Kitabı oku: «Sonnenkaiser», sayfa 6
7.
Privater Ermittler klang eigentlich gar nicht schlecht. Ein kleines schlecht beleuchtetes Büro mit einem Schild an der Tür, auf dem sein Name stand. Ein großer alter Schreibtisch, hinter dem er auf den hinteren Beinen eines Stuhls balancierte, die Füße auf dem Schreibtisch, während er eine Zeitung las, an einem Bourbon nippte und auf Kunden mit interessanten Aufträgen wartete. Ein echter Marlowe eben.
Immer wieder Anfragen von Leuten, bei denen es auf Geld nicht ankam, um ihre entlaufenen Hunde zu suchen, ihren Ehepartnern hinterherzuspionieren oder verloren gegangenen Schmuck zu suchen. Vielleicht nicht aufregend, aber einträglich.
Eine schöne leichte Fantasie.
In der Realität würde ihm wahrscheinlich nicht einmal sein Vermieter beauftragen, das Paar zu finden, das die Wohnung unter ihm im letzten Monat geräumt hatte und dabei einen Haufen Müll und Mietschulden hinterlassen hatte. Auf die Idee, sich als Detektiv zu betätigen, wäre er selbst im größten Alkoholrausch nicht gekommen. Und jetzt war da dieses Angebot.
Frau Wolenski hatte ihm einige Informationen zugeschickt. Die Personalagentur arbeitet für den Konzernverbund der DesertEnergy-Gruppe. Der Klient hinter dem Auftrag war also vermutlich ein Manager aus diesem Unternehmen. Es handelte sich nicht um eine feste Stelle, sondern lediglich um einen einzelnen Suchauftrag nach einer Person. Viel mehr war aus dem Text nicht zu entnehmen. Es ging also nicht um Tiere, Schmuck und Seitensprünge, eher um eine nur vermeintlich demente Großmutter, die sich aus ihrem Luxussanatorium davongeschlichen hatte, um noch mal kräftig einen draufzumachen.
Frau Wolenski hatte sein Profil auf dem Portal des Amtes für Arbeit eingestellt und recht schnell war ein Stellenangebot direkt zu seinem Profil eingegangen. Wenn er sich mit diesem Gedanken beschäftigte, ging ihm das Wort Sklavenmarkt nicht aus dem Kopf. Allzu schlecht war der Vergleich nicht. Frau Wolenski bot Daniel an und ein Interessent begutachtete das Angebot. Kam es zu einem Abschluss, verdienten daran alle Beteiligten. Das Amt sparte Geld, die Agentur bekam Geld für die Vermittlung und der Auftraggeber eine Arbeitskraft. Der Einzige, der dabei wenig mitzureden hatte, war die Arbeitskraft selbst. Wagte sie einen Widerspruch, sparte immer noch das Amt Geld, ein nettes Druckmittel, mindestens so motivierend wie ein Peitschenhieb.
Vermutlich hatte man bereits ein paar Dutzend Bewerber in der Auswahl. Schlechte Chancen für ihn, einen ehemaligen Polizisten, der ein paar Jahre lang vor einem Computer gesessen hatte, um im Internet Betrügern, Dieben, Mördern und Sexualstraftätern nachzujagen, und nicht einmal ein Taxi für eine Verfolgungsjagd benötigt hatte. Daniel überlegte, ob er bereits ein Problem mit seiner Motivation hatte, auch ohne Geldentzug oder Peitschenhiebe. Wenn er es sich ehrlich eingestand, hätte er sich lieber ins nächste Bistro gesetzt und ein Bier bestellt, den Tag genossen und diese Mitteilung verdrängt. Alleine der aufgebaute Druck, sich bis zum Nachmittag bei der grauhaarigen Dame mit der merkwürdigen Brille melden zu müssen, hielt ihn ab.
Die Sonne schien angenehm warm und blendete ihn. Eigentlich war der Tag für andere Dinge wie gemacht. Als er im Citybereich das erste Café fand, setzte er sich an einen der Tische im Außenbereich und bestellte einen Kaffee. Es waren nicht viele Menschen unterwegs, die meisten wohl zu ihren Jobs. Die verkehrsfreie Zone beheimatete statt Geschäften, die längst gegen das Internetangebot aufgegeben hatten, Auslieferpunkte, in denen Drohnen gewartet, aufgeladen und mit Waren für die Nahbelieferung beladen wurden, oder Servicepunkte mit Pflegediensten oder ähnliche Haushaltsdienstleister.
Daniel spielte mit seinem Smartphone. Seine Finger wischten auf dem Display herum. Die Mitteilung von Frau Wolenski öffnete sich und schloss sich wieder. Jedes Mal fiel sein Blick auf die angezeigte Telefonnummer der Agentur. Mit der anderen Hand griff er nach dem Kaffee und nahm einen Schluck. Er schwankte zwischen mangelnder Motivation und Neugier. Etwas reizte ihn, mehr über diesen Job herauszufinden. Endlich rang er sich durch und wählte die Nummer.
>>Best Skills Agency! Guten Tag!<<
Keine Videoverbindung, nur ein Firmenlogo. Die Stimme gehörte einer jungen Frau.
>>Guten Tag! Mein Name ist Daniel Neumann! Ich habe hier eine Rückmeldung Ihrer Agentur auf meine Stellensuche!<<
>>Können Sie mir unsere Referenznummer nennen?<<
Daniel schaute auf seine Commwatch, auf die das Smartphone automatisch einen Teil der Mitteilung vom Amt spiegelte und las die angezeigte Referenznummer vor.
>>Vielen Dank! Einen Moment!<<, antwortete die Stimme mit der kühlen Sachlichkeit einer künstlichen Intelligenz. Natürlich sprach er nicht mit einem Menschen, bevor das Anliegen nicht einem Mitarbeiter zugeteilt wurde.
Während ein paar Momente vergingen, nahm Daniel wieder einen Schluck Kaffee. Die Stimme erklang wieder, nicht eine Spur freundlicher, und teilte ihm mit, er würde gleich mit einem Kundenbetreuer sprechen. Dann nannte eine männliche leicht näselnde Stimme ihren Namen.
>>Antall hier! Herr Neumann, ich freue mich, dass Sie sich so schnell melden!<<
Das klang deutlich freundlicher. Natürliche Intelligenz, hoffentlich. Auf dem Display erschien der füllige Kopf eines Mannes mit dunklen leicht ölig glänzenden Locken auf dem Kopf. Er hatte schmale listig schauende Augen und einen leichten Bartschatten, was Daniel spontan auf die Idee brachte, keinen Personalvermittler, sondern einen Gebrauchtwagenverkäufer vor sich zu haben. Der Mann strahlte über das Gesicht, als wenn er sich darüber freuen würde, dass gerade Daniel ihn angerufen hatte.
>>Ich suche jemanden für einen einzelnen Auftrag. Ihr Profil ist ein Glücksfall! Ein ehemaliger Kommissar, sogar mit umfassender Erfahrung in der Internetermittlung!<<
Der Mann klang so überschwänglich, als hätte er seit Monaten auf den einen großen Treffer gewartet, der ihn zum Mitarbeiter des Monats machen würde. Und nun wurde sein Traum wahr. Kommissar? Hatte Wolenski einen schwachen Moment gehabt? Daniel bemühte trotz seiner Verwunderung eine entspannte Mimik.
>>Ein Klient aus Berlin hat uns beauftragt. Es geht darum, eine vermisste Person aufzuspüren. Der Klient sucht jemanden, der in dem Bereich bereits Erfahrungen hat. Als Qualifikation wird eine mehrjährige nachweisbare Tätigkeit als Detektiv oder als Ermittler bei der Polizei gefordert, außerdem Erfahrungen im Umgang mit Informationstechnologie. Das erfüllen Sie! Ich werde Sie sofort dem Klienten vorschlagen! Das ist großartig!<<
Stillschweigende Zustimmung nannte man das wohl, was Daniel blieb. Er dachte an Wolenskis Drohung bei mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
>>Gut! Wie geht es dann weiter?<<
>>Der Klient wird sich bei mir melden, wenn er Sie für geeignet erachtet. Dann folgt ein persönlicher Termin mit dem Klienten. Entweder Sie kommen ins Geschäft oder Sie verbuchen das Ganze als Erfahrung.<<
>>Können Sie mir sagen, wer dieser Klient ist?<<
>>Tut mir leid! Den Namen erfahren Sie erst, wenn Sie zu einem Termin eingeladen werden.<<
Das war zu erwarten. Daniel überlegte, ob er mit dem, was er schon wusste, ein wenig spekulieren sollte. Eindruck schinden mochte nicht schaden.
>>Sie arbeiten für DesertEnergy. Wenn jemand von dort einen solchen Auftrag hat, wird es wohl kein kleiner Angestellter sein, sondern jemand aus dem Führungsbereich. Eine solche Suche kann kostspielig werden. Daher gehe ich davon aus, es handelt sich sogar um einen recht hochrangigen Manager…<<
Antall lachte laut auf und unterbrach damit Daniel.
>>Ich höre schon, dass Sie die richtige Wahl sind. Aber Sie werden trotzdem verstehen, dass der Klient Anonymität wünscht.<<
Eine weitere Frage brannte Daniel noch unter den Nägeln.
>>Wie groß ist meine Chance, diesen Auftrag zu bekommen? Ich meine, es gibt doch bestimmt nicht nur in Berlin viele Detekteien, die mit langjähriger Erfahrung und professioneller Ausrüstung punkten können. Ich habe da nicht viel gegenzuhalten!<<
Eine Gedenksekunde lang herrschte Stille. Musste dieser Antall sich eine gute Erklärung ausdenken?
>>Der Klient wünscht absolute Verschwiegenheit und Anonymität. Das ist mit einer professionellen Agentur schwierig zu erfüllen.<<
Was für ein Quatsch, dachte sich Daniel. Eine Detektei, die mit diesen Grundlagen ihrer Arbeit Probleme hatte, würde sehr schnell nur noch in Shopping Malls nach Taschendieben Ausschau halten. Antall schien Gedanken lesen zu können oder deutete seinen Gesichtsausdruck einfach nur richtig.
>>Jemand wie Sie lässt sich sehr einfach in eine Residenz einschleusen, ohne dass die falschen Personen unnötige Fragen stellen. Wenn eine Detektei eine Residenz aufsucht, ist die Chance groß, dass kurz darauf jemand von der Presse diese Detektei unter die Lupe nimmt, um zu prüfen, ob dahinter eine gute Story steckt.<<
Dieses Argument zog besser. Und Herr Antall war doch nicht so verschwiegen. Wenn der Klient in einer Residenz lebte, bedeutete das, er war recht vermögend und ganz bestimmt ein hochrangiger Manager, möglicherweise zur Wirtschaftsprominenz gehörend, womit die Geheimniskrämerei sich rechtfertigte.
>>Und wenn ich mich bei diesem Termin doch nicht als der Richtige für den Job erweise? Dann kenne ich den Klienten und könnte selbst versuchen, mir ein kleines Zubrot bei der Presse zu verdienen!<<
Daniel blieb hartnäckig.
>>Herr Neumann, die Antwort darauf ist einfach. Sollten Sie nicht so verschwiegen wie erwartet sein, gibt es genug Mittel, Ihnen echte Probleme zu bereiten.<<
Antall gönnte sich eine Schweigesekunde, die er zur Steigerung der Bedeutung seiner Worte mit einem ironisch klingenden Sie verstehen? beendete.
Die nun einsetzende Pause entstand, weil Daniel für einen Moment die Worte fehlten.
>>Das Thema ist wohl hinreichend besprochen. Haben Sie noch weitere Fragen?<<
Daniel räusperte sich. Er fühlte sich plötzlich zu sehr in der Defensive. Plötzlich konnte er sich doch einen Job als Hausmeister sehr gut vorstellen. Knieschmerzen vom ständigen Herumrennen in einem Gebäude waren wohl angenehmer als echte Probleme, was das auch immer genau bedeuten mochte.
>>Wenn ich Details zu dem Suchauftrag erst von Ihrem Klienten erfahren werde, muss ich gestehen, mir fällt gerade keine sinnvolle Frage ein. Haben Sie aber vielleicht noch eine Frage an mich?<<
Antall klang erheitert.
>>Nein, ich habe alles Notwendige vorliegen, und werde Sie als geeigneten Kandidaten vorschlagen. Unser Gespräch war sehr aufschlussreich! Und dem Amt für Arbeit werde ich eine positive Rückmeldung geben!<<
Herr Antall verabschiedete sich freundlich und unterbrach die Verbindung. Daniel schaute nachdenklich auf sein Smartphone. Er war sich nicht ganz klar darüber, ob er sich freuen oder beunruhigt sein sollte. Wie es aussah, blieb ihm aber ohnehin nur, abzuwarten. Vielleicht hatte Frau Wolenski noch einen Vorschlag mit langfristiger Perspektive. Ein Job als Müllfahrer war eventuell auch eine akzeptable Alternative.
8.
Das Boot, das den dezent nach Erbrochenem riechenden Passagier abgesetzt hatte, nahm wieder Kurs auf die spanische Küste, die etwa einhundert Kilometer entfernt war. Die aktuelle Position war für das Boot nicht ganz unproblematisch. Der Kapitän rechnete zwar nicht damit, dass ein kleines Schiff, das auf etwa dreißig Kilometer an die afrikanische Küste heranfuhr und dann wieder abdrehte, von der Küstenwache gestellt würde, aber das Boot würde auf jeden Fall beobachtet. Daher war es wichtig, dass sie keinem anderen Boot zu nahe kamen, um nicht in den Verdacht zu geraten, Menschenschmuggel zu betreiben. Und es würde hoffentlich niemand auf die Idee kommen, das Schiff über seine gesamte Fahrt zu beobachten, um sich die berechtigte Frage zu stellen, ob jemand das Mittelmeer wirklich in Nord-Süd-Richtung durchquerte, nur um seinen Abfall ins Wasser zu werfen.
Die Morgendämmerung zog von Osten auf und präsentierte einen farblich atemberaubenden Sonnenaufgang bei wolkenfreiem Himmel. Das Panorama hätte jeden Kreuzfahrtreisenden begeistert. Das Meer, das in der Nacht noch etwas Wellengang hatte, der für den Passagier zu viel gewesen war, war an diesem Morgen fast spiegelglatt.
Für die vier Männer an Bord des kleinen Fischerbootes war der blaue Himmel weniger interessant. Sobald sie in die freigegebene Fischereizone gelangten, würde ein normaler Arbeitstag beginnen. Die Mannschaft befand sich aber bereits den größten Teil der Nacht auf den Beinen. Der Tag würde somit etwas schwieriger verlaufen. Das Boot befand sich etwa eine halbe Stunde auf Kurs zum europäischen Festland, als vor ihm ein anderes Boot auftauchte, das in hohem Tempo von Westen direkt auf das Fischerboot zuhielt. Der Kapitän bemerkte das Boot auf dem Radar. Aber er beachtete es nicht. Auf dem Mittelmeer herrschte üblicherweise reger Schiffsverkehr, insbesondere je näher man an Gibraltar herankam.
Das Boot kam näher, kreuzte dann hinter ihnen ihren Kurs und beschrieb eine Kurve, um dem Fischerboot zu folgen.
>>Was soll das denn?<<, brummte der Kapitän und rief nach dem Jungen, der ihren Passagier abgesetzt hatte.
>>Nimm Dir das Glas und beobachte das Boot hinter uns. Wir werden verfolgt! Das ist aber keine Küstenwache!<<
Der Kapitän reichte dem Jungen ein Fernglas und erhöhte dann das Tempo des Bootes noch ein wenig. Die Maschinen wurden etwas lauter und der träge Schiffskörper nahm kaum merklich ein wenig mehr Tempo auf. Der junge Mann folgte der Anweisung und stellte sich ans Heck, von wo er das andere Boot beobachtete, ein flaches nicht einmal zehn Meter langes Sportboot, mattschwarz lackiert, mit einer weit nach vorne gezogenen geschlossenen Kabine, deren Fensterflächen ebenfalls mattiert und verdunkelt waren. Am Heck spannte sich ein gut drei Meter hoher nach hinten geneigter Bügel, der Radargerät und Funkantenne enthielt, quer über das Kabinendach. Das kleine Deck hinter der Kabine war leer. Dahinter folgte eine Abdeckung, unter der sich die Motoren befanden. Große Einlassklappen zeugten vom Luftbedarf des Antriebs. Das Boot wirkte nicht sehr hochseetauglich, eher wie ein Sportboot für schnelle Trips entlang der Küsten. Jeder kräftigere Sturm würde mit so einem Ding leichtes Spiel haben. Wenn dieses Boot tatsächlich von der spanischen Küste kam, hatte der Steuermann einen recht unangenehmen Start in den Tag gehabt, so wie die Landratte in dem Holztorpedo. Der Blonde grinste bei dem Gedanken daran, dass ihr Gast nun irgendwo im Meer dahintrieb und sich wahrscheinlich vor Angst längst in die Hosen gemacht hatte.
Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe. Das schwarze Boot gefiel ihm. Es sah teuer aus und wirkte durch den matten Lack etwas unheimlich. Mit dem schmalen Lohn, den er auf dem Fischerboot und in der Werkstatt am Hafen von Málaga verdiente, würde er solch ein Boot immer nur aus größerer Entfernung anschauen können. Es musste ein fantastisches Gefühl sein, die Motoren dieses Bootes auf volle Leistung zu bringen und zu spüren, wie es sich aus dem Wasser hob und davonraste.
Das Sportboot folgte dem Fischerboot mit einem Abstand von etwa zweihundert Metern.
>>Was ist da hinten los?<<, brüllte der Kapitän vom Steuer aus.
>>Sie kommen näher!<<, schrie der Junge zurück und setzte das Fernglas ab. Die Besatzung des schwarzen Bootes schien eine Entscheidung über ihr Vorhaben getroffen zu haben. Das Fischerboot nur zu verfolgen reichte ihnen nicht mehr.
Das fremde Boot hob sich vorne ein Stück aus dem Wasser, als es beschleunigte. Das Dröhnen seiner Motoren übertönte sogar das Brummen aus dem Maschinenraum des Fischerbootes. Es näherte sich ihnen schnell, setzte sich auf einem Abstand von etwa zwanzig Metern neben das Fischerboot und passte sich dessen Tempo an.
Dem Jungen lief ein Schauer über den Rücken. Bei diesem Abstand legten die Verfolger es wohl nicht auf ein Gespräch an. Jemand betrat auf dem Sportboot den hinteren Teil des Decks. Der Junge erblickte einen groß gewachsenen kräftigen Mann mit kurzen Haaren in hellen Bermudashorts und einem blauen Polohemd. Der Mann wirkte wie jemand aus der High Society von einem der noblen Ferienorte Frankreichs. Er winkte zum Fischerboot herüber. Zögerlich erwiderte der Junge den Gruß.
Der Mann beugte sich vor und klappte eine Sitzbank hoch, unter der sich ein Fach befand, aus dem er etwas herausnahm, einen meterlangen gut armdicken grauen Gegenstand mit einer Schulterstütze und einem breiten trommelähnlichen Mittelteil.
Der Junge wurde blass, als er eine Waffe in den Händen des Mannes erkannte.
>>Kapitän!<<, schrie er und drehte sich um, um nach vorne zu laufen.
Der Mann auf dem Sportboot wirkte routiniert. Mit einer Bewegung legte er die Bazooka an und richtete sie auf den Rumpf des Fischerbootes, knapp über der Wasserlinie. Das Geschoss schlug auf der Außenhaut des Bootes auf und explodierte. Die Detonation erschütterte den Rumpf des Bootes. Abgerissene Teile des Schiffskörpers schlugen ins Wasser. Ein großes Loch klaffte im Rumpf, das bis unter die Wasserlinie reichte. Das Fischerboot verlor sofort massiv an Tempo und lief mit Wasser voll.
Der Junge wurde von der Wucht des Treffers ins Wasser geschleudert. Ein weiterer Schuss traf den Aufbau auf dem vorderen Teil des Bootes, genau dort, wo sich das Radarsystem und die Antenne der Funkanlage befanden. Die Granate zerfetzte das Dach des Steuerraums und die Radarschüssel. Der Kapitän am Steuer starb durch die Wucht der Explosion.
Der Mann auf dem Sportboot lud seine Waffe in aller Ruhe nach, während das Fischerboot bereits sichtbare Schlagseite bekam. Ruhig legte er die Waffe erneut an und zielte wieder auf das Boot. Er war ein geübter Schütze und glich den schwankenden Untergrund beim Zielen mit Bewegungen seines Körpers aus. Mit einem Schmunzeln im Gesicht nahm er wahr, dass jemand vom Fischerboot ins Wasser sprang und versuchte, vom Wrack wegzuschwimmen, das sich immer mehr auf die Seite legte.
Der Mann auf dem Sportboot feuerte eine weitere Granate ab, die auf dem Deck des Fischerbootes einschlug. Die Wirkung war, als hätte man den Korken einer Sektflasche entfernt. Die Luft konnte blitzartig aus dem Schiffskörper entweichen und das Boot versank schnell.
Der Mann fixierte zwei Punkte auf dem Wasser und rief eine Anweisung in die Kabine. Das Sportboot nahm wieder Fahrt auf und hielt auf die Schiffbrüchigen zu, während der Mann die Bazooka verstaute und stattdessen eine Pistole aus dem Fach entnahm. Das Boot näherte sich den Schwimmenden auf wenige Meter. Der Junge, der sie vom Heck des Fischerbootes beobachtet hatte, wirkte benommen und paddelte unkoordiniert mit den Armen. Der andere schwamm mit aller Kraft weg, obwohl ihn seine Kleidung dabei sichtlich behinderte.
Der Mann schoss beiden in den Kopf. Dann betrachtete er mit einem Ausdruck von Befriedigung die Toten, die mit dem Kopf nach unten im Wasser trieben.
>>Halten wir uns an das, was wir am besten können!<<, sagte er leise und gab dem Mann am Steuer einen Wink. Beide ahnten nichts von ihrer Verspätung. Das Boot drehte ab und hielt auf die spanische Küste zu, von der es ursprünglich gekommen war.
Etwas mehr als zehn Seemeilen entfernt, in marokkanischen Hoheitsgewässern, barg in diesem Moment ein anderes Fischerboot einen hölzernen Schwimmbehälter, aus dem ein junger erschöpfter Mann herausstieg und froh darüber war, seinen schwimmenden Sarg verlassen zu können. Er wäre noch glücklicher gewesen, wenn er gewusst hätte, wie sich Zeitzonen auf die Beauftragung einer Schiffsversenkung auswirken konnten.
9.
Am nächsten Morgen fiel Daniel das Aufstehen deutlich leichter als am Tag zuvor. Er brauchte nur Sekunden, um den Wecker zum Verstummen zu bringen. Aus der Idee heraus, die mögliche Begegnung mit einem wichtigen Manager von DesertEnergy passe nicht zu ausgewaschenen Jeans und lässigen Shirts, hatte er sich in einem Onlineshop ein paar neue Kleidungsstücke gegönnt, die sein Konto endgültig gegen die Nullmarke drückten. Die Anlieferung war am frühen Abend durch eine Transportdrohne direkt auf dem kleinen Landeplatz vor seinem Wohnzimmerfenster erfolgt.
Den Abend hatte er alkoholfrei verbracht. Es schien, die neue Perspektive beeinflusste bereits seine Lebensführung sehr positiv.
Der Radiowecker holte ihn aus einem erfrischenden Schlaf. Das Frühstück bestand wieder aus etwas zu trockenem Weißbrot mit Marmelade, da er vergessen hatte, Lebensmittel einzukaufen. Ohne Zahlung des Amtes würde er an diesem Tag Hunger schieben. Er hatte immerhin Gelegenheit, eine warme Dusche zu nehmen, da die Heizungsanlage in Betrieb war. Verwundert war er darüber schon, denn draußen war es fast windstill und die Sonne stand noch so tief, dass die Stromversorgung überregional weitgehend aus Reservespeichern erfolgte und die Industrieunternehmen mit Sicherheit nicht freiwillig den Betrieb eingestellt hatten, weil die Sonne sich in den letzten Stunden gerade auf der Europa abgewandten Seite der Erde befunden hatte und die Großwetterlage nur ein laues Lüftchen hergab.
Danach stellt sich ein nicht ungewöhnliches Problem. Was sollte er mit seiner Zeit anfangen, bis Herr Antall sich vielleicht bei ihm meldete. Er löste es wie fast immer. Daniel warf sich in seinem kleinen Wohnzimmer auf die Couch, schaltete sein Touchbook ein und wählte einen TV Stream. Das Gerät hatte eigentlich einen zu kleinen Bildschirm, um darauf Filme anzusehen, aber Daniel war in dieser Hinsicht nicht sehr anspruchsvoll. Einen Fernseher hatte er noch nie besessen. Lediglich ein altes ausgemustertes Touchbook lag noch in einer Ecke des Wohnzimmers neben einem Stapel altmodischer Bücher und staubte ein, bis es vielleicht noch einmal als Notbehelf gebraucht würde.
Aber er fand keine wirkliche Ruhe, wechselte intentionslos von Stream zu Stream, zwischen seichten interaktiven Shows, bei denen man als Zuschauer eine uninspirierte Handlung beeinflussen konnte, Lebenshilfedokus und diversen Serienwiederholungen.
Ständig dachte er an das Gespräch mit dem Personalberater. Allmählich konnte er sich für die Idee, Detektiv zu spielen begeistern. Es würde ihm helfen, aus seiner Ziellosigkeit herauszukommen. Der irgendwie geregelte Tagesablauf der letzten Monate war inhaltlich dringend verbesserungsbedürftig. Außerdem interessierte ihn, welche Bezahlung er erwarten konnte. Wenn die Wahl auf ihn fallen würde. Die Zweifel wischten seine Neugier und die kleine Hoffnung, die er sich gemacht hatte, wieder zur Seite. Warum sollte gerade er diesen Job bekommen? Knieversehrt, ohne Referenzen, ein Niemand. Rausgeworfen als Überflüssiger erster Wahl.
Daniel schüttelte sich, als in seinem Kopf die Endlosschleife der sich selbst erzeugenden Demotivationsbekundungen endlich wieder anlief, die ihn bisher in fast jeder Nacht ohne Alkoholrausch befallen hatte. Der kleine Demotivationsteufel hatte bisher Ausdauer bewiesen. Keine geistige Benebelung bedeutete selten Nachtruhe.
Er konzentrierte sich auf die erkenntnisarmen Äußerungen einer Lebensberaterin, die zu der Frage eines Zuschauers referierte, aus welchen seelischen Gründen er sich nicht in der Lage fühlte, länger als eine Woche den gleichen Job zu machen, bis die Endlosschleife dank eines Werbeblocks verstummte.
Trotzdem warf er immer wieder einen Blick auf das auf dem Tisch liegende Smartphone. Wenn das so weiterging, würde es ein langer Tag werden. Gefühlt zum hundertsten Mal stieß er einen stresserfüllt klingenden Atemzug aus und starrte gedankenlos aus dem Fenster.
Danach verweilte er unkonzentriert bei einem Krimi, bei dem das Verhalten der Hauptakteure durch interaktive Zuschauerabstimmungen bestimmt wurde. Neben dem Filmbild befand sich ein abgetrennter Bereich, in dem Fragen langsam nach oben scrollten. Zu jeder Frage gab es einige Antwortalternativen, die man innerhalb eines knappen Zeitfensters auswählen konnte. Der Reiz lag wohl daran, dass die sehr kurze Entscheidungszeit dem Zuschauer zumindest den Eindruck bot, als einziger für einen Moment die Entwicklung der Handlung zu lenken. Wie man beim konzentrierten Lesen von Fragen und Antworten überhaupt noch dem Film folgen konnte, blieb für Daniel ein Rätsel. Es war also wohl wahrscheinlich, dass viele einfach nur hektisch und abgelöst vom Inhalt der Texte mit den Fingern auf das Bedienfeld eintrommelten, um eine der zahllosen Handlungsalternativen des vollständig computeranimierten Films zu wählen und das demokratisch ermittelte Abstimmungsergebnis anzuschauen. Eindeutig war er zu nervös für eine dermaßen sinnlose Beschäftigung.
Daniel schaute zum wiederholten Male kurz in seine Mailbox, aber außer den üblichen Werbemails fand er nichts. Er schaute sich noch ein paar Minuten den Krimi an und wechselte endlich gelangweilt zu einer Spielshow, als sein Smartphone klingelte und ihn wie elektrisiert zusammenzucken ließ. Daniel legte das Touchbook zur Seite und nahm das Gespräch an. Die Nummer kannte er nicht. Außerdem hatte der Anrufer explizit eine Videoverbindung abgelehnt.
>>Knäpper, GlobSecure!<<
Die Stimme schnitt ihm ins Ohr. Der Anrufer klang wie ein Feldwebel beim Morgenappell. Daniel fröstelte sofort.
>>Sie sind Daniel Neumann?<<
>>Ja, das bin ich! Warum interessiert sich GlobSecure für mich?<<
Natürlich war ihm sofort klar, was der Anlass für diesen Anruf war. Antall hatte seinen Kandidaten bei seinem Klienten vorgestellt. Und nun gab es immerhin eine formelle Absage.
>>Ich habe den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, dass Sie sich reisefertig um zwölf Uhr am Flughafen Düsseldorf einzufinden haben. Wenn Sie eine Abholadresse nennen, wird Sie ein Fahrdienst pünktlich dort hinbringen!<<
Daniel fehlten für einen Moment die Worte, nicht nur weil sich der Gesprächston seines Gesprächspartners akut frostig anhörte. Ihm fehlte das erwartete Wort, Absage.
>>Äh, ja, ich denke, das sollte möglich sein!<<
Er warf einen Blick auf seine Commwatch. Es war gerade halb zehn. Die andere Seite hatte es offensichtlich ziemlich eilig. War das ein gutes Zeichen?
>>Gut! Am Flughafen gehen Sie am Terminal C zum Flugschalter Einhundertsiebzig. Dort wird man Ihnen weitere Anweisungen geben! Sie benötigen eine gültige Identifikation. Ist das ein Problem?<<
>>Nein! Ich habe…<<
Die kraftvolle Stimme unterbrach ihn barsch.
>>Gut! Ich benötige die Adresse, an der sie abgeholt werden wollen! Ihre Wohnadresse?<<
Daniel bejahte überrumpelt. Sein zielstrebig kommunizierender Gesprächspartner ließ danach unnötigerweise ein paar Sekunden verstreichen, wie er feststellte.
>>Gut! Der Fahrservice wird um exakt zehn Uhr dreißig eintreffen. Da Sie in keinem gesicherten Bereich wohnen, stehen Sie an der Straße, wenn der Wagen kommt. Der Fahrer wird seinen Wagen nicht für Sie verlassen!<<
Daniel merkte den sich in ihm regenden ersten Widerstand.
>>Ich wohne hier nicht in der Bronx! Sie brauchen nicht zu befürchten, dass der Wagen beschossen wird!<<, platzte es aus ihm heraus.
>>Seien Sie pünktlich! Wenn Sie bis fünf Minuten nach Eintreffen des Fahrservice nicht am Wagen sind, wird der Fahrer ohne Sie abfahren. Dann ist Ihr Termin geplatzt! Haben Sie alles verstanden?<<
Dieser Knäpper ignorierte Daniels Einwand einfach. Der schluckte seine hochkochende Wut runter, um nichts Falsches zu erwidern.
>>Gut! Wenn alles klar ist, werden Sie heute Nachmittag erwartet. Guten Tag!<<
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Daniel schlug mit einer Faust auf die Tischplatte, um sich abzureagieren. Arroganter Idiot. Daniel rieb sich den schmerzenden Handballen. Bis zu diesem Anruf war er auf den Job neugierig gewesen. Nach dem Gespräch mit dem GlobSecure-Mitarbeiter stellte sich bei ihm reflexartig Durst ein. Ein Schluck Whisky wäre geeignet, seine Wut runterzuspülen. Wenn er eine der Flaschen aus dem Kühlschrank bis zum Mittag geleert hätte, würde der Fahrer halt vergeblich vor der Tür stehen. Dann würde Antall eben noch einmal auf die Suche gehen müssen.
Wenn der Auftraggeber die gleiche Art von Kommunikation wie sein Untergebener pflegte, konnte Daniel auf diesen Job verzichten. Wenn Knäpper sogar selbst der Auftraggeber war, konnte er sich seinen miesen Job in die Haare schmieren. Wieder machte sich sein Smartphone bemerkbar. Daniel nahm das Gerät auf. Ein fülliger Kopf mit öligem Haarschopf grinste ihm entgegen. Der Informationsaustausch zwischen GlobSecure und der Personalagentur funktionierte offensichtlich nahezu in Echtzeit.
>>Herr Neumann! Antall hier! Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen! Wie ich gerade erfahren habe, wurden Sie vom Klienten für den Auftrag ausgewählt!<<
Daniel unterdrückte einen Fluch. Der Whisky würde wohl im Kühlschrank bleiben. Die Nachwirkungen eines entspannt dahin dämmernden Nachmittages auch.
>>Ja, ein Herr Knäpper von GlobSecure hat sich gerade bei mir gemeldet! Aber Sie sagen, ich habe den Auftrag schon, obwohl mich der Auftraggeber noch nicht gesprochen hat?<<
>>Ja, so ist es! Ich gratuliere Ihnen. Sie haben einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Ich war überrascht, wie schnell es ging. Ich werde dieses Ergebnis sofort an das Amt für Arbeit melden, damit man Sie von dort nicht unnötig mit lästigen Nachfragen verfolgt. Wenn Sie diesen Job gut erledigen, melden Sie sich unbedingt bei mir. Ich hätte weitere Aufträge dieser Art für Sie!<<
Damit war die Tür Richtung Ausweg aus dieser Sache zugefallen. Ein Nein würde ihn sofort in finanzielle Nöte treiben und ab dem nächsten Monat zu einem Umzug in eine der Bauruinen am Stadtrand zwingen, die lediglich den Vorteil hatten, dass sie keine Miete kosteten und einem den lästigen Ballast des Eigentums abnahmen. Knäpper oder Bauruine?
>>Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Antall!<<, hörte Daniel sich sagen, obwohl er etwas anderes dachte, das den Tatbestand der schweren Beleidigung erfüllt hätte. Es lief auf Knäpper hinaus.