruz vielleicht hierbleiben und seiner Mama helfen musste, damit das Geld reichte.
„Du könntest doch hier auf die Handelsschule gehen. Was möchtest du denn gerne machen?“
„Du bist ziemlich vorwitzig.“
„Du bist ziemlich vage.“
Sein Mundwinkel zog sich ein, was ihre Aufmerksamkeit auf seine volle Unterlippe zog. „Große Worte für so ein kleines Mädchen. Vielleicht weiß ich nicht einmal, was das heißt.“
Sie verdrehte die Augen. „Brady hat mir erzählt, dass du den fünftbesten Abschluss eures Jahrgangs gemacht hast. Wenn du wolltest, könntest du ein Stipendium bekommen.“
Er hielt an und streckte eine Hand nach Buttercup aus, der an seiner Handfläche schnupperte. Als er nicht antwortete, fuhr Zoe fort:
„Brady macht wahrscheinlich Überstunden. Ich könnte dir ein Pferd satteln, wenn du willst.“
Er erübrigte einen Blick für sie. „Ich weiß selbst, wie man ein Pferd sattelt.“
„Ich wollte einfach nur freundlich sein. Solltest du auch mal probieren.“
Ihr Herz überschlug sich in ihrer Brust. Kein anderer Junge hatte sie je so nervös gemacht, und das gefiel ihr überhaupt nicht. Eine Menge Jungs standen auf sie; sie hatte nicht vor, um die Aufmerksamkeit von jemandem zu betteln, der ihren Anblick nicht aushalten konnte.
Seine Schritte endeten ganz in der Nähe. Sie hatte sein Herankommen nicht einmal bemerkt.
Ihre Augen fanden seine, und sie bemerkte, dass er ihr Haar anstarrte. Röte stieg ihr in die Wangen. Sie hob eine Hand und schob die ungebändigten Locken zurück. Sie wünschte, sie hätte sich die Zeit genommen, sich einen Zopf zu machen. Ihr Haar war das Einzige, was sie von ihrer schönen Mutter geerbt hatte – klar, dass es nicht ihre kurvige Figur oder die hübschen blauen Augen gewesen waren.
„Hör auf zu glotzen. Das ist unhöflich.“ Sie hob die Kardätsche auf und fuhr damit über Buttercups Seite. „Ich weiß schon, dass ich hässliche Haare habe. Das musst du mir nicht auch noch bestätigen.“
„Die sind nicht hässlich.“
Sie schnaubte.
Wieder murmelte er etwas auf Spanisch.
Sie sah ihn finster an. „Wenn du mich schon beleidigen willst, dann mach’s wenigstens auf Englisch.“
Er sah sie lang und fest an, bis ihr die Knie schlackerten und ihre Brust so eng wurde, dass sie kaum noch atmen konnte.
Die Bürste bewegte sich immer langsamer, hielt an. Er verwirrte sie. Er war gemein zu ihr, und doch schaute er sie manchmal an, als ob …
Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Was?“
„Ich habe gesagt … es hat die Farbe einer Löwenmähne.“ Seine raue Stimme ließ ihr Innerstes summen.
Sie blinzelte. Ihre Haarwurzeln kribbelten, als hätte er sie gerade berührt. Hitze stieg ihr bis in die Ohrspitzen, und sie konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Konnte nicht eine einzige Silbe mehr sagen. Oder zwei Gedanken aneinanderreihen.
Plötzlich zupfte er am Schild seiner Baseballkappe und wandte sich zum Gehen. „Ich muss los. Sag deinem Bruder, dass ich nicht mehr länger auf ihn warten konnte.“
Und dann war er weg und mit ihm ein Stück ihres Herzens.
KAPITEL 9
Es war längst Herbst, als Cruz Zoe wiedersah. Er erledigte gerade seine letzte Holzlieferung des Tages. Er parkte seinen Truck neben dem Bauernhaus der Plantage.
Als er ausstieg, entdeckte er Zoe, die in einem Paar abgeschnittener Hosen und einem roten T-Shirt, das in der Taille zusammengeknotet war, auf die Veranda ihrer Großmutter trat. Ein Streifen cremeweißer Haut bannte seinen Blick. Er knirschte mit den Zähnen, während er anfing, die Bohlen für die Veranda abzuladen, und erinnerte sich an das Versprechen, das er Brady gegeben hatte: dass er nämlich auf Zoe aufpassen würde, während der auf dem College war.
In Anbetracht der Tatsache, dass es Monate her war, dass er Zoe zuletzt gesehen hatte, kam er seiner Aufgabe nicht besonders gut nach. Es hieß, sie habe ihr zweites Knöllchen für zu schnelles Fahren bekommen, und deshalb sei ihr Führerschein vorläufig weg. Vielleicht würde sie das ein bisschen bremsen.
„Was machst’n du da?“, fragte sie.
„Ich lade das Holz für die Veranda deiner Großmutter ab.“
Schnell wandte er den Blick von ihrer schlanken Figur ab. Sie trug das Haar heute offen, eine lockige Masse, die ihr über die Schultern floss. Das Sonnenlicht glitzerte darauf und verwandelte es in strahlendes Kupfer. Anfangs war es nur ihr Aussehen gewesen, das ihn an eine schöne Löwin erinnerte. Aber jetzt wusste er, dass ihr Temperament auch dem einer Löwin entsprach.
Mi Leona. Bei dem abstrusen Gedanken schüttelte er den Kopf. Sie war nicht die Seine. Weder Löwin noch sonst etwas.
Er schnappte sich einen Armvoll Holz und wich ihr aus, wobei ihm auf dem Weg zur Rückseite des Hauses ihr Nissan in der Auffahrt auffiel.
„Ich dachte, du darfst gar nicht mehr fahren.“
Sie lud einen Armvoll Bretter neben ihm ab. „Ist doch nur die Straße runter. Ich werde schon nicht erwischt.“
„Wenn du nicht aufpasst, bist du deinen Führerschein bald los, bis du sechzig wirst.“
„Ich habe schon einen großen Bruder, Cruz. Noch einen brauche ich nicht.“
Ihr Tonfall war ungewöhnlich zickig, und er fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Vielleicht vermisste sie Brady. Auch wenn sie sich neckten und zankten, standen sie sich doch sehr nahe.
Schweigend half sie ihm, den Rest abzuladen. Als er die Heckklappe endlich schloss, stand die Sonne über den Hügeln. Er schickte Zoe mit den Papieren hinein, und sie kam kurz darauf mit dem Klemmbrett und der Unterschrift ihrer Großmutter wieder.
„Komm, dreh eine Runde mit mir“, sagte sie.
„Du sollst doch gar nicht fahren.“
„Dann fährst du.“
„Zoe …“
„Hast du jetzt Feierabend?“
Er presste seine Lippen zusammen. Das war verlockender, als ihm recht war. Du hältst doch nur dein Versprechen gegenüber Brady, sagte seine eine Gehirnhälfte. Brady würde dich umbringen, wenn er wüsste, was für Gedanken du über seine Schwester hast, sagte die andere.
„Na, dann steh halt rum und verbrauche den ganzen Sauerstoff. Ich jedenfalls mache jetzt eine kleine Spritztour.“ Mit wehendem Haar wirbelte Zoe herum und stieg in ihr Auto.
„Halt!“
Sie startete den Motor und sah ihn durchs offene Fenster mit diesem frechen Lächeln an. „Und was willste jetzt machen?“
„Pequeño mocosa“, murmelte er und rieb sich die Stirn.
„Hast du mich gerade ein kleines Gör genannt? Ich habe dieses Jahr Spanisch, weißt du.“
„Wow, ein ganzes Jahr. Da kann ich bestimmt nie wieder was vor dir verbergen.“
Sie funkelte ihn aus schmalen Augen an und schaltete auf „Fahren“. „Adios, amiga.“
„Amigo. Ich bin ein Mann.“
„Ach, echt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Sie gab vorsichtig Gas. „Hasta la vista, amigo.“
„Warte.“ Schwer seufzend langte er nach dem Türgriff. „Rutsch rüber.“
Auf ihren Lippen formte sich ein zufriedenes Lächeln. Sie stellte den Schaltknüppel auf „Parken“ und schob sich über die schmale Mittelkonsole.
„Was ist mit meinem Truck?“
„Der steht da gut.“
„Solltest du deiner Großmutter nicht sagen, dass du mit mir wegfährst?“
Sie grinste verwegen. „Hab ich längst gemacht.“
War er so vorhersehbar? Er warf ihr einen Blick zu, während er den Wagen die geschotterte Auffahrt hinunterlenkte. Es war ein kleines Auto, und ihre Schultern berührten sich beinahe. Ihr blumiger Duft umwölkte ihn wie ein Zauberspruch, der das Herz in seiner Brust lauter schlagen ließ.
Als sie am Ende der Auffahrt ankamen, bremste er. „Wo fahren wir hin? Du scheinst ja alles zu wissen.“
Sie griff in ihre Hosentasche und zog eine Münze heraus. „Sag mal eine Zahl zwischen eins und fünfzig.“
„Warum?“
„Mach einfach.“
Er verdrehte die Augen. „Fünf.“
Sie warf die Münze. „Zahl. Das heißt, an der nächsten links.“
Er schüttelte den Kopf, tat aber, was sie sagte. „Du musst sehr gelangweilt sein, wenn du dir so was zum Spaß ausdenkst.“
Er wünschte, er hätte die Zeit, sich zu langweilen. Seiner Mutter war gekündigt worden, und jetzt war er der Alleinverdiener der Familie. Er arbeitete an sechs Tagen in der Woche, manchmal zehn Stunden am Tag.
Bei der nächsten Kreuzung warf sie die Münze wieder. „Kopf, fahr rechts.“
Er verlangsamte das Tempo und bog ab. Es war eine Landstraße, mit weitem Farmland auf beiden Seiten. Parallel zur Straße floss ein Bach. Die Blätter leuchteten golden und rot, und der Duft des Herbstes hing schwer in der Luft.
„So landen wir noch am Ende der Welt. Was soll das hier eigentlich?“
„Bist du immer so ein Spielverderber?“
An der nächsten Weggabelung bremste er. „Lass uns hier rechts fahren. Dann kommen wir wieder zurück zur Stadt.“ Und zurück zum Haus ihrer Großmutter, wo er sie absetzen und sie sich aus dem Kopf schlagen konnte.
Genau.
„Das wäre geschummelt.“ Sie warf die Münze. „Fahr links.“
Seufzend gab er nach.
„Hast du was von Brady gehört?“, fragte sie.
„Er hat gestern angerufen.“ Seinem Freund gefiel es nicht besonders auf dem College. Cruz hatte das Gefühl, er wollte es mit dem Wirtschaftsstudium nur seinen Eltern recht machen. Alles, was Brady je gewollt hatte, war, an Autos herumzuschrauben.
„Mich hat er nicht angerufen.“
Er schaute gerade noch rechtzeitig zu Zoe hinüber, um den verletzten Ausdruck in ihrem Blick zu erhaschen.
„Na, er hat jedenfalls nach dir gefragt. Du solltest ihn anrufen. Er vermisst dich.“
An der nächsten Kreuzung warf sie wieder die Münze. „Fahr rechts.“
„Was hast du vor, wenn du mit der Schule fertig bist?“, fragte er.
Sie hob das Kinn. „Ich gehe nach Nashville. Ich werde Sängerin und berühmt, und sie werden meine Lieder in allen Radiosendern spielen.“
Das würde sie vermutlich sogar wirklich schaffen. Sie hatte eine Stimme wie ein Engel. Manchmal sang sie in der Kirche, und ihre glockenhelle Stimme hypnotisierte ihn geradezu. „Was halten denn deine Eltern davon?“
Sie schnaubte. „Als hätte ich denen etwas davon erzählt. Die denken doch, ich würde an der University of Georgia Jura studieren und dann wieder herkommen, um Daddys Kanzlei zu übernehmen.“
„Tja, im Debattieren bist du eben wirklich gut.“
„Brady macht die Dinge vielleicht auf ihre Art, aber ich eben nicht. Ich will nicht den Rest meines Lebens in dieser Hinterwäldlerstadt festhängen. Ich werde Sachen machen. Echt große Sachen.“
Der Gedanke daran, dass sie weggehen könnte, zog ihm die Brust zusammen. Er versuchte sich zu sagen, dass sie noch eine ganze Weile Zeit hatte, bis die Entscheidung tatsächlich anstand. Es wäre sowieso besser, wenn sie fortginge. Sie ging ihm so unter die Haut; vielleicht könnte er sie dann endlich loswerden. Vielleicht konnte er dann tatsächlich mit anderen Mädchen ausgehen und aufhören, sich zu wünschen, sie hätten rotes Haar und Alabasterhaut und winzige Sommersprossen auf ihren Nasen.
„Was?“, fragte sie. „Glaubst du mir nicht?“
„Du kannst alles schaffen, was du dir in den Kopf setzt.“ Der Himmel wusste, dass sie alle Ressourcen hatte, die sie brauchte. Er war sich nicht sicher, ob sie die Starthilfe, mit der sie geboren worden war, so zu schätzen wusste wie Brady.
Er spürte, wie sie nachdachte. „Das ist vermutlich das Netteste, das du je zu mir gesagt hast.“
Er sah zu ihr hinüber und betrachtete ihr Haar, das im Wind wehte. Nahm wahr, wie ihre grünen Augen ihn jetzt sanft anschauten. Auf wundersame Weise schaffte er es, seinen Blick nicht zu ihren Lippen wandern zu lassen.
Er schaute weg und schluckte schwer. „Du bist ein gutes Mädchen, Zoe.“
Er konnte fast spüren, wie sie sich neben ihm empört aufplusterte, und wusste, dass er das Falsche gesagt hatte.
„Na, Kyle Jimmerson denkt jedenfalls nicht, dass ich ein ‚Mädchen‘ bin. Er hat mich gebeten, nächsten Monat mit seiner Band zu singen, und das werde ich auch. Brevity spielt Konzerte in Atlanta. Na ja … ein Konzert jedenfalls.“
Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken daran, dass Zoe von diesem Typen in seine Band aufgenommen werden könnte. Der kam nicht gerade aus einer guten Familie, und nach dem, was Cruz gesehen hatte, war er so arrogant wie sein Vater.
„Mit dem solltest du besser aufpassen“, sagte Cruz. „Das ist ein Zocker.“
„Da haben wir’s wieder. Jetzt tust du so, als wärst du mein großer Bruder.“
„Nun … Brady ist weg, also …“
„Ich brauche keinen Babysitter. Kyle glaubt wirklich an mich. Er findet, dass ich eines Tages die perfekte Backgroundsängerin für ihn sein kann, wenn meine Stimme etwas reifer geworden ist.“
Cruz kniff die Lippen zusammen. Er hoffte, dass Kyle klar war, dass ihre Stimme nicht das Einzige an ihr war, was reifen musste. Zoe mochte temperamentvoll sein, sie war trotzdem unschuldig und naiv. Und jetzt war sie siebzehn. Alt genug, um in eine Menge Scherereien zu geraten, und Kyle Jimmerson würde da keine große Hilfe sein.
Cruz versuchte sich einzureden, dass er nicht eifersüchtig war. Aber der Gedanke daran, dass Kyle irgendwo in Zoes Nähe sein könnte, weckte in ihm das Gefühl, dem Typen ins Gesicht schlagen zu wollen.
Zoe warf die Münze und klatschte sie sich auf den Handrücken. „Kopf. Da vorne rechts.“
Er bremste und bog in einen alten Schotterweg ein, der in die Wälder am Fuß der Hügel führte. Also quasi nirgendwohin führte.
„Jetzt musst du anhalten“, sagte sie.
Er brachte den Wagen zum Stehen. „Und jetzt?“
„Wir sind da. Mach aus.“
Ihre bestimmende Art ließ ihn die Augen verdrehen, aber er tat, was sie sagte.
Das Blätterdach über ihnen verbarg die Sonne, verdunkelte das Innere des Autos. Die Straße war einspurig und hatte bei genauerer Betrachtung mehr Lehm als Schotter. Auf beiden Seiten erhoben sich steile Böschungen. Draußen vor dem Fenster schnatterte ein Eichhörnchen, und auf einem Baum in der Nähe tschilpte eine Spottdrossel. Im Auto breitete sich Tannenduft aus.
Er lehnte sich in seinem Sitz zurück. „Und wo genau ist ‚da‘?“
„Wir haben fünfmal die Münze geworfen, also ist hier Endstation. Jetzt musst du dir etwas ausdenken, was man hier machen kann.“ Sie sah aus dem Fenster und erkundete zweifellos die Hügellandschaft, die sich windende Schotterstraße und die dichten Wälder.
Aber er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Von ihrer sahnigen Haut, ihrer Stupsnase und diesem Haar, so wild und windzerzaust. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Helium gefüllt, und sein Herz bearbeitete seine Rippen wie ein Preisboxer.
Während sie die Landschaft betrachtete, biss sie sich auf die Lippe. Ihre Unterlippe war voll, und die von Natur aus rosige Farbe brauchte keinen Lippenstift.
Doch, ihm fiel durchaus etwas ein, was man tun könnte.
Ihre Lippen zuckten nach oben, als sie sich zu ihm umdrehte. „Da hast du auf jeden Fall …“ Das Lächeln verschwand. In ihren Augen veränderte sich etwas.
Und wenn er es versucht hätte, er hätte den Blick nicht abwenden können. Wusste sie, dass sie das Herz in seiner Brust zum Stottern brachte? Dass er jeden Abend an sie dachte, wenn er im Bett lag? Dass er davon träumte, mit den Fingern durch ihre Haare zu fahren, ihre Lippen mit seinen eigenen zu liebkosen?
Ihm war nicht klar gewesen, wie nahe sie beieinandersaßen. Beinahe konnte er ihren Atem auf seinen Lippen spüren. Und auf einmal war beinahe nicht mehr genug. Von einer magnetischen Kraft angezogen, beugte er sich näher zu ihr und berührte ihre Lippen mit seinen. Weich. Unfassbar weich.
Unfassbar unsicher. War er ihr Erster? Bei dem Gedanken konnte er kaum atmen. Konnte kaum denken bei all den Emotionen, die ihn überkamen. Ein ärgerliches Schuldgefühl mischte sich darunter, doch er schob es von sich und streifte ihre Lippen noch einmal.
Diesmal reagierte sie energischer. Sie legte eine Hand an seine Wange, eine federleichte Berührung, die ihn bis ins Mark erschütterte.
Dass sie den Kuss erwiderte, machte ihn wie berauscht vor Verlangen nach ihr. Er konnte seine Finger nicht davon abhalten, ihr durchs Haar zu streichen. Es war so weich, wie er es erträumt hatte. Wie feine Seide. Ihr Duft umfing ihn wie eine herzliche Umarmung, die ihn noch näher zog.
Sein Blut pulsierte in seinen Adern. Der summende Pulsschlag wurde immer lauter, bis das Geräusch ihn aus seinem Traum aufweckte. Bis ihm aufging, dass da nicht sein Puls summte, sondern ihr Telefon.
Die Wirklichkeit meldete sich.
Die Wirklichkeit, zu der ihr Bruder gehörten und der Altersunterschied und ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe. Ein Bild ihres Vaters drängte sich ihm auf, der Cruz mit missbilligendem Blick von oben herab ansah. Zoe war zu Großem bestimmt. Er nicht.
Er ließ langsam von ihr ab und sah gebannt zu, wie ihre Augen sich blinzelnd öffneten. Wie ungeschützte, rohe Emotionen sich in diesen grünen Tiefen regten. Wie sich das sich regende Verlangen – nach ihm – erst in Verwunderung, dann in Verwirrung verwandelte.
Er hatte das Unmögliche geschafft: Er hatte sie sprachlos gemacht.
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Sie war immer noch Bradys kleine Schwester. Diejenige, die ihm anvertraut worden war. Oh, er kümmerte sich nur allzu gründlich um sie.
Idiot.
Er rückte von ihr ab und sorgte für dringend benötigten Raum zwischen ihnen. Drückte seinen Rücken in die Lehne und faltete die Hände, ehe er noch etwas Dummes anstellte. Sie noch einmal berührte, beispielsweise.
Er räusperte sich. „Entschuldigung.“
Sie sah ihm lange in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck wurde merklich kühler. „Entschuldigung?“
Das Telefon vibrierte immer noch, und er klammerte sich an die Ablenkung wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. „Du solltest da drangehen.“
Sie blinzelte ihn langsam an, zog dann ihr Telefon aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display.
Ehe sie antworten konnte, verstummte das Gerät. Ihre Hand fiel ihr mitsamt dem Telefon in den Schoß. „Was … was war das? Warum hast du mich geküsst?“
Er lachte ironisch. Oh, die Antworten auf diese Frage. Die würden sie so dermaßen vom Hocker hauen, dass sie nicht wissen würde, was sie getroffen hatte.
„Es war ein Fehler. Entschuldigung.“
In ihren Augen blitzte Verletzung auf, rasch gefolgt von einem feuchten Tränenglanz.
Ein Schraubstock legte sich um sein Herz.
„Hör auf, das zu sagen“, sagte sie.
Er sah weg, konnte es nicht aushalten, den Schmerz zu sehen, den er ihr zufügte. Musste zu Ende bringen, was er angefangen hatte.
¡Estúpido!
Er schluckte schwer und versuchte, einen beiläufigen Tonfall anzuschlagen. „Du bist ein süßes Mädchen, das ist alles. Ich hätte das nicht tun sollen.“
Es folgte ein langes Schweigen, so lange, dass er dachte, er würde sterben. Er fuhr mit den Handflächen über seine Oberschenkel und studierte die Aussicht hinter der Windschutzscheibe.
„Ein süßes Mädchen“, wiederholte sie.
Er rüstete sich gegen die Angespanntheit in ihrer Stimme und setzte zum letzten Hieb an. „Das ist das Ding mit uns Kerlen, Zoe. Wir sind im Grunde genommen nur ein Haufen Idioten. Das solltest du besser jetzt lernen, wo du noch jung bist.“
Ihre Wangen leuchteten rot, und ihre Schultern versteiften sich, während sie ihn mit einem Blick durchbohrte. „Endlich etwas, bei dem wir einer Meinung sind.“
Nach einem schweren Moment griff er nach dem Schlüssel und drehte ihn um. Der Motor dröhnte laut in der Stille im Auto. Mit wild rasendem Herzen setzte er auf die Straße und ins blendende Sonnenlicht zurück.