Kitabı oku: «Sonnenkaiser», sayfa 8
12.
Albert war gerade damit fertig, seine Waffen zu reinigen und zusammenzubauen. Eine dunkelgrau lackierte Wilson Combat lag in ihrem Transportfach im Koffer vor ihm, zusammen mit einem Schalldämpfer und mehreren Magazinen und Ersatzteilen. Mit einem Tuch polierte er konzentriert den Lauf einer zweiten Pistole, zu der der Schalldämpfer gehörte.
>>I got guns for hire, shoot you with desire. I´m a wanted poster, a needed man, wanted right across the land<<, brummte er dabei in schrägen Tönen einen Ausschnitt aus einem Stück seiner bevorzugten Band, deren Mitglieder bereits fast alle auf dem Friedhof begraben waren, dort, wohin er selbst schon eine Menge Leute geschickt hatte. Aus den kleinen Ohrstöpseln in seinen Ohren dröhnte die zugehörige Musik von einem Touchbook auf dem Tisch neben ihm.
Die Musik wurde plötzlich ausgeblendet und durch ein lautes Summen ersetzt. Das neue Geräusch unterbrach Albert bei seiner Beschäftigung. Er zögerte kurz, denn das Gerät gehörte seinem Partner, der für die komplizierten technischen Dinge der Neuzeit zuständig war. Ihm selbst lagen elektronische Werkzeuge weniger. Seine Sache waren die guten alten mechanischen Angelegenheiten, bevorzugt diejenigen, die mit einem Schlagbolzen. Immerhin war er in der Lage, auf solch einem Touchbook ein paar Programme zu bedienen, unter anderem einen Musikplayer.
Albert warf einen Blick auf das Display und seine Augenbrauen hoben sich, als er den Namen des Anrufers las. Langsam legte er die automatische Pistole in den offenen Deckel des außen mit dunklem Leder und innen mit schwarzem Stoff bespannten Koffers auf dem Tisch. Kurz betrachtete er die Fingerspitze seines rechten Zeigefingers und wischte dann über das Display des Touchbooks. Die Bewegung hatte etwas Zögerliches, war aber schnell genug für das Gerät, das prompt den verschlüsselten Audioanruf entgegennahm.
Albert neigte seinen Kopf zur Seite um festzustellen, ob sein Finger eine Spur vom Waffenöl auf dem Touchbook hinterlassen hatte. So etwas würde seinem Partner nicht unbedingt gefallen, wofür er absolutes Verständnis hätte. Auch Albert mochte es nicht, wenn Dorian eines seiner Arbeitsgeräte benutzte und dabei in einen unansehnlichen Zustand versetzte, möglicherweise noch mit Fingerabdrücken verziert.
Er runzelte missbilligend die Stirn, als er die zahlreichen Fingerabdrücke auf dem Display sah.
>>Was gibt es?<<, blaffte Albert.
Überflüssige Höflichkeit war nicht unbedingt seine Stärke. Aber der Anrufer wusste, wen er anrief, somit konnte er sich irgendwelche Floskeln sparen.
>>Hier ist André! Sind Sie das, Albert?<<
Die Stimme aus den kleinen Ohrstöpseln klang selbstbewusst.
>>Ja, Dorian ist gerade beschäftigt!<<, brummte er genervt.
Dorian und er befanden sich seit zwei Tagen in Málaga, in einem Hotel einer recht gemäßigten Preisklasse, in dem sie nicht auffielen. Dorian hätte gerne eine Unterkunft gewählt, in der sich die Bettwäsche frischer anfühlte und roch, das Interieur nicht aussah wie der Sonderverkauf von der Müllhalde, der Portier in seiner fleckig schmutzigen Garderobe nicht nach Schnaps und Schweiß stank, und nachts keine angetrunkenen Gäste lärmend durch die Hotelflure zogen und in die Ecken erbrachen. Aber in solchen Hotels stellten die Leute an der Rezeption unnötige Fragen, überprüften die Identität ihrer Gäste, und vor allem standen solche Hotels in Stadtteilen, die kameraüberwacht wurden. Wenn man gerne inkognito unterwegs war, waren das entscheidende Kriterien.
Also warteten sie in dieser Bude auf Andrés Anruf, nachdem Dorian ihm die Mitteilung mit dem Video geschickt hatte. Dorian war von Stunde zu Stunde wütender geworden, weil die Abschlusszahlung für den Auftrag auf sich warten ließ. Nahezu stündlich hatte er das Western Union-Konto geprüft, aber es erfolgte keine Eingangsbuchung. Fünfzigtausend waren ihnen für diese kleine Aktion versprochen worden, zehntausend vorab, der Rest nach Durchführung. Am Hafen lag ein Boot für sie bereit. Sie sollten einem GPS-Signal auf dem Meer folgen und das gefundene Ziel zu einem definierten Zeitpunkt eliminieren.
Es war einfach verdientes Geld gewesen. Albert hatte sich ein wenig mehr Spannung versprochen. Und Dorian hatte nicht erwartet, dass die Restzahlung der Prämie so lang auf sich warten lassen würde. Knapp eine halbe Stunde vor Andrés Anruf war er wütend aus dem Zimmer raus. So wie Albert Dorian einschätzte, vergnügte er sich gerade mit einer Nutte, für die diese Nummer hart verdientes Geld sein würde.
Der Anrufer ließ einen Moment verstreichen, als müsste er nachdenken. André war es gewohnt, mit Dorian zu sprechen, den er als den deutlich intelligenteren der beiden Männer ansah. Er war den beiden noch nie begegnet und hatte mit ihnen nur per Audioverbindung kommuniziert. Ihm lagen nur ihre Profilbeschreibungen inklusive Arbeitsnachweisen und Referenzen vor, wie in der Branche üblich. Er selbst hätte den Referenzen bereits etwas hinzufügen können. Dorian und Albert verstanden ihren Job, waren präzise, pünktlich, zuverlässig.
Bei den Gesprächen war Albert kaum zu Wort gekommen, aber das wenige, was er gesagt hatte, reichte André, um ihn einzuschätzen. Er zog es vor, Albert nach Möglichkeit nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen zu müssen. Der Mann wirkte auf ihn überschaubar intelligent, latent aggressiv und schwer kalkulierbar. Dorian war ihm der wesentlich angenehmere Gesprächspartner.
Leider fand seine Präferenz bei diesem Gespräch wohl keine Berücksichtigung.
>>Es tut mir leid, dass es mit der Restzahlung ein wenig gedauert hat. Aber der Kunde zeigte sich ein wenig enttäuscht, weil die Zielperson auf dem Video nicht zu sehen ist<<, sprach André weiter.
Seine Arbeit bestand darin, brisante Aufträge seiner Auftraggeber an geeignete Personen zu vermitteln, die professionell genug für die technischen Anforderungen und geübt darin waren, jenseits der Legalität zu arbeiten. Seitdem er in dieser Branche sein Geld verdiente, litt er nicht an Langeweile. André erledigte alles Finanzielle, versorgte die Auftragnehmer mit den notwendigen Informationen, hielt die Kommunikation zu ihnen aufrecht, bis die Arbeit erledigt war und stellte eventuell notwendige Unterstützung bereit.
Albert und Dorian arbeiteten nicht das erste Mal für ihn. Sie hatten bereits eine Reihe von Auftragsmorden und körperlichen Bestrafungen erfolgreich erledigt und dabei die erforderliche Diskretion und Professionalität bewiesen. Dorian war ein intelligenter technisch versierter und sehr umsichtig agierender Auftragskiller. Alberts Fähigkeiten beschränkten sich laut seinem Profil auf den Waffeneinsatz. Es gab scheinbar kein Gerät, das sich zum Töten eignete und das er nicht beherrschte. Und er beherrschte auch das Töten mit Dingen, die auf den ersten Blick nicht gefährlich wirkten.
Noch war er sich nicht sicher, ob das Ergebnis dieses Einsatzes als Missgeschick zu bewerten war. Die beiden hatten zwar eine Aufnahme gesendet, in der zu sehen war, wie das Boot zerstört wurde. Auch die Hinrichtung der Überlebenden war sehr deutlich zu erkennen. Leider fehlte ein wichtiges Detail.
Dieses Detail bekam er über einen ungewöhnlichen Weg. Ein anderer Auftrag war zuvor bei ihm eingegangen. Eine Entführung. Präzise Details dazu, wo die Zielperson wann zu finden war. André hatte alles arrangiert, allerdings nicht für Dorian und Albert. Es war einfacher, dafür jemand direkt in Marokko zu beauftragen.
>>Wir sollten ein Boot samt Besatzung versenken! Das haben wir getan! Wo liegt das Problem? Wann kommt unser restliches Geld?<<, blaffte Albert noch etwas ungehaltener.
André benötigte eine weitere Denkpause. Er spürte eine gewisse Abneigung dagegen, die Angelegenheit mit Albert zu besprechen. Mit Dorian war eine zielorientierte Unterhaltung möglich. Natürlich hatte es einen Fehler gegeben. Es war nicht nur um das Boot gegangen, sondern um eine bestimmte Person, die das Boot eindeutig vor dem Angriff bereits verlassen hatte.
Zwei Aufträge von verschiedenen Auftraggebern über die gleiche Zielperson zur gleichen Zeit. Das war ungewöhnlich, fast kurios, auf jeden Fall außerordentlich interessant. Dorian und Albert waren zu spät gekommen. Immerhin hatten sie mit dem Boot, wie er auf dem Video sehen konnte, einwandfreie Arbeit geleistet.
Dass sie zu spät waren, war nicht ihre Schuld. André hatte einen simplen Fehler begangen. Die Entführung war nach marokkanischer Zeit geplant gewesen und diese hatte er selbst versehentlich auch für die Versenkung des Bootes gesetzt, aber nicht in europäischer Zeit umgerechnet. Ein paar Seemeilen und eine andere Zeitzone. Eine Stunde nur, um die Albert und Dorian ihr Ziel verpasst hatten. Eine Stunde, die André selbst in eine prekäre Situation bringen konnte. Der Auftraggeber bezahlte für einen nicht erledigten Job.
André hatte die beiden Aufträge zuerst nicht in Verbindung gebracht. Er organisierte die Entführung. Erst als der bestellte Entführer ihm die Nachweise seiner Arbeit zugeschickt hatte, fiel ihm ein kleines entscheidendes Detail auf. Das Gesicht des Liquidationsziels auf dem Boot wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Gesicht des Entführungsopfers auf. Ein Dilemma. Aber ein lösbares. Sobald der Entführungsauftrag beendet war, würde der Mordauftrag eben nachträglich erledigt werden. Das Opfer lief ihm ja nicht mehr weg.
>>Ich konnte den Kunden überzeugen. Die Zahlung erfolgt also.<<
André wartete ab. Aber wie erwartet, blieb Albert stumm. Der sah aus dem Fenster des Hotelzimmers nach unten auf die Straße und verfolgte ein Paar, das eilig an den Häusern auf der anderen Straßenseite entlang lief. Er zielte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die beiden, atmete aus und hielt für einen Moment den Atem an. Der Zeigefinger zuckte kurz. Eine Sekunde später wiederholte sich diese Bewegung.
>>Der Auftraggeber hat einen weiteren Auftrag angekündigt<<, sprach André weiter.
>>Sie sind der Boss!<<, erwiderte Albert und grinste. Das Paar da draußen ahnte nicht, dass es gerade in der Fantasie eines Auftragsmörders exekutiert worden war, mit einem sauberen Schuss in jeden Hinterkopf.
>>Sie werden nach Deutschland fliegen, genau genommen nach Berlin! Danach bleiben Sie in Bereitschaft! Natürlich gegen Kostenerstattung<<, antwortete André.
Albert setzte sich wieder an den Tisch und legte seine Füße auf die Tischplatte neben dem Koffer mit den darin liegenden Pistolen.
>>Sie zahlen, wir reisen!<<
Albert rollte mit den Augen. Er hätte diesem André zu gerne in diesem Moment gegenüber gestanden. Er stellte sich den Mann als schmalschulterigen Bürotypen vor, in einem korrekt sitzenden Anzug, langweilig und farblos, keiner, der selbst wagte, Hand anzulegen. Natürlich hatten sie noch nie direkten Kontakt zu einem dieser Typen gehabt. Das Geschäft erforderte Anonymität. Aber wie sollte schon jemand aussehen, der nicht in der Lage war, seine Probleme selbst zu lösen, indem er einfach eine Waffe in die Hand nahm und abdrückte. Albert grinste und warf einen Blick auf die Wilson Combat.
>>Ich sende Ihnen die neue Vereinbarung an Dorians Mailbox. Sprechen Sie mit Ihrem Partner! Vor Ihrer Abreise bekommen Sie die nächste Teilzahlung!<<
>>Ein weiterer Auftrag, sagen Sie. Und dann noch mehr? Und wann? Wir bekommen Langweile, wenn wir zu lange herumsitzen und warten! Andere Aufträge warten auch<<, grinste Albert.
>>Keine Angst! Sie werden nicht allzu lange untätig sein<<, erwiderte André und versuchte sich Alberts bedingt intelligenten Gesichtsausdruck vorzustellen.
Albert schlug mit einer Hand auf seinen Oberschenkel. Der laute Knall ließ André unwillkürlich zusammen zucken. Es klang für ihn wie ein Schuss und er fragte sich für einen Moment, ob Albert mit seinen Waffen rumspielte.
>>Albert? Alles in Ordnung?<<, fragte er irritiert, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass etwas Ernsthaftes passiert war. Albert würde sich schon nicht selbst erschossen haben.
>>War das zu laut? Sie sind zu schreckhaft! Jetzt reden Sie endlich Klartext! Wie viele Exekutionen kommen noch?<<, grunzte Albert, dem langsam die Geduld ausging. Keine schwierige Hürde, sein Geduldslevel.
>>Ich erhalte Ihre Ziele selbst von einem Kunden, der sie dann nennt, wenn es an der Zeit ist.<<
Diese vage Auskunft hatte auf Albert tatsächlich eine beruhigende Wirkung.
>>Ok, Sie sagen Bescheid, wenn es so weit ist. Wir fliegen erst mal nach Berlin<<, brach es aus ihm raus. Er streckte eine Hand aus und fuhr mit den Fingern am Lauf der Wilson Combat entlang. Ein gutes Gefühl. Glatt, kühl, ehrlich. Die Frage, auf welche Weise Metall ehrlich sein konnte, kam ihm nicht in den Kopf. Es war einfach so.
Albert steckte seinen Zeigefinger in den Abzugschutz der zweiten Waffe, die in der anderen Kofferhälfte lag. Gemächlich drehte er die Pistole im Kreis und zielte damit auf das Fenster. Das Gespräch begann ihn zu langweilen. Die für ihn wichtigen Dinge waren besprochen. Der Rest war Angelegenheit seines Partners.
>>Okay! Ich werde Dorian von Ihrem Anruf erzählen! Sie sagen, wenn es weitergeht! Er kann alles nachlesen, weil Sie es ihm ohnehin noch mal schicken!<<
>>Genau! Danke, Albert!<<
Albert verdrehte die Augen. Dieser André war ein schleimiger arroganter Idiot.
>>Dorian meldet sich bei Ihnen! Bis dann!<<
Albert tippte vorsichtig mit einem Finger auf das Display des Touchbooks, das aufleuchtete.
Dann drückte er seinen Daumen auf das rote Feld unter der Gesprächsanzeige und beendete das Gespräch.
>>André, hören Sie mich?<<
Als keine Antwort kam, lehnte Albert sich zufrieden zurück. Wie es aussah, war für die nächste Zeit für ausreichend Unterhaltung gesorgt. Er betrachtete die schwere Wilson Combat mit zufriedenem Blick und stellte zum wiederholten Mal fest, wie gut sie in seiner Hand lag.
13.
Die drei Männer hatten bereits eine Stunde in dem alten Kleintransporter gewartet. Der rostige und großzügig mit Dellen versehene Kleinwagen mit dem kastenförmigen Laderaum stand am Rande eines Waldstücks, verborgen hinter einigen hohen Sträuchern. Von der Anlage aus, die sich etwa einen Kilometer entfernt befand, konnte er kaum gesehen werden. Zwischen Anlage und Wald lag ein Feldweg, der sich geradeaus über eine Ackerfläche zog, eine schwach befahrene Bundesstraße und ein weiterer brachliegender Acker auf der anderen Seite der Straße.
Sie hatten den Feldweg auf der abgewandten Seite des Wäldchens benutzt, um ihre Position zu erreichen. Ein kleiner Teil der Frontscheibe bot einen Blick auf das Objekt ihres Interesses. Allerdings wurde die Sicht bei zunehmender Dämmerung immer schlechter. Bis zum Sonnenuntergang würde es keine halbe Stunde mehr dauern.
Einer der drei, ein jung aussehender Mann mit lockigen schwarzen Haaren und einem kurz geschorenen Bart, beobachtete die Anlage durch ein Fernglas und erzählte hin und wieder den anderen beiden, was er sah. Die saßen im Laderaum auf dem Boden und kontrollierten erneut ihre Ausrüstung in den beiden großen ziemlich mitgenommen aussehenden schwarzen Sporttaschen, um die Zeit totzuschlagen.
Alle drei spürten die Anspannung, die sich während der Wartezeit aufgebaut hatte. Allzu lange würde es nicht mehr dauern, bis sie endlich losschlagen konnten.
Ahmed, der mit dem Fernglas auf dem Beifahrersitz des Wagens saß, rutschte auf dem rissigen Kunstlederbezug hin und her. Aus dem Sitzinnern presste er mit seinem Gewicht die darin befindliche Nässe. Seine Hose fühlte sich im Schritt unangenehm klamm an.
Es roch im Innern des Wagens muffig und feucht. Passend dazu wucherte ein grünlicher Belag in allen möglichen Ecken. Das Fahrzeug hatte seine beste Zeit lange hinter sich gebracht und bereits beim Kauf ehrlich gezeigt, was der Interessent erwarten konnte. Innen an der Frontscheibe lief am Abend des Kaufs noch Wasser herunter und sammelte sich am Boden in kleinen Pfützen. Die Ladefläche hinter den völlig abgenutzten Sitzen war zerschrammt und mit Rost bedeckt. Der Motor quälte sich beim Starten, blies dann reichlich Qualm aus dem Auspuff, verfiel aber doch in einen recht ruhigen Lauf. Dafür erforderten die Bremsen ein gewisses Maß an Nervenstärke von den Fahrzeuginsassen. Der graue nachträglich mit einer Farbrolle angebrachte Anstrich der Karosserie verdeckte notdürftig, dass an diesem Wagen das meiste längst von Rost befallen war.
Sie benötigten zwei Fahrzeuge ohne Verkehrskontrollsystem, also solche, die alt genug waren, um von den gesetzlichen Vorschriften ausgenommen zu sein. Zwar kam man mit solchen Wagen nicht in die städtischen Sicherheitszonen, auch nicht in die Umweltzonen der Städte, in denen besondere Luftreinhaltungsvorschriften herrschten und auch nicht auf die Autobahnen, deren Benutzung nur mit automatischen Identifikations- und Mautsystemen erlaubt war. Aber dafür benötigten sie den Transporter auch nicht. Er hatte sie nur zu diesem Ort befördern sollen. Seine letzte Aufgabe war ein kurzes Feldwegrennen.
Sie hatten die Autos anonym bei einem Straßenhändler in einer No-Go-Zone gekauft. Der Mann, ein stämmiger Typ mit vernarbtem Gesicht und atemberaubend fauligem Atem, sprach nur gebrochen Deutsch und sein Akzent ließ darauf schließen, dass er aus Osteuropa kam. Er hatte mit zwei anderen Männern zusammen mehrere sehr betagte Fahrzeuge abends auf einem Parkplatz eines Supermarktes angeboten. Auf dem Platz standen mehrere nicht sehr vertrauenswürdig aussehende Personen. Das gleiche galt auch für ihre angebotenen Waren, ähnlich alte Autos, verschiedenste gebrauchte elektronische Geräte, Zigaretten, Alkohol und natürlich auch Drogen und Waffen.
Dieser Stadtteil Frankfurts gehörte zu den Gegenden, in denen die Polizei sich längst nicht mehr blicken ließ. Einzelne Streifenwagen mit zwei Polizisten bedeuteten hier nur eine schnell zu beseitigende Provokation. Für einen Aufmarsch einer größeren Zahl von Ordnungskräften war dieser Bereich der Stadt nicht mehr interessant genug. Abgesehen davon wäre der Aufwand, hier der geltenden allgemeinen Ordnung Geltung zu verschaffen, nicht absehbar.
Mangels einer funktionierenden Exekutive schützten sich die Leute, die hier wohnten, so gut es ging, selbst. Und dazu gehörte, dass man nicht auffiel und vor allem nicht die falschen Fragen stellte. Man arrangierte sich mit den Gegebenheiten, versuchte, sich durchzuschlagen. Wer Glück hatte, wohnte in Gemeinschaften, die sich durch ihre Größe besser vor anderen schützen konnten. Die, die hier ein Geschäft machen wollten, stellten auch keine Fragen, vor allem nicht darüber woher die angebotenen Waren stammten. Die Antworten darauf wären ohnehin nicht von Belang gewesen, da sie kaum ein Wörtchen Wahrheit enthalten hätten. Lediglich bei der Bezahlung, ausschließlich mit Bargeld, wurde auf Wahrheit extrem viel Wert gelegt.
In einem Land, in dem offiziell keine Bargeldzahlung mehr vorgesehen war, hätte man vielleicht erwarten können, dass so etwas nicht möglich sei, aber weder der allmähliche Einzug der im Umlauf befindlichen Banknoten noch die offizielle Erklärung ihrer Ungültigkeit hatten ihre Wirkung entfalten können. Hier fand man Geldscheine und Münzen aus der ganzen Welt und niemand scherte sich darum, welche Einstellung Regierungen zu ihrem Geld hatten. Hier blieb es Zahlungsmittel, natürlich nur, solange es echt war.
Während Ahmed mit dem Verkäufer verhandelte, standen die nach Alkohol riechenden und schlecht rasierten Begleiter des Autoverkäufers in ihren schwarzen Lederjacken mit finsteren Gesichtern stumm im Hintergrund und warteten wohl nur darauf, dass etwas nicht in ihrem Sinn ablief. Zur Bestätigung dieser Intention hielt einer einen Knüppel in der Hand, während der andere mit einem Messer mit beunruhigend langer Klinge herumspielte. Ahmed hatte versucht, sich davon nicht beunruhigen zu lassen, was ihm nicht gelang. Trotzdem sie selbst zu dritt zu dem kleinen Markt gegangen waren, war ihm ziemlich flau im Magen gewesen.
Sie hatten sich ein paar Isomatten mitgenommen, um nicht während der Wartezeit im leeren Laderaum auf dem kalten Blech sitzen zu müssen. Auf der Hinfahrt zu diesem Warteplatz konnten nur zwei von ihnen die beiden Sitze benutzen. Der dritte hatte im Laderaum nahe der Hecktür gesessen, sich mit einem Seil an zwei an den Wänden angeschweißten Griffen gesichert und gehofft, dass nichts Unvorhergesehenes geschah.
>>Wie lange dauert das denn noch? Ich hab noch was flachzulegen! Mich juckt es schon!<<, nörgelte einer der beiden aus dem Laderaum und lehnte den Kopf heftig an der Laderaumwand an. Der Aufprall klang schmerzhaft. Trotzdem zuckte der Mann nicht einmal mit den Augenlidern.
Trotz der Matten saß es sich in dem dämmerigen Ladeabteil unbequem. Dank des Frühsommers war es unangenehm warm und der Wagen schien jeden einzelnen Wassertropfen, den er jemals eingesammelt hatte, auszuschwitzen.
>>Khaleb, Du nervst!<<, erwiderte Ahmed.
>>Wie oft soll ich es noch wiederholen! Wir müssen warten, bis die Anlage hochfährt. Erst dann macht es Sinn, unser kleines Feuer zu zünden!<<
Khaleb, ein junger sportlich wirkender Mann, der wie seine Begleiter eine Hose und ein Shirt in einem braunen Camouflage-Muster trug, nickte und schloss die Augen.
>>Bevor Du wieder fragst, es gibt keine feste Uhrzeit!<<, fügte der dritte Mann hinzu, der nur unter seinem Spitznamen Mac angesprochen wurde. Er hatte sichtlich ein paar Kilo zu viel. Das Shirt tarnte bei ihm hauptsächlich das Zuviel an Bauchumfang. Im Vergleich zu den anderen beiden wirkte er sehr behäbig.
Die Anlage, die Ahmed beobachtete, war ein Brennstoffzellenkraftwerk, das nachts und bei Windstille die konventionellen Kraftwerke bei der Stromversorgung unterstützte, wenn die Strommengen aus Solar- und Windkraftwerken nicht ausreichend zur Verfügung standen.
Das Kraftwerk bestand aus mehreren Komponenten. Aus einer unterirdischen Kaverne wurde Wasserstoff in den Hauptkomplex geleitet, in dem eine gewaltige Brennstoffzellenbatterie das erste Element des Periodensystems mit Sauerstoff oxidierte. Das Ergebnis, Strom, wurde ins Stromnetz geleitet, das Abfallprodukt, Wasser, in das Abwassernetz.
Die Anlage stellte Wasserstoff selbst her, der direkt in die Kaverne gepumpt wurde, in der ein ausreichender Vorrat gespeichert war, um die Maximalleistung der Anlage für eine Woche sicherzustellen. Derartige Anlagen waren in Bezug auf die in das Netz eingespeiste Leistung nicht sehr wirtschaftlich. Erst wurde Strom erzeugt, etwa im weit entfernten Marokko, durch das interkontinentale Netz hierher geleitet, und dann verwendet, um Wasser in seine Bestandteile zu spalten. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Wasserstoff aus diesem letzten Prozess benutzt, um wieder Strom zu erzeugen. Von der ursprünglichen Strommenge blieben damit nicht einmal vierzig Prozent über. Aber auch dann, wenn die Windparks keine Energie lieferten, musste die Stromversorgung gesichert werden.
Ahmed kannte sich mit solchen Anlagen nicht gut aus. Der Plan stammte auch nicht von ihm, sondern von Will und seinem Team, die alle ihre Aktionen bisher organisiert hatten.
>>Dafür habe ich dieses kleine Spielzeug dabei.<<
Ahmed zeigte auf das kleine netzfähige Touchpad auf seinen Knien, an dem ein separates Empfangsmodul klemmte.
>>Ach, der Computerfreak sagt Dir Bescheid? Warum ist der denn nicht mitgekommen? Will er sich nicht die Hände schmutzig machen? Oder hat er Angst, nicht gut genug klettern zu können?<<, lachte Khaleb mit einem abfälligen Seitenblick auf Mac.
>>Keine dummen Sprüche über Nightmare! Ohne ihn könnten wir unsere Aktionen kaum durchziehen!<<
Ahmed warf einen wütenden Blick in den Laderaum.
>>Wenn Du mich fragst, ist der Typ schon ein bisschen gestört! Mag ja sein, dass er mit seinem Computer umgehen kann, aber wenn er nichts zu tun hat, spielt der Kerl darauf nur Ego-Shooter und ballert als virtueller Superkrieger Hunderte von Gegnern weg. Wenn er nicht gerade wieder bekifft ist.<<
Er warf einen Blick auf Mac.
>>Warum spielst Du nicht auch mal solche Spiele?<<
Khaleb gönnte sich eine Kunstpause, um den Effekt seiner Worte zu steigern.
>>Weil es in solchen Spielen nichts zu essen gibt!<<
Er lachte laut los und schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel. Mac streckte ihm eine Hand mit erhobenem Mittelfinger entgegen.
>>Mensch, halt die Klappe! Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig anzufeinden<<, fauchte Ahmed ihn an.
>>Ist ja gut! Ein kleines Späßchen wird ja wohl noch drin sein, während ich mich hier zu Tode langweile<<, gab Khaleb zurück, ohne wirklich eingeschüchtert zu klingen.
Sie arbeiteten zum ersten Mal zusammen. Für Ahmed war das eine nicht ganz angenehme Situation, denn er wusste nicht, was er von seinen beiden Begleitern erwarten konnte.
Hassan, der Anführer ihrer Zelle, hatte zusammen mit Nightmare das Team für diese kleine Aktion zusammengestellt. Eine Aufwärmübung. Ahmed hatte bereits ein paar Anschläge durchgeführt. Am wichtigsten war die Flucht. Sich nicht erwischen lassen. Aber die gegnerische Seite beschützte keine Kaserne oder ein Atomwaffenarsenal.
Mac war ihr Techniker, versiert im Umgang mit elektrischem Equipment nahezu jeder Art, talentiert mit Werkzeug, aber körperlich ein wenig gehandicapt mit Ballast und fehlender Fitness. Er hatte Hassan tagelang in den Ohren gelegen, weil er unbedingt einmal dabei sein wollte, wenn seine Basteleien zum Einsatz kamen. Der hatte ihn daraufhin einmal im F-Block durch das Treppenhaus gejagt und für einen Einsatz wie diesen für fähig befunden. Wenn man von den technischen Fähigkeiten einer Person abhängig war, fielen Zugeständnisse einfacher. Einen beleidigten Mac konnten sie nicht gebrauchen und Ersatz war schwer zu bekommen.
Khaleb war erst seit ein paar Wochen bei ihnen. Körperlich gab es an ihm nichts auszusetzen. Lediglich ein etwas zu großes Ego und ein Übermaß an Testosteron standen ihm manchmal im Weg.
Näher kennengelernt hatten sie sich aber noch nicht. Man konnte sich am Berg, in der Poor Man´s Residenz, problemlos aus dem Weg gehen. Bei den Treffen der Zelle sprachen hauptsächlich Hassan und Nightmare. Die Zelle bestand nicht aus lauter Gleichgesinnten, die auch gerne miteinander Fußball spielten. Sie waren eher fast alle Einzelgänger.
Mac hockte sowieso lieber in seiner Bastelbude und schraubte an seinen Spielzeugen herum. Khaleb steckte hauptsächlich mit Jungs aus den anderen Blöcken zusammen, die so wie er an harten Muskeln, Imponiergehabe und Kräftemessen interessiert waren.
Khaleb gähnte theatralisch und wedelte mit einer Hand vor seinem Mund herum. Am Handgelenk raschelte ein schmales graues Armband aus Metallgliedern. Auf einem breiten Plättchen war ein Totenkopf eingraviert.
Ahmed hätte das Team gerne anders zusammengestellt. Aber Hassan war der Chef und Nightmare hatte auch kein Problem in dieser Kombination gesehen.
>>Wer interessiert sich schon für uns? In dem Wäldchen hier läuft doch keiner rum. Und da drüben ist kein Hochsicherheitstrakt! Da laufen ein paar Wachleute rum und warten auf ihren Feierabend. Wir sollten einfach losmarschieren, unseren Job erledigen und wieder abhauen! Bevor einer nachschaut, was wir machen, sind wir wieder weg und hier brennt der Himmel!<<
Gelangweilt begann Khaleb, das Armband um sein Handgelenk zu drehen. Kurz hielt er es und zeigte Mac die Gravur.
>>Schicke Frisur, nicht wahr? Und wie man sieht, hat er nicht ein Gramm Fett zu viel!<<
Mac ballte die Fäuste zusammen.
Das Touchpad gab einen Summton von sich und Ahmed legte das Fernglas zur Seite. Er nickte zufrieden, als er die Nachricht von Nightmare sah.
>>Jungs, es geht los!<<
Er legte das Touchpad in den Rucksack vor sich im Fußraum und rutschte wieder hinter das Lenkrad.
Der Motor drehte ein paar Mal quälend langsam durch, bevor er ansprang und seiner Pflicht nachkam. Obwohl sie die betagte Technik des Wagens geprüft und, soweit notwendig und möglich, repariert hatten, wollte sich bei Ahmed kein wirkliches Vertrauen in ihr Transportmittel einstellen. Auch deswegen gab es einen zweiten Wagen.
Im Laderaum wurden Khaleb und Mac lebhaft. Sie schoben ihre Taschen zur Hecktür und setzten sich direkt dahinter. Dann hielten sie sich an den Griffen fest und warteten.
Ahmed lenkte den Kleintransporter vom Feldweg auf die mehrspurige Bundesstraße. Sie hatten sich den Ablauf immer wieder eingeprägt. Sobald sie den Transporter verließen, würden ihnen nur ein paar Minuten bleiben. Durch das Fernglas hatte Ahmed zu seiner Beruhigung feststellen können, dass es keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen für die großflächige Anlage gab. Eigentlich verwunderlich, denn FreePeople verübte regelmäßig Anschläge auf Eigentum von DesertEnergy. Diese Anlage war nur noch nicht auf ihrer Liste gewesen.
Ein mehrere Meter hoher Zaun umgab das Gelände. An den Zufahrten befand sich Wachpersonal. Das Gelände wurde durch Kameras überwacht. Irgendwo mochte jemand sitzen und auf Bildschirme starren, um mögliche Eindringliche schnellstmöglich zu entdecken, unterstützt durch Infrarotsensoren und andere technische Möglichkeiten. In dem Fall würde die Sicherheitsmaschinerie anlaufen und ein paar Bewaffnete ausspucken, die den unerwünschten Besuchern nachstellen würden.
Sie hatten nicht vor, auf das Gelände vorzudringen. Ihr Job war keine Kamikazeaktion und sie hatten die feste Absicht, zu entkommen.
Ahmed fuhr das kurze Stück am Umspannwerk vorbei. Dort, wo die Strom führenden Leitungen über den Zaun steil in die Höhe ragten, führte ein spärlich asphaltierter Weg hinter dem Gelände entlang. Zwischen dieser Behelfsstraße und der Anlage in knapp fünfzig Metern Entfernung zum Zaun standen mitten auf der Ackerfläche drei große Strommasten, zu deren weit ausladenden Armen die Leitungen führten.
Der Transporter bog auf den Weg ab und Ahmed rang ihm seine Leistung ab. Laut röhrend kam der Wagen der Aufforderung nach.