Kitabı oku: «Kreuzberger Leichen», sayfa 2

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»Gehen Sie immer hier spazieren?«, fragt Hartenfels, während er neben Meister Richtung Polizeibulli stapft.

Meister nickt, wobei erneut Schneematsch von der Krempe seines Huts herabrutscht. Er trägt einen grauen Dreitagebart, der auch ein Fünf- oder Sechstagebart sein könnte, und ist leichenblass. Es wirkt nicht so, als würde er sich viel an der frischen Luft aufhalten.

Aus dem zweiten Polizeifahrzeug sind inzwischen die Beamten von der Spurensicherung gestiegen, Hartenfels nickt den Männern und Frauen zu, fasst Meister am Arm und dirigiert ihn zu dem anderen Wagen. Hartenfels will endlich ins Warme, öffnet die Schiebetür und stickige Luft schlägt ihm entgegen. Meister und er klettern in das Fahrzeug, der Hund bleibt stehen. Meister wirft Hartenfels einen fragenden Blick zu, der nickt. Sofort springt Zerberus in den Bulli und schüttelt sich.

So viel dazu, denkt Hartenfels und zwängt sich hinter den herabgeklappten Tisch, Meister hat es leichter. Es ist nicht einfach, die Füße zu sortieren, weil Zerberus schon unter dem Tisch liegt. Meister nimmt den Hut ab und noch mehr Schnee fällt in das Innere des Fahrzeugs. Das spielt inzwischen keine Rolle mehr. Um Zerberus hat sich eine Pfütze gebildet und von den Schuhen der Männer tropft Wasser dazu.

Hartenfels findet, dass Meister den Hut besser aufbehalten hätte. Ohne Hut sieht man erst richtig, wie schütter seine Haare sind. Dass sie nass sind, macht es nur schlimmer. Hartenfels ist jetzt misstrauisch, einem Mann mit so einer Frisur traut er nicht. Hartenfels fährt den Laptop hoch, der auf dem Tisch steht.

»Vorname?«

»Johannes«, sagt der Mann und wiederholt dann seinen vollen Namen. Er sagt es so, als sei damit alles Weitere erledigt.

»Sollte ich Sie kennen?«, fragt Hartenfels.

Meister zuckt die Achseln.

»Ja oder nein?«

»Wenn Sie gerne lesen«, sagt Meister.

Nun zuckt Hartenfels die Achseln. Liest er gern? Schon. Den Namen Johannes Meister hat er trotzdem nie gehört.

»Fantasy«, sagt Meister.

Kein Wunder, dass Hartenfels ihn nicht kennt.

Er nickt. Das passt zusammen. Einem Mann, der Fantasy schreibt, würde er sowieso nicht trauen, egal, was für eine Frisur er trägt. Hartenfels nimmt sich vor, eins seiner Bücher zu lesen.

»Alter?«, fragt er.

»53.« Meister zwinkert mit dem rechten Auge.

»Leben Sie vom Schreiben?«

»Ja«, sagt Meister, »hab nie was anderes gemacht.«

Das imponiert Hartenfels. Um vom Schreiben leben zu können, braucht man bestimmt einen langen Atem. Eine Tugend, die das Fehlen anderer Tugenden kompensieren kann.

»Und Sie sind heute wie jeden Morgen zu einem Spaziergang mit Ihrem Hund aufgebrochen?«

»Da ist das Wetter egal.«

Danach hat Hartenfels zwar nicht gefragt, interessant ist es trotzdem.

»Wenn Zerberus seine Runde nicht dreht, ist er zu Hause unausstehlich«, präzisiert Meister.

»Gehen Sie immer mit Ihrer Frau?«

»So gut wie.«

»Wie alt ist Ihr Hund?«

»Vier.«

»Wohnen Sie hier in der Nähe?«

»Riehmers Hofgarten«, sagt Meister und Hartenfels nickt.

Er kennt den eleganten Häuserkomplex, der nur ein paar Straßen vom Viktoriapark entfernt liegt, Luftlinie weniger als ein Kilometer. Hartenfels hat in der Vergangenheit selbst versucht, dort eine Wohnung zu ergattern, ist aber an wechselnden Investoren und unklaren Sanierungsabsichten gescheitert. Wenn er richtig informiert ist, gibt es inzwischen sogar handfesten Streit zwischen der Stadt und irgendwelchen Eigentümern, die das komplette Ensemble aufgekauft haben.

»Und was macht Ihre Frau?«, fragt er weiter.

»Sie hilft mir beim Schreiben«, antwortet Meister.

»Wie habe ich mir das vorzustellen?«

»Sie liest Korrektur, tippt meine Texte in den Computer, erledigt die Korrespondenz. Solche Sachen. Ohne sie käme ich überhaupt nicht klar.«

»Ich brauche später ein Bild von ihr.«

»Natürlich«, Meister wühlt seine Brieftasche hervor, »hier ist eins«, sagt er und hält Hartenfels ein Passfoto hin.

Die Frau auf der Aufnahme wirkt hager. Augen, die tief in den Höhlen liegen, eine scharf gezeichnete Nase, schmale Lippen, nicht unattraktiv. Hartenfels glaubt sofort, dass Meister ohne sie nicht klarkommt. Seine Frau sieht energisch, regelrecht verbissen aus. Im Schnee verlaufen hat sie sich bestimmt nicht. Außerdem wirkt sie viel jünger als Meister oder das Bild ist alt.

»Kann ich das Foto vorläufig behalten?«, fragt Hartenfels, und als Meister nickt, legt er es auf den Tisch.

»Wie alt ist Ihre Frau, wenn ich fragen darf?«

»33.«

20 Jahre Unterschied, denkt Hartenfels, krass. »Dann noch die genaue Adresse bitte.«

»Hagelberger Straße 10c.«

Weil Hartenfels das herrschaftliche Bauensemble des Hofgartens bis heute nicht vergessen hat, interessiert es ihn, wo genau Meister dort wohnt, und er fragt ihn danach.

»Ich habe den Zuschlag für das erste Penthouse erhalten«, antwortet Meister, und an der betont beiläufigen Weise, in der er das sagt, erkennt Hartenfels, dass er stolz darauf ist.

Aber hallo, denkt Hartenfels. Ihm war nicht bekannt, dass es im Riehmers Hofgarten überhaupt Eigentumswohnungen, geschweige denn Penthouses gibt. Hat der Investor den Streit wohl gewonnen.

»Wohnen Sie schon lange dort?«

»Seit zwei Jahren.«

Die Geschäfte gehen offensichtlich gut.

»Wo sind Sie geboren?«

»Im Wedding.«

»Und Ihre Frau?«

»Sie ist auch Berlinerin.«

Das ist eher selten, findet Hartenfels. Berlin wimmelt von Zugereisten.

»Wie lange kennen Sie sich?«

»Ungefähr fünf Jahre.«

»Wann haben Sie geheiratet?«, fragt Hartenfels.

»Wir sind nicht verheiratet.«

»Also heißt Ihre Frau nicht Meister?«

»Sie heißt Köhler, Evelyn Köhler.«

»Haben Sie das meinen Kollegen bereits gesagt?«

Meister nickt und schweigt.

Hartenfels selbst ist nicht liiert oder verheiratet, wie viele seiner Kollegen. Die meisten geben ihrem Beruf die Schuld daran. Zerstörte Ehen, verlassene Kinder oder gleich ein Leben als Single. Hartenfels sieht das anders. Er ist ein Einzelgänger und war es immer schon. Er hat nicht einmal Freunde.

Etwas poltert gegen den VW-Bulli, dann fliegt die Schiebetür auf. Ein kleiner Mann schaut in den Wagen, bekleidet mit dem Ganzkörperkondom der Spurensicherung. Trotz des grauenhaften Wetters trägt er Krawatte, was angesichts des Plastiküberzugs, in dem er steckt, ein groteskes Bild abgibt. Dazu sorgfältig gescheiteltes Haar, dem selbst das Wetter nichts anhaben konnte, wahrscheinlich haben Schnee und Gel wie Superfestiger gewirkt. Petersen, Gerichtsmedizin.

Na gut, einen Freund hat Hartenfels. Einmal angenommen, dass man mit jemand wie Petersen befreundet sein kann.

»Komm rein«, sagt Hartenfels, und Petersen klettert in den Bulli.

Es entsteht ein bisschen Chaos, weil Zerberus den Neuangekommenen begrüßen will, wofür der Platz fehlt.

Trotz seines unheimlichen Aussehens ein freundliches Tier, findet Hartenfels. Zerberus hat wahrscheinlich längst vergessen, dass er eine Leiche ausgegraben hat.

»Ich war nicht der Erste«, sagt Petersen, sobald er sitzt.

Er hat sich neben Meister gequetscht, den er überhaupt nicht beachtet.

»Was meinst du damit?«

»Die Leiche wurde zweimal eingeschneit. Das heißt, dass jemand sie zwischendurch bewegt hat.«

»Das war ich.«

Petersen dreht sich zu Meister und betrachtet ihn. Das Schweigen zieht sich hin.

»Sie sind?«, will Petersen irgendwann wissen.

Bevor Meister antworten kann, stellt Hartenfels die beiden Männer einander vor. Er erzählt auch, warum Meister die Leiche bewegt hat.

»Hätte er sie nicht bewegt, würden wir uns jetzt fragen, ob er ein Soziopath ist«, schließt Hartenfels.

Petersen brummt etwas Unverständliches.

»Oder was würdest du von jemandem halten, der einen halb eingeschneiten Menschen findet und nicht einmal nachsieht, ob er vielleicht noch lebt?«

»Jetzt frage ich mich, was ich von jemandem halten soll, der seine DNA hübsch gleichmäßig auf einer Leiche verteilt hat.«

Meister rutscht auf der winzigen Bank herum, sagt aber nichts.

Der Mann kann schweigen, denkt Hartenfels und verzeichnet einen weiteren Pluspunkt.

Petersen und er sind ein eingespieltes Team, und ihr kleiner Wortwechsel hätte bei manch anderem zu Reflexen geführt. Hartenfels mag Reflexe, weil sie keiner Zensur unterliegen.

»Was gibt es sonst noch?«, fragt er Petersen.

»Einen Schlag auf den Hinterkopf, der tödlich war.«

»Hast du die Waffe gefunden?«

»Nein. Kann alles Mögliche gewesen sein. Ich werde die Wunde auf Splitter und Abrieb untersuchen.«

»Identität?«

»Männlich, um die 30, liegt wahrscheinlich schon die halbe Nacht hier.«

»Hatte er Papiere dabei?«

»Das hätte ich längst gesagt.«

Petersen stemmt sich hoch, klopft Schneereste von seinem Überzug, dazu stampft er auf den Boden.

»Kannst du das nicht draußen machen?«, fragt Hartenfels, dem wässriger Matsch auf den Laptop gespritzt ist.

»Draußen schneit es«, erwidert Petersen und öffnet die Tür.

»Hast du sonst noch Spuren gefunden?«, hakt Hartenfels nach.

»Draußen schneit es«, wiederholt Petersen und lächelt.

Es ist ein aufrichtiges Lächeln, das sein ganzes Gesicht erstrahlen lässt. Hartenfels kennt dieses Lächeln. Es ist typisch für Petersen, wenn er nicht weiterweiß. Es passt zu ihm, dass er Fragen interessanter findet als Antworten. Manchmal macht Petersen alle verrückt.

Hartenfels steht ebenfalls auf, wobei er das Foto von Meisters Freundin vom Tisch nimmt.

»Ich höre mal, ob es etwas Neues gibt, Sie warten bitte hier«, sagt er, was Zerberus missversteht.

Der Hund springt auf und stößt sich gewaltig den Kopf an der Tischplatte, scheint es jedoch nicht zu merken.

»Bleib«, zischt Meister und Hartenfels staunt über den eisigen Ton.

Zerberus rollt sich ganz klein zusammen.

Draußen steht Petersen und wartet.

»Keine Reaktion«, sagt er.

Hartenfels nickt. Meister hat sich gut gehalten. Er spricht sowieso nur das Nötigste. Kann Taktik sein oder es ist seine Art, sie werden sehen. Das ist erst der Anfang, mit Meister werden sie in den folgenden Tagen sicher viel Zeit verbringen.

»Meinst du wirklich, er hat Spuren verwischt?«, fragt Hartenfels.

»Falls ja, dann gründlich.«

»Wieso?«

»Das Gesicht des Toten wurde abgewischt und die Hände ebenfalls. Wahrscheinlich hat Meister sogar den Kopf angehoben und dabei die Wunde berührt. Um festzustellen, ob jemand noch lebt, ist das ein ganz schöner Aufwand.«

»Gib das mal weiter«, sagt Hartenfels und drückt Petersen das Foto von Evelyn Köhler in die Hand, »und dann bis später.« Er dreht sich um und läuft die Wiese hoch. Was Petersen gesagt hat, muss er erst einmal verdauen.

Während Hartenfels sich durch den Schnee kämpft und ab und zu eine kurze Pause macht, um zu verschnaufen, merkt er, dass die Lage sich ziemlich verändert hat. Neben den zwei Polizeifahrzeugen sind mehrere Mannschaftswagen abgestellt, und auf halber Höhe der Wiese stehen Dutzende Beamte in einer langen Reihe, die bereit sind, in alle Richtungen auszuschwärmen. Noch arbeitet die KTU und hat keine Freigabe erteilt. Hartenfels entdeckt Reschke, die mit ihrer Kamera hantiert, und ein Zelt, das den Fundort der Leiche gegen den stetig fallenden Schnee abschirmt. Stimmen dringen an sein Ohr, die Geräusche sind gedämpft, Reschke bemerkt ihn und macht sich an den Abstieg.

»Ich bin fertig, Chef«, sagt sie, als sie ihn erreicht hat, und verkündet, dass sie zwecks Bildbearbeitung zurück ins LKA will.

Hartenfels weiß, dass sie sich Mühe geben wird, den Toten so lebensnah wie möglich abzubilden. Reschke ist eine Künstlerin auf ihrem Gebiet und kommt selbst mit entstellenden Verletzungen zurecht.

Hartenfels informiert Reschke, dass Petersen ein Foto der vermissten Frau hat, und lässt sie ziehen, bloß den Wagen, der vor dem Viktoriapark steht, möchte er behalten. Er will unbedingt noch zu Meister nach Hause. Reschke ist das egal, es sind genug Kollegen vor Ort, irgendjemand wird sie sicher mitnehmen.

Nachdem das Gespräch beendet ist und Hartenfels sich wieder dem Fundort der Leiche zuwendet, sieht er, dass der Zinksarg schon bereitsteht und soeben angehoben wird. Überall ist der Schnee zertrampelt, Spuren, die sich rasch unter neuen Flocken verlieren.

Das sind denkbar schlechte Bedingungen, um eine verschwundene Person zu suchen, denkt Hartenfels, gibt aber trotzdem das Zeichen.

Die KTU ist fertig und die Beamten, die sich in einer Reihe aufgestellt haben, marschieren los. Hartenfels hört Kommandos, die von schlechtem Funkkontakt zerhackt sind, beobachtet, wie der Sarg zum Transport verstaut wird.

In den Obduktionssaal zu Petersen, geht ihm durch den Kopf, und er bekommt eine Gänsehaut.

Hartenfels bleibt noch ein paar Minuten stehen, Schnee fällt und fällt. Irgendwann ist die Suchmannschaft hinter dem Denkmal auf der Spitze des Bergs verschwunden, und es wird so still, als wäre nichts geschehen.

4. Kapitel

Meister sitzt mit seinem Hund im Polizeifahrzeug und sieht aus dem Fenster, ohne seine Umgebung wahrzunehmen, so versunken ist er in seine Gedanken. Er geht Optionen durch. Für Hartenfels. Wie lange wird er überleben? Wann bringt er ihn um? Meister macht das oft, wenn er jemand kennenlernt. Als Schriftsteller hat er Macht über seine Figuren. Es kann aber auch vorkommen, dass eine Figur ein Eigenleben entwickelt und Forderungen stellt. Meister überlegt, ob Hartenfels so eine Figur sein könnte. Hat Hartenfels das Zeug zum Helden?

Meister schüttelt den Kopf und blinzelt. Dazu ist er viel zu dick. Außerdem hat Hartenfels etwas Somnambules, schien gar nicht gemerkt zu haben, dass es schneit. Meister denkt an die aufgeweichten Halbschuhe und die durchnässte Lederjacke. Dann lächelt er, weil ihm Peter Falk einfällt. Bei Peter Falk war alles Tarnung. Er tat nur so, als wäre er zerstreut. In Wahrheit arbeitete Falks Verstand wie ein Uhrwerk. So gut kennt er Hartenfels nicht, kann sich jedoch vorstellen, ihm etwas ähnlich Doppelbödiges zu geben. In Meisters neuem Romanzyklus fehlt ein überzeugender Schurke.

Schurken sind schwieriger als Helden, findet er.

Noch einmal denkt er an Hartenfels’ kahl rasierten Schädel, seine riesigen Hände und die fleischige Nase. Meister fragt sich, ob Hartenfels bloß fett ist oder ob mehr dahintersteckt. Auf jeden Fall hat sich Hartenfels markante Züge bewahrt, was eindeutig gegen Adipositas spricht. Er hat kein zweites Kinn, seine Gesichtskontur ist scharf gezeichnet. Außerdem haben Dicke oft Augen, die wie Rosinen im Fleisch stecken, findet Meister, so eingesunken und klein wie sie sind. Hartenfels’ Augen sind groß und leuchtend Blau. Wahrscheinlich ist er ein ernst zu nehmender Gegner. Meister stellt sich einen Sumoringer vor, der statt des üblichen Ballonschädels Hartenfels’ Züge trägt, und pfeift durch die Zähne.

Nicht schlecht, denkt er.

Meister stützt seinen Kopf in die rechte Hand und legt ihn schräg, unter dem Tisch gähnt Zerberus geräuschvoll. Weil Meister Fantasy schreibt, stattet er Hartenfels mit Schwert und Dolch aus, auch eine Kopfbedeckung könnte Wunder wirken. Meister legt die Stirn in Falten. Was soll er tun, um den Fiesling aus Hartenfels hervorzukitzeln? Steckt überhaupt ein Fiesling in ihm? Meister versucht, sich Hartenfels’ Gesicht vorzustellen, wenn es sich vor Wut und Ärger verzerrt. Irgendwie will es ihm nicht gelingen. Hartenfels scheint eher der Typ »Buddha« zu sein, von unerschütterlicher Ruhe. Aber das kann täuschen.

Meister reibt sich das Kinn. Der Mann ist wirklich schwierig einzuschätzen.

Ganz anders als der kleine Gerichtsmediziner, mit dem er weggegangen ist, denkt Meister.

Petersen ist der aalglatte Typ, akkurat, penibel und eingebildet. Für so eine Figur gibt es immer eine Nische. Spion, Zuträger, Intrigant sind die passenden Oberbegriffe. Und obwohl Petersen schmal und schlank ist, hat er genau die Augen, die eigentlich zu Hartenfels gehören: tief in ihren Höhlen liegende kleine schwarze Murmeln.

Vielleicht sollte ich beide Figuren vermischen, überlegt Meister. Doch dann kommt ihm eine andere Idee. Was wäre, wenn er den Kommissar und den Rechtsmediziner als Paar konzipierte? Zusammen könnten sie wirklich diabolisch sein, denkt er, allein eher nicht.

Hartenfels fehlt die nötige Verschlagenheit und Petersen ist für sich genommen ein Witz. Aber als Duo infernale? Meister sieht einen zwergenhaften Mann, der seinem Herrn Pläne einflüstert, die so schwarz sind wie die Nacht.

Das könnte gehen, denkt er.

Es ist überhaupt ein netter Einfall, die Rolle des Bösewichts durch zwei zu teilen. Das eröffnet eine Menge Spielraum, besonders wenn Meister seine Leser erst im Laufe des Romans darüber ins Bild setzt. Zwei Täter haben ein enormes Potenzial, weil jeder für sich so lange unverdächtig bleibt, bis man seinen Partner kennt.

Meister verzieht seine Lippen zu einem Lächeln, schließt die Augen, lehnt sich zurück und tastet mit der Hand nach seinem Hund. Zerberus schnellt hoch und leckt sie ab. Meister tätschelt Zerberus den Kopf, bückt sich und fährt ihm über seinen Rücken, klopft seine Rippen.

»Das hast du gut gemacht«, lobt er den Rüden.

Zerberus versucht, sich umzudrehen, am liebsten würde er Meister seinen Bauch hinhalten, doch der Platz reicht nicht.

Meister schaut auf die Uhr und gibt Hartenfels noch fünf Minuten. Wenn er in fünf Minuten nicht wieder da wäre, würde er sich mit Zerberus auf den Weg nach Hause machen. Nach zwei Minuten öffnet sich die Schiebetür des Bullis, magisches Denken hilft immer.

Hartenfels blickt sich einmal im Wagen um und meint dann, dass er Meister gern einen Besuch in seiner Wohnung abstatten würde.

»Vielleicht findet sich dort ja irgendein Anhaltspunkt bezüglich Ihrer Freundin«, schließt er, »die Suche hier dauert nämlich noch.«

Meister nickt. Das trifft sich gut. Zerberus ist schon aus dem Fahrzeug gesprungen.

Sie gehen nicht zu Fuß, sondern fahren mit einem Zivilwagen der Polizei, der direkt vor dem Viktoriapark steht. Meister und Hartenfels vorn, Zerberus hinten.

Eine schöne Sauerei, denkt Meister, der Hund ist klatschnass vom vielen Schnee. Aber es ist ja nicht weit, nach wenigen Augenblicken ist die Fahrt zu Ende. Hartenfels stellt den Wagen reichlich unkonventionell direkt vor einem der großen Portale ab, die in den Innenhof des Hofgartens führen, und Meister geht voraus. So verschneit wie alles ist, wirkt das alte Gebäudeensemble wie aus einer anderen Welt. Bloß der moderne Kubus, in dem sich ein Kino befindet, ragt fremd und reichlich unpassend in die ausladende Freifläche, die auch deshalb so groß ist, weil ein Seitenflügel im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut worden ist. Es gibt Raum für einen Spielplatz und sogar Bäume. Übrig geblieben ist trotzdem genug. Auf drei Seiten ragen Häuser mit aufwendiger Stuckverzierung in die Höhe, der einheitlich sandfarbene Ton, in dem sie gehalten sind, verleiht ihnen zusätzlich Atmosphäre.

Seit Zerberus aus dem Auto gesprungen ist, gebärdet er sich wie wild, und Meister hat Mühe, angesichts des herumtollenden Hundes zu dem Treppenhaus zu kommen, das zu seiner Wohnung gehört. Der Polizeibeamte, der sich davor postiert hat, geht vorsichtshalber in Deckung.

»Haben Sie keine Leine für Ihren Hund dabei?«, fragt Hartenfels.

»Die hat Evelyn«, antwortet Meister, »aber keine Sorge, ich habe ein paar Ersatzleinen.«

Meisters Penthouse verfügt über einen eigenen Aufzug, der direkt zu ihm führt. Nur er hat den Schlüssel und es gibt nur einen Knopf, den er drückt, wie immer zufrieden mit so viel Exklusivität. Es hat ihn eine hübsche Stange Geld gekostet, die er auf den Kaufpreis für Wohnung und Aufzug legen musste, um das Rennen zu machen. Doch es hat sich gelohnt.

Meister öffnet seine Wohnungstür und Licht flutet ihnen entgegen. Statt Mauern besitzt sein Domizil fast ausschließlich bodentiefe Fenster und es erstreckt sich über zwei Geschosse, wovon das untere wie ein Loft gestaltet, also gänzlich ohne störende Wände ist. Noch im Eingang stehend, wählt Meister die Nummer seiner Freundin, aber alles bleibt still, nirgendwo klingelt ein Telefon.

»Vielleicht ist der Akku leer«, versucht Hartenfels ihn zu beruhigen.

»Das würde überhaupt nicht zu ihr passen«, sagt Meister und fügt hinzu, dass Evelyn eine Perfektionistin sei.

»Perfektionisten können für alle sehr belastend sein«, sagt Hartenfels leise und mehr zu sich selbst.

Meister achtet darauf, dass Zerberus im Eingangsbereich bleibt, denn der ist gefliest. Sonst gibt es in der Wohnung ausschließlich Parkett, inzwischen zerfurcht von seinen Krallen. Es muss ja nicht sein, dass das Holz auch noch nass wird.

Hartenfels fragt tatsächlich, ob er seine Schuhe ausziehen soll.

Warum nicht, denkt Meister. Auf Socken wirkt der riesige Mensch vielleicht weniger bedrohlich.

Meister lässt seine an, bloß den Mantel hängt er weg. Hartenfels fingert kurz an den Knöpfen seiner aufgeweichten Lederjacke, entscheidet sich dann anders.

»Wo ist das Zimmer Ihrer Freundin?«, fragt der Kommissar, nachdem er seine vom Schnee dunkel verfärbten Schuhe weggestellt hat.

»Wir haben keine eigenen Zimmer«, antwortet Meister.

Hartenfels bleibt einfach stehen, betrachtet die großen Panoramafenster und dreht sich langsam um seine eigene Achse.

»Schön ist das«, sagt er.

Meister folgt seinem Blick. Ringsum verglast, wie der Raum ist, hat man das Gefühl, über der Stadt zu schweben. Weil die ganze Wohnung mit Fußbodenheizung ausgestattet ist, verstellen nicht einmal Heizkörper die Sicht, die spärliche Möblierung tut ihr Übriges. Eine Sitzgruppe und ein gewaltiger Sessel, das wars. Einmal abgesehen von einem offenen Kamin, der allerdings nicht brennt.

Das gemeinsame Schlafzimmer ist oben. Oben befindet sich außerdem Meisters Arbeitszimmer, in dem er sich jedoch nie aufhält, außer er inszeniert seine Fotos. Meister schreibt im Loft, er braucht zum Schreiben so viel Raum wie möglich. Wenn es das Wetter zulässt, schreibt er auch auf der Dachterrasse, die nur von den Türmen der Kirche überragt wird, die sich gleich neben Riehmers Hofgarten befindet.

Hartenfels steht inzwischen an einem der Fenster, von wo man sie ebenfalls sieht.

»Können Sie mal nachschauen, ob etwas fehlt, das Ihrer Freundin gehört?«, fragt er. Seine Stimme ist leise und freundlich. Zu seinem ungeheuren Körper passt sie nicht.

Meister überlegt, geht dann nach oben zum Kleiderschrank. Rechts hängen ihre Sachen, links seine. Der Parka fehlt, das ist alles. Er dreht sich im Schlafzimmer um, sein Blick fällt auf die kleine Kommode mit dem Schmuck. Nichts scheint abhandengekommen zu sein. Er öffnet ein paar andere Schubladen und lässt seine Finger über Evelyns Unterwäsche gleiten, Strümpfe, Socken, Pullover, es gibt keine Lücken, die ihm auffallen würden. Anschließend geht Meister ins Bad. Evelyns Toilettenartikel stehen an ihrem gewohnten Platz. Er schiebt Parfümfläschchen hin und her, tippt gegen die Zahnbürste, unten bellt Zerberus, der weiß, dass er ohne Aufforderung nicht die Treppe hinaufgehen darf.

Meister dreht sich um und prallt fast gegen Hartenfels, der ihm gefolgt ist, ganz leise und auf Socken. Meister ahnt, dass etwas Ungeheuerliches vorfallen wird. Er kennt solche Ahnungen. In der Regel beziehen sie sich auf das, was er schreibt. Er muss ihnen nur folgen, um den Plot seiner Fantasyromane zu finden. Jetzt ist es so, als beträfe eine dieser Ahnungen auf unheimliche Weise die Realität.

»Ich weiß nicht weiter«, sagt er und stützt sich an der begehbaren Dusche ab.

Hartenfels macht einen Schritt auf ihn zu und umfasst ihn.

»Das ist alles zu viel«, flüstert Meister und hält sich an Hartenfels fest, Zerberus bellt weiter.

Nach einer Weile spürt Meister, dass Hartenfels ihn aus dem Badezimmer schiebt. Er macht sich vorsichtig los und geht die Treppe nach unten. Zerberus hat aufgehört zu bellen, kratzt stattdessen an der untersten Treppenstufe. Meister gibt ihm ein Zeichen und der Hund schießt zurück ins Loft, um mit einem Satz in seinem Körbchen zu landen, in das er sich hineinfallen lässt.

Meister blinzelt. Draußen ist es noch heller geworden, fast ahnt man die Sonne hinter den Wolken. Trotzdem schneit es nach wie vor, aber die Flocken wirken feiner, nicht mehr ganz so feucht.

»Kommen Sie zurecht?«, fragt Hartenfels.

Meister nickt und setzt sich aufs Sofa. Seine Hände steckt er zwischen die Beine, weil sie angefangen haben zu zittern. Ihm ist selber bewusst, dass sein rechtes Auge verrücktspielt. Hartenfels zuckt die Achseln und lässt sich auf das zweite Sofa sinken.

»Wie ist das Verhältnis zu Ihrer Freundin, wenn ich fragen darf?«

Meister sieht Hartenfels an. Der große Mann hat sich ausgestreckt und wirkt entspannt.

»Wie ich schon sagte«, Meisters Hände haben endlich aufgehört zu zittern, »ohne sie käme ich nicht klar.«

»Beruflich oder privat?«

»Beides.«

»So einfach?«

»Was soll daran einfach sein?«

»Ich überlege nur laut«, sagt Hartenfels, »blöde Angewohnheit von mir.«

»Auch wenn Sie es vielleicht lächerlich finden, kann ich mir ein Leben ohne Evelyn nicht vorstellen.«

»Warum sollte ich das lächerlich finden?«

»Wegen des Altersunterschieds?«

»Wenn Sie damit kein Problem haben.«

»Warum sollte ich? Für mich ist es eine Art Wunder, dass eine so junge, attraktive Frau etwas von mir will.«

»Wo haben Sie sich kennengelernt?«

»Hier im Viktoriapark. Ich war dort immer schon gern spazieren, und da haben wir uns direkt am Wasserfall getroffen, genauer gesagt an dem Bassin, das ganz unten ist. Ich werde es nie vergessen. Die Sonne ging gerade auf und sie stand da, als hätte ein Künstler für sie den Platz ausgesucht. Für mich war es wie ein Blitzschlag.«

»Und für sie?«

»Da kann ich nur spekulieren.«

»Spekulieren Sie ruhig.«

Meister beugt sich vor und sieht Hartenfels an. Der Kommissar hat die Augen halb geschlossen und es ist nicht auszumachen, ob er wie ein Schießhund aufpasst oder gleich einschläft. »Ich denke, dass es mit meinem Beruf zu tun hat«, sagt Meister.

»Sie meinen die Schriftstellerei?«

Meister nickt.

»Können Sie das genauer erklären?«, hakt Hartenfels nach.

»Wir Schriftsteller sind ein bisschen so wie Rockstars«, sagt Meister und betrachtet seine Hände, weil er weiß, wie unbescheiden sich das anhört.

»Frauen wie Evelyn sind also Groupies?«, fragt Hartenfels.

»In gewisser Weise schon«, stimmt Meister zu.

»Ist sie mit Ihnen auf Tournee gegangen?«

»Was wollen Sie hören«, Meister wird langsam ärgerlich, »dass ich ein eingebildeter Idiot bin, der nicht merkt, wenn eine Frau ihn verarscht?«

»Ist Ihnen die Idee nie gekommen?«

Meister hat es unglaublich satt. All die Spießer, die nie begreifen werden, dass manche Frauen nicht nur Film- und Popstars toll finden, sondern auch andere Künstler, Schriftsteller inklusive. Er versucht, sich zu beruhigen. Wie soll ein Polizeibeamter das verstehen? Eigentlich müsste er Mitleid mit Hartenfels haben.

»Gab es Spannungen zwischen Ihnen und Frau Köhler?«, fragt Hartenfels weiter.

Also daher weht der Wind, denkt Meister und muss sich ein Grinsen verkneifen. »Da muss ich Sie enttäuschen«, sagt er und sieht wieder hoch, »zwischen Evelyn und mir ist alles in Ordnung. Kein Streit, kein Drama, keine Eifersucht.«

»Warum ist sie dann verschwunden?«

»Ich weiß es nicht«, Meister lehnt sich zurück, »vielleicht ist ihr etwas passiert, wer weiß, wem sie begegnet ist.«

»Ziehen Sie das ernsthaft in Betracht?«

»Sie etwa nicht?«

Hartenfels rutscht nach vorn und setzt sich aufrecht hin, sucht Blickkontakt zu Meister. »Natürlich«, sagt er beschwichtigend, »wir stehen ja ganz am Anfang unserer Ermittlungen und können nichts ausschließen. Es kommt mir nur unwahrscheinlich vor, dass da draußen im Viktoriapark jemand herumlungert und darauf wartet, dass Ihre Freundin auftaucht.«

»Auf jeden Fall gehen wir regelmäßig dort spazieren«, sagt Meister mit Betonung auf »regelmäßig«.

»Haben Sie denn einen Anlass für einen solchen Verdacht?«

»Ich verdiene eine Menge mit meinen Büchern.«

»Das ist unverkennbar«, sagt Hartenfels und blickt sich ostentativ um, »aber irgendwelche Forderungen gibt es nicht, oder?«

»Bis jetzt nicht«, räumt Meister ein und wischt sich mit den Händen durchs Gesicht. »Und wenn der Mörder sich noch in der Nähe herumgetrieben hat, als ich auf die Leiche gestoßen bin?«, fragt er.

»Sie meinen auf dem Kreuzberg?«

»Genau.«

»Das wäre eine Möglichkeit«, stimmt Hartenfels zu und legt seine Stirn in Falten.

»Vielleicht hat Evelyn ihn erkannt. Und wenn nicht erkannt, dann hätte sie ihn vielleicht beschreiben können«, spinnt Meister den Faden weiter.

»Haben Sie den Mann vorher schon einmal gesehen?«, fragt Hartenfels.

»Welchen Mann?«, fragt Meister und weiß überhaupt nicht, von wem der Kommissar spricht.

»Den Toten.«

Meister schweigt. Er denkt an ein Gesicht, das voller Schnee ist. Er blickt in blaue Augen, kalt und wie gefroren. Ein tiefer Atemzug quält sich aus Meisters Lunge, und er stößt einen Ton aus, der Zerberus alarmiert. Der schwarze Hund verlässt sein Körbchen und legt seinen großen Kopf auf Meisters Knie.

»Also ja?«, hakt Hartenfels nach.

»Nein«, sagt Meister und seine Stimme klingt rau, »ganz bestimmt nicht.«

»Sind Sie sicher?«

»Ich bin sicher.«

»Ich würde Sie trotzdem bitten, mich in die Gerichtsmedizin zu begleiten, um alle Eventualitäten auszuschließen.«

»Muss das sein?«

»Freiwillig natürlich.«

»Und wann?«

»Am besten gleich.« Hartenfels wuchtet sich aus dem Sofa, Zerberus dreht sich zu ihm um.

Auf Meisters Hose ist ein nasser Fleck, entweder Schnee oder Speichel. Ihm fällt ein, dass er Zerberus noch nicht gefüttert hat. Also steht er auf und geht in die Küche. Entkernt wie der Raum ist, hat er keine Tür, alles ist offen. Meister kramt den Sack mit dem Trockenfutter hervor und füllt Zerberus’ Napf. Das Ding ist von Alessi, knallrot und mit einem Hund auf dem Deckel. Zerberus sabbert jetzt eindeutig, er sabbert immer, wenn er etwas zu fressen vor der Nase hat.

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23 aralık 2023
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9783839269268
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