Kitabı oku: «Nicht mehr Ich», sayfa 2

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Das Gymnasium

Um mir einen neuen Schutzraum zu suchen, machte ich die Schule ein Stück weit zu meinem Zuhause. Ich begann, mich wohl zu fühlen in dieser Welt, in der mir mühelos so vieles gelang. Latein, Englisch und Geschichte zählten zu meinen Lieblingsfächern, während ich Mathematik und Physik nicht schätzte, weil sie mir die süßen Früchte des Erfolgs versagten, wenn ich ihnen nicht meine Nachmittage opferte. Ich las auch sehr viel, wobei die frommen Bücher, die mir meinen Eltern zum Geburtstag schenkten, ab meinem 13. Lebensjahr in den Hintergrund traten und zunächst von Hermann Hesse abgelöst wurden. Ich las »Das Glasperlenspiel«, das ich im Schrank meiner Eltern fand, den »Steppenwolf« und dann alles was ich von Hesse in die Finger bekommen konnte. Zugleich las ich Gedichte von Rilke und lernte einige von ihnen auswendig. Mir eröffnete sich eine neue romantische Welt voller merkwürdiger Bilder und Gedanken, die sich kaum mit der religiösen Welt meiner Kindheit in Einklang bringen ließen, aber die mich faszinierten, weil ich meinte, mich darin wiederzuerkennen. Ich verbrachte so viel Zeit wie möglich damit, diesen Gedanken nachzuhängen. Dabei war ich am liebsten für mich allein. Die köstlichsten Stunden verbrachte ich am Klavier, mit Chopin, Debussy oder Tschaikowsky, in deren Stücken ich mich verlieren und alle angestauten Gefühle, Sehnsüchte und Phantasien ausleben konnte. Es zog mich auch hinaus auf einsame Feld- und Waldwege, wo ich stundenlang unterwegs war und versteckte Geheimplätze regelmäßig aufsuchte. Diese einsamen Waldspaziergänge ließen mich innerlich zur Ruhe kommen. Als meine Altersgenossen anfingen, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, wurde mir klar, dass ich eine ganz andere Einstellung hatte als sie. Liebe war für mich eine ernste Angelegenheit, mindestens so ernst wie die Religion. Zwar verliebte ich mich auch das eine oder andere Mal. Aber ich betrachtete diesen merkwürdigen Zustand immer als einen ärgerlichen Zwischenfall, den ich bestenfalls als eine Art psychologischen Selbstversuch interessant finden konnte. Mein eigentliches Interesse galt nicht der Verliebtheit, sondern der Liebe oder dem, was ich mir darunter vorstellte: eine Macht, die zwei für einander bestimmte Menschen für immer zu verbinden vermag, auf Gedeih und Verderb. Das war kein Gefühlsanflug, es war Schicksal, ernst und mächtig, und weniger als das konnte ich nicht wollen. Deswegen stand ich dem pubertären Beziehungstreiben meiner Altersgenossen mit einer gewissen Ratlosigkeit gegenüber. Mir schien ihr Verhalten kindisch und selbstverletzend, in jedem Fall schreckte es mich ab. Ihre Beziehungsgeschichten verfolgte ich abwechselnd mitleidig und belustigt. Wenn ich einmal lieben werde, dachte ich, dann ganz anders.

Die Konversion

Daheim hatte sich eine bemerkenswerte religiöse Entwicklung ergeben. Meine Mutter begann sonntags in die katholische Kirche zu gehen, denn der katholische Pfarrer war in ihren Augen viel glaubwürdiger als der evangelische. Bald fand auch mein Vater im katholischen Gottesdienst mehr Trost als im evangelischen. Natürlich bereitete das nicht wenige Schwierigkeiten, denn viel von dem, woran Katholiken glauben, hielten wir als überzeugte Lutheraner für verfehlt, insbesondere die Heiligenverehrung, das Fegefeuer und die Beichte. Aber der Pfarrer war mehr als hilfsbereit. Er versorgte meine Mutter mit Büchern und unterhielt sich oft mit ihr. So ergaben sich am Küchentisch viele abendfüllende Gespräche. Mein Vater, der sich selbst etwas Altgriechisch beigebracht hatte, nahm seine Bibel heraus und das altgriechische Neue Testament, und wir diskutierten stundenlang. Dabei wurde vor allem eines deutlich: die katholische Kirche war kompromissloser als die evangelische. Es gab keine Beliebigkeit, nichts blieb der eigenen Einsicht überlassen und es gab auf fast alle erdenklichen Fragen eine klare Antwort des Lehramtes. Daher schien der Glaube in der katholischen Kirche viel weniger in Gefahr, oberflächlich zu werden, oder zur Freizeitbeschäftigung zu verkommen. Stück für Stück wuchsen unsere Sympathien für die katholische Kirche. Wir begannen sonntags gemeinsam in die katholische Messe zu gehen. Nicht lange, und wir brauchten nur noch den letzten Schritt zu gehen und zu konvertieren.

Es war ein strahlender Tag Anfang Mai 1999 als wir im Rahmen einer Heiligen Messe in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche aufgenommen wurden. Endlich hatten wir das Gefühl, eine echte Glaubensheimat gefunden zu haben. Es war der Glaube des vertrauten Umgangs mit Gott, des täglichen Überlebens und des wundervollen göttlichen Trostes, nicht der Glaube der Kinderbibelwochen, Gitarrenkreise und Sonntagsausflüge. Unsere katholische Pfarrei war eine Diasporagemeinde, zu einem guten Teil getragen von Russlanddeutschen, die ihren Glauben ihr Leben lang im Geheimen praktiziert hatten und beim Zerfall der Sowjetunion in hohem Alter mit ihren Familien nach Deutschland gekommen waren. Sie machten großen Eindruck auf mich.

In meinem Inneren vereinigten sich nun kindliche Religiosität und jugendliche Romantik zu einem wahrhaftigen Rausch. Der Tag der Konversion wurde so der vielleicht schicksalsträchtigste Tag meines Lebens. Denn ab diesem Tag stand mir ein neues Universum offen, ein religiöser Himmel voller ungeahnter Möglichkeiten und Verheißungen. Es waren vor allem zwei Dinge, die meinen religiösen Eifer beflügelten. Die Gegenwart Jesu im Tabernakel und die Möglichkeit, Gebete, Leiden und Selbstüberwindungen für andere aufzuopfern. Viele Stunden verbrachte ich von nun an in der Kirche, um Jesus, der im Tabernakel gegenwärtig war, nahe zu sein. Ich ging jeden Tag in die Hl. Messe und so oft ich konnte, zur eucharistischen Anbetung. Wenn ich so vor der Monstranz oder vor dem Tabernakel kniete, war ich von himmlischem Frieden erfüllt und empfand ein tiefes inneres Glück. Ich vergaß die Zeit dabei. Und wenn ich nicht in der Kirche sein konnte, so konnte ich dennoch alles, was ich tat, aufopfern. Das hieß, jede Tat zum Gebet werden zu lassen, je mehr Überwindung sie mich kostete, desto besser. Ich begann meiner Mutter besonders viel zu helfen, auf Süßigkeiten und andere Annehmlichkeiten zu verzichten und immer neue Ziele meiner geistlichen Zuwendungen zu finden. Ich brachte Opfer für meine ungläubigen Lehrer und Klassenkameraden, für Arafat und den Nah-Ost-Konflikt, für verirrte liberale Theologen, für Drogenabhängige, Opfer von Naturkatastrophen und für meinen verstorbenen Stiefopa. Von unserer kleinen Küche aus konnte ich das Weltgeschehen beeinflussen und in Vergangenheit und Zukunft hineinwirken. Ein geduldig ertragenes Wort und ein hingebungsvoller Abwasch konnten so viel bewirken.

Bald erfuhr ich, dass ich diese Opfer noch steigern konnte. Unser Pfarrer gab mir ein Buch über die Kinder von Fatima, die ihre nackten Unterschenkel mit Brennesseln schlugen und Bußgürtel trugen, um dadurch erzeugten Schmerz für die Bekehrung der Sünder aufopfern zu können. Das leuchtete mir ein: Wenn schon eine unliebsame, aber liebevoll erledigte Hausarbeit die Kraft hatte, einen Sünder zu bekehren, wie viel mehr dann richtige Schmerzen. Ich beschloss, den Heiligen auch in dieser Disziplin nachzueifern, heimlich, denn zur Schau gestellt verliert jedes Opfer seine Kraft. Außerdem fastete ich einige Zeit lang nach den Weisungen der Muttergottes von Medjugorie mittwochs und freitags bei Wasser und Brot.

Und noch etwas bestimmte fortan mein Leben: Ich glaubte fest daran, dass alles, was der Papst und die Bischöfe lehrten, wahr war und dass alles Übel in der Kirche daher rührte, dass so viele Gläubige nicht auf ihre Hirten hörten. Ich schwelgte geradezu in Obrigkeitsergebenheit. Diese heiligen Männer, dachte ich mir, sind von Gott dazu erwählt und durch ihre heiligen Weihen dazu begnadet, die Gläubigen zu führen. Würden alle Menschen auf sie hören, würden sie Gottes Nähe und Liebe in ihrem Leben erfahren können. Ich litt aufrichtig unter der Kirchenkritik von aufgeklärten Theologen, deutschem Verbandskatholizismus und modernen Medien und war durch und durch überzeugt, dass sie einfach nicht wussten, was sie sagten, sodass ich viel und ausdauernd für die derart Verirrten betete und opferte.

Mein Leben war so vollständig von diesen religiösen Übungen in Beschlag genommen, dass alles andere verblasste. Nicht, dass ich das sogenannte normale Leben nicht gekannt hätte. Ich wusste, was es hieß verliebt zu sein, Erfolg in der Schule zu haben, Hobbys, Zukunftspläne. Aber ich fühlte, dass es mehr geben musste, viel mehr. Ich wollte nicht nur für mich leben, wollte kein Durchschnittsleben führen, sondern ich wollte etwas Großes. Was konnte es Größeres geben als Gott? Welches Ziel konnte dringlicher sein als die Bekehrung der Sünder und das Heil der Welt? Jede Art von Hobby und Freizeit verbannte ich aus meinem Leben. Das letzte Buch, das ich vor der Konversion gelesen hatte, war Dostojewskis Schuld und Sühne. Nach der Konversion war jede nicht-religiöse Literatur für mich fahrlässige Zeitverschwendung. Nichts verband mich mehr mit den Interessen und Beschäftigungen meiner Altersgenossen, die mir schrecklich banal und sinnlos erschienen. Ich war in eine andere Welt eingetaucht, deren Protagonisten nicht »Take That« und »Die Toten Hosen« waren, sondern der Papst, die Muttergottes und Theresia von Lisieux. Nicht Nächte mit Alkohol und lauter Musik waren die Höhepunkte des ersehnten Wochenendes, sondern Maiandachten und Anbetungsnächte. Ich wählte mir einen Abschnitt aus dem Galaterbrief zum Leitmotiv meiner Existenz, der alles ausdrückte, was ich im tiefsten Inneren ersehnte: »Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir, der mich liebt und sich für mich hingegeben hat.«

Die Berufung

Für mich stand nun außer Zweifel, dass Gott mich zu einem Leben im Kloster bestimmt hatte. Er liebte mich so sehr, dass er mich ganz für sich haben wollte. Ich hatte »den Richtigen« gefunden. Ich war berufen. Ich weiß nicht genau, wann mich diese Erkenntnis traf. Sie war einfach da. Ich war jedenfalls noch keine sechzehn Jahre alt. Bis zum Abitur hatte ich nun ein aufregendes und außergewöhnliches Abenteuer zu erleben: Ich musste die Gemeinschaft finden, in die Gott mich rief. Ich nahm Kontakt mit den besten und strengsten Ordensgemeinschaften auf (wobei gut und streng in etwa gleichbedeutend für mich waren), denn nur in eine von ihnen konnte Gott mich rufen wollen. Ich würde nur herausfinden müssen, in welche. So besuchte ich innerhalb von drei Jahren ganz auf eigene Faust die klausurierten Dominikanerinnen in Bamberg, die Kartäuser der Marienau im Allgäu, die Certosa della Trinitá bei Genua und die Betlehemschwestern bei Waldkappel. Nach und nach veränderte sich dabei auch mein Äußeres. Ich steckte meine Haare hoch und trug schließlich nur noch lange Röcke und langärmelige Oberteile. Meistens verbrachte ich einige Tage vor Ort und teilte das Leben der jeweiligen Kommunität, soweit das möglich war. Dabei fühlte ich mich in meinem Element: tägliche Messe, Stundengebet, Arbeit, geistliche Gespräche. Es war herrlich. Dennoch fehlte in allen diesen Gemeinschaften irgendetwas, eine Art Begeisterung.

Im Sommer 2002, ein Jahr vor dem Abitur, begegnete ich auf dem Kongress »Freude am Glauben« in Fulda das erste Mal der »Königsfamilie«, einer Gemeinschaft, deren Vertreterinnen zunächst keinerlei Eindruck auf mich machten. Die Schwestern trugen keine Ordenstracht, den sogenannten Habit. Damit waren sie gedanklich für mich schon aussortiert. Sr. Ottilie, eine hartnäckige kleine Schwester, die ihr dünnes graues Haar in einer altmodischen Steckfrisur trug und in eine Art dunkelgrünen Trachtenrock gekleidet war, drückte mir dennoch einen Flyer in die Hand, dessen Titelblatt ein Blütenmotiv zierte. Auf farbigem Glanzpapier fand sich eine kurze, wenig sagende Beschreibung der Gemeinschaft. »Im Dienst der Kirche« – welche katholische Gemeinschaft ist das nicht? Dazu gab es einige Fotos, die mich nicht besonders ansprachen, im Gegenteil: einige Bilder von Schwestern in einem weißen Chormantel schreckten mich regelrecht ab. Sie trugen stilisierte Dornenkronen auf dem Kopf, an denen weiße Schleier befestigt waren. Unheimlich. Als ich die Kongresshalle am nächsten Tag betrat, schien Sr. Ottilie auf mich zu warten. Es war unmöglich, ihr auszuweichen. Zu meinem Schrecken lud sie mich ein, das Mutterhaus der Königsfamilie in Österreich zu besuchen. Da eine höfliche Ablehnung bei ihr nicht zu fruchten schien und ich nicht unhöflich sein wollte, nahm ich die Einladung nolens volens an. Ich konnte ja dann immer noch sagen, dass es nichts für mich sei, dachte ich.

Erster Besuch im Mutterhaus

Am Donnerstag, dem 15. August, fuhr Sr. Ottilie mit mir nach Österreich. Im Auto war es sehr heiß, und die Fahrt dauerte lang. Sr. Ottilie war nichtsdestotrotz sehr gut gelaunt, redete viel, und ich stellte erneut fest, dass sie mir unsympathisch war. Diese kleine Frau mit dem schmalen Gesicht und dem verkrampften Lachen hatte etwas unerträglich Besserwisserisches an sich. Natürlich bemühte ich mich, mir das nicht anmerken zu lassen. Sie sprach von der Königsfamilie und von der Gründerin, die 1997 verstorben war. Sie stellte mir Fragen und fand viele Übereinstimmungen zwischen dem, was ich von mir erzählte und dem, was sie das Charisma der Königsfamilie nannte. Genau erinnere ich mich nicht mehr an dieses Gespräch. Irgendwann übermannte mich einfach die Müdigkeit, und ich schlief ein.

Ich erwachte erst kurz vor der Ankunft wieder. Als wir auf den Parkplatz des Klosters einfuhren, stellte ich fest, dass es viel größer war, als ich erwartet hatte. Strahlend weiß lag die Anlage im Sonnenlicht. Die Fassade war mit langen gelbweißen Fahnen geschmückt. Die Pfortenschwester stand schon an der Tür und erwartete uns mit einem breiten Lächeln. Wir wurden auf das Freundlichste begrüßt. Nach einem kleinen Willkommenskaffee in einem Empfangszimmer, das wie ein altmodisch-großbürgerliches Wohnzimmer aussah, traten wir hinaus auf den Gang. Die alte Klausurtür vor uns stand weit geöffnet. Sr. Ottilie schloss sie, um mir die barocken Ölgemälde auf den Türflügeln zu zeigen: Maria Magdalena und Augustinus mit dem flammenden Herzen. Die Botschaft der beiden sei, wer hier eintrete, müsse sich bekehren. Sie öffnete die Tür wieder, und der Blick auf den langen Klostergang wurde frei. Vom kleinen Innenhof fiel Sonnenlicht auf die weißen Wände und die dunklen Fußbodenplatten. In einer Nische am anderen Ende des Ganges stand eine lebensgroße Figur des Dornengekrönten. Wir gingen in die andere Richtung zur Kapelle, in die wir nur einen kurzen Blick taten. Es war eine richtige kleine Klosterkirche in schlichtem Weiß, mit üppigem Blumenschmuck und moderner Ausstattung. Unter dem hohen Gewölbe, das eine sehr gute Akustik versprach, blickte eine überdimensionale romanische Muttergottes auf den schlichten Volksaltar herunter. Nachdem wir die Kapelle verließen, blieb mir bis zur Vesper gerade noch genug Zeit, mein Quartier zu beziehen.

Ich war in einem der Schwesternzimmer im zweiten Stock untergebracht, das von derselben Ästhetik geprägt war wie die meisten Räume im Mutterhaus, eine Mischung aus Bauernstube und Biedermeier. In dem circa zwölf Quadratmeter großen Raum fanden sich neben dem Bett mit Nachtkästchen ein Schrank, ein Tisch mit Stuhl und ein Waschbecken mit Boiler. An der Tür hing ein kleines Weihwasserbecken, an der Wand ein Kreuz und ein Marienbild. Auf dem Tisch standen ein kleines Blumenväschen und eine Karte. Daneben fand ich auf einem hellgrünen Zettel auch den Tagesablauf: um 6:15 die Messe, um 7:00 Angelus, Lesehore und Laudes, anschließend Frühstück. Um 12:00 Angelus, Rosenkranz und Mittagsgebet, anschließend Mittagessen, um 17:30 die Vesper und das Abendessen und um 19:45 Abendanbetung und Komplet. Bis auf die »Abendanbetung« kannte ich alles aus anderen Klöstern. Aber als ich dann meine erste Vesper in der Klosterkirche erlebte, die Vesper von Maria Himmelfahrt, war ich doch einigermaßen erstaunt. So hatte ich eine Vesper noch nie erlebt. Alleine schon der feierliche Einzug übertraf alle Erwartungen. Hinter dem Kreuzträger schritt ein großer schlanker Priester im goldenen Rauchmantel den Mittelgang entlang, ihm folgten circa sieben weitere in weißen Chormänteln und schließlich eine große Schar Schwestern, ebenfalls im weißen Chormantel, mit Schleier und Krone. Sobald sie ihre Plätze bezogen hatten, erklang ein feierlicher Gesang. Es schien unmöglich, sich seiner Wirkung zu entziehen. Nicht nur der Hymnus, sondern auch die Psalmen wurden mehrstimmig gesungen, im Wechsel zwischen Männer- und Frauenstimmen. Das hatte ich so noch nie erlebt. Das Magnificat wurde schließlich auf Latein angestimmt. Der feierliche gregorianische Ton erhob sich und erfüllte den von Lilien- und Weihrauchduft schweren Raum. Ich war verzaubert. Hiermit konnte sich keine Liturgie messen, die ich bisher erlebt hatte.

Am nächsten Morgen wurde ich in die Küche eingeladen, wo ich den Schwestern bei der Arbeit helfen durfte. Hier erlebte ich eine ähnliche Überraschung. Die für die Küche verantwortliche Schwester, eine strahlende, blonde Slowenin namens Sr. Ivana begrüßte mich, drückte mir eine Schürze in die Hand und teilte mir meine Arbeit zu. In keinem der Klöster, die ich bisher kennengelernt hatte, war ich so selbstverständlich in den Alltag der Kommunität eingebunden worden, und nirgendwo hatte ich so viele junge Schwestern gesehen. Die große Küche war voll von ihnen, und alle hatten gute Laune. Ich konnte mich dieser Stimmung nicht entziehen. Etwas in der Art, wie die Schwestern ihre Arbeit angingen, berührte mich. So fröhlich und tatkräftig muss es früher in den Klöstern zugegangen sein, die heute überaltert sind, dachte ich. Das hier ist das Original, das authentische Klosterleben. So fühlt sich das also an.

Am Samstagnachmittag fand das vielleicht folgenreichste Gespräch dieser Tage statt. Ich hatte Sr. Ottilie erzählt, dass meine Familie im September mit dem Bayerischen Pilgerbüro nach Rom fahren würde. Daraufhin organisierte sie sofort ein Gespräch mit Sr. Hildegard, die normalerweise in Rom im Einsatz war, sich aber in diesem Sommer aus gesundheitlichen Gründen einige Wochen im Mutterhaus aufhielt. Ich wunderte mich ein wenig. Was sollte Sr. Hildegard mir Wichtiges zu sagen haben? Jedenfalls schien sie eine Instanz zu sein, eine außergewöhnlich erfahrene Pilger-Führerin. Die Schwestern, denen ich beim Mittagessen erzählte, dass ich am Nachmittag Sr. Hildegard treffen würde, lobten sie über die Maßen. Als es soweit war, stiegen Sr. Ottilie und ich in den ersten Stock hinauf und betraten den »Kapitelsaal«, der später renoviert und zum Brüderrefektorium umfunktioniert wurde. Es war ein dunkler Raum, hauptsächlich wegen den langen Gardinen an den Fenstern. Das noble kleine Beistelltischchen und die geblümten Sesselchen verliehen ihm dieselbe Biedermeierästhetik, die fast alle Räume im Haus prägte. Das Parkett knarzte, als wir den Raum betraten. Sr. Hildegard war schon da. Sie hatte in einem der Sesselchen Platz genommen. Ihre dunkelbraune Strickjacke über dem karierten dunkelbraunen Rock schienen den Raum noch mehr in Dunkelheit zu hüllen, aus der nur ihr von kurzen dunklen Haaren umrahmtes Gesicht herausleuchtete. Sie trug einen Gips am Bein und machte im Sitzen eine angedeutete Verneigung, um mich sofort mit übertrieben freundlichen Worten zu begrüßen. Im Vergleich zu dem, was ich über sie gehört hatte, wirkte sie eher unscheinbar, und ich merkte bald, dass das Gespräch von vorneherein vor allem einen Zweck hatte. Beide Schwestern machten mir mit vereinten Kräften deutlich, dass meine Familie bei unserer Reise im September unbedingt die Gemeinschaft in Rom besuchen müsse. Es schien völlig unmöglich, diese Einladung auszuschlagen. Auf meine Bedenken hin hieß es, in jedem Fall müssten wir mindestens eine Führung ans Petrusgrab mitmachen. Ich war etwas beunruhigt, weil ich ja gar nicht absehen konnte, ob das möglich sein würde. Konnten wir uns so einfach vom Programm der Gruppe lösen? Wollten wir das? Wir kannten uns in Rom ja nicht aus. Wie sollte ich meine Eltern überzeugen? Wir verblieben dabei, dass wir telefonieren würden, wenn ich wieder daheim wäre. Sr. Ottilie würde mir dann die Nummer einer Sr. Annemarie geben, mit der könnte ich alles Weitere besprechen. Obwohl mir das noch merkwürdiger vorkam, war ich froh, die Sache wenigstens verschoben zu haben.

Aber damit war das Gespräch nicht beendet. Nun wurden die sogenannten Albumblätter hervorgeholt. Mir wurden Bilder von strahlenden jungen Schwestern, zelebrierenden Priestern und schönen Häusern in den verschiedensten Ländern gezeigt, und ich erfuhr vieles über die Königsfamilie. Besonders beeindruckte mich, was ich über das Zusammenleben von Männern und Frauen hörte. Es gefiel mir, dass die Gemeinschaft nicht nur aus Frauen bestand. »Geistliche Familie«, »gegenseitige Ergänzung«, »Fruchtbarkeit in der geistlichen Vater- und Mutterschaft« und andere Worte machten einen gewissen Eindruck auf mich. Mindestens genauso sehr beeindruckte mich, dass wie nebenbei erwähnt wurde, dieser Priester habe promoviert und der arbeite im Vatikan. Diese Schwester studiere in Rom und jene habe einen Doktor in Philosophie.

Eine hatte offenbar sogar Atomphysik studiert! Ich sah große Möglichkeiten vor mir: Rom, Frankreich, England, Jerusalem, vielleicht ein Studium. Und wer weiß, welche Aufgaben ich noch bekommen könnte? Auf die Fotos der Mitglieder folgten Symbolfotos, die von der Erklärung des Charismas begleitet wurden. Die goldene Dornenkrone war das Symbol der Königsfamilie. Wie Jesus am Kreuz die Sünden der Menschheit gesühnt hatte, so hatte er durch das Tragen der Dornenkrone den geistigen Hochmut der Menschheit gesühnt, erklärte Sr. Ottilie. Die Königsfamilie betrachtete es als ihre Aufgabe, den geistigen Hochmut unserer Zeit zu sühnen. Das klang irgendwie seltsam, aber es machte Eindruck auf mich. Ich dachte an liberale Theologen und daran, wie die Überheblichkeit mancher Pfarrer meine Eltern verletzt hatte. »Hochmut ist die größte Sünde unserer Zeit«, hatte Sr. Ottilie gerade gesagt. Ich wollte demütig sein. Ich will gerne mit Christus die Dornenkrone tragen, dachte ich.

Es folgten weitere Albumblätter. Darunter Bilder von der Feier der Päpstlichen Anerkennung. Ziemlich genau vor einem Jahr, am 29. August 2001, war die Gemeinschaft von Johannes Paul II. als »Familie des geweihten Lebens« anerkannt worden. Sie war kein Orden und kein Säkularinstitut, auch kein Institut im klassischen Sinn, sondern eine »neue Form des geweihten Lebens« nach can. 605 CIC (dieser Canon des kirchlichen Gesetzbuches schien sehr wichtig zu sein, denn er wurde mehrmals genannt). Das war eine wichtige Nachricht, denn ich wollte nicht in eine Gemeinschaft eintreten, die nicht kirchlich anerkannt war. Soviel war klar. Dass die Königsfamilie vom Papst anerkannt war, hieß, dass sie die katholische Lehre und das kirchliche Recht befolgte und dass die Kirche sich dafür verbürgte, dass sie das tat. Ich konnte der Königsfamilie also grundsätzlich vertrauen, es war keine obskure Vereinigung.

Das bestätigte umso mehr das nächste Bild, auf dem Kardinal Ratzinger zu sehen war, als Hauptzelebrant bei der Dankesmesse für die Päpstliche Anerkennung, die im November 2001 im Petersdom stattgefunden hatte. Ich fand es aufregend, dass der Präfekt der Glaubenskongregation mit der Königsfamilie befreundet war, denn er war eine wichtige Persönlichkeit. Vor allem aber hieß es, dass ich wirklich vollstes Vertrauen in die Integrität dieser Gemeinschaft haben konnte. Der weiße Chormantel, den die Mitglieder der Königsfamilie nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern an allen Sonn- und Feiertagen beim Gebet trugen, war ein Sinnbild für die Reinheit der Erlösten. Er erinnert an die Taufe und symbolisiert die Schar der Heiligen, die im letzten Buch der Bibel vor dem Thron Gottes stehen und ihn anbeten. Die Dornenkrone und der Schleier schreckten mich nun weniger ab als zuvor. Was die Bilder vom Herzen Jesu und einige Sätze über ein »Bündnis« bedeuten sollten, verstand ich nicht ganz. Eines der letzten Albumblätter zeigte zwei Kreuz-Anhänger. Einer war silbern, der andere rot. Das rote Kreuzchen sei eine Art Verlobungszeichen, sagte Sr. Ottilie. Junge Frauen, die in die Königsfamilie eintreten wollten, würden bis zu ihrem Eintritt ein solches Kreuz tragen. Männer trügen das silberne Kreuz. Sr. Ottilie sah mich erwartungsvoll an. Ich betrachtete das Bild. Irgendwie fand ich das kindisch, besonders dieses Wort »Verlobung«. Immerhin wusste ich jetzt, was der nächste Schritt war, wenn ich denn in die Königsfamilie eintreten wollte.

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