Kitabı oku: «Auf dem Weg durch die Zeit», sayfa 6

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Nach der Show wurden wir beim Hinausgehen von einem Herrn im schwarzen Anzug zur Seite gebeten. Ich dachte schon, jetzt gäbe es Ärger. Aber im Gegenteil – er fragte uns überaus höflich, ob wir nicht am nächsten Abend wiederkommen wollten – als Gäste des Hauses. Das mussten wir leider ablehnen – auf uns wartete ja der Bundeskanzler!

Aber die Nacht war noch nicht zu Ende! Vom Crazy Horse, das unweit der Seine auf der Avenue Georges V liegt, war es ein Spaziergang von vielleicht einer halben Stunde bis zu unserem Hotel in der Rue Washington. Und die frische Luft machte natürlich durstig… Unterwegs kehrten wir in einer Bar ein, tranken weiter und kamen erst am sehr frühen Morgen am Hotel an. Gegenüber hatte noch ein Lokal geöffnet, und obwohl Robby da schon mächtig neben der Kappe war, kehrten wir ein weiteres Mal ein. Wir mussten dann nur noch die Straße überqueren, um unser Hotel zu erreichen. Doch bei Robby war an Gehen nicht mehr zu denken. Und während wir ihn links und rechts unterhakten und hinüberschleppten, fing er plötzlich an zu röhren, wie ein Hirsch – ich hatte solche Geräusche aus einer menschlichen Kehle noch niemals gehört. In den dunklen Häusern gingen die ersten Lichter an, und Menschen schauten aus den Fenstern besorgt nach unten auf die Straße. Doch Robby schaffte es so gerade noch zwischen zwei geparkte Autos, bevor er sich übergab – und zwar ungemein lautstark! Zum Glück waren seine Geräusche keiner Sprache zuzuordnen – ich glaube nicht, dass wir sonst einen positiven Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft geleistet hätten! Danach fühlte sich Robby ziemlich erleichtert und schaffte es aus eigenen Kräften bis ins Hotel. Auf der Treppe mussten wir ihn allerdings wieder stützen – was uns aber nicht davon abhielt, uns im Zimmer noch über die drei geschenkten Flaschen Wein der Hotelbesitzerin herzumachen! Es war ein Weißwein – das weiß ich noch, und dass wir so gut wie nicht geschlafen haben, auch. Denn kurz nach 6 stand schon ein Auto der Deutschen Botschaft vor der Tür, das uns zurück zum Flughafen bringen sollte. Im Hotel hatten wir es gerade noch geschafft, einen Kaffee auf die Schnelle zu trinken. Auf dem Weg zum Flughafen wurde eine Runde Kaugummi nach der anderen geschmissen – wir hatten größte Bedenken, dass unsere alkoholgeschwängerten Ausdünstungen auffallen könnten. Zu seiner Ehrenrettung sollte ich allerdings erwähnen, dass der Copilot der einzige von uns dreien war, der nicht mitgesoffen hatte – und der Bordfunker (Robby) kam ohnehin nicht oder kaum mit den Passagieren in Kontakt. Bei mir sah das allerdings schon anders aus! Aber unsere Befürchtungen sollten sich als völlig unnötig erweisen. Denn als der schwarze Mercedes den Kanzler an die Gangway brachte, stellte sich heraus, dass Brandt noch in einer ähnlichen Verfassung war wie Robby in der Nacht zuvor! Zwei Leibwächter schleiften ihn mehr oder weniger die Treppe hinauf ins Flugzeug, setzten ihn auf seinen Platz und schnallten ihn fest. Und dort blieb er – in komatösem Tiefschlaf versunken – sitzen, bis wir ihn nach der Landung in Köln – Bonn wieder wecken mussten.

Manchmal flogen wir den Verteidigungsminister, damals Helmut Schmidt, nach Brüssel zu irgendwelchen NATO Sitzungen. Die waren bei uns immer berüchtigt, weil sie oft bis tief in die Nacht andauerten, während der die Flugzeugbesatzungen den Flughafen von Brüssel nicht verlassen durften, um jederzeit abflugbereit zu sein. Wenn Schmidt dann mitten in der Nacht an Bord kam, war er meist aschfahl, abgespannt und sichtlich erschöpft. Dennoch hatte er immer ein freundliches Wort für den Steward übrig – mich verwickelte er einmal in ein Gespräch, er wollte wissen, was ich vorhatte nach der Bundeswehr und was ich bis jetzt so gemacht hatte. Ausgerechnet auf diesem Flug hatten wir einen Triebwerksausfall und landeten dann mit nur einem Motor in Hamburg. Der Minister nahm es mit Fassung.

Im September 1970 rief mich ein Kamerad von der Flugvorbereitung an. Ob ich schon gehört habe, wer demnächst mit der Flugbereitschaft fliegen werde? Ich hatte keine Ahnung. Es war Udo Jürgens. Die Flugbereitschaft sollte ihn von Fürstenfeldbruck bei München nach Ostfriesland zum Fliegerhorst Jever bringen, weil er dort als Passagier in einer F 104 G – dem schon damals berüchtigten Starfighter – mitfliegen sollte. Der Starfighter war ein äußerst problematisches Flugzeug für die Luftwaffe, die insgesamt 269 Muster der F 104 G durch Abstürze verlor – eine unglaubliche Anzahl! Und tragischerweise waren 116 Piloten bei diesen Unfällen ums Leben gekommen. Udos damaliger Manager Hans R. Beierlein hatte diese Mitfluggelegenheit mit Hilfe des Vier-Sterne-Generals Johannes Steinhoff, dem damaligen Inspekteur der Luftwaffe, eingefädelt, und es war sehr wahrscheinlich für beide Teile – die Bundeswehr und auch für Udo – ein bemerkenswerter PR Gag, der natürlich auch das Starfighter Image aufpolieren sollte. Udo war damals enorm erfolgreich, war Idol einer ganzen Generation. Und wenn er sich für die Bundeswehr interessierte, dann würde dies sehr wohl auch eine positive Wirkung in der Gesellschaft hinterlassen. Und umgekehrt stand es einem Star ja auch ganz gut zu Gesicht, wenn er einen Flug in einem dieser so legendären wie gefürchteten Silbervögel absolvierte, die mehr einer Rakete als einem Flugzeug glichen.

Man wusste in meiner Einheit, dass ich ein glühender Udo Fan war, und so war es nicht schwer, meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass ich diesen Flug bekommen sollte! An einem sonnigen Spätsommertag flogen wir mit einer Convair 440 früh morgens nach Fürstenfeldbruck bei München. Dort stiegen nicht nur Udo Jürgens mit einem Begleiter, sondern auch mehrere Generäle ein. Udos rotes Halstuch wehte im Wind, unter dem Arm trug er eine Bildzeitung, die er aufschlug, nachdem er es sich im hinteren Teil der Maschine bequem gemacht hatte. Die Generäle stiegen ein paar Minuten später ein. Der ranghöchste Offizier, ein Viersterne-General und Udo begrüßten sich kurz, wobei der Soldat auf die Bildzeitung blickte, und ziemlich herablassend bemerkte „aha – Sie lesen Bild – naja – ich lese lieber meine FAZ!“ Udo stammelte dann noch etwas von einem Brand in seinem Haus, worüber die Bild in dieser Ausgabe groß berichtete, aber der General ließ ihn stehen und setzte sich auf seinen Platz weiter vorne. Zwischen den beiden gab es im weiteren Verlauf des Fluges keine weitere Kommunikation.

In der Tat war Udos Kitzbüheler Haus ein oder zwei Tage vorher vollständig ausgebrannt, und die BILD brachte Fotos und einen großen Bericht. Ich erinnere mich noch an ein Foto, auf dem man sah, wie der Flügel aus dem Haus herausgetragen wurde und so den Flammen entkommen war. Wie bei jedem Flug machte ich meine Ansage, wobei ich die Passagiere mit „sehr geehrter Herr Jürgens, verehrte Fluggäste“ begrüßte.

Zwei Wochen später wurde ich zum Staffelkapitän gerufen. Der teilte mir mit einem Augenzwinkern mit, dass der Viersterne-General sich wegen dieser Ansage bei ihm beschwert habe – dieser Udo Jürgens sei persönlich begrüßt worden, er als General hingegen nicht!

Niemals hätte ich gedacht, dass dies einen General derart beschäftigen würde – und mein Staffelkapitän teilte diese Meinung unverhohlen! Mein fauxpas blieb also ohne Folgen.

Nachdem ich ihm eine Fanta gebracht hatte, gab es während des Fluges Gelegenheit, mit Udo zu reden. Aber ich glaube, ich war viel zu aufgeregt, ihn all das zu fragen, was ich ihn eigentlich hatte fragen wollen. Aber bei unserem nächsten Zusammentreffen, das sechs Jahre später stattfinden sollte, erinnerte er sich tatsächlich noch an unser erstes Gespräch auf dem Flug nach Jever!

Eigentlich war ich ja nur so etwas wie „Hilfssteward“ – dadurch allerdings setze man mich auf allen möglichen Reisen und Flugzeugtypen ein, auf denen es von Vorteil war, wenn jemand dabei war, der gut Englisch und einigermaßen gut Französisch sprach. Auf den Langstreckenflügen, damals mit der guten alten Boeing 707, lernte ich den Kollegen Rolf Stolte kennen, Steward auf der 707 und Zeitsoldat mit längerer Verpflichtungszeit. Rolf war wie ich Hobbymusiker, wobei er sich aufs Singen verlegt hatte, während ich mich mehr für das Liederschreiben interessierte. Er schlug mir vor, ihm doch ein Lied zu schreiben, denn im kommenden Winter sollte es in Bonn ein Fest des Bundeministeriums der Verteidigung zugunsten der „Aktion Sorgenkind“ geben, auf dem große Künstler auftreten würden und er vielleicht die Chance bekommen könnte, als Bundeswehrangehöriger einen Auftritt abzustauben. Naja – ich war natürlich nicht abgeneigt. Und schrieb ihm daraufhin das Lied „Warum“ – und wenn ich heute daran zurückdenke, war dies vielleicht – sehr wahrscheinlich sogar - mein allererstes Lied, das ich komplett mit Text und Musik schrieb! Den Text habe ich mittlerweile vergessen, die Melodie aber habe ich noch im Kopf. Es war jedenfalls kein reiner Schlager, aber es als Chanson zu bezeichnen, wäre auch sicher übertrieben. Rolf war eigentlich ein reiner Schlagersänger und daher für diesen Song nicht unbedingt prädestiniert. Aber wir bekamen es eigentlich ganz ordentlich hin, und er bewarb sich um eine Teilnahme an dem besagten Abend. Als wir Wochen später vor einer Jury spielen mussten, um die Zulassung für das Bundeswehrfest zu bekommen, waren alle hellauf begeistert. Es ging ja auch darum zu zeigen, dass die Bundeswehr nicht nur eine Kampfmaschine ist, sondern ein sehr lebhafter Teil der Gesellschaft, aus der selbst Musiker hervorgehen können.

Der Abend wurde in der Lokalpresse groß angekündigt, und auch das Fernsehen sollte einige Minuten lang übertragen. Ich war natürlich schrecklich aufgeregt, denn ich sollte Rolf am Klavier begleiten. Zum ersten Mal bekam ich live mit, welch ein Apparat hinter einer solchen schlichten Veranstaltung steckt – Beleuchter, Techniker, Monteure, Regisseure und Redakteure – alle liefen dort durcheinander. Man musste über riesige Kabelstränge klettern – es wurde akribisch gearbeitet und in Szene gesetzt, und – das muss man dem Bund lassen – sehr professionell vorbereitet. Ich weiß nicht mehr, wo der Abend stattfand, ich glaube, es war in Bonn, aber die Halle war restlos ausverkauft. Irgendwann wurden wir angekündigt, ich setzte mich ans Klavier und spielte die ersten Töne. Rolfs Einsatz klappte gut – das war meine größte Sorge gewesen, dass er die Stelle verpasste, an der er anfangen musste zu singen! Doch bis auf einen kleinen Texthänger ganz zum Schluss lief es gut, und wir wurden mit einem Riesenapplaus belohnt. Wenig später war dann der Star des Abends dran – es war ein hochgewachsener schlaksiger junger Mann - Chris Roberts, und er wurde begleitet von Werner Twardy, dem Komponisten zahlloser Schlager für Roy Black & Co und eben auch Chris Roberts. Ich war fasziniert, wie Twardy in die Tasten hämmerte - so hatte ich das noch nie gesehen! Chris sang seine drei Titel routiniert runter – „ich bin verliebt in die Liebe“, „Mein Name ist Hase“ und „Du kannst nicht immer siebzehn sein“, großer Applaus, und dann war er auch schon wieder verschwunden. Ich sah ihn erst am nächsten Morgen wieder, als wir ihn nach München flogen. Er war der einzige Passagier, und so konnte ich mich ein wenig mit ihm unterhalten – zumindest hatte ich das erhofft. Doch er blieb eher verschlossen, unnahbar und unverbindlich. Ich sah ihn dann erst viele Jahre später in einer Fernsehsendung, in der er auftreten wollte, aber nicht gelassen wurde. Und ich stellte fest, dass er sich über all die Jahre nicht verändert zu haben schien – er war immer noch ein Schlagersänger, mit derselben Frisur, die aber nun irgendwie unpassend und künstlich wirkte – ebenso unverbindlich wie Jahrzehnte zuvor.

Die Lokalpresse feierte den Bundeswehrabend in Bonn groß – es gab halbe und ganze Seiten. Mein Song wurde sehr positiv bewertet, und man räumte ihm gar „Chancen für die Charts“ ein – aber darauf gab ich rein gar nichts, denn nirgendwo liest man mehr Unsinn über Musik und Musikschaffende als in der Zeitung! Aber immerhin musste ich ein paar Tage später zu einem höheren Offizier kommen, der mir vorschlug, mich mit Günter Noris zusammenzubringen. Der war vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt mit der Bildung einer Bundeswehr Bigband betraut worden, und diese Band feierte sich gerade quer durch die Republik von Erfolg zu Erfolg. Zu diesem Termin nahm ich Rolf Stolte mit, und wir wollten den Song „Warum“ dort vorstellen. Die Bundeswehr Bigband probte in einer alten Halle in einem Hinterhof bei Euskirchen. Günter Noris war überaus zuvorkommend, und da es keine Noten von meinem Song gab (das Notenschreiben hatte ich ja seit Langem verlernt), bat er mich, das Lied kurz vorzuspielen. Das machte ich ein oder zweimal, und schon hatte die Band – die waren alle hervorragende Profis - den Song komplett drauf. Dann wurde Rolf gebeten, das Lied mit Bigband zu singen. Und das ging dann in die Hose! Rolf intonierte nicht sauber, lag mehrmals deutlich neben den Tönen, und so sagte mir Günter Noris dann – „sorry, der Song ist nicht schlecht, aber die Intonation ist nicht sauber – können wir so nicht übernehmen“. Damit wurden wir wieder entlassen.

Es war mir aber auch nie in den Sinn gekommen, selber zu singen – dazu fühlte ich mich einfach nicht berufen, und ich glaube, ich hätte keinen Ton herausbekommen, auch wenn man mich gebeten hätte! Ich hatte panische Bühnenangst, und selbst einen Sänger am Klavier zu begleiten, war für mich schon grenzwertig. Ich führe das heute darauf zurück, dass ich als kleines Kind zu Hause immer für unseren Besuch etwas vorspielen musste, und das hatte mich offenbar nachhaltig traumatisiert! Also kann ich allen Eltern heute nur raten – lasst eure Kinder in Ruhe und zwingt sie vor allem beim Erlernen eines Instrumentes nie dazu, etwas gegen ihren expliziten Willen zu tun! Vor allem in der Musikerziehung erscheint mir das wichtig, denn Zwang und Kreativität sind nun einmal keine harmonischen Partner!

Musikalisch gesehen zog ich mich zurück. Ich fuhr oft in meine ehemalige Schule, das Dreikönigsgymnasium am Kölner Thürmchenswall unweit vom Dom. Ich kannte den Hausmeister Herrn Scheidgen gut, und der gab mir – wann immer ich wollte – abends den Schlüssel für die große Aula der Schule. Dort stand auf einer meterhohen Holzbühne ein Steinway Konzertflügel, auf dem ich so manchen Abend zahllose Stunden spielte. Über der Bühne gab es in vier oder fünf Metern Höhe einige große Punktstrahler, die über große Drehregler eingestellt wurden. Ich ließ einen dieser Strahler dann ganz sanft auf den Flügel strahlen, um nicht völlig im Dunkeln zu sitzen. Und dann spielte ich los. Die große Holzbühne verstärkte die ohnehin starke Resonanz dieses fabelhaften Instruments, und das Gefühl, hier in der Schule, an der ich so viele Jahre verbracht hatte, in einer solch besonderen Atmosphäre zu spielen, war für mich einfach ergreifend. Ich fühlte jeden Ton, glasklar lebten die Töne des Steinway, die Luft schien zu vibrieren und brachte mein Empfinden zum Glühen. Manchmal spielte ich so zwei oder drei Stunden am Stück – alles, was mir gerade einfiel. Ich improvisierte einfach drauf los, und vielleicht legte ich in diesen für mich magischen Stunden und Minuten auch den ein oder anderen Grundstein für die Lieder, die ich später schreiben würde, aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Neue Wege

Langsam neigte sich meine Zeit beim Bund dem Ende zu. Der „Ernst des Lebens“ hatte sich als die beste Zeit meines Lebens erwiesen – unbeschwert, frei von großer Verantwortung, frei auch sonst und dabei dauernd in der halben, wenn nicht der ganzen Welt unterwegs! Die vielen Reisen hatten mich ziemlich in Beschlag genommen, und ich hatte mir über meinen weiteren Werdegang immer noch nicht allzu große Gedanken gemacht. Ich hatte ja immer noch das Angebot von Lothar Heubel, jederzeit seiner Firma beizutreten. Meine Eltern drängten mich aber, es doch auch anderswo zu versuchen. Für sie war der Import von Antiquitäten – auch noch aus solch unbekannten Ländern wie Indien, China, Afghanistan oder Indonesien – nicht handfest und damit nicht seriös genug. Vielleicht lag ihr Misstrauen einer solchen Laufbahn gegenüber aber auch in der Person von Heubel, der in der Branche keinen allzu guten Ruf genoss, worüber noch zu berichten sein wird. Aus heutiger Sicht wundert es mich, dass ich mich so gar nicht zu einem Studium hingezogen fühlte – interessante Studiengänge hätte es schon gegeben. Vielleicht war ich auch ganz einfach zu faul. Oder aber der Einfluss, den Heubel auf mich hatte, zeigte Wirkung. Aber ich wollte Geld verdienen – unabhängig sein und das so schnell wie möglich. „Schreib‘ doch mal an Ford – die bieten eine sehr solide Ausbildung, und dort könntest du auch Karriere machen“ mit diesen Worten lag mir meine Mutter immer wieder in den Ohren. Und so schrieb ich eines Tages – mehr, um ihr einen Gefallen zu tun, an die Kölner Ford - Werke, wobei ich absichtlich lediglich anfragte, welche Ausbildungsgänge sie anböten, wenn ich mich denn jemals bewerben sollte. Als Antwort erhielt ich schon wenige Tage später eine Einladung in die Hauptverwaltung nach Köln – Deutz. Ich rechnete mit einer Führung oder irgendeiner Informationsveranstaltung. Aber es stellte sich heraus, dass ich an einer regelrechten Aufnahmeprüfung teilnehmen sollte! Mehrere Fächer wurden geprüft – Mathematik, Englisch, und ich musste sogar einen Aufsatz schreiben. Dann gab es ein Essen in der Kantine, und ich konnte wieder gehen. Und ein paar Wochen später – ich hatte diese unfreiwillige Prüfung fast schon vergessen, erhielt ich von der Personalabteilung einen Brief – man beglückwünschte mich zu meiner Aufnahme in die Ford Familie, in der ich mich während der kommenden zwei Jahre auf eine vielversprechende Karriere vorbereiten konnte. Nur hatte ich dabei ein mulmiges Gefühl im Bauch – war doch eine Karriere als Industriekaufmann absolut nicht das, was ich mir von meinem Leben erhofft hatte! Mama hingegen platzte vor Stolz – ihr Sohn war im Begriff, doch noch etwas Solides in seinem Leben anzugehen!

Doch dann flog mir mein Rettungsanker entgegen – Heubel rief mich ein paar Wochen später zu sich. Er habe mir ja schon oft genug gesagt, dass er mich gerne einstellen wolle. Doch mittlerweile habe er konkrete Aufgaben für mich: Er wolle eine Auktionsabteilung gründen, die ich aufbauen und leiten sollte. Das war nun endlich ein ganz konkretes Beschäftigungsfeld und ein sehr interessantes noch dazu! Ich war überglücklich, schrieb an Ford und sagte ab und bekam Ende September 1971 von Lothar Heubel meinen ersten Arbeitsvertrag.

Mein erster Arbeitstag war Freitag, der 1. Oktober 1971. Ich musste nicht groß eingeführt werden – ich kannte die Firma und auch alle Kolleginnen und Kollegen ja aus meinen Ferienjobs bereits bestens. Heubel nahm mich gleich beiseite und sagte mir, dass ich am nächsten Tag, einem Samstag, mitkommen sollte zu einer Anhörung beim Rheinischen Kunsthändlerverband in der Messe Köln. Heubel hatte dort einen Aufnahmeantrag gestellt, der aber negativ beschieden worden war, und gegen diese Ablehnung hatte er sich zur Wehr gesetzt – Heubel wollte diesem Verband unbedingt angehören, weil es sich damals um den einzigen anerkannten und seriösen Verband deutscher Kunsthändler handelte. Und ausschließlich dessen Mitglieder hatten Ausstellungsrecht auf den großen Kunstmessen in Deutschland und Europa, auf denen die finanzstärksten Käufergruppen der Welt einkauften. Um Mitglied zu werden, bedurfte es eigentlich zweier Bürgen und einer Einladung, dem Verband beizutreten, sowie eines ausgewiesenen Fachbereiches, der im Verband noch nicht vertreten war. Es handelte sich also um einen äußerst elitären Verein, der sich sehr erfolgreich nach außen abschottete. Heubel hatte kaum eine der Bedingungen erfüllt, doch man führte andere Gründe an, die dazu geführt hatten, dass er nicht zugelassen werden sollte. Wir waren pünktlich in der Messehalle angekommen. Der Termin fand in einem Besprechungsraum in einer der oberen Etagen statt, wo der Kunsthändlerverband seine Jahresversammlung abhielt. Nach einer geraumen Wartezeit wurden wir vorgelassen. Heubel stellte mich als seinen „Sachbearbeiter für Kunsthändlerfragen“ vor – wobei ich erst auf der Fahrt zur Messe von ihm erfahren hatte, worum es eigentlich gehen sollte. Ich fühlte mich ziemlich fehl am Platz, und meine größte Furcht war, irgendwelche Fragen gestellt zu bekommen und dann bar jeder Ahnung zu sein. Doch diese Furcht sollte unbegründet sein, denn Heubel schaffte es, sich ganz alleine um alle Chancen zu bringen! Er hielt erst einen Vortrag, in dem er Martin Luther King zitierte … „ich hatte einen Traum….“ Die anwesenden Kunsthändler sahen sich verwundert an. Und als sein Vortrag immer ausschweifender zu werden drohte, schnitt ihm der Vorsitzende das Wort ab und meinte „so, das reicht jetzt, Herr Heubel, wir haben genug gehört. Was sagen sie denn zu dem Fall Attendorn?“ Jetzt hatte es meinem Chef offenbar die Sprache verschlagen, denn er stammelte irgendetwas von Missverständnissen, die ohne weiteres ausgeräumt werden könnten. Doch dann ging alles ziemlich schnell. Es wurde mit Handzeichen abgestimmt, und der Antrag auf Aufnahme in den Verband wurde einstimmig abgelehnt. Wie begossene Pudel schlichen wir uns hinaus. Ich wagte Heubel nicht zu fragen, was es mit dem „Fall Attendorn“ auf sich gehabt habe, erfuhr aber später von dritter Seite, dass ein Mann namens Attendorn eine sehr teure Statue von Heubel gekauft hatte, die später von einem französischen Spezialisten als Fälschung identifiziert worden war. Attendorn hatte daraufhin den Kunsthändlerverband hierüber informiert, da Heubel ihm gesagt habe, er sei Mitglied in diesem Verband – offenbar, um mehr Seriosität auszustrahlen. Wie Heubel nach diesem Vorkommnis noch den Nerv besaß, sich um eine offizielle Aufnahme in eben diesen Verband zu bemühen, blieb mir immer schleierhaft.

In den folgenden Wochen ging es dann an die Vorbereitung einer ersten Auktion. Es sollte um antike Waffen gehen – ein Spezialgebiet, das sich Anfang der 1970er Jahre bei Sammlern immer größerer Beliebtheit erfreute. Mit der fachlichen Unterstützung von Heubels Vater, einem „Fachanwalt für Steuerrecht“, formulierte ich die gesetzlichen Versteigerungsbedingungen – ein unheimlich aufwendiger, mir völlig fremder und nicht zuletzt sehr trockener Verwaltungsakt. Es ging letztlich darum, in Worte zu fassen, was das Gesetz verlangte und dabei nicht genau das Gleiche hineinzuschreiben wie andere Versteigerungshäuser, also musste ich eigene Formulierungen verwenden. Ich hasste diese Termine im Haus des Anwalts, zudem war dieser ein sehr schneidender und uncharmanter Herr. Fremden stellte er sich stets als „ich bin der Doktor Heubel“ vor, und er bestand auch immer darauf, mit seinem Titel angesprochen zu werden. Wir saßen uns dann in seiner dunklen, mit mächtigen Gründerzeitmöbeln ausgestatteten und nach abgestandener Luft und kaltem Zigarrenrauch riechenden Kanzlei stundenlang gegenüber – er musste immer das letzte Wort haben – und rangen um Formulierungen. Das heißt, sobald ich etwas halbwegs flüssig hingeschrieben hatte, wollte er alles wieder ändern. Aber irgendwann war das Werk vollendet – und man könnte es übrigens noch heute anwenden, denn es war sozusagen wasserdicht.

Während der folgenden Wochen trafen dann immer mehr alte Waffen ein: Nürnberger Radschlossflinten aus dem 16. Jahrhundert, Steinschloss- und Perkussionswaffen, Rapiere, Degen, Schwerter und Säbel, mittelalterliche Rüstungen sowie ein sehr bedeutendes Paar Dresdner Radschlosspistolen. Nun mussten all diese Objekte katalogisiert werden, und dafür war nun ich verantwortlich. Ich kannte mich damals recht gut mit diesen Dingen aus, aber bei Blankwaffen etwa (alles, was eine Klinge hat), zog ich externe Experten hinzu. Mit meinen Beratern saß ich oft nächtelang über diesen Waffen, wir stöberten in der Fachliteratur, und ich formulierte nach und nach die Beschreibungen auf einem mobilen Diktiergerät. Dieses Medium wurde mit Folien bestückt, die eine Sekretärin am nächsten Tag abhörte und dann das Diktierte zu Papier brachte. Ich kann sagen, dass ich mir in diesen Sitzungen ein enormes Fachwissen aneignete. Noch Jahre später wurde ich von Sammlern aus dem In- und Ausland immer wieder um Rat gebeten. In den folgenden Jahren führten wir so eine Vielzahl an Auktionen durch, die meisten ziemlich erfolgreich. Doch zurück zur ersten Auktion: Fast alle Waffen kamen aus den USA. Dort gab es (und gibt es noch immer!) einen sehr aktiven Sammlermarkt, und an bestimmten Wochenenden fanden sogenannte Gun Shows statt, auf denen Heubel ständiger Gast war.

Zu dieser Zeit war das Waffengesetz in Deutschland noch sehr locker, und unter den Begriff „Sammlerwaffen“ fielen auch Waffen, für die heute zumindest eine Waffenbesitzkarte erforderlich wäre, wenn nicht gar ein Waffenschein. Und den zu bekommen, ist ja hierzulande – zum Glück! – beinahe ausgeschlossen.

Wenn Heubel von einer Einkaufsreise in die USA zurückkam, folgte ihm wenige Tage später immer eine Luftfrachtsendung von mehreren langen und sehr schweren Waffenkoffern. In ihnen steckten Winchester Gewehre, Revolver, Pistolen, Blankwaffen – alles, was das Sammlerherz begehrte, und all dies landete normalerweise in den Vitrinen der Firma, um dann an Sammler verkauft zu werden. Doch diesmal wurden die Waffen im Büro ausgelegt – der Boden war komplett bedeckt, so dass man sich im Büro kaum noch bewegen konnte. Stück für Stück bekam dann in meinen nächtlichen Sitzungen (ich arbeitete an den Katalogbeschreibungen fast ausschließlich nachts, weil ich nur dann Ruhe hatte und nicht abgelenkt wurde) seine Nummer, wurde beschrieben und ging dann wieder zurück in einen der Koffer. Zur Auktion fanden sich auch einige Amerikaner ein – die Besitzer der teuersten und wertvollsten Stücke, die Heubel mit der Aussicht auf einen hohen Erlös bei seiner Auktion geködert hatte. Denn eines war klar – er verfügte zwar immer über einige Mengen an Bargeld – diese Waffen jedoch, vor allem die Radschlosswaffen aus dem 16. Jahrhundert – hätten sein Budget auf jeden Fall überfordert. Es kamen also ein amerikanischer Gebrauchtwagenhändler aus Florida, Marke Mafiosi: weißer Anzug, schwarz-weiße Lackschuhe und Gucci Sonnenbrille, Goldketten am Handgelenk und um den Hals. Aber Eric war ein sehr zuvorkommender und freundlicher Mensch, und er war innerhalb weniger Tage zu sagenhaftem Reichtum gekommen, als nämlich der Goldpreis stark angestiegen war und er ohne eigenes Zutun vom wohlhabenden Mann zum Millionär geworden war. Oder Fred – ebenfalls ein sehr netter Mensch von etwa 60 Jahren, aber entsetzlich schusselig. Fred war früher beim Geheimdienst tätig gewesen – vielleicht aber auch nur im diplomatischen Dienst – vielleicht war es ja auch das Gleiche! Die Asche seiner Zigarette – man sah ihn eigentlich nie ohne Zigarette – verteilte er überall. Und wenn er ein Glas mit einem Drink in der Hand hatte, hielt ihn das keineswegs davon ab, beim Sprechen auch die Hand mit dem Glas zu bewegen, so dass er regelmäßig eine Spur der Verwüstung hinter sich herzog! Von Fred habe ich übrigens meinen Spitznamen – er nannte mich immer „Jonesey“ – und so werde ich noch heute von meiner Frau genannt.

Diese beiden Amis kamen also kurz vor dem Auktionstermin in Köln an. Ich hatte die Ehre, sie am Flughafen abzuholen. Für solche Anlässe durfte ich auch Heubels Rolls Royce fahren – einen älteren Silver Shadow, von dem noch zu erzählen sein wird. Das Auto trug allerdings eher zur halbseidenen Reputation Heubels bei, denn wenn ein Kunde bei uns einkaufte und mitbekam, wem der Schlitten im Hof gehörte, konnte er sich in der Regel sicher sein, zu viel bezahlt zu haben!

Meinem Katalog lag eine Liste mit den Schätzpreisen bei. Diese waren von Heubel persönlich festgesetzt worden, und die Preise waren ziemlich willkürlich angesetzt – und in fast allen Fällen deutlich zu hoch. Doch bei Auktionen gelten ohnehin andere „Gesetze“ – die angegebenen Preise bedeuteten lediglich Richtwerte, und wenn man etwas für deutlich weniger ersteigerte, was in diesem Fall vielleicht immer noch zu teuer gewesen wäre, sollte dem Kunden zumindest das Gefühl vermittelt werden, ein Schnäppchen gemacht zu haben, obwohl der normale Marktwert in aller Regel noch wesentlich unter dem Zuschlagpreis bei der Auktion lag. Die Presse berichtete groß im Vorfeld, und auch während der Auktion waren Fernsehkameras dabei – es war ein echtes Highlight in der Antiquitätenszene, und wir waren mittendrin!

Bis zu dieser Auktion hatte ich ja noch nie eine Versteigerung live und dann auch noch hinter den Kulissen miterlebt. Diese hier hatte ich zwar vorbereitet und in zahllosen Stunden organisiert, ich hatte die Presse eingeladen, die Räume im Intercontinental Hotel an der St. Apern Straße angemietet – praktisch alle Vorbereitungen waren komplett und ausschließlich über mich gelaufen. Und doch musste ich einsehen, dass ich nur ein kleines Rad in Heubels Getriebe war – zumindest aus seiner Sicht. Aber das machte mir nichts aus – ich liebte den Job, und es blieb für alle, die Heubel im Laufe der Jahre um sich scharte, immer ein gefühltes Privileg, für ihn bis zur Selbstaufgabe arbeiten zu dürfen.

Drei Tage vor der Versteigerung wurde die komplette Auktionsware im Intercontinental Hotel in der Kölner Innenstadt ausgestellt, so dass sich potentielle Käufer ein Bild von den zu versteigernden Artikeln machen konnten. Dabei wurden dann auch – wie international üblich – schriftliche Gebote abgegeben – von Interessenten, die nicht selbst zur Auktion kommen konnten - etwa, weil sie verhindert waren. Ein solches schriftliches Gebot nennt immer einen Kaufpreis, zu dem der Käufer bereit ist zu kaufen. Dieser angegebene Kaufpreis darf aber vom Versteigerer nur soweit ausgereizt werden, wie im Saal mitgeboten wird, also jeweils eine Stufe über dem jeweils vorliegenden Gebot. Wenn also jemand etwa 1.000 DM oder heute Euro schriftlich bietet, kann es durchaus sein, dass er den Zuschlag schon für 500 erhält, weil eben niemand im Saal bereit war, mehr als 450 zu bieten. Dies ist die Regel, nach der jedes seriöse Auktionshaus handelt. Der Käufer vertraut dem Versteigerer also sein persönliches Limit an – in der Erwartung, dass dieser es auch nur dann ausschöpft, wenn wirklich ein anderer Bieter erst kurz vor Erreichen dieses Limits aussteigt. Jedoch ist der Versteigerer, also der Auktionator, zu einem gewissen Prozentsatz an jedem Verkauf beteiligt – er verdient also immer mit. Daher lief bei Heubel auch alles etwas anders. Bei der Versteigerung saß ich neben ihm, und ich hatte wie er alle schriftlichen Gebote vor mir liegen. Und ich glaubte meinen Augen und Ohren nicht zu trauen – denn beim ersten schriftlichen Gebot – es war eine Steinschlosspistole mit einem Schätzpreis von etwa 1.500 DM – lag ein schriftliches Gebot von 1.200 DM vor. Doch schon bei 700 DM war offenbar niemand bereit, mehr zu bieten. So sehr sich Heubel auch bemühte – alle Hände blieben unten. Daher hätte er dem schriftlichen Bieter den Zuschlag zu 750 oder bestenfalls 800 DM geben müssen. Doch plötzlich steigerte Heubel weiter – zeigte in den Raum und rief „750, da hinten links 800, rechts habe ich 850….“ – erst bei 1.150 hörte er auf. Wohlgemerkt – niemand hatte da geboten! Er hatte nur das schriftliche Gebot, an dem er schließlich mitverdiente, ausreizen wollen, so gut es eben ging. Er sagte mir später einmal, dass dies normale Praxis bei Auktionshäusern sei – „da bieten die Wandlampen und die Bilder an den Wänden alle mit!“ Ich habe in den vergangenen Jahren selber hin und wieder auf Auktionen gekauft und dort auch schriftlich geboten, und ich kann sagen, dass es durchaus nicht die übliche Praxis ist, Gebote „in den Himmel zu ziehen“, obwohl es hier und da vorkommen mag. Man tut also gut daran, sich als Käufer sein persönliches Limit abzustecken und vor allem – sich seinen Auktionator gut auszusuchen!

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9783969536025
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