Kitabı oku: «Kreuzberger Leichen», sayfa 4
7. Kapitel
Meister geht es nicht gut. Er steckt mitten im dritten Band seiner Schwertmeister-Reihe, und um ihn herum bricht alles zusammen. Wie soll er sich da konzentrieren? Zerberus lauert in seinem Körbchen und lässt ihn nicht aus den Augen. Das macht mich noch verrückt, denkt Meister. Wahrscheinlich will der Hund raus in den Park, aber da möchte er so schnell nicht wieder hin.
Meister spukt den ganzen Nachmittag ein Bild im Kopf herum, das er nicht los wird, während der Fahrt mit Hartenfels von der Gerichtsmedizin zurück nach Kreuzberg hat er darüber nachgedacht.
Vor seinem inneren Auge sieht er das von Zerberus freigescharrte Bein, bloß mit dem Unterschied, dass dieses Bein nicht einem Mann, sondern einer Frau gehört. Meister stellt sich vor, wie er zu Boden stürzt, um Hilfe zu leisten. Er fühlt seine immer kälter werdenden Hände, die im Schnee wühlen. Schnee, der zu Eis wird und ein Gesicht bedeckt, das er einfach nicht findet. Aber es muss doch irgendwo sein, Meister hält inne, um sich zu orientieren.
Er betastet das Bein, das absurderweise in einem hauchdünnen Nylonstrumpf steckt, und fährt den Oberschenkel ab. Dann verliert er die Geduld, packt die Hüften der eingeschneiten Gestalt und hievt sie nach oben. Wie in einem gewaltigen Spasmus wölbt sich die Frau in seinen Händen hoch, Schnee rutscht zur Seite und gibt einen Unterleib frei, der von einem schwarzen Rock nur notdürftig verhüllt wird. Verdreht wie der Stoff ist, zeigt er mehr, als er verbirgt.
Das ist bestimmt beim Sturz passiert, geht es Meister durch den Sinn, an etwas anderes will er gar nicht denken, wendet lieber den Blick ab, der doch alles aufnimmt, was sich im Bruchteil einer Sekunde offenbart. Nach wie vor ist der Rest des Körpers nicht zu erkennen, sein oberer Teil liegt weiter unter dem Schnee begraben.
Fast achtlos lässt Meister die Hüften los, die er eben mit aller Kraft hochgestemmt hat, und greift nach den Schultern, greift zumindest dahin, wo er sie vermutet. Irgendwie hat sich dort mehr Schnee angesammelt, vielleicht hat der Wind ihn verweht. Aber es ist windstill, nichts rührt sich, und vereinzelt fallende Flocken schweben senkrecht auf ihn und die Leiche hinunter.
Meisters Hände wühlen weiter, wühlen und fassen jetzt von der Seite her unter zwei Schulterblätter, ganz tief muss er sich über den Schnee beugen, um richtig zu greifen, fast sieht es so aus, als sei er bereit für einen Kuss, sollte der Kopf der Frau sich endlich zeigen. Doch das, was Meister emporbringt, ist so schrecklich, dass er es sofort fallen lässt. Da, wo ein Kopf sein sollte, ist nichts. Was er dem Schnee entreißt, ist ein Rumpf.
Meister macht die Augen auf und wischt sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn, dann lächelt er. Die Szene ist gut. Die Szene passt in seine Schwertmeister-Reihe.
Bloß an der Bekleidung muss er arbeiten, denkt Meister, schließlich schreibt er keine erotische Fantasy.
Als es an der Tür klingelt, springt Zerberus wie von der Tarantel gestochen auf und rast zum Eingang, wo er auf den Fliesen schlitternd zum Stehen kommt und anschlägt.
Schon wieder Hartenfels. Meister hält Zerberus mit Mühe davon ab, den Kommissar anzuspringen. Obwohl das eigentlich egal wäre, da gibt es nicht viel zu ruinieren. Hartenfels’ Schuhe haben weiße Ränder, und die Hose ist bis zu den Waden nass. Meister registriert das alles, ohne es wirklich zu sehen. Er ist in Gedanken noch bei der Frau, die kopflos in ihrem Grab aus Schnee liegt.
»Darf ich Sie noch mal stören?«, fragt Hartenfels und nestelt bereits an seinen Schuhen.
Meister nickt und geht zurück ins Wohnzimmer, Zerberus schickt er ins Körbchen.
Hartenfels lässt sich aufs Sofa fallen. Der Kommissar wirkt müde, findet Meister, der langsam in die Gegenwart zurückfindet. Blaue Augen, unter denen sich noch dunklere Ringe gebildet haben, betrachten ihn. Bei Hartenfels Fett von Muskeln zu unterscheiden, fällt Meister nach wie vor schwer. Hartenfels erinnert ihn an ein Monument, kompakt und undurchdringlich. Selbst seine Waden spannen den Stoff der nassen Hose, von Schultern, Brustkorb und Bauch ganz zu schweigen.
»Hat Ihre Freundin eigentlich einen eigenen Wagen?«, fragt Hartenfels und reißt Meister aus seinen Gedanken.
Meister schüttelt den Kopf. »Wir haben kein Auto. Macht doch hier in der Stadt überhaupt keinen Sinn.«
»Aber sie hat einen Führerschein?«
»Das schon.«
»Wir brauchen eine Liste der Personen, bei denen sie sich aufhalten könnte.«
»Ich habe Ihnen doch vorhin gesagt, dass sie keine Verwandten hat«, sagt Meister, »und die anderen Kontakte sind wahrscheinlich so gut wie alle geschäftlich.«
»Was meinen Sie mit geschäftlich?«
»Ich weiß das nicht genau. Um diesen Aspekt meiner Arbeit kümmere ich mich nicht.«
»Sie kümmern sich nur ums Schreiben?«
»So ist es.«
»Wie kommt es dann, dass es keine lieferbaren Bücher von Ihnen gibt?«
»Wer behauptet denn so etwas?«
Hartenfels erzählt von seinem Besuch in der Buchhandlung direkt nebenan. Er wirkt weiterhin entspannt, hat die Beine weit von sich gestreckt und über den Knöcheln gekreuzt.
»Ach Gott«, sagt Meister, nachdem Hartenfels geendet hat, »Sie meinen die analogen Vertriebswege. Na ja, die bediene ich nicht mehr. Die Zeit ist vorbei.«
»Was machen Sie denn sonst?«
»Das läuft heute alles über Downloads, und es ist auch kein Verlag mehr nötig, schon gar keine Buchhandlung. Frisst doch alles bloß Geld. Wissen Sie, was ein Autor an einem herkömmlichen Buch verdient?«
»Sagen Sie es mir.«
»Weniger als zehn Prozent. Der Rest geht für die Druckerei, den Buchhandel und den Verlag über den Tisch.«
»Und bei Ihrem Modell?«
»Nur ein paar Prozent für die digitale Plattform und die Onlineshops, der Rest ist für mich.«
»Also verlegen Sie sich selbst, kann man das sagen?«
»Evelyn macht das, davon abgesehen haben Sie recht.«
»Und wieso behauptet die Dame aus der Buchhandlung dann, es gäbe nichts Neues von Ihnen?«
»Keine Ahnung«, sagt Meister, »vielleicht hatte sie keine Lust, genauer nachzusehen.«
»So kam sie mir nicht vor«, wendet Hartenfels ein.
»Dann wollte sie eben nicht.« Meister wird das Thema langsam langweilig.
»Damit würde sie sich doch selbst schaden«, sagt Hartenfels und zieht die Beine heran, richtet sich auf.
»Wohl nicht«, erklärt Meister, »an mir verdient sie als Buchhändlerin keinen Cent.«
Und das ist auch gut so, denkt er.
»Und wie finden Sie Ihre Leser?«
»Über das Internet. Wie ich schon sagte, gibt es jede Menge Onlineshops, über die man Bücher anbieten kann. Zu tollen Preisen übrigens, viel kostengünstiger als im Buchhandel. Fällt ja alles weg, was sonst noch mitverdient.«
»Sprechen wir von Amazon?«, will Hartenfels wissen.
»Natürlich«, antwortet Meister, »aber die sind nicht die Einzigen und schon gar nicht die Günstigsten. Obwohl Sie da lieber Evelyn fragen sollten.«
Hartenfels’ Augen verengen sich und er zieht die Lippen nach innen, was ihm ein vollkommen anderes Aussehen gibt. Wirkt er sonst eher gutmütig und ein bisschen plump, macht er jetzt einen hellwachen, regelrecht gefährlichen Eindruck.
Als hätte er Beute gewittert, denkt Meister.
Sogar die buschigen Augenbrauen hat Hartenfels zusammengezogen. Doch so schnell wie sich seine Mimik verändert hat, verschwindet dieser Gesichtsausdruck wieder, und Meister fragt sich, ob ihm seine Fantasie einen Streich gespielt hat. Das kommt vor, weiß er.
Hartenfels stemmt sich nach oben.
»Ich will Sie nicht weiter stören«, sagt er. »Sollte ich Neuigkeiten über den Verbleib Ihrer Freundin erfahren, melde ich mich sofort. Bleiben Sie sitzen«, wehrt er ab, »ich finde allein nach draußen.«
»Ich muss sowieso eine Runde mit Zerberus drehen«, meint Meister und steht auch auf.
Er fährt zusammen mit Hartenfels und seinem Hund nach unten und macht sich, dort angekommen, gleich aus dem Staub. Richtung Viktoriapark will er ganz bestimmt nicht.
8. Kapitel
Hartenfels begibt sich sofort zum Antiquariat. Was Meister ihm erzählt hat, muss er überprüfen. Auch wenn die Buchhändlerin seine Bücher nicht besorgen kann oder will, wird sie wissen, wovon die Rede ist.
»Schön, dass Sie noch einmal kommen«, wird Hartenfels begrüßt und fühlt sich gleich wohl.
Bei Meister hat er ständig den Eindruck, dass sich die wichtigen Dinge in diesem Mann abspielen und er sie nicht herauslässt, was frustrierend ist.
»Ich bin neugierig geworden«, fährt die Buchhändlerin fort, »und habe ein bisschen recherchiert, nachdem Sie weg waren.«
»Und«, fragt Hartenfels, »haben Sie etwas von Johannes Meister gefunden?«
»Eine ganze Menge sogar.« Die Frau wendet den Blick von Hartenfels ab und widmet sich ihrem Computer. »Dieser Meister veröffentlicht beim Feind.«
»Beim Feind?« Hartenfels hätte nicht gedacht, dass es im Buchhandel so kriegerisch zugeht. Mit Büchern verbindet er eher den sanften Schein einer Stehlampe und ein Glas Wein.
»Amazon«, erklärt die Frau.
»Davon hat er auch gesprochen«, murmelt Meister.
»Wie bitte?«
»Ach nichts. Ich habe bloß laut gedacht, blöde Angewohnheit von mir.«
»Bei Amazon kann man nicht nur Bücher kaufen und verkaufen, sondern auch herausbringen«, erklärt die Buchhändlerin.
»Und das macht Meister?«
»Genau. Schauen Sie«, sie dreht den Bildschirm so, dass Hartenfels ihn einsehen kann, »hier gibt es ein paar komplette Reihen. Die letzte heißt ›Schwertmeister‹.«
»Und das passt Ihnen nicht?«
»Natürlich nicht«, sagt die Frau, »Amazon ist doch auf ganzer Linie darauf aus, Geschäfte wie meins überflüssig zu machen.«
Klar weiß Hartenfels das. Das gilt nicht allein für Bücher, sondern außerdem für Kleidung, Lebensmittel und so gut wie alles andere.
»Wie habe ich mir denn so eine Veröffentlichung im Internet vorzustellen?«, fragt er.
»Da gibt es Programme, in die man seinen Text hochladen kann. Kompliziert ist das nicht, das schafft jeder, der einen Computer hat.«
»Wissen Sie, wie groß der Markt ist, von dem wir sprechen?«
»Keine Ahnung, und ich glaube auch nicht, dass Sie irgendwo belastbare Zahlen finden. Und was würden solche Zahlen überhaupt aussagen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Buchstäblich jeder verlegt hier alles. Das geht von Gedichten über Autobiografien bis zu Science-Fiction-Romanen. Qualität sieht anders aus.«
»Qualität?«
»Es existieren doch keinerlei Filter. Keine Agenturen, die vorab Manuskripte prüfen, geschweige denn ein Lektorat. Abgesehen von der Word-Rechtschreibprüfung kümmert sich nichts und niemand um die Texte. Und nicht einmal die benutzt jeder. Wer bei Amazon veröffentlicht, sollte schon wissen, in welchem Umfeld er sich bewegt.«
»Sind Sie nicht ein wenig streng?«
Die Buchhändlerin rollt auf ihrem Stuhl ein Stückchen nach hinten, fasst sich an den Knoten, zu dem ihre Haare geschlungen sind, und sieht Hartenfels an. »Vielleicht«, räumt sie ein, »aber ich mag es nicht, wenn die Leute sich etwas vormachen.«
»Was denn?«
»Als würde jemand dadurch, dass er einen Text hochlädt, zum Schriftsteller. Und verkauft hat sich allein durch das Hochladen auch kein einziges Exemplar.«
»Es gibt doch sicher Ausnahmen?«
»Die gibt es immer.«
»Und? Ist Johannes Meister eine Ausnahme?«
Die Buchhändlerin zieht sich wieder an ihren Tisch und tippt auf der Tastatur. »Also, die Bewertungen bei Amazon sind mies, meist bloß ein oder zwei Sterne von fünf. Das Ranking ist auch unterirdisch«, meint sie, macht eine Pause und runzelt die Stirn, »und da ist noch eine Sache.«
»Was denn?« Hartenfels betrachtet die Buchhändlerin, die völlig versunken ist.
»Meister verlegt nicht bei Amazon, sondern bei einer anderen Plattform, die ihre E-Books über Amazon vertreibt. Habe ich auf den ersten Blick gar nicht bemerkt.«
Mein Gott ist das kompliziert, denkt Hartenfels und wünscht sich ein Buch aus Papier.
»Aber besorgen können Sie mir auch jetzt nichts von Meister?«, fragt er, um das Gespräch zu einem Abschluss zu bringen.
Die Frau blickt ihn an, ihre Augen hinter der schwarzen Brille sind groß und braun.
»Haben Sie einen E-Book-Reader?«, fragt sie.
»Ja«, antwortet Hartenfels, »soll im Urlaub ganz praktisch sein.«
»Stimmt«, sagt die Buchhändlerin und nickt. »Weil ich da ein paar Tricks kenne«, sie lächelt Hartenfels an, »lade ich Meisters Buch herunter und leite die Datei zum Selbstkostenpreis an Sie weiter. Was halten Sie vom ersten Band der Schwertmeister-Reihe?«
»Prima«, sagt Hartenfels, »wann wäre die Datei bei mir?«
»Geben Sie mir Ihre E-Mail-Adresse und es dauert nur ein paar Sekunden.«
»Na großartig«, sagt er und diktiert der Frau seinen privaten Kontakt, den sie gleich eingibt.
»Und los gehts«, sagt die Frau, während sie die Entertaste drückt, »Ihr Buch ist bei Ihnen.«
»Jetzt haben Sie aber gar nichts verdient?«, fragt Hartenfels, dem die Transaktion ein bisschen peinlich ist.
»Leider nein«, gibt die Buchhändlerin zu. »Aber vielleicht kaufen Sie zum Ausgleich ja noch etwas aus meinem Geschäft.«
Hartenfels nickt und stöbert ein wenig herum, wählt schließlich einen Maigret-Roman, Simenon mag er. Zumal er insgeheim findet, dass der französische Kommissar ihm ein bisschen ähnlich sieht, nur mit Pfeife und Haaren natürlich.
Hartenfels zahlt das reale und das virtuelle Buch und wird freundlich verabschiedet. Draußen dämmert es schon.
9. Kapitel
Hartenfels’ Mordkommission ist versammelt, erste Fotos und Untersuchungsergebnisse liegen auf dem großen Tisch.
»Was haben wir?«, fragt Hartenfels, kaum dass er sich einen Stuhl herangezogen hat.
»Zedernholz«, sagt Baumann, der Spezialist für Tatortberichte, ihr Neuzugang.
Bart, rasierte Schläfen und Schmachtlocke sind etwas, an das sich Hartenfels gewöhnt hat. Was er nicht schafft, ist Baumann einzuordnen. Ist er ein Nerd? Dazu würde die dicke schwarze Brille passen, die er manchmal trägt. Allerdings findet Hartenfels ihn insgesamt viel zu kräftig für einen Computerfreak. Richtig durchtrainiert sieht Baumann aus, breites Kreuz und Oberarme, die sein Jackett sprengen. Vielleicht ist er ein Hipster. Wobei Hartenfels nicht genau weiß, was das bedeutet.
»Petersen hat die Splitter in der Kopfwunde des Opfers bestimmt«, fügt Baumann gerade hinzu.
»Also nichts, was zufällig im Park herumgelegen haben könnte«, vergewissert sich Hartenfels.
Baumann schüttelt den Kopf.
»So wird aus Totschlag Mord«, brummt Hartenfels und entschuldigt sich gleich, laut gedacht zu haben …
… was eine blöde Angelegenheit von ihm sei, wie alle mitsprechen.
»Unger ist schon los, um auf dem Kreuzberg und in Meisters Nachbarschaft nach Zedern zu suchen«, sagt Baumann, sobald es wieder still ist.
Hartenfels nickt, so erwartet er das. Ihm ist wichtig, dass seine Leute selbstständig handeln. Unger ist eigentlich seine Spezialistin für Vernehmungen, dass sie sich um Bäume kümmert, ist eine Premiere.
»Was sonst?«
Reschke, die mit ihm im Viktoriapark war und dort fotografiert hat, hält ein Bild des Toten hoch. »Hat ein bisschen gedauert, weil ich ihn so lebendig wie möglich rüberbringen wollte«, sagt sie, und Hartenfels denkt, dass sich zum Glück alles immer irgendwie erklären lässt.
Die Frau mit den streichholzkurzen Haaren und der großen Nase fährt fort, dass sie gleich nach Kreuzberg will, um dort Zeugen zu suchen, die den Mann kennen.
»Leg den Schwerpunkt auf Restaurants und Kneipen«, gibt ihr Hartenfels mit auf den Weg, »bei dem Wetter, das wir im Augenblick haben, läuft kaum jemand draußen herum.«
Reschke nickt, packt die Aufnahme weg und geht. Eine Weile lauschen alle dem Stakkato ihrer Schritte.
Hartenfels wirft einen Blick in die Runde. Krämer, sein Spurensicherer, hat noch nichts gesagt.
Krämer spürt den Blick und berichtet, dass er bestätigen könne, was Petersen vermutet hat. Fundort und Tatort sind im aktuellen Fall identisch. Neben und unter der Leiche haben sich jede Menge Blutspuren erhalten.
»Und das Parfüm ist auch schon getestet«, fügt er hinzu. Weil Krämer Medikamente gegen hohen Blutdruck nimmt und zu Übergewicht neigt, ist sein Gesicht viel zu rot. Im Widerspruch dazu steht, dass ihn nichts aus der Ruhe bringen kann. Krämer sieht wie ein Choleriker aus, ist aber keiner. Mit seinem Pferdeschwanz könnte er glatt als übrig gebliebener 68er durchgehen, was jedoch genauso wenig stimmt. Hartenfels hat bislang keine Äußerung von Krämer gehört, die annähernd liberal oder gar links wäre.
»Und?«, fragt Hartenfels.
»Eine der Proben passt zu den Spuren auf der Hose des Toten, Petersen kann allerdings nicht ausschließen, dass sie aus einer anderen Flasche stammen.«
»Eher unwahrscheinlich, oder?«
»Sehr unwahrscheinlich. Zumal die Marke ziemlich selten ist.« Krämer kramt in seinen Unterlagen. »›Je reviens‹, glaube ich.«
»Fingerabdrücke?«
»Nur von Meister. Er muss eine Vorliebe für das Parfüm seiner Freundin gehabt haben.«
»Ich habe gesehen, dass er die Fläschchen angefasst hat«, sagt Hartenfels und wundert sich schon, dass Petersen sonst nichts gefunden hat.
»Gar nichts von seiner Freundin?«, fügt er hinzu.
»Meisters Frau ist nicht bei ihm gemeldet«, ergreift Baumann wieder das Wort.
»Es ist nicht seine Frau«, erklärt Hartenfels, »sondern seine Lebensgefährtin.«
»Hast du einen Namen für mich?«
»Evelyn Köhler.«
Baumann befragt seinen Laptop, zuckt dann die Achseln. »Nada«, sagt er.
»Das ist ja seltsam«, meint Hartenfels, der sich keinen Reim darauf machen kann.
»Seltsam ist außerdem, dass die Ortung des Handys, das sie benutzt, nichts ergeben hat. Es scheint den ganzen Tag nicht eingeschaltet gewesen zu sein.«
»Lass doch das Bild, das Meister uns von seiner Lebensgefährtin gegeben hat, durch die Gesichtserkennung laufen. Vielleicht bringt uns das weiter«, überlegt Hartenfels.
»Läuft schon.« Baumann drückt eine Taste und lehnt sich zurück. »Außerdem ist Unger mit dem Foto unterwegs. Sie kombiniert die Zedern mit der verschwundenen Person sozusagen.«
»Mist«, sagt Hartenfels, »Reschke hätte auch ein Foto von dieser Frau mitnehmen sollen.«
»Das hat sie«, beruhigt ihn Baumann und wischt sich die Tolle aus der Stirn.
Hartenfels ist zufrieden. Er weiß wie alle anderen, dass die ersten 48 Stunden sowohl bei einem Mord- als auch bei einem Vermisstenfall entscheidend sind. Verstreicht mehr Zeit, wird es zäh.
»Weil niemand darüber redet, nehme ich an, dass wir immer noch nichts über den Toten wissen?«
»Nein«, sagt Krämer und gähnt, ebenfalls eine Nebenwirkung seiner Tabletten. »Der Mann ist nie erkennungsdienstlich erfasst worden, und einen neuen Reisepass hat er auch nicht beantragt.«
Damit spielt er wohl auf den elektronischen Fingerabdruck an, denkt Hartenfels, es warten wahrhaft goldene Zeiten auf die Ermittler.
»Und die DAD …«, fängt Hartenfels an und meint die DNA-Analyse-Datei.
»… hat bisher nichts ausgespuckt«, ergänzt Krämer.
Dann lehnt sich Hartenfels zurück und erstattet seinen Bericht. Er erzählt von Meister und dessen selbst verlegten Büchern. Nicht ohne Stolz schließt er damit, dass er schon eins zu Hause auf dem E-Reader hat.
»Noch mal zurück zu unserem Toten«, meint er anschließend, »hat Petersen irgendwelche Fremdspuren gefunden?«
»Ach so«, sagt Krämer, der schon wieder gähnt, obwohl er nicht müde ist, wie er ständig betont, »die sind alle von Meister. Ich dachte, das wüsstest du bereits.«
»Was haben wir also?«, fragt Hartenfels, doch bevor er sich selbst antworten kann, klingelt sein Handy.
Hartenfels mag Handys nicht, weshalb man ihn so gut es geht mit Anrufen verschont. Es ist Unger.
»Chef«, hört Hartenfels, der wie üblich abgenommen hat, ohne sich zu melden, und jetzt das Handy auf Lautsprecher stellt, »ich habe einen Treffer. Meisters Frau war in letzter Zeit zweimal bei einem Italiener ganz in der Nähe des Viktoriaparks.« Sie macht eine Kunstpause. »Mit einem Mann.«
»Ruf mal Reschke an.« Hartenfels erspart sich den erneuten Hinweis darauf, dass es sich nicht um Meisters Frau, sondern seine Freundin handelt. »Sie hat ein Bild des Toten bei sich. Vielleicht passt das ja«, fügt er hinzu.
Zumindest würde das erklären, warum sich Evelyn Köhlers Parfüm an den Sachen des Toten befindet, spinnt er seinen Gedanken fort.
»Mail es mir doch«, erwidert Unger, »das geht schneller.«
Na klar, denkt Hartenfels und zeigt auf Baumann, der in seinen Computer tippt. Er fragt Unger, ob sie mit ihrer Suche nach Zedern erfolgreich war.
»Gleich«, unterbricht sie ihn, »da kommt das Foto, ich zeige es dem Wirt, Augenblick.«
Im Besprechungsraum wird es still.
»Bingo«, hören dann alle, »die verschwundene Frau war mit unserem Toten gestern und vorgestern essen. Und weißt du was?«, fügt sie hinzu. »Im Hinterhof des Restaurants, in dem sie waren, wächst eine Zeder.«
»Ich fahre noch mal nach Kreuzberg«, sagt Hartenfels, »und du begleitest mich, Krämer.«
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