Kitabı oku: «Ich weiß nur, dass ich dich liebe», sayfa 4
Wegen der lauten Musik hörte er nur leise, wie seine Brüder aufstöhnten, und er steckte, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden, die Geldscheine in die Tasche, die auf dem Tresen lagen. „Ich habe ein Ohr für Dialekte. Wahrscheinlich, weil ich hier tagtäglich mit so vielen Menschen aus dem ganzen Land in Kontakt komme.“
„Kann ich bitte einen Eistee haben?“, fragte sie.
„Kommt sofort“, sagte Zac und füllte erst Eiswürfel und dann das Getränk in ein Glas.
In dem Moment tauchte ein gemeinsamer Freund seiner Brüder auf, und Zac war froh, als sich die drei verzogen und ihn mit Georgia allein ließen.
Er stellte ihr den Eistee hin, legte dann seine Ellbogen auf den Tresen und betete, dass er einen Moment lang Ruhe mit ihr hatte.
„Was führt dich denn nach Summer Harbor?“, erkundigte er sich.
„Ach, ich bin zurzeit unterwegs“, antwortete sie nur vage.
„Auf der Durchreise?“
Sie legte den Kopf auf die Seite und antwortete: „Das weiß ich noch nicht so genau, aber die Stadt fühlt sich gut an. Vielleicht bleibe ich eine Weile.“ Dabei rührte sie mit dem Strohhalm in ihrem Glas, sodass das Eis darin klimperte.
Das war das Beste, was ihm in dieser Woche zu Ohren gekommen war.
„Wie heißt du denn?“, erkundigte er sich weiter. „Oder soll ich dich einfach weiter Georgia nennen?“
Sie seufzte, sah ihn eine ganze Weile intensiv an und antwortete dann: „Ja bitte.“
Fragend zog er eine Augenbraue hoch, woraufhin sie ganz große Auge machte und tiefrot wurde.
„Das habe ich jetzt aber nicht wirklich laut gesagt, oder?“, sagte sie erschrocken und peinlich berührt.
„Doch, irgendwie schon“, antwortete er.
„Das mache ich manchmal. Ein Punkt auf der langen Liste von Dingen, mit denen ich mich selbst zum Affen mache.“
Er lachte leise. Alles an ihr war so … herrlich spontan, und ihrem Akzent hätte er die ganze Nacht zuhören können.
Jetzt reichte er ihr die Hand und stellte sich vor: „Zac Callahan.“
„Lucy Lovett“, entgegnete sie mit zerknirscht-bekümmertem Blick. Ihre Hand war klein und warm, und er merkte selbst, dass er sie nur sehr zögernd wieder losließ. „Lovett – so wie Audrey Lovett, die Schauspielerin?“
„Ja, genau so. Sie ist sogar meine Großtante.“
„Nein. Das kann doch nicht wahr sein. Meine Mutter hat ständig Filme mit ihr geschaut.“
Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite und betrachtete ihr herzförmiges Gesicht mit den großen blauen Augen etwas genauer.
„Du siehst ihr auch ähnlich“, sagte er schließlich.
„Danke. Ja, sie war zu ihrer Zeit ein richtiger Star.“
Sein Blick ging jetzt ein Stückchen weiter nach unten zu der Halskette, mit der sie die ganze Zeit herumspielte – ein zierliches Silberherz mit einem eingravierten Kreuz. Ob es wohl zu viel erhofft war, dass sie auch noch den gleichen Glauben hatte wie er?
„Deine Halskette gefällt mir“, sagte er als eine Art Versuchsballon.
Sie schaute nach unten und sagte: „Danke. Die habe ich von meiner Mutter zur Taufe bekommen.“
„Dann haben wir etwas gemeinsam“, erklärte er.
„Du hast auch von deiner Mutter eine Halskette zur Taufe bekommen?“, fragte sie mit einem herausfordernden Lächeln.
„Nein, ich meinte unseren Glauben“, sagte er und musste über ihren schrägen Humor lächeln.
„Na ja, ich stamme eben aus einer frommen Gegend, in der an jeder Ecke eine Kirche steht“, erklärte sie.
„Das finde ich gar nicht so schlecht.“
„Das ist es auch nicht.“
Dann sah sie ihm ins Gesicht und fragte: „Bist du eigentlich tatsächlich so groß, oder stehst du hinter dem Tresen auf einem Podest?“
„Ich bin tatsächlich so groß. Kann ich dir noch irgendetwas bringen? Eine Kleinigkeit zu essen vielleicht?“
„Ich habe schon eine Muschelsuppe gehabt, die richtig gut war. Arbeitest du schon lange hier?“
„Seit ich mit der Highschool fertig bin. Als sich der Eigentümer zur Ruhe gesetzt hat, habe ich den Laden übernommen.“
„Das ist ja toll.“ Sie schaute sich im Lokal um, ließ den Blick über die hohe, rustikale Balkendecke schweifen, dann an der Wand mit all den bunten Nummernschildern aus allen Bundesstaaten entlang und weiter zu den abgetretenen Holzdielen auf dem Boden. Sie wirkte ein bisschen zu schick und vornehm für das Lokal.
„Hier kennt doch sicher noch jeder jeden, und das hier ist ein allgemeiner Treffpunkt, oder?“
„Ja, das kann man so sagen“, antwortete er.
Erst lächelten nur ihre Augen, dann auch ihr Mund, und schließlich sagte sie: „Es ist echt nett hier. Hier ist ’ne Menge Energie, aber es ist auch herzlich und einladend.“
Einladend. Er wusste, dass Männer eigentlich nicht schwärmten, aber er hatte jetzt wirklich Mühe, nicht ins Schwärmen zu geraten. „Freut mich, dass es dir gefällt“, sagte er.
„Wenn du der Mittelpunkt der Geselligkeit in dieser Stadt bist, dann hast du ja bestimmt auch jede Menge Kontakte, oder? Weißt du vielleicht, wo ein Mädel wie ich hier in der Gegend einen Job finden könnte – falls es eine Weile bleiben wollte?“
„Was suchst du denn?“
„Ach, da bin ich flexibel“, antwortete sie achselzuckend. „Ich habe gern mit Menschen zu tun, also wäre alles mit Kundenkontakt gut. Ich habe einen Abschluss in Soziologie, aber damit kann man ehrlich gesagt nicht so viel anfangen.“
„Soziologie, sagst du? Auf welchem College warst du denn?“
Ihr Blick wurde unsicher, und sie sah ihn nicht an, als sie sagte: „Äh, Harvard.“
Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. „Dann bist du wahrscheinlich für alles hier überqualifiziert.“
Aber sie winkte ab. „Also, ich nehme, was ich bekommen kann. Und wie gesagt, wahrscheinlich bleibe ich auch gar nicht lange in der Gegend.“
„Ich weiß zufällig, dass jemand für das Touristenzentrum gesucht wird. Früher war es das Naturkundemuseum, aber die Stadt hat vor kurzem beschlossen, es mit der Touristeninformation zusammenzulegen. Das hier ist eine Kleinstadt, und die Meinungen darüber gehen stark auseinander, aber die Einzelheiten erspare ich dir. Meine Tante leitet das Zentrum, und sie sucht jemanden, der Touristen begrüßt, Karten verkauft, informiert, Tipps gibt – aber wie gesagt, dafür bist du wahrscheinlich überqualifiziert …“
„Ach, ich glaube, das könnte mir Spaß machen, und außerdem würde ich dadurch auch mehr über die Gegend hier erfahren. Irgendwann musst du mir mal etwas über die Kontroverse erzählen, die du erwähnt hast. So etwas finde ich immer spannend.“
Spannend. Ja, genau so fand er sie auch. Er nahm einen Stift aus seiner Brusttasche und war gerade dabei, Tante Trudys Handynummer auf eine Serviette zu schreiben, als das Telefon klingelte. Das konnte in diesem Moment auch jemand anders übernehmen.
Er schob ihr die Serviette zu und sagte: „Wenn du magst, kannst du sie ja mal anrufen. Sag ihr, dass du ihre Nummer von mir hast, und lass dich nicht davon abschrecken, dass sie etwas schroff wirkt.“
Strahlend steckte sie die Serviette ein und sagte: „Danke, das mache ich.“
„Telefon, Zac“, rief in dem Moment eine der Kellnerinnen.
Lucy rutschte von dem Barhocker herunter, hängte sich ihre Tasche über die Schulter und sagte: „So, jetzt lasse ich dich mal lieber wieder arbeiten. Vielleicht sieht man sich ja mal.“
„Kann schon sein“, entgegnete er lächelnd.
Ein Summen holte ihn jetzt aus der Vergangenheit zurück, und er lehnte sich auf seinem Schreibtischsessel zurück. Gegenüber auf dem Sofa regte sich Lucy im Schlaf, wurde dann aber wieder ruhig. Ihre Augen waren immer noch geschlossen.
Zac blinzelte kurz, um die Reste der schönen Erinnerungen zu verscheuchen. Es war wirklich ein krasser Übergang von dem ersten aufregenden Treffen zu den jüngsten Ereignissen. Sich in Lucy zu verlieben war einfach gewesen wie das Atmen. Das Entlieben war da schon sehr viel schwerer.
ACHT
Während Lucy im Büro auf und ab ging, schaute sie immer wieder zu Zac hinüber, der gerade mit dem County-Standesamt telefonierte. Um Punkt neun hatte er dort angerufen.
Sie zog die Hose aus dem Krankenhausfundus hoch, die zwar am Po gut saß, aber in der Taille viel zu weit war. Sie brauchte unbedingt einen Gürtel. Oder Hosenträger.
„Ja“, sagte Zac. „Okay … ich weiß nicht … vielen Dank.“
Es folgte eine lange Pause, und seiner Miene war nicht mehr zu entnehmen als dem, was er gesagt hatte. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn, und in der Stille war das kratzige Geräusch seines Dreitagebartes zu hören.
So gern sie auch etwas über ihr Leben in Portland erfahren wollte – sie sehnte sich nach anständig sitzenden Klamotten und einem gutgefüllten Bankkonto –, war ihr auch ziemlich beklommen zumute bei dem Gedanken daran, was Zac vielleicht herausfinden könnte.
„Ja, ich bin noch da“, sagte Zac jetzt ins Telefon.
Er sah sie nicht an, konnte es offenbar kaum erwarten, sie endlich wieder loszuwerden. Aber das war ja im Grunde auch nicht weiter verwunderlich nach dem, was sie sich geleistet hatte. Ihr Herz raste, als sie jetzt zu ihm hinschaute und seine Gesichtszüge betrachtete, die wie gemeißelt wirkten. Bei diesem Anblick war sie auch damals schon sofort dahingeschmolzen.
Er hatte maskuline Brauen über den tiefliegenden Augen, diesen ernst dreinblickenden grauen Augen, die vom einen zum nächsten Augenblick plötzlich aufleuchten konnten. Er hätte nämlich auch eine alberne Seite und konnte sie so zum Lachen bringen, dass sie Bauchweh bekam.
Seit sie wieder da war, hatte er ihr allerdings nicht einmal ein Lächeln geschenkt, sondern war schrecklich distanziert, so als wäre er fest entschlossen, sie auf gar keinen Fall näher an sich heranzulassen.
Sie begriff immer noch nicht richtig, was eigentlich los war. Wie konnte es sein, dass sie noch genau die alten Gefühle für Zac hatte, gleichzeitig aber in Portland ein Verlobter auf sie wartete? Wie hatte sie sich überhaupt in jemand anderen verlieben können?
Das war doch eigentlich gar nicht möglich, und sie weigerte sich auch, es zu glauben. Wer auch immer der Mann dort sein mochte, er konnte unmöglich so ihr Herz erobert haben wie Zac. Sie wollte keinen anderen. Sie wollte diesen anderen Mann nicht lieben und mit ihm leben.
Aber gleich würde Zac am Telefon den Namen dieses Mannes erfahren, und dann würde er mit ihr zu seinem Truck gehen, sie zurück nach Portland bringen und sie dort bei einem völlig Fremden absetzen.
„Ja“, sagte Zac.
Mit heftigem Herzklopfen blieb sie vor seinem Schreibtisch stehen. Das Pochen hinter ihren Schläfen war inzwischen so schlimm, dass ihr richtig schwindelig war. Am liebsten hätte sie auf den „Gespräch-beenden“-Knopf an dem Telefon gedrückt, denn sie wollte den Namen ihres Verlobten in Portland gar nicht wissen, und sie wollte auch nicht wieder weg aus Summer Harbor und von Zac.
„Verstehe“, hörte sie Zac sagen. „Wann?“ Sein Mund war angespannt, und er hatte Ober- und Unterkiefer fest aufeinandergepresst, während er mit dem Sachbearbeiter am anderen Ende der Leitung sprach. „Gut. Vielen Dank für Ihre Hilfe“, beendete er das Gespräch und legte den Hörer mit Nachdruck wieder auf die Station, den Blick fest auf die Schreibtischplatte gerichtet.
„Sie haben dort gerade einen Computerausfall“, sagte er schließlich, woraufhin Lucy einmal kurz und heftig ausatmete.
Gott sei Dank. Eine Gnadenfrist. Vielleicht nur eine kurze, aber sie würde nehmen, was sie bekommen konnte.
„Sie hoffen, dass der Fehler im Laufe des Tages behoben wird.“
„Sie hoffen es?“, fragte sie nach.
Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu und sagte: „Sie beheben ihn“, als ob er das mit purer Willenskraft erreichen könnte.
„Und was – was machen wir bis dahin?“, fragte sie.
„Ich muss mich um mein Lokal kümmern. Du solltest … vielleicht ein bisschen schlafen oder so.“
„Es ist gar nicht so leicht zu schlafen, solange meine gesamte Zukunft ungewiss ist“, entgegnete sie darauf und merkte selbst, wie sich in ihren Tonfall ein Hauch von Ärger mischte.
„Du hast doch gehört, was der Arzt gesagt hat, oder? Du solltest die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vielleicht kommt dein Gedächtnis ja zurück, wenn du …“
„Ich will es gar nicht zurück!“, platzte es da aus ihr heraus.
Er blinzelte sie an, und in dem sonst unergründlichen Blick seiner grauen Augen flackerte ganz kurz Überraschung auf.
„Ich will nicht! Ich will nicht zurück nach Portland. Ich will gar nicht wissen, welcher Name auf dem blöden Aufgebot steht, und ich will mein Gedächtnis …“
„Das haben wir doch schon alles …“, versuchte er, sie zu unterbrechen.
„… auch gar nicht zurück“, beendete sie ihren Ausbruch.
Sie starrten sich an, und dann legte sich Schweigen wie ein dicker Nebel über sie. Und es war, als ob sich derselbe dicke Nebel auch auf ihren Verstand legte, denn sie hatte Mühe, sich auf ihre Gedanken zu konzentrieren. Ständig entwischten sie ihr.
Ihre pochenden Kopfschmerzen taten ein Übriges, denn sie forderten ihre gesamte Aufmerksamkeit.
Zacs Stuhl knarrte, als er jetzt aufstand und um den Schreibtisch herum zu ihr kam.
Endlich. Plötzlich hatte sie nur noch diesen einen Gedanken, dass er sie gleich umarmen würde. Sie wollte sich bei ihm anlehnen und so tun, als wäre nichts passiert. Ihr Herz schlug noch schneller, als er jetzt näher kam und sie auf ihn zu ging … aber er ging einfach an ihr vorbei zur Tür.
Mit einem leisen Wimmern atmete sie aus, und ihr kamen die Tränen, sodass sie alles verschwommen sah, aber sie würde nicht weinen, nein, auf gar keinen Fall. Sie würde nicht weinen!
Also zählte sie die Bücher in seinen Regalen, um sich abzulenken. Es waren nicht viele, also ordnete sie sie in Gedanken auch noch alphabetisch. Wieso sollte sie sich aufregen, wenn er doch offenbar sein Leben einfach fortsetzte und ignorierte, dass sie in einer tiefen Krise steckte?
Da konnte sie doch genauso gut die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Plan machen. Sie hatte zwar eine Erinnerungslücke, aber sie war ja nicht völlig hilflos. Als Erstes würde sie jetzt in ein Geschäft gehen und sich Kleidung besorgen, die ihr passte, dann einen Lockenstab, Haarfestiger und einen Lippenstift kaufen – und danach würde sie sich bestimmt schon viel besser fühlen …
Aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja keinen einzigen Cent besaß, also war sie im Grunde doch ziemlich hilflos. Zumindest bis sie wieder in Portland war.
Zack kam jetzt zurück in sein Büro, blieb stehen und streckte ihr seine Hand hin, in der zwei Tabletten lagen. In der anderen Hand hielt er ein Glas Wasser.
Ihr kamen beinah wieder die Tränen, weil er so nett zu ihr war. Was stimmte nur nicht mit ihr? Wieso war sie so nah am Wasser gebaut?
Sie nahm die Tabletten, lehnte sich gegen den Schreibtisch, und Niedergeschlagenheit legte sich wie ein schwerer Mantel auf sie, sodass sie plötzlich den Wunsch verspürte, auf der Stelle in einen langen, tiefen Schlaf zu fallen. Sie hätte nicht gedacht, dass Vergessen so anstrengend war.
Zac steckte die Hände in die Hosentaschen, und Lucy spürte seinen Blick auf sich, aber sie erwiderte ihn nicht. Sie wollte nicht, dass er sah, wie verletzlich sie war, während gleichzeitig diese dicke hohe Mauer zwischen ihnen stand.
„Lucy“, sagte er, und sein Ton klang so furchtbar vernünftig. „Ich weiß, dass das hier schwer ist, aber die vergangenen sieben Monate sind nun mal Realität, ob es dir gefällt oder nicht. Du hast dein Leben fortgesetzt, genau wie ich, und die Tatsache, dass du dich an nichts mehr erinnerst, ändert nichts daran, dass es nun mal passiert ist. Je früher wir die Sache klären, desto schneller können wir beide weitermachen.“
„Und was ist, wenn mein Gedächtnis gar nicht wiederkommt?“
„Das würde doch auch nichts an dem ändern, was passiert ist. Du hast einen Job, in den du wieder zurückkannst, und Menschen, denen du etwas bedeutest.“
„Aber sie bedeuten mir nichts“, entgegnete sie mit einem leisen Schniefen.
Ein klitzekleiner Teil in ihr war mit dieser Behauptung allerdings nicht einverstanden, denn schließlich war sie ja immer noch dieselbe Person wie vor ihrem Sturz, und irgendwo tief in ihrem Inneren musste ihr an diesem anderen Mann, der wahrscheinlich gerade fast wahnsinnig war vor Sorge um sie, etwas liegen. Egal, ob sie sich an ihn erinnerte oder nicht, sie war es ihm schuldig, ihn zu informieren, was mit ihr los war.
„Ich habe noch mal über gestern nachgedacht“, sagte Zac jetzt. „Vielleicht war es ja gar nicht der Tag deiner Hochzeit, denn wieso hättest du dann allein in diesem Lokal sein sollen? Vielleicht warst du ja nur bei einer Anprobe für dein Brautkleid. Hast du dort irgendwo in der Nähe ein Brautmodengeschäft gesehen?“
„Keine Ahnung“, sagte sie und schob die Angst beiseite, die in ihr aufstieg. Brautmodenläden hatten doch eigene Toiletten. Vielleicht konnte sie nicht mehr richtig denken, seit sie sich den Kopf gestoßen hatte, aber es gab nur eine logische Erklärung dafür, weshalb sie in dem Lokal gewesen war.
„Vielleicht hattet ihr das Aufgebot ja noch gar nicht bestellt. Soweit ich weiß, gibt es gar keine vorgeschriebene Frist mehr zwischen Aufgebot und Hochzeit. Man kann auch sofort heiraten.“
Im Grunde war ihr klar, dass es nicht so war, aber trotzdem klammerte sie sich an diesen Gedanken wie an einen Strohhalm. „Ja, das stimmt“, sagte sie deshalb.
„Aber das werden wir ja heute Nachmittag erfahren.“
Zac gab die Bestellung an die Küche weiter und brachte frische Getränke an Tisch elf. Marci hatte ihre letzten beiden Schichten nicht antreten können, weil sie immer noch krank war.
Der Mittagstrubel war beinah vorbei, aber bald war Anpfiff beim Spiel der Red Sox, und das bedeutete, dass es wieder voller werden würde, denn zu den Nachmittagsspielen kamen oft die Rentner aus der Gegend vorbei. Sie verzehrten zwar meist nicht viel, aber Zac mochte es, wenn sie da waren.
Als das Lokal aufgeräumt und wieder hergerichtet war, kam die Abendschicht. Bei einem Blick auf die Uhr fiel Zac ein, dass er jetzt schnellstens beim Standesamt des Countrys anrufen musste. Er hatte so viel zu tun gehabt, dass er darüber beinah die Zeit vergessen hatte. Zumindest redete er sich das ein. Vielleicht war es aber auch so, dass er tief in seinem Inneren Lucy noch gar nicht wieder gehen lassen wollte.
Du bist ein echter Masochist, Callahan.
Er warf den Lappen hin, den er benutzt hatte, um über die Bar zu wischen, und ging langsam in sein Büro. Er würde das jetzt hinter sich bringen, und zwar sofort.
Er wählte also die Nummer, die er sich auf einem Zettel notiert hatte, und es dauerte ewig, bis er mit der richtigen Person verbunden war, und er erfuhr schließlich, dass die Computerpanne tatsächlich behoben war.
Halleluja.
Während er darauf wartete, dass die Sachbearbeiterin das Aufgebot aufrief, ging er nervös in seinem Büro hin und her. Die seichte Musik, mit der er während der Wartezeit bedudelt wurde, sollte wahrscheinlich beruhigen, bewirkte aber genau das Gegenteil. Seine Nerven lagen blank.
Dann hörte die Musik abrupt auf, und die Sachbearbeiterin fragte: „Sind Sie noch da, Mister Callahan?“
„Ja, ich höre.“
„Ich habe das Aufgebot gefunden. Soll ich Ihnen eine Kopie faxen?“
„Ja, das wäre großartig.“ Er gab ihr seine Faxnummer und fragte: „Was meinen Sie denn, wie lange das dauern wird?“
„Ich schicke es sofort ab, wenn ich aufgelegt habe.“
„Vielen Dank für Ihre Mühe“, sagte Zac, beendete das Gespräch und steckte sein Handy wieder in die Tasche. Dann ging er zum Faxgerät hinüber und wartete, die Hände in die Hüften gestemmt, auf das Fax. Sobald er den Namen von Lucys Verlobtem wusste, würde er dessen Telefonnummer googeln, aber vielleicht stand sie ja sogar auf dem Aufgebot. Ob es wirklich so einfach sein konnte?
Und vielleicht würde der Kerl ja sogar kommen und Lucy abholen. Bei diesem Gedanken hatte Zac allerdings ein mulmiges Gefühl im Bauch. Konnte er sie einfach mit jemandem wegfahren lassen, den er gar nicht kannte? Vielleicht sollte er …
Nein, schalt er sich selbst. Du hast doch gar nichts mehr mit ihr zu tun.
In dem Moment kam das Fax aus dem Gerät, und er überflog es.
Brad Martin, Portland, Maine. Alter: 29 Jahre. Weiß. Bingo.
Er ging den Gang hinunter und klopfte an Lucys Tür.
„Brad Martin“, sagte Zac im selben Moment, als sie von innen die Tür öffnete. Dabei sah er sie intensiv an, und die silbernen Sprenkel in seinen Augen sprühten Funken.
Lucy stand in der Tür und war sich sehr bewusst, dass sie völlig zerzaust und ungeschminkt dastand. Diese Tabletten machten so schläfrig. Vielleicht war das ja auch der Grund, weshalb sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.
„Was hast du gerade gesagt?“, fragte sie.
„Brad Martin. Sagt dir der Name irgendwas?“
„Äh… nein, nicht dass ich wüsste.“
„Bist du ganz sicher?“
„Ja. Ich habe den Namen noch nie gehört. Heißt er so? Mein Verlobter?“
Er hielt einen Zettel hoch und erklärte: „Sie haben euer Aufgebot gefaxt.“
„Zeig mal“, sagte sie, nahm ihm das Blatt aus der Hand und überflog es. Brad Martin. Sie runzelte die Stirn. Brad Martin. Der Name sagte ihr absolut gar nichts.
„Vielleicht ist sein vollständiger Name ja Bradley“, versuchte er es und klang dabei gleichzeitig drängend und hoffnungsvoll.
Sie schüttelte den Kopf und schaute noch einmal auf das Blatt, bevor sie es ihm zurückgab. „Nein, ich kann mich nicht an den Namen erinnern. Tut mir leid.“
Daraufhin wandte er sich wieder zum Gehen, und sie folgte ihm in sein Büro, wo er sich hinter den Schreibtisch an den Computer setzte.
Sie trat hinter ihn und sah, wie er den Namen in die Suchmaschine eingab und dabei die Suche auf die Gegend um Portland eingrenzte. Kurz darauf hatte er 27 Ergebnisse.
„Na toll“, sagte er seufzend.
„Schau doch mal. Da steht auch immer das Alter dabei.“ Wieso hilfst du ihm denn jetzt auch noch?
Er beugte sich vor und scrollte die Liste durch. „Es ist kein Brad Martin dabei, der 29 Jahre alt ist“, sagte er kurz darauf. „Aber der hier ist 28. Das müsste er dann doch sein, oder?“
„Schon möglich.“
Er nahm das Telefon in die Hand und begann die Nummer einzugeben.
Ihr Herz schlug heftig. „Warte mal. Wen rufst du denn jetzt an? Und was willst du sagen?“, fragte sie.
Er schaute kurz zu ihr hin und antwortete: „Ich? Ich werde gar nichts sagen. Schließlich ist er ja nicht mein Verlobter …“ Er wählte die Nummer zu Ende und gab ihr dann das Telefon.
Mit Panik in der Stimme fragte sie: „Was soll ich denn sagen?“
„Frag ihn, ob er weiß, wer dran ist. Wenn er es tatsächlich ist, erkennt er dich bestimmt an der Stimme.“
Ihre Panik war ihr offenbar anzusehen, denn sein Blick wurde ein bisschen freundlicher. „Er ist sicher erleichtert, von dir zu hören.“
„Hallo?“, meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
Sie merkte, dass sie plötzlich einen Kloß im Hals hatte, und brachte kein Wort heraus. Hilfesuchend schaute sie zu Zac. War er das? Der Mann, mit dem sie verlobt war? Der Mann, den sie eigentlich lieben sollte? Aber müsste sie dann nicht wenigstens seine Stimme wiedererkennen?
„Hallo?“, fragte die Stimme noch einmal, jetzt schon ein wenig ungeduldig. Oder vielleicht auch erwartungsvoll und erfreut.
„Hallo, Brad, bist du das?“
„Lucy? Lucy, bist du es?“
„J… ja.“
Am anderen Ende der Leitung war ein lauter Fluch zu hören und dann: „Hast du eine Ahnung …“ Doch er unterbrach seinen Ausbruch selbst durch einen tiefen Seufzer. „Wo bist du?“
Sie zögerte plötzlich, es ihm zu sagen. „Ich … ich bin oben im Norden. Ich hatte einen Unfall und habe eine Kopfverletzung. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“
„Das weiß ich schon, weil ich mich mit dem Krankenhaus in Verbindung gesetzt habe. Sie suchen dich, Lucy.“
„Wer?“
„Wer dich sucht? Na, die Polizei. Alle. Ich habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“
„Die Polizei?“, fragte sie entgeistert und sah Zac an, der daraufhin die Augenbrauen zusammenzog.
„Ich sage gleich der Polizei Bescheid, dass du wiederaufgetaucht bist. Wieso hast du mich denn nicht angerufen? Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, sagte er.
„Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich an nichts erinnern kann“, erklärte sie.
Daraufhin folgte ein so langes Schweigen in der Leitung, dass sie fast gefragt hätte, ob er noch am Apparat sei.
„Was soll das heißen – an nichts?“, fragte er schließlich.
„Ich … ich kann mich an die vergangenen siebeneinhalb Monate nicht mehr erinnern.“
Wieder Schweigen. Dann: „An gar nichts?“
„Nein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich nach Portland gezogen bin, nicht daran, dass ich dich kennengelernt habe, und auch an kein einziges Date. Wir mussten ziemlich lange am Computer recherchieren, um überhaupt deinen Namen herauszubekommen.“
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“
Irgendetwas an seinem Ton kam ihr merkwürdig vor, aber ihre Wahrnehmung war auch noch nicht wieder so wie vor dem Sturz, und außerdem war er wahrscheinlich immer noch in einer Art Schockzustand wegen ihres plötzlichen Verschwindens.
„Du erinnerst dich nicht mehr an unsere Hochzeit?“, fragte er völlig fassungslos.
„Nein. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich auf dem Fliesenboden der Damentoilette in einem kleinen Lokal wieder zu mir gekommen bin.“
„Wird … also kommt dein Gedächtnis denn zurück?“, fragte er.
„Das kann keiner sagen. Es ist möglich, aber nicht sicher. Ich hatte Angst und bin … ich bin nach Norden gefahren.“
„Ich komme und hole dich ab. Wo bist du denn?“
Sein Angebot erschreckte sie. Ihr war klar, dass das albern war, aber er hatte irgendetwas an sich, das ihr gar nicht gefiel – etwas Berechnendes.
Das bildest du dir sicher nur ein, Lucy. Er war dein Verlobter, um Himmels willen.
„Vielen Dank, aber das brauchst du nicht. Ich möchte lieber erst einmal eine Weile hierbleiben. Ich brauche noch Ruhe und muss mich erholen.“
Zac schüttelte entschieden den Kopf und formte mit den Lippen ein Nein, während Brad versuchte, sie dazu zu überreden, zurückzukommen. In ihrem Kopf begann es jetzt wieder zu pochen. Brad argumentierte weiter, aber sein scharfer Ton tat ihr in den Ohren weh, sodass sie beschloss, das Gespräch zu beenden.
„Ich muss jetzt aufhören, Brad“, sagte sie und unterbrach ihn in seinem Redefluss.
„Aber du kannst doch nicht einfach wegbleiben, Lucy. Du hast hier einen Job und Freunde … und mich. Lass mich doch …“
„Ich rufe dich wieder an“, sagte sie zum Abschluss und legte dann auf, bevor er weiterreden konnte. Ihr Herz raste, und sie hatte Mühe zu atmen.
„Du musst wieder zurück, Lucy“, sagte Zac. „Du hast dort eine Wohnung oder ein Haus, einen Job, und all dein Geld ist …“
„Ich weiß! Das werde ich auch!“ Aber sie würde nicht zurück zu Brad gehen. Sie war Leute so leid, die ihr sagten, was sie zu tun hatte. Sie wusste, dass sie wieder zurückmusste, denn hierzubleiben und sich bei Zac durchzuschnorren war auch keine Option. Doch bevor sie irgendeine weitere Entscheidung traf, musste sie erst noch einiges klären.
„Warum hast du ihm denn nicht gesagt, wo du bist?“, fragte Zac sie erstaunt.
„Das weiß ich selbst nicht so genau.“ Sie rieb sich die Schläfen und fuhr fort: „Ich wollte einfach nicht, dass er es weiß. Irgendwie mag ich ihn nicht.“
Zac grinste und machte sich mit seinem Blick über sie lustig. „Na ja, irgendwas an ihm muss dir ja gefallen haben.“
Daraufhin straffte Lucy die Schultern und sagte: „Das ist nicht lustig, Zac. Du bekommst doch, was du willst, und wirst mich los. Also … halt doch einfach mal die Klappe.“
Und mit diesen Worten stürmte sie aus dem Büro und ging wieder auf ihr Zimmer. Sie nahm noch einmal zwei Tabletten, ließ sich dann auf die Bettkante sinken und schloss die Augen.
Wahrscheinlich würde sie in zwanzig Minuten wieder in einen tiefen Schlaf fallen, aber das war ihr nur recht. Langsam war es ihr lieber, nichts mehr mitzubekommen.