Kitabı oku: «Rubine im Zwielicht», sayfa 2

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Er sah von draußen, wie Nok am Küchenfenster stand und hinausschaute. Er fühlte sich gedrängt, ihr freundlich zuzuwinken. Nok reagierte nicht. Sie beobachtete, wie Wagner steif auf seinen roten Opel Corsa zuging, die Tür aufschloss und einstieg. Als er losfuhr, setzte sich von der gegenüberliegenden Straßenseite ein weißer Mercedes in Bewegung und folgte dem Opel. Nok schüttelte mit dem Kopf und öffnete den Vorhang.

5.

Derintop war klar, dass er nicht der Einzige war, der das Geld bei Lochner suchte, das Geld seines Bruders Hakan. Also blieb Derintop nichts anderes übrig, als am hellichten Tag über Lochners Jägerzaun zu steigen. Er ging geduckt wie ein türkischer Ringer über den ungemähten Rasen. Er hatte Lochners Frau an der Vorderseite des Hauses auf dem Balkon sitzen sehen. Also war er über einen Seitenweg zur Hinterseite des Hauses geschlendert. Wie ein Spaziergänger. In solchen Situationen handelte Derintop immer mechanisch. Es gab einen Grund: das Geld, und es gab ein Ziel: das Haus. Also steuerte er darauf zu. So klar war das. Er schob die Sonnenbrille auf die Stirn. Er machte sich keine Gedanken darüber, ob ihn jemand aus den anderen Reihenhäusern sehen konnte, die – allesamt aus gelbem Klinker – entlang des Weges standen. Sobald er die Außentreppe zum Keller hinabgegangen war, war er aus dem Blickfeld. Er fasste an den Knauf der grauen Metalltür, doch der ließ sich nicht drehen. Derintop kramte in der Hosentasche nach einer Chipkarte.

Er würde einfach eindringen und sich umschauen, bis womöglich oben die Frau aufmerksam wurde. Was machte es schon, wenn er sie ein wenig unter Druck setzte. Vielleicht sollte er auch sofort nach oben gehen. Er fühlte keinerlei Skrupel, sondern sah sich eher als jemand, der in einer Art offiziellem Auftrag handelt. Er hatte das moralische Recht dazu, das war klar. Schließlich hatte Lochner seinen Bruder auf dem Gewissen und das Geld an sich genommen. Auch das war klar. Vermutlich hatte Lochner damals seinen Bruder Hakan vorsätzlich zum Tavla-Spiel ins Hotel gelockt, in der festen Absicht, ihm das Geld abzunehmen, mit allen Mitteln. Wenn es ihm nur um ein Spiel gegangen wäre, hätte man das auch im Hinterzimmer des Wettbüros erledigen können.

»Um so hohe Einsätze niemals woanders als auf neutralem Boden«, hatte Lochner in seiner arroganten Art gemeint, und Hakan war darauf eingegangen, obwohl Kemal ihn gewarnt hatte. Mit fairen Mitteln hätte Lochner es niemals geschafft, Hakan das Geld abzuluchsen, nicht gegen seinen Bruder, nicht beim Tavla. Und dann? Wo war Lochner, als Hakan von der Polizei aufgefunden wurde, mit einer Herzattacke vom Stuhl gerutscht? Wo war das Geld? Die Polizei wusste von einem zweiten Mann, der in der Nacht mit Hakan im Hotelzimmer war. Sie wusste aber nicht, wer das war. Man fand ein Tavla-Spiel, man vermutete, dass um Einsätze gespielt worden war, aber nicht, dass es hier um schlappe Hunderttausend ging.

Die Chipkarte taugte nicht. Derintop schaute über den Rasen und über den Kies, der sich in einem schmalen Streifen um das Haus herumzog. Er suchte nach einem Haken, einer flachen Metallschiene, irgend etwas, womit er sich behelfen konnte. Warum schellte er nicht einfach? Er ging die Kellertreppe wieder hoch und die Außenwand entlang. Vielleicht gab es an der anderen Seite des Hauses, an der Blautannen einen Sichtschutz zum nachbarlichen Grundstück bildeten, einen Seiteneingang. Nichts, nur ein schmaler Streifen mit grauen Gehwegplatten und zwei Mülltonnen, keine Fenster im Erdgeschoss. Er ging zurück und kam an der Terrassentür vorbei. Sie stand auf Kippe. Er drückte sein Gesicht gegen das Glas und schaute hinein. Es war niemand im Wohnzimmer. Wahrscheinlich war Frau Lochner immer noch oben auf dem Balkon an der Vorderseite. Derintop langte durch den offenen Spalt zum Fenster, das von der Tür bis zur Außenecke reichte. Er bekam den Griff mit den Fingerspitzen zu fassen. Er musste sich dazu ganz an die Glastür pressen, um überhaupt heranzukommen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, als es vorn an der Haustür schellte. Er erschrak, weil er im ersten Moment glaubte, er hätte das Läuten ausgelöst. Erst jetzt erinnerte er sich, dass soeben irgendein Auto vorgefahren und der Motor abgestellt worden war. Derintop hörte, wie innen Frau Lochner die Holztreppe herunterkam. Er ging geduckt zurück zur Hausecke.

»Tag, Frau Lochner. Tut mir leid, ich muss Sie noch einmal stören. Wir sind da leider nicht viel weiter gekommen.« Derintop hörte, wie der Mann weiter redete, während er ins Haus ging und die Tür hinter ihm zufiel. Derintop zuckte mit den Schultern, vergewisserte sich, dass die beiden nicht im Wohnzimmer Platz nahmen und er nicht durch die Terrassentür gesehen werden konnte, dann ging er gemächlich zurück über den Rasen und stieg über den Jägerzaun. Sein BMW stand direkt vor dem Wagen, der soeben gekommen war: ein dunkelgrüner Audi mit einer Polizeiplakette auf der Heckscheibe.

»Sie wissen also nicht, wohin Ihr Mann unterwegs war? Warum hat er nicht seinen Wagen genommen?« Kommissar Bärhalter war ein Mann von Mitte fünfzig, ergraute Schläfen, rotwangig von allmorgendlichen Rasuren. Er stand breit da in einem rotkarierten Baumwollhemd und einer beigen Cordhose, durchweg bieder, und verkörperte so Recht und Gesetz. Er verkörperte den Durchschnitt, der sich normal verhielt und niemals aneckte; der der unumstößlichen Meinung war, wenn man sich nichts zuschulden kommen ließ, könne einem auch niemand etwas anhaben. Ansonsten trete er auf den Plan. Nun starrte er unter buschigen Augenbrauen hervor auf die Frau, die unter ihm am Schreibtisch saß. Anna Lochner mochte vor zehn Jahren, als sie geheiratet hatte, eine schöne Frau gewesen sein. Sie hatte blondes, splissiges Haar, das in Wellen auf ihre Schultern fiel. Irgendwie erinnerte sie an Marlene Dietrich in einer tragischen Rolle. Sie war blass, eine spitze Nase, schmale Lippen, die meist in einer Art Selbststrenge aufeinander gepresst waren.

»Ich habe ihnen doch schon gesagt, dass er mir nur selten von seinen Geschäftsgängen erzählte. Nur, wenn es mal Probleme gab oder …«

»Und dann offensichtlich auch nicht. Frau Lochner, Ihr Mann ist die Treppe der Schwebebahn hinaufgejagt worden. Vermutlich hatte der Täter die Waffe schon vorher gezogen. Sonst hätte er nicht so schnell reagieren und ihren Mann erschießen können, gerade als der in den Waggon springen wollte. Und das alles mit Schalldämpfer und vor laufendem Publikum.«

»Ich dachte, niemand hat ihn gesehen?«

»Das kommt hinzu: Die Aufmerksamkeit der Leute war offensichtlich allein auf ihren Mann gerichtet. Und der Täter hat sich wahrscheinlich so geschickt in den Winkel der Treppe gestellt, dass er kaum gesehen werden konnte. Frau Lochner, das war kein Dilettant!«

Die Wände des Arbeitszimmers hingen voll von Fetischen aus allen möglichen Ländern der dritten Welt: Ebenholzmasken, Amulette, Glücksbringer aus Jade. Das kleine Fenster zur Straße ließ in Streifen Licht durch die Rolläden. Draußen fuhr gerade ein Wagen an. Laute türkische Musik schwappte ins Zimmer und entfernte sich schnell.

Anna Lochner stützte sich mit dem Ellbogen auf die Schreibtischplatte. Sie hatte rot geränderte Augen, und Bärhalter war nicht klar, ob sie um ihren Mann trauerte oder weil sie nun nicht wusste, wie es mit dem Schmuckgeschäft weiter gehen sollte.

»Frau Lochner, gab es denn da irgendwelche schärferen Konkurrenzen als gewöhnlich, oder gar Feindschaften? Ich meine, Ihr Mann handelte schließlich mit Edelsteinen und nicht mit Milch oder Butter. Ich kann mir denken, dass es da auch manchmal um sehr viel Geld ging.«

»Das ist das Bild, das man gemeinhin von der Edelsteinbranche hat. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir, zumindest was das Finanzielle angeht, nicht viel anders gelebt haben wie ein Milchhändler.«

«Schulden. Hatten Sie Schulden?«

»Hatten! Was heißt hatten? Was glauben Sie, was mir seit Tagen durch den Kopf geht? Wie ich all diese Schulden bezahlen soll! Ob ich das Haus verkaufen soll! Mein Mann war, was Finanzen anging, ein …« Anna Lochner winkte mit einer verächtlichen Handbewegung in Richtung der schwarzen Masken ab.

»Ein? Ihre Ehe war wohl nicht besonders glücklich?«

»Ich glaube, das führt uns nicht weiter, Herr Bärhalter. Wessen Ehe ist denn besonders glücklich? Ihre vielleicht?«

»Nun ja, zumindest ist es eine – wie soll ich sagen – beständige, auf festem Grund befindliche.«

Anna Lochner brach in ein lautes Lachen aus, das irgendwie hässlich klang. Ihr Gesicht war mit einem Mal verzerrt. Sie sah aus, als streite sie sich gerade und als sei Bärhalter ihr Mann.

Bärhalter stieß nach: »Sagen Sie, es gab vor wenigen Tagen einen Todesfall im Mercuria-Hotel. Junger Mann, Mitte Dreißig, türkischer Abstammung. Er wurde in einem der Zimmer tot aufgefunden. Er ist an einer Überdosis Kokain gestorben. So, wie es aussah, mitten beim Backgammon-Spiel. Mein Kollege Winterberger führt in diesem Fall die Ermittlungen. Er meint, da müsse noch jemand gewesen sein, den wir nicht kennen. Denn wer spielt schon allein? Es hat dazu einen anonymen Hinweis gegeben, einen Hinweis, dass es sich bei dem Unbekannten um Ihren Mann gehandelt habe. Frau Lochner, stand er in Kontakt mit Drogen?«

Anna Lochner war in ihrem Stuhl zurückgesackt. Sie hielt die Hände vor das Gesicht, ihre langen, dünnen Finger bedeckten die Augen, Bärhalter hört sie schluchzen. Gefühlsausbrüche waren ihm unangenehm. Er hatte außerdem im Laufe seiner Karriere gelernt, dass man an ihnen nie viel festmachen konnte. Emotionen konnten ebenso gut gespielt sein. Fakten nicht. Er dachte daran, Lochners Kontenbewegungen unter die Lupe zu nehmen und an einem anderen Tag wiederzukommen. Hier war im Moment nichts zu erfahren. Bärhalter stand auf und ging zur Tür. Die Klinke in der Hand drehte er sich noch einmal um: »Wagner, haben Sie den Namen schon einmal gehört? Jens Wagner.« Anna Lochner schluchzte weiter, während sie mit dem Kopf schüttelte.

6.

Wagner war nun schon zum zweiten Mal an diesem weißen Mercedes vorbeigelaufen, den er sich als Wendemarke ausgesucht hatte. Er bog von den Parkplätzen wieder nach rechts ab auf den Bismarckturm zu, der mit seinem verwitterten Quadergestein aus Muschelkalk das Panorama mit den südlichen Anhöhen gegenüber in zwei Hälften teilte. Obwohl das Gelände der Hardtanlagen hier oben über der Stadt ziemlich eben war, schnappte Wagner schwer nach Luft. 1,5 Kilometer, die er bis jetzt schon geschafft hatte, waren für ihn eine echte Herausforderung. Noch ein, zwei Runden, und er wollte es für heute gut sein lassen.

Seine Schritte knirschten auf dem roten Schotterweg. Wagner versuchte an nichts zu denken, weil ihm die ständige Zählerei, wieviel er noch an Wegstrecke zu absolvieren hatte, das Laufen erschwerte. Der Weizenbierbauch wackelte im Rhythmus, der runde Schweißfleck unterhalb des Brustbeins wurde immer größer. Wagner atmete nun mit offenem Mund, was er eigentlich nicht gerne tat. Er hatte Angst, dass ihm irgendwelche Insekten in den Mund fliegen könnten, wie sie das vor allem abends häufig taten. Um ihn herum waren aber-und-aber-viele Kubikmeter Raum und Luft, und diese Viecher hatten nicht Besseres zu tun, als ihm in den Rachen zu fliegen. Aber vielleicht war das auch eine Frage der Luftströmungen und -temperaturen, und wenn er hier mit 37° Grad heißem Atem daherkam, war das für einige Insekten offensichtlich eine willkommene Einladung.

Die Sonne war rot hinter den Hochhäusern der Außenbezirke untergegangen. Es war jetzt angenehm kühl, eigentlich. Schweiß lief Wagner in die Augen. Noch anderthalb Runden. Er passierte den Botanischen Garten, in dem er sich vorhin noch gezwungen gesehen hatte, dieser Führung zu einem Streifzug durch die Welt von Sumatra beizuwohnen. So nannte man die neue Ausstellung im großen Gewächshaus. Witzleben, seine Chefredakteurin hatte ihn hierher geschickt, und Wagner hatte beschlossen, das Berufliche mit dem Privaten zu verbinden, und seine Laufschuhe auf den Rücksitz seines Wagens geworfen. Wagner fragte sich, wieviel man eigentlich ausschwitzen konnte, ohne zu kollabieren. Allein die tropischen Temperaturen im Gewächshaus und die endlosen Ausführungen des Biologie-Professors der Universität, der seinen Vortrag sichtlich genoss und stundenlang über den Werdegang einer Würgefeige referierte. Wagners Bleistift raschelte flink über den Notizblock. Das Diktiergerät hatte er nicht für notwendig erachtet, was sich nun als Fehler herausstellte. Das Leben einer Würgefeige stellte sich doch als einigermaßen interessant dar. Gleichzeitig sprudelte es nur so aus dem kleinen, bebrillten Professor heraus, der bei diesen Temperaturen zu einem lindgrünen Seidenhemd tatsächlich einen Schlips trug, einen exotisch anmutenden mit prallen Farben. Wagner war genötigt, sich zwischen die Kollegen der Konkurrenz zu schieben und nahe an den Professor heranzurücken, weil gleich neben der Würgefeige das Dschungelgebirgsbachimitat in einiger Lautstärke sprudelte.

Soweit Wagner es nun verstanden hatte, war aller Anfang einer Würgefeige ein Vogel, der die Frucht besagter Feige aß und seinen Kot irgendwann irgendwoanders niederließ, egal ob auf einem beliebigen Tropenbaumblatt oder auf dem Urwaldboden. Daraus entspross nun im Laufe der Zeit eine kleine Feige, die sich am Wirtsbaum gütlich tat, indem sie als Luftwurzel dem Boden entgegenwuchs, dann wieder aus dem Boden herauswuchs und mit der Zeit immer größer, länger und stärker wurde und bald anfing, den Wirtsbaum zu umschlingen, an ihm emporzuwachsen, dem Licht entgegen. Alle im Gewächshaus schwitzten und schrieben in ihre Notizblöcke. Jene mit Diktiergeräten ärgerten sich über die laute Klimaanlage und dieses blöde Gebirgsbachimitat. Der Professor stand mit schlohweißen Haaren direkt unter der Würgefeige, und Wagner stellte sich vor, wie diese Feige sich allmählich von oben an diesen Schlaumeier heranmachen würde. Dann wieder notierte er, dass irgendwann im Laufe der Jahre die Würgefeige, die nun ständig am Wirtsbaum auf und ab wuchs, ein eigenes Gehäuse gebildet hatte, das jenen einschloss und ihm Luft und Licht nahm. Endlich würde nach Jahrzehnten der alte Wirtsbaum in sich zusammenfallen und die Würgefeige sich vollends dessen Energiequellen bedienen. »Meine Damen und Herren, womit wir, wenn wir das alles im Zeitraffer bestaunten, ein wunderbares Zeugnis natürlichen Kommens und Gehens vor Augen hätten, wie man es so rein und unabänderlich und gleichzeitg so brutal nirgendwo wie hier im Urwald erlebte.« Der Professor ließ den linken Arm wie zu einem fallenden Vorhang sinken, und Wagner sah sich endlich nicht mehr gezwungen, ständig auf den wachsenden Schweißfleck zu starren, der sich auf dessen Hemdstoff unter der Achselhöhle gebildet hatte. »So weit, so gut«, der Professor rückte energisch den Schlips am Knoten zurecht. Er kam sichtlich in Form und marschierte über die Gehwegplatten voraus auf eine Gruppe verschiedener Farne zu. »Wenn wir aber nicht auch die Welt der Farne beleuchtet haben, werden wir das ganze System im tropischen Regenwald nicht verstehen.« Wagner hatte genug. Schweißüberströmt suchte er den Ausgang und hatte ihn endlich gefunden, indem er einfach entgegen der Richtung der roten Pfeile lief. Er atmete tief die frische Luft ein, als er draußen vor der gläsernen Tür stand. Erste Schlagzeilen taten sich auf: Langes Sterben in der grünen Hölle. Oder Wenn Pflanzen zu Kannibalen werden.

Wagner machte an den Rhododendronbüschen kehrt und hielt nun wieder auf den weißen Mercedes zu, der oberhalb der Parkanlagen an einer Steinmauer stand. Es wurde bereits dunkel. Wagner ärgerte sich über seine Chefredakteurin, dieses bullige Wesen, an dem niemand vorbeikam und das die Sätze mit ihren dicken Fingern in die Tastatur hieb, und immer an den Manuskripten anderer herumnörgelte, sie wegbellte. So wie Wagners Reportage zum diesjährigen Schützenfest, die sie ihn x-mal hatte umschreiben lassen, weil ihr der Text nicht bissig genug war. Schließlich gebe es gerade dieses Jahr ja auch Kritisches zu vermerken, erklärte sie, stand breitbeinig im Türrahmen und nestelte mit einer Hand an ihrer neuen Pagenfrisur, die sie noch dominanter aussehen ließ als ohnehin. Was sei denn mit diesen Gerüchten um mangelnde Sicherheit bei der Achterbahn und den Unregelmäßigkeiten bei den Losbuden, die merkwürdig wenig Gewinne auswarfen? Aber gut, wenn Wagner es eben nicht besser könne, werde sie diese letzte Fassung als Grundlage nehmen, aber mehr auch nicht.

Wagner schnaufte die leichte Steigung hinauf, an der großen Buche vorbei, die den Weg vor ihm verdunkelte. Er war nun allein im Park, im Tal blinzelten erste Straßenlaternenlichter. Noch etwas mehr als eine Runde. Mücken begannen aufzusteigen.

Was ihn aber eigentlich an dieser Bulldogge von einer Redakteurin aufregte, war, dass sie nicht auf seinen Vorschlag eingegangen war, als er versucht hatte, die Reportage zum Mord in der Schwebebahn an Land zu ziehen. Immerhin sei er ja selber Zeuge gewesen, hatte er sich gebrüstet. Er spüre, dass verdammt viel dahinter stecke, er würde da gern recherchieren, und hatte einen listigen Gesichtsausdruck versucht. »Verdammt viel dahinter?« hatte sie geblafft. »So wie hinter Ihrer Reportage über das Schützenfest, ja?« Wagner hätte beinahe damit geprahlt, dass es ihm immerhin schon gelungen sei, eine Herrentasche und Edelsteine an sich zu bringen, hielt sich aber im letzten Moment noch zurück. Stattdessen hatte die Chefredakteurin ihn hierher in den Botanischen Garten zu diesen lächerlichen Würgefeigen geschickt. »Da, lieber Freund, können Sie sich beweisen. Vielleicht findet sich ja im Dschungeldickicht was Interessantes über die Verstrickungen der Universität mit dem Förderverein, bei dem man sich fragt, wie die es schaffen, immer wieder öffentliche Gelder für den Botanischen Garten loszueisen. Gehen Sie mal hin, und das mit der Schwebebahn, das kann Buchholz machen, der kennt sich mit so was aus.«

Wagner bog schnaufend zur letzten Runde ein. Der nasse Fleck auf dem T-Shirt war inzwischen größer geworden. Wagner fragte sich, ob es in Thailand auch Würgefeigen gab, das war ja gewissermaßen gleich bei Sumatra um die Ecke. Zumindest was Flora und Fauna anging. Er würde Nok fragen und stellte sich vor, was daraus würde, wenn er die Würgefeige Noks wäre. Es waren die typischen Phantasien eines Erschöpften.

Wagner war zwanzig Meter vor dem Mercedes, als er sah, wie jemand dem Wagen entstieg. Eigentlich sah er das nur aus den Augenwinkeln, er war mittlerweile zu ausgelaugt, als sich auf etwas anderes konzentrieren zu wollen als auf das Laufen. Er hörte nur ein paar Schritte auf dem Schotter, die auf ihn zukamen. Als er dann doch den Kopf hob, sah er einen breitschultrigen Mann direkt auf sich zukommen. Schütteres Haar und das rote Gesicht eines Menschen mit zu hohem Blutdruck. Graue Brusthaare quollen aus dem offenen Hemd hervor. Der Mann stank schon aus der Entferung von fünf Metern nach billigem Parfüm. Er stelzte merkwürdig steif mit herunterhängenden Armen auf Wagner zu, der langsam begriff, dass der Mann etwas von ihm wollte. Er überragte Wagner um einen Kopf und schaute hasserfüllt auf ihn herab.

Wagner versuchte, den Mann zu ignorieren und ihm mit einem Ausfallschritt auszuweichen. Doch einer der behaarten Arme zog ihn einfach am T-Shirt zu sich heran. Wagner roch Schnaps. Der Mann holte aus und schlug ihm mit der rechten Faust ins Gesicht. »Pass auf, du Armleuchter!« Wieder schlug er zu, die Lippe platzte auf. Wagner schmeckte sogleich das Blut, das ihm übers Kinn lief. »Hör genau zu! Wenn du deine Drecksfinger nicht von meiner Frau lässt, mache ich dir die Hölle heiß. Dagegen ist das hier nur‘n Vorspiel.« Der Mann nahm Wagner jetzt in den Schwitzkasten und schleuderte ihn wütend herum. »Hast du mich verstanden, du Sau? Keine Besuche mehr, nicht einen!«

»Ja, aber wo denn?« Wagner bekam kaum Luft. Er hätte sich am liebsten fallen lassen.

»Komm mir nicht so blöd. Meinst du, ich kenn Leute wie dich nicht? Geiles Pack! Euch läuft doch schon der Seiber im Mund zusammen, wenn ihr nur ne Thailänderin seht. Also, letzte Warnung!« Der Kerl hielt Wagner weiter in der Mangel, holte zu einem Uppercut aus und traf ihn genau auf das linke Auge. Dann ließ er ihn fallen. Wagner hörte, wie sich der Mann auf dem Schotter entfernte, er hörte die Tür des Mercedes zufallen und den Motor anspringen. Dann setzte der Wagen zurück, spendierte Wagner eine Portion Auspuffgas und rollte davon.

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