Kitabı oku: «Zügellos», sayfa 2

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Freitag, 14. Juli 1989

Agathe, Jubelin und Nicolas treffen gemeinsam am Eingang des kleinen Hôtel des Maréchaux an der Place de l’Étoile ein. Sie mussten zu Fuß kommen, denn das ganze Viertel befindet sich im Belagerungszustand. In nicht mal einer halben Stunde beginnt die Jubliäumsparade des 14. Juli anlässlich des 200. Jahrestags der Französischen Revolution. Auf der Freitreppe empfängt sie ein strahlender Perrot. In der Eingangshalle der unverändert elegante Domenico Mori in Begleitung von drei Italienern. Perrot macht miteinander bekannt: Enzo Ballestrino, Moris Finanzberater, Michele Galliano und Giuseppe Renta, die in München Tochtergesellschaften des Mori-Konsortiums leiten.

Dann nimmt er alle mit auf Besichtigungstour durchs Haus. Prachtvolle Räume im ersten Stock: hohe Decken, Versailles-Parkett aus blonder Eiche, große Rundbogenfenster zur Place de l’Étoile, Wände und Decken mit Täfelungen und Stuckverzierungen. Keinerlei Möblierung, nur mehrere mit vielerlei Getränken und Köstlichkeiten beladene blumengeschmückte Buffets gegenüber den großen Fenstern. Zwischen den Buffets Fernseher, die gleich die Parade übertragen werden. Eine Etage höher wiederum leere Räume, Fenster zur Place de l’Étoile, überladene Buffets und Fernseher.

Perrot wendet sich an die Italiener: »Dank meinem Freund Jubelin und der PAMA konnte ich dieses Haus vor einem Monat kaufen. Es ist bereits weiterverkauft an eine japanische Versicherungsgesellschaft, zum höchsten Quadratmeterpreis im gesamten Goldenen Dreieck. Nach Abzug der Kosten erziele ich damit binnen drei Monaten einen Gewinn von fünfzehn Prozent.«

»Und indem sie die Transaktion versichert«, übernimmt Jubelin, »bekommt die PAMA in Japan einen Fuß in die Tür, ohne einen Sou auszugeben. Verschaffen Sie mir viele solcher Geschäfte, und wir werden gute Freunde bleiben.« Gelächter.

Die geladenen Gäste treffen grüppchenweise ein. Als gegen 22 Uhr die Parade beginnt, drängen sich rund hundert Geschäftsleute und Mitglieder von Ministerialkabinetten »mit Gattin« an den Fenstern der beiden Stockwerke. Der Festzug hat sich in der Avenue Foch formiert und umrundet den Arc de Triomphe, wobei er genau unter den Fenstern des Hôtel des Maréchaux vorbeikommt, bevor er auf die Champs-Élysées einbiegt. Man hört das unablässige Dröhnen der Trommeln und ab und zu den grellen Klang der Dudelsäcke.

An der Spitze des Zugs, unter einem großen »Wir machen weiter«-Transparent, erinnern eine schweigende graue Kolonne und ein Paradewagen mit auf halbmast gesetzter Flagge an die begrabenen Hoffnungen vom Tian’anmen-Platz.

Deluc hakt Agathe und Nicolas unter. »Das Schaulaufen der Verlierer ist immer öde.«

»An deinen Zynismus kann ich mich nicht gewöhnen.«

»Lieber Freund, ich bin nicht zynisch. Nur realistisch. Und ich für meinen Teil verwechsle nicht Show mit Politik.« Er zieht sie zu einem Buffet. »Champagner für alle. Diese Parade der Superlative zur Feier unseres ganz persönlichen Jahrestags. Ihr wisst doch noch? Vor genau zwanzig Jahren haben wir Rennes verlassen und sind nach Paris gegangen. Das gehört gefeiert.«

Agathe blendet zurück zu jenem letzten Abend in Rennes. Deluc floh, sie stürzte, wurde von den Bullen geschnappt, aufs Kommissariat geschleppt, von einem Inspektor gevögelt … Muss man auf diese glorreiche Nacht Champagner trinken? Sie lässt den Blick über die Party schweifen. Was vergangen ist, ist vergangen, und zum Champagnertrinken ist jeder Anlass recht.

Die Gäste pendeln zwischen Buffets und Fenstern, zwischen erstem und zweitem Stock. In den schallisolierten Hinterzimmern Musik aus einer Hi-Fi-Anlage, einige Paare tanzen.

Auf der Place de l’Étoile ziehen nach den französischen Provinzen jetzt Amerikaner, Russen, Schotten zum Klang von Drehleiern, Querpfeifen, Dudelsäcken und unter unentwegtem Trommelgedröhn vorbei.

Agathe hat sich wieder zu Jubelin und seinen italienischen Freunden gesellt. Ballestrino berührt Rentas Arm und sieht ihn an. Stummes Zwiegespräch. Renta verneigt sich förmlich vor Agathe. »Darf ich Sie um einen Tanz bitten?«

Er ist etwa fünfunddreißig, mittelgroß, dunkles gegeltes Haar. Taillierter grauer Alpakaanzug, blassgraues Seidenhemd und eine sehr farbenfrohe breite Krawatte. Agathe findet ihn eine Spur ganovenhaft und nimmt amüsiert den ihr gebotenen Arm. Sie gehen zu den Hinterzimmern.

Als sie weg sind, begibt sich Mori mit Ballestrino, Galliano und Jubelin zu einem Buffet in einer wenig frequentierten Ecke. Sie machen sich über die kalten Platten her und reden übers Geschäft. Ein paar Bemerkungen über die zurückliegende Hauptversammlung. Und über die Entwicklungsaussichten der PAMA. Tour d’Horizon. Schnell ist man wieder bei Japan. Die Transaktion mit dem Hôtel des Maréchaux ist ein erster Kontakt mit dem Pazifikraum. Bevor man aber eine Strategie entwickelt, wie man im Fernen Osten mitmischen kann, gehört zunächst das Europa-Geschäft konsolidiert. Mori nickt zustimmend.

»Übrigens«, sagt Ballestrino, »mein Freund Galliano hat mir von einem hübschen Deal erzählt, der in München zu machen ist.«

Jubelin an Galliano gewandt: »Worum handelt es sich?«

»Um die A.A. Bavaria, eine mittelgroße Versicherung, ein gesundes, in der Region gut eingeführtes Familienunternehmen, das Geschäftsbeziehungen zu bestimmten ostdeutschen Kreisen unterhält, und das ist Gold wert jetzt, wo sich im Ostblock langsam etwas bewegt.«

»Sogar in der DDR?«

»Viel mehr, als man hierzulande meint. A.A.-Aktien notieren gegenwärtig ziemlich hoch, könnten aber, wenn wir das wollen, in den kommenden Monaten signifikant fallen. Und eine Übernahme leicht und zugleich rentabel machen.« Hintersinniges Lächeln. »Das ist kein Geschäftsangebot, sondern ein Gefallen.«

»Warum machen Sie es nicht selbst, Mori?«

»Mein Konzern ist industriell ausgerichtet. Auf dem Versicherungssektor genügt mir meine Beteiligung an der PAMA.«

Jubelin wendet sich Galliano zu und zückt seinen Terminplaner. »Vereinbaren wir noch ein Treffen vor Ihrer Abreise nach München?«

Sie kehren an die Fenster zurück. Jubelin grüßt einen engen Mitarbeiter des Finanzministers, der ihm überschwänglich die Hand drückt. Gratulation. Auf einem Wagen von imposanten Ausmaßen eine etwa dreißig Meter lange Dampflokomotive, ringsherum trommeln Les Tambours du Bronx, entfesselt, ohrenbetäubend, ohne dass jemand ihnen Beachtung schenkt.

Agathe tanzt mit Renta. Viel südamerikanische Rhythmen und West-Coast-Klänge. Er tanzt gut und macht ihr anstandshalber ein bisschen den Hof. Seine Krawatte trägt den Schriftzug Yves Saint-Laurent. Also doch mehr Langweiler als Ganove. Eine flinke Drehung, ein Lächeln und weg ist sie, Abstecher zu den Toiletten, eine kleine Line, dann zurück zu den Fenstern und dem Spektakel.

Sie trifft auf Deluc, der sich, Zigarette im Mundwinkel – eine dieser stinkenden kleinen indischen Zigaretten, die er seit seinem Beirut-Aufenthalt gewohnheitsmäßig raucht –, mit einem Abgeordneten der Opposition angeregt über den Höhenflug der Pariser Börse und der Immobilienpreise unterhält. Der Abgeordnete küsst feierlich Agathes Hand und beginnt ihr die jüngsten Ereignisse bei der PAMA zu erklären. Er hat ganz offenkundig einen in der Krone. Deluc nutzt die Gelegenheit und verdrückt sich, der Hund.

Vor einem der Fernseher sehen Jubelin, Nicolas und Ballestrino zu, wie Jessye Norman auf der Place de la Concorde die Marseillaise anstimmt. Nicolas wendet sich Ballestrino zu.

»Ich habe gehört, Sie besitzen in der Nähe von Mailand ein Gestüt.«

Hocherfreut: »Das stimmt. Einige Siegerpferde bei Flachrennen kommen aus meiner Zucht. Zwei meiner Fohlen sind letzten Sonntag in Longchamp gelaufen.«

Jubelin hakt ein: »Wie sich das trifft. Pferde sind meine Leidenschaft. Ich habe mehrere im Training.«

»Bei wem?«

»Meirens, in Chantilly.«

»Kenne ich. Wenn Sie gelegentlich in Mailand sind, wäre es mir eine Freude, Sie durch meinen Zuchtbetrieb zu führen.«

Nachdem Agathe sich nicht ohne Mühe des beschwipsten Abgeordneten entledigt hat, erspäht sie Nicolas und Jubelin, die etwas abseits vom Trubel in einer Ecke hitzig diskutieren. Als sie sich nähert, verstummt das Gespräch. Nervös sagt Jubelin zu Nicolas: »Wir reden in meinem Büro weiter.«

Nicolas nimmt Agathes Arm. »Gehen wir hoch in den zweiten und sehen uns das Ende der Parade an.«

Das ist jetzt der Clou des Spektakels. Frauen stehen auf hoch aufragenden Sockeln, die mechanisch vorrücken und sich im Walzertakt drehen. Sie thronen in sehr großer Höhe über dem Boden, tragen Hüte mit überdimensionierten Krempen, Krinolinen in Form meterbreiter, bis zur Erde reichender Blütenkelche und halten ein Kleinkind im Arm. Agathe betrachtet diese priesterlichen Riesinnen, die sie als bedrohlich empfindet. Unerklärliches Unbehagen.

Der Festzug nähert sich dem Ende. Perrot geht von Gruppe zu Gruppe. Für Männer ohne Begleitung ist in seinem Restaurant, gleich um die Ecke in der Rue Balzac, ein Abschluss des Abends in galanter Gesellschaft geplant. Nicolas sagt zu, Jubelin ist klug und lehnt die Einladung ab.

Dienstag, 25. Juli 1989

Kurz vor Mitternacht, schmale Mondsichel, Wolken, viel Wind, in den Ställen ist es dunkel, fast hundert Boxen im Karree um einen großen Hof zwischen Ebene und Wald. Die Bäume ächzen bei jeder Bö, die Gebäude knarren, die Pferde regen sich, hin und wieder ein Hufschlag. Auf einer der Karreeseiten haben die Stallburschen direkt über den Boxen ihre Zimmer. Zwei Fenster sind noch erleuchtet.

Den Zimmern gegenüber in einem dunklen Winkel eine leise Explosion, kaum mehr als ein Knallfrosch, ein Funkenregen, dann eine leuchtend gelbe Flamme, ein kleines Feuer züngelt am Eingang einer Box, breitet sich aus, klettert knisternd die Tür empor. Die Pferde werden unruhig. Bei den Stallburschen gehen ein paar Lichter an. Angstvolles Wiehern, Hufgetrampel, das Stroh in der Box steht in Flammen. Die Männer sind an den Fenstern, der Wind bläst in kurzen Böen.

Bis sie unten sind, hat das Feuer aufs Dach übergegriffen und frisst sich dröhnend von Box zu Box. Im Hof stürzen die halbnackten Männer zu den Boxentüren, um die Pferde zu befreien, die wahnsinnig vor Angst in den Wald galoppieren. Ein Stallbursche wird umgerissen und niedergetrampelt. Ein Pferd mit brennender Mähne rast panisch wiehernd gegen eine Wand und bricht mit zerschmettertem Schädel zusammen. In einem orangefarbenen Feuerwerk stürzt über dem Großteil des Stalls das Dach ein. Der Wind treibt mit dem Rauch auch den unerträglichen Gestank von verbranntem Fleisch und Fell vor sich her.

Durchnässt, verrußt, verzweifelt, halten die Männer jeden verfügbaren Wasserschlauch umklammert und besprengen das, was noch steht, damit das Feuer sich nicht weiter ausbreitet. Und die ganze Zeit der Wind.

Eine zweite Boxenreihe gerät gerade in Brand, als die Sirene der Feuerwehr ertönt. Deren Leute müssen zwei Pferdekadaver vom Zufahrtsweg räumen, bevor sie auf den Hof fahren und mit Löschschläuchen gegen das Feuer vorgehen können. Nach einstündigem Kampf sind die Flammen gelöscht, die Hälfte der Stallungen völlig zerstört, bloß noch ein Haufen verkohltes Holz und Asche, aus dem schwärzlicher Sud rinnt und vereinzelte Rauchfahnen aufsteigen. Ein Junge mit schwarz verschmiertem nacktem Oberkörper hockt niedergeschmettert neben einem verbrannten Pferdekadaver, dessen Kopf er schluchzend umschlungen hält.

Montag, 21. August 1989

Agenturmeldung von AFP

OCRTIS – Office central de répression du trafic illicite des stupéfiants, das im Rahmen der Drogenbekämpfung kürzlich von der Regierung geschaffene Amt für die Verfolgung von illegalem Betäubungsmittelhandel, gibt die Beschlagnahme von 53 Kilogramm Kokain bekannt. Das Rauschgift befand sich in einem Renault-Lieferwagen, der in einem Lagerhaus in Aubervilliers sichergestellt wurde. Verkäufer und Adressaten der Lieferung konnten laut OCRTIS noch nicht ausfindig gemacht werden.

Samstag, 2. September 1989

Der Vorhang fällt, Ende erster Akt von Bergs Wozzeck. Im Saal der Opéra-Garnier gehen die Lichter an. Mit dem starken Drang, zu gähnen und sich zu strecken, erhebt sich Daquin von seinem Platz. Blick zu seinem Liebhaber, der sich ein paar Meter vor ihm den Gang zwischen den Sitzreihen entlangschiebt. Klar wird es ihm nicht gefallen … Und einen guten Grund habe ich auch nicht … Rudi, immer so höflich und reserviert. Deutscher, sogar Preuße, groß, breite Schultern, schmale Hüften, blond, romantische Stirnlocke, kantiger Kiefer und blaue Augen. Aufsehenerregend. Fast immer drehen sich Frauen nach ihm um. Eine Verkennung, die von fern zu beobachten recht amüsant ist.

Im hell erleuchteten Foyer lärmendes Gedränge, es ist heiß. Daquin bleibt an einem Fenster stehen und sieht hinaus auf die Place de l’Opéra, Regenglanz, Lichtersprenkel, Fußgänger- und Fahrzeugströme, verlockend. Rudi kehrt mit zwei Gläsern Champagner von der Bar zurück. Und greift das Gespräch genau da auf, wo er es bei Vorstellungsbeginn hat ruhen lassen.

»Tausende Menschen verlassen derzeit über Polen und die Tschechoslowakei Ostdeutschland, und immer noch kein Wort darüber in euren Zeitungen. Unfassbar. Meine Eltern haben mir geschrieben, dass eine chirurgische Abteilung des größten Ostberliner Krankenhauses geschlossen wurde, weil sämtliche Krankenschwestern das Land verlassen haben. Hörst du mir zu, Théo?«

»Nicht wirklich.« Er lächelt. »Ich ziehe gerade eine Bilanz des Abends.« Leert sein Glas. »Krawattetragen ist mir zuwider, das Bühnenbild finde ich zum Heulen, die Inszenierung eitel, ich mag diese Musik nicht, der Champagner ist lauwarm. Ich rufe ein Taxi und nehm dich mit zu mir, ja?«

Das Telefon klingelt hartnäckig. Daquin braucht einen Moment, um wach zu werden. Ein Blick auf seine Armbanduhr, zwei Uhr nachts. Er schiebt die Zudecke weg. In dem riesigen Bett schläft Rudi auf dem Bauch, Gesicht zur Wand gedreht, die Arme über dem Kopf. Blond auf dem dunkelgrünen Laken. Wie eine Werbung für ein Männerparfüm. Das Telefon klingelt immer noch. Er nimmt ab.

»Commissaire Daquin?«

»Ja.«

»Commissaire Janneret, 16. Arrondissement. Ich habe eben mit dem Bereitschaftsdienst des Drogendezernats gesprochen …«

»Was wollen Sie?«

»Können Sie im Kommissariat vorbeikommen?«

»Jetzt?«

»So schnell wie möglich.«

»Schicken Sie mir einen Wagen, Avenue Jean-Moulin 36, 14. Arrondissement. In einer halben Stunde.«

»Geht klar. Und danke.«

Das Aufstehen gestaltet sich eher schwierig, er tastet sich durchs Dunkel, um Rudi nicht zu stören. Im Badezimmer, endlich wieder mit sich allein: zuerst lang duschen, heiß, dann kalt, Wasserstrahl auf volle Kraft, jeder Muskel wird ihm schmerzhaft bewusst. Dann, nackt vor dem Spiegel, gründliche Rasur, nass, wegen des Gefühls von Metall auf der Haut, wegen des Vergnügens, die vertrauten Gesichtszüge einen nach dem anderen unter dem Schaum hervorkommen zu sehen, wegen des brennenden Aftershaves. So ist es besser. Abstecher zum Kleiderschrank und eilig anziehen. Da ich nicht weiß, was mich erwartet, irgendwas Unverbindliches, Lederjacke, Canvashose, dann verlässt Daquin das Haus. Die mit Efeu überwucherten Häuser in der Passage ›Villa des Artistes‹ machen die Nacht noch schwärzer und stiller. Hinter dem Durchgang auf der Avenue Jean-Moulin erwartet ihn schon ein Wagen mit einem uniformierten Polizisten am Steuer.

Der Kommissar marschiert vor dem Kommissariat auf dem Gehweg auf und ab.

»Also, worum geht’s?«

»Wir haben im Bois de Boulogne eine Routinerazzia durchgeführt, meine Männer haben das übliche Kontingent an Transvestiten eingesammelt. Und außerdem in einem Gebüsch einen halbnackten jungen Mann. Ein Freier. Und in den Taschen seiner Jacke, die an einem Baum hing, sechs Briefchen Kokain. Wir nehmen ihn mit aufs Revier, wo er ein Mordsspektakel veranstaltet und verlangt, dass wir seinen Vater benachrichtigen, Christian Deluc, Berater im Élysée. Ich hätte ihn ja gleich wieder nach Hause geschickt, ich habe hier im Viertel auch ohne zusätzliche Schwierigkeiten genug zu tun. Er hat sich aber bei den Transen derart unbeliebt gemacht, dass sie jetzt einen Pik auf ihn haben und drohen, es der Presse zu stecken, wenn er einfach freigelassen wird. Können Sie sich den Skandal vorstellen? Aber schließlich ist für Kokain ja das Drogendezernat zuständig. Und die vom Bereitschaftsdienst schienen der Meinung zu sein, dass Sie die Sache am ehesten ohne Aufsehen regeln können.«

»Ist er minderjährig?«

»Nein. Gerade achtzehn geworden.«

»Haben Sie seinen Vater benachrichtigt?«

»Nein, wir haben auf Sie gewartet.«

»Dann tun Sie es nicht. Stellen Sie zwei Ihrer Männer ab, um mir bei einer Leibesvisitation zu helfen, und treiben Sie ein Paar Gummihandschuhe für uns auf.«

Daquin betritt das Kommissariat. Hinten im Bereitschaftsraum drei Zellen. In den beiden ersten ein Dutzend Transvestiten in Arbeitskleidung. Sie hämmern gegen die Gitter, beschimpfen die Polizisten, brüllen herum und singen. Mit gewollt schwerfälligem Gang und undurchdringlichem Blick tritt Daquin vor die Zellen. Schlägt mit der Hand an eins der Gitter.

»Ist jetzt mal Schluss mit dem Radau, Mädels? Lasst mich in Ruhe arbeiten.«

Es wird etwas stiller.

Daquin lässt sich die dritte Zelle aufsperren, holt einen mürrischen schmalen jungen Mann heraus, weist ihn zur Tür des Büros gleich gegenüber und folgt ihm mit den beiden Helfern, die ihm der Chef des Kommissariats zugeteilt hat.

»Lassen Sie die Tür offen, die jungen Damen möchten dem Schauspiel beiwohnen.«

Ein Polizist an der Schreibmaschine. Der andere sitzt auf der Schreibtischkante, Daquin steht.

»Dein Name?«

»Ich verbiete Ihnen, mich zu duzen.«

Daquin fegt ihm die Beine weg, drückt ihm eine Hand ins Genick. Der Junge landet auf den Knien, Daquin schlägt seine Stirn nicht allzu kräftig auf die Schreibtischkante. Die Haut reißt auf. Blutstropfen zerplatzen auf dem Fußboden.

»Hör zu, Idiot«, mit einer Hand hält er den Kopf zu Boden gedrückt, »du kapierst nicht, was Sache ist. Du hast nicht Catherine Deneuve gebumst. Du hast keine Milliarden geklaut. Du hast Transvestiten im Bois de Boulogne Briefchen mit gestrecktem Kokain verkauft, vermutlich gegen ein paar Gratisnummern. Papa kann nichts für dich tun, deine Geschichte ist zu schmuddelig, als dass er sie in den Salons des Élysée erzählen könnte. Klar?«

Daquin packt ihn am Kragen, stellt ihn wieder aufrecht hin und tritt ein Stück zurück. »Und jetzt dein Name.«

»Olivier Deluc.« Blut rinnt aus der Nase, berührt den Mundwinkel, er fährt mit der Zunge darüber, um es zu schmecken.

»Geburtsdatum und -ort, Adresse.«

Er gibt die gewünschten Auskünfte.

»Zieh dich aus.«

Der andere sieht ihn mit offenem Mund an.

Daquin geht auf ihn zu. »Bist du taub?«

Mit zögerlichen Bewegungen beginnt er sich auszuziehen. Den Geschmack von Blut im Mund.

»Schneller. Auch die Unterhose.«

Er ist jetzt nackt. Daquin zu dem Polizisten auf der Schreibtischkante: »Leibesvisitation, ziehen Sie die Handschuhe an.« Zu dem Jungen: »Mund auf.«

»Das können Sie nicht machen.«

»Nein?«

Daquin stellt sich hinter ihn, drückt ihm von beiden Seiten aufs Kiefergelenk und hält gleichzeitig seinen Kopf in Position. Durchdringender Schmerz in Ober- und Unterkiefer, der Mund geht auf. Der Polizist fährt mit einem Finger zwischen Zahnfleisch und Lippen und unter der Zunge entlang. Nichts.

Daquin löst den Griff und diktiert dem Polizisten hinter der Schreibmaschine: »Wir haben eine Leibesvisitation durchgeführt …« Zu dem Jungen: »Jetzt beug dich vor, Hände auf den Schreibtisch, Beine auseinander.« Derselbe Polizist, immer noch mit Handschuhen, untersucht den After. »Huste. Bestens.« Zum Polizisten an der Schreibmaschine: »… und nichts gefunden. Der Verdächtige war also bei seiner Festnahme im Besitz von sechs Briefchen Kokain.«

Das Blut läuft den Hals hinab, auf die Schulter. Mit tränennassen Augen streckt der Junge die Hand nach seiner Hose aus. Daquin fährt schroff dazwischen.

»Du ziehst dich an, wenn ich es dir sage. Vorher verrätst du mir den Namen deines Lieferanten. Sagst du ihn mir, betrachte ich dich als Konsumenten. Andernfalls als Dealer. Sechs Briefchen sind dafür mehr als genug. Soll ich dir den Unterschied erklären?« Der Junge schüttelt schniefend den Kopf. »Außerdem bereitet es eine gewisse Lust, jemanden bei den Bullen zu verpfeifen, es wird dir gefallen. Los jetzt, wir hören.«

Er murmelt etwas.

»Lauter, ich hab nichts verstanden, und die jungen Damen, die dir zusehen, auch nicht.«

»Senanche. Er ist Stallbursche bei Meirens, einem Rennstall in Chantilly.«

»Wie finde ich ihn?«

»Ein runzliger kleiner Alter, der sich jeden Morgen gegen sechs, wenn die Jockeys kommen, vor den Ställen rumtreibt.«

»Hat er viele Kunden?«

Blick nach links, Blick nach rechts, immer noch nackt, es hinter sich bringen. »Etwa ein Dutzend, denke ich.«

»Wie hast du ihn kennengelernt?«

»Manchmal reite ich morgens Pferde zum Training.«

»Du kannst dich wieder anziehen. Unterschreib deine Aussage, bevor du gehst. Und lass dich hier im Viertel nicht mehr blicken.«

Daquin zieht beim Hinausgehen die Bürotür hinter sich zu. Die Transvestiten applaudieren ihm stürmisch. Eine hinreißend schöne, muskulöse Schultern und schwindelerregendes Dekolleté, lange Beine auf hohen Absätzen: »Wenn Sie zu mir kommen, Commissaire, mach ich’s Ihnen gratis.«

Daquin streicht auf Höhe ihres Gesichts mit der Hand übers Gitter und lächelt sie an. »Bist ’ne viel zu schöne Frau für mich.«

In dem Wagen, der ihn nach Hause fährt, lässt er die Gedanken schweifen. Rennpferde, Kokain, auf einer Rennbahn wurde im Juli Paola Jimenez ermordet. Zufall? Vielleicht nicht. Eine Gelegenheit, den Faden wieder aufzunehmen … Wer weiß? Ich werde darauf zurückkommen. Dann plötzlich: »Fahren Sie über Montrouge, ich kenne da eine Bäckerei, die sonntags um diese Zeit geöffnet hat, ich will Croissants kaufen.«

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
271 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549769
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