Kitabı oku: «Nicht mehr Ich», sayfa 5
Der Berufungskampf
In der Kollegstufe hatte ich einen besonders schlimmen Religions-Lehrer. Er vertrat nicht nur die gewöhnliche Palette kirchenkritischer Standpunkte, mit der sich die meisten der sogenannten aufgeklärten Katholiken schmücken, sondern er ging weit darüber hinaus. Er schien mich bewusst damit zu provozieren, dass er im Unterricht Videos mit Predigten von evangelischen Bischöfinnen vorspielte und Sätze wie diesen fallen ließ: »Die zwölf Stämme Israels hat es natürlich nicht gegeben, genauso wenig wie die zwölf Apostel.«
Ich war entrüstet und wartete immer öfter nach der Stunde auf ihn, um ihn persönlich zur Rede zu stellen. Empört schleuderte ich ihm entgegen: »Wie kommt es überhaupt, dass Ihnen Ihre Lehrerlaubnis noch nicht entzogen worden ist?!« Woraufhin er lächelnd antwortete: »Diese Frage werde ich mir in Gold einrahmen und an die Wand hängen!«
Wir begannen, uns außerhalb der Schule zu treffen. Auf unseren Spaziergängen versuchte ich ihm mit aller Überzeugungskraft, die ich nur aufbringen konnte, die Falschheit seiner Annahmen vor Augen zu führen. Er war in meinen Augen ein unglücklich Verirrter, den ich auf den rechten Weg zurückbringen wollte. Zugleich schmeichelte es mir, dass er mir tatsächlich zuhörte und sich mit meinen Thesen auseinandersetzte. Nicht Weniges von dem, was ich sagte, schien ihn tatsächlich nachdenklich zu machen, umgekehrt übrigens auch. Nicht dass er mich dazu gebracht hätte, meine Ansichten zu ändern, aber ich begann nachzudenken, um sie besser begründen zu können. Er sagte beispielsweise, er kenne keinen Grund, warum Frauen nicht Priester sein könnten, und meinte, meine Ablehnung wäre rein emotional: »Sie wollen sich eben nicht mit der Vorstellung einer Priesterin anfreunden«.
Das konnte ich so nicht stehen lassen, also begann ich nach überzeugenderen Gründen zu suchen, weshalb Frauen nicht Priester sein konnten, denn dass sie es nicht konnten, stand außer Frage. Es war die Lehre der Kirche. Andererseits konnte ich ihn dazu bringen, über die Anbetung und den Rosenkranz nachzudenken, ja ich schaffte es sogar, ihn zu überreden, auf einem unserer Spaziergänge einen ganzen Rosenkranz mit mir zu beten. Immer öfter kamen wir auch auf Persönliches zu sprechen. Er wollte wissen, wie es kam, dass ich dachte wie ich dachte, und er empfahl mir, nach dem Abitur – wenigstens ein paar Semester lang – Theologie zu studieren, »damit Sie Ihren Kinderglauben verlieren.«
Diese Formulierung entsetzte mich. Ich wollte meinen Glauben nicht verlieren, und das Kindliche daran schien mir nichts Schlechtes zu sein, im Gegenteil. Von da an war mir das Theologiestudium suspekt, und ich machte es dafür verantwortlich, dass junge gläubige Menschen reihenweise ihren ursprünglichen Glauben verloren und dann zu den schlechten Religionslehrern wurden, die wir an der Schule ertragen mussten. Nein, ich wollte nie Theologie studieren, vor allem nicht in Deutschland, wo die Professoren besonders gerne Kinderglauben zu zerstören schienen.
Er zögerte nicht, mir auch von sich zu erzählen. Er war Mitte dreißig, hatte Theologie und Anglistik studiert und über einen irischen Schriftsteller promoviert, von dem er mir einmal ein Buch zum Lesen gab, das mich wegen seiner beißenden Kritik am irischen Katholizismus erschreckte. Er verschwieg mir auch nicht, worunter er besonders litt: Er war Single. »Wenn ich mit vierzig noch nicht verheiratet bin, bringe ich mich um.«
Das berührte mich, und ich empfand stark, wie schlimm es sein musste, ab einem gewissen Alter noch allein zu sein. Dass er mit dieser Aussage eine bestimmte Reaktion in mir auslösen wollen könnte, kam mir nicht in den Sinn. Ich merkte nicht, dass sein Interesse bald nicht mehr dem Inhalt unserer Gespräche galt, sondern mir. Auch nicht als er begann, meine Berufung infrage zu stellen. Er gab mir Erfahrungsberichte von Frauen zu lesen, die nach einigen Jahren im Kloster gegangen waren, und er polemisierte gegen die Königsfamilie. »Schau dir die Schwestern an. Die sind nicht glücklich!«, sagte er zu mir.
Diese Äußerung ließ ich nicht gelten, schließlich kannte ich die Schwestern besser als er. Die Artikel, die er mir zu lesen gab, enttäuschten mich beinahe. Ich hatte mit substanziellerer Kritik gerechnet (die ich natürlich auch zurückgewiesen hätte). Seine Kritik an meiner Berufung schlug ich seiner allgemeinen Kirchenkritik zu. So fiel ich aus allen Wolken, als er eines Tages, als wir nach einem längeren Spaziergang zusammensaßen, mitten im Gespräch meine Hände nahm, mir in die Augen sah und sagte: »Ich liebe dich.«
Ich fühlte mich wie im falschen Film und spürte einen Impuls zur sofortigen Flucht. Aber ich blieb sitzen und hörte mir an, was er zu sagen hatte. Erst jetzt merkte ich, wie hoffnungslos verliebt er war – in mich! Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Dennoch ließen mich seine Worte nicht kalt. Die langen persönlichen Gespräche mit ihm hatten ihre Spuren in mir hinterlassen, und sein Liebesgeständnis bewegte mich mehr, als mir lieb war. Er hatte damit abgewartet, bis der reguläre Unterricht zu Ende war, was es mir keineswegs leichter machte, da gerade die Abi-Prüfungen begannen. Ich erbat mir von ihm eine Zeit des Abstands. Ich musste die Prüfungen hinter mich bringen und mir darüber klar werden, was seine Zuneigung zu mir zu bedeuten hatte.
Liebte ich ihn? Eher nicht, aber ich mochte ihn irgendwie. Konnte es nicht sein, dass Gott mir jetzt ein Zeichen gab, dass ich für diesen Menschen da sein sollte? Aber wie? Ich war komplett durcheinander und schrieb Sr. Ottilie einen Brief. Sie war höchst alarmiert und reagierte umgehend. Am Telefon kündigte sie an, dass sie mit mir eine Pilgerfahrt nach Altötting unternehmen würde. Die Muttergottes würde mir Klarheit schenken. Ich merkte ihrer Stimme an, dass sie sich große Mühe gab, möglichst ruhig zu bleiben. Da war nichts von der üblichen helltönenden Selbstsicherheit. Zwar erschien mir ihre aufgeregte Sofortmaßnahme allzu panisch, aber ich war doch irgendwie dankbar, dass mich in dieser schwierigen Situation jemand an die Hand nahm, und ich war insofern beruhigt, als sie die Entscheidung nicht selbst fällen wollte, sondern sie der Muttergottes überließ.
Die Muttergottes spricht
Es war ein Samstag im Mai, als wir mit dem Auto nach Altötting fuhren. Sr. Ottilie schien sehr besorgt und versicherte mir, dass sie sehr viel für mich gebetet habe. Besonders beim Breviergebet habe sie an mich gedacht, nämlich beim Psalmvers »Gib dem Raubtier das Leben deiner Taube nicht preis.« Hätte ich Sr. Ottilie nicht gekannt, wäre mir diese allzu drastische Metapher unangenehm gewesen. In ihren Augen war mein Religions-Lehrer, den sie nie getroffen hatte, ein Raubtier, ein böser Verführer, ein Werkzeug Satans, jemand, der mich vom Plan Gottes abbringen wollte. Der gefürchtete Berufungskampf war ausgebrochen, also musste sie nun um mich kämpfen. Wie sie da mit hoch erhobenem Kopf und entschlossenem Gesichtsausdruck am Steuer saß, sah ich sie gleichsam eine Rüstung tragen. Die Kriegerin auf dem Weg in die Schlacht. Ich musste schmunzeln. Ich selbst hielt mich keineswegs für verführt, ich war nur durcheinander.
Im bayerischsten aller bayerischen Wallfahrtsorte war ich noch nie gewesen. Er wirkte unspektakulär, denn viel war dort nicht los. Sr. Ottilie schien auch kein Programm geplant zu haben. Wir gingen einfach von einer Kirche oder Kapelle in die nächste. Dabei entdeckte sie überall Zeichen, die – wie sie sagte – eine ganz eindeutige Sprache sprachen. Viele dieser angeblichen Zeichen verstand ich nicht. Es war nichts Verwunderliches, an diesem Ort auf Marienbilder zu stoßen, Sr. Ottilie aber erkannte in den Bildern einen Hinweis auf meine Berufung zum geweihten Leben. Gekrönt wurde diese Fülle an Zeichen, als wir eine Kirche betraten, in der gerade das Evangelium verlesen wurde: »Wer um meinetwillen Haus oder Brüder … verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.«
Sr. Ottilie schien so erschüttert und beglückt, dass ich in mich hineinschmunzeln musste. In ihren Augen war das ein eindeutiges Zeichen. Ich hatte gar nicht zugehört und hätte das Evangelium auch nicht als Zeichen gedeutet. Es antwortete nicht wirklich auf meine Frage, aber für sie schien die Angelegenheit geklärt. »Die Muttergottes hat gesprochen!«, verkündete sie feierlich, als wir die Kirche verließen. Ich war zufrieden, denn ich hatte in den vergangenen Stunden genug Zeit gehabt, um meine Frage selbst zu überdenken und im Gebet vor Gott zu bringen. Nein, es konnte nicht gut gehen, wenn ich meinen Religions-Lehrer heiratete (und eine uneheliche Beziehung kam nicht infrage). Er war so viel älter als ich, und wir waren viel zu unterschiedlich. Ich würde ihn aus Mitleid heiraten. Es wäre nicht richtig. Nein, ich war nicht bei ihm, sondern bei den Schwestern daheim, in der Welt des Stundengebets und der regelmäßigen Abläufe, der diskreten Freundlichkeit und der stillen Arbeit. Letztlich glaubte ich vor allem eines nicht: Dass er mich liebte. Er suchte etwas in mir, aber nicht mich. In unerschütterlicher und zugleich tröstlicher Klarheit stand für mich fest, dass mich eigentlich niemand suchte und kannte – niemand außer Gott. Also konnte mich auch niemand außer Gott lieben.
Abitur und Eintritt
Mit dem Ende der Schulzeit hatte für mich ein neuer Abschnitt begonnen. Das Abitur hatte ich ohne große Mühe mit 1,9 bestanden. Nun stand mir nur noch eines vor Augen: Der Eintritt. Ich hatte den 9. August gewählt, den Gedenktag der vor kurzem heiliggesprochenen Edith Stein. Auch wenn ich mich nicht mit ihr messen konnte, war sie mir doch ein Vorbild. Sie widerlegte das Klischee der ungebildeten, unselbständigen und lebensunfähigen Klosterschwester, das ich inzwischen leid geworden war. Sie hatte in Philosophie promoviert, war Assistentin bei Husserl gewesen, zum Katholizismus übergetreten und schließlich zur großen Verwunderung ihrer Freunde und Bekannten in den Karmel eingetreten.
Auch ich betrachtete mich nicht als unselbständig. Ich war nicht dumm und nicht fremdgesteuert. Ich wusste, was ich wollte und was ich tat, und jeder Schritt war reflektiert und gewollt. Ich war konvertiert und ging nach dem Abitur ins Kloster, nicht weil mir nichts Besseres eingefallen war oder ich mir nichts anderes zutraute, sondern weil ich es wollte. Und ich wollte es, weil Gott mich rief und es nichts Größeres in meinem Leben gab als ihn.
Am 8. August, dem Tag vor der Eintrittszeremonie, machten meine Eltern und Geschwister sich mit mir auf den Weg. Ich saß mit gemischten Gefühlen im Auto. Meine Koffer waren gepackt. Außer meinen Kleidern, meinem Sparbuch und ein paar Dokumenten und Büchern hatte ich nichts dabei. Viel war es nicht, denn viel würde ich ja nicht brauchen. Mein Klavier wurde zu einem anderen Zeitpunkt abgeholt. Der Gedanke, in wenigen Stunden für immer von meinen Eltern und Geschwistern Abschied nehmen zu müssen, vor allem von den beiden Kleinen, gab mir einen Stich ins Herz. Würde ich das überhaupt aushalten, diese familiäre Vertrautheit aufzugeben und endgültig in eine Welt von Erwachsenen überzusiedeln, wo es keine persönliche Nähe, keine Neckereien, keinen Unsinn gab? Schnell schob ich diese Fragen beiseite, denn ich hatte mir angewöhnt, mich von Fragen an die Zukunft, die per se unbeantwortbar waren, nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich war überzeugt: Es wird sich alles geben. So schlimm kann es nicht sein. Andere haben es auch geschafft, und schließlich bin ich zu diesem Leben berufen, also werde ich auch die Kraft haben, es zu meistern. Und wenn es manchmal schwer sein wird, und das wird es mit Sicherheit, dann gehört das auch dazu, und ich werde es schaffen.
Den überwiegenden Teil der Fahrt schwebte ich aber in allergrößter Vorfreude. Ab morgen würde ich mit »Schwester« angesprochen werden. Ich würde ein Zimmer bekommen und einen Auftrag, einen festen Tagesablauf und eine neue Familie. Ich würde eine von ihnen sein und das tägliche Leben mit ihnen teilen. Vor allem aber kam ich jetzt Gott näher, denn ich kam an den Ort, an dem er mich haben wollte, an dem er etwas Großes mit mir vorhatte. Ich kam gewissermaßen in sein Haus, als seine Braut. Ich war aufgeregt und überglücklich. Wahrscheinlich gibt es nicht viele Möglichkeiten, wie man die eigene Existenz und Identität von heute auf morgen derart radikal ändern kann, wie ich das damals tat. Dafür muss man ins Kloster gehen – wenn nicht zum Militär oder ins Gefängnis.
Als wir im Mutterhaus ankamen, stellte sich heraus, dass die Gemeinschaft auf uns gewartet hatte. Um 17.30 beteten sie für gewöhnlich die Vesper, und mit dieser Vesper sollte ich begrüßt werden. Nun war es schon deutlich später. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie auf uns gewartet hatten, obwohl wir nichts davon wussten. Schnell, fast hektisch, wurde ich in den Kreuzgang hineingezogen, in dem zwei Reihen von Schwestern im Chormantel standen. Die Pfortenschwester drückte mir einen Blumenstrauß in die Hand und flüsterte mir zu, ich solle ihn an Mutters Grab in der Klosterkirche ablegen. Da setzte sich der Zug auch schon in Bewegung. Mir war etwas mulmig zumute, bei dieser überfallsartigen Aktion. Die Geste mit dem Blumenstrauß kam mir ähnlich albern vor wie das rote Kreuzchen, und es störte mich, dass ich quasi dazu genötigt wurde, denn eine solche Geste hätte ja meiner eigenen Initiative entspringen müssen, um authentisch zu sein. Erst später stellte ich fest, dass der Blumenstrauß ein fester Bestandteil des Eintrittsrituals war. Trotzdem fand ss ich es auch Jahre später immer noch unauthentisch und albern fand. Dennoch machte ich gute Miene dazu und tat, was die Schwestern sich wünschten. Es gehört einfach dazu. Der unglaublich schöne Gesang in der Vesper, der Duft der Blumen in der Kapelle und die Willkommensworte in der Ansprache von P. Rektor ließen mich meinen Unmut schnell vergessen. Auch meine Eltern waren gerührt. Meine Schwester dagegen hatte gerade in diesem Moment schwere Augenblicke durchzustehen, was ich aber erst hinterher erfuhr. Sie war in einem bunten Top mit Spaghetti-Trägern gekommen, in dem die Schwestern sie nicht in die Klosterkirche lassen wollten. Sie wollten ihr eine Strickjacke aufzwingen, mit der sie ihre Schultern und Arme bedecken sollte, aber sie weigerte sich standhaft, sodass am Ende beide Seiten leicht frustriert waren, als sie es endlich geschafft hatte, doch mit ihrem Top in der Kirchenbank zu sitzen.
Meine Familie war im Familienhaus untergebracht, einem hübsch renovierten Bauernhof in Hanglage, der seit den 1920ern zum Mutterhaus gehörte. Das Haus diente als Gäste- oder Exerzitienhaus. Wie viel dieser Besitz in den 20ern wert war, vermag ich nicht zu schätzen. Heute aber ist ein solches Grundstück in dieser Lage, wo 1m2 schon mal um die 900 Euro kosten kann, unbezahlbar. Das alles wusste ich nicht, als ich das erste Mal das Haus und die Aussicht bewunderte. Meine Familie fühlte sich dort wohl. Zwei Schwestern wohnten dort und sorgten sich gemeinsam mit Sr. Ottilie, die ebenfalls dort untergebracht war, um meine Familie, bevor sie am nächsten Morgen zu meiner Eintrittsfeier hinunter ins Kloster fuhren.
Die Messfeier fand in der kleinen Kapelle statt, in der ich auch das rote Kreuzchen empfangen hatte. An einem bestimmten Punkt der Feier sollten meine Eltern und ich je ein vorformuliertes Gebet sprechen, das uns zuvor von Sr. Ottilie in die Hand gedrückt worden war. Ich überflog den Text und fand, dass ich mich weitgehend damit identifizieren konnte. Vor Beginn der Messfeier legte ich das rote Kreuz ab. Ich war froh, es nicht mehr tragen zu müssen. Als alle sich erhoben, die Schwestern den Gesang anstimmten und der Priester den Raum betrat, war ich etwas enttäuscht. Es war nicht P. Rektor, sondern P. Jodok, ein kleiner, leicht rundlicher Vorarlberger um die 40, der mir bisher noch kaum aufgefallen war. Immerhin hatte er extra für meinen Eintritt eine Predigt vorbereitet, die mir aber größtenteils unbewusst blieb, bis auf eine Formulierung, die mir merkwürdig vorkam: dass ich »eine würdige Tochter von Mutter werden möge«. Ich kannte diese »Mutter« ja kaum. Nichts von dem, was ich bisher von ihr gehört hatte, hatte es mir möglich gemacht, eine Art innerer Beziehung zu ihr aufzubauen. So gelang es mir nicht, mich als ihre »Tochter« zu fühlen, und ich konnte mir nicht vorstellen, was es heißen sollte, ihrer »würdig« zu sein. Naja, dachte ich, das alles werde ich ja jetzt, wo ich zur Königsfamilie gehöre, sicher erfahren. Ich sprach mein Gebet mit klarer Stimme, als aber meine Eltern an der Reihe waren, blieben meiner Mutter vor lauter Schluchzen beinahe die Worte im Hals stecken, besonders an der Stelle, wo sie Gott dafür dankten, dass er mich ihnen geschenkt hatte und dass sie mich ihm jetzt wieder zurückschenkten. Ich wusste, dass meine Mutter mich ungern »hergab«, so stolz sie auch auf meine Berufung war.
Nach der Messe standen alle im Gang und gratulierten mir und meinen Eltern. Danach gab es im Konferenzzimmer ein festliches Mittagessen für meine Familie sowie ein paar Patres und Schwestern. Erst am Nachmittag bekam ich eine letzte Gelegenheit, mit meiner Familie allein zu sein. Das heißt, während meine Eltern ein »Glaubensgespräch« mit einem der Priester im Haus führten, durfte ich mich mit meinen Geschwistern und etwas Spielzeug für die Kleinen in eines der Empfangszimmer zurückziehen. Das Herz wurde mir schwer. Ich dachte daran, dass ich sie zum letzten Mal um mich hatte und wir uns ab morgen nicht mehr sehen würden. Ein Eintritt ins Kloster bedeutete den endgültigen Abschied von der eigenen Familie, es konnten Jahre vergehen, bevor man sich wiedersah. Das schien mir logisch. Bei Theresia von Lisieux war es auch so gewesen. Ich hatte nun eine »neue Familie« und es war nicht mehr meine Entscheidung, sondern die meiner Verantwortlichen, ob und wann ich meine Familie wiedersehen würde. Meine Schwestern wehrten sich. »Wir sind deine Schwestern und nicht die da«, sagten sie mir, und »wie kannst du es hier nur aushalten?« Sie fanden das Kloster und die Schwestern schrecklich, und als sie sich über Einzelne von ihnen lustig machten, konnte ich nicht anders als mitlachen. Aber das änderte natürlich nichts an meinem Entschluss.
Der Tag danach
Am nächsten Morgen reiste meine Familie ab. Ich hatte mich schon am Abend zuvor kurz von ihnen verabschiedet, wusste aber nicht, dass meine Mutter noch einmal mit mir hätte sprechen wollen, dass sie am Tag der Abreise mit einer schlimmen Migräne erwachte und Sr. Ottilie sie unbarmherzig zum Aufbruch drängte. Wie hätte ich das auch erfahren sollen? Meine Mutter erzählte es mir erst Jahre später, nach meinem Austritt.
Für mich begann der Tag nach dem Eintritt mit dem gewohnten Programm: um 6.00 Morgengebet, 6.15 Messe, 7.00 Lesehore und Laudes, danach das typische spartanische Frühstück mit dünnem Kaffee, Milch, vom Bäcker geschenkten alten Brötchen, Butter und Marmelade. So bescheiden das auch war, es machte mich glücklich. Jeder Ton, jeder Geruch, jeder Augenblick dieses Klosterlebens war mein neues Leben, zu dem Gott mich gerufen hatte. Alles wurde zu einem Zeichen seiner Liebe zu mir.
Nach dem Frühstück wurde ich mit Sr. Kerstin zum Autoputzen eingeteilt. Das Kloster hatte einen Fuhrpark, der aus einigen mehr oder weniger bescheidenen Autos bestand. Wir putzten an diesem Vormittag zwei von ihnen gründlich, wobei ich versuchte, mein Bestes zu geben. Denn das hatte ich schon verstanden: dass Schwestern beim Putzen sehr viel schärfere Maßstäbe anlegen als gewöhnliche Menschen. Ich putzte also viel gründlicher, als ich es für nötig gehalten hätte, und schien damit richtig zu liegen. Wir sprachen wenig miteinander und ich fragte mich, was nun auf mich zukommen würde. Ich war eingetreten, aber wie würde es nun weitergehen? Bisher hatte niemand mit mir darüber gesprochen, und was ich wusste, war wenig. Ich wusste, dass ich eine Art Ausbildungszeit durchlaufen würde, in der es irgendwann ein Noviziat und ein »Heiliges Bündnis« gab und dass ich eine Verantwortliche haben würde, die mich »ins Charisma einführt« und begleitet. Aber konkret hatte noch niemand mit mir darüber gesprochen. Was würde ich morgen tun? Und wann würde ich einen festen Auftrag bekommen? Vor allem aber: wer würde meine Verantwortliche sein? Und ob ich wohl in ein anderes Zentrum versetzt werden würde, vielleicht nach Rom? Das wagte ich gar nicht zu hoffen. Eines aber stand für mich ohnehin fest, was auch immer kommen würde, es würde der Wille Gottes sein, und ich war fest entschlossen, es anzunehmen und mit all meinen Kräften zu erfüllen.
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