Kitabı oku: «Roadmap durch die VUCA-Welt», sayfa 9
2 Der Mensch im Mittelpunkt
… bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.
Arthur Schopenhauer
Auch wenn Digitalisierung sich sehr technologielastig anhört und einen sehr technologischen Anschein hat, steht mehr als je zuvor der Mensch im Mittelpunkt. Die veränderten Umweltbedingungen und die steigende Komplexität sind eine Herausforderung für uns alle. Aber letztendlich sind die im ersten Teil beschriebenen Veränderungen nur möglich, wenn Menschen den neuen Herausforderungen mit Offenheit und Neugier begegnen. Einzelkämpfer stoßen schneller an Grenzen und die Fähigkeit, als Teamplayer zu agieren, bringt in vielen Bereichen Vorteile mit sich. Fachexperten werden hinterfragt, Führung muss neu gedacht werden… Wir sehen, dass dies den Menschen als Individuum, wie auch als Kollektiv, in den Mittelpunkt rückt.
Daher ist es hilfreich zu verstehen, was sich in uns selbst und unseren Mitmenschen abspielt. Was gibt uns Energie, was motiviert uns, wie treffen wir Entscheidungen, wie nehmen wir die Welt wahr? Von Seiten der Psychologie und der Hirnforschung gab es zu diesem Thema in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse.
Kleiner Grundkurs in Neurobiologie
Wir Menschen sind durch viele Jahre der Evolution geformt worden. Hilfreiche Eigenschaften haben sich durchgesetzt, nicht so vorteilhafte Eigenschaften sind aufgetaucht und wieder von der Bildfläche verschwunden. Die Erfahrungen, die unsere Vorfahren vor langer Zeit gemacht haben, als sie noch in Großfamilien in Höhlen lebten und täglich um ihr Überleben kämpften, prägen uns durch unsere Biologie bis heute.
Unser Verhalten hängt sehr stark mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammen. Daher ist es hilfreich, ein grundlegendes Verständnis davon zu haben, wie unser Gehirn funktioniert. Hierzu können wir Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie heranziehen. Mit der Verfügbarkeit von neuen bildgebenden Verfahren, wie zum Beispiel der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), wurde es möglich, Menschen beim Denken in den Kopf zu sehen. Diese Technologie erlaubt es, die Hirnbereiche zu identifizieren, die bei bestimmten Aufgaben und Tätigkeiten besonders aktiv sind. So entstanden im Laufe der Zeit einige sehr aufschlussreiche Landkarten des Gehirns. Durch die Zusammenarbeit von Psychologie, Psychiatrie und Neurologie konnten viele neue Kenntnisse gewonnen werden.
Das limbische System
Die neueren Forschungen zeigen, dass sich das innere Empfinden, also das, was wir als Persönlichkeit oder Psyche bezeichnen, gemeinsam mit dem Gehirn entwickelt. Hirnprozesse beeinflussen, wie wir denken, handeln und urteilen. Hierbei treffen viele unterschiedliche Eindrücke aufeinander. Das Gehirn nimmt sie auf, verarbeitet sie und setzt sie in Zustände psychischen Erlebens und Verhaltens um (Roth 2015). Hierbei spielt das limbische System eine Hauptrolle. Die Entwicklung dieses Teils unseres Gehirns hat maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir denken, fühlen und handeln.
Dieser Teil des Gehirns steht in engem Zusammenhang mit der Verarbeitung von Emotionen und dem Triebverhalten. Es ist ein sehr alter Teil unseres Gehirns. Früher ging man davon aus, dass Emotionen und Triebe ausschließlich mit dem limbischen System verknüpft sind. Allerdings haben neuere Forschungen gezeigt, dass andere Teile des Gehirns Einfluss auf das limbische System nehmen können (unter anderem der Cortex). Die bekanntesten Strukturen, die dem limbischen System zugerechnet werden, sind der Hippocampus (u. a. Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis), der Gyrus Cinguli (u. a. Entstehung und Verarbeitung von Emotionen) und die Amygdala (Mandelkern, u. a. emotionale Bewertung in Hinblick auf Gefahren).
Die Entwicklung des limbischen Systems wird durch zwei Faktoren gesteuert. Die Gene bestimmen, welche Anlagen vererbt werden. Dabei entscheidet allerdings kein einzelnes Gen die Ausprägung einer bestimmten psychischen Eigenschaft, sondern das Zusammenspiel von unterschiedlichen Genen. Der zweite Faktor besteht in der Epigenetik, also den Umständen, wie die vorhandenen Gene aktiviert werden. Hier spielen neben der Vererbung auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Erlebt zum Beispiel eine werdende Mutter in der Zeit der Schwangerschaft viel Stress, so kann dies große Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns des Kindes haben. Befinden sich in ihrem Gehirn große Mengen von Stresshormonen (zum Beispiel Cortisol), dann werden diese über das Blut auch in den Körper des Kindes gelangen. Dies kann negative Folgen für die Entwicklung des kindlichen Gehirns haben. Während eine gesunde Schwangerschaft zu einem widerstandsfähigen Umgang mit Stress führt, könnte der Einfluss durch den Zustand der Mutter dazu führen, dass das Kind später anfälliger für psychische Störungen wird oder stressige Situationen zu sehr hoher psychischer Belastung führen (Roth 2016).
Diese Einflüsse manifestieren sich auf der unteren limbischen Ebene. Diese ist unbewusst und bestimmt das Temperament eines Menschen maßgeblich. Hier spielen Hypothalamus und Hypophyse eine tragende Rolle. Glaubte man vor ein paar Jahren noch, dass das Temperament durch die Gene bestimmt werde, weiß man nun, dass auch vorgeburtliche Einflüsse eine große Rolle spielen. In dieser Ebene sind auch die grundlegenden Reaktionen auf Gefahren angelegt: Flucht, Kampf oder Erstarren. Auch das Sexualverhalten und andere Triebe finden sich hier. Da diese Ebene für unser Bewusstsein nicht zugänglich ist, sind Veränderungen sehr unwahrscheinlich und schwierig.
In den ersten zwei bis drei Jahren nach der Geburt spielen die Erfahrungen, die ein Kleinkind mit seiner zentralen Bezugsperson macht, eine sehr prägende Rolle. Die ersten Bindungserfahrungen legen die Grundsteine für die erlebte Gefühlswelt des noch jungen Menschen. Der mittleren limbischen Ebene wird die Amygdala zugeordnet, die für die emotionale Konditionierung eine große Rolle spielt. Dazu kommen das mesolimbische System, welches für das Belohnungslernen wichtig ist, sowie die Basalganglien, die die Ausprägung von Gewohnheiten verankern.
Die universell angeborenen Emotionen wie Angst, Trauer, Freude, Wut, Ekel und Verachtung werden hier mit individuellen Lebensumständen in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang damit bildet sich hier auch das Motivationssystem aus. Soziale Kompetenzen wie Erkennung von Emotionen, Gestik und Mimik sind hier ebenfalls angesiedelt. Auch diese Ebene ist nur sehr schwer veränderbar, da unser Bewusstsein keinen Zugang hat. Allerdings kann diese Ebene indirekt über starke und langanhaltende emotionale Einwirkungen verändert werden.
Erfahrungen, die in der Familie, in der Kita oder in Schulen gemacht werden, prägen die obere limbische Ebene. Der kindliche Wille, alles immer sofort haben zu wollen und sich selbst in den Mittelpunkt aller Bedürfnisse zu setzen, trifft hier auf die Grenzen, die durch Erziehung und Sozialisation aufgezeigt werden. Der oberen limbischen Ebene werden der orbifrontale, der cinguläre und der insuläre Cortex zugerechnet, also evolutionär gesehen sehr junge Teile des Gehirns.
Hier bilden sich Fähigkeiten zur Kooperation und zum Zusammenleben in einer Gemeinschaft aus. Empathie und erste Moralvorstellungen werden ebenso ausgebildet wie die Abschätzung von Konsequenzen für sich selbst und für andere. Auch die Impulshemmung und Risikowahrnehmung findet hier statt. Diese Ebene entwickelt sich bis zum Erwachsenenalter und darüber hinaus. Ihre Entwicklung ist Teil eines Reifeprozesses. Die Ausprägung wird durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Durch neue Erfahrungen sozialer und emotionaler Art ist diese Ebene auch später veränderbar.1
Die kognitiv-sprachliche Ebene entwickelt sich parallel zur oberen limbischen Ebene im frühen Kindesalter, sobald die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten vorhanden sind. Sie ist im präfrontalen Cortex angesiedelt. Hier liegt die Grundlage für die Fähigkeiten, die wir mit Intelligenz, Verstand, Einsicht und Planung verbinden. Hier entstehen ein praktikables Selbstbild und ein Verständnis davon, wie wir uns präsentieren müssen, damit wir akzeptiert werden.
Spannend ist die Erkenntnis, dass diese Ebene sehr intensiv von den limbischen Ebenen beeinflusst wird. Sie selbst hingegen hat nur sehr wenig Einfluss auf die limbischen Ebenen. Somit kann die kognitiv-sprachliche Ebene kaum Einfluss auf die Emotionen und das damit verbundene Verhalten nehmen. Rationales Erfassen und Bewerten führt somit keinesfalls automatisch zu Einsicht und vernünftigem Handeln.
Abb. 18:
Die limbischen Ebenen (eigene Darstellung nach Gerhard RothRoth, Gerhard, 2015)
Verhalten ist immer mit Emotionen verbunden, die in den limbischen Ebenen verankert sind. Es wurde nachgewiesen, dass der Auslöser für Handlung immer mit einer Emotion verbunden ist, selbst wenn die Menschen diese Emotion nicht bewusst wahrnahmen. Die kognitiv-sprachliche Ebene ist für Veränderung am zugänglichsten, da hier über sprachliche Interaktion eingewirkt werden kann. Um aber eine echte und nachhaltige Verhaltensänderung zu bewirken, reicht eine Veränderung auf dieser Ebene nicht aus.
Sie sehen also, dass unser Denken und Verhalten sehr stark von den Gefühlen und Emotionen beeinflusst wird, die in den limbischen Ebenen entstehen. Um eine nachhaltige Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen zu ermöglichen reicht es daher nicht aus, lediglich das Denken zu verändern. Man muss auch die darunter liegenden limbischen Ebenen erreichen, die man wiederum nur durch emotionale Erlebnisse über einen langen Zeitraum beeinflussen kann. Was dies für Folgen für Veränderungsarbeit hat, werden wir später in diesem Buch noch sehen.
Psychoneurale Systeme
Viele Herausforderungen, denen wir in der Welt gegenüberstehen, werden durch Grundsysteme unserer Psyche angegangen, die in den limbischen Ebenen verankert sind. Ihre Wirkungsweise und ihre Ausprägung sind dabei sehr eng verknüpft, mit der Funktionsweise der limbischen Ebenen. Die Gene, die Epigenetik und die Umwelterfahrungen haben großen Einfluss darauf, wie Erwachsene mit ihrer Umwelt interagieren.
Stress gehört wohl zu den am weitesten verbreiteten Phänomen in unserer heutigen Welt. Ständig sind wir unter Zeitdruck, zu viele einprasselnde Informationen beschäftigen uns und wir haben nur 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Stress ist verantwortlich für viele Fehlzeiten und gesundheitliche Probleme. Wie Menschen damit umgehen, hängt sehr stark davon ab, wie das Gehirn die Stresshormone Noradrenalin und Cortisol reguliert. Wie Sie schon gesehen haben, können hier schon vorgeburtliche Einflüsse Auswirkungen auf die Resilienz (Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressoren) haben.
Mit der Stressverarbeitung in engem Zusammenhang steht das System der Selbstberuhigung. Hier spielt die Regulation des Neurotransmitters Serotonin sowie die Ausschüttung von Belohnungsstoffen im Gehirn (endogene Opioide) eine tragende Rolle. Serotonin beruhigt und wirkt somit dem Stress entgegen. Die Opioide erzeugen zusätzlich Zustände, in denen Lust und Freude entstehen. Im Zusammenspiel mit der Stressverarbeitung bestimmt dieses System, wie ängstlich oder wie risikoscheu jemand ist. Ist das Stresssystem sehr stark aktiv und das Selbstberuhigungssystem vermindert, dann kann dies zu Angststörungen und Depressionen führen.
Ist die Bindung zwischen einem Kind und seiner zentralen Bezugsperson, zum Beispiel der Mutter, eine sichere, dann wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Dieses Hormon bewirkt die Ausschüttung von Opioiden und Serotonin. Eine sichere Bindung kann somit Schwächen im Stressverarbeitungs- und Beruhigungssystem ausgleichen. Die Bindungserfahrung, die ein Kind macht, prägt den Menschen für sein ganzes Leben. Es beeinflusst, wie ein Mensch Partnerschaften eingeht, Freundschaften pflegt, Sexualpartner auswählt oder in Gruppen interagiert.
Ob und wie sehr ein Mensch seine Impulse im Griff hat, entscheidet sich in der Ausprägung des Systems der Impulskontrolle. Dieses bildet sich erst zu Beginn des Erwachsenenalters aus. Dabei werden die Amygdala und der Nucleus accumbens, die für die impulsiven Triebe verantwortlich sind, durch Areale der Großhirnrinde gehemmt.
Dieses System stellt ein internes Bewertungssystem dar, welches die Reaktion auf Belohnung oder Strafe steuert. Es funktioniert durch die Ausschüttung von Dopamin und endogenen Opioiden und Cannabinoiden im Falle einer Belohnung. Alles, was eine Person macht und erlebt, wird registriert und danach bewertet. Dieses System steht auch in engem Zusammenhang mit den Motiven einer Person, die sich auch aus der Erwartung von Belohnung oder Strafe ableiten lassen.
In der oberen limbischen Ebene und der kognitiv-sprachlichen Ebene angesiedelt, ist dieses System eng mit Verstand und Vernunft verbunden.
Auch hier sehen wir, dass unsere Emotionen, unser Denken und unser Verhalten sehr stark beeinflusst wird durch biologische Faktoren. Je nachdem, welche Hormone und welche Botenstoffe gerade aktiv sind, reagieren Menschen unterschiedlich auf äußere Reize. Wir besitzen starke Systeme, die unsere emotionale Grundkonfiguration bestimmen. Je belastbarer diese Systeme sind, desto einfacher können wir uns auf sich verändernde Bedingungen einstellen. Dafür benötigen wir ausreichend Energie, damit die Systeme richtig funktionieren können.
Veränderung und Energiehaushalt
Unser Denken, Fühlen und Handeln sind ein Leben lang veränderbar. Manche Dinge sind schneller zu verändern (obere Ebenen), manche Dinge nur mit sehr viel Geduld und Beharrlichkeit und (sehr viel) Zeit. Aber das Gehirn selbst bleibt ein Leben lang veränderbar, der NeuroplastizitätNeuroplastizität – der Fähigkeit, immer wieder neue neuronale Verbindungen herzustellen – sei Dank.
VeränderungVeränderung erfordert den Willen, etwas zu verändern. Leider reicht dies allein nicht aus. Ein Auto, dessen Tank leer ist, fährt auch nicht von Hamburg nach München, nur weil wir als Fahrer das unbedingt wollen. Gleiches Prinzip gilt auch für unser Gehirn und unseren gesamten Körper. Wir benötigen Energie, damit wir uns verändern können. Die Anforderungen, die unsere Umwelt an uns stellt und der Lebensstil, den sich viele Menschen angewöhnt haben, führen aber leider dazu, dass eben diese Energie oftmals nicht in dem Rahmen zur Verfügung steht, wie sie benötigt würde. Die vielen psychischen Erkrankungen, die auf Stress und Überforderung zurückzuführen sind, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Daher lohnt sich an dieser Stelle auch ein kleiner Blick darauf, wie unser Körper Energie gewinnt und was der Körper benötigt, damit unser Gehirn zu Höchstleistungen und „Neuverdrahtung“ fähig ist.
Unser Körper besteht aus einer Vielzahl von Zellen. Diese versorgen den Körper mit Energie. Dies geschieht in den sogenannten Mitochondrien, die wie kleine Kraftwerke innerhalb der Zelle Energie produzieren. Als Träger der Energie dient das Nukleotid Adenosintriphosphat (ATP). Dieses wird für viele unterschiedliche Prozesse in den Zellen benötigt. Im Laufe des Tages wird eine große Menge von ATP erzeugt und auch gleich wieder verbraucht. Ein durchschnittlicher Erwachsener setzt pro Tag ungefähr die Hälfte seines Körpergewichts in ATP um. Zur Gewinnung dieser Energie stehen dem Körper dabei drei Möglichkeiten zur Verfügung:
Energie wird aus Zucker ohne Sauerstoff gewonnen (anaerob).
Energie wird aus Zucker und Sauerstoff gewonnen (aerob).
Energie wird aus Fett und Sauerstoff gewonnen.
Die anaerobe Energiegewinnung ist dabei die schnellste Möglichkeit des Körpers, an Energie zu gelangen. Wenn Sie Sport machen, kennen Sie das sicherlich. Wenn Sie an die Leistungsgrenze Ihres Körpers gehen und Ihre Herzfrequenz nahe an ihren Maximalwert gelangt, dann zieht der Körper die Energie direkt aus Kohlehydraten. Die Gewinnung von Energie auf diese Weise ist bis zu 100-mal schneller als die anderen Optionen.
Die aerobe Energiegewinnung hingegen bezieht neben den Kohlehydraten auch Sauerstoff mit ein. Sie ist effektiver, da mehr Energie gewonnen werden kann, allerdings nicht ganz so schnell wie bei der anaeroben Variante. Bei erhöhtem Puls und Anstrengung in einem mittleren Pulsbereich schaltet unser Körper auf die anaerobe Gewinnung um.
Die dritte Art der Energiegewinnung ist die effektivste. Im Körper eingelagertes Fett speichert eine ganze Menge Energie, die von den Zellen in Verbindung mit Sauerstoff genutzt werden kann. Allerdings wird dieser Modus erst dann aktiviert, wenn der Zucker (Kohlehydrate) verbraucht ist.
Ein sehr schönes Bild, um sich die unterschiedlichen Varianten vorzustellen, stellt das eines Ofens dar (Spörer/Fühler 2017). Die anaerobe Energiegewinnung ist wie das Verbrennen von Papier im Ofen. Papier lässt sich sehr leicht entzünden und brennt schnell. Allerdings ist ein Blatt Papier auch sehr schnell verbrannt und es muss ein neues nachgelegt werden, um das Feuer am Lodern zu halten. Effektiver ist da schon die Verwendung von Holz. Dieses würde der anaeroben Energiegewinnung entsprechen. Holz ist etwas schwieriger zu entzünden, liefert aber länger Energie. Die effektivste Art der Energiegewinnung wäre die Nutzung von Kohle. Dies entspricht der Variante der Fettverbrennung in den Zellen. Der Aufwand, Kohle anzufeuern, ist deutlich höher und es dauert länger, bis diese endlich glüht. Dann aber liefert sie die meiste Energie. Ebenso verhält es sich mit Fett. In der Zeit, in der ein Stück Kohle Energie liefert, müsste man eine große Menge an Zeitungspapier in den Ofen werfen, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Wenn man aber schnell ein Feuer braucht, dann greift man lieber auf Papier zurück, weil es am schnellsten das gewünschte Ergebnis liefert.
Unser Gehirn benötigt, gemessen an seiner Größe, eine sehr große Menge der so erzeugten Energie. Es ist ein richtiger Energiefresser. Besonders der Präfrontale Cortex (PFC) benötigt viel Energie, um zu funktionieren. Wann immer wir vor schwierigen Herausforderungen oder Entscheidungen stehen, ist dieser Teil unseres Gehirns besonders gefordert. Auch wenn es darum geht, etwas Neues zu lernen und Veränderung zu ermöglichen, benötigt unser Gehirn sehr viel Energie. Denn dann muss es neue Verbindungen herstellen, was mit einem hohen Energiebedarf einhergeht.
Unser Körper hat neben dem Gehirn noch zwei weitere große Systeme, die den Großteil der zur Verfügung stehenden Energie beanspruchen: die Muskulatur und das Immunsystem. Wenn der Körper nicht über genügend Energie verfügt, dann wird diese dort zugeteilt, wo sie – evolutionär gesehen – am meisten zum Überleben beiträgt. Da die obere Hirnrinde – evolutionär gesehen – erst sehr spät entstanden ist und das Bewusstsein generell auch nicht überlebensnotwendig ist, ist es wenig überraschend, dass im Gehirn, genauer im Cortex, dann zuerst Abstriche gemacht werden.
Eine sehr interessante Studie zu Entscheidungen von israelischen Richtern verdeutlicht die Auswirkungen dieser Energieverteilung unseres Körpers an einem praktischen Beispiel (Danziger u. a. 2011). Analysiert wurden über 1000 richterliche Entscheidungen zu unterschiedlichen Tageszeiten: früh am Morgen, nach einer kurzen Frühstückspause und nach einer einstündigen Mittagspause. Entschieden wurde beispielsweise über Bewährungsstrafen. Man würde erwarten, dass sich die Entscheidungen an einer klaren Faktenlage und generellen Richtlinien orientierten. Aus der psychologischen Forschung kennt man eine Reihe von Verzerrungen, die sich in ein objektives Urteil einschleichen können, daher wären hier vereinzelte Abweichungen leicht dadurch zu erklären. Das wirklich überraschende Ergebnis der Studie war aber, dass der Zeitpunkt der Entscheidung einen signifikanten Einfluss auf das Urteil hatte. Früh am Morgen oder kurz nach einer Pause entschieden die Richter rund 65 Prozent der Bewährungsanträge positiv. Dies nahm im weiteren Verlauf des Tages kontinuierlich ab und sank schließlich auf fast null Prozent. Nach den Pausen wiederholte sich dieses Muster, die Richter entschieden nun wieder überwiegend positiv über die Anträge.
Schon frühere Studien zeigten, dass Menschen mental ermüden, wenn sie eine große Zahl wichtiger Entscheidungen nacheinander treffen müssen. Dann greifen sie schnell auf Strategien zurück, die die Aufgabe vereinfachen. Eine naheliegende Vereinfachung besteht darin, nichts zu verändern, sondern die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Im Falle einer Bewährungsanhörung würde dies zur Ablehnung führen. Die Interpretation der Studie ist nicht eindeutig. Ziemlich sicher aber spielt die Erschöpfung und die zur Verfügung stehende Energie zum jeweiligen Zeitpunkt eine wichtige Rolle.
Entscheidungen und Denkleistungen hängen also in hohem Maße von der verfügbaren Energie ab. Besonders bewusst wird das in Situationen, in denen eins der drei großen Energiesysteme besonders aktiv werden muss, wie zum Beispiel im Fall einer Infektion. Bei einer Erkältung benötigt unser Immunsystem einen großen Anteil der Energie und die anderen Systeme werden in eine Art Minimalbetrieb geschaltet.
Wenn Sie mit Fieber im Bett liegen, das Immunsystem also hochaktiv ist, dann empfinden Sie wenig Lust, sich zu bewegen, Sie sind entkräftet und schlapp. Ebenso haben Sie sicherlich keine Lust, sich mit Ihrer Steuererklärung zu befassen, die Ihre mentalen Ressourcen stark beanspruchen würde. Sie liegen einfach da, schlafen hoffentlich viel und lassen dem Immunsystem den Raum, seine Arbeit zu tun. Wenn Sie dann Ihr Fieber auskuriert haben, schaltet Ihr Körper wieder auf Normalbetrieb und Ihnen steht wieder genug Energie zur Verfügung, die Kopfarbeit zu erledigen.
Durch die Anforderungen, die unsere Umwelt an uns stellt, und die daraus resultierenden Lebensumstände, haben viele Menschen heutzutage ein dauerhaftes Energiedefizit. Der Akku ist schon zu Beginn des Tages nur halb aufgeladen. Der Körper kann daher nicht auf die volle Energie zurückgreifen, die er erwartet und benötigt. Den betroffenen Menschen fehlt in der Folge die natürliche Vitalität, also das Gefühl, mit ausreichend Energie in den Tag zu starten.
Eine große Rolle für diese Vitalität spielt der Cortisolspiegel. Über Nacht produziert der Körper Cortisol und am Morgen nach dem Aufwachen ist der Stand am höchsten. Er ist dafür verantwortlich, dass wir uns energiegeladen fühlen und aktiv werden wollen. Im Verlauf des Tages nimmt das Cortisol kontinuierlich ab. Dies ist auch notwendig, damit in den Abendstunden genug Melatonin gebildet werden kann, sozusagen der natürliche Antagonist von Cortisol. Melatonin ist dafür zuständig, dass wir müde sind, gut schlafen und der Körper regenerieren kann.
Wenn wir unter Stress stehen, dann benötigt unser Körper mehr Energie als gewöhnlich. Da Cortisol die Energiebereitstellung im Körper sichert, wird der Cortisolspiegel im Fall von Stress erhöht. Die Zellen stellen mehr Energie her und wir können mit den bedrohlichen Situationen besser fertigwerden. Problematisch wird dieser Zustand erst dann, wenn die Auslöser für den Stress dauerhaft sind, der Cortisolspiegel also über einen langen Zeitraum erhöht bleibt.
Erklären können wir dies durch einen Rückblick in die Geschichte der menschlichen Evolution. Unsere Vorfahren waren auf der Jagd immer in einem sehr aufmerksamen Zustand, da sie sich in Gefahr befanden. Wenn der Säbelzahntiger aus dem Unterholz sprang, dann benötigten sie schnelle Energie, um kämpfen oder fliehen zu können. Dieser Zugriff auf mehr Energie war also ein Selektionsvorteil. Menschen, die keine zusätzlichen Energiereserven zur Verfügung hatten, konnten nicht entsprechend reagieren und wurden in der Folge eher vom Säbelzahntiger gefressen. Somit hat sich die Genvariante durchgesetzt, die den Schub Extraenergie unter Stress zur Verfügung hatte. Nach der Jagd war der Stressor verschwunden und der Cortisolspiegel unserer Vorfahren normalisierte sich schnell wieder. In unserer heutigen Welt müssen wir nicht mehr auf Säbelzahntiger achten. Dafür tragen wir Smartphones mit uns herum und sind überall und immer erreichbar. Wir eilen von Termin zu Termin und müssen uns an enge Zeitpläne halten. Ständig müssen wir unsere Leistungsfähigkeit beweisen. Wir sind Nachfahren der Menschen, die in solchen Situationen durch die Stressreaktion eine Portion Extra-energie zur Verfügung haben. Wir sind nun sozusagen ständig auf der Jagd und es gibt eine Reihe von modernen Säbelzahntigern, die unseren Cortisolspiegel potenziell nach oben treiben.
Wenn diese Umstände bei uns Stress auslösen, dann hilft uns der erhöhte Cortisolspiegel für einen bestimmten Zeitraum mit den Ansprüchen fertig zu werden. Aber das System ist nicht dafür ausgelegt, dauerhaft so zu arbeiten. Wir benötigen Erholungspausen, in denen der Stresspegel absinken kann und wir regenerieren können, wie unsere Vorfahren nach der Jagd am sicheren Lagerfeuer. Wenn wir keine Entlastung bekommen, dann tritt irgendwann eine Überlastung ein und der Cortisolspiegel sinkt ab. Durch die Überbeanspruchung sinkt er aber nicht nur auf den Normalwert zurück, sondern er sinkt weiter und weiter. Wir merken das beispielsweise daran, dass unsere Energie nicht mehr für einen kompletten Tag ausreicht und wir gegen Mittag schon in ein Loch fallen. Wenn die Stressoren dann immer noch vorhanden sind, dann stehen wir morgens auf und fühlen uns schon energielos. Im schlimmsten Fall sinkt der Cortisolspiegel so weit ab, dass er über den Tagesverlauf einfach nur eine flache Linie darstellt. In diesem Zustand fehlt uns jegliche Energie und Vitalität. Wir sind dann nicht mehr in der Lage, uns zu irgendetwas aufzuraffen. Wir sind ausgebrannt und benötigen Hilfe, um unseren Alltag wieder in den Griff zu bekommen und zeigen depressive Verhaltensweisen. Spätestens dann spricht man von einem Burnout.
Schon bevor es zu diesem Zustand des Burnouts kommt, hat der Körper nicht mehr genug Energie zur Verfügung, um alle Funktionen voll zu versorgen. Er fährt daher die Funktionen herunter, die ihm weniger wichtig erscheinen. Viele Menschen versuchen unter Stress aber nach wie vor Höchstleistungen zu vollbringen. Wissensarbeiter benötigen viel Energie in ihrem Hirn. Als Ausgleich gehen sie abends dann noch ins Fitnessstudio, was weitere Energie aus den Muskeln zieht. Wenn diese beiden Systeme stark nach Energie verlangen, dann ist eine logische Folge, dass das dritte große System, das Immunsystem, irgendwo Energie sparen muss.
Erste Abstriche macht das Immunsystem dann meistens bei der Haut. Fehlende Energie ist ein Grund für auftretende Hautprobleme. Wenn weiterhin die Energie knapp ist, dann fehlt dem Immunsystem der Kraftstoff, um einmal so richtig aufzuräumen. Eine große Aufräumaktion wäre zum Beispiel Fieber. Der Glaube, das Immunsystem arbeite gerade dann besonders gut, wenn man nie Fieber bekommt, ist daher falsch. Statt einer großangelegten Aufräumaktion ist das Immunsystem bei Energiemangel dauerhaft aktiv. Allerdings immer nur gerade so ein klein wenig. Es versucht mal hier etwas geradezurücken und mal dort. Dies zeigt sich dann darin, dass sich die betroffenen Personen etwas kraftloser fühlen. Bei Fieber würde der Drang sich zu bewegen komplett eingestellt, da Gliederschmerzen und Kraftlosigkeit eintreten würden. Im trägen Zustand des Immunsystems fühlen sich die Menschen nur etwas kraftloser und haben keine Lust sich zu bewegen. Also verzichten sie auf Sport und andere körperliche Aktivitäten. Auch das Gehirn wird etwas heruntergefahren und etwas depressiver eingestellt. Wenn dieser Zustand dann auch über einen langen Zeitraum so bleibt, dann spricht man von einer chronischen leichtgradigen Entzündung. Diese erkennt man beispielsweise daran, dass Krankheiten verschleppt werden oder man am ersten Tag seines Urlaubs krank wird.2 Auch ein Gefühl der dauerhaften, leichten Krankheit kann ein Anzeichen sein. Wenn der Energiemangel nicht behoben wird, kann dies dazu führen, dass sich chronische Erkrankungen einstellen wie Depressionen, Allergien, Demenz, Burnout und andere Autoimmunerkrankungen.
Was können Sie tun, wenn Sie merken, dass Sie selbst oder jemand in Ihrem Umfeld an Energiemangel leidet? An dieser Stelle möchte ich ein paar kleine Hinweise geben, die sich leicht anwenden lassen und schnell erste Erfolge zeigen könnenSpörer, Sebastian.3 Allerdings möchte ich auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich kein Arzt bin und keine Verantwortung für die Ratschläge übernehme. Sollten Sie ein ernsthaftes Energiedefizit empfinden, sich depressiv fühlen oder unter chronischen Problemen leiden, sollten Sie sich ärztlichen Rat einholen. Die hier genannten Ratschläge beschreiben, welche Verhaltensweisen für die Erhaltung eines ausreichenden Energielevels sorgen.
Wie wir gesehen haben, führt Stress zu einem erhöhten Cortisolspiegel. Am gesündesten wäre es also, möglichst wenig Stress aufkommen zu lassen. Es gibt eine Reihe guter Literatur zu Stress und auch sehr viele gute Trainings. Daher möchte ich an dieser Stelle auch nicht tiefer auf dieses Thema eingehen, da dies den Rahmen mehr als nur sprengen würde. Aber eine Neubewertung der Situation, Aufbau von Fähigkeiten und Entspannungstechniken können dazu führen, dass vorhandene Stressoren eine andere Wirkung auf den Körper ausüben als bisher.
Zudem kann es hilfreich sein, einige Dinge im persönlichen Umfeld am Biorhythmus auszurichten. Cortisol, beziehungsweise die Cortisolaufwachreaktion, die nach dem Aufwachen am frühen Morgen die Konzentration von Cortisol in Blut und Speichel ansteigen lässt, benötigt Licht. Daher ist es wichtig, genug Tageslicht zu bekommen. Öffnen Sie morgens die Jalousien und lassen Sie die Sonne rein. Sie sollten mindestens eine Stunde Tageslicht pro Tag bekommen. Gehen Sie dafür nach draußen, am besten für einen Spaziergang. Im Winter können Tageslichtlampen helfen.