Kitabı oku: «Die Katholizität der Kirche», sayfa 13

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3. Katholizität als Schlüssel zur Verhältnisbestimmung von kirchlicher Einheit und Vielfalt

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) legt mit seiner Konstitution „Lumen Gentium“ erstmals in der Geschichte der Kirche eine lehramtliche Ekklesiologie vor, in der das kirchliche Selbstverständnis der Kirche der Väter mit dem der Apologetik nachtridentinischer und neuscholastischer Theologie in eine Synthese gebracht wird und in der die mit der Gregorianischen Reform begonnenen juridisch-hierarchologischen Engführungen in der Kirche zu überwinden versucht werden.357 Bereits das Erste Vatikanische Konzil (1869–1870) hatte beabsichtigt, Kerngedanken einer katholischen Ekklesiologie zu bestimmen. Weil aber das Konzil wegen des Deutsch-Französischen Krieges frühzeitig abgebrochen werden musste, war es nicht mehr zur Besprechung und Verabschiedung einer zweiten, als Ergänzung gedachten Konstitution über die Kirche (vgl. NR 387–394) gekommen358 hinterlassen wurde ein „ekklesiologisches Fragment“359. Einzige Ausnahme bilden die Bestimmungen über den Primat des Papstes in der Konstitution „Pastor aeternus“ (vgl. DH 3050–3075), in der die juridische Ekklesiologie der nachtridentinischen Kontroverstheologie kulminiert360. Das Zweite Vatikanische Konzil nimmt das Fragment des Ersten Vatikanums auf und führt es fort (vgl. LG 1). In Ausdrücklichkeit widmet es sich dem Thema „Kirche“ und bestimmt sie „von ihrer Rolle in der Gesch[.][ichte] des universalen Heilswillens Gottes her, was formal in einer […] dialogischen Relationalität nach außen und nach innen, konkret in den Selbstbezeichnungen ‚Communio’, ‚Volk Gottes’ u[.][nd] ‚Sakrament des Heils der Welt’ […] zum Ausdruck kommt.“361

Die Begriffsanalyse hat erkennen lassen, dass der Begriff „katholisch“ bzw. „Katholizität“ neben seiner konfessionellen Verwendung nicht nur in seiner ursprünglich qualitativen Bedeutung wiederentdeckt und komplementär zu seiner quantitativen Bedeutung benutzt wird, sondern dass er in diesem notwendig reziproken Verständnis viele jener Kernaussagen berührt und inhaltlich betrifft, die das Zweite Vatikanische Konzil zum Teil neu über die Kirche tätigt. Die Konzilsväter verwenden den Begriff „katholisch“ bzw. „Katholizität“ im qualitativen bzw. quantitativen Sinne sogar häufig und ausdrücklich in solchen Kontexten, wo es um Bestimmungen über die Kirche geht, die ihr Wesen bzw. Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, wie es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu gefasst wurde. In seiner qualitativen bzw. quantitativen Dimension vermag der Begriff „katholisch“ bzw. „Katholizität“ das pointiert zu formulieren bzw. zu integrieren, was die Konzilsväter über die Kirche aussagen wollen, wenn sie die Kirche als „Volk Gottes“, als „Sakrament“ und als „Communio“ qualifizieren.

Im Kontext der sakramentalen Wesensbeschreibung der (römisch-)katholischen Kirche (Kirche als „Mysterium“ bzw. als „universales Heilssakrament“, vgl. LG 48, UR 3) etwa wird deutlich, dass deren qualitative Katholizität stets mit ausgesagt ist. Kirche ist, nach Lehre der Konzilsväter, „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Da Christus als „Mittler und Weg zum Heil […] in seinem Leib, der Kirche, uns gegenwärtig wird“ (LG 14), ist Kirche nicht nur bildhaft sein Leib, sondern auch wirklich, d.h. sakramental (sichtbar) die Gemeinschaft mit ihm und der Christen untereinander. Indem uns Christus in der Feier der Eucharistie Anteil an seinem Leib gibt, vereint er uns in diesem seinem Leib, um uns auf sakramentale Weise eins zu machen im mystischen Leib der Kirche (vgl. LG 3;7;11;17;26; UR 2;15; CD 30). Diese Kirche aber, „in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8,2). Wir hatten gezeigt, dass hier – mit Blick auf die katholischen Ostkirchen – bewusst auf das „römisch“ in der Konfessionsbezeichnung verzichtet wird, dass das „katholisch“ zugleich aber hinweist auf die der Kirche zukommenden Katholizität. (Römisch-)katholische Kirche ist deshalb katholisch, so der von den Konzilsvätern hier aufgerissene Kontext, weil in ihr Christus mit seiner ganzen Fülle (qualitative Katholizität) und Weite (quantitative Katholizität) auf sakramentale Weise gegenwärtig ist (vgl. LG 14. 26; UR 3), und weil in ihr die Kirche Jesu Christi „subsistiert“, d.h. konkret verwirklicht ist. Die der (römisch-)katholischen Kirche wesentlich zukommende Katholizität ist also christologisch bestimmt; das Wesen ihrer Katholizität gründet in Christus selbst.

Die der (römisch-)katholischen Kirche zukommende Katholizität bleibt dabei aber – dieses Denken ermöglicht der bewusst gewählte „weitere“ Begriff des „subsistit in“ – nicht alleine der (römisch-)katholischen Kirche vorbehalten; vielmehr eröffnet das in LG 8 grundgelegte, erneuerte Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche die Möglichkeit, „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ auch in nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften „zu finden […], die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (LG 8). Diese Einheit hat „Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt […][und sie ist] unverlierbar in der katholischen Kirche“ (UR 4,3) gegeben, dies aber in (noch) nicht vollendeter Weise, zumindest solange nicht, wie die christliche Kirche faktisch in mehrere Denominationen gespalten ist. Diese historische Wirklichkeit hindert letztlich die (römisch-)katholische Kirche daran, alle Aspekte ihrer sakramental vermittelten Katholizität in ihrem Leben voll und ganz zu verwirklichen. Daher bleibt es Aufgabe der (römisch-)katholischen Kirche, „wirksam und stetig danach […][zu streben], die ganze Menschheit mit allen ihren Gütern unter dem Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes […], so dass das Ganze und die einzelnen Teile aus allen vermehrt werden, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken“ (LG 13,2–3). Katholizität ist also nicht nur Gabe, sondern auch Aufgabe der pilgernden Kirche, welche es sowohl inner- wie binnenkirchlich, aber auch mit Blick auf andere Religionen und die gesamte Welt stets neu zu suchen und zu verwirklichen gilt.

Wie Kirche also, wenn sie Sakrament ist, notwendig sichtbar ist, so muss sich auch ihre Katholizität notwendig äußern. Damit ist die zweite Leitkategorie des Konzils berührt: Kirche als „Volk Gottes“. Kirche ist nämlich nicht eine rein geistige Größe, eine pure Idee, sondern – da Sakrament – „sichtbare Versammlung und […] geistliche Gemeinschaft, […] eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8,1), eine kontingente, reale Größe. Das Wesen des Sakramentseins liegt ja gerade darin, „dass im Sichtbaren das Unsichtbare berührt wird, dass das berührbare Sichtbare den Zugang zu Gott selbst öffnet.“362 Kirche ist notwendig sichtbar: Sie „ist eine Gemeinschaft von Menschen, die durch das Wirken des Heiligen Geistes das Volk Gottes bilden, das gleichzeitig der Leib Christi ist.“363 Um in die Menschheitsgeschichte einzutreten, so das alttestamentliche Verständnis vom Volk Gottes, „hat Gott ein bestimmtes Volk erwählt – das [eine] Volk Israel –, damit es Sein Volk sei. Die Absicht dieser besonderen Wahl ist, durch die Wenigen zu den Vielen und durch die Vielen zu allen zu gelangen. Mit anderen Worten: Die Absicht dieser besonderen Wahl ist die Universalität. Durch dieses Volk tritt Gott wirklich auf konkrete Weise in die Geschichte ein“364 und begründet die der Kirche aufgegebene Verwirklichung ihrer Katholizität.

Kirche wird vom Konzil als das von Gott in Jesus Christus durch den Heiligen Geist gesammelte („neue“ und endgültige) Volk Gottes verstanden, dessen Sendung es ist, ihrer Katholizität gemäß Zeichen und Werkzeug der Einheit Gottes mit allen Menschen zu sein:

„Dieses messianische Volk [ist], obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfasst und gar oft als kleine Herde erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils. Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5,13–16) in alle Welt gesandt. […] Er selbst hat sie […] mit seinem Blut erworben (vgl. Apg 20,28), mit seinem Geiste erfüllt und mit geeigneten Mitteln sichtbarer und gesellschaftlicher Einheit ausgerüstet. Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei. Bestimmt zur Verbreitung über alle Länder, tritt sie in die menschliche Geschichte ein und übersteigt doch zugleich Zeiten und Grenzen der Völker.“ (LG 14).

Kirche ist also nicht für sich selbst da, sondern weiß sich in den Dienst Gottes gestellt, kraft ihrer sakramental geschenkten „Katholizität […] das Evangelium allen Menschen zu verkünden“ (AG 1,1) und alle Menschen in die „katholische Einheit“ (LG 8,2) mit ihm und untereinander zu führen, die Christus seiner Kirche zwar von Anfang an geschenkt hat und die „unverlierbar in der katholischen Kirche besteht“ (UR 4,3), die aber ihrer eschatologischen Vollendung noch entgegengeht. Nimmt Kirche diese ihre Sendung ernst, muss sie alles tun, was der Einheit dient: Sie ist aufgerufen, sich den Vielen zu öffnen, die „draußen“ sind (Mission, Öffnung zur Welt). Zugleich muss sie dieselbe Offenheit und Weite nach innen bewahren und eine ihrer Katholizität gemäße Vielfalt ermöglichen und fördern, will sie als Kirche „Volk Gottes“ und als dieses wahrlich „katholisch“ bleiben: „So kommt es, dass sich das Volk Gottes nicht nur aus verschiedenen Völkern sammelt, sondern auch in sich selbst aus vielfältigen Ordnungen gebildet wird. Unter seinen Gliedern herrscht nämlich eine Verschiedenheit […]. Daher gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die über eigene Überlieferungen verfügen, wobei der Primat des Stuhles Petri […] darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen.“ (LG 13,3) Kirche als „Volk Gottes“ meint also keine Monade, keine Uniformität, sondern eine legitime Vielfalt in Einheit und eine notwendige Einheit in Verschiedenheit. So bestimmen die Konzilsväter etwa die Heilsnotwendigkeit der Kirche und die Zugehörigkeit zur Kirche (vgl. LG 14–16), ihr Verhältnis zu den nichtkatholischen Kirchen (vgl. UR) sowie zu den nichtchristlichen Religionen (vgl. NA) und zur Welt (vgl. GS) in einer neuen, differenzierten Weise. Als „in Christus eschatologisch erneuerter, auf die Gesamtheit der Völker hin geöffneter, die Verheißungen Gottes an Israel endgültig in Kraft setzender ‚Neuer Bund’ bleibt die Kirche [beispielsweise] unwiderruflich auf ihre ‚Wurzel’ Israel (Röm 11,16ff.) verwiesen.“365 Kirche wird auf dem Konzil nicht mehr als eine das Volk Israel ersetzende Größe verstanden (Substitutionstheorie); vielmehr betonen die Konzilsväter, dass „das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist“366 (NA 4,1) und lehren eine Kontinuität zwischen Israel und der Kirche. In den anderen nichtchristlichen Religionen erkennen die Konzilsväter „einen Strahl jener Wahrheit […], die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2,2), und sie lehnen „nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ (NA 2,2). Auch den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften werden „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ zugesprochen, „die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (LG 8,2). Des Weiteren hebt das Konzil das allgemeine Priestertum aller Gläubigen gegenüber dem besonderen heraus (vgl. LG 10.34), gibt auf, neben dem römischen Ritus andere rechtmäßig anerkannte Riten zu würdigen und zu fördern (vgl. SC 4), qualifiziert die Ostkirchen als echte Teilkirchen und Kennzeichen ihrer Katholizität (vgl. OE 2) und nennt „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen dieser Zeit, besonders der Armen und Bedrängten aller Art […][als] Freude und Hoffnung, Trauer und Angst auch der Jünger Christi“ (GS 1), also der Kirche. Zur Erfüllung ihrer Sendung „obliegt der Kirche durch alle Zeit die Pflicht, die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Licht des Evangeliums auszulegen“ (GS 4,1), sich also nicht vor der Welt zu verschließen, sondern sich ihr und den Menschen zu öffnen, das Ethos einer wahrlichen Katholizität zu leben, um so alle Menschen zu erreichen, „die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“ (LG 13,4).

Die vom Konzil gewünschte Offenheit, Weite und Vielfalt der Kirche (quantitative Katholizität) gründet, wie schon gesagt, in ihrer wiederentdeckten Sakramentalität; in ihr und aus ihr findet Kirche auch zu ihrer ganzen Fülle und Einheit (qualitative Katholizität). Ihr Sakramentsein ist der gemeinsame innere (christologische) Grund, auf dem ihre quantitative und qualitative Katholizität einerseits und ihre kirchliche Vielheit und Einheit andererseits beruhen. Damit wird deutlich, dass die Katholizität der Kirche selbst zu einem integrierenden Moment wird, zielt sie doch einerseits auf eine Vielfalt, die zur Einheit gereicht, und andererseits auf eine Einheit, die dennoch Vielfalt ermöglicht. Hierin ist wohl der für die Konzilstexte augenfälligste Kontext aufgerissen, in den hinein die Konzilsväter von der Katholizität der Kirche sprechen: die Dialektik von kirchlicher Einheit und Vielheit, die theologisch mit dem verknüpft ist, was die Alte Kirche „Communio“ (Gemeinschaft) nannte und was im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil als „Communio-Ekklesiologie“ beschrieben wird.

Die Communio, die Gott möchte, ist notwendig offen für alle. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes „katholisch“, zielt Gottes Wirken doch immer schon auf das Ganze von Schöpfung, auf ihre Einheit. Jesus sah sich von seinem Vater zu allen Menschen gesandt, um „das ganze Menschengeschlecht durch die Erlösung wiederzugebären und in eins zu versammeln“ (UR 2,1; vgl. 1 Joh 4,9–16; Kol 1,18–20; Joh 11,52). In diese Sendung weiß sich die Kirche gestellt, ist sie doch das universale Sakramental der von Gott gewollten Communio (vgl. LG 1, 48). Ihr ist das Sakrament der Eucharistie anvertraut, „durch das die Einheit der Kirche sowohl bezeichnet als auch bewirkt wird“ (UR 2,1). Gemäß der vom Zweiten Vatikanum begründeten eucharistischen Communio-Ekklesiologie verwirklicht sich Kirche und damit die von Gott gewollte Communio ekklesial in der Communio der vielen Ortskirchen. Darin wird deutlich, dass, wenn wir mit Blick auf Kirche von Einheit sprechen, wir nicht einen Monismus meinen, eine „Alleinheit“, eine Uniformität, sondern eine Einheit in bleibender Differenz. Kirchliche Communio muss, will sie wirklich Sakrament der von Gott gewollten Einheit sein, offen sein und bleiben für die Vielen, ohne dabei in einen Indifferentismus und Pluralismus zu verfallen. Sie muss eine Einheit in Vielfalt und eine Vielfalt in Einheit verwirklichen, indem sie sich für jeden und alles öffnet, ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Diese für das kirchliche Leben bedeutsame Dialektik von Einheit und Vielfalt spiegelt sich vor allem in der spannungsreichen Dialektik von Ortskirche und Universalkirche, von Ortsbischof und Bischofskollegium sowie von Primat und von Bischofskollegium wider.

Kirchliche Communio ist überall dort verwirklicht und präsent, wo Gemeinden in Verbundenheit mit ihrem Ortsbischof Eucharistie feiern, dies aber nicht in einer isolierenden, abschließenden Weise, sondern notwendig und immer schon in Gemeinschaft mit allen anderen Eucharistie feiernden Gemeinden (vgl. LG 26). Die eine Gemeinde, die Ortskirche, zielt also immer schon auf das Ganze von Kirche, die Universalkirche. Jede Ortskirche ist notwendig rückgebunden an die Universalkirche, wie auch die Universalkirche notwendig in und aus den Ortskirchen besteht (vgl. LG 23; CD 11). „Diese in eins zusammenstrebende Vielfältigkeit der Ortskirche“ aber – so die Überzeugung der Konzilsväter – zeigt „die Katholizität der ungeteilten Kirche in besonders hellem Licht“ (LG 23,4). Jeder Diözesanbischof repräsentiert gegenüber der Universalkirche seine Diözese und ist zugleich Repräsentant der Universalkirche in seiner Ortskirche. Damit bleibt jeder Bischof notwendig auf das Ganze von Kirche bezogen, weshalb er notwendig in „die kollegiale Einheit“ aller Bischöfe unter dem Haupt des Bischofs von Rom gestellt ist „in den wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Bischöfe zu den Teilkirchen und zur Gesamtkirche“ (LG 23,1). Das Amt des Papstes schließlich gilt als „das immerwährende und sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit der Vielheit sowohl von Bischöfen als auch von Gläubigen“, die Bischöfe gelten wiederum als „sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren nach dem Bild der Gesamtkirche gestalteten Teilkirchen, in denen und aus denen die eine und einzige katholische Kirche besteht“ (LG 23,1). Diese in der Universalkirche „in eins zusammenstrebende Vielfältigkeit der Ortskirchen zeigt die Katholizität der ungeteilten Kirche in besonders hellem Licht“, jene extensive Weite (quantitative Katholizität) also, die in der intensiven Fülle (qualitative Katholizität) von Kirche gründet und als notwendige Folge aus ihr hervorgeht: „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile die ihnen eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile aus allen vermehrt werden, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken“ (LG 13,3).

Vor allem mit Blick auf die mit Rom unierten Ostkirchen, aber auch mit Blick auf alle anderen Teilkirchen und die anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften setzt sich diese spannungsgeladene Dialektik von kirchlicher Einheit und Vielfalt fort: Katholische Kirche sieht sich als „eine wunderbare Gemeinschaft“, in der „die Vielfalt […] deren Einheit nicht nur nicht schadet, sondern sie vielmehr deutlich macht“ (OE 2). Die ihr qualitativ zukommende Katholizität (Fülle) drängt förmlich auf eine quantifizierbare Vielfalt, die zur Einheit führt, und auf eine Einheit, die dennoch ein Höchstmaß an Vielfalt ermöglicht und wahrt. Innerkirchlich bedeutet dies etwa, dass diejenigen, „die zur Fülle der katholischen Gemeinschaft kommen, überall auf Erden ihren je eigenen Ritus beibehalten, ihn pflegen und nach Kräften beobachten“ (OE 4,1) dürfen. Zwischenkirchlich bedeutet es, dass Ökumene und die Frage nach einer kirchlichen Einheit keine Randthemen von Kirche sind, keine Nebensache und nicht „bloß irgendein ‚Anhängsel’“ (UUS 20), sondern Auftrag des Herrn selbst (vgl. 17,21) und „Weg der Kirche“ (Überschrift zu UUS 7). Ökumene und das Streben nach kirchlicher Einheit müssen Aufgabe und Ziel der (römisch-)katholischen Kirche sein, da sie nur so „die Fülle der Katholizität in jeder Hinsicht in der Wirklichkeit des Lebens selbst auszudrücken“ (UR 4,10) vermag.

Das für Kirche bedeutsame wechselseitige Verhältnis von Einheit und Vielfalt nimmt auch jeden einzelnen Gläubigen in die Pflicht, denn die Konzilsväter fordern doch von jedem Katholiken eine wahrhaft „katholische“ Haltung (vgl. AG 36 und 40), die vor allem den ökumenischen sowie interreligiösen Dialog prägen sollte: Indem nämlich alle Katholiken angehalten sind, „im Notwendigen die Einheit [zu] hüten, [so] sollen alle in der Kirche gemäß der einem jeden gegebenen Aufgabe sowohl in den vielfältigen Formen des geistlichen Lebens und der Lebensweise als auch in der Verschiedenheit der liturgischen Riten, ja sogar in der theologischen Ausarbeitung der geoffenbarten Wahrheit die gebührende Freiheit wahren; in allem aber sollen sie die Liebe pflegen“ (UR 4,7). Durch ein aufrichtiges „katholisches“ Bemühen, das auf eine Vielfalt drängt, die zur Einheit führt, und auf eine Einheit zielt, die ein Höchstmaß an Vielfalt ermöglicht, werden die Gläubigen – so die Überzeugung der Konzilsväter – „die im wahren Sinne [verstandene] Katholizität“ (UR 4,7) erst vollkommen erfassen und verwirklichen können.

Kirche bleibt, so können wir resümieren, ihrer geschenkten Katholizität verpflichtet, die sich grundlegend darin äußert, dass sie die ihrem Wesen gemäße Einheit sowohl nach außen wie nach innen immer mehr zu verwirklichen sucht, ohne die ihr gegebene Vielfalt im Keim zu ersticken. Die Einheit der Kirche und ihr Ausgerichtetsein auf die Vielen gehören notwendig zusammen. Kirche darf sich nie sich selbst genügen und mit dem zufrieden geben, was sie erreicht hat, sondern muss stets ihrer Sendung gemäß auf das Ganze des Menschengeschlechts hin ausgerichtet und offen bleiben, um dem Heilswillen Gottes gemäß, dem sie als „universales Heilssakrament“ (LG 48; GS 45) zu dienen hat, alle in der unbeschadeten Freiheit der Kinder Gottes in die Communio mit ihm und seiner Kirche zu führen. Diese Einheit wäre missverstanden, wenn sie auf Kosten der der Katholizität inhärenten und gewollten Vielfalt gewonnen würde: Daher „darf ihr Gesetz [i.e. das der Kirche] nicht das einer nivellierenden und verarmenden Uniformität sein, sondern das einer Communio, in der jeder bleibt und in die jeder bringt, was er ist“367 (vgl. LG 13). So wie die kirchliche Einheit keinem unterschiedslosen Monismus gleichkommen darf, so aber auch nicht einem pluralistischen Indifferentismus, bei dem Kirche Gefahr laufen würde, ihre wesensgemäße Einheit zu gefährden oder gar preiszugeben. Die gottgewollte Communio der Menschen mit ihm und untereinander, die in der ekklesialen Communio anfanghaft verwirklicht ist, verträgt sich ferner nicht mit Formen des Partikularismus oder Separatismus, was auf der Außenseite der Glaubensgemeinschaft jedwede Form der Abspaltung (Schisma) und auf der Innenseite der Glaubensinhalte jedwede Form des Glaubensabfalls (Häresie) ausschließt; denn seit frühester Zeit gilt auch bezüglich des Glaubens das als „katholisch“, was überall, immer und von allen geglaubt wurde:

„Die Einheit muss auch aus Verschiedenheiten bestehen. Dies bringt in sie eine Spannung zwischen dem Partikulären und dem Ganzen, zwischen dem Lokalen und dem Universalen hinein. Denn wenn auch jeder Teil das Ganze enthält, so ist er deswegen doch nicht das Ganze, und wenn auch die Ortsgemeinden der Gesamtkirche homogen sind, so ist damit nicht gesagt, dass sie nicht auch durch ihre besondere Eigenart und Verschiedenheit Teil des Ganzen sind und zu seiner Verwirklichung beitragen sollen. […] Die Lösung liegt nicht in der Einförmigkeit, aber auch nicht im Auseinanderstreben oder in der Zerbröckelung, die ein Sieg des Egoismus wären. Sie ist zu suchen erstens in einer Theologie der Communio; zweitens in einer Ekklesiologie der Universalkirche auf ihrem Weg durch die Zeit.“368

Somit „erscheint der theologische Pluralismus als eine Notwendigkeit, ja als ein Gut; andererseits stellt er vor heikle Fragen, wenn die Einheit des Glaubens, die Möglichkeiten des Lehramts und selbst die der Katechese und Verkündigung gewahrt werden sollen.“369 Zugleich aber hindern die realen äußeren und inneren Spaltungen der Kirche die (römisch-)katholische Kirche, in der die Kirche Jesu Christi subsistiert (LG 8), daran, ihre wesensgemäße Einheit und Katholizität so zu verwirklichen und darzustellen, wie sie es von ihrer Sendung her sollte, um „die ganze Menschheit mit all ihren Gütern unter dem Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes“ (LG 13). Nachkonziliare Dokumente sprechen hier ausdrücklich von einer „Wunde“, die die (römisch-)katholische Kirche betrifft.370 Folglich sind die ökumenischen Bemühungen der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht bloßes Engagement am Rande, das der Imagepflege dient, sondern notwendiges „Kerngeschäft“, um diese Wunde zu heilen:

„Um voll katholisch zu sein, muss die Kirche den Weg der Ökumene gehen. Ohne die nichtkatholischen Christen, die durch die Taufe Christus und seiner Kirche sakramental eingegliedert sind, bleibt die katholische Kirche fragmentarisch. Die eine Kirche Christi subsistiert zwar in der katholischen Kirche, weil ‚sich außerhalb ihres sichtbaren Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und Wahrheit finden, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen’ (LG 8). Die real existierende katholische Kirche kann also noch katholischer werden und muss es. […] Sie ist von den der Kirche Christi eigenen Gaben, die es außerhalb ihrer selbst gibt, und von der diesen Elementen eigenen katholischen Dynamik in Pflicht genommen, sich deren Drängen um ihrer eigenen Katholizität willen zu öffnen. In dieser Ermöglichung und Begründung ihres ökumenischen Engagements wird nicht nur die Schwächung aus der Spaltung und der sündige Widerspruch zum ausdrücklichen Willen Christi, sondern die unvollendete Katholizität der Kirche zum Motiv und Grund ihrer Umkehr von Abgrenzung und Ausgrenzung zur Öffnung, Annäherungssuche und Einheitssuche. Katholizität ist hier nicht nur Lernprozess, sondern gerade Lernprinzip in Sachen Ökumene. In dieser Sicht der Dinge ist Ökumene vorrangig ein Anspruch an sich selbst und die eigenen Glieder, sich zu öffnen und wirklich katholisch zu werden: der Christusgemeinschaft und dem Ganzen gemäß. […] Es geht vorrangig nicht darum, alles in sich einzubergen, vielmehr darum, für die gottgegebene Katholizität in allen ihren Elementen und Erscheinungen ganz bereit zu werden. […] Hier liegt auf der ekklesiologischen Ebene der Sachgrund für die Unwiderruflichkeit des ökumenischen Engagements und Lernens der Kirche – eben in ihrer wirklichen, aber noch unabgegoltenen Katholizität, die weiterhin Lernprinzip bleibt.“371

In diesem ökumenischen Lernprozess kann das von den Konzilsvätern wiederbelebte Bewusstsein um die grundsätzlich allen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zukommende qualitative Katholizität vermittelnd wirken: Die Universalität der Kirche im Sinne von Weite und Offenheit gründet in der Universalität ihrer Fülle und Wahrheit, oder – wie Henri de Lubac es nennt – im „Universalismus der Tiefe“372. Es geht, wenn wir von Kirche als dem Sakrament des Heils sprechen, immer und zuerst um die „katholische“ Liebe Gottes zu allen Menschen, die in Jesus Christus, dem Ursakrament, Fleisch geworden ist, und die – nach katholischem Verständnis – in der (römisch-)katholischen Kirche als dem Grundsakrament im Heiligen Geist bleibend, d.h. auf sakramentale Weise, in der Geschichte wirksam und gegenwärtig bleibt; dazu ist sie mit allen Mitteln ausgestattet, um ihrer Sendung gemäß überhaupt wirkungsvoll Sakrament des Heils sein zu können (qualitative Katholizität). Diese der Kirche als Gabe geschenkte und zur Verwirklichung ihrer Aufgabe überlassene katholische Fülle kommt zwar in ihrer katholischen Weite und Verbreitung (quantitative Katholizität) zum Tragen; letztere aber ist nicht eigentlicher Grund ihrer Katholizität. „Nicht deshalb ist die Kirche katholisch, weil sie eine große Zahl von Anhängern hat und gegenwärtig über die ganze Welt hin verbreitet ist. Sie war katholisch schon am Morgen des Pfingsttages, als noch ein kleiner Saal ihre Mitglieder fasste“373. Es kommt also das, was sie zutiefst katholisch sein lässt, „von Christus, der von Gott mit Kräften ausgestattet wurde, durch die er für die ganze Menschheit und in gewisser Weise auch für den ganzen Kosmos, τὰ πάντα sein kann: Prinzip einer in natürlicher und übernatürlicher Hinsicht vollendeten, dem Plane Gottes entsprechenden Existenz. […] In seiner Eigenschaft als neuer Adam und Haupt ist er das Fundament der Katholizität der Kirche.“374 Was alle christlichen Kirchen dem Wesen nach katholisch sein lässt, ist die in Christus verleiblichte Liebe des Vaters, die im pneumatischen Leib der (römisch-katholisch) Kirche auf vollkommenste und ihrem Verständnis nach sakramentale Weise „fortlebt“ und als solche nicht Eigennutz, sondern Aufgabe und Auftrag ist für die Vielen. Das, was gültig ist, weil es das im Heilsplan Gottes auf alle zielende und für alle bestimmte Ganze enthält, ist notwendig für alle gültig und bleibend auf alle hin ausgerichtet. Die in ihrer Sakramentalität gründende qualitative Ganzheit (Fülle) der (römisch-)katholischen Kirche drängt also notwendig auf ihre quantitative Ganzheit (Weite und Offenheit) und schließt immer schon auch die anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mit ein. Daher erkannten die Kirchenväter schon früh in der quantitativen Katholizität der Kirche einen Reflex ihrer qualitativen Katholizität. Umgekehrt aber widerspricht es einem sakramentalen Verständnis von Kirche, die Katholizität der Kirche alleine aus ihrer quantitativen Weite zu erschließen: „Ihrer Materie nach [sind] die qualitative und die quantitative Katholizität untrennbar […]. Man darf sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie zusammen sehen. Es verhält sich auch so, wenn man die Katholizität von der Kirche selbst aus betrachtet: ihre umfassende Ausbreitung ist deshalb möglich, weil sie authentisch die aus der Menschwerdung des Gottessohnes und aus dem Pfingstfest hervorgegangene Institution ist.“375

Das, was hier und in der gesamten Untersuchung als „qualitative Katholizität“ bezeichnet wird, war – wie wir sahen – vor allem im Zuge der Reformation zunehmend in Vergessenheit geraten und ist erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von namhaften Theologen wie Henri de Lubac und Yves Congar wieder neu bedacht worden. Deren Arbeiten machen deutlich, dass „für die Kirchenväter die Katholizität nicht nur eine phänomenologische Qualität der Kirche […][ist]; vielmehr geht es um ein Prädikat, das der Kirche zusteht aufgrund ihrer tiefsten Natur, die sie kraft ihres göttlichen Ursprungs und ihres Herrn Jesus Christus besitzt.“376 Die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils lassen erkennen, das auch die Konzilsväter – sicher beeinflusst von dieser Rückbesinnung auf die patristische Theologie – eben diese qualitative, d.h. christologische (sakramentale) Sicht der Katholizität in die Dokumente einbringen. Neben einem rein äußerlichen und juridischen Selbstverständnis von Kirche wird vor allem deren christologisches Wesen herausgestellt; folglich wird das zuvor „rein äußerliche und soziologische Verständnis der Katholizität […] wieder innerlich und christologisch“377:

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9783429062033
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