Kitabı oku: «Herausforderungen der Wirtschaftspolitik», sayfa 3

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Praktisch kommt es mitunter noch schlimmer. Das folgende Fallbeispiel, mit dem Managementstudenten zu Beginn Ihrer Ausbildung konfrontiert werden, illustriert drastisch das Dilemma, dass persönliches Tun unvermeidbare Nachteile für Dritte nach sich ziehen kann bzw. ziehen muss. Hier in Kurzfassung eine der zahlreichen Versionen des Problems:

Sie fahren mit dem Auto schnell (ob zu schnell oder nicht ist grundsätzlich völlig egal), als Ihnen plötzlich ein Kind, das seinem Ball hinterherläuft, vor Ihr Auto läuft. Bremsen ist keine Option, Sie haben nur die Alternative, scharf nach links auf den gegenüberliegenden Gehweg zu ziehen, um das Leben des Kindes zu retten. Dann überfahren Sie aber ein älteres Ehepaar, das dort Spazieren geht. Es würde Ihnen auch nicht helfen, über weiteres Wissen zu dem Ehepaar zu verfügen, z.B. dass es zwei Kinder, deren Eltern verstorben sind, betreut, oder selbst schwer krank ist … Egal wie Sie es drehen und wenden: Es gibt keine richtige Entscheidung! Weitergehende Überlegungen zu ethischen Fragen folgen in Abschnitt 1.2.

Stellen Sie sich nun unabhängig von der Corona-Krise vor, Sie wären Mitglied des Deutschen Bundestages und sollten sich (rasch!) eine Meinung zum Atomausstieg, zur Gentechnologie, zum Grexit und/oder Brexit, zu den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien oder den zukünftigen Beziehungen zu Russland bilden und danach mit Ja oder Nein über von der Regierung vorgeschlagene Entwürfe abstimmen. Ihre Meinung wird dann anschließend in ein Votum übersetzt, welches wiederum Auswirkungen auf die Geschicke Deutschlands, der EU und (vermutlich auch mindestens kurzfristig) auf Ihr eigenes berufliches Fortkommen nehmen kann.

Das Beste, was Ihnen (bzw. dem Staat) in dieser fiktiven Situation passieren kann, sind hoch qualifizierte loyale Berater oder Staatsangestellte (die natürlich auch Fehler machen können), auf die Sie sich verlassen können. Völlig unabhängige Berater gibt es natürlich nicht, aber das gut bezahlte und geachtete Berufsbeamtentum ist sicherlich eine „vernünftige“ Art und Weise, Berater und Administratoren, die „nicht zu abhängig sind“, an einen Staat und damit an ein Gemeinwesen zu binden. Diese Aussagen können Sie übrigens bereits aus der Gedankenwelt des zweifellos einflussreichsten Philosophen der Menschheitsgeschichte ableiten, dem vor ca. 2500 Jahren lebenden Konfuzius. Wir werden Konfuzius nicht nur in Kapitel 13, das China gewidmet ist, wiederbegegnen.

Ein Plädoyer für das Studium der Wirtschaftsgeschichte

Aus der Mikroperspektive stellt sich die Betrachtung von Wendepunkten in der (Wirtschafts-)Geschichte äußerst schwierig dar. Während die Just-in-Time Produktion bereits in den 1970er Jahren von Toyota (als Toyota nur in Japan produzierte) eingeführt wurde, scheint mit dem Auftauchen von Computern, die leistungsfähig genug waren, um größere praktische Probleme zu lösen, in den 1980er Jahren eine echte technologische Wende eingeleitet worden zu sein. Hier begann also, lange vor dem inflationären Gebrauch des Wortes disruptiv, Quantität in Qualität umzuschlagen.

Mathematische Laien können kaum eine Vorstellung von der „Mächtigkeit“ vieler realer Probleme haben, die erst durch leistungsstarke Computer (zumeist leicht und auch noch schnell) lösbar geworden sind. So wurde Harry Markowitz für seine Arbeiten zur Portfolio Selection (auf deutsch in etwa optimale Kombination von risikobehafteten Anlagen) aus dem Jahre 1952 im Jahre 1990 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft geehrt. Bis zum Auftauchen entsprechender Rechentechnik war seine Arbeit weitgehend „nette Spielerei“, erst in den 1980er Jahren konnte sie praktisch angewandt bzw. umgesetzt und damit überprüft werden. Anfang der 2000er Jahre führte eine Arbeit zur Optimierung der Raum- und Stundenplanung an großen Gymnasien noch zu einem Doktorgrad der Wirtschaftswissenschaft an der FU Berlin. Eine Lösung dieses Problems sollte heute gut in einer Bachelorarbeit hergeleitet werden können.

Nachdenken darüber, ob und inwieweit es Zusammenhänge zwischen dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit des Ostblocks und der Technologierevolution, die bereits einige Jahre zuvor im Westen eingeleitet wurde und die Ende der 1980er Jahre rasant Fahrt aufnahm (Stichwort Moore’s Law15), kann nicht Gegenstand der hiesigen Erörterungen sein. Tatsache war aber, dass der Zugang zu Millionen neuen potenziellen Kunden und neuen natürlichen Ressourcen bei dem gleichzeitigen Technologiesprung der Rechenleistung für westliche Firmen zeitlich zusammenfielen. In diese Zeit fällt die sprunghafte Entwicklung weltweiter Lieferketten. (Vorhergehende erfolgreiche Versuche internationaler Arbeitsteilung im größeren Maßstab datieren wiederum auf die frühen 1970er Jahre, als Singapur, Hongkong und Taiwan billige Kleidung und Spielzeuge nach Nordamerika und Westeuropa zu exportieren begannen. Zu genau dieser Zeit kamen übrigens die ersten Containerschiffe in Gebrauch. Mehr dazu in Kapitel 6.)

Jedes (wirtschaftswissenschaftliche) Modell ist eine vereinfachte Darstellung der Realität, das im Allgemeinen entweder darauf zielt, Vergangenes zu erklären und/oder Zukünftiges (hinreichend gut) zu prognostieren. Wir werden die Entwicklung des Welthandels in Verbindung mit den Konzepten der Opportunitätskosten und der komparativen Vorteile in Kapitel 5 und im Exkurs zu Kapitel 8 mit Hilfe des Ricardo-Modells des internationalen Handels diskutieren, eines Modells, das uns, weil es so einfach ist, erlaubt, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Es wird uns bei der Gewinnung zahlreicher qualitativer Einsichten helfen; warum wir Schuhe tragen, die in Bangladesch gefertigt wurden, wie es zum Rust Belt in den USA gekommen ist und auch warum es in Osteuropa zur Zeit viel zu wenige Ärzte gibt. In diesem Zusammenhang werden wir uns auch mit den vier Grundfreiheiten der EU, dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen beschäftigen müssen.

Über fünf Jahrzehnte war die Globalisierung, verstärkt durch den Eintritt ChinaChinas in die Weltwirtschaft, der Treiber des Welthandels. „Billiglohnländer“ zogen Produktionsstätten an, und die Industrie verlagerte die Fertigung auf viele Standorte. Die arbeitsteilige SpezialisierungSpezialisierung der Weltwirtschaft der vergangenen zwei Jahrzehnte basierte dabei wesentlich auf sogenannten komparativen Kostenvorteilen. Substanzielle Puffer waren in den Optimierungsmodellen nicht vorgesehen (wofür nicht die Mathematiker verantwortlich gemacht werden sollten). Tatsächlich haben wir nicht nur bezüglich der Arzneimittelherstellung – Ende Februar 2020 wurde z.B. bekannt, dass wesentliche Grundstoffe aus China und Indien nicht geliefert werden konnten – verstehen müssen, dass wir es mit der Just-in-Time-Methode und der Abschaffung kostenträchtiger Lager übertrieben haben. Das heißt ganz sicher nicht, dass wir zukünftig wieder Lager und Vorräte wie zu Großmutters Zeiten anlegen werden; ganz sicher aber werden die Produktionsmodelle in Zukunft mehr Wert auf Robustheit legen. Genau diese Schlussfolgerung – Stichwort Ausschaltung systemischer Risiken – wurde nach der vorherigen Krise auch auf das Weltfinanzsystem gezogen. Dass in der westlichen Welt einiges überreizt wurde und „dass es so nicht weiter gehen könne“, erkannte der Frontmann der US-amerikanischen Manager, J. P. Morgans CEO Jamie Dimon, übrigens bereits einige Jahre früher.16[1]

Den Blick nach vorn

Europas große Stärke und Schwäche zugleich im Vergleich zu den USA und China war und ist seine Heterogenität. Es wird vielerorts nicht nur eine unterschiedliche Rechtstradition gepflegt, in den großen europäischen Staaten Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien enstanden historisch sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Rolle des Staates in der Gesellschaft. Dezentralität oder Diversität kann im europäischen Kontext aber nur dann einen Vorzug darstellen, wenn es ein einigendes Band gibt. In weniger turbulenten Zeiten waren dies die europäischen Werte (mehr dazu gleich in Kapitel 1), die auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität beruhten.

Auch wenn die öffentliche Debatte über die Zukunft der Europäischen Union und der Eurozone diese Konsequenz nur in wenigen Momenten anklingen lässt: Wir werden uns mittelfristig mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit entweder in einer (Teil-)Fiskalunion wiederfinden oder die Eurozone und mit ihr die Europäische UnionEuropäische Union/EU wird an den existierenden und sich verstärkenden Fliehkräften zerbrechen. Spätestens diese Erkenntnis sollte uns dazu bewegen, ein deutlich verstärktes Interesse am Wohlergehen unserer Nachbarn im erweiterten Sinne zu entwickeln. Schadenfreude jeder Art (oft die süd- und südosteuropäischen Länder betreffend) ist hier nicht nur unangebracht, sondern frei nach Frankreichs legendärem Polizeiminister Joseph Fouché schlimmer als ein Verbrechen, sondern ein Fehler. Denken Sie an John Donnes Gedicht.

Tatsächlich lässt insbesondere der Mangel an Solidarität lange vor der Corona-Krise langfristig wenig Gutes für die EU ahnen. In den vergangenen Jahren haben hochrangige EU-Beamte ChinaChina – mit triftigen Gründen – als systemischen Rivalen bezeichnet, der oft unfair konkurriere und der versuche, den europäischen Integrationsprozess durch den Einsatz von „Trojanischen Pferden“ zu untergraben. Tatsache ist, dass China über die Belt and Road Initiative (BRI) und das 16 + 117 Format in Brüssel (im Unterschied zu Russland) indirekt mit am Tisch sitzt, Tatsache ist aber auch, dass sowohl Italien als auch der EU-Aspirant Serbien ihre erste substanzielle Hilfe bei Seuchenausbruch aus China und danach aus Russland und nicht von einem ihrer europäischen Partner erhielten. Als die europäischen Partner begannen, Hilfe zu organisieren, war die Frage der Macht der Bilder bereits beantwortet. Dies ist gerade deshalb erwähnenswert, weil die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland bis zur Corona-Krise als langfristig positiv stabil galten.

In diesem Text werden Sie Verweise auf eine Vielzahl von Denkern finden, in zeitlicher Reihenfolge bei den Philosophen Lao-Tse, Konfuzius, Platon und Aristoteles beginnend und über die Philosophen John Locke und Immanuel Kant hin zu Vertretern der Nationalökonomie (ein alter schöner Begriff für die Volkswirtschaftslehre) wie Karl Marx, John Maynard Keynes, Milton Friedman, Walter Eucken, Nicholas Georgescu-Roegen und weiter zu zeitgenössischen Denkern aus verschiedensten Wissensgebieten wie Robert Skidelsky und Daniel Kahneman (Ökonomie und Psychologie), Peter Watson (Wissenschaftsgeschichte), Christopher Clark, Ian Morris, David Landes und Noah Yuval Harari (Geschichte), Hans Christoph und Mathias Binswanger, Hans-Werner Sinn, Thomas Straubhaar und Peter Bofinger (Ökonomie und Politikberatung), Hal Varian (Ökonom und Google-Vorstand), Joseph Stiglitz (Ökonom und Regierungsberater), Boris Palmer (Politiker), Dirk Müller (Unternehmer und Publizist), John Hattie (Bildungsforscher) und Paul Collier (Migrationsforscher) kommend. Verbindend bei allen zitierten Denkern ist der Wille, eine Gesamtschau von Mensch und Gesellschaft zu entwickeln. Wenn Ihnen ein oder mehrere Autoren dieser unvollständigen Referenzliste unpassend bzw. „anstößig“ erscheinen, sollten Sie sich vor Augen halten, dass man nur seriös bewerten darf, was man selbst gelesen hat.

Wie wir sofort sehen, befinden wir uns hier in einem kaum auflösbaren Dilemma. Wissenschaftliche Sitte ist der Verweis auf Originalquellen: Tatsächlich habe ich nur sehr wenige ernstzunehmende Wissenschaftler in meinem Berufsleben kennengelernt, die mit Aussicht auf Glaubwürdigkeit behauptet haben, alle zitierten Referenzen auch nur eines einzigen Artikels, den sie geschrieben hatten, vollständig im Original gelesen zu haben. Kaum überraschend haben also nur sehr wenige „normale“ Menschen sowohl Zeit als auch Nerven, sich durch alle oder auch nur wenige zitierte Originaltexte „zu kämpfen“. Der Gebrauch von Sekundärquellen basiert also in mehrerlei Hinsicht auf Vertrauen: Hat der Autor überhaupt verstanden, was er gelesen hat (vorausgesetzt, er bezieht sich nicht auf noch jemand anderes, der das Originalwerk angeblich gelesen hat), zitiert er richtig und nicht aus dem Zusammenhang gerissen, usw.18

Fundamentale Ausführungen und Fragen, in welcher Art von Welt wir zukünftig leben wollen, sind sowohl technischer als auch ethischer Art (siehe Kapitel 10 zur Digitalisierung). Auf den ersten Blick jedenfalls scheinen autoritäre Staaten wie gerade ChinaChina besser in der Lage zu sein, z.B. auf Seuchen zu reagieren. Wenn Freiheit im Sinne einer „goldenen Regel“ dadurch charakterisiert ist, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet, dann bedarf es bei uns im Westen zur Bekämpfung von Krisen aller Couleur grundsätzlich nicht mehr als die Durchsetzung entsprechender Gesetze und Anordnungen, die entweder bereits existieren oder die rasch verfasst werden können.

Prognosen in den Sozialwissenschaften haben im Gegensatz zu den Naturwissenschaften die Eigenschaft, dass sie Einfluss auf das Verhalten der Menschen und Institutionen haben. Wenn eine Gefahr also erkannt bzw. eine Entwicklung prognostiziert ist, kann etwas dagegen getan werden. Wünschen wir uns also viele schlechte Vorhersagen, die nicht eintreten werden, weil wir sie nicht eintreten lassen.

Diskutiert wurde im Sommer 2020, dass der „Corona-Schock“ eine Entwicklung hin zu einem bipolaren Macht- und Weltwirtschaftssystem mit den USA und China als Blockanführer beschleunigt. Hier sollten bei uns alle Alarmglocken läuten. Die Europäische UnionEuropäische Union/EU ist trotz des Austritts Großbritanniens Anfang 2021 mit ca. 450 Millionen Menschen einer der reichsten Teile der Welt und es ist nicht wirklich einsehbar, warum wir zukünftig Anhängsel der USA oder Chinas werden sollten. Wie schon der Brexit die verbleibenden Staaten der EU zusammenrücken ließ, ist zu hoffen, dass der USA-China-Konflikt den gleichen Effekt haben wird. Dies und der Bestand der EU sind fraglos keine Selbstläufer, sowohl die USA als auch China sammeln ihre Truppenteile.

Wir werden uns also nach den besten Monaten für die Umwelt seit gefühlten Ewigkeiten wieder mit Fragen der Klimakrise (die besser als Umweltkrise verstanden und bezeichnet werden sollte) und der Energiewende, der Bildungs-, Einkommens- und Verteilungsgerechtigkeit und der individuellen Freiheitsrechte sowie der zukünftigen Beschaffenheit der Europäischen Union beschäftigen müssen. Fragen, inwieweit das Bruttoinlandsprodukt und a priori mit ihm verbundene WachstumWachstumsraten ein vernünftiges Maß für die wirtschaftliche Prosperität darstellen, werden nachdrücklicher gestellt werden müssen. Wir werden uns also fragen müssen, ob unser Lebens- und Arbeitsstil, auf allen Ebenen, angemessen ist. Der Staat bzw. seine Wirtschaftspolitik kann und muss hier meiner Überzeugung nach entscheidende Anreize zur Steuerung von individuellem „vernünftigen“ Verhalten liefern, er kann und darf den Individuen aber nicht das Denken und Tun abnehmen.

Krisen bringen immer auch Krisenbewältiger hervor; sie sind das Elixier für außergewöhnliche Lokalpolitiker (denken Sie z.B. an Helmut Schmidts Reaktionen auf die Hamburger Sturmflut im Jahre 1962) und lokal verwurzelte Unternehmer. Wie wäre es hier zum Beispiel mit Oskar Schindler (dem aus „Schindlers Liste“)?

Wir werden, überall auf der Welt, Menschen sehen, die Verantwortung übernehmen und von deren Existenz vorher zumeist nichts oder wenig bekannt war. In einer echten Krise kann man nicht bluffen. Nehmen Sie Ihr Leben also, soweit Ihnen dies gegeben ist, in die eigenen Hände und übernehmen Sie Verantwortung für sich und andere.

Wo Menschen sind, kann es keine absolute Objektivität und Neutralität geben. Ich habe mich, soweit es mir möglich war, bemüht, neutral zu beschreiben und zu berichten und damit grob dem aus dem Rechtsstudium bekannten Gutachterstil zu genügen. Jedem der 15 Hauptkapitel habe ich aber einen Exkurs angefügt, in dem ich diese Strenge teilweise aufgegeben habe, da ich der Überzeugung bin, dass ein brauchbares Buch über Wirtschaftspolitik eine emotionale Komponente haben muss.

Ich würde mich, obwohl ich seit mehr als zwei Jahrzehnten als Wirtschaftswissenschaftler arbeite, immer noch als „ökonomisch bewanderten Mathematiker“ bezeichnen. Eine formale Ausbildung ist in der modernen Volkswirtschaftslehre nicht unbedingt von Nachteil: Im Laufe meines Lebens bin ich aber, wie viele Menschen vor und sehr sicher auch nach mir, zu der Überzeugung gelangt, dass die aktuelle Ökonomie „übermathematisiert“ ist; dass aber andererseits die Rolle von Mathematik und Statistik als Hilfsmittel zum Verständnis der Gesellschaft unzureichend entwickelt sind. Ein Vorteil eines Seiteneinsteigers ist, dass sein Blick kritischer und auch klarer sein mag. Ohne den Kapitalisten Friedrich Engels hätte es kein Kommunistisches Manifest gegegeben und dem Anfang September 2020 jung verstorbenen Anthropologen David Graeber verdanken wir wesentliche Erkenntnisse zur Rolle des Geldes und der Schulden in der Geschichte der Zivilisationen.

Ich bin weder studierter Philopsoph noch Historiker, sondern schreibe hier auch über Dinge, von denen ich „nicht zertifiziert“ etwas zu verstehen glaube. Da alles mit allem zusammenhängt, bräuchten wir vermutlich Dutzende Autoren für einen Text wie diesen, um formale Angriffe auszuschließen. Das Buch könnte dann immer noch lausig sein! Es fällt mir somit leicht, zuzugestehen, dass alle Fehler, die dieses Buch beinhaltet, mir allein zuzurechnen sind.

Teil I: Demografie, Bildung und Arbeit

1 Zum ethisch-moralischen Rahmen in Zeiten des Umbruchs
1.1 Wendezeit? Versuch einer geopolitischen Einordnung

Die deutsche Gesellschaft steht in einer sich rapide verändernden Welt vor gewaltigen Herausforderungen, die, da alles mit allem verbunden ist, nicht monokausal beantwortet und ebenso nicht auf Deutschland isoliert bezogen, sondern zunächst im Kontext der Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen UnionEuropäische Union/EU und nachfolgend im „Weltmaßstab“ analysiert werden müssen.

Inzwischen ist schon wieder fast vergessen, dass vor Beginn der Corona-Krise aus Griechenland und aus Spanien bis zum Beginn des Jahres 2020 hoffnungsvolle Signale zur Wirtschaftsentwicklung kamen: Die Europäische Union befindet sich aber nicht wieder, sondern immer noch in einer langandauernden veritablen Krise. Man darf hier durchaus das Jahr des Ausbrechens der letzten großen FinanzkriseFinanzkrise, 2008, als einen sinnvollen Bezugspunkt wählen.

Die staatliche und private Verschuldung hatte bereits vor der Corona-Krise in vielen Ländern (nicht nur in der EU) ein Vielfaches der Jahreswirtschaftsleistung angenommen. „Staatstragende“ Parteien waren vielerorts in der Defensive bzw. verschwunden. Dies betrifft nicht nur Griechenland, sondern ebenso Italien, Spanien, GroßbritannienGroßbritannien, Polen und Frankreich (dort wurde der Schritt der Pulverisierung der Altparteien bereits mit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 vollzogen), um nur einige „größere“ europäische Länder zu nennen. Nach einer kurzen Umfragehochphase zu Beginn der Corona-Seuche im Frühjahr 2020 folgte für CDU und CSU der Absturz bei der Bundestagswahl 2021 und es ist überhaupt nicht klar, ob und wie CDU, CSU und SPD in den kommenden Jahren ihre Rollen als Volksparteien verteidigen können.

Zu den zahlreichen Wirtschaftswissenschaftlern, die die Hauptverantwortlichkeit des Staates darin sehen, Beschäftigung für die arbeitsfähige und -willige Bevölkerung zu schaffen, zählen Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und ebenso die deutschen Ökonomen Peter Bofinger und der besonders prominente „Ordnungspolitiker“ Hans-Werner Sinn. Unterschiedlich sind allerdings zum Teil die Vorschläge, wie dies zu erreichen sei. Wenn Sie diese Maxime ebenso ernst nehmen wie die genannten Ökonomen, werden Sie schnell zu dem Schluss kommen müssen, dass zahlreiche Staaten in der EU ihren zentralen Aufgaben schon seit Langem nicht oder nur unzureichend nachkommen.

Die europäische Dauerkrise, die durch hohe Arbeitslosigkeit, international vielfach nicht wettbewerbsfähige Produktivitäten und damit sinkenden Wohlstand charakterisiert ist, stärkt einerseits „populistische“ Parteien. Diese werden hier so gefasst, dass von ihnen (zu) „einfache“ Lösungen für die äußerst komplexen miteinander verwobenen Problemkreise angeboten werden. Ebenso gestärkt werden andererseits separatistische Bewegungen wie z.B. in Schottland, in Norditalien, im Baskenland und in Katalonien. Grundsätzlich ist mittelfristig weder die EU, wie wir sie kennen, noch der Bestand der Gemeinschaftswährung Euro garantiert.

Wir befinden uns derzeit in einer dritten Phase der aktuellen europäischen Krise: Zuerst wurden Finanzinstitute gerettet, dann Staaten. Nun werden die politischen (Rück-)Wirkungen sichtbar, wobei bei Weitem nicht klar ist, ob sich alle unsere europäischen Partner in demokratischer Art und Weise reformieren werden können und wollen.

Alle diese Probleme sind mit der Entwicklung der Bevölkerungen verbunden. Aus diesem Grunde werden wir unsere Betrachtungen mit einer Darstellung und Analyse der demografischen Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland eröffnen.

Wir stehen in Deutschland und in der EU vor den folgenden zentralen Herausforderungen:

1 Eine schleichende EntsolidarisierungEntsolidarisierung der Gesellschaften. Diese beginnt auf dem Niveau der Familien und steht damit im Zusammenhang zur „modernen Arbeitswelt“, berührt Fragen der Generationengerechtigkeit, geht weiter über „egoistische“ Spartengewerkschaften, die Mitglieder vertreten, deren Arbeit für unsere Gesellschaft schwer verzichtbar ist, und betrifft ebenso Staaten. Diese Entsolidarisierung ist direkt mit den Schwierigkeiten verbunden, die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, wie wir ihn kennen und schätzen, aufrechtzuerhalten.Hoffnung macht hier der Ende 2020 tatsächlich noch gelungene Vertrag über einen geordneten Austritts Großbritanniens aus der EU in Folge des Ergebnisses des Mitte 2016 abgehaltenen Referendums.Hier ist Zurückhaltung angebracht, Solidarität „nur“ von den anderen EU-Mitgliedstaaten einzufordern. Die Entscheidungsfindung deutscher Bundesregierungen in den vergangenen ca. 20 Jahren wurde und wird in unseren Nachbarländern oft mit derjenigen von „Big Gorilla” USA verglichen; mit anderen Worten: Deutschland trifft unilaterale Entscheidungen und die kleinen Länder bzw. deren Regierungen müssen folgen, ob sie wollen oder nicht. Dies betrifft die nach dem Unfall von Fukushima im Frühjahr 2011 abrupt eingeleitete „EnergiewendeEnergiewende“ sowie die Entscheidung der deutschen Bundesregierung im Sommer 2015, die deutschen Grenzen mit der Begründung, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, zu öffnen. Unabhängig davon, ob diese Sichtweise zahlreicher Nachbarn stimmt oder nicht: Es gilt das aus dem Englischen kommende Sprichwort Perception is Reality (wobei diese „Erkenntnis“ u.a. bereits im alten China gewonnen und von Menzius formuliert wurde).

2 Entwicklung von Strategien, mit Migrationsströmen innerhalb der EU und insbesondere aus Nordafrika und dem Nahen Osten kommend umzugehen: Ende 2021 existierte weder ein Konsensus noch eine schlüssige Strategie, wie diese Flüchtlingsströme (und die Sicherung der EU-Außengrenzen) für die europäischen Empfängerstaaten beherrschbar gemacht werden können. Die südeuropäischen Staaten, die seit mehr als 10 Jahren am meisten unter der Wirtschaftskrise leiden, werden mit diesem Problem auch finanziell von den reichen und stabilen Nordländern, die keine relevanten Außengrenzen der EU haben, zu sehr allein gelassen. Hier existiert in mehrerlei Hinsicht ein Bezug zur globalen Umweltkrise.

3 Entwicklung von (gesamteuropäischen?) Strategien zum Umgang mit RusslandRussland: Mehrere osteuropäische Staaten wie Polen, Estland, Lettland und Litauen fühlen sich von Russland permanent bedroht, auch wenn Russland behauptet, keinerlei Angriffsgelüste gegenüber der NATO zu verspüren. Russland bzw. seine politische Elite fühlt sich wiederum von der NATO, die ihrerseits behauptet, nur Verteidigungsaktivitäten zu verfolgen, bedrängt und bedroht. Tatsächlich finden wir uns inzwischen in einer gefährlichen Gemengelage wieder, bei der ein Zufall durchaus zu einer Eskalation zwischen dem Westen und Russland führen kann: eine Situation, die noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. Auch hier gilt für jede der unterschiedlichen Perspektiven: Perception is Reality. Diese Ausführungen können grundsätzlich auf den zweiten großen direkten Nachbarn der EU, die Türkei, übertragen werden.

Filmtipp:

Diese Sicht der Dinge ist im Film „Rashomon“ des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa aus dem Jahre 1950 meisterhaft dargestellt. Kurosawa geht noch einen Schritt weiter: Seine Akteure haben nicht nur unterschiedliche Sichtweisen der Realität, sondern sie erfuhren unterschiedliche Realitäten.

Diese drei Eckpunkte wären Anfang 2014 vermutlich für die Mehrzahl der in diesem Text vorgestellten politischen Argumentationen hinreichend gewesen. Tatsächlich stellt sich das Gesamtbild acht Jahre später deutlich komplizierter dar. Zusätzlich zu den drei erstgenannten prägen weitere sechs Entwicklungen seit Kurzem unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung einer instabiler gewordenen Welt:

1 Die Preise von Rohstoffen, insbesondere Erdöl (vgl. den Langfrist-Rohölchart in Abb. 1.1), Erdgas, Industrie- und Edelmetallen, aber auch von Agrarrohstoffen und Halbprodukten wie Stahl schwanken seit dem Ausbrechen der Finanzkrise teils dramatisch. So sind diese in den Jahren 2014 und 2015 sehr stark gefallen, bevor sie sich im Verlauf des Jahres 2016 wieder moderat erholten, um zu Beginn des Jahres 2020 wieder zu kollabieren, um daraufhin wieder stark zu steigen … Temporär niedrige Rohstoffpreise sollten uns als Importeure von Rohstoffen nicht zum Jubeln verleiten, sondern mögliche politische Krisen in rohstoffexportierenden und von den betreffenden Erlösen abhängigen Staaten antizipieren lassen. Es sind aber primär die starken Preisschwankungen, die so gefährlich sind, weil sie für die exportierenden Länder einerseits eine vernünftige Langzeitfinanzplanung schwierig bis unmöglich machen und andererseits einen Anreiz für herrschende Eliten darstellen, sich in „guten Zeiten“ die Taschen zu füllen.

Abb. 1.1:

Rohölpreisentwicklung der Sorte BRENT von 1997 bis 2021 in US-Dollar pro Barrel1 (Eigene Darstellung: Daten von Refinitiv)

Terrorism is back. Die durch die terroristischen Attacken im November 2015 in Paris geprägte westliche Wahrnehmung, ist, weil stark zeitpunktbezogen und europazentriert, irreführend. Die Angriffe von Paris waren „nur“ ein schreckliches Ereignis innerhalb von wenigen Monaten bzw. Jahren in einer Kette terroristischer Anschläge, die bereits Jahrzehnte andauern. Sie sind in eine Reihe von mörderischen Anschlägen weltweit (in der Türkei, Tunesien, auf russische Touristen in Ägypten, im Libanon, in der Yunnan-Provinz in China u.v.m.) einzuordnen. Den wirtschaftlichen Konsequenzen der Anschläge in Tunesien im Jahr 2015, die praktisch den Zusammenbruch der Haupteinnahmequelle des Landes, des Tourismus’, zur Folge hatte, steht in Europa bisher nichts annähernd Gleichartiges gegenüber. Als Folge werden politische Allianzen im Nahen Osten seit ca. vier Jahren neu gedacht (vgl. Punkt 3 und Punkt 6).

2 Der im Dezember 2010 begonnene sogenannte Arabische Frühling war offensichtlich deutlich mehr Hoffnung als Realität: Der gesamte Nahe Osten (englisch: Middle East) und große Teile Nordafrikas werden entweder (wieder) von diktatorischen Regimes „regiert“ oder sie sind in Anarchie und Bürgerkrieg abgeglitten. Allianzen sind, sofern überhaupt vorhanden, oft kurzlebig und zweckgebunden. Zu den „Überraschungen“ der vergangenen Jahre zählten die wechselseitigen (temporären?) Annäherungen zwischen Saudi-Arabien, Israel und Russland. Die geopolitische Situation im Nahen Osten und hier insbesondere der seit dem Jahr 2011 andauernde Syrienkonflikt ist wiederum direkt mit der Flüchtlings- bzw. Migrationsproblematik und der RusslandRusslandpolitik der EU bzw. ihrer Nationalstaaten verwoben.

3 Ende des Jahres 2021 war der US-Dollar fraglos die Weltleitwährung Nummer eins. Die Schwankungen des Wechselkurses von US-Dollar und Euro, der zweitwichtigsten Weltwährung, waren in den vergangenen Jahrzehnten aber immens (s. Abb. 1.2). So verlor der US-Dollar gegenüber dem Euro z.B. von 2002 bis 2008 innerhalb von ca. 6 Jahren fast die Hälfte seines Wertes, um sich danach wieder auf relativ niedrigem Niveau zu erholen (vgl. Exkurs zu Kapitel 14).Abb. 1.2:WechselkursWechselkurs US-Dollar pro Euro 1997–2021 (Eigene Darstellung: Daten von Refinitiv)Tatsache ist, dass die Dominanz der US-Währung mittelfristig zur Disposition steht: So wurde die Währung der Volksrepublik China, der Renminbi (RMB), im Jahre 2016 fünfte Reservewährung des Internationalen Währungsfonds (IWFIWF). Dies hatte zunächst einen eher symbolischen Wert, da China bereits einen Großteil seiner Handelsgeschäfte, und das nicht nur mit Entwicklungsländern, in RMB abschließt. Zusammen mit der Ankündigung der chinesischen Zentralregierung, Chinas Währung schrittweise frei konvertierbar zu machen, wird dies Auswirkungen auf die internationale politische Machtbalance haben. Währung ist Macht: Im günstigen Fall dürfen wir langfristig die Herausbildung eines stabilen OligopolOligopolls zwischen US-Dollar, Euro und RMB erwarten.

4 Mit dem Brexit hat Anfang 2021 eine der wirtschaftlich und militärisch stärksten Nationen die EU verlassen. Es wird im optimistischen Fall nur einige wenige Jahre dauern, bis sich zwischen GroßbritannienGroßbritannien und der (Rest-)EU ein „normales“ und hoffentlich freundschaftliches Nachbarschafts- und Arbeitsverhältnis herausgebildet haben wird. Deutschland als bevölkerungsstärkstes Land und wirtschaftliches Zentrum der Europäischen Union wird teilweise für die EU-Nettozahlungen Großbritanniens einstehen und zudem zusätzliche Ausgaben in den Verteidigungshaushalt einstellen müssen, um der Selbstverpflichtung, in Zukunft zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, wenigstens mittelfristig zu genügen. In diesem Kontext wird häufig der Ruf nach einem Kerneuropa und damit verbunden nach der Stärkung bzw. „(Re-)Vitalisierung“ der von de Gaulle und Adenauer initiierten deutsch-französischen Achse laut.[2] Diese Diskussion ist jedoch nicht neu, sondern derzeit weit hinter dem zurück, was Charles de Gaulle angedacht hatte, als er als französischer Präsident Anfang der 1960er Jahre auf die Deutschen zuging.

5 Die EU wird grundsätzliche Fragen beantworten müssen, um ihren Zerfall zu verhindern: Dazu zählen jenseits von technisch relativ einfach lösbaren Wiederaufbauhilfen nach Corona primär die Gewährleistung der Sicherheit der Außengrenzen der EU, die Entwicklung von Konzepten, wie der Dauer von (Jugend-)Arbeitslosigkeit in weiten Teilen Süd- und Osteuropas begegnet werden soll, und die Frage, wie sie sich gegenüber den großen Nachbarn Türkei und Russland positionieren will. Insbesondere kann die weitere Entwicklung der EU nicht sinnvoll losgelöst von der seit 2008 schwelenden Eurokrise betrachtet werden, die zwar derzeit nicht mehr im Fokus der Medienberichterstattung steht, die aber nichtsdestotrotz nicht vollständig überwunden ist. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Entwicklung der Positionen der Bundesregierung und des französischen Präsidenten und ihrer jeweiligen „Follower“ bezüglich einer Aufwertung des European Stability Mechanism (ESM) zu einem European Monetary Fund zu verfolgen. Die deutsche Bundesregierung hat im Frühjahr 2020 aus guten Gründen einer Teilvergesellschaftung von Schulden unter dem Schlagwort Corona-Wiederaufbau zugestimmt und damit den EU-Gipfel im Juli 2020 wesentlich mitbestimmt.Die nicht überwundene Krise der Europäischen Währungsunion und die Absenz einer stringenten Strategie der Bundesregierung zu ihrer Überwindung stellt eine, wenn nicht die zentrale Ursache für die Schwäche Europas dar, die sich durch hohe ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit, niedrige Produktivitätszuwächse, wachsende Schulden u.v.m. manifestiert. Deutschland ist als „Zahlmeister“ ohne nennenswerte Rechte in den meisten Nachbarstaaten weiterhin willkommen, sein moralischer Ruf aber nicht nur in Italien und Griechenland angekratzt und seine Durchsetzungskraft gering. Als das Land, „das (sich) mangels eigener konstruktiver Pläne an das Bestehende klammert, auf den Buchstaben der Verträge [die bereits über 160 Mal ohne Sanktionen gebrochen wurden] pocht und sich damit als Aufseher stilisiert, erzeugt es Widerstand, ohne etwas zu erreichen.“[3] Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im November 2016 ist in fundamentaler Art und Weise klar, dass das Verhältnis von Deutschland und Europa zu den Vereinigten Staaten neu austariert werden wird. Das zentrale Versprechen Donald Trumps war das Schaffen von (Industrie-)Jobs in den USAUSA, wobei Trumps Politik mit der US-Unternehmenssteuerreform aus dem Jahre 2017 und der Androhung von Zöllen für Importe genau darauf abzielten. Vor allem Letzteres steht in bewusstem Gegensatz zum Paradigma des Freihandels, dem sich Deutschland verpflichtet fühlt und von dem es als Exportnation profitiert. Die zweite uns betreffende, zentrale Aussage von Donald Trump ist die Forderung an Europa bzw. an die NATO-Mitglieder, sich finanziell deutlich stärker an den Ausgaben des Bündnisses zu beteiligen. Sein Nachfolger Joe Biden denkt und handelt hier nicht anders. Trump lehnte – vor allem aus ökonomischen Gründen – ab, dass die USAUSA weiterhin die Rolle der (einzigen) Supermacht, die die Welt ordnet, ausfüllen. Dies korrespondiert mit einer prinzipiellen Ablehnung von „Demokratisierungsversuchen abroad“ und dem von den Demokraten verhinderten Versuch einer Neuausrichtung der US-amerikanischen Politik gegenüber Russland, um sich auf den „strategischen Rivalen“ ChinaChina konzentrieren zu können. Die erneute „Aufteilung“ in eine aus zwei Einflusszonen bestehende Welt ist wieder denkbar geworden. Erste einflussreiche Stimmen, wie z.B. der Springer-Aufsichtsratsvorsitzende Mathias Döpfner, fordern bereits, dass wir uns zwischen den USA und China (für die USA) entscheiden müssen.[4] Die Setzung von Technologiestandards (Stichwort Huawei) ist hier von zentraler Bedeutung (vgl. Kapitel 10 und 13).

In Kulmination der genannten Punkte 1 bis 9 steht der Westen, wie er sich seit dem Ende des II. Weltkrieges darstellte und wie wir ihn kennen, zur Disposition.