Kitabı oku: «Zügellos», sayfa 4

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Freitag, 15. September 1989

Aus ihrem Versteck am Waldrand beobachten Le Dem und Romero den Hufschmied, der eben in seinem weißen Kastenwagen vorgefahren ist. Le Dem folgt ihm mit dem Fernglas, Romero macht sich auf einem kleinen Block Notizen.

14 Uhr. Der Kastenwagen hält neben der Schmiede in der rechten Ecke des Hofs. Der Hufschmied steigt aus, sein Gehilfe begleitet ihn. Etwa fünfunddreißig, Unterhemd und Arbeitshose, imposante Erscheinung, um die eins achtzig, sehr kräftige Schultern und Arme und ein kompakter Bauch. Braungebrannt. Schwarzes Haar. Schnauzer. Der Gehilfe ist vierzehn oder fünfzehn, ein junger Bursche. Der Stallmeister begrüßt den Hufschmied. Sie unterhalten sich, kein Körperkontakt, der Stallmeister geht wieder. Der Hufschmied öffnet die Hecktür des Kastenwagens, holt seine Ausrüstung heraus, Amboss, Schmiedeofen, Werkzeugtasche. Legt seine Lederschürze an. Die Hecktür bleibt offen, der Hufeisenvorrat ist sichtbar. Keine besonderen Vorkommnisse. Der Gehilfe verschwindet mit ein paar Halftern. Kehrt mit zwei Pferden zurück, bindet sie in der Schmiede an.

14 Uhr 15. Die beiden Männer sind bei der Arbeit. Le Dem schaut unverwandt durchs Fernglas und beschreibt jeden einzelnen Arbeitschritt, Romero hört mit halbem Ohr zu und macht sich Notizen. Die Arbeit geht noch zwei Stunden weiter, ohne dass sich jemand der Schmiede nähert.

Le Dem kommentiert: »Echte Profis, schnell, effizient, guter Draht zu den Pferden. Das können unmöglich die Lieferanten sein.«

Romero muss schmunzeln.

16 Uhr 15. Senanche auf dem Weg zur Schmiede.

»Sieh genau hin.«

»Er bringt ein paar Flaschen Bier. Stellt sie auf den Amboss. Und verschwindet wieder. Keinerlei Kontakt. Der Schmied und sein Gehilfe machen Pause, trinken das Bier. Ein Stallbursche kommt dazu. Spricht mit dem Schmied. Geht wieder. Kommt mit einem Pferd zurück. Der Schmied sieht sich das Pferd im Schritt an, dann im Trab, untersucht seine Füße. Schmied und Stallbursche reden miteinander. Der Stallbursche bringt das Pferd wieder weg.« Le Dem dreht sich zu Romero um. »Das ist normal, der Stallbursche fragt den Schmied um Rat, das beweist, dass man ihn schätzt.«

16 Uhr 30. Der Schmied sammelt die Bierflaschen ein, geht zum Kastenwagen, öffnet die rechte Vordertür. Legt die Flaschen hinein. Nimmt einen Lappen? Ein Handtuch? Wischt sich Stirn und Nacken ab, legt es zurück.

16 Uhr 35. Er macht sich wieder ans Beschlagen. Auch der Gehilfe setzt seine Arbeit fort.

»16 Uhr 45. Senanche kommt zurück. Er geht um den Kastenwagen herum. Die Vordertür steht noch offen. Er beugt sich hinein. Was er im Wagen macht, kann ich nicht sehen. Er richtet sich wieder auf und geht. In den Händen hat er die leeren Flaschen, sonst nichts. Der Schmied ist immer noch am Arbeiten.«

»Okay, die Lieferung ist erfolgt.« Le Dem ist skeptisch. »Wir machen weiter, deswegen sind wir hier. Aber ich sage dir, wir haben eben die Lieferung miterlebt. Und das war nicht die erste. Der Schmied ist auch auf dem Gebiet ein echter Profi.«

Le Dem beobachtet weiter, wie die Pferde kommen und gehen, und Romero schreibt ohne große Überzeugung von Zeit zu Zeit etwas auf.

17 Uhr 20. Ein unbekannter Jugendlicher um die zwanzig taucht bei der Schmiede auf.

Romero blickt von seinem Block auf. »Sieht seltsam aus, der Junge. Gib mir das Fernglas. Und schreib mit. Der Schmied bearbeitet ein Hufeisen. Sie reden. Achtung, der Schmied hat sich aufgerichtet. Er packt den Jungen am Hemd, hebt ihn mit einer Hand hoch. Das gibt’s doch nicht … Er hat seine Zange genommen … Scheiße!«

Vom Hof des Rennstalls erschallt ein Schrei.

»Der Schmied hat dem Jungen ein heißes Eisen in den Oberschenkel gebrannt! Der Junge liegt am Boden. Der Schmied tritt ihn, damit er aufsteht.«

»Hin, Romero!«

»Keine Panik. Der Junge kriecht auf allen vieren weg, er steht auf, er haut ab. Schreibst du noch mit?« Er blickt auf seine Uhr. »Es ist 17 Uhr 24.« Sieht wieder durchs Fernglas. »Nirgends rührt sich was. Grauenhafter Typ.«

»Hin jetzt!«

»Warte kurz. Der Junge flüchtet stark hinkend zur Straße, Richtung Chantilly. Jetzt können wir. Aber nicht zum Rennstall. Du holst unauffällig den Wagen und wir treffen uns auf der Straße.«

Dann rennt Romero los, zwischen den Bäumen durch, um den Jungen einzuholen. Er bleibt zunächst auf der anderen Straßenseite und wartet, dass Le Dem auftaucht. Als der Wagen in Sicht ist, überquert er die Straße, schließt zu dem schluchzend dahinhumpelnden Jungen auf, greift seinen Arm, öffnet die hintere Wagentür, schiebt ihn hinein und setzt sich neben ihn.

»Los, Le Dem, fahr, wohin du willst, aber fahr. Und kurbel deine Scheibe hoch.«

»Was wollen Sie von mir, lassen Sie mich, Sie haben kein Recht … Halten Sie an, ich will aussteigen.« Von Schluchzern unterbrochen.

Romero sieht ihn an und schnuppert an ihm. In seinem Schockzustand riecht er säuerlich nach Entzug. Der Moment ist günstig. »Polizei. Sag mir, worüber du mit dem Schmied geredet hast.«

»Das ist meine Sache. Lassen Sie mich raus.«

Romero legt ihm die Hand auf den Oberschenkel mit der gelb-braun geriffelten Wunde, die Blasen bildet und in deren Fleisch verkohlte Stofffetzen eingebrannt sind. Die aber offenbar nicht besonders tief ist. Der Schmied ist maßvoll brutal.

»Ich frage nochmals: Worüber hast du mit dem Schmied geredet?«

Er drückt den Schenkel. Der Junge heult auf. Le Dem gerät ins Schleudern. Romero funkelt ihn drohend im Rückspiegel an und wendet sich wieder dem Jungen zu.

»Ich weiß, dass du an der Nadel hängst, und das ist mir scheißegal. Ich will den Schmied.« Er legt ihm erneut die Hand auf den Oberschenkel. »Soll ich noch mal?«

»Nein!« Das schreit er.

»Na los«, Hand noch auf dem Schenkel, »raus damit.«

»Ich wollte, dass er mir Schnee zum Dealen gibt.«

»Und warum hat er abgelehnt?«

»Ich schulde ihm Geld.« Der Junge schluchzt laut. »Ich wollte finanziell wieder auf die Füße kommen …«

»Er hat dich verbrannt, als du ihm gestanden hast, dass du die Kohle nicht hast.«

Kaum hörbar: »Ja.«

»Du hast sie für Heroin ausgegeben. Und jetzt bist du voll auf Entzug. Du sagst mir, wem du das Koks weiterverkaufen wolltest, und ich geb dir deine Dosis, gleich hier im Auto.«

Leichter Druck auf den Schenkel. Stöhnen. Der Junge ist schweißgebadet.

»Morgen Abend findet hier in Chantilly eine Party statt, bei Massillon, dem Jockey, und auf diesen Partys wird man immer was los.«

Romero holt ein gefaltetes Papier aus der Innentasche seiner Jacke. »Fahr etwas langsamer«, sagt er zu Le Dem, der starr auf die Fahrbahn blickt.

Der Junge taucht hinter die Vordersitze ab, holt sein Besteck hervor. Er zittert am ganzen Leib. Romero faltet das Papier auseinander, hält den Löffel. Der Junge legt los, macht das Koks heiß, zieht es auf, sticht ein, pumpt, spritzt, atmet langsam und tief durch und lehnt sich mit geschlossenen Augen in die Polster der Rückbank.

Romero legt Le Dem die Hand auf die Schulter. »Jetzt zum Krankenhaus, aber nicht zu schnell, damit der Stoff erst mal wirkt. Die Brandwunde muss versorgt werden.«

»Ich will da nicht hin.«

»Wie heißt du?«

»Man nennt mich Blascos.«

»Du gehst dahin, Blascos, du musst verarztet werden, das kann sich infizieren. Du wirst keinen Ärger kriegen. Darum kümmere ich mich.«

Als sie bei der Notaufnahme ankommen, hilft Romero dem Jungen beim Aussteigen. Hält ihn einen Moment am Arm fest und sagt leise: »Ich werde morgen Abend um zehn auf der Party sein. Du wirst auch kommen und mich deinen Freunden vorstellen. Und ich sorge dafür, dass du was zum Verkaufen hast. Einverstanden?«

Er nickt.

»Ich will’s hören.«

»Ich bin einverstanden.«

»Du weißt, was du riskierst, wenn du mich hängenlässt?«

»Ja.«

»Jetzt geh.«

Samstag, 16. September 1989

Le Dem wollte nicht mit. Romero hat nicht insistiert. So steht er jetzt mit Lavorel vor Massillons Villa auf der Straße und wartet. Beide haben ein kleines Aufnahmegerät am Gürtel versteckt. Romero trägt ein geblümtes Sommerhemd, Lavorel ein weißes Hemd und einen leichten Blazer. Ein paar Autos fahren langsam durch das weit geöffnete Tor und parken im Garten. Zwei Porsche, ein gelber Ferrari. Und dann alle möglichen Durchschnittswagen. Lavorel schlendert unauffällig in den Garten und notiert die Kennzeichen.

Kurz vor zehn erscheint Blascos, zu Fuß, proper, schick in Schale. Er hinkt noch leicht, scheint aber in besserer Verfassung zu sein. Romero reicht ihm einen Umschlag, den er mit einem Papiertaschentuch umfasst hält. »Da drin ist ein bisschen Koks für dich. Gute Qualität. Du kannst es verkaufen oder etwas strecken. An die Arbeit.«

Romero pfeift, Lavorel kommt zu ihnen herüber. Zu dritt betreten sie die große Villa aus dem 19. Jahrhundert, an der Frontseite ein überdachter breiter Treppenaufgang, offenstehende Türen, Entree, links ein im Moment noch leerer Salon, rechts das Esszimmer, in dem sich etwa vierzig Personen, junge Frauen und Männer, mit Gläsern in der Hand bei ohrenbetäubendem House unterhalten. Hinten im Raum ein ausladendes Buffet. Blascos grüßt alle und jeden. Lavorel bemerkt sechs Männer, klein, drahtig, lebhaft, sehr gepflegt, Maßanzüge, Luxustreter, Armbänder mit Namensgravur und Halsketten aus Gold. Bestimmt die Jockeys. Ganz anders als die übrigen Gäste, reiche Sprösslinge wie Deluc und junge Leute mit deutlich bescheidenerem Einkommen, mehr oder weniger so wie Blascos. Ein Dutzend richtig schöne Mädchen. Romero spürt leise Erregung. Und noch ein paar andere, Mittelmaß.

Blascos nimmt Romero am Arm. Lavorel folgt ihnen.

»Massillon, ich habe dir zwei sehr gute Freunde mitgebracht …«

»Hocherfreut. Wir rücken ein Stück zusammen.«

Er drückt ihnen die Hand. Dann wenden sich alle der großen Bowleschale auf dem Buffet zu. Dafür, dass der Abend erst anfängt, reden alle schon sehr laut. Lavorel wandert zwischen den Gruppen umher und spitzt die Ohren. Es geht um Engagements, Trainer, Prämien, Wetten oder Bettgeschichten. Lavorel kapiert nicht alles und fürchtet, umsonst an einen Ort gekommen zu sein, an dem er sich langweilt. Von Zeit zu Zeit wirft er einen Blick zu Romero. Er sieht ihn ein Glas trinken, noch eins, und fängt an sich Sorgen zu machen. Das Buffet ist eröffnet. Auf einem Heizkörper vorm Fenster sitzt Romero mit dem Glas in der Hand neben einer Wasserstoffblonden mit sehr üppigen Brüsten und Lippen. Sie schlingt einen Arm um seinen Hals. Als die Blonde sich zum Buffet aufmacht, schiebt sich Lavorel an Romero heran und raunt ihm zu: »Sei bitte vorsichtig.«

»Einer Blondine kann ich einfach nicht widerstehen.«

»Deine erste Frau war rothaarig, die zweite dunkelbrünett, und die hier ist nicht mal naturblond.«

»Echte Blondinen gibt’s nicht mehr, Alter, hast du das noch nicht mitgekriegt? Luftverschmutzung, Atomkraft …«

Die Blonde ist mit zwei Tellern im Anmarsch. Einer Eingebung folgend beugt sich Lavorel über Romero, rupft ihm das Aufnahmegerät vom Gürtel und lässt es in seiner Tasche verschwinden. Schadensbegrenzung.

In dem Moment, es ist schon fast Mitternacht, hält ein neuer Gast lächelnd Einzug und ist sofort dicht umringt. Er küsst ein paar Mädchen und zieht ein hübsches Lackdöschen aus der Hosentasche. Lang anhaltender Applaus, dann macht das Döschen die Runde. Lavorel ist wachsam. Jeder nimmt eine Prise weißes Pulver und schnupft. Der Gesprächston wird noch eine Stufe lauter. Lavorel bedient sich und lässt das Pulver unauffällig auf den Boden rieseln. Romero dagegen sieht ihm mit breitem Lächeln fest in die Augen und zieht seine Prise durch die Nase. Jetzt ist das Desaster nicht mehr aufzuhalten.

Zwei Mädchen springen auf den Buffettisch und fangen an zu tanzen, verrenken sich, wie im Wahn … Sie tanzen gut. Alle applaudieren, das Döschen macht immer schneller die Runde. Die Blonde hat ihre Hand in Romeros Schritt gelegt, ihre Finger bewegen sich rhythmisch zum Tanz. Als sie die erwartete Reaktion eintreten fühlt, springt sie spontan ebenfalls aufs Buffet und beginnt zwischen den beiden Tänzerinnen zu strippen, die ihrerseits noch mal alles geben. Die Gäste kreischen vor Vergnügen. Jetzt ist sie beim BH … Romero reißt sich das Hemd vom Leib (Lavorel tastet nervös nach dem Abhörgerät in seiner Tasche), trommelt sich auf die Brust, stößt einen Tarzanschrei aus und steigt auf den Tisch.

Blascos steht mit großen Augen neben Lavorel und imitiert halblaut Zézette in Da graust sich ja der Weihnachtsmann: »Bravo la police, bravo la police.«

Tarzan-Romero greift sich die Blondine, die endlich auch ihren BH losgeworden ist, will sich zu Boden schwingen, verfehlt jedoch die Liane, fällt schwer auf die Tischplatte, zerbricht ein paar Teller und ein, zwei Flaschen und zieht sich einen tiefen Schnitt in der linken Pobacke zu. Blut quillt hervor.

Lavorel fasst Blascos an der Schulter. »Hilf mir.«

Sie haken Romero von beiden Seiten unter, schleppen ihn auf die Straße zum Wagen, legen ihn bäuchlings auf die Rückbank. Ab ins Krankenhaus. Blascos kriegt sich nicht wieder ein.

»So habe ich seit Jahren nicht mehr gelacht. Kommt wieder, Jungs. Jederzeit.«

Als Romero verarztet und ins Taxi nach Hause verfrachtet ist, kehren Blascos und Lavorel auf die Party zurück, wo die Stimmung unvermindert aufgeputscht ist.

»Sag mal, wer ist der Kerl, der so großzügig Koks verteilt?«

»Ein Freund von Massillon. Er heißt Nicolas Berger, mehr weiß ich nicht über ihn.«

Blascos wartet auf das Ende der Nacht, um den Partygästen, die vor dem Heimweg noch volltanken wollen, etwas zu verkaufen. Und Lavorel wartet auf Nicolas Berger, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.

Sonntag, 17. September 1989

Gegen sieben Uhr früh kommt Nicolas Berger offenbar topfit aus Massillons Villa. Lavorel, nicht mehr ganz so frisch, hängt sich an ihn dran. Nach rund dreißig Kilometern nähern sie sich einem eindrucksvollen großen Gehöft in der Île-de-France, ein reiner Steinbau mit Resten einer alten Befestigungsmauer. Vor dem Gehöft auf einer Wiese LKWs mit heruntergeklappter Rampe, und wo man hinsieht Pferde: an die LKWs gebunden, am Halfter geführt oder geritten von jungen Leuten in Jeans oder von Reitern in weißen Hosen, schwarzen Stiefeln und schwarzen oder roten taillierten Jacken.

Berger fährt mitten durch das wirre Treiben langsam über die Wiese, Lavorel bemüht sich zu folgen, ohne dass ihm jemand unter die Räder kommt. Schließlich hält er neben einem großen grün-weißen LKW, Lavorel fährt ein Stück weiter und parkt nach zwanzig Metern unter einem Baum. Berger steigt zum Fahrer in die Kabine. Nachdem er sich umgezogen hat, führt er ein Pferd aus dem LKW, steigt auf, reitet um das Gehöft herum und ist nicht mehr zu sehen.

Lavorel geht vorsichtig zu Fuß über die Wiese. Überall geschäftige Leute, jeder kennt jeden, redet mit jedem. Fröhliche Wiedersehensstimmung in starkem Pferdegeruch. Lavorel in seinem nicht mehr ganz sauberen Blazer und den eleganten Schuhen fühlt sich grandios fehl am Platz.

Hinter dem Gehöft ein weitläufiges, weiß umzäuntes Wiesengelände, leuchtend bunte Hindernisse, überall Blumenbeete. An einer der Längsseiten ist auf einem Erdwall eine Publikumstribüne eingerichtet. Und an einer der Breitseiten beherbergt ein weißes Zelt einen Getränkeausschank. Wirkt erst mal einladend. Lavorel setzt sich an die Bar und trinkt drei Tassen lausigen Kaffee. Hinter ihm unterhält sich ein Trupp Reiter über Pferde und Geschäfte, man boxt sich in die Rippen und juxt herum, das Ganze bei einem Glas Rotwein. Lavorel sieht auf seine Uhr: Es ist neun. Das fängt ja gut an. Die ersten Turnierteilnehmer treffen auf dem Gelände ein. Lavorel wirft einen Blick nach draußen. Anfänglicher Eindruck: Alle Pferde und Reiter machen genau das Gleiche und die Stangen fallen nach dem Zufallsprinzip. Dann zweimal Pferd und Reiter in harmonischem Fluss, elegante Leichtigkeit, und die Stangen fallen nicht. Doch das Zusehen wird schnell langweilig.

Hinter Lavorel Gesprächsfetzen: Wer ist das entzückende Mädchen, mit dem du hier bist? Stellst du mich ihr vor? Jetzt red keinen Scheiß, du erkennst sie nicht? Du hast gestern Abend mit ihr geschlafen … Ich war besoffen … Und jetzt bist du’s nicht mehr? … Doch, natürlich! In fünf Minuten reite ich. Er hebt das Glas in Richtung seiner Freunde. Ihr kennt doch den Spruch: Guter Reiter, voller Reiter.

Was tue ich eigentlich hier mitten in der Pampa zwischen all diesen Bauerntölpeln? Lavorel steht auf, schlendert übers Gelände. Auf einem etwas abgelegenen Wiesenstück entdeckt er einen sehr konzentriert wirkenden Nicolas Berger in schnellem Galopp auf seinem Pferd. Und das nach einer ziemlich wilden durchgemachten Nacht – der Typ hat Reserven … Bulleninstinkt: Hier ist nichts zu holen. Es riecht nicht nach Koks. Nach Wein, das ja, aber nicht nach Koks. Lieber den LKW im Auge behalten. Lavorel geht zurück zum Parkplatz, setzt sich in den schattigen Wagen, es wird immer wärmer, und er schläft ein.

Gewaltige Explosion. Lavorel fährt aus dem Schlaf und blickt verdattert auf Bergers Wagen, der sich in eine Fackel verwandelt hat, in eine einzige meterhohe orange-gelbe Flamme. Über den Parkplatz rennen in Panik geratene Pferde, Menschen schreien. Direkt neben dem Inferno, in einer tragischen Kapsel aus Erstarrung und Stille, verblutet ein an den grünweißen LKW gebundenes Pferd, das Vorderbein abgerissen, der Kopf gesenkt, das Blut spritzt stoßweise aus ihm heraus, dann bricht es im Zeitlupentempo zusammen. Ein für die Veranstaltung bereitgestellter Rettungswagen nähert sich. Der geschockte Lavorel steigt mühsam aus, geht zu Bergers Auto, sieht hin, zwei brennende Gestalten.

Montag, 18. September 1989

Fast jeden Morgen geht Daquin zu Fuß von der Avenue Jean-Moulin zum Quai des Orfèvres, bei flottem Tempo ein knappes Stündchen Weg durch Montparnasse und über den Boulevard Saint-Michel. Aber heute ist es frisch und schön, und er verspürt keine Eile. Umweg über die Rue Mouffetard, um in einer Rösterei ein Kilo brasilianischen Kaffee zu kaufen, ein Experiment. Dann weiter über die Place Maubert und durch ein Labyrinth von schmalen Straßen bis zum Seineufer. Er bleibt stehen, lehnt sich auf die Brüstung. Er empfindet immer das gleiche Glück über den endlos weiten Himmel im Herzen der Stadt, heute blassblau, und um ihn herum alle Schattierungen von Grau. Grüngrau die Seine, gelbgrau die Ufersteine und Brückenbögen, weißgrau die von einer finsterkompakten Baumgruppe gestützte Kathedrale, unübersehbar, wuchtig. Daquin atmet zwei, drei Mal tief durch und steigt hoch in sein Büro, wo seine Inspektoren auf ihn warten.

Lavorel putzt mechanisch seine Brille und blinzelt. Romero hockt mit einer Pobacke steif auf der Stuhlkante. Die drei anderen stehen und versuchen mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Daquin mustert sie einen Moment, setzt sich auf seinen Schreibtischstuhl und macht sich aufs Schlimmste gefasst.

»Na los, ich höre.«

Romero beginnt. »Wir haben den Lieferanten identifiziert. Es handelt sich um einen gewissen Dimitri Rouma, Hufschmied, ein Zigeuner, wohnhaft in Vallangoujard im Département Val-d’Oise.«

Überrascht. »Glückwunsch.«

»Lavorel und ich waren Samstagabend auf einer äußerst schneereichen Party bei einem Jockey namens Massillon in Chantilly. Mehrere Kunden von Senanche, andere, die wir nicht kannten, deren Autokennzeichen wir notiert haben, und ein gewisser Nicolas Berger, der an alle Welt Koks verteilt hat.«

»Auch das hervorragend. Weiter?«

Lavorel übernimmt: »Nach der Party bin ich Berger bis zu einem Reitturnier gefolgt, an dem er teilnahm. Und dort wurde er ermordet. Sein Wagen wurde zwanzig Meter von mir entfernt mit einer Autobombe in die Luft gesprengt. Er war sofort tot, ebenso einer seiner Freunde, der neben ihm saß, ein gewisser Moulin. Und gesehen habe ich nichts, ich habe geschlafen.«

»Da haben wir’s.« Mit gespielter Naivität: »Waren Sie allein? Wo waren Sie, Romero?«

So würdevoll er kann: »Ich habe mich auf der Party verletzt, als ich mich auf einen Teller gesetzt habe, da bin ich nach Hause gefahren.«

»Machen Sie sich keinen Kopf, Romero. Jeder setzt sich mal auf einen Teller, das passiert viel häufiger, als man denkt. Berry, Sie sind dran mit Kaffeemachen, wir probieren den hier«, er reicht ihm das Päckchen, »geben Sie sich Mühe, das ist eine Ehre und ein Aufstieg. Und denken Sie dran, für Le Dem dünn. Und danach an die Arbeit.« Daquin lächelt. »Jetzt geht’s endlich zur Sache.«

Hörbares Aufatmen.

Als es weitergeht, alle sitzen, Notizbuch in der Hand, schildert Lavorel den Schauplatz der Explosion, zwei Tote im Auto, das Eintreffen der Gendarmerie, die die Ermittlungen aufgenommen hat, Identifizierung der Opfer, Indizien, Begutachtung durch Sachverständige, Zeugenaussagen.

»Ich habe mich dem Capitaine vorgestellt und ihm erklärt, warum ich dort war. Er erwartet, dass Sie sich mit ihm in Verbindung setzen.«

»Haben Sie ihm von der Party bei Massillon erzählt?«

»Nein, ich dachte, das behalten wir lieber für uns.«

»Das haben Sie gut gemacht.«

Daquin malt Kringel auf ein weißes Blatt, während er nachdenkt. »Sie haben zwei Stunden, um mir möglichst wahrheitsgetreue und detaillierte Berichte über das Ausfindigmachen von Rouma, Massillons Party und Senanches Kundenkreis zu schreiben. Sie, Le Dem, kommen solange mit mir, ich will Massillon einen Besuch abstatten, bevor die Gendarmen es tun. Wenn ich zurück bin, frisiere ich Ihre Berichte für den Direktor und leite sie weiter, dann nehme ich Kontakt zur Gendarmerie und zum Staatsanwalt auf. Ich bin auf die Möglichkeit aus, im Mordfall Berger mit der Gendarmerie zusammenzuarbeiten und ihnen als Gegenleistung Senanches Kundenkreis anzudrehen. Die werden dankbar sein, und wir wären frei für Wichtigeres. Natürlich nur, wenn wir diskret vorgehen, denn in diesem Haus verzeiht man vieles, nicht aber eine Zusammenarbeit mit den Gendarmen.

Danach werden Amelot und Berry ihre Arbeit fortsetzen und dadurch ergänzen, dass sie sämtliche Listen, die neuen Autokennzeichen und die abgehörten Telefonate miteinander abgleichen. Lavorel und Le Dem, Sie übernehmen Rouma. Statten Sie zuerst den Gendarmen von Vallangoujard einen Besuch ab. Ich werde sie inzwischen informieren. Ich bin sicher, es gibt bereits eine Akte über ihn. Ein Zigeuner-Hufschmied bleibt in einem verschlafenen Nest im Val-d’Oise nicht unbemerkt. Und Romero und ich übernehmen den Mord an Nicolas Berger.«

Massillons Villa wirkt verlassen, die Haustür ist geschlossen, die Fenster sind geöffnet, aber im Garten, dessen Tor noch offen steht, parkt ein Porsche. Daquin klettert anscheinend mühelos einen schmiedeeisernen Balkon hoch und steigt über die Brüstung. Le Dem zögert eine Sekunde, folgt ihm dann.

Das Hochparterre ist menschenleer, das Chaos unbeschreiblich. Daquin verharrt einen Moment, schaut, horcht. Offenbar wurde hier seit Partyende gestern Morgen nichts angerührt. Und das riecht nach Katastrophe. Daquin gibt Le Dem ein Zeichen und eilt zur Treppe in den ersten Stock. Dort stehen die Türen offen. Alle Zimmer leer bis auf eins. An den Wänden hellblaue Textiltapete, angrenzend ein rosaweißes Bad, praktisch keine Möbel, ein breites Bett, zerwühlte Laken aus marmorierter Seide, und quer darauf ein auf dem Bauch schlafender nackter junger Mann, der muskulöse Körper wie gemeißelt und von jugendlicher Zartheit. Daquin verharrt kurz, unbehaglich. Auf dem geknüpften Bettvorleger schläft ein sehr junges Mädchen, auch sie nackt. Die Hand des Jungen ruht auf ihrem Po, ihre Handgelenke sind mit einer goldenen Panzerkette an den Bettpfosten gebunden, wobei ein elegantes Vorhängeschloss mit verschlungenen Initialen als Schließe dient. Ein Schmuckstück, das sie bei anderer Gelegenheit um den Hals tragen dürfte. Ein paar mit dunklen Punkten durchsetzte rote Striemen auf unterem Rücken, Gesäß, Oberschenkeln. Und am Kopfende des Bettes, neben einer leeren Magnumflasche Champagner, eine Jockeygerte, das ist schon eine gefährliche Waffe. Dem Anblick der Wundmale zufolge hat Massillon sie weniger schwungvoll eingesetzt als beim Zieleinlauf des Prix de l’Arc de Triomphe und sich an die Grenzen des guten Geschmacks gehalten.

Daquin verkneift sich das Lachen, Neigungen muss man respektieren, packt den Jungen unter den Armen, hebt ihn hoch, trägt ihn ins Bad und steckt seinen Kopf unter die Dusche. Das Mädchen ist aufgewacht, sie kauert mit aufgerissenen Augen am Bettpfosten und versucht sich mit einem Laken zu bedecken, gar nicht so einfach ohne Hände. Daquin trägt den klatschnassen Jungen mit ausgestreckten Armen zurück ins Zimmer und setzt ihn aufs Bett.

»Polizei. Ich muss dir ein paar Fragen stellen. Bist du wach genug, dass du begreifst, was ich sage?«

Er nickt zähneklappernd. Der nasse Fleck auf der Seide um ihn herum wird langsam größer.

»Dein Freund Berger wurde ermordet, nachdem er gestern hier weggefahren ist. Durch eine Autobombe. Er war sofort tot.«

Massillon ist geschockt, starrt ihn mit offenem Mund an. Daquin wendet sich an das Mädchen.

»Ist Ihr Gebieter immer so putzmunter, Mademoiselle?« Sie gibt einen kläglichen Laut von sich. »Le Dem, gehen Sie runter, treiben Sie zwei Gläser und irgendwas Alkoholisches auf, möglichst hochprozentig, anders kriegen wir sie wohl nicht wach.«

Kurze Zeit später ist endlich ein Gespräch möglich. Während Daquin sich auf der Etage umsieht, erklärt Le Dem dem allmählich trocknenden Massillon ruhig die Lage.

»Wenn Sie wegen Kokainhandel festgenommen werden und man Ihnen, was wahrscheinlich ist, mehr als drei Monate Gefängnis aufbrummt, verlieren Sie Ihre Jockeylizenz, und dann ist es vorbei mit Partys, Mädchen, Porsche. Dann heißt es zurück in den Stall. Das wird nicht leicht.«

Keiner denkt mehr an das Mädchen, das immer noch an den Bettpfosten gekettet ist.

Daquin kehrt von seiner Erkundungstour zurück. Nichts Interessantes entdeckt.

»Was wollen Sie?«, fragt Massillon.

»Den Namen deines Lieferanten.«

»Senanche. Er arbeitet bei Meirens.«

Der Jockey ist gefügig. Le Dem hatte es ihm gesagt, sie sind es gewohnt zu gehorchen. Den Besitzern, den Trainern, warum nicht den Bullen?

»Und der von Berger?«

»Nicolas hat sich auch ziemlich oft an ihn gewandt.«

»Gestern kam Berger mit einer hübschen Menge Kokain zu dir.« In Massillons Augen blitzt Panik auf. Woher wissen die das? Versucht sich an den Abend zu erinnern, aber es ist nichts mehr da. »Hat Senanche es ihm verkauft?«

»Nein, das glaube ich nicht. Das gestern war im Grunde eine Extraportion. Nicolas hat eine etwas unerwartete Einnahme gefeiert. Eine Firma hat ihm eine fette Provision gezahlt, um einen Werbeauftrag zu bekommen. Er hat Koks mitgebracht wie andere eine Flasche Champagner, verstehen Sie?«

»Tat er das oft?«

»Nein, das war das zweite Mal.«

»Und wo hat er sich seine Extraportionen besorgt?«

»Ich würde sagen, am ehesten bei seiner Arbeit. Eine große Versicherung, die PAMA, wo er für die Werbung zuständig ist.« Massillon hebt den Blick zu Daquin. »Komme ich aus der Sache raus?«

»Das ist nicht mehr meine Angelegenheit, ich überlasse dich den Gendarmen, gebe dir aber vierundzwanzig Stunden Vorsprung. Du kannst in aller Ruhe deine Freundin ins Ziel reiten, wenn dir danach ist, und dann solltest ein wenig Deckung suchen, denn du wirst in verdammte Turbulenzen geraten.«

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
271 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549769
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