Kitabı oku: «Die Katholizität der Kirche», sayfa 15

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2.2Theologiegeschichtliche Verwendung von „Volk Gottes“

In der frühen Theologie bis hin zu Augustinus spielte die biblische Metapher vom „Volk Gottes“ für das Verständnis der Kirche eine zentrale Rolle. So verwendet die Alte Kirche den Volk-Gottes-Begriff in selbstverständlicher, jedoch durchaus unterschiedlicher Weise407: Einerseits wird er polemisch zur Abgrenzung vom Judentum verwendet (vgl. Barn. 5,7; 7,5; 13,1; Iust. dial. 135; Clem. Alex. paed. I, 19,4; 20,3); andererseits betont er gerade die Kontinuität zwischen der christlichen Kirche und dem Volk Israel, wenn die Kirche als „ecclesia ab Abel“ (Aug. serm. 341; cov. XVIII, 51) verstanden wird. Daneben dient der Begriff auch zum Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses als des von Gott in Christus im Heiligen Geist gesammelten „neuen“ und endzeitlichen Volkes Gottes (Cypr. ep. 63; domin. or. 8; CatRom 1761,81). Im Bereich der Liturgie und der Kirchenordnung bezeichnet der Begriff „Volk“ von den Anfängen (Iust.1 apol. 67) bis heute (SC 14) die versammelte Gemeinde im funktionalen Unterschied zu den Leitern der Gemeinde bzw. Gottesdienstvorstehern.

Im Mittelalter avanciert der Volk-Gottes-Begriff zum Rechtsbegriff und dient der Gegenüberstellung von Hierarchie und Kirchenvolk; als Selbstbezeichnung der Kirche gerät der Volk-Gottes-Begriff zunehmend in Vergessenheit, tritt die vom Volk-Gottes-Begriff bestimmte Selbstreflexion der Kirche doch komplett hinter den nun in den Vordergrund tretenden Begriff vom „mystischen Leib Christi“ zurück, der fortan als der wesentlichste Titel der Kirche gilt. Diese Entwicklung setzt sich in der Theologie der Gegenreformationen fort, so dass der Volk-Gottes-Begriff gänzlich aus der Theologie über die Kirche verschwindet.

Eine theologische Rückbesinnung auf den biblischen und patristischen Ursprung des Volk-Gottes-Begriffs im 20. Jahrhundert half, das Verständnis der Kirche als Volk Gottes wiederzuentdecken und damit das heilsgeschichtliche Verständnis der Kirche erneut zu betonen.408 Wesentlich dazu beigetragen haben Arbeiten von Yves Congar409 sowie Mannes Dominikus Koster410. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil wurde an dieser Neurezeption des Volk-Gottes-Begriffs mit Entschiedenheit weitergearbeitet.411

2.3Neurezeption des Volk-Gottes-Begriffs auf dem Konzil: Das Volk-Gottes-Sein der Kirche als Erweis ihrer Katholizität

Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegriffene Selbstbezeichnung der Kirche als „Volk Gottes“ will das Selbstverständnis einer „societas perfecta“ aufgeben zugunsten eines entgrenzten Kirchenverständnisses, nach dem der Sinn der Kirche – trotz und wegen ihrer Sakramentalität – nicht allein in ihr selbst liegt, sondern im universalen Heilswillen Gottes, der die ganze Schöpfung heimholen will zur Vollverwirklichung seiner Gottesherrschaft.412 Kirche als Volk Gottes zeichnet sich nach Meinung der Konzilsväter nämlich gerade dadurch aus, dass sie sich – weil auf die Heimholung der gesamten Schöpfung bleibend ausgerichtet und aufgrund ihrer Sakramentalität (s.u.) – als eschatologische Größe weiß, als endzeitliches Volk Gottes, das erst noch vollendet werden muss und in dieser Vollendung seine restlose Absolutheit erhält. Als diese eschatologische Größe ist die Kirche ein pilgerndes Volk auf dem Weg, ein Volk, das „auf die Parusie des Herrn als zukünftige dadurch wartet, dass sie die Parusie des Herrn als gegenwärtige in sich trägt.“413 Gerade hierin erweist sich ihre Katholizität:

Weil die Kirche die Herbeiführung der Gottesherrschaft ist, muss sich die Kirche als Volk Gottes „in geschichtlicher Entwicklung […] auf Erden ausbreiten. So ergibt sich die universal-menschheitliche Bedeutung dieses Volkes. Die ‚kleine Herde’ birgt für die gesamte Menschheit lebendige Kräfte der Einigung und der steten Aufwärtsbewegung zum Heil in sich […]. In Christus wird sie zur Vermittlerin der Erlösung an die ganze Welt. […] [Denn] das Subjekt des Heils, an das Gottes Erbarmen sich wendet, ist zunächst immer das Volk, die Gesamtheit der Völker, ist die Kirche als der Partner des Bundes, und der Einzelne immer nur als Glied an diesem Volk der Verheißung […]. Alle Heilswege Gottes führen in die Gemeinschaft.“414

Die qualitative, intensive Katholizität, die das Entscheidende ist, drängt zu ihrer quantitativen, extensiven Katholizität. Weil die Kirche als Gottes auserwähltes Volk katholisch ist, weil sie von Christus her die Fülle des Lebens und der Gnade, die Ganzheit der Offenbarung Gottes in Christus im Heiligen Geist als gegenwärtig in sich trägt, kann sie sich nicht mit sich selbst begnügen. Vielmehr muss sie die in sich tragende Fülle und Vollkommenheit Christi, d.h. ihre qualitative, intensive Katholizität, weiter vermitteln und muss immer wieder in die missionarische Dynamik des Sauerteigs, der den ganzen Teig durchdringt, finden.415 Anders gesagt: Weil die Kirche in einer strukturellen Kontinuität zu Israel als Volk Gottes das Ganze, die Fülle des Heils in sich trägt (qualitative Katholizität), kann sie, wenn sie „ganz“ katholisch sein und bleiben will, diese Fülle nicht für sich allein behalten, sondern muss von ihrer intensiven Katholizität auf die extensive Katholizität hindrängen, d.h. Kirche aller Völker und aller Kulturen sein (quantitative Katholizität). Kirche muss, um ihrem Volk-Gottes-Sein, ihrer Katholizität, gerecht zu werden, „von der Erkenntnis beseelt sein, dass die Gabe, die ihr geschenkt wurde, ihr zum Weitergeben übertragen worden ist; dass sie diese Ganzheit veruntreuen würde, wenn sie sie nicht hintragen würde ‚zu jeder Kreatur’ (Mk 16,15)“416.

LG 13 entfaltet diese Katholizität der Kirche als des universalen Volkes Gottes. Ihr Wesen bestimmt sich aus dem Leben des Volkes Gottes in der ihm innewohnenden Dialektik zwischen Einheit und Vielheit, in der Spannung zwischen seiner Berufung zur Sammlung des endzeitlichen Gottesvolkes (Einheit und Einzigkeit) und seiner Sendung zu allen Menschen aller Orten und Zeiten (Vielheit, Universalität). Das Konzil versteht die Katholizität der Kirche als ein Ausbreiten des einen Volkes unter allen Völkern der Erde (quantitative, extensive Katholizität) dergestalt, dass alle Gläubigen miteinander in Gemeinschaft (communio) stehen, und zwar mit der ganzen pneumatischen Fülle, die dem Gottesvolk zu eigen ist (qualitative, intensive Katholizität).417 LG 13 betrachtet die extensive Katholizität des Volkes Gottes schließlich unter zwei Blickrichtungen: zunächst mit Blick auf die ganze Menschheit, dann mit Blick auf die innere Verfasstheit der Kirche:

„In ihr [ihrer Weltweite, das meint ihrer extensiven Katholizität] strebt die katholische Kirche mit Tatkraft und Stetigkeit danach, die ganze Menschheit mit all ihren Gütern unter dem einen Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes […]. Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken [= intensive Katholizität]. So kommt es, dass das Gottesvolk nicht nur aus den verschiedenen Völkern sich sammelt, sondern auch in sich selbst aus verschiedenen Ordnungen gebildet wird. Unter seinen Gliedern herrscht eine Verschiedenheit, sei es in den Ämtern, […], sei es in Stand und Lebensordnung […]. Darum gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht […], die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen. Daher bestehen schließlich zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche die Bande einer innigen Gemeinschaft der geistigen Güter, der apostolischen Arbeiter und der zeitlichen Hilfsmittel. Zu dieser Gütergemeinschaft nämlich sind die Glieder des Gottesvolkes berufen, und auch von den Einzelkirchen gelten die Worte des Apostels: ‚Dienet einander, jeder mit der Gnadengabe, wie er sie empfangen hat, als gute Verwalter der vielfältigen Gnadengaben Gottes’ (1 Petr 4,10).“418

Die Katholizität der Kirche, wie sie die Kirchenkonstitution sieht, besteht demnach in einer Spannungseinheit: Der eine Pol dieser Spannungseinheit wird durch die Fülle in der Einheit bestimmt, die durch die Communio der Teilkirchen mit ihrer je eigenen kirchlichen Wirklichkeit zustande kommt. Der andere Pol zeigt sich in der Verschiedenheit in der Einheit, die das Volk Gottes schon in sich trägt, nämlich in seiner Struktur nach innen bestehend aus Ämtern, Ständen und Lebensordnungen. Durch diesen zweiten Pol soll verdeutlicht werden, „dass in dem einen Volk Gottes [selbst schon] Raum ist für alle Berufungen und Lebensweisen, welchen den Einzelnen zur Entfaltung kommen lassen und doch dem Ganzen dienen. […] Dieses Zusammenspiel der Ordnungen ist […] die rechte Garantie dafür, dass der Geist des Dienens und der Communio alle Teilkirchen, genommen unter sich und in ihrer Beziehung zur Gesamtkirche, erfasst.“419

Die intensive Katholizität der Kirche gründet in einer grundlegenden Gemeinsamkeit (Brüderlichkeit, „communio“, allgemeines Priestertum) aller Glaubenden. Vor aller Differenz der Gläubigen, was Charismen, Dienste und Ämter anbetrifft sowie vor aller hierarchischen und ständischen Strukturierung der Kirche betont der Volk-Gottes-Begriff die grundsätzliche Gleichheit aller im Volk Gottes, „eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi.“ (LG 32) und wehrt von vornherein dem Missverständnis, unter „dem Volk“ seien lediglich die Laien, d.h. die „nichtgeweihten Gläubigen“ zu verstehen.

Die extensive Katholizität ermöglicht, wie die Artikel 14–16 ausführen, eine gestufte oder relationale Kirchenzugehörigkeit. Diese Thematik war umso brisanter, als dass im Anschluss an die Enzyklika „Mystici Corporis“ Papst Pius XII. die Kirchengliedschaft an drei Voraussetzungen geknüpft war, nämlich an die Taufe, an den rechten Glauben sowie an die Zugehörigkeit zur rechtlichen Einheit der Kirche; damit aber waren die Nichtkatholiken von der Kirchengliedschaft gänzlich ausgeschlossen. Das bis dato vorherrschende Bild von der Kirche als „Leib Christi“ erwies sich – vor allem im ökumenischen und interreligiösen Dialog – als zu eng, ermöglicht es doch mit Blick auf die Zugehörigkeit zum „Leib“ lediglich die Vorstellung des „Gliedes“: Glied ist man oder man ist es nicht. Die Rede vom „Volk Gottes“ sollte diese Engführung weiten und eine neue Verhältnisbestimmung sowohl der nichtkatholischen Christen als auch der Nichtchristen zur katholischen Kirche ermöglichen. So kann gesagt werden, „dass der Begriff ‚Volk Gottes’ vom Konzil vor allem als ökumenische Brücke eingeführt worden ist“420, was auch in anderer Hinsicht gilt, verhindert die Bezeichnung der Kirche als „Volk Gottes“ doch eine absolute Selbstidentifizierung der katholischen Kirche mit der wahren Kirche Jesu Christi, die – vor allem seitens der Protestanten – in die Selbstbezeichnung als „Leib Christi“ hineininterpretiert wurde. Der Volk-Gottes Begriff lässt deutlich werden, dass die Kirche bei aller substantiellen Identität mit der wahren Kirche Jesu Christi nicht absolut mit ihr identisch ist, sondern eine von ihr verschiedene Größe bleibt: Sie ist „ecclesia semper reformanda“, eine pilgernde, d.h. auf dem Weg seiende Kirche, eine „Kirche der Sünder, die immer wieder der Reinigung und der Erneuerung bedarf, immer wieder Kirche werden muss.“421 Als pilgerndes Volk Gottes sieht sich die Kirche „sowohl in die Tradition des Exodus Israels […] als auch in die Solidarität Gottes mit den Armen u[…][nd] Leidenden dieser Welt gestellt“422 (LG 8 und 9).

LG 17 richtet schließlich ein kurzes Augenmerk auf die missionarische Tätigkeit der Kirche, die ebenfalls aus der extensiven Katholizität resultiert und im Dekret über die missionarische Tätigkeit der Kirche weiter entfaltet wird:

„In der Verkündigung der Frohbotschaft sucht die Kirche die Hörer zum Glauben und zum Bekenntnis des Glaubens zu bringen, bereitet sie für die Taufe vor, befreit sie aus der Knechtschaft des Irrtums und gliedert sie Christus ein, damit sie durch die Liebe bis zur Fülle in ihn hineinwachsen.“ Ziel und Aufgabe der Kirche ist es, „dass die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes“ (LG 17).

Als alle Völker, Rassen, Klassen und Geschlechter aller Orte und Zeiten umspannende „Communio“ ist die Kirche die Catholica, ein messianisches Volk, sichtbares Sakrament der Einheit der Menschen (LG 9). „Das neue Volk [Gottes] bildet in seiner Katholizität mit ihrer quantitativen und extensiven Bedeutung das Haus mit den vielen Wohnungen ab (Joh 14,2), von dem der Herr als Verheißung der künftigen Welt spricht.“423 Die Heilszusage Gottes manifestiert sich ein für allemal im Erlösungstod Christi und realisiert sich je neu durch alle Zeiten und Orte hindurch, wonach die Katholizität der Kirche als geschichtlicher Vollzug zu begreifen ist, als Gabe und Aufgabe zugleich: „Die Katholizität der Kirche ist ihr eine von Gott zugesprochene Wirklichkeit […], die im geschichtlichen Spannungsverhältnis des Schon und Noch-nicht verbleibt.“424 Sie bleibt „immer Aufgabe, auf die hin wir uns ausstrecken und so Auftrag, den wir nie ganz einholen“425, bis dass Gott die Kirche im Eschaton einst vollenden wird. So ist die Kirche als das Volk Gottes dessen eschatologische Sammlungsbewegung, in die alle Menschen aller Zeiten, Orte, Nationen, Rassen, Kulturen und Weltanschauungen gerufen sind. Die bestehenden Unterschiede werden dabei nicht einfach ausgelöscht, wohl aber relativiert: „Im Volk Gottes wird der eschatologische schalom unter den Bedingungen des gegenwärtigen Äon antizipiert. […] Als Volk Gottes ist die Kirche auf den staubigen Straßen der Geschichte unterwegs, um seiner ewigen Heimat und der eschatologischen Fülle der Zeit entgegenzugehen. Sie kann allein Gott selbst heraufführen. […][Damit wendet sich die Volk-Gottes-Ekklesiologie gegen jedwede innerweltliche Geschichtsutopie, sei sie westlich fortschrittlicher oder marxistisch revolutionärer Art“426.

In nachkonziliarer Zeit ließ ein horizontalistisch verflachter Volk-Gottes-Gedanke seinen theozentrischen Charakter in Vergessenheit geraten. Dies ließ das Leib-Christi-Sein der Kirche in den Hintergrund treten. Im Zuge der 68er-Bewegung wurde das Volk-Gottes-Sein der Kirche gar demokratisch gedeutet. Man vergaß, dass die Kirche kein rein innerweltlicher Verein, sondern Volk Gottes ist und dass die Rede vom Volk Gottes der Kirche keine rein soziologische, sondern eine theologische Größe zuschreibt.427. Eine innerkirchliche Gegenbewegung war die Folge, die die neutestamentliche Begründung des Volk-Gottes-Gedankens zum Teil in Frage zu stellen versuchte und den Leib-Christi-Gedanken in teils einseitiger Weise prononcierte.

Bevor wir uns diesem zweiten Leitbegriff widmen, wollen wir uns in einem ersten Exkurs der schwierigen Verhältnisbestimmung von Israel als dem bleibenden Volk Gottes und der Kirche als dem „neuen“ Volk Gottes widmen, um wichtige Erkenntnisse für unsere Bestimmung der Katholizität der Kirche zu gewinnen.

3. Exkurs: Die schwierige Verhältnisbestimmung zwischen Jesu Sammlung des wahren Israels und der Kirche

Im Rahmen der bis hierher betriebenen Betrachtungen des Volk-Gottes-Begriffs, der vom Konzil in einer patrististischen Rückbesinnung wieder entdeckt und ins Zentrum seiner ekklesiologischen Reflexion gerückt wurde428, bleibt ein kurzer Blick auf eine erste kontrovers diskutierte ekklesiologische Frage zu werfen, nämlich auf die schwierige Verhältnisbestimmung von Israel als dem von JHWH erwählten Volk Gottes zu der von Jesus Christus begründeten Kirche429. Spätestens seit der viel beachteten Rede Johannes Pauls II. vor den Repräsentanten des deutschen Judentums in Mainz am 17. November 1980, in der er von einer „Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes (vgl. Röm 11,29) und dem des Neuen Bundes“430 sprach, spielt die Frage einer exegetisch fundierten Bundestheologie eine immer wichtigere Rolle. Die Herkunft der Kirche aus Israel und ihre bleibende Heilsgemeinschaft mit Israel als dem wahren Volk Gottes vermochte das Konzil sowohl in der Kirchenkonstitution als auch in der Erklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra Aetate“ nur bruchstückhaft zu reflektieren; die biblische wie systematische Theologie ist auf diesem Weg in den letzten vierzig Jahren zwar ein beachtliches Stück voran gebracht worden, kann aber – vor allem unter ekklesiologischen Gesichtspunkten – nicht als geklärt und abgeschlossen bezeichnet werden. Die entscheidende Frage lautet nach wie vor: Wie verhält sich die von Jesus Christus intendierte und in seiner Sendung verwirklichte Sammlung des wahren, endgültig wiederhergestellten Volk Gottes, des endzeitlichen Israels, zu der Kirche, die nach Ostern mit dem Pfingstereignis im Heiligen Geist zusammengeführt wird und sich zunehmend als eigene, von Israel verschiedene Glaubensgemeinschaft konstituiert?431 Kann – mit Rekurs auf die Heilige Schrift – (noch) von einer „Stiftung“ der Kirche durch Jesus Christus gesprochen werden oder ist deren Ursprungsgeschehen nicht schon und alleine in Israel als dem wahren „Volk Gottes“ begründet und vorausbedeutet? Dies aber weitet den Fragehorizont unweigerlich aus und ruft eine weitere Frage auf den Plan: Wie viele „Bünde“ Gottes mit den Menschen gibt es nach Christi Tod und Auferstehung überhaupt: einen oder zwei? Sind Juden und Christen Teile einer sich durchhaltenden Bundestradition, die von beiden in jeweils unterschiedlicher Weise angeeignet wird, also parallele Heilswege in ein und demselben Bund, oder muss von der Eigenart zweier Bundestraditionen ausgegangen werden, die in ihrer Diskontinuität beide für das volle Hervortreten der Gottesherrschaft von entscheidender Bedeutung sind?

Eine wie auch immer ausfallende Beantwortung dieser Fragen wird Auswirkungen auf unseren Untersuchungsgegenstand dergestalt haben, dass sie die Überlegung evoziert, ob die Katholizität der Kirche alleine und vornehmlich im Christusereignis gründet oder ob sie sich auch aus der Heilssendung des Volkes Israels ableitet, zu dem Gott zuerst gesprochen hat, was wiederum zur Folge hätte, dass Israel bzw. dem Judentum als nichtchristlicher Religion eine eigene Katholizität zuzusprechen wäre. Oder anders gefragt: Sind die christlichen Kirchen – bei aller Verwiesenheit auf das wahre Volk Israel – unabhängig von diesem „katholisch“, oder ist die Kirche – zumindest in anthropologischer und schöpfungstheologischer Hinsicht – „katholisch“ durch und aufgrund ihrer Verwiesenheit auf das Volk Israel hin, das ja nicht nur Ursprung und Vorausbild der Kirche ist, sondern ihre bleibende Wurzel, der Ölbaum, auf den sie aufgepfropft und dem die Christenheit eingepflanzt (vgl. Röm 11,16–24) wird? Diese Fragestellung erlaubt zumindest, über die Möglichkeit nachzudenken, ob die Qualifizierung des Verhältnisses von Altem und Neuem Bund nicht auch das Verständnis der Katholizität der Kirche einerseits und ihr Verhältnis zu Israel und dem Judentum andererseits differenzierter zu beschreiben vermag.432

Um mögliche Antworten auf diese Frage zu erhalten, sollen nachfolgend der semantische und exegetische Befund zum Bundesbegriff und die daraus ableitbaren Bundestheologien sowohl im Alten als auch im Neuen Testament kurz umrissen werden. Auf eine breite, alle Teilaspekte berücksichtigende Darstellung muss im Rahmen dieser Untersuchung verzichtet werden.433

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