Kitabı oku: «Auf dem Weg durch die Zeit», sayfa 5

Yazı tipi:

Weichenstellungen I

Zu Beginn der 60er Jahre gab es einen Mieterwechsel in unserer Nachbarschaft in Köln Dünnwald. Die Pferdeställe und zwei kleinere Räume hinter dem Haus gingen an einen 27jährigen Mann, der mit Hund und Pferd dort einzog. Der Hund mit Namen Gero war eine graue Bestie von Schäferhund, der eher aussah wie ein Wolf und der auf alles losging, das ihm zu nahe kam. Aber immerhin gehorchte er seinem Herrn aufs Wort. Eigenartigerweise hatte ich nie Angst vor diesem Hund, obwohl er sich einmal von hinten angeschlichen und mich völlig ohne Anlass in den Hintern gebissen hatte. Ich hatte damals einen eigenen Hund, einen kleinen Cockerspaniel, und die beiden waren einander in abgrundtiefem gegenseitigem Hass verbunden. Wenn sie am Zaun, der sie voneinander trennte, aufeinandertrafen, konnte einem angst und bange werden – so furchterregend waren das Zähnefletschen und Geifern und Knurren. Diese Abneigung brachte Gero auch mir entgegen. Ich kann daher auch nicht sagen, dass ich ihn wirklich mochte, denn er war schon ein linker Genosse. Aber er respektierte mich offenbar, und das war die Basis unseres Auskommens miteinander, das über die Jahre immerhin etwas freundlicher wurde.

Ich habe des Öfteren im Leben festgestellt, dass ein vermeintlicher Zufall sich Jahre später als Weichenstellung im Leben auswirkt; es ist mir jedenfalls einige Male so ergangen. Und dass Lothar Heubel unser neuer Nachbar wurde, sollte eine solche Weichenstellung für mich werden. Er war jovial, jugendlich und sehr gewinnend. Und er gab mir in den ersten Jahren regelmäßig Reitunterricht – gegen Bezahlung natürlich. Darüber hinaus unterhielten wir trotz unseres Altersunterschiedes von 15 Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Wie üblich verbrachte ich fast meine gesamte Freizeit in den Pferdeställen und auf den Wiesen hinter dem Haus und hatte dadurch regelmäßigen Kontakt zu Heubel. Der erwies sich als ein sehr umtriebiger Mann. Fast jeden Monat spannte er seinen Pferdeanhänger hinter seinen alten roten Mercedes 190 und fuhr nach Spanien, von wo er dann nach zwei oder drei Wochen voll beladen zurückkam. Er brachte alles Mögliche von dort mit – manchmal war der Anhänger bis unters Dach beladen mit Kupferkesseln und altem Bauerngerät, dann wieder mit Sitzkissen und Taschen aus Leder oder bunten Stoffen und mit Zierrat, den ich noch nie gesehen hatte.

Wie viele meiner Schulfreunde war auch ich immer auf der Suche nach irgendwelchen Jobs. Meine allererste Beschäftigung fand ich auf einer Baustelle, wo ich in den Osterferien für zwei Wochen arbeitete – für DM 2,50 (also € 1,25) die Stunde, was damals recht ordentlich war. Doch bald darauf bot mir Heubel, in dessen aufstrebender Firma ich ja als Nachbar ein- und ausging, die Möglichkeit, bei ihm kleinere Jobs anzunehmen. Bei meinem ersten Job dort sollte ich Knöpfe an marokkanische Strandtaschen fädeln – „nähen“ wäre zu viel gesagt. Es war ein wenig umständlich und erforderte eine gewisse Fingerfertigkeit. Aber er bot mir 6 Pfennig pro Tasche und meinte, da käme ich locker auf vier Mark in der Stunde. Das hörte sich natürlich sehr verlockend an, und ich legte los. Leider kam ich nie auf mehr als DM 1,20 – und das war auch symptomatisch für die kommenden Jahre, denn Lothar Heubel sollte sich als Meister von Versprechungen erweisen, die nie eingehalten wurden.

Aber 1961 – da war ich gerade mal zwölf Jahre alt – sah ich das noch völlig anders. Heubel wurde sehr bald zu meinem Idol – er führte ein Leben, wie ich es mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen vorzustellen wagte, war ständig unterwegs in den fernsten und exotischsten Ländern, wurde bewundert, er war ein glänzender Unterhalter, war charmant und gewinnend und verdiente mit diesem außergewöhnlichen Leben auch noch viel Geld! Ich hatte mittlerweile ein offenes Jobangebot bei ihm und konnte dort jederzeit arbeiten, wann immer ich wollte oder konnte – und für mich war das ziemlich ideal. Ich brauchte nur hinter das Haus zu gehen und fand dann immer eine Beschäftigung, für die ich meine DM 2,50 und in späteren Jahren auch etwas mehr pro Stunde bekam und so mein Taschengeld signifikant aufbessern konnte.

Bald schloss der Gasthof nebenan, und Heubel mietete den ganzen Komplex noch dazu – komplett mit ehemaligem Tanzsaal und einem seit einiger Zeit stillgelegten Hotel. Ich war so etwas wie „Mädchen für alles“ – praktisch immer und überall einsetzbar. Sobald ich aus der Schule und nach Hause kam, ging ich nach nebenan, um Außenwände zu streichen, auf schwankenden, selbstgebauten Gerüsten balancierend, ich restaurierte alte Waffen, packte Pakete, fegte das Lager, half im Büro – es gab nichts, für das ich nicht hätte eingesetzt werden können.

Meine Eltern sahen dies mit einer Mischung aus Einverständnis und Misstrauen. Zum einen freuten sie sich über meinen Fleiß und meine Hingabe an diesen Nebenerwerb, zum anderen trauten sie dem Braten aber nicht so ganz, denn sie befürchteten, dass meine schulischen Leistungen darunter leiden würden. Womit sie nicht ganz unrecht hatten, denn in Mathematik lag ich bald hoffnungslos zurück, ich kapierte es einfach nicht. Und trotz zusätzlicher Arbeitsgruppen, die wir in der Schule organisierten, trotz gemeinsamer Hausaufgaben, die wir mit einem unserer besten Mathematikschüler durchführten und reichte es bei mir nicht mehr, denn ich hatte zu große Lücken bei den Lerninhalten der vergangenen Wochen und Monate. Nachdem ich bereits 1 x sitzengeblieben war, hangelte ich mich in den Folgejahren ohne größere Mühen durch, allerdings ohne ernsthafte Gefahren für ein weiteres Sitzenbleiben, denn durch meine Dauer - Eins in Englisch, die ich gepachtet zu haben schien, hatte ich immer einen Ausgleich, der mich über Wasser hielt, zumal meine Leistungen in den anderen Fächern immer korrekt waren. Es durfte nur keine weitere fünf hinzukommen! Bis auf das Jahr, in dem ich die Klasse wiederholen musste, weil zu der Mathe – Fünf eine weitere in Latein hinzugekommen war, bekam ich das bis zum Abitur hin. Und meine Ambitionen für einen besonders guten Notenschnitt hielten sich ohnehin in Grenzen – es gab ja damals noch keinen Numerus Clausus – ich hätte selbst mit meinem durchschnittlichen Abitur - Ergebnis ohne weiteres Medizin studieren können!

Derweil führten Heubels Reisen immer weiter hinaus in die Welt – erst nach Nordafrika, und auch von dort brachte er seine Einkäufe immer gleich im Mercedes und dem Pferdeanhänger mit. Und schließlich ließ er das Auto zu Hause und flog nach Schwarzafrika, wo er Unmengen von alten und neuen Masken und Figuren einkaufte, säckeweise Amethystdrusen in den herrlichsten Farben und Formen, Fruchtbarkeits- und Regengötter, sowie Jutesäcke voller großer Stränge von bunten Ketten aus Glasperlen. Irgendwann zog es ihn dann in eine andere Gegend dieser Welt – und es folgten die ersten Einkaufsreisen nach Indien, Pakistan, nach Afghanistan, Thailand, nach Tibet und nach Indonesien. Mittlerweile zählen die meisten dieser Länder – wenn man einmal von Pakistan und Afghanistan absieht – zu den beliebtesten Reisezielen, und es ist jedem heutzutage ohne weiteres möglich, eine Reise dorthin zu unternehmen. Das war damals allerdings sehr viel abenteuerlicher. Es gab noch keine Direktflüge, man musste immer mindestens zwei Flug - Unterbrechungen in Kauf nehmen, und in diesen Ländern konnte man auch gar nicht so ohne weiteres einkaufen, weil es diese Art von Export dort gar nicht gab. Und Heubel kaufte einfach alles, was ihm in die Quere kam – und das in unglaublichen Stückzahlen: alte Steinschlossflinten und Perkussionsgewehre aus Afghanistan - mit vielen dieser Waffen hatten die Engländer mit ihrer East India Company im 18. und 19. Jahrhundert ihre Feldzüge unternommen. Die Schlossplatten trugen noch den Stempel des schreitenden Löwen dieser ostindischen Kompanie. Einmal kam im Lager in Köln ein Lastwagen an mit zahllosen enorm schweren Holzkisten, die hoch auf der Ladefläche aufgetürmt waren und die dann von Hand abgeladen werden mussten. Sie enthielten mehr als tausend Gewehre – alles alte Originale mit kunstvoll gearbeiteten und intarsierten Schäften und mit herrlichen Läufen aus feinstem Damast-Stahl.

Alles, was er von dort mitbrachte, bzw. schicken ließ, wurde Heubel in Köln aus der Hand gerissen. Die Kunden lauerten immer schon auf die neu ankommende Ware, und das Geschäft blühte nicht nur - es explodierte geradezu. Heubel, der mittlerweile einen florierenden Handel führte und mehrere Mitarbeiter eingestellt hatte, war für diese ein sehr angenehmer Chef – er hatte immer einen Witz parat, verstand es, Menschen für sich einzunehmen und sie zu motivieren – allerdings auch zu manipulieren. Doch diese und viele andere Seiten sollte ich erst im Laufe der folgenden Jahre kennenlernen. Für mich blieb er erst einmal so etwas wie ein Idol – ich verehrte ihn und war stolz darauf, zum „inneren Kreis“ zu gehören. Denn ich war ja tatsächlich – wenn auch durch Zufall – von der ersten Stunde an mit dabei gewesen. Heubel bot mir auch immer wieder einen Job an – für die Zeit nach meinem Abitur. Er meinte, Studieren sei reine Zeitverschwendung. Er selbst war Bergbauingenieur mit abgeschlossenem Studium, hatte diesen Beruf aber nie ausgeübt. Und er führte sich selbst immer als bestes Beispiel an, wenn er mir erzählte, dass es besser sei, im Leben Gelegenheiten zu ergreifen, sie wahrzunehmen, anstatt Jahre in den Hörsälen der Universitäten zu verbringen. Langsam, aber sicher übernahm ich diese Positionen. Heubel meinte, für mich gebe es immer Platz in seiner Firma, und er könne mir garantieren, dass es kein Land auf der Welt geben werde, das ich nicht in seinem Auftrag bereisen würde. Das war genau das, was ich mir gewünscht hatte – meine Träume schienen in den Gesprächen mit ihm ständig wahr zu werden. Ich sah mich auf dem richtigen Weg – dem für mich richtigen Weg. Allerdings hatte ich in der Firma bisher nur Handlangertätigkeiten ausgeübt, und da war eigentlich nichts, das meinen Talenten oder auch Fähigkeiten auch nur halbwegs entsprochen hätte oder auch intellektuell gepasst hätte – für alles, was ich machte, war ich eigentlich falsch oder überqualifiziert. Das sahen auch meine Eltern so, und sie hingen mir ständig in den Ohren, dass ich etwas „Vernünftiges“ machen solle - etwas, das Hand und Fuß habe und dass ich nicht einem so windigen Menschen wie Heubel auf den Leim gehen dürfe. Nicht nur meine Eltern sahen Heubel als eher unseriös oder windig an. Er kam durch seinen Antiquitätenhandel, der so anders war, als das Bild, das man sich von dieser Branche machte mit ihren Gemälden und antiken Möbeln, mit Statuen und alten Teppichen - offenbar sehr schnell an ziemlich viel Geld, was ja an sich nichts Verwerfliches ist. Aber irgendwie traute man ihm nicht so richtig über den Weg. Er wurde auch mir gegenüber nie konkret, was das Jobangebot anging. Und „immer Platz zu haben in der Firma“ war ja nun eine mehr als vage Jobausschreibung!

Der Ernst des Lebens

Nach dem Abitur hatte ich eine kurze Verschnaufpause, bevor ich am 1. Oktober 1969 zur Bundeswehr musste. Diese Pause hatte ich für eine zweimonatige Reise kreuz und quer durch die USA genutzt; mit Greyhound Bussen war ich von Küste zu Küste gereist, hatte Verwandte in Kanada und in Oklahoma besucht und gesehen, was ich mir hatte ansehen wollen. Doch dann begann – wie meine Mutter mir ja immer prophezeit hatte - der Ernst des Lebens….

Ich habe ja bereits erzählt, dass ich meine Probleme hatte mit Geschwindigkeit beim Essen und dass ich als Kind ziemlich herumgetrielt hatte. Das sollte sich beim Bund sehr schnell ändern. Gleich bei meiner Ankunft erlebte ich den Wechsel von 2 Monaten Freiheit in den USA zum Schützen Arsch – einen Wechsel von heiß auf kalt – sehr kalt! Da ich am allerersten Tag einem Unteroffizier meinen Namen nicht laut genug sagte, musste ich etwa 50 Meter weit bis ans Ende eines Flurs rennen („Laufschritt, Mann!“) und ihm von dort meinen Namen herüberschreien - na, das fing ja toll an!

Die Grundausbildung bei der Bundeswehr – 1969 dauerte sie noch 3 Monate – verbrachte ich in Goslar im Harz. Natürlich lebte ein kleines Stück der Erinnerungen an die Warnung, bzw. die Drohungen meiner Eltern in mir weiter („warte nur, bis du zum Militär kommst…“). Dort war ich aber auch nur einer von vielen – und die hatten fast alle ähnliche Anfangsprobleme mit dem Drill und dem strammen Ton, der dort herrschte. Doch auch, wenn man vieles in der Vergangenheit Erlebte oft und gern idealisiert und in der Erinnerung schöner färbt, als es in Wirklichkeit war („damals war alles besser!“), behaupte ich doch, dass die 3 Monate der Grundausbildung zu den wichtigsten in meinem Leben gehören und auch zu denen, an die ich heute sehr gerne zurückdenke. Denn ich erlebte dort etwas, das ich bis dahin noch nie gekannt hatte: Kameradschaft – etwas anderes als Freundschaft. Man stand füreinander ein – unabhängig davon, ob man sich kannte oder gar mochte, trotz eigentlich unüberbrückbarer Unterschiede, was Bildung und Ausbildung sowie Intellekt anging, und man erlebte eine Gemeinsamkeit, aus der eine große Stärke wuchs. Ich weiß nicht, ob dies ein beabsichtigtes Element in der Ausbildung von Soldaten ist (ich kann es nur hoffen!), aber es stellt sich ganz einfach ein, wenn man eine Gruppe von jungen Männern einem gewissen Druck aussetzt, in dem sie sich zu behaupten lernen, in dem sie auch lernen, miteinander umzugehen und sich bei Laune zu halten. Ich wohnte in einer „Stube“ mit drei „Kameraden“ – alle vier entstammten wir aus völlig unterschiedlichen sozialen und intellektuellen Verhältnissen, aber gerade diese Verschiedenheit erforderte einerseits eine hohe Toleranz und andererseits ein Aufeinander - Zugehen. Ich war ja eigentlich ein verwöhntes Einzelkind – war meine Schwester doch fast 4 Jahre älter als ich. Verwöhnt von Mutter und Oma – bei jedem Wehwehchen war jemand dagewesen, der mich als Kind getröstet hatte, und die meisten Konfrontationen waren von mir ferngehalten worden. Doch hier in Goslar musste ich sehen, wie ich zurecht kam – hier war ich auf mich selbst gestellt – und das zum ersten Mal überhaupt, aber in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.

Gleich zu Beginn meiner Grundausbildung wurden Soldaten gesucht, die ein Instrument spielen konnten. Nach einigem Zögern (jemand anderes war doch sicherlich viel besser als ich) und nachdem sich niemand sonst gemeldet hatte, meldete ich mich, und ruckzuck wurde ich Mitglied einer Band. Wir nannten uns „Hot Dogs“, hielten regelmäßige Übungsabende im Keller ab und spielten die Hits der 60er rauf und runter. Es gab einen Gitarristen, einen Bassisten, einen Schlagzeuger, einen Sänger und mich an einer Philips Heimorgel – einem winzigen Keyboard. Wenn mich meine Mitspieler fragten, ob ich einen bestimmten Titel kenne - etwa „kennste ‚Venus‘?“ musste ich immer verneinen. Denn ich kannte so gut wie kein Lied mit seinem Titel. Wenn ich es allerdings hörte, wusste ich gleich, was gespielt werden sollte. Alle hatten ihre Noten – außer mir; ich spielte alles nach Gehör – Noten hätte ich damals schon gar nicht mehr lesen können!

Kurz vor Weihnachten spielten wir dann auf mehreren Kompaniefesten und –bällen. Wir hatten auch ein Lied drauf, das ich komponiert hatte: „Herbstwind“; der Text war von Ralf Siegel senior, dem Vater des „Schlager – Siegel“. Der Text hatte es mir angetan, und so hatte ich eine Melodie dazu geschrieben. Dies war wohl das erste Lied aus meiner Feder, das öffentlich aufgeführt wurde.

Und dann hatten wir nach einem unserer Auftritte in der Vorweihnachtszeit ein kleines Erlebnis, das mir und auch den anderen Musikern eine Gänsehaut bereitete. Es lag tiefer Schnee, und wir kamen sehr spät zurück in die Kaserne, hatten unsere Instrumente noch im Übungskeller verstaut und trafen uns dann auf ein letztes gemeinsames Bier im Lichthof am Ende des Flures, übrigens genau dem Lichthof, von dem aus ich wenige Wochen zuvor einem Unteroffizier noch meinen Namen hatte zubrüllen müssen! Dort hing ein großer Adventskranz. Wir entzündeten seine Kerzen, und irgendwann fing einer von uns an, „Stille Nacht“ zu singen. Die anderen vier fielen gleich ein, und so standen wir da im Schein der vier Kerzen, eine Flasche Bier in der Hand und sangen à capella fünfstimmig Weihnachtslieder (die wir im Übrigen nie geübt hatten!). Nach kurzer Zeit ging eine Tür nach der anderen auf, und unsere Kameraden standen in Schlafanzügen auf dem langen Flur und forderten Zugaben. Und ich sah bei vielen Tränen der Rührung. Ich bekomme noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, eine Gänsehaut, wenn ich an diese Momente denke.

Zum Jahresende erfolgte meine Versetzung nach Köln an den Flughafen Wahn, wo ich den Rest meiner Wehrzeit ableisten sollte. Und wieder hatte ich großes Glück – normalerweise kam man, das hatte man mir gesagt, erst einmal zum Wachbataillon, was nichts anderes bedeutete, als dass man ständig Bereitschaften hatte, sich nachts an einem der Kasernentore die Füße plattstehen und Wache schieben musste. Ich jedoch kam sofort zur Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums, was damals so etwas wie eine kleine private Fluggesellschaft war. Seit meiner frühen Kindheit war ich verrückt nach Flugzeugen, und allein die Nähe zu den großen Silbervögeln bereitete mir Herzklopfen. Die Flugbereitschaft verfügte damals über eine recht ausgedehnte Flotte, zu der vier Langstreckenflieger vom Typ Boeing 707, mehrere Hansajets HFB 320, Lockheed Jetstars C 140, sowie sechs Convair 440 Propellermaschinen gehörten. Eine davon – wenn ich mich recht erinnere, war es das Flugzeug mit der Nummer 1204, hatte Gerüchten zufolge einmal Frank Sinatra gehört, dem man eine Schwäche für Flugzeuge nachsagte. Er hatte sie zeitweise John F. Kennedy für dessen Wahlkampf zur Verfügung gestellt – ein recht illustres Flugzeug also. Und so sah es auch aus: es gab mehrere geschwungene und halbrunde, mit goldfarbenem Stoff bezogene Sofas und Beistelltische, viel Chrom und Gold, und beim Fliegenden Personal hatte das Flugzeug den Spitznamen „Fliegender Puff“. Es wurde bevorzugt für VIP’s eingesetzt – also das höchste politische Personal aus dem In- und Ausland.

Ich war in dieser Einheit so etwas wie ein Auszubildender – und zwar einer ohne große Jobaussichten, da ich mich ja nicht für längere Zeit bei der Bundeswehr engagieren wollte. Daher wurde ich erst einmal im Büro eingesetzt, wo ich Flugaufträge zu schreiben hatte, die große abwaschbare Plastiktafel beschreiben musste, auf der die Flüge des Tages aufgeschrieben wurden mit Flugzeugnummer, Besatzung, Namen der Fluggäste, Abflugzeit und Ziel. Oder ich musste die riesigen Flugkarten falten – nach einem bestimmten System, bei dem ich mir immer fiese Schnitte an Fingern und Händen zuzog. Man kann aber wirklich nicht sagen, dass ich mich überarbeitet hätte. Es gab dort auch eine kleine Kantine, in der man ein Tagesgericht essen konnte oder Kleinigkeiten wie Rühreier oder Bockwurst o.ä. Die in dieser Kantine Beschäftigten waren ausschließlich Zeitsoldaten, die meisten in meinem Alter, die auch als Kabinenbesatzung sämtliche Flüge mitmachten – als Stewards auf Kurz- und Langstreckenflügen. Die Flugbereitschaft transportierte etwa Familienangehörige nach Texas, wo u.a. ein Teil der Pilotenausbildung stattfindet, aber auch Staatsgäste, Minister, Bundeskanzler und –präsident waren ständige Gäste an Bord. Ich sah diese illustren Personen zum ersten Mal aus allernächster Nähe, wenn sie an unserem Büro vorbeiliefen zum Flugzeug, das draußen auf sie wartete. Und ich durfte sogar an Bord – um sauber zu machen, Sitzgurte ordentlich auszulegen, und um die Kopflätzchen, die nach jedem Flug ausgewechselt wurden, anzubringen und um die Galley zu bestücken. Und wann immer ich konnte, schaute ich voller Sehnsucht und Fernweh den Flugzeugen hinterher, wenn wie zum Start rollten. Bis ich eines Tages einen Entschluss fasste, mich beim Staffelkapitän anmeldete und um ein Gespräch bat. Jürgen Reiss war sein Name, übrigens gleichen Namens wie unser Gitarrist in Goslar - und er war Oberstleutnant. Und nicht nur das – er war auch Kapitän auf der Boeing 707 und ein überaus freundlicher Mensch. Ich erzählte ihm von meiner Lust am Fliegen und fragte ihn, ob man nicht eine Ausnahme machen und mich als Steward einteilen könnte. Meine Flugbesessenheit schien ihm zu gefallen, denn nach ein paar Tagen Bedenkzeit, die er sich ausbedungen hatte, bekam ich eine Mitteilung, dass ich in Kürze ein Sicherheitstraining zu absolvieren habe - mit dem Ziel, als Steward auf ausgesuchten Strecken eingesetzt zu werden. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Das Security Programm wurde dann auch zügig durchgeführt – ich musste lernen, wie man eine Notrutsche und die Notausgänge an den verschiedenen Flugzeugmustern betätigt, und ich lernte in einem Schnelllehrgang innerhalb weniger Tage, was ich für meinen neuen Job wissen musste. An einem Freitagnachmittag kam ich von diesem Lehrgang wieder zurück in meine Einheit – diesmal in die Kantine, denn als Steward wurde ich nicht mehr im Büro, sondern in der Kantine eingesetzt, wenn ich nicht fliegen musste. Freitagnachmittag – das war schon damals so, wie es auch heute ist – mit den Gedanken sind alle schon im Wochenende, und man wartete nur darauf, dass der Uhrzeiger auf 16 Uhr, dem Zeitpunkt für Dienstschluss – vorrückte. Kurz, bevor es soweit war, rief mein Vorgesetzter quer durch die Kantine: „Hey – Jones, haben Sie am Sonntag schon was vor?“ Normalerweise verhieß eine solche Frage nichts Gutes: Bereitschaft oder irgendeinen Dienst, zu dem sich kein Freiwilliger hatte finden lassen. Ich war aber bester Stimmung und antwortete mit „nein“, worauf meine Kollegen Seufzer der Erleichterung ausstießen, denn hätte ich ‚ja‘ gesagt, wären sie gefragt worden. „Ok, Jones, sie fliegen am Sonntag für eine Woche nach Skandinavien!“ Große Augen allerseits! Diese Einwochenflüge waren heiß begehrt, denn in der Regel fanden sie nur mit wenigen, manchmal auch ohne Passagiere statt. Das hieß, man wurde sozusagen in den Urlaub kommandiert! Meine militärische Laufbahn nahm zwar damit keine Wende, aber dies sollte der Anfang einer geradezu unglaublichen Zeit für mich werden, während der ich in zahllose Länder fliegen sollte und dazu noch gekrönten und ungekrönten Häuptern den Tee zu servieren hatte! Vielleicht halfen mir ja auch ein wenig mein halbwegs manierliches Auftreten und natürlich meine Sprachkenntnisse, denn im Englischen machte mir sowieso keiner was vor, und bei den vielen internationalen Fluggästen war man offenbar so manches Mal froh, mich vorschieben zu können. Ich genoss diese Zeit, und die Warnungen meiner Eltern vor „dem Militär“ hatten sich mittlerweile völlig in Luft aufgelöst und als unrichtig erwiesen.

Wenn ich gerade nicht fliegen musste, hatte ich Dienst in der Kantine. Da kam es des öfteren vor, dass ich mich gerade auf den Feierabend vorbereitete, als ein Anruf kam und man mir sagte: „Jones – sie fliegen noch mit dem „BuKa“ (Bundeskanzler) nach London“. Oder nach Stockholm, Brüssel, Madrid, nach Paris oder Amsterdam, in die USA, was dann eine knappe Woche dauerte, oder mit „BuPrä“ und Außenminister auf Staatsbesuch nach Venezuela, Ecuador und Bolivien. Es nahm kein Ende, und ich wurde des Fliegens nie müde. Wenn keine Passagiere an Bord waren, hielt ich mich meist im Cockpit auf und sah den Piloten zu oder ließ mir jeden Handgriff erklären. Ein Kindheitstraum hatte sich erfüllt – hautnah bei der Fliegerei dabei zu sein, was mich auch heute noch begeistert. Einmal flogen wir ohne Passagiere mit einer Jetstar von irgendwo zurück nach Köln. Die Jetstar - „Lockheed C 140“ war die offizielle Bezeichnung – war ein vierstrahliges Geschäftsflugzeug mit 8 Sitzen und von der äußeren und inneren Aufmachung nicht nur ein sehr teurer, sondern ein selten gesehener und überaus eleganter Flieger. Mit seinen 4 Triebwerken im Heck gehörte es zu den damals leistungsstärksten Privatflugzeugen überhaupt. Wir waren zu dritt im Cockpit, als eine Anweisung von der Flugaufsicht kam, die uns eine höhere Flugfläche zuwies. Der Pilot gab Gas und zog den silbernen Flieger steil nach oben. Man sagte der Jetstar Steigfähigkeiten nach, die einem Düsenjäger sehr nahekamen. Und als der Pilot dem Tower schon nach kürzester Zeit das Erreichen der neuen Flughöhe durchgab, kam von dort ein „Wow – that is incredible!“ Auf demselben Flug flogen wir eine Rolle. Dabei dreht sich das Flugzeug um seine Längsachse. Der Pilot fragte uns, ob wir was dagegen hätten, und alle (es waren ja nur der Copilot und ich) waren einverstanden. Und bevor ich wusste, was geschah, war der Himmel auch schon unten und die Erde oben, und dann war alles wieder dort, wo es hingehörte. Es war einfach unglaublich – dieses Zusammenspiel von Kraft, Tempo und fliegerischer Eleganz. So etwas hätte natürlich niemals stattgefunden, wenn wir einen Passagier an Bord gehabt hätten!

Mit einer Jetstar mussten wir einmal an einem Sonntag um 7 Uhr den Bundeskanzler und seine Begleitung von Köln nach Memmingen und später wieder zurück nach Köln bringen. Man hatte mich gewarnt, dass Willy Brandt ein ausgesprochener Morgenmuffel sei, und ich solle auf der Hut sein und nicht zu viel reden. Aber was heißt schon „nicht zu viel reden“, wenn man dem Bundekanzler lediglich einen Kaffee oder Tee zu servieren hat – dachte ich. Pünktlich brachte die schwarze Staatskarosse den Kanzler wenige Minuten vor 7 an das Flugzeugtreppchen. Brandts Begleiter, ein hochgewachsener, kräftiger Mann, stieg vor dem Kanzler aus und trug eine aufgefaltete „Times“ vor sich, unter der er etwas verbarg. Er kam ans Flugzeug, sah mich in meiner weißen Jacke und reichte mir die Zeitung, bzw. den Gegenstand, den er darunter verbarg. „Bring‘ das mal nach hinten und pass gut drauf auf!“ Ich nahm das Ding entgegen und sah, dass es eine Maschinenpistole war. Der Mann war Brandts Leibwächter! Ich verstaute die MP hinten in meiner Galley – peinlich darauf achtend, dass sie gesichert blieb! Die beiden Passagiere sanken dann in die Sitze entgegen der Flugrichtung. Nach dem Start - mittlerweile war es kurz nach 7 - ging ich zu Brandt und fragte ihn, was er trinken wolle. „Cognac!“ krächzte er. Zum Glück hatte ich eine Flasche Asbach an Bord – eigentlich hatte ich damit gerechnet, Kaffee servieren zu müssen. Aber Cognac oder in diesem Falle Asbach war ja einfacher – auch wenn es erst frühmorgens war! Ich servierte den Asbach in einem kleinen Cognacschwenker und stellte ihn vor Brandt, worauf dieser ihn zurückschob und mich anraunzte „das ist Scheiße, das Glas muss voll sein!“ Ich entschuldigte mich, nahm das Glas wieder zurück und verschwand in meiner Galley, wo ich ein Wasserglas nahm und es randvoll goss mit Asbach. Dieses Glas stellte ich vor den Kanzler, der es zufrieden annahm. Die Flasche behielt er dann auch da, und als wir eine knappe Stunde später in Memmingen landeten, musste ich eine neue Flasche besorgen, denn die alte war leer.

Ein anderer Flug – wieder mit Brandt, ging nach Paris. Diesmal flogen wir mit der guten alten Convair 440, einem zweimotorigen Propellerflugzeug. Nach der Ankunft in Paris am Nachmittag war der Besatzung für abends freigegeben worden, denn der Rückflug sollte erst am nächsten Morgen um 8 stattfinden. Unser Kommandant Oberstabsfeldwebel Stachel war ein älterer Pilot, der schon im 2. Weltkrieg Einsätze geflogen war. Ihm war in Paris nicht nach Ausgehen zumute – zumal er extrem geizig war. Er brachte immer seine eigene Verpflegung in Form von belegten Broten mit und machte damit auch in Paris, der Hauptstadt des guten Essens, keine Ausnahme. Aber immerhin kannte er ein Hotel in der Rue Washington unweit der Champs Elysées, das bei deutschen Soldaten sehr beliebt war. Die Besitzerin des Hotels hatte im Krieg offenbar mit der Wehrmacht kollaboriert und dadurch in der Nachkriegszeit sehr große Unannehmlichkeiten mit den Behörden der Stadt erfahren. Man hatte ihr allerdings nie eine Straftat welcher Natur auch immer nachweisen können. Aber die Animositäten ihrer Landsleute hatten die Dame offenbar in die Arme ihrer deutschen Freunde zurückgeschickt! Denn jeder deutsche Soldat, der in ihrem Hotel abstieg, wohnte dort zu einem Sonderpreis und bekam zur Begrüßung eine Flasche Wein geschenkt. Da unser Kommandant sich sofort nach unserer Ankunft in sein Zimmer zurückgezogen hatte, waren wir nur noch zu dritt: der Copilot, der Bordfunker (ja – diese Position gab es damals noch!) und ich. Und so zogen wir also los – zuerst in ein Restaurant, in dem wir gut aßen und dann ins Crazy Horse. Der Funker, nennen wir ihn Robby, war ein echter Freund der schönen Dinge und ein sehr lebensbejahender Mensch mit einem ausgeprägten und äußerst ansteckenden Humor. Seine Lachanfälle waren legendär, und wenn er einmal loslegte, lachte zum Schluss jeder in Hörweite, und kein Auge blieb trocken. Das geschah auch im Crazy Horse, diesem exklusiven Pariser Nightclub mit Legenden – Status. Wir drei waren nach Apéritif, reichlich Wein zum Essen und einem anschießenden Digestif schon ziemlich angeschlagen, aber durchaus noch im Besitz unserer geistigen und körperlichen Kräfte. Vielleicht war es der Champagner im Crazy Horse, vielleicht auch tatsächlich die Show selbst, in der ein sehr lustiger Magier auftrat, jedenfalls brachte irgendetwas Robby zum Lachen. Er begann meist leise, in kurzen Stößen und wurde dann immer lauter – so laut, dass bald die ersten Zuschauer anfingen mitzulachen. Immer mehr wurden es, und schließlich lachten auch einige der Tänzerinnen auf der Bühne los – bis der komplette Saal aus vollem Hals lachte, Robby war zu diesem Zeitpunkt bereits vom Stuhl gerutscht uns saß unter dem Tisch. Uns allen liefen die Tränen herunter – die Show wurde unterbrochen, das Licht ging an und der schwere rote Vorhang sank auf die Bühne. Diese Show in der Show dauerte einige Minuten, bis einsetzende Atemnot bei den Lachenden dem Ganzen schließlich ein sanftes Ende bereitete und die eigentliche Show über die Runden gebracht wurde.

₺570,79

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
527 s. 30 illüstrasyon
ISBN:
9783969536025
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок