Kitabı oku: «Die Katholizität der Kirche», sayfa 14
„Diese wiederentdeckte Betonung der qualitativen Dimension der Katholizität, die im Heilsmysterium Gottes gründet und die darum grundlegender ist als die quantitative Dimension, prägt auch das Zweite Vatikanische Konzil und dementsprechend die nachkonziliare Ekklesiologie. Das wird deutlich an dem gleichsam programmatischen Satz aus LG 1 über die Sakramentalität der Kirche, in dem es heißt: ‚Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.’ Auch wenn hier der Begriff der Katholizität nicht fällt, so ist doch in dieser Aufgabe der Kirche, Zeichen und Werkzeug der Einheit der Menschheit mit Gott und untereinander zu sein, genau das angesprochen, was die Katholizität […] meint“378.
Kirche ist „katholisch“ heißt, das Eine notwendig auf das Ganze hin bzw. vom Ganzen her zu denken:
„In jeder besonderen Ausformung des einzigen Christentums [muss] das universale Ganze enthalten sein“ […]. Diese Universalität unterscheidet die Kirche von der Sekte. Nicht die kleine Zahl als solche macht die Sekte aus […]. Sondern das macht die Sekte aus: es fehlt die Beziehung zur Totalität. […] Die Kirche […] [hingegen] ist immer und überall, wo sie existiert, gänzlich vorhanden mit einem Zug ins Universale. Sie weiß sich gerufen und ausgerichtet auf das Ganze. […] Ob die Kirche in einer Diasporasituation sich befindet oder fest eingerichtet ist, ob sie anfanghaft oder seit langem fruchtbar anwesend ist, immer ist sie ein Keim mit universeller Berufung.“379
Darin zeichnet sich also die integrierende Kraft der Katholizität der Kirche aus, dass „die Einheit der Völker in der Katholizität des Glaubens durch die Kirche des Neuen Bundes vorgezeichnet“ (AG 4,1) ist. Die „Menschen, Gruppen und Völker […] durchdringt sie […] und nimmt sie so in die katholische Fülle auf“ (AG 6,2), wodurch Kirche „ihre katholische Einheit vervollkommnet“ (AG 6,6).
Ausgehend von diesen Beobachtungen kann man „die“ Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils mit Berechtigung eine „Ekklesiologie der Katholizität“ nennen bzw. im Begriff der Katholizität einen Schlüssel zur rechten Interpretation des ekklesiologisch Genuinen des Konzils finden: das Integral aller wesentlichen ekklesiologischen Aussagen des Zweiten Vatikanums über die Kirche.
Um diese These zu stützen, soll im Folgenden die Katholizität der Kirche – ausgehend von den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils und im Kontext nachkonziliarer, schwerpunktmäßig deutschsprachiger systematischer Theologie – weiter entfaltet und bestimmt werden. Es wäre wünschens- und sicher lohnenswert, namhafte nichtdeutschsprachige Theologen bei dieser systematischen Entfaltung breiter zu berücksichtigen; der begrenzte Rahmen dieser Untersuchung jedoch macht es nötig, sich auf überwiegend deutschsprachige Theologen zu beschränken.
II. Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes
oder: Der Bundescharakter der
Heilsgeschichte als Voraussetzung der
Katholizität Israels und der Kirche
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) legt mit seiner Konstitution „Lumen Gentium“ erstmals in der Geschichte der Kirche eine lehramtliche Ekklesiologie vor, in der das kirchliche Selbstverständnis der Kirche der Väter mit dem der Apologetik nachtridentinischer und neuscholastischer Theologie in eine Synthese gebracht wird und in der die mit der Gregorianischen Reform begonnenen juridisch-hierarchologischen Engführungen zu überwinden versucht werden. Die Konzilsväter bestimmen Die Kirche „von ihrer Rolle in der Gesch[.][ichte] des universalen Heilswillens Gottes her, was formal in einer […] dialogischen Relationalität nach außen und nach innen, konkret in den Selbstbezeichnungen ‚Communio’, ‚Volk Gottes’ u[.][nd] ‚Sakrament des Heils der Welt’ (Ursakrament) zum Ausdruck kommt.“380
Diese drei Begriffe zur Beschreibung des Wesens der Kirche wähle ich zu Ausgangspunkten weiterer Überlegungen, die darauf zielen, die im vorherigen Kapitel zur Diskussion gestellte These zu stützen. Methodisch soll das vom Konzil mit dem Begriffen „katholisch“ bzw. „Katholizität“ Gemeinte mit den in der innerkatholischen Wissenschaft etablierten konziliaren Leitbegriffen „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ in Zusammenhang gebracht werden.381 Von dieser systematischen Zusammenschau erhoffen wir uns, die Katholizität noch deutlicher als integrale Größe, als inneren Interpretationsschlüssel aller wesentlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils herausstellen und sie als eine alternative ekklesiologische Leitkategorie in die theologische Diskussion einbringen zu können.
Bei dieser Betrachtung geht es nicht mehr um eine erneute textkritische Analyse der Konzilsdokumente.382 Vielmehr sollen die wesentlichen Grundzüge der konziliaren Lehre über die Kirche unter dem Aspekt ihrer Katholizität systematisch beleuchtet werden. In diese systematische Zusammenschau werden ausgewählte deutschsprachige Beiträge nachkonziliarer katholischer systematischer Theologie einbezogen. Solche Beiträge stellen – wie auch diese Untersuchung selbst – immer schon unterschiedlich akzentuierte Interpretationen und womögliche Fortschreibungen der Konzilstexte dar. Diese Tatsache stellt weder die Qualität noch die Seriösität solcher nachkonziliaren Forschung und ihrer jeweiligen Interpreten in Frage. Es bleibt zu betonen, dass das Konzil mit vielen seiner Bestimmungen oft nicht mehr als nur einen Rahmen vorgeben konnte und wollte, den zu füllen der nachkonziliaren Theologie bis heute aufgegeben ist.383 Dabei kommt die theologische Wissenschaft nicht umhin, die relevanten nachkonziliaren Dokumente des Lehramtes zu Fragen der Ekklesiologie miteinzubeziehen, bieten diese doch maßgebende Interpretationshilfen, wie die Texte des Konzils zu lesen und zu deuten sind. Folglich werden auch unsere Untersuchungen gehalten sein, derartige Texte des Lehramtes zu berücksichtigen.
Eine unter den Leitbildern „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ seriöse Betrachtung der Katholizität der Kirche wird ferner die virulenten innerkatholischen Diskussionspunkte nicht aussparen können, die in der nachkonziliaren Ekklesiologie aufgetreten sind und sowohl das Selbstverständnis als auch die innere Struktur der (römisch-)katholischen Kirche bis heute nachhaltig beeinflussen. Jedes der drei folgenden Kapitel widmet sich daher in einem je abschließenden Exkurs je einem in den letzten Jahren in der theologischen Wissenschaft kontrovers diskutierten ekklesiologischen Problem, das die Frage nach der Katholizität der Kirche berührt und möglicherweise Auswirkungen auf ihre Bestimmung hat. Auch wenn diese Ausführungen nicht alle Aspekte beachten können, bieten sie aufschlussreiche Kenntnisse, die für unseren Untersuchungsgegenstand von Bedeutung sind. Gleichzeitig vermögen sie, die innere Dynamik der Kirche zu verdeutlichen, die in ihrer Katholizität begründet liegt. Und sie machen exemplarisch deutlich, auf welch steinigem Weg eine Interpretation und Fortschreibung der konziliaren Lehre über die Kirche vorankommt.
Widmen wir uns nun dem vom Konzil entfalteten Selbstverständnis der Kirche. Die Frage nach diesem bliebe unvollständig, würde nicht nach seinem theologischen Fundament gefragt: Welches Gottesbild hat das Konzil seinen ekklesiologischen Aussagen – vornehmlich dem von der Sakramentalität der Kirche – zugrunde gelegt? Dieser Frage soll im Sinne eines Präludiums kurz nachgegangen werden.
1. Der trinitarische Rahmen konziliarer Ekklesiologie
Bereits der erste Satz der Kirchenkonstitution macht deutlich, dass das Konzil einen Kirchenbegriff zugrunde legt, der einen rein auf das empirisch Sichtbare von Kirche beschränkten Begriff übersteigt. Das Konzil betrachtet die Kirche vielmehr von Christus her:
„Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten“ (LG 1).
Das Licht, das Christus ist, ist auch das Licht der Kirche („lumen ecclesiae“), und in Christus ist die Kirche das Licht der Völker („lumen gentium“).384 In diesem programmatischen Leitwort, das Johannes XXIII. wiederholt verwandte, um die Idee des Konzils zusammenzufassen385, strahlt ein Motiv der Vätertheologie auf: Hier sprach man gern von der Kirche als dem „mysterium lunae“. Damit wollte man ausdrücken, dass die Kirche – wie der Mond – nicht vom eigenen Licht her strahlt, sondern Christus widerspiegelt, der ihre Sonne ist.386 Damit ist ein erstes Vorzeichen gegeben, von dem aus sich die ekklesiologischen Aussagen des Konzils erschließen: Dessen „Ekklesiologie erscheint abhängig von der Christologie, ihr zugehörig.“387
Ein Zweites ergibt sich notwendig aus dem Ersten: Jede Rede von Christus, dem Sohn, sagt zugleich – will sie nicht enggeführt sein – den Vater aus und damit die Beziehung zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist. Das Konzil ordnet demgemäß seinen christologischen Ansatz in den Gesamtrahmen der Trinitätstheologie ein (vgl. LG 2–4) und versteht die Kirche als „Ikone der Trinität“388, als Widerschein der göttlichen Communio. „Die christologische Sicht der Kirche [weitet sich] notwendig in eine trinitarische Ekklesiologie aus“389. Auf der Folie des vom Konzil zugrunde gelegten trinitarischen Gottesverständnisses entfaltet es eine, von innen her eucharistisch bestimmte Communio-Ekklesiologie, nach welcher sich die innertrinitarische Dialektik von Einheit und Vielheit in der Kirche als „Sakrament“ (LG 1, 9, 48, 59) der göttlichen Einheit – sowohl in ihrer eigenen Verfasstheit (intensive Katholizität) wie auch in ihrem Dienst an der universalen Versöhnung der gesamten Schöpfung (extensive Katholizität) – widerspiegelt: „So erscheint die ganze Kirche als ‚das von der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk’“ (LG 4). Diese sakramentale Sicht ermöglicht, die untrennbare Einheit und gleichzeitige unvermischte Verschiedenheit zwischen der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus und der Kirche auszudrücken: Kirche „ist […] zuerst Setzung von oben. Sie verwirklicht sich dennoch in Welt und Geschichte“390. In schöpfungstheologischer sowie eschatologischer Perspektive erweist sich die Kirche als „allumfassende[…][s] Heilssakrament“ (LG 48), als „das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi“ (LG 3), als „Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden“ (LG 5), das „an dem universalen Heilsgeschenk Gottes [partizipiert] […][und] selbst zu einem universal anwesenden Zeichen der Liebe Gottes in der Welt“391 wird. Als Sakrament des Heils steht die Kirche selbst im Spannungsverhältnis zwischen Schon und Noch-Nicht, in der Dialektik zwischen der antizipativen Gegenwart und der Ausständigkeit des Reiches Gottes.
Im Folgenden sei das Verständnis der Kirche als „Volk Gottes“ betrachtet, dem das zweite Kapitel der Kirchenkonstitution gewidmet ist.
2. Die Bezeichnung der Kirche als „Volk Gottes“ des Neuen Bundes
Gottes universaler Heilswille zielt auf alle Menschen, denn „er hat […] beschlossen, die Menschen zur Teilhabe an dem göttlichen Leben zu erheben.“ (LG 2) Dies macht die Hl. Schrift deutlich, wenn sie mit der Erschaffung der Welt beginnt: Deren erste Gestalt nämlich ist nicht Abraham, der Stammvater des 12-Stämme-Volkes, sondern Adam, der erste Mensch. Adam bezeichnet in der Genesis jedoch nicht einen bestimmten Menschen, einen Einzelnen, sondern den Menschen überhaupt, die Menschheit.392 Damit aber liefert die Genesis den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Bibel: Sie schildert im Alten Testament nicht nur die Geschichte einer Beziehung zwischen JWHW und seinem auserwählten Volk des Alten Bundes, die sich im NT mit Christus auf die Kirche des erneuerten Bundes ausweitet, sondern die Gemeinschaft mit Gott, sein Heilswille, zielt auf alle Völker und ist universal. Es geht JHWH nicht zunächst und primär um das eine auserwählte Volk Israel, sondern um das ganze Menschengeschlecht, das ὅλον der Schöpfung, das Ganze: die Universalität (Katholizität) seines Heils. Diesem universalen Heilswillen Gottes entsprechend nimmt das Zweite Vatikanische Konzil den Begriff „Volk Gottes“ in seiner Kirchenkonstitution als Bezeichnung für die Kirche auf und bestimmt ihn „als eine universale Größe […], zu der alle Menschen gerufen werden (vgl. LG 13) und deren Haupt Christus als ‚inkarnatorisch vermittelte Unmittelbarkeit zu Gott‘ […] ist (vgl. LG 9)“393.
Konkret verwirklicht sich das Heil Gottes für die gesamte Menschheit in der Sammlung einer Heilsgemeinde, die ihren Ursprung in der Erwählung Abrahams hat (vgl. Gen 12,1–3) und die Johannes in der heiligen Stadt, dem neuen Jerusalem, verwirklicht sieht (vgl. Offb 21,2.24). Das Kommen des neuen Jerusalems, einer neuen Gesellschaft, der – symbolisiert durch die zwölf Tore, welche niemals geschlossen werden (Offb 21,25) – eine weltweite Öffnung zu eigen ist (vgl. in diesem Zusammenhang die Völkerwallfahrt zum Jerusalem der Endzeit in Jes 60,1–11), ist also an einen konkreten Ort und an eine konkrete Zeit gebunden, nämlich an das 12-Stämme-Volk und dessen Geschichte.394 Gott möchte die Erlösung der ganzen Welt und beginnt mit der Veränderung der Welt auf die erhoffte neue Stadt Jerusalem hin an einer bestimmten raumzeitlich definierbaren Stelle bzw. an einem Einzelnen: Abraham. In Abraham verändert der Glaube an den biblisch bezeugten Gott JWHW die Welt in konkreter Weise. Wenn es in der Genesis heißt: „Ein Segen sollst du sein. […] Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,2–3), dann meint dies nichts anderes, als dass Abraham und das Neue, das JWHW mit ihm in der Welt beginnen lässt, denen, die mit Abraham in Kontakt kommen, zum Heil gereichen. Bei Erwählung des Abraham geht es nicht nur um ihn und um seine Sippe, sondern um das Ganze; aber damit das Ganze erreicht wird, die ganze Schöpfung, braucht es einen konkreten Menschen an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit, der von Gott erwählt und mit dem Gott seinen Heilsplan veranschaulichen kann. Dabei handelt Gott nicht ohne die Einbeziehung derer, die er erwählt und sendet: Geht die Sendung zwar von Gott aus, die sich nur im Hören und im Sich-Öffnen für dessen Auftrag und Verheißung hin verwirklichen lässt, so gebraucht Gott keine Gewalt, damit sein Plan gelingen wird; Gott handelt stets unter der Bedingung, dass die Freiheit des Einzelnen respektiert wird und der Gesandte in Freiheit dasselbe wollen muss, was auch Gott will. Abraham lässt sich auf den Anruf Gottes ein – in Freiheit – und wird so zum Stammvater des Volkes, das Gott erwählt hat: nicht für sich selbst, sondern damit die anderen in diesem einen Volk erkennen, was eine aus dem Willen Gottes lebende neue Gesellschaft ist. Gott braucht in der Welt ein konkretes, sichtbares Volk, an dem er seine neue Gesellschaft veranschaulichen kann und erwählt dieses im Sinne der Sendung für die anderen.
Wenn sich die Kirche als „ecclesia“, d.h. als die „Versammlung“, als die „Herausgerufene“, in einer Kontinuität der Sendung Israels weiß, dann ist auch sie keine Versammlung von für sich selbst auserwählten Menschen, sondern eine Versammlung derer, die als Zeuginnen und Zeugen des in Jesus Christus inkarnierten Gottes auserwählt sind für die anderen. Diese aber ist die Kirche – in einer strukturellen Kontinuität zum einen, sichtbaren, konkreten auserwählten Volk Israel – als konkrete sichtbare Versammlung, als „sichtbares Gefüge“, das unablässig von Jesus Christus getragen wird. Jesus wollte nichts anderes, als Israel angesichts der nahenden Gottesherrschaft neu zu sammeln. Die Kirche ist gleichsam aufgerufen, sich ständig neu rufen, neu senden, schließlich neu sammeln zu lassen, was eine in ihrer irdisch-geschichtlichen Existenzform statische und abgeschlossene Kirche unmöglich macht. Die in der Kirchenkonstitution zu einem Leitbegriff gemachte Rede von der Kirche als „Volk Gottes“ (LG 14–16) ermöglicht so nicht nur ein Verständnis von Kirche, das die Kirche nur und ausschließlich deshalb als „Volk Gottes“ sieht, weil sie in einer strukturellen Kontinuität zu Israel als dem von JHWH ursprünglich erwählten Volk steht, sondern sie überwindet auch ein juridisch-hierarchisches Kirchenverständnis im Sinne einer „societas perfecta“, das die bleibende Sammlung der Kirche und ihre Öffnung auf das Ganze hin aus dem Blick verliert. Dies vermag Kirche aber nicht aus sich selbst, sondern es ist ihr geschenkt. Nur Christus kann das Ganze zusammenhalten und einen; er ist die eine Mitte, die alles trägt und sein Volk je neu um sich versammelt. Er kommt vom Vater und wirkt gegenwärtig in der Geschichte durch den Heiligen Geist, der von Christus Zeugnis ablegt und in alle Wahrheit einführt (Joh 15,26; 16,13).395
Die Konzilsväter vermeiden bei der Aufnahme des Volk-Gottes-Begriffs in die ekklesiologischen Texte des Konzils bewusst, von einer Identität zwischen dem Theologumenon „Volk Gottes“ und (römisch-)katholischer Kirche zu sprechen. Absicht der Konzilsväter ist es nicht, mit der Verwendung des Volk-Gottes-Begriffs als Bezeichnung der Kirche den Anschein zu erwecken, als sei das „alte“ Volk Gottes durch das von Christus versammelte „neue“ Volk Gottes abgelöst und ersetzt worden; die alte klassische Substitutionslehre wird vom Konzil ausdrücklich nicht mehr bemüht. Die Konzilsväter wollen mit der Verwendung des Volk-Gottes-Begriffs gerade das bleibende Verhältnis der Christen zu ihren älteren Geschwistern zum Ausdruck bringen. In LG 16 ist daher – in einer gewiss etwas unglücklichen, da abgestuften Formulierung – von einer „Hinordnung“ der Juden auf das Gottesvolk die Rede. Unstrittig ist, dass das vom Konzil bemühte Attribut „neu“ nicht als Gegenstück zu einem missverständlichen „alt“ im Sinne von „überholt“ zur Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel verstanden worden ist. Das Attribut „neu“ diente den Konzilsvätern in ihrer biblischpatristischen Rückbesinnung auf den Volk-Gottes-Gottes-Begriff vielmehr zur Korrektur einer übertrieben forcierten Leib-Christi-Ekklesiologie in der Pianischen Epoche. Die Ekklesia, so die Intention des Konzils, ist in Israel entstanden, sie versteht sich selbst als das endzeitliche, von Gott gesammelte Israel, als das „neue Volk Gottes“396 (vgl. LG 9) und ist deshalb unlösbar und für immer mit dem ganzen Israel verknüpft. Die Kirche findet ihren heilsgeschichtlichen Ursprung nicht in einem einmaligen, durch Christus gesetzten Stiftungsakt, sondern vollzieht sich als ein gestufter Prozess, der nach Überzeugung der Kirchenväter – aufgrund des universalen Heilswillens Gottes – seinen Ursprung bereits in den Anfängen der Menschheits-Geschichte nimmt („ecclesia ab Abel“) und verborgen unter allen Völkern geschieht.397 Eine öffentliche Sammlung dieses Volkes beginnt mit der Berufung Abrahams und der Erwählung Israels, dem Vorausbild und Wurzelstock der Kirche, in den sie eingepflanzt wurde (vgl. Röm 11,16–24).398 Dass der vom Konzil bemühte Volk-Gottes-Begriff als möglicher Leitbegriff zur Verhältnisbestimmung von Israel und der Kirche aus heutiger Sicht nur noch schwerlich herangezogen werden kann, muss mit Erich Zenger zweifelsfrei eingestanden werden. Aus Sicht des Ersten Testaments ist der Begriff des Gottesvolkes, so Zenger, derart Israel-zentriert, dass er nur schwerlich als Leitbegriff zur Verhältnisbestimmung von Synagoge und Kirche noch als ekklesiologischer Grundbegriff verwendet werden kann.399
Diese mahnenden Worte Erich Zengers ernst nehmend, sei ein kurzer Blick auf den biblisch-theologischen Befund des Volk-Gottes-Begriffs geworfen, ferner auf dessen theologiegeschichtliche Verwendung.
2.1Biblisch-theologische Grundlegung des Volk-Gottes-Begriffs
Das AT verwendet zur Bezeichnung Israels den ein Beziehungsgefüge, einen freiwilligen Zusammenschluss oder eine Erwählung ausdrückenden Termius ‛am, der ursprünglich ein Verwandtschaftsverhältnis ausdrückte. Mit diesem Terminus unterscheidet das AT Israel von anderen Völkern, die im profan-staatlichen Sinne meist als goi („Nation“) bezeichnet werden. Außer in Ex 19,4–7 und Ps 135 finden sich alle wichtigen Belege in Dtn 4;7;14;26;32.400 Israel ist das ‛am JHWHS, das – zum Bundesvolk erwählt (vgl. Ex 19,5f; 24; Dtn 5) – in eine besondere, familiäre Beziehung zu JHWH tritt (vgl. Ex 34,10; 2 Kön 11,17; Jer 31,33). Diese Beziehung ist als eine reziproke gekennzeichnet: „Ich nehme euch als mein Volk an und werde euer Gott sein.“ (Ex 6,7) oder: „Ich bin euer Gott und ihr seid mein Volk.“ (Lev 26,12). Sie konkretisiert sich darin, dass JHWH einerseits die Geschicke seines Volkes lenkt und andererseits ein bundesgemäßes Handeln seines Volkes einfordert. Spezifikum der Erwählung Israels zum Volk Gottes ist seine Irreversibilität: Das Verhältnis zwischen JHWH und seinem Volk ist unzerstörbar, Israel bleibt auf ewig Volk Gottes (vgl. Jes 54,7; Hos 2,1; Mal 3,6; Bar 2,35; Ps 111,9). In nachexilischer Zeit wird der Gedanke vom auserwählten Volk Gottes in der Zuordnung der vielen Völker zu dem einen Gottesvolk Israel universalistisch geweitet (vgl. etwa Jes 19,25; Sach 2,15; 8,20ff; Mi 4,1–4; Jes 66,20–23); darin ist die ekklesiologische Rede von der Einheit aller Völker im eschatologischen Gottesvolk begründet (LG 2). Norbert Lohfink zeigt, dass der Volk-Gottes-Begriff nicht Israel in sich selbst bezeichnet; lediglich in seiner Hinwendung zu JHWH, im Akt der Beziehung und Selbstüberschreitung, wird es zu dem, was es aus sich selbst nicht ist: zum Volk Gottes.401
Im NT drückt der Begriff „Volk Gottes“ einerseits das Selbstverständnis der christlichen Gemeinden aus, anderseits bestimmt er deren Verhältnis zu Israel. Jesus weiß sich zu ganz Israel als dem auserwählten Volk Gottes gerufen (vgl. Lk 6,20b.21; Mt 11,5 par; Lk 4,18ff), um es als endzeitliches Volk Gottes zu sammeln. In diesem Sinne versteht sich die urchristliche Gemeinde als „durch Christus berufenes ‚endzeitliches Aufgebot Gottes’ (ἐκκλησία τοῦ θεοῦ [ἐν Χϱιστῷ]“402. Joseph Ratzinger betont in diesem Zusammenhang den schon für das AT bestimmenden Akt der Hinwendung, in diesem Falle zu Christus: „Nur in der christologischen Umdeutung des Alten Testaments, also durch die christologische Transformation hindurch, kann es [sc. das Wort „Volk Gottes“] das neue Israel anzeigen. Die normale Benennung für Kirche ist im Neuen Testament das Wort Ecclesia, das im Alten Testament die Versammlung des Volkes durch das rufende Wort Gottes bezeichnet. […] Erst die neue Geburt in Christus [lässt] das Nicht-Volk zum Volk werden“403. Das neutestamentliche Wort „ecclesia“ nimmt den alttestamentlichen Begriff des Volkes Gottes als von Gott gerufener und vor ihm versammelter Volksgemeinde auf und führt ihn weiter. Jedoch stellt sich die von Gott gerufene und vor ihm versammelte ecclesia nicht nur als heilsgeschichtliche Verlängerung des alttestamentlichen Gottesvolkes dar (vgl. Röm 9,25f), sondern als dessen eschatologische Neubegründung in Jesu Heilswirken für alle Menschen (vgl. Röm 8,34).404 Volk Gottes ist die Kirche nicht in ungebrochener Kontinuität zu Israel; hierauf verweist das spannungsvolle Verhältnis der frühchristlichen Gemeinden zu den Juden in Jerusalem und in den Gebieten der paulinischen Mission. Äußerst selten wird die Bezeichnung „Volk Gottes“ auf die ersten Christen angewandt (vgl. Röm 9,25 und 1 Petr 2,9f), dies jedoch stets in christologischer Konnotation. „’Volk Gottes’ sind die Christen als ‚Geheiligte in Christus Jesus’ […][und] ‚berufene Heilige’ (1 Kor 1,2 u.ö. […]), als ‚Erwählte Gottes’ aufgrund der ‚Hingabe seines Sohnes’ (Röm 8,32f)405.
Für Paulus ist Israel das bleibend auserwählte Volk Gottes (λαὸς, vgl. Röm 4,11f; 11,1ff.25ff.29; 15,7–13), auch wenn nur ein „Rest“ des auserwählten Volkes Jesus als Messias erkennt und bekennt (vgl. Röm 11,4f). Da den Christen durch Christus dieselbe Verheißung geschenkt ist wie Abraham, gehören auch sie als „Erwählte“, „Heilige“, „Gemeinde Gottes“, „Tempel, Bauwerk, Kinder bzw. Söhne Gottes“ dem Volk Gottes an (vgl. Röm 4,15; Gal 3,6–9). Diesen christologischen Transformationsprozess fasst Paulus später im Leib-Christi-Begriff zusammen.
Mit der Trennung von Christentum und Judentum beginnt die Rede vom Volk Gottes indes abzuflachen; die Kirche bezeichnet sich – z.T. polemisch und in Abgrenzung von Israel – als „auserwähltes Geschlecht“, „Volk des Eigentums“ (1 Petr 2,9), „königliche Priesterschaft“ (Offb 1,6), „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19). Im lukanischen Doppelwerk hat die Volk-Gottes-Thematik einen hohen Stellenwert: Hier ist die Kirche das um die gläubigen Heiden erweiterte Volk Gottes (vgl. Apg 15,14), dem die nicht an Christus glaubenden Juden nicht zugehörig sind (vgl. Apg 3,22f). Eine ähnliche Konzeption liefert die Offenbarung des Johannes (vgl. Offb 7,4–8; 14,1–5; 21,12ff). Das Matthäusevangelium sieht in Jesus in erster Linie den Messias des Volkes Gottes (vgl. Mt 1,21; 2,6; 4,23), das ihn jedoch nicht erkennt und letztlich ablehnt (vgl. Mt 27,25; 28,15). Eine Substitution Israels durch die Kirche als neues Volk Gottes (λαὸς καινός) jedoch findet sich erst in nachapostolischer Zeit (vgl. Barn 5,7; 7,5; 13,1)406.