Kitabı oku: «10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4», sayfa 2

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Traf unser Verdächtiger auf Männer oder Frauen, bewegte er sich vorsichtig, aber nicht allzu auffällig an ihnen vorbei. Hin und wieder grüßte er sogar und sprach mit ihnen.

Schließlich bog er noch einmal ab und nun sahen wir, dass er sich in einem Hinterhof auf eine Mauer setzte und zu warten schien.

Wir verharrten im Eingang eines alten, leer stehenden Hauses und warteten ebenfalls.

Der Hinterhof verfügte über zwei Türen. Eine führte zu einem Wohnhaus, wie mir Holmes wispernd erklärte, die zweite hingegen zum Hintereingang eines Pubs.

Die Zeit verging. Wir standen in der Enge und Kälte und nun wurden meine Glieder tatsächlich steif. Dennoch konnten wir uns nicht rühren, denn jederzeit konnte geschehen, worauf Holmes wartete.

Nach mehr als fünfzehn Minuten hörten wir Schritte und bald darauf sahen wir eine blondhaarige Frau an uns vorbeigehen. Wir hatten uns so tief in den Eingang zurückgezogen, dass sie an uns vorbeihastete, ohne uns zu bemerken.

Kaum war sie ein paar Schritte weiter, als wir erneut hinüber zu dem Hof schauten.

Zu meinem Erstaunen sah ich, dass sich unser Verdächtiger seines Mantels entledigte. Dann streifte er sich etwas Langes, Dickes über und im fahlen Licht einer Lampe sah ich, dass er sich tatsächlich in einen Wolf verwandelt zu haben schien.

Die Blondhaarige hatte ihn noch nicht entdeckt. Sie ging auf jene Tür zu, die zum Pub führte. Plötzlich aber nahm sie den Mann wahr, der sich nun mit einem seltsamen Brüllen auf sie stürzte.

Starr vor Entsetzen hielt die Frau inne, die Hände auf den Mund gepresst. Sie schrie nicht, sie floh nicht – sie starrte lediglich das Wesen an, das sich auf sie stürzen wollte.

»Kommen Sie!«, rief Holmes und sprang aus unserem Versteck.

Rasch zückte ich meinen Revolver. »Stopp! Wagen Sie es nicht, die Dame anzugreifen!«

Der Mann blickte sich gehetzt um und tat, womit ich nicht gerechnet hatte – er griff uns an.

Mit großen Sätzen jagte er auf uns zu. Holmes, der vor mir in den Hof gelaufen war, wollte ihn stoppen, schrie aber schmerzerfüllt auf, als der Werwolf mit seinen Pranken nach ihm hieb.

Auch nach mir schlug er, doch ich konnte einem Treffer entgehen. Ich schoss, aber die Kugel streifte ihn nur.

»Ihm nach!«, rief Holmes. Trotz der Verletzung nahm er die Verfolgung auf. Wir eilten die Straße entlang und bogen schließlich in jene Richtung ab, in der Lestrade auf uns wartete.

Davon ahnte der Bursche natürlich nichts. Umso überraschter war er, als er die Beamten vor sich auftauchen sah.

»Achtung, seine Krallen sind scharf!«, rief Holmes. Ihm antworteten die entsetzen Rufe der Männer, die nun glaubten, ein waschechter Werwolf käme auf sie zu. Einzig Lestrade behielt die Sinne beisammen.

»Das ist eine Verkleidung!«, rief er seinen Beamten zu. »Fasst ihn!«

Und so geschah es.

Beruhigt durch diesen Ruf warfen sich die wackeren Constabler auf den Fliehenden, rangen ihn zu Boden und legten ihm die Eisen an.

Als wir die Polizisten erreichten, hatten sie dem Mann bereits das Kostüm abgenommen. Nun, aus der Nähe betrachtet, erkannten wir, dass es sich tatsächlich um ein Wolfsfell handelte. Obwohl – der Richtigkeit halber muss erwähnt werden, dass es mehrere Wolfsfelle waren, zusammengenäht zu einem großen Kostüm. Der Kopf eines Tiers war ausgehöhlt worden, sodass man ihn wie eine Maske überstreifen konnte. An den Pfoten befanden sich zudem nicht die natürlichen Krallen eines Wolfs, sondern scharfe Messer aus Metall.

Trotzig blickte uns der Täter an.

»So!«, sagte Holmes, eine Hand auf die Wunde an seinem Arm gepresst. »Sind Sie uns in die Falle gegangen. Guten Abend, Mister Watkins!«

»Sie kennen meinen Namen?«, fragte der Verhaftete.

»Oh, nicht nur das! Ich weiß, was Sie getan haben und was Sie tun wollten! Möchten Sie ein Geständnis ablegen?«

Watkins wandte den Kopf zur Seite. »Sie werden mich ohnehin hängen. Ich sage kein Wort!«

»Wie Sie meinen!« Holmes blickte zu Lestrade, während wir schnelle Schritte hörten. Kurz darauf erschien die Blonde. Sie war außer Atem, wollte zu einem der Constables gehen und hielt inne, als sie Watkins erblickte. Ihr Blick fiel auf das Fell, ihre Augen weiteten sich. »Du? Aber warum …?«

»Es ging die ganze Zeit um Sie, Miss Watkins. Ich fürchte, Ihr Mann war schon eine Weile Ihrer überdrüssig!«

»Ich verstehe nicht …«, wisperte Mrs Watkins.

»Nun, ich werde es Ihnen allen erklären. Und dies recht schnell, denn die Kälte ist alles andere als gemütlich!«

Holmes lächelte, während er die Hände in die Taschen seines Mantels steckte. Dann aber verzog er das Gesicht, denn die Wunde schmerzte.

»Um eines vorwegzuschicken – ich habe nie an die Existenz legendenhafter Werwölfe geglaubt. Ich bin überzeugt, dass alles eine rational zu erklärende Ursache hat! Daher suchte ich stets einen Menschen als Täter. Wenn aber alle Zeugen aussagten, sie hätten einen riesigen Wolf auf zwei Beinen gesehen, so konnte dies nur eines bedeuten – ein Kostüm!«

Er legte eine kurze Pause ein, in der wir zu besagtem Wolfskostüm schauten, das nun einer der Beamten in Händen hielt.

Bei der zweiten Tat beging der Täter einen Fehler, wohl ohne es zu merken. Blut tropfte von seiner Verkleidung zu Boden. Eine dünne Spur entstand, die sich bis zum Wohnhaus von Mister Watkins verfolgen ließ. Leider konnten wir nicht feststellen, in welche der vier Türen der Täter eingetreten war. Ich las jedoch die Namensschilder und fand dabei jenes von Mister Watkins – Schmied und Scherenschleifer. Dies war der erste Anhaltspunkt, denn ein Kostüm benötigt scharfe Krallen, will man damit töten.«

Wieder legte er eine Pause ein. Der Beamte hob die Tatzen des Wolfspelzes und wir sahen die metallenen Krallen.

»Ich begann, Erkundigungen einzuziehen. Zuerst observierte ich Mister Watkins, um mir ein Bild von ihm und seiner Lebenssituation zu machen. Anschließend fragte ich telegrafisch jeden Kürschner, ob er in letzter Zeit ein Wolfsfell verkauft habe. Einer der von mir angeschriebenen Geschäftsleute bestätigte den Verkauf von drei Fellen. Ich suchte ihn auf, beschrieb ihm Mister Watkins und erhielt die Bestätigung, die mir fehlte!«

Er lächelte in sich hinein, während der Täter einen grimmigen Blick in unsere Richtung warf. Auch jetzt, mit dem schlimmsten aller Schicksale konfrontiert, ging von ihm purer Hass aus.

»Blieb noch das Motiv. Ich konnte nicht ausschließen, dass der Täter aus einem inneren Trieb heraus handelte, wollte aber sicher sein. So verkleidete ich mich als Arbeiter und kam mit ihm, aber auch mit anderen aus der Umgebung ins Gespräch. Nach und nach zeigte sich, dass Mister Watkins eine Geliebte hatte und seine Frau gerne losgeworden wäre. Diese aber hatte eine kleine Summe geerbt, von der ihr monatlich etwa zwei Pfund zustanden. Das war nicht genug, um beide sorgenfrei leben zu lassen; er arbeitete als Handwerker, sie reinigte nach Sperrstunde in einem Pub. Aber aufgeben wollte er das Geld auch nicht. Also glaubte er, als Witwer ein Anrecht auf das Erbe seiner Frau zu haben. Ob dem so ist, sei dahingestellt – aber dies war die Triebfeder seiner Taten!«

Mrs Watkins hatte schweigend zugehört. Nun aber neigte sie den Kopf zur Seite. »Aber warum sollte er zwei Prostituierte töten, wenn er eigentlich nur mich umbringen wollte?«

»Ablenkung, meine Dame«, sagte Holmes mit einem traurigen Lächeln. »Ihr Mann wollte nicht einfach töten. Er ersann einen teuflischen Plan, um die Polizei und die Presse zu verwirren. Ich sprach wiederholt mit dem Betreiber der rumänischen Tiershow. Dort erinnerte man sich an einen Mann, der nach dem Besuch einer Show noch eine Weile blieb und die zuvor angesprochene Legende der rumänischen Werwölfe mit großem Interesse vertiefte. Offenbar reifte schon während der Vorstellung die Idee in Mister Watkins, diese Sage zu nutzen.«

»Also bastelte er sich ein Werwolfkostüm und tötete zwei Frauen!«, rief Lestrade voll Abscheu.

»So ist es. Ich nehme an, bei dem ersten Opfer übte er. Der Polizeiarzt fand Abdrücke von den Reißern des Wolfs, die aber nicht tief eindrangen. Er muss die Zähne in den Körper seines Opfers gepresst haben. Aber dies zeigte wohl keine Wirkung, sodass er sich schließlich auf die Krallen allein verließ.«

»Barbarisch!«, rief Lestrade. Dann schaute er zu Watkins. »Haben Sie noch etwas zu sagen?«

Watkins schüttelte den Kopf.

»Ich habe noch eine Frage!«, sagte ich. »Wie konnten Sie sich so sicher sein, dass er erst heute zuschlägt?«

Holmes deutete nach oben, zu den dichten Wolken. »Die Legende besagt, dass ein Werwolf bei Vollmond zuschlägt! Die ersten beiden Morde geschahen bei Vollmond, dann kehrte Ruhe ein. Erst heute war wieder Vollmond – ich ahnte, dass er heute zuschlagen würde! Denn so lautete auch die Sage, die er bei den Rumänen kennengelernt hatte. Und die diente ihm schließlich als Vorlage.«

Damit war der Fall gelöst. Watkins beendete sein Leben acht Monate später am Strick. Ob es Zufall war oder das Schicksal ihm mitspielte – doch der Fall genügte nicht, um ihm das Genick zu brechen, und so litt er mehrere Minuten, ehe ihn eine Ohnmacht erlöste.

Niemand, der davon hörte, hatte sonderliches Mitleid!

E N D E

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DER VERSCHWUNDENE BRÄUTIGAM

Box 4 – Fall 32

Lady Cunningham war entzückt, mich auf ihrem großzügigen Anwesen begrüßen zu dürfen. Obwohl der Tag bereits weit fortgeschritten war, bestand sie auf ein ausgiebiges Dinner im Kreise von Freunden; neben einem Ehepaar, welches ich bis dato nicht kannte, war auch Sir Duncan zugegen.

Letzterer, so werden sich meine Leser erinnern, hatte fast seinen Besitz an die Bank verloren; erst im letzten Moment war es Holmes gelungen, einen vor Jahrhunderten von Sir Duncans Vorfahren versteckten Schatz ausfindig zu machen.

Mit ihm hatte der Adelsmann nicht nur seine Schulden tilgen können. Nein, es war am Ende auch genug übrig, um ihm und seinen Nachkommen ein sorgenfreies und standesgemäßes Leben zu sichern. Personal kümmerte sich nun wieder um sein Wohlbefinden, und der alte Butler, der ihm stets die Treue gehalten hatte, genoss seinen Lebensabend in einem schmucken Turmzimmer, ohne auch nur noch einen Finger rühren zu müssen.

Alles hatte sich zum Besten gewendet für Sir Duncan, und hierfür war er meinem Freund und mir noch immer überaus dankbar. Dies zeigte sich auch in dem kleinen Geschenk, welches er mir gleich nach meiner Ankunft überreichte – in einer hübsch verpackten Schachtel fand ich eine alte Schnupftabak-Dose aus purem Silber, verziert mit Edelsteinen und meinem Namen als Gravur.

Als ich an jenem Abend im Kreise all jener Gäste saß und das Mahl genoss, wurde mir klar, dass ich mich im Kreise von Freunden befand, von denen ich bisher nicht gewusst hatte, dass ich sie habe. Der informelle Umgang, die Scherze und nicht zuletzt die Blicke, die mir Lady Cunningham schenkte, stimmten mich einerseits froh, andererseits aber auch nachdenklich.

Mein Leben hatte einige Wendepunkte erfahren. Die Kriege, in denen ich verwundet worden war, sowie meine Bekanntschaft mit Holmes zählten sicherlich ebenso dazu wie meine Hochzeit mit Mary und deren allzu frühem Tod.

Nun, da ich in diesem Kreis saß, wurde mir bewusst, dass ein weiterer Wendepunkt anstand. Vielleicht der finale Schlusspunkt, denn in meinem Alter kommt der Moment, da man sich zurückzieht und die Früchte seines Lebens genießt, so man welche zu ernten hat.

Holmes, das erwähnte ich bereits, spielte verstärkt mit dem Gedanken, sich zur Ruhe zu setzen und der Bienenzucht zu frönen.

Was aber blieb mir, wenn er London verließ?

Gewiss, ich konnte eine Praxis eröffnen oder gemeinsam mit einem Kollegen praktizieren. Auch würde sich die Polizei freuen, mich als Experten konsultieren zu können.

Aber was bedeutete dies für die Abendstunden? Wollte ich wirklich in einem Salon sitzen, allein mit mir und meinen Gedanken, ohne die Möglichkeit, mich mit jemandem auszutauschen? Was für ein trauriges und einsames Leben wäre das?

Anders als Holmes schien ich nicht für solche Einsiedelei geschaffen. Zumal ich dem weiblichen Geschlecht bei Weitem nicht so negativ gegenüberstand wie Holmes. Wo er Schwäche und Probleme sah, entdeckte ich Stärke, Hingebung und die Freude einer Zweisamkeit, die das Leben versüßen kann!

Mary fehlte mir, mehr aber noch ein weiblicher Widerpart. Holmes, bei all seinen Qualitäten, war mir ein lieber und teurer Freund. Aber er konnte nicht ersetzen, was Männer an Frauen begehrenswert und interessant finden.

War ich in meinen bisherigen Berichten eher zurückhaltend, so möchte ich an dieser Stelle offenbaren, dass mir Lady Cunningham vom ersten Moment unserer Begegnung zugetan war.

Ich sah es in ihren Blicken, spürte es bei jeder noch so zufälligen Berührung und hörte es am Klang ihrer Stimme, wenn sie zu mir sprach.

Anfänglich schob ich es auf den Schock, da ihr wertvollster Besitz gestohlen worden war und sie ihre Hoffnung in Holmes und vielleicht auch in mich setzte.

Zu meinem Erstaunen hielt ihre Zuneigung jedoch an. Auch nach dem Fund des goldenen Schmetterlings änderte sich ihr Verhalten mir gegenüber nicht. Im Gegenteil – während meiner Besuche, während wir für Lord Duncan tätig wurden, intensivierte sie ihre Bemühungen um meine Aufmerksamkeit.

Diese Einladung nun, so mutmaßte ich bereits, während ich meine Antwort verfasste, würde einige Klarheit bringen.

Wie richtig diese Überlegung war, zeigte sich nicht nur während der Begrüßung, sondern auch in den darauffolgenden Tagen. Nach dem Frühstück ließ Lady Cunningham einen Schlitten anspannen, um mit ihm über Land zu fahren.

Da es sich bei diesem Schlitten um einen umgebauten Clarence handelte, der zudem über einen Ofen verfügte, waren diese Ausfahrten überaus behaglich. Während die Winterlandschaft an den Fenstern vorbeizuziehen schien, vertieften wir uns in Gespräche.

Während einer dieser Ausfahrten erfuhr ich auch den Grund für den geplanten Umzug der Lady nach London. Offenbar wollte sie als einzige noch lebende Verwandte ihrer Nichte zur Seite stehen, die in London ein Studium begann.

Damit eine junge, vom Leben noch recht unerfahrene Frau nicht den Lockungen einer wüsten und gefährlichen Stadt wie London erlag, trachtete sie danach, mit ihr gemeinsam ein standesgemäßes Haus zu beziehen, unterstützt von etwas Personal.

Ein Vorschlag, den ich gar nicht genug preisen konnte. Denn wahrlich bot London diverse Anreize, die gerade Bahn des Lebens zu verlassen. Zudem erklärte dies, warum eine Countess aus Schottland überraschend in die Hauptstadt des Empires zu ziehen gedachte.

Es war am vierten Tag meines Besuches, als es zu einem Zwischenfall kam, der einen Schatten auf den Frieden der winterlichen Welt hier in Kaledonien warf.

Lady Cunningham und ich saßen im Kaminzimmer beisammen und unterhielten uns leise über das Leben in London, aber auch über die Einsamkeit eines Menschen, der seinen Partner verloren hat, als Richardson, der neue Butler Ihrer Ladyschaft, den Raum betrat und sich diskret erkundigte, ob Lady Cunningham etwas von Sir Andrew McDermott gehört habe. Seine Familie und seine Verlobte vermissten ihn offenbar seit einigen Tagen und noch immer fehle jede Spur von ihm. Und dies, obwohl die Hochzeit zwischen ihm und der liebreizenden Lady Sandrine Finnigan in einigen Tagen anstand.

Lady Cunningham zeigte sich von dieser Nachricht überaus betroffen, war sie selbst doch mit beiden Familien befreundet.

Sie verneinte die Frage, versprach aber, noch am gleichen Abend Nachrichten an ihre Bekannten zu senden mit der Bitte, nach dem jungen Sir McDermott Ausschau zu halten.

Wie sehr die Sache Lady Cunningham beschäftigte, zeigte sich im weiteren Verlauf des Abends, denn immer wieder kam sie auf McDermott und Lady Finnigan zu sprechen.

Letztere, so erklärte sie mir, sei so alt wie ihre Nichte; ein liebes, aber etwas naives Ding und zudem das einzige Kind von Lord und Lady Finnigan.

Andrew McDermott hingegen war von anderem Holz geschnitzt, wie ich erfuhr. Gebildet, voll Tatkraft und körperlicher Stärke. Beide würden sich hervorragend ergänzen, zumal auf diese Weise zwei wohlhabende Familien verbunden wurden und so von ihren Beteiligungen, überseeischen Besitztümern und lokalen Geschäften profitieren würden.

Ich verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, dass sich am Ende alles finden würde, aber vorerst sah es so aus, als würde sich diese Hoffnung nicht erfüllen. Auch am kommenden Tag blieb McDermott verschwunden. Selbst eine Anzeige in der lokalen Zeitung sowie ein Suchtrupp Freiwilliger brachten keinen Erfolg.

Als auch drei Tage später noch immer keine Spur des Verschwundenen zu finden war, tat ich das einzig Vernünftige – ich telegrafierte meinem Freund Holmes mit der Bitte, uns bei der Suche beizustehen. Obgleich sich mir hier die Gelegenheit bot, selbst Holmes’ Methoden anzuwenden und auf eigene Faust nach McDermott zu suchen, wagte ich einen solchen Alleingang nicht. Das Leben eines Menschen stand auf dem Spiel und dies schien mir nicht der Moment, eigenen Ruhm zu suchen.

So kam es, dass sich mein Besuch bei Lady Cunningham abermals zu einem Abenteuer entwickelte.

*

»Sie hätten mich wirklich früher informieren müssen!«, tadelte mich mein Freund gleich nach seiner Ankunft. »Nun sind alle Spuren verschwunden. Wie soll man nach all dieser Zeit einen Mann finden, der offenbar nicht gefunden werden will oder nicht gefunden werden soll?«

Mein Blick glitt aus dem Fenster hinaus zu der schneebedeckten Welt. »Die Spuren wären bereits bei Ihrer Ankunft verwischt gewesen, ganz egal, an welchem Tag ich Ihnen telegrafiert hätte!«

Holmes schüttelte anklagend den Kopf. »Das war nicht wörtlich auf Spuren im Schnee bezogen. Aber nun gut, es ist nun einmal, wie es ist. Wir sollten uns nun unverzüglich an die Arbeit machen!« Er klatschte in die Hände. »Eine Kutsche steht bereit?«

»Ein Schlitten!«, erklärte ich lächelnd. »Kommen Sie!«

Wir verließen das Haus, bestiegen den bereitstehenden Schlitten und schon setzte sich dieser in Bewegung. Lady Cunningham hatte vorgeschlagen, dass Holmes bei ihr übernachten solle; sie wusste wohl, dass wir beide gemeinsam agieren würden, und wollte vermeiden, dass ich das Haus vorzeitig verließ.

Inzwischen bestand kein Zweifel mehr daran, dass Lady Cunningham ihre Zeit künftig mit mir und mit niemandem sonst zu verbringen gedachte. Ein Entschluss, der mir überaus gut gefiel, denn sie war nicht nur klug und reif, sondern auch humorvoll und warmherzig.

Schweigend fuhren wir durch die weiße Welt, vorbei an einem Park, an einem nun zugefrorenen See und auch vorbei an einem erst vor wenigen Jahren frisch angelegten Wald. Die Bäume waren noch jung und biegsam, doch hier zeigten sich die ersten Versuche, die Spuren der Highland Clearances auszumerzen.

»Der Urlaub bekommt Ihnen gut!«, ließ mich Holmes nach einer Weile wissen. »Die Beziehung zu Lady Cunningham nimmt Formen an, wie ich merke. Und Sir Duncan ist spendabel!«

»Was meinen Sie?«, fragte ich indigniert. Als erwachsener, wohl gesitteter Gentleman war ich stets bemüht, meine privaten Empfindungen allein für mich zu behalten. Wie konnte Holmes also wissen …

»Ach, mein lieber Freund«, sagte Holmes lächelnd, »wir kennen einander zu gut, als dass wir bestimmte Dinge voreinander geheim halten könnten. Wir haben unsere Leidenschaften und unsere Freuden. So, wie Sie auf den ersten Blick erkennen, wenn mich ein neuer Fall umtreibt, so erkenne ich anhand Ihrer Blicke, Ihres verträumten Ausdrucks in den Augen, wenn Sie zum Fenster hinausschauen, und auch anhand des Wangenkusses, den Ihnen Lady Cunningham zum Abschied gab, sofort den Zustand Ihres Herzens.«

Er blickte mich amüsiert an. »Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich für Sie freue!«

»Und Sir Duncan?«, wollte ich wissen.

»Die Schnupftabakdose. Sie ist viel zu alt, als dass sie ein Geschenk Ihrer Ladyschaft sein könnte. Zudem würde eine Frau einem Mann eine grazilere Dose schenken, wenn überhaupt. Ich behaupte, dass Taschentücher oder eine hübsche Krawatte eher jene Sorte Geschenke sind, die Frauen einem Mann darbringen. Nein, diese Dose wurde Ihnen von einem Mann geschenkt. Zudem von einem Mann, der vor Kurzem sehr viele alte Wertsachen fand. Und hier kommt nur Sir Duncan infrage!«

»Elementar!«, gab ich zu. Tatsächlich hatte mir Mary niemals eine Schnupftabakdose geschenkt. Wie Holmes richtig vermutete, war ihr erstes Geschenk an mich ein hübsches, mit Monogramm versehenes Taschentuch aus Seide gewesen.

Holmes schien überaus zufrieden mit seinen Schlussfolgerungen, denn das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, während er aus dem Fenster schaute.

Dicke Flocken fielen vom Himmel.

»Schauen Sie sich das an, Watson! Das Grauen eines jeden Detektivs!«

»Das Wetter?«, fragte ich erstaunt. »Oh, mir gefällt die weiße Pracht außerordentlich. Als Kind tobte ich gerne im Schnee.«

»Kinder sind unwissend und ungezogen!«, erwiderte mein Freund barsch. »Inzwischen sind Sie erwachsen, Watson. Sie sollten daher erkennen, dass der Schnee beträchtliche Nachteile mit sich bringt! Gerade hier, in dieser Abgeschiedenheit. Begeht hier jemand ein Verbrechen, hat er gute Chancen, davonzukommen. Allein schon, weil Ihre weiße Pracht die Spuren verdeckt. Sie sagten es eben selbst!«

»Was sagte ich?«, fragte ich ein wenig ungehalten. Ich mochte es nicht, wenn Holmes mit Worten zerstörte, woran ich Freude gefunden hatte.

Zudem empfand ich seine Worte als Angriff auf mich. Inzwischen sind Sie erwachsen … Gewiss war ich das. Nahm mir dies das Recht, an solchen Dingen wie Schnee meine Freude zu haben?

»Auf meinen Hinweis, die Spuren seien nun erkaltet, antworteten Sie, dass dem ohnehin so wäre, ganz egal, wann Sie mir telegrafiert hätten. Sie erkannten es selbst – der Schnee ist der Feind der Detektivarbeit, Watson. Daran ändert nichts, dass Sie als Kind darin getobt haben!«

»Wenn man es so betrachtet …« Ich musste zugeben, dass er recht hatte. Für seine Profession war der Schnee durchaus hinderlich. Dann aber fiel mir etwas ein. »Der Schnee kann Ihnen aber auch eine Hilfe sein!«

Er nickte ungeduldig. »Schon wahr. Wenn er gefallen ist, nicht schmilzt und es auch nicht schneit, mag er sich gut für Spuren eignen. Aber bedenken Sie, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Mir war er bisher häufiger hinderlich als nützlich.«

Ich schwieg, denn offenbar ließ Holmes in diesem Punkt keine abweichende Meinung gelten.

*

»Mister Holmes! Ich bin so froh, dass Sie kommen konnten!«, rief Lady McDermott, als sie uns an der Tür empfing. »Wir können uns das Verschwinden unseres Sohnes nicht erklären. Wo mag er nur sein?«

»Um das herauszufinden, sind wir hier. Sie kennen meinen Freund, Doktor Watson?«

»Oh, wir haben schon viel von ihm gehört!« Lady McDermott ergriff meine Hand und schüttelte sie. »Francine … Lady Cunningham … spricht häufig von Ihnen!«

»Nun, wollen wir mit der Suche beginnen?«, fragte Holmes ein wenig ungeduldig. »Es ist bereits viel Zeit seit dem Verschwinden Ihres Sohnes vergangen!«

Lady McDermott nickte und ließ uns ein. In der Halle trafen wir Lord McDermott, Earl of Livington, aber auch eine junge, verstörte Dame mit geröteten Augen und dem waidwunden Blick einer verletzten Seele.

»Sie sind Lady Sandrine Finnigan?«, erkundigte sich Holmes, während er ihr die Hand reichte. »Ich werde einige Fragen an Sie haben.«

»Gewiss!« Die junge Frau blickte zu Boden und schluchzte leise. »Alles, solange Sie nur meinen Verlobten finden!«

»So er gefunden werden will!« Holmes lächelte kalt.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Lady McDermott erstaunt. »Wieso sollte er nicht gefunden werden wollen?«

»Mister Holmes deutet an, dass sich unser Sohn aus dem Staub gemacht haben könnte. Dass er … kalte Füße bekam.«

»Unsinn!«, rief Lady McDermott.

Holmes hingegen blickte zu ihrem Gemahl. »Ihnen kamen ähnliche Gedanken, nicht wahr?«, fragte er bestimmt. »Sie haben bei der Marine nachgefragt?«

»Bei der Marine, der East India Company und der Armee«, bestätigte McDermott. »Vergebens!«

»Warum hast du mir davon nichts gesagt?«, rief Lady McDermott aufgebracht. »Wie kannst du an deinem eigenen Fleisch und Blut zweifeln?«

»Nun ja, der junge McDermott wäre nicht der Einzige, den plötzlich die Angst vor der Ehe packt«, sagte Holmes milde. »Auch die edelsten und mutigsten Männer sind hiervor nicht gefeit! Zudem sind die Umstände ungewöhnlich, nicht wahr?«

»So ist es!«, gab der Hausherr zu. »Kein Brief meines Sohnes, kein Wort an das Personal, dass er etwas zu erledigen habe. Keine Lösegeldforderung, die auf eine Entführung hindeuten würde, keine Erpressung. Es ist, als habe sich mein Sohn in Luft ausgelöst!«

»Das ist in der Tat seltsam!« Holmes schaute sich kurz um. »Nun, ich denke, ich beginne im Zimmer Ihres Sohnes. Hat er eine persönliche Zofe?«

»Lydia!«, bestätigte Sir McDermott. »Soll ich sie rufen lassen?«

»Das wäre freundlich. Sie kann uns sicherlich durch das Haus führen?«

»Gewiss. Was immer Sie brauchen, es steht zu Ihrer Verfügung. Und bitte – seien Sie heute unsere Gäste zum Dinner!«

*

»Hat der junge McDermott in den letzten Tagen vor seinem Verschwinden verstört gewirkt? War er schweigsam, wirkte er ängstlich?«, fragte Holmes die junge Zofe, während wir durch das große Haus gingen, hin zum Zimmer des Verschwundenen.

»Nein, Sir!« Die Augen der Zofe flackerten.

»Sie können die Wahrheit sagen«, erklärte ich darum sanft. »Keine Angst, Ihre Ladyschaft wird es nicht erfahren!«

Lydia senkte den Blick. »Andrew … Sir McDermott … war mir gegenüber stets sehr offen. Er … vertraute mir an, dass ihn Zweifel beschlichen ob der Heirat. Er fragte sich, ob Lady Sandrine Finnigan wirklich die richtige Partnerin für ihn sei!«

Lydia seufzte, ohne den Blick zu heben. »Nun, ich war wohl die falsche Person, die er da fragte. Er merkte es und brachte das Thema nicht wieder auf.«

Eine Träne rann über das Gesicht der jungen Frau, die aber mein Freund nicht bemerkte, denn wir hatten die Räume des jungen McDermott erreicht.

Sofort öffnete Holmes den großen, begehbaren Schrank und trat ein. Sein kühler, analytischer Blick glitt über die Anzüge, Hemden, Uniformen und Socken. »Warum waren Sie die falsche Person? Sie kennen Andrew McDermott doch sehr gut«, sagte er dabei geistesabwesend.

»Sie ist selbst verliebt in den jungen Lord«, sagte ich leise. Dann blickte ich zu Lydia. »So ist es doch, oder?«

Sie nickte.

»Und er?«, hakte ich nach. »Erwidert er Ihre Gefühle?«

»Ein wenig …« Noch immer blickte die Zofe zu Boden. »Sehen Sie, Doktor Watson – ich weiß, dass es ein unmöglicher Traum ist. Und doch war mir unwohl, wenn er über seine Liebe zu Lady Finnigan sprach.«

Holmes betrachtete das junge Ding nun doch mit Interesse. Seine scharfen Augen ruhten auf ihr, ohne dass er etwas sagte.

Dann wandte er sich wieder ab; so, als habe er einen kurzen Verdacht gehegt, diesen aber wieder verworfen. »Ist Andrew McDermott häufig verreist?«

»Hin und wieder«, sagte Lydia, froh, dass Holmes ein anderes Thema anschnitt.

»Haben Sie für ihn gepackt?«

»Gewiss!«

»Wo werden die Koffer aufbewahrt?«, hakte Holmes nach.

»Auf dem Boden!« Lydia lächelte schwach. »Sie sind alle vorhanden. Auch sind seine Kleidungsstücke vollzählig. Lord McDermott ließ mich dies gleich nach dem Verschwinden kontrollieren. Erst gab es Aufregung, weil Unterwäsche, Socken und auch Hemden sowie Hosen verschwunden zu sein schienen, aber es stellte sich heraus, dass sie lediglich in den falschen Schrank geräumt worden waren. Anne, Lord McDermotts Zofe, verwechselt hin und wieder die Kleidung!«

Holmes nickte. »Ja, das dachte ich bereits. Hier fehlt nichts … Der Schrank ist überaus ordentlich, Lydia!«

»Danke!« Die junge frau errötete.

»Sprach Andrew davon, das Haus zu verlassen?«, fragte ich, während sich Holmes nun dem restlichen Zimmer widmete.

Er besah sich die Post, hob einige Bücher auf, die auf dem Nachttisch lagen, und schnupperte an einem halb vollen Glas auf dem Schreibtisch.

»Nein. Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, erwähnte er nichts davon.«

»Worüber haben Sie gesprochen?«, wollte Holmes wissen, während er den Papierkorb durchsuchte. Er fand ein Stück Papier und besah es sich. Dann steckte er es ein, obwohl es völlig leer zu sein schien.

»Über … Nun, es war privat!« Lydia wurde rot. »Er deutete jedoch nicht an, sich seiner Verantwortung entziehen zu wollen!«

Holmes musterte sie wieder aufmerksam. Dann schaute er zu einem Porträt, das über dem Schreibtisch hing. Eine hübsche, aber gestrenge Dame blickte den Betrachter an. Sie war bereits im fortgeschrittenen Alter, als sie sich hatte porträtieren lassen. In ihrem grauen Haar steckte ein Diadem, um ihre Schultern lag eine Stola aus Pelz.

»Lady Annabella McDermott, Countess of Livington. Sie war die erste weibliche Trägerin des Titels; das Bild entstand 1790!« Lydia lächelte versonnen. »Manche sagen, nach ihrem Tod erreichte kein McDermott jemals wieder den Glanz, den das Haus zu ihrer Zeit verströmte.«

»Ein hübsches Diadem!«, merkte ich an. »Und auch die Stola … Rotfuchs?«

»So ist es. Beides befindet sich nicht mehr im Besitz der Familie. Obgleich Andrew … Sir McDermott … davon sprach, seine Braut gerne mit diesem Schmuck zu sehen, um den alten Glanz zurückzuholen.«

Unwillkürlich strich sich Lydia durch das Haar. So, als könne sie das Diadem darin spüren.

»Wurde es verkauft?«, fragte Holmes, der das Porträt nun ebenfalls musterte.

»Es verschwand. Manche sagen, die Countess habe sich damit bestatten lassen. Andere vermuten, es sei gestohlen worden. Die Familie wurde vor etwa sechzig Jahren von einem Skandal heimgesucht, als mehrere Mitarbeiter bei Nacht und Nebel mit einigen sehr wertvollen Besitztümern verschwanden. Obwohl hohe Belohnungen ausgesetzt wurden, fasste man weder die Täter, noch konnte die Habe beschafft werden.«

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