Kitabı oku: «10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4», sayfa 3

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»Sie wissen erstaunlich viel«, stellte Holmes fest.

»Andrew … Sir McDermott … erzählte mir all das. Ich bin … wissbegierig, wie er es ausdrückte. Nicht so, wie …«

Ihr Gesicht verfinsterte sich.

»Hm?«, fragte ich. »Sprechen Sie ganz frei! Keine Angst, niemand wird es erfahren!«

»Es schickt sich nicht!«, wiegelte sie ab.

»Seien Sie unschicklich!«, flüsterte Holmes verschwörerisch und bewies damit, wie gut er sich in andere hineinversetzen konnte. Ihm gelang es, Menschen zum Sprechen zu bringen, die bei jedem anderen schwiegen.

»Lady Sandrine Finnigan ist eine hohle Nuss!«, wisperte Lydia. »Es heißt, sie sei auf einem Internat für Mädchen gewesen, aber ich frage mich, ob man sie dort aus Versehen zu den Pferden stellte, statt sie zu unterrichten. Andrew ist ein gebildeter, weit gereister Mann, der seine größte Freude darin findet, sich neues Wissen anzueignen. Und sie … redet nur von ihren Kleidern, von unschicklichen Bediensteten und davon, wie gerne sie doch ausreitet!«

Lydia klang verzweifelt, schien aber gleichzeitig froh, all das endlich einmal sagen zu können.

»Wie denkt das restliche Personal über sie?«, fragte Holmes sanft, während ich mir ein herzhaftes Lachen verkneifen musste.

»Jeder hier denkt das Gleiche. Niemand ist glücklich über diese Verbindung. Nun ja, abgesehen von Lord und Lady McDermott, aber denen geht es eher um die Vergrößerung von Reichtum und Einfluss. Das Personal sähe es gerne, würde die Heirat abgesagt. Andrew hat Besseres verdient!«

»Sie zum Beispiel!«, sagte Holmes.

»Ich bin nur eine Zofe und damit weit unter seinem Stand. Aber vielleicht jemanden wie mich. Jemanden, der an seinem Wissen interessiert ist, nicht an seinen Pferden und dem See im Süden!«

Holmes nickte, blickte noch einmal zu dem Gemälde, dann wandte er sich ab und verließ den Raum. »Sie waren sehr hilfreich, Lydia. Wir benötigen ein Zimmer, in dem wir ungestört sein können. Zudem wäre es schön, könnten Sie mir einen Bleistift bringen!«

»Folgen Sie mir! Und bitte – sagen Sie der Herrschaft nicht, was ich Ihnen anvertraut habe. Ich arbeite trotz allem sehr gerne für die Familie!«

*

»Was halten Sie davon?«, fragte Holmes, als wir unter uns waren. Lydia hatte uns eine Schreibstube zugewiesen; in ihr fanden wir nicht nur ein Sofa, sondern auch einen Schreibtisch mit diversen Utensilien, darunter auch einen Bleistift.

»Dieses junge Ding hat eine geschliffene Ausdrucksweise. Ihre farbige Metapher wird mir nicht so leicht aus dem Kopf gehen«, gab ich zu.

»Sie hat ein Motiv, McDermott verschwinden zu lassen!«, gab Holmes zu bedenken. »Jeder Angestellte hat es. Denken Sie nur daran, was sie sagte. ›Das Personal sähe es gerne, würde die Heirat abgesagt. Andrew hat Besseres verdient!‹ Das macht sie verdächtig!«

»Denken Sie, Lydia hat McDermott getötet?«, wunderte ich mich.

»Dazu liebt sie ihn zu sehr. Nein, an einen Mord glaube ich nicht. Aber was, wenn sie ihn festgesetzt hat? Eine Entführung muss nicht stets ein Lösegeld nach sich ziehen. Nicht, wenn sie andere Ziele verfolgt.«

»Etwa eine Ehe zu verhindern. Oder eine Ehe zu erzwingen; vielleicht zwischen McDermott und Lydia!«, folgte ich seinem Gedankengang.

Holmes nickte. »Diese Idee kam mir. Aber dann … Sie erscheint mir doch zu abwegig!« Er holte das Papier hervor, das er aus dem Mülleimer gefischt hatte.

»Was ist das?«, fragte ich neugierig.

»Ein Blatt Papier. Man sieht Abdrücke eines Textes; offenbar hat sich die Schrift durchgedrückt.«

Holmes griff nach dem Bleistift, hielt ihn schräg und begann vorsichtig, die Abdrücke zu schraffieren. Auf diese Weise wurden die Buchstaben sichtbar.

Nach wenigen Minuten legte mein Freund den Stift beiseite und besah sich stirnrunzelnd das Ergebnis seiner Arbeit. Dann reichte er mir das Papier. »Was machen Sie daraus?«

Ich besah mir den Text.

Bacchus’ Reich!

Halter 13 Links!

Nach oben! OBEN!

Vorsicht auf sieben und elf!

Große Kerzen, Zündholz, Tasche, Kreide (?)

»Was in aller Welt ist das?«, fragte ich, nachdem ich den Text dreimal gelesen hatte, ohne dabei klüger zu sein als nach dem ersten Durchgang. »Ein Code?«

»Vielleicht. Ein Treffpunkt vielleicht?« Holmes sank in einen Sessel und schloss die Augen. »Lassen Sie mich eine Weile über dieses Problem nachdenken!«, bat er. »Gehen Sie und sprechen Sie mit dem restlichen Personal. Überprüfen Sie, ob Lydia die Wahrheit sagte oder ob bei ihr der Wunsch der Vater des Gedankens war.«

»Wie Sie wünschen!« Damit verließ ich den Raum und machte mich auf, Holmes’ Bitte nachzukommen. Der seltsame Text ging mir dabei aber nicht aus dem Kopf. Was in aller Welt hatte er zu bedeuten? War Andrew McDermott doch entführt worden? Hatte man ihn mit dieser Anweisung aus dem Haus gelockt?

Wenn ja, was war das Druckmittel gewesen?

So sehr ich auch überlegte, ich kam auf keinen grünen Zweig. Daher hoffte ich, Holmes habe mehr Erfolg mit seinem Grübeln!

*

»Ich hörte«, sagte Holmes während des Abendessens, »dass es vor etlichen Jahren einen unerfreulichen Zwischenfall gab. Angestellte verschwanden mit einem Teil der Wertsachen?«

»Wer hat Ihnen denn die alte Geschichte erzählt?«, fragte Sir McDermott erstaunt. »Aber ja, es stimmt. Eines Tages wachte meine Urgroßmutter auf und stellte fest, dass etliche Dinge fehlten. Gemälde waren abgehängt, Schmuck aus den Schatullen entwendet und das gute Silberbesteck aus dem Schrank geräumt worden. Hinzu kamen Vasen, Statuen und andere, schwere Gegenstände.«

Sir McDermott schüttelte den Kopf, als könne er es auch nach all der Zeit nicht glauben. »Drei männliche Mitarbeiter, die Hausdame und mein Urgroßvater waren ebenfalls verschwunden; keiner von ihnen tauchte jemals wieder auf!«

»Ihr Urgroßvater?«, rief Holmes. »Wie das?«

»Wir glauben, dass ihn die Banditen zwangen, den Safe zu öffnen und seine eigene Frau zu bestehlen. Dann entführten sie ihn und …« Er schwieg.

»Sehr sonderbar!«, murmelte Holmes. »Überaus sonderbar! Wie lange waren die Bediensteten im Haus?«

»Viele Jahre; die Hausdame wuchs bereits in unserem Haus auf und trat in die Fußstapfen ihrer Mutter.«

»Kam niemand jemals auf die Idee, dass sich damals etwas völlig anderes zugetragen haben könnte?«, fragte Holmes erstaunt.

»Anfangs wurden Thesen diskutiert, aber am Ende waren sich alle einig, dass wir Opfer eines Raubzuges geworden waren«, sagte Lady McDermott. Dann aber neigte sie den Kopf zur Seite. »Andrew schien die Sache auch nicht glauben zu wollen. Er forschte in dieser Angelegenheit, aber nach all den Jahren konnte er auch keinen Anhaltspunkt finden, was mit unserem Besitz geschah.«

»Sie denken doch nicht, dass dieser alte Diebstahl und das Verschwinden meines Sohnes in einem Zusammenhang stehen, oder?«, fragte Sir McDermott eindringlich. »Das ist Nonsens, Mister Holmes!«

»Möglich!«, sinnierte mein Freund. Er schaute zu Lady Finnigan. »Und welche These vertreten Sie? Was glauben Sie, warum Ihr Verlobter verschwand?«

»Ich denke nicht sehr viel darüber nach«, gab die junge Frau zu. »Es ist zu schrecklich. Ich weiß aber eines – er würde mich niemals im Stich lassen. Ihm muss etwas zugefahren sein, Mister Holmes!«

»Zugestoßen!«, korrigierte ich sie. »Oder widerfahren!«

»Oh, natürlich. Ich bin verwirrt. Diese Angst …!« Sandrine Finnigan errötete.

»Gewiss!« Ich schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Haben Sie keine Angst, es wird sich alles finden!«

Lady McDermott nickte und griff nach der Hand ihrer Schwiegertochter in spe, während ihr Mann alles andere als sicher schien. Er besaß jedoch genug Takt, sich jedes Kommentars zu enthalten.

Nach dem Essen bedeutete mir Holmes, ihm noch einmal zu folgen. Wir gingen durch das Haus und betraten erneut das Zimmer des Vermissten.

»Die Sache wird zunehmend verworrener!« Er griff nach den Büchern, die nach wie vor auf dem Nachttisch lagen, und schlug sie auf. »Chroniken der Familie!«

»Glauben Sie, dass der alte Diebstahl von vor sechzig Jahren etwas mit der Sache zu tun hat?«

Mein Freund nickte, ohne sich aber in Erklärungen zu ergehen. Stattdessen nahm er auf dem Bett Platz und begann, eine mit einem Lesezeichen markierte Seite zu lesen. »Hören Sie hier, Watson! Der Autor, ein Chronist der Familie, schrieb im Jahr 1810, dass er Gerüchte über alte Katakomben vernommen habe. Angeblich habe man Räume für von der Pest und dem Wahnsinn befallene Bewohner angelegt! Ein Gespräch mit dem Hausherrn erbrachte jedoch keinen Aufschluss über deren Existenz.«

»Katakomben, in dem man Aussätzige sperrte«, wisperte ich. »Das ist grausam!«

»Aber immer noch besser, als sie des Hauses zu verweisen. Je nachdem, wie hübsch die Räume eingerichtet waren …«

Holmes las noch ein paar Seiten, dann hob er eine Braue. »Im Jahr 1828 kam es zu einem Brand. Mehrere wertvolle Gemälde wurden ein Opfer der Flammen. Die Renovierung dauerte zwei Jahre. Kurz nach Beendigung ereignete sich besagter Zwischenfall; der Hausherr und ein Teil des Personals verschwanden mit diversen Wertsachen.«

Holmes sank auf dem Bett zurück und schloss die Augen. »Es wird Zeit, dass ich mich aus dem Berufsleben zurückziehe, Watson! Ich merke, dass da ein Gedanke ist. Eine Idee! Aber ich kann sie nicht greifen. All die Fälle, das Kombinieren, die Fakten und Verbrechen haben mein Gehirn ermüdet.«

»Sie sind noch immer ein brillanter Detektiv!«, widersprach ich ihm. »Sie erinnern mich in manchen Momenten an gut gelagerten Wein, der mit den Jahren besser wird, nicht schlechter!«

»Sie schmeicheln mir!«, sagte Holmes, noch immer die Augen geschlossen. »Ich …«

Er hielt inne, setzte sich ruckartig auf und blickte mich an. »Das ist es! Watson, das ist es!« Sie haben mich auf die richtige Spur gebracht! Was würde ich nur ohne Sie tun!«

Er sprang auf und eilte aus dem Zimmer. »Sir McDermott! Sir McDermott, holen Sie das Personal zusammen! Bei Gott, ich hoffe, wir sind nicht zu spät!« Er wandte sich an mich. »Ihre Arzttasche, alter Freund!

Seine lauten Rufe sorgten dafür, dass das Personal und auch die Bewohner zusammenliefen, während ich meine Arzttasche aus dem Salon holte.

»Mister Holmes, was ist denn los?«, rief der Hausherr. »So beruhigen Sie sich doch!«

»Wir müssen sofort handeln, Ihr Sohn schwebt in Lebensgefahr!«

Mir war nun klar, dass Andrew McDermott in einer Zwangslage steckte. Und dies seit Tagen! Daher wandte ich mich an Lydia, die zitternd neben uns stand. »Rasch, holen Sie Wasser und etwas zur Stärkung, dann kommen Sie mit!«

»Sie wissen, wo sich mein Sohn aufhält?«, rief Lady McDermott.

»So ist es!«

»Das ist wunderbar!«, rief auch Lady Finnigan. »Ich hoffe, er ist wohlauf!«

»Denken Sie doch einmal nach!«, zischte Lydia. »Wie soll er wohlauf sein, wenn Mister Holmes von Lebensgefahr spricht und ich etwas zur Stärkung bringen soll?« Es war, als könne sie sich nicht länger zurückhalten.

Sandrine Finnigan schenkte der Bediensteten einen empörten Blick, konnte aber nichts mehr sagen, denn Holmes eilte bereits zu einer Treppe, die hinab in den Keller führte. »Zum Weinkeller?«

»Dort hinab. Aber wir haben bereits das Haus abgesucht!«, rief Sir McDermott.

Aber davon ließ sich Holmes nicht aufhalten. Er lief mit energischem Schritt die Stufen hinab, ging an verschiedenen Türen vorbei und öffnete jene, an der in großen Lettern Weinkeller stand.

Ich folgte ihm dichtauf.

In der Dunkelheit des Raumes sahen wir Fässer rechts und links an den Wänden stehen.

Rasch begann Lady McDermott damit, die Kerzen im Weinkeller zu entzünden.

Holmes wartete etwas, dann lief er los. »Wissen Sie, was das hier ist?«, fragte er mich dabei leise.

»Bacchus’ Reich!«, erkannte ich.

»So ist es. Wir brauchen das 13. Fass auf der linken Seite!«

»Dort!« Ich deutete auf ein großes, braunes Fass. Laut Aufschrift befand sich darin ein Tokajer.

»Und nun – der Halter!« Holmes deutete auf einen Kerzenhalter unmittelbar hinter dem Fass. Er drückte diesen nach oben – und zum Erstaunen aller schwang ein Teil der Wand beiseite und gab eine Treppe frei, die hinab in die Tiefe führte. In den Halterungen an der Wand brannten Reste schwerer Kerzen.

»Achten Sie auf die siebte und elfte Stufe!«, rief ich den anderen zu, während Holmes und ich in die Tiefe stiegen.

»Sehrt gut, Watson! Sie haben verstanden«, wisperte mein Freund auf dem Weg hinab.

Uns folgte eine Weile Sir McDermott, doch als wir den Fuß der Treppe erreichten, hatte sich Lydia nach vorne geschoben. Sie trug einen Krug mit Wasser, Suppe, Brot und Obst.

Wir folgten nun einem schmalen Gang, bis wir an ein Gitter kamen, das von der Decke gefallen zu sein schien und den Weg blockierte. Ein Rad links an der Wand diente dazu, es zu öffnen.

»Jemand muss hier bleiben, falls es erneut hinabfällt!«, befahl Holmes, ehe wir unseren Weg fortsetzten.

Noch zweimal fanden wir solche Gitter vor, ehe wir schließlich vor einer breiten Holztür standen. Auch sie war von außen verriegelt und mit einem letzten Gitter gesichert.

Eilig öffnete Sir McDermott. Holmes riss die Tür auf und dort, inmitten eines großen Salons mit antiken Möbeln, sahen wir Andrew McDermott.

Er saß in einem Sessel und schaute uns aus schweren Lidern an, die Wangen eingefallen, die Haut bleich.

»Andrew!« Lydia stieß einen Schrei aus und eilte mit den Lebensmitteln zu dem jungen Mann.

Ihr folgten sein Vater und die Mutter, ehe auch Lady Finnigan zu Andrew McDermott herantrat und ihn erstaunt musterte.

Dann sah sie die Skelette, die auf Sofas und in Sesseln saßen. Sie stieß einen Schrei aus und floh aus dem Raum.

Ich kauerte bereits neben Andrew McDermott und maß dessen Puls und Blutdruck. »Haben Sie etwas getrunken?«, fragte ich dabei.

»Etwas Wasser!« Er deutete auf eine Flasche. »Schnee fiel durch eine Luftöffnung. Aber es war nicht viel!« Der junge Mann blickte zu Lydia, die nun hemmungslos weinte, ihm aber gleichzeitig Wasser und eine Suppe reichte.

Gierig nahm McDermott von beidem. Ich musste ihn bremsen, denn sein Körper konnte in dieser Verfassung keine großen Mengen vertragen.

»Das sind die Besitztümer, die man uns raubte!«, rief Sir McDermott, der sich inzwischen umgeschaut hatte. Auf dem Boden und auf Tischen lagen all die Dinge, die er beim Dinner aufgezählt hatte. »Und die Toten …?«

»Ururgroßvater und seine treuen Angestellten!« McDermott nahm wieder einen Schluck, ehe er ein erleichtertes Lachen ausstieß. »Ich dachte, mich würde das gleiche Schicksal ereilen. Ohne den Schnee …« Er griff nach Lydias Hand, dann schlief er ein.

»Bringen Sie ihn in sein Zimmer. Ich schaue bald nach ihm!«, wies ich jene Angestellten an, die mit in den Raum vorgedrungen waren.

»Ich verstehe das alles nicht!«, gab Sir McDermott zu. »Was ist hier geschehen?«

Holmes hob ein Diadem in die Höhe. Es war jenes, das die Countess auf dem Gemälde trug. »Das hier war der Auslöser!«

»Ich begreife nicht …«

»Lydia erzählte uns, dass Andrew seine Braut mit dem Diadem und der Stola seiner Vorfahrin zum Altar führen wollte, um den alten Glanz herzustellen. Hierzu aber musste er beides haben.«

»Und?«, wunderte sich der Hausherr.

»Wie Ihre Frau schon sagte, glaubte Ihr Sohn nicht, dass es sich bei den Ereignissen vor sechzig Jahren um einen Diebstahl handelte. Er las die Chroniken, fand den Hinweis auf diese Anlage und begriff, dass sein Ururgroßvater einen Teil der Wertsachen hierher bringen ließ, um sie vor einem neuerlichen Feuer zu schützen. Dabei aber musste etwas geschehen sein, sodass sie nie zurückkehrten!«

»Er suchte diese Katakomben, fand sie und tappte in die gleiche Falle, die seinem Vorfahren zum Verhängnis wurden!«, begriff Lady McDermott.

»So ist es!«, rief Holmes zufrieden. »Wahrscheinlich schließen die Gitter und auch die Verriegelung der Tür nach einer Weile automatisch, um den hier Eingesperrten den Weg zurück zum Haus zu versperren. Als er es merkte, was es zu spät. Zwar hatte er nun das Diadem und die Stola gefunden, kam aber nicht mehr raus. Er schrie vermutlich, aber hier unten hörte ihn niemand.«

»Hätten Sie das Rätsel nicht gelöst …!« Lady McDermott schlug sich mit der Hand auf den Mund.

»Er wäre hier unten gestorben; genau wie sein Ururgroßvater!« Holmes lächelte. »Zum Glück konnten wir dies verhindern. Ende gut, alles gut!«

So endete der Fall des verschwundenen Bräutigams. Anfügen möchte ich noch, dass ich ein langes Gespräch mit Andrew McDermott hatte.

Zwei Monate später, als er wieder vollends bei Kräften war, lud er zu einer rauschenden Hochzeit. Selten war ein Bräutigam glücklicher als Andrew und eine Braut schöner als Lydia McDermott!

E N D E

DAS RÄTSEL DER ROBERT CLIVE

Box 4 – Fall 33

Im Laufe der Zeit habe ich sehr viele Fälle meines Freundes Sherlock Holmes veröffentlicht. Meist waren es solche, die dem Leser einen tieferen Einblick in das Wirken des vielleicht größten Detektivs unserer Zeit boten. Hin und wieder gab ich jedoch auch dem Drang nach, einen Fall allein aufgrund seines Unterhaltungswertes niederzuschreiben. Vor allem dann, wenn dem Ganzen kein Verbrechen oder auch nur Vergehen zugrunde lag – wie etwa in dem Fall des verschwundenen Bräutigams.

Ziehe ich mich heute in die Bibliothek zurück, um meine Aufzeichnungen aus den Jahren mit Holmes durchzugehen, so wird mir eines bewusst – es warten sehr viel mehr Fälle auf eine Veröffentlichung, als ich bisher niedergeschrieben habe!

Etliche Begebenheiten werden niemals das Licht der Welt erblicken. Es schickt sich nicht, das Vertrauen der Klienten in Holmes und meine Diskretion zu missbrauchen, nur weil inzwischen sehr viel Wasser die Themse hinabgeflossen ist.

Wem sollte es auch nutzen, wenn die Welt erführe, in welch delikater Angelegenheit der Prince of Wales in der Baker Street 221b vorstellig wurde?

Oder wem wäre es dienlich, würde ich über die höchst sensiblen Probleme sprechen, in die unser Premierminister abseits des politischen Lebens verwickelt worden war?

Gewiss, die Sensationsgier wäre damit angestachelt und ich zweifele nicht, dass zahllose Menschen zu eben jenen Publikationen greifen würden. Aber gerade hier liegt die enorme Verantwortung, die ich mir als Biograf meines Freundes auflud. Die Grenze zwischen dem, was die Welt erfahren muss, jenem, was sie erfahren darf, und den Fällen, über die striktes Stillschweigen zu wahren ist, ist oftmals dünn und brüchig.

Adelstitel oder hohe Würden stellen dabei nicht automatisch eine Hürde dar. So erinnern Sie sich gewiss an den böhmischen König, der uns sein kleines Problem mit einer simplen Fotografie anvertraute. Dieser Fall bildete den Auftakt der ersten Sammlung kurioser Begebenheiten, in die Holmes und ich verwickelt waren, und dessen seltsamer Verlauf doch bei Weitem übertroffen wurde von jenem der Liga der rothaarigen Gentlemen.

Nein, ein Titel allein stellt kein Ausschlusskriterium dar und die Tatsache, dass ein Klient aus einfachsten Verhältnissen stammt, ist kein Garant für eine Veröffentlichung, wie etwa die Begebenheiten zeigen, in die ein gewisser Samuel L. Jacobsen verwickelt war.

Dieser Schuhputzer und Verkäufer kleiner, nützlicher Utensilien wie Streichhölzer suchte uns in einer höchst delikaten Angelegenheit auf. Holmes nahm sich seiner an, ohne von ihm auch nur einen Penny zu nehmen, und am Ende stand ein Ergebnis, das ich wohl niemals niederschreiben werde.

Neben meinen Aufzeichnungen existiert noch eine große Kiste, in der Holmes Notizen und Fundstücke seiner Fälle aufbewahrte, die er vor unserer gemeinsamen Zeit anging. Hin und wieder öffnete er diese und besah sich die Hinterlassenschaften seiner Anfänge.

Als er schließlich London verließ, um sich ganz der Bienenzucht hinzugeben, sandte er mir diese Kiste mit dem Hinweis, ich möge mit den Fundstücken darin tun, was immer mir beliebe.

Mir beliebte, sie zu sortieren und am Ende festzustellen, dass sich damit die Zahl der unveröffentlichten Fälle enorm erhöht hatte.

Ich erwähne die Kiste, denn an jenem Abend, von dem nun die Rede sein soll, saß Holmes auf dem Boden unseres Wohnzimmers und besah sich seine Erinnerungsstücke, das Gesicht eine Maske seliger Entrückung.

Ich schaute ihm zu, wie er hin und wieder etwas aus den Tiefen hervorholte, es im Schein der Lampe betrachtete und es dann wieder, meist von einem Nicken begleitet, beiseitelegte.

»Was ist das?«, wollte ich wissen, als er ein für mich unidentifizierbares Stück Metall in Händen hielt.

»Die Reste eines Messers. Mit ihm wurde Muriel Farnsworth erstochen. Ein hässlicher kleiner Fall, dem ich zwar lösen konnte, der Täter aber niemals vor Gericht gestellt wurde. Ihm gelang es, alle ihn belastenden Beweise zu vernichten!«

»Was wurde aus ihm?«

Er starb vor einigen Jahren an Altersschwäche, wie es hieß. Es war ihr Vater, Watson! Ihr eigener Vater! Wie ich schon sagte – ein hässlicher, kleiner Fall!«

Holmes legte das zerstörte Messer beiseite und holte einen Stock hervor, wie ihn Polizisten nutzen. »Das hier war interessant. Ein Mann wurde von einem Polizisten erschlagen. So zumindest hieß es. Aber es stellte sich heraus, dass der Täter lediglich die Uniform eines Polizisten trug. Mir gelang es, das Leben und die Karriere eines Constables zu schützen, während der Mörder sein verdientes Ende am Strang fand.«

Vermutlich hätte mich Holmes noch mit weiteren Anekdoten erfreut, hätte Mrs Hudson nicht just in diesem Moment einen Besucher gemeldet – ein junger Constable war eingetroffen und bat, uns sprechen zu dürfen.

»Nun sehe sich das einer an!«, rief Holms gut gelaunt, nachdem der Beamte eingetroffen war, »Sie sind ja völlig durchgefroren! Watson, bieten Sie unserem Besucher einen Brandy an, damit er ein wenig auftaut!«

Der Polizist wurde rot, während er seinen Helm abnahm. »Sehr freundlich, Mister Holmes. Aber wir sind in Eile; Inspector Simpson erwartet uns, Sir!«

»Inspector Simpson?« Holmes legte die Stirn in Falten. »Ist er nicht für den Hafen und die eintreffenden Schiffe verantwortlich?«

Der Constable nickte. »So ist es, Sir. Ein Zwischenfall an Bord eines unserer Schiffe erfordert Ihre Anwesenheit!«

»Wohl denn!« Mein Freund packte all das, was er zuvor aus der Box geholt hatte, wieder zurück, schloss diese und stand auf. »Es wird einen Moment dauern, denn wir sind nicht ausgehbereit, wie Sie sehen. Warum nehmen Sie nicht Platz und genießen einen Brandy, während wir uns rasch etwas Passendes anziehen?«

»Sehr gerne, Mister Holmes!« Der junge Mann nahm Platz, griff nach dem von mir dargebotenen Glas und nippte an dem Branntwein, während wir den Wohnraum verließen, um uns rasch umzuziehen.

*

Der Schnee, der noch bei unserem letzten Fall in London – jener, bei dem wir einen Werwolf jagten – gelegen hatte, war geschmolzen. Stattdessen fiel nun nahezu unaufhörlich Regen aus grauen Wolken, ein kalter Wind pfiff durch die Gassen und an manchen Tagen schien es gar nicht richtig Tag werden zu wollen.

Dennoch konnte in diesen Tagen kaum etwas meine gute Laune trüben, korrespondierte ich doch nahezu täglich mit Lady Cunningham. Zwar wollte sie den Hauskauf hier in London über einen Makler abwickeln, mich jedoch hatte sie damit betraut, mir die verschiedenen Objekte anzuschauen. Schließlich würde ich ihre Beweggründe für den Umzug ebenso kennen wie die Erfordernisse, die sie an ein Haus richtete.

Waren wir zu Beginn meines Besuches noch bemüht gewesen, zukünftige Pläne möglichst vage zu diskutieren, so hatte es sich gegen Ende meines Aufenthalts, lange nach dem Auftauchen des jungen McDermott, eingebürgert, konkret zu werden.

Daher ging es bei dem Hauskauf nicht allein um die Bequemlichkeit Ihrer Ladyschaft oder deren Nichte, sondern auch um die Lage sowie die Räumlichkeiten einer Praxis.

Dass ich mich finanziell sowohl an dem Hauskauf als auch an der Einrichtung sowie dem Personal beteiligen würde, stand außer Frage. Wie ich schon einmal schrieb, bereitete das Finanzielle weder Holmes noch mir Sorgen, denn so manch ein Klient hatte sehr üppige Zahlungen geleistet.

»Um was genau handelt es sich eigentlich?«, wollte ich von dem jungen Polizisten wissen. Holmes hüllte sich während der Fahrt in Schweigen, mich hingegen trieb die Neugier. Was mochte vorgefallen sein, dass ein Inspector zu dieser fortgeschrittenen Stunde nach uns schickte?

»Details kann ich Ihnen keine nennen«, sagte der Beamte. Er schien schon bei dem Gedanken an das, was uns erwartete, zu erschauern. »Nur so viel – es geht um die ROBERT CLIVE!«

»Ein Schiff der Royal Navy?«

Der Constable schüttelte den Kopf. »East India Company. Es traf heute im Hafen ein. All das ist überaus mysteriös«, sagte er leise. »Details werden Sie bald erfahren. Aber mich würde sehr wundern, wenn da alles mit rechten Dingen zugegangen wäre!«

Holmes hob eine Braue. »Sie sprechen von Spuk und Klabautermännern?«

Der Constable wurde rot. »Ich sage nur, dass es äußerst mysteriös ist, Mister Holmes. Sie werden es bald sehen!«

*

Die Szenerie, als wir den Hafen erreichten, hatte etwas Unwirkliches. Die Lampen schwankten im Wind und ließen lange, zuckende Schatten entstehen. Entfernt hörten wir Musik und Lachen aus einem Pub dringen, die Beleuchtung der Schiffe schimmerte fahl und ihr Auf und Ab konnte einen schwindelig werden lassen, wenn man ihm zu lange zuschaute.

In einiger Entfernung standen ein paar Gefallene und schauten zu uns rüber; sie ahnten, dass sie in dieser Nacht kein Geschäft machen würden. Die Anwesenheit der Polizei hielt die Freier davon ab, ihr Vergnügen zu suchen.

»My goodness!«, entfuhr es mir, als ich mehrere Särge sah, die jemand ordentlich an der Kaimauer aufgestellt hatte. Nun erst fielen mir auch die Kutschen mehrere Bestatter auf.

Zwei Fotografen schossen Bilder vom Heck des Schiffs, um das sich offenbar alles drehte, und auch von dessen Galionsfigur; beides war beschädigt worden.

Ein älterer Journalist lief zwischen den Beamten herum und stellte Fragen, aber niemand schien Lust zu haben, sie zu beantworten.

Schließlich kam er zu uns, aber Holmes wies ihn ab; wir seien gerade erst angekommen und hätten nicht die leiseste Ahnung, was hier vorgefallen sei!

Nach wenigen Minuten, die wir für unsere eigenen Beobachtungen nutzten, hörten wir die Stimme von Inspector Simpson.

Er stand an Deck der ROBERT CLIVE und winkte uns zu. »Mister Holmes! Doktor Watson! Kommen Sie, dann setze ich Sie ins Bild! Wir haben alles unverändert gelassen. Aber ich warne Sie, das wird kein schöner Anblick!«

Wir folgten seiner Aufforderung, gingen einen Steg hinauf an Bord und blickten uns dort um. Drei Laternen brannten und in deren hellen Schein sahen wir mehrere Leichen auf den Planken liegen.

Woran sie gestorben waren, konnten wir leicht ausmachen, denn sie lagen in Pfützen aus Blut. Zudem starrte uns einer der Toten aus leeren Augen an, sodass wir die tiefe, klaffende Wunde in seiner Kehle entdecken konnten.

»Was in aller Welt ist hier passiert?«, fragte ich Simpson, nachdem wir uns an Deck umgeschaut hatten. Holmes und ich zählten fünf tote Matrosen, die allesamt in ihrem Blut lagen und offenbar auf stets die gleiche Weise vom Leben zum Tode befördert worden waren.

»Das wissen wir noch nicht!«, gab der Inspector zu. »Die ROBERT CLIVE wurde heute im Laufe des Abends erwartet. Als sie in den Hafen einlief, schien noch alles normal zu sein. Dann aber bemerkten die Arbeiter, dass etwas nicht stimmte, denn offenbar stand niemand am Ruder. Das Schiff wurde von der steigenden Flut in das Becken gespült, schlingerte dabei und rammte zwei Schiffe, ehe es an einer Kaimauer stoppte. Sofort gingen Matrosen und Offiziere der BOMBAY an Bord; ein weiteres Schiff der East India Company. Sie fanden die Leichen!«

Holmes und ich blickten hinüber zu einer kleinen Gruppe Seeleute, die etwas abseits an der Reling standen, die Gesichter auf das Wasser gerichtet.

»Was ist mit dem Rest der Crew?«, wollte Holmes nach ein paar Sekunden wissen. Der Anblick derart vieler Toter ließ auch ihn nicht unberührt.

»Sie liegen unter Deck; keiner kam mit dem Leben davon. Selbst den Captain erwischte es, Kapitän Benjamin Nolan! Insgesamt 75 Leichen. Wobei nur jenen an Deck die Kehlen durchgeschnitten wurden, die restlichen starben offenbar an Gift!«

»Was für eine grausame Tat«, wisperte ich. »Welch ein Teufel kann nur so etwas tun?«

»Bisher waren die schlimmsten Teufel, die mir in meiner Laufbahn begegneten, allesamt Menschen, mein Freund. Viele von ihnen wirkten so freundlich und umgänglich, dass man das Böse in ihnen übersehen musste. Ohne die Kraft der Beweise wäre ihnen niemals beizukommen gewesen!«

Simpson nickte, ehe er auf eine Tür deutete, die unter Deck führte. »Wollen wir?«

Wir folgten dem Mann die Stufen hinab.

In der Enge der Kabinen, der Kombüse und der Lagerräume setzte sich das Grauen fort. Die meisten Tote lagen in der Messe sowie in den Gängen zwischen den Räumen, aber auch in der Offiziersmesse und auf den Kojen.

Schließlich betraten wir die Kajüte des Kapitäns. Das Logbuch lag aufgeschlagen auf dem kleinen Schreibtisch, seine Tasche war gepackt.

Holmes reichte mir das schwere Buch.

»Erreichen London in wenigen Stunden. Nach dem Abendessen wollten wir anlegen. Die Crew hat sich während der gesamten Fahrt vorbildlich verhalten, auch während des Sturms am dritten Tag unserer Heimfahrt. Keine Disziplinarmaßnahmen, keine Beschwerden. Selbst unser Kabinenjunge fügte sich ein; er wurde zu einem beliebten Mitglied der Crew. Mit den typischen Späßen der Chinesen unterhielt er die Männer. Er war stets bereit, jede Arbeit zu übernehmen. Am Ende der Reise konnten wir ihm das Ruder anvertrauen!«

Ich legte das Buch beiseite. »Das war der letzte Eintrag!«

Mein Freund runzelte die Stirn. »Haben wir alle Toten gesehen?«, fragte er Simpson.