Kitabı oku: «Die dünne Frau», sayfa 2

Yazı tipi:

Ich aber war die Gegenwart, mir konnte geholfen werden. Die liebe Frau machte sich umfangreiche Notizen in einer sonderbaren Kurzschrift, die mit Kringeln und Pfeilen durchwoben war: Arbeitsstellen, Hobbys, Vorlieben und Abneigungen, alles kam in einen Topf, wo es eine Weile schmoren sollte, wie Mrs. Swabucher sich ausdrückte. In der Zwischenzeit würde sie ihre Kartei durchgehen und ihre Grübelkappe aufsetzen. Irgendwo da draußen war der Mann, dessen Leben kurz das meine berühren würde.

»Fahren Sie nicht in ein paar Tagen zu einer Konferenz?«, fragte ich, denn mir fiel plötzlich auf, wie spät es war. Seit zwei Stunden saß ich in diesem Zimmer.

»Das Mädel ist unfähig, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn ihr Leben davon abhinge. Konferenz! Hört sich großartig an, was? In Wirklichkeit besuche ich ein paar Tage meine Enkelkinder. Aber vor dem Vergnügen kommt die Pflicht. Bevor ich irgendwohin fahre, werde ich diesen Mann für Sie finden.«

Wir erhoben unsere Kaffeetassen und tranken auf Mr. Tadellos, egal, wo er war.

2

In der Woche nach meinem Besuch bei der Kultivierten Herrenbegleitung versuchte ich mich damit zu trösten, dass keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten sind, aber selbst in meinen Ohren hatte der Spruch einen falschen Klang. Entweder war Mrs. Swabucher übertrieben wählerisch oder ihre Suchexpedition war kläglich gescheitert. Ich hatte ihr Jills Nummer gegeben, denn mein eigenes Telefon, das einem Trappistenkloster Ehre gemacht hätte, war längst abgeschafft. Jedes Mal, wenn ich Jills Schritte auf der Treppe hörte, hielt ich die Luft an, bis ich Sternchen sah. Meistens kam sie nur rauf, um sich von mir ein Ei zu borgen. Ihre neueste Masche war, eins in Salzwasser zu verrühren und damit um Mitternacht zu gurgeln. Ansonsten berichtete sie nur von drei obszönen Anrufen einer Dame aus dem vornehmen Knightsbridge, die Jill für ihren Zeitungsjungen hielt. Am Mittwoch endlich rief sie mich herunter und drückte mir den Hörer in die Hand. Er klinge traumhaft! Falscher Alarm, es war nicht er, sondern nur Mr. Green von der Reinigung an der Ecke, der mir überglücklich verkündete, er habe den Gürtel von meinem blauweiß gepunkteten Seidenkleid gefunden. Ich war drauf und dran, ihm zu sagen, er solle ihn als Wäscheleine behalten, aber er war ein freundliches Männlein und pflegte eine alte Mutter.

Der Samstag kam herauf und Jill bestand auf einem Einkaufsbummel. Ich müsse unbedingt neu eingekleidet werden für das Wochenende. All mein Jammern, sobald ich den Rücken drehte, werde er anrufen, half nichts und so trottete ich hinter ihr her nach Soho in eine schmuddelige Boutique. Die Besitzerin, eine Schlampe mit verfilztem schulterlangem Haar und einem tätowierten kopflosen Huhn auf dem linken Unterarm, begrüßte uns überschwänglich. Sie, Serena, werde mich verwandeln! Fragte sich nur, in was. Trotz passiven Widerstandes wurde mir ein bodenlanger purpurroter Seidenkaftan aufgezwungen, dessen Ausschnitt mit Perlenstickerei prunkte, während Ärmel und Saum von Goldborte glänzten. Serena und Jill behaupteten, ich sähe märchenhaft aus. Ich hätte es anders ausgedrückt: der Schrecken Arabiens. Aber ein Quäntchen Rückgrat bewahrte ich und verweigerte die Schnabelpantoffeln aus Goldbrokat.

»Was gluckert denn da so?«, fragte ich, als wir endlich Jills Tür erreicht hatten, völlig durchnässt, denn auf dem Weg von der U-Bahn hatte uns ein Wolkenbruch überrascht. »Hört sich an wie Tobias. Er ist irgendwo eingesperrt. Er erstickt!« Sie nahm ihren Schlüssel raus. »Das ist nicht Tobias. Du weißt ja, wie Miss Renshaw im Souterrain sich aufregt, wenn den ganzen Tag das Telefon klingelt und keiner rangeht. Deshalb schieb ich’s immer, wenn ich länger weg bin, unter den Sitzsack.«

Ihre Hand verharrte vor dem Türschloss. Wir blickten uns an. »Das Telefon!«, kreischten wir im Chor. »Es klingelt!«

Ich grapschte nach dem Schlüssel. Jill ließ ihn fallen und mit leisem, metallischem Klackern trudelte er über das dunkle Linoleum. »Rindvieh«, sagten wir gleichzeitig. Auf allen vieren krabbelten wir im Kreis herum, in unserer Panik prallten wir aufeinander.

»Zu spät!«, schrie Jill.

»Ist er in eine Spalte gerutscht?«

»Nein, du Trampel! Das Telefon hat aufgehört. Ah! Hab ihn!« Sie hielt den Schlüssel so weit wie möglich von mir weg und verbot mir, mich zu rühren, bevor sie die Tür aufgeschlossen hatte.

»Soll ich vielleicht ewig hier kauern? Ich kriege einen Krampf in den Knien.«

Jill knurrte nur kurz, als ich mich aufrappelte und ihr in die Wohnung folgte. Da standen wir nun in unseren tropfnassen Mänteln traurig mitten im Zimmer; das Telefon hockte da und sagte keinen Ton.

»Klingle, du schwarze Kröte«, befahl ich und es gehorchte.

»Geh du ran.« Jill schälte sich aus ihrem Mantel. »Und wenn das wieder diese Labortante ist und fragt, ob ich meinen Körper für Versuchszwecke spende, sag ihr, geben tu’ ich nur im Leben.«

»Riverbridge 6890«, krächzte ich. Wie kann einer Frau mit siebenundzwanzig schon die Stimme brechen?

»Ellie Simons?«, kam es vorwurfsvoll vom anderen Ende.

»Em, äh, was, ah, wer …?«

»Bentley Haskell. Den ganzen Vormittag versuche ich, Sie telefonisch zu erreichen. Ich habe Mrs. Swabucher im Büro so verstanden, dass es sich um eine Art Notfall handelt. Sollten Sie inzwischen anders disponiert haben, wäre mir das durchaus recht, allerdings weiß ich bei diesen Aufträgen gern, woran ich bin.«

»Ja, natürlich! Ich kann Sie vollkommen verstehen.« Vor lauter Schreck ließ ich den Hörer fallen, er polterte zu Boden.

Jill hockte auf einem Stuhl neben meinem linken Ohr. »Hör auf zu katzbuckeln.«

»Sst.« Ich entriss ihr die Schnur und sprach ins Mundstück. »Keine Sorge, mir ist nur das Telefon runtergefallen, nicht das Gebiss.«

Ungeduldiges Atmen kam durch den Draht. »Miss Simons, ich nehme pro Monat nur wenige Aufträge an. Die Begleitung alleinstehender Damen ist nicht mein Hauptberuf, deshalb trachte ich, meinen Terminplan so weit wie möglich im Voraus aufzustellen. Um welche Zeitspanne handelt es sich bitte, und wann?«

»Wann?«, echote ich. »Ich dachte, Mrs. Swabucher hätte Ihnen – einen Moment bitte. Sie müssen vielmals entschuldigen. Ich weiß, ich hab die Einladung hier irgendwo in meiner Handtasche. Sie wollen die Daten wissen?«

»Leiden Sie an Gedächtnisschwund, Miss Simons?«

»Wie witzig, Mr. äh …!« Ich kicherte wie ein blondes Doppeldummchen. »Ich mag Männer – Leute – mit Sinn für Humor.«

Ich hielt die Hand über den Hörer und zischte Jill verzweifelt zu: »Wann fahre ich?«

Sie schloss schmerzlich berührt die Augen. »An was erinnern dich schwarze Katzen und Spinnen am Morgen? Freitag, der dreizehnte! Und hör auf, so zu winseln, das ist menschenunwürdig.«

Jill hatte recht. Schluss mit dem Unsinn! Ich reckte die Schultern und ahmte meinen Bankberater nach, wenn er mir klarmacht, dass er meine Schecks mit einer Hand platzen lassen kann. »Mr. Hammond, ich habe alle Informationen parat. Die Daten sind dreizehnter bis fünfzehnter Februar.«

»Haskell. Bentley T. Haskell. Wie ich von unserer gemeinsamen Bekannten Mrs. Swabucher erfahre, ist Ihre Situation etwas ungewöhnlich und Sie suchen mehr als lediglich einen Begleiter. Ich soll mich als der getreue Lebengefährte ausgeben?«

»Kostet das extra? Kein Problem. Sie können das Geld in bar haben, wenn Sie wollen.«

»Vielen Dank, und zwar in nicht registrierten Scheinen, wenn’s geht.«

Komischer Mensch. Verachtete er seine Arbeit, fand er sie erniedrigend? Er klang in Eile, sich rasch wieder einem Zeitvertreib zuzuwenden, wie er kultivierten Herren ansteht.

»Sollen wir uns treffen, bevor wir losfahren?«, fragte er. »Dann können Sie mich über die Einzelheiten ins Bild setzen.«

»Nein, das wird nicht nötig sein.« Ich sah keine Veranlassung, diesem ohnehin feindseligen Herrn einen Grund zu liefern, sich zu drücken. Mrs. Swabuchers barmherzige Beschreibung von mir mochte von der Wirklichkeit abweichen. »Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, Mr. Haskell, schicke ich Ihnen den Terminplan – Abfahrtszeit, Reiseziel usw.«

»Vielen Dank, aber richten Sie alle Korrespondenz an das Büro. Meine Privatadresse gebe ich Klienten nicht.«

Hatte der Mann Angst, ich könnte in einer stürmischen Nacht auf seiner Türschwelle erscheinen und ihn vergewaltigen? »Wunderbar.« Wo hatte ich nur meine Gedanken? »Wie Sie, Mr. Haskell, möchte ich das Ganze rein geschäftlich behandeln.« Ich lachte silberhell auf, um ihm zu zeigen, wie spaßig ich alles fand.

»Störe ich Sie gerade beim Essen?«

»Nein.« Wollte er das Visier herunterlassen und mich einladen?

»Ich dachte schon, Sie hätten sich verschluckt.« So viel zu meinem Charme! Bevor er auflegte, erwähnte ich Transportmittel. Ich hatte daran gedacht, mit dem Zug zu fahren, aber als er sein Auto vorschlug, fand ich das Angebot unwiderstehlich. Sofort hatte ich vor Augen, wie wir majestätisch durch die Tore von Merlins Schloss rauschten.

»Gut«, sagte ich zu Mr. Haskell. »Setzen Sie das Benzin mit auf die Rechnung.«

Was er zusicherte, bevor er auflegte.

Ich saß neben dem Telefon, starrte die Decke an und presste die Knie zusammen. Sie schlotterten schlimmer, als meine Zähne klapperten.

»Wie heißt er?«, fragte Jill. Ich sagte es ihr. »Hört sich an wie ein Auto«, fand sie.

»Jill, du weißt, ich reagiere sehr empfindlich auf Namenswitze.«

»Entschuldige. Hatte vergessen, dass Ellie eine Abkürzung ist. Wie wär’s, wenn wir zur Feier eine Flasche Rhabarberwein köpfen?«

Sobald ich mich von dem Schock erholt hatte, wurde es ein schöner Abend. Ich ließ das Telefongespräch noch einmal Revue passieren und redete mir ein, jemand, der so schroff und unhöflich war wie Bentley Haskell, musste ein Prachtexemplar sein. Weniger attraktive Männer geben sich mehr Mühe. In jedem Lore-Roman ist der ansehnliche Held anfangs ein abweisendes Raubein, bis die Heldin ihn sich mit samtweichen Pfötchen gekrallt hat. In Gedanken versah ich Mr. Haskell mit einem interessanten Hinkegang und einer Narbe auf gebräunter Wange – Überbleibseln des unvermeidlichen Jagdunfalls.

Nach dem dritten Glas Wein war ich richtig gut drauf. Wieder nüchtern fiel mir am nächsten Morgen ein, dass all diese Heldinnen aussehen wie Vanessa. Sollte ich je in einem Lore-Roman besetzt werden, dann mit der drallen Minna, die als treuer Dienstbolzen durchs Leben trudelt. Das ist die Wirklichkeit.

Die nächste Woche verging in einem Taumel der Entschlusslosigkeit. Ich verbrauchte meinen gesamten Vorrat an Briefpapier – Geschenke aus drei Jahren – für Entwürfe an Mrs. Swabucher mit der Anweisung, meinen Auftrag zu streichen; alle wurden wütend zerrissen und im Küchenherd verbrannt. Tobias, dieses furchtlose Raubtier, wagte nicht mehr, »miau« zu sagen. Ich war barsch zu Jill. Mit einem Wort, ich war völlig fertig und wurde von Minute zu Minute fetter. Die Zeit wurde knapp. Ich schrieb Tante Sybil, ich käme in Begleitung, und schickte der Agentur den Terminplan mit der Bitte, ihn an Mr. Haskell weiterzuleiten.

Als der Schicksalstag heraufkam, waren meine Augen blutunterlaufen und meine Haut – meine einzige Attraktion – übersät mit roten Flecken. Die Minuten verrannen unaufhaltsam und brachten den geisterhaften Mr. Haskell immer näher. Ich konnte die Schlüssel zu meinem Koffer nicht finden, und die Haferschleim-Eiweiß-Gesichtsmaske, die mir Jill verpasst hatte, war zu Beton erstarrt. Eine Weile hatten wir Angst, wir müssten jemand von der nächsten Tankstelle holen, um mich rauszumeißeln.

»Schade, dass es kein Kostümfest ist«, seufzte Jill. »Du könntest prima als Felsbrocken gehen.«

Glücklicherweise musste ich lachen und der Fels bröckelte. Jetzt kam die nächste schwierige Prozedur – mich in neue Strumpfhosen zu quetschen, ohne dass sie platzten wie zu stark aufgeblasene Ballons.

Jetzt noch den Kaftan über den Kopf.

»Meinst du wirklich, ich bin passend angezogen?« Ich mühte mich mit einem widerspenstigen Perlohrring ab.

»Klar!« Jill stopfte meinen linken Fuß in einen schwarzen Ripsschuh, den ich seit Jahren nicht getragen hatte.

»Heutzutage kannst du in Packpapier rumlaufen und keiner zuckt auch nur mit der Wimper.«

»Wie spät ist es?« Ich suchte meine kleine goldene Uhr. Meine normale im Big-Ben-Format passte nicht zu der Aufmachung. »Er kommt um halb vier.«

»Du hast noch Zeit. Obwohl ich finde, du solltest nicht ewig diesen Oma-Dutt tragen oder wenigstens was mit deiner Haarfarbe machen. Mittelbraun ist dies Jahr nicht angesagt.« Jill war beim rechten Fuß angekommen. »Noch zehn Minuten.«

Es klingelte, und Jill büßte beinahe ihre Hand ein, als ich zurückwich. Ich hasse Zufrühkommer. Pünktlichkeit steht ganz oben auf meiner Liste unverzeihlicher Sünden. Es klingelte wieder, hartnäckig. Jill machte die Tür auf, während ich zwischen Schlaf- und Wohnzimmer hin- und herflatterte wie eine riesige rote Motte.

»Miss Simons?« Er hörte sich nett an und irgendwie – erleichtert?

»Nein, Jill, eine Freundin aus dem Haus; Ellie ist da drin.«

Tusch und Trommelwirbel – meine verflixten Knie schlotterten wieder. Endlich standen wir uns Auge in Auge gegenüber. Er war nicht groß, dafür dunkel und gutaussehend, und zwei von drei möglichen Punkten sind immerhin was. Seine Körpergröße war höchstens durchschnittlich, vielleicht eins fünfundsiebzig, drei Zentimeter mehr als ich auf hohen Absätzen. Sein Haar war lockig und dunkel, fast schwarz. Bei seiner olivfarbenen Haut hätten seine Augen von Rechts wegen braun sein müssen, aber sie waren intensiv blaugrün. Er trug eine Nickelbrille, die ihm keineswegs Minuspunkte einbrachte (später erfuhr ich, dass er sie nur zum Autofahren aufsetzte), und er war schlank, schlank und noch mal schlank. Vielleicht nicht hübsch, wie es im Buche steht, aber entschieden attraktiv. Angesichts seines gut geschnittenen Mantels über dem Anzug aus dunklem Wolltuch, dem weißen Hemd und der gestreiften Seidenkrawatte wurde mir klar, wie ich aussah – wie die Dicke vom Rummelplatz, nuttig, ordinär und grotesk.

Der arme Mann, was für eine Art, sein Geld zu verdienen! Ich nahm mir vor, nett zu ihm zu sein. Morgen würde ich zu meinen Tweedsachen zurückkehren und ihm am Schluss des Wochenendes ein anständiges Trinkgeld geben, damit er seine Mutter oder seine Freundin zum Essen ausführen konnte – oder seine Frau. Gab es vielleicht ein Gesetz, dass Begleiter ledig zu sein hatten?

Ich band mir mein bestes Lächeln um, ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Er hatte einen angenehm festen Griff, aber seine Augen waren kalt und unpersönlich. Absurderweise nahm ich ihm das übel. Kein Mensch hatte ihn gezwungen herzukommen.

Er entdeckte meinen Koffer und ergriff ihn schwungvoll mit einer Hand. »Ich bringe ihn ins Auto, während Sie sich fertig anziehen.«

Ich bedachte ihn mit einem frostigen Blick. »Sie stehen vor dem Endprodukt.«

Die leuchtend graugrünen Augen musterten jeden purpurroten Quadratzentimeter; seine Lippen verzogen sich. »Sie müssen verzeihen«, sagte er, »aber Damenbekleidung war mir immer ein Rätsel. Ich hielt das für den Morgenmantel. Sie sind so weit?«

»Nicht ganz.« Meine Stimme verrutschte um eine Oktave, aber das war mir egal. »Bevor wir aufbrechen, möchte ich etwas klarstellen. Mr. Haskell, Sie sind hier, um Ihre Arbeit zu tun, so gut wie irgendein Angestellter. Da ist nichts dabei, die meisten von uns sind gezwungen, sich ihr tägliches Brot zu verdienen. Ich habe mit Leuten zusammenarbeiten müssen, die ich nicht auf eine Tasse Kaffee gebeten hätte, selbst wenn ich auf einer einsamen Insel mit ihnen gestrandet wäre, aber ich habe eine wichtige Lektion gelernt.«

»Ja?«

»Sorgen Sie immer dafür, dass die Chefin zufrieden mit Ihnen ist, denn sonst kriegen Sie womöglich kein Geld, weder per Scheck noch in bar noch sonst wie.«

Seine Brauen waren ein einziger schwarzer Strich. Einen Augenblick dachte ich, er würde den Koffer nach mir werfen, und athletisch, wie er war, hätte er ins Schwarze getroffen – meine Nase.

»Amüsiert euch gut«, zwitscherte Jill und reichte mir meinen Mantel.

Wir machten uns auf den Weg.

3

Ich war an diesem Tag noch nicht draußen gewesen, ja ich hatte noch nicht mal die Vorhänge zurückgezogen, und so wurde ich unsanft davon überrascht, dass es schneite. Dicke weiche Flocken wie aus Seifenschaum wirbelten durch die Luft. Badewetter? Dieser irrigen Ansicht war offenbar Bentley Haskells Auto. Das übel zerschrammte rostig graue Gefährt stand mit runtergeklapptem Verdeck am Rinnstein. Ich wusste, dass Kabrios einen Hang dazu haben, aber doch bitte nicht mitten im Schneegestöber bei eisigem Ostwind. Mr. Haskell hatte meinen Koffer verstaut und hielt mir die Tür auf.

»Darf ich beim Einsteigen behilflich sein, Schatz?« Er lächelte grimmig. »Ich übe schon mal.«

»Nein. Sie dürfen den Deckel von diesem Ding zumachen.«

»Das geht leider nicht. Die Scharniere sind seit Jahren festgerostet. Keine Sorge – Sie werden nicht nass.«

Als ich mich auf einem sehr feuchten Sitz niederließ, drückte er mir einen rotweiß gepunkteten Sonnenschirm in die Hand, löste die Verriegelung und schon wölbte sich über mir ein riesiger Fliegenpilz. Meine Füße trafen auf eine Wärmflasche, aber auch das besänftigte mich nicht. Ich hätte jetzt in einem gemütlichen Zugabteil sitzen können, indes die Landschaft an mir vorbeiglitt und der Schaffner zum Abendessen in den Speisewagen bat. Es gab nur eine Erklärung: Der Mann, der ruhig an meiner Seite saß und die Straßenkarte studierte, war aus Dartmoor entflohen. Mrs. Swabucher hätte ausnahmsweise auf Sohn Reginald, den Wirtschaftsprüfer, hören und ihre Hausaufgaben machen sollen.

»Zu Ihrer Linken finden Sie zwei Reisedecken.« Mr. Haskell faltete die Karte säuberlich zusammen, steckte sie in die Ledertasche unter dem Armaturenbrett und setzte das Monstrum in Gang. Es antwortete mit Geheul, das sich zu wütendem Knurren steigerte. Wir schossen vorwärts, verfehlten knapp eine Frau auf einem schwankenden Fahrrad, drückten uns an einem Laster und einem Doppeldeckerbus vorbei und schwammen mit im abendlichen Berufsverkehr, der London vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich lassen wollte.

»Behaglich, Schatz?« Er hatte kleine, schneeweiße Zähne. Einer stand ein wenig über und betonte das Ebenmaß der übrigen.

»Ich erfriere.«

»Wickeln Sie sich die andere Decke um. Mein Problem ist, ich finde dieses Wetter erfrischend und vergesse, nicht alle teilen meine Begeisterung für die Natur im Rohzustand.«

»Im Zug wäre es sicher zu heiß?«

»Zum Ersticken.«

So sollte ich also Einzug in Merlins Schloss halten? Die Finger festgefroren an diesem lächerlichen Sonnenschirm, das Haar schneeweiß und vor der Zeit gealtert? Männer! Und nach so einem hatte ich mich all die Jahre gesehnt!

»Versuchen Sie, in Bewegung zu bleiben«, sagte er, den Blick fest auf die Straße geheftet.

»Na toll! Ich stehe auf und jogge um den Rücksitz. Halten Sie ja nicht an, wenn ich über Bord gehe. Ein rascher Unfalltod ist mir lieber als zentimeterweise zu erfrieren.«

»Ich meinte, wackeln Sie mit den Zehen, wedeln Sie mit den Händen – nicht die mit dem Schirm.« Er blinzelte. »Für diese Fahrt brauche ich beide Augen – die Sicht wird immer schlechter.«

»Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?« Ich schloss die Augen und sofort wurden mir die Lider schwer. Schnee drückte sie nieder, nicht süßer Schlaf. Eingemummelt in meine Decken kam ich nicht an die Tafel Nussschokolade, die in meiner Handtasche steckte und inzwischen mit klagender Stimme nach mir rief. »Kann ein Mensch in Leichenstarre fallen«, fragte ich, »obwohl er noch lebt?«

Er schnaubte ärgerlich, fügte dann aber recht sanft hinzu: »Vielleicht hilft es, wenn wir uns unterhalten.« Schmolz der Eisberg? »Um überzeugend zu sein«, fuhr er fort, »muss ich in etwa wissen, wer wer ist auf dem Anwesen, dem wir unseren Besuch abstatten. Ist es ein Landhaus?«

»Eher ein Schloss. Kein echtes natürlich«, fügte ich hastig hinzu, als ich sah, wie seine Brauen in die Höhe schossen. »Eine Miniaturausgabe, die Onkel Merlins Großvater vor über hundert Jahren erbaut hat. Familienlegenden behaupten, dass er bereits an Altersschwachsinn litt, als die Pläne gezeichnet wurden. Nur jemand im Endstadium der zweiten Kindheit besitzt diese Art Phantasie. Das Haus ist schnurstracks aus dem Märchen entsprungen – jede Menge Türme, efeubewachsene Mauern, ein Schlossgraben, nicht größer als ein Goldfischteich, und sogar ein winziges Fallgitter zum Schutz der Eingangstür, obwohl sie das jetzt offen lassen.«

»Wiedersehen mit Dornröschen?«

»Genau. Es gibt sogar ein richtiges Schlossgespenst.«

»Lassen Sie mich raten. Onkel Merlin höchstselbst?«

»So ist es. Seine Verworfenheit besteht darin, was er dem Haus angetan oder vielmehr nicht angetan hat. Er hat es verrotten lassen. Streng genommen ist er kein Onkel – mehr ein Vetter zigsten Grades, aber meine Mutter war eine praktische Frau. Sie bestand darauf, die Verbindung zu unserem einzigen begüterten Verwandten aufrechtzuerhalten. Als Kind musste ich ihm jede Weihnachten Bettsöckchen stricken und wurde nur zweimal eingeladen. Beide Male flog ich vorzeitig raus. Er sagte, ich fräße ihm die Haare vom Kopf und für den Rest des Jahres bliebe ihm nur trocken Brot.«

»Hoffentlich wird das nicht unsere Wochenenddiät.« Bentley Haskell lenkte das Auto um eine rutschige Kurve. Wir näherten uns der Londoner Peripherie. Ich wechselte den Schirmarm und verkroch mich so tief wie möglich in meinen Deckenkokon. Bedauerlicherweise zeigte mein Begleiter keinerlei Frostschäden.

»Welchen faszinierenden Persönlichkeiten werde ich sonst noch begegnen?«

»Allen möglichen.« Ich zitterte vor Kälte. »Einem Vierer mit Partnertausch aus dem East End, einem Wunderdoktor, dem kürzlich die Approbation entzogen wurde, weil er …«

»Wenn Sie rumalbern«, sagte Mr. Haskell durch die Nase, »konzentriere ich mich eben aufs Fahren.«

Zusammengestaucht saß ich da wie ein dicker runder Wackelpudding, der auf seinem Teller zittert. Großmütig reichte er mir einen Ölzweig.

»Wohl alles Verwandte?«

»Da ist Onkel Maurice«, plapperte ich wie ein Kind, das aufsagen muss. »Er ist Börsenmakler und Mitte fünfzig – ziemlich klein mit Schmerbauch, die drei Haare, die er noch hat, kleistert er sich mit stark parfümierter Pomade an. Onkel Maurice riecht man durchs ganze Haus.«

»Bei Mord ein schönes Indiz. Ist ihm zuzutrauen, dass er den Butler erschlägt?«

»Wohl kaum. Sonst hätte er schon vor Jahren seine Frau beseitigt, Tante Lulu, ein Puttputt.«

»Ein was?«

»Ein Huhn. Tante Lulu könnte man das Gehirn entfernen und keiner würde was merken, sobald die Frisur wieder drauf ist. Sie bohnert ihre Böden stündlich, bügelt das Klopapier, bevor sie es aufhängt, und lebt nur für ihre Friseurbesuche dreimal die Woche. Sie und Onkel Maurice haben einen Sohn namens Freddy. Der kommt nach keinem von beiden. Freddy ist ein Freigeist: stolz darauf, dass er sich nie wäscht, trägt die Haare in einem Pferdeschwanz und lässt sich einen Bart sprießen, der aussieht wie ein alter Scheuerlappen, den der Müllschlucker wieder ausgespien hat. Unser Freddy weiß, was angesagt ist – düst auf dem Motorrad durch die Pampa, hat ein Loch im Ohrläppchen und qualmt Hasch wie ein Drache.«

»Also angepasster als sein Vater.« Bentley Haskell spähte durch das Schneetreiben nach einem halbverwehten Wegweiser, schlug an der Weggabelung einen scharfen Haken, erwischte Glatteis, kam kurz ins Schleudern und war wieder auf Kurs. Ich fühlte mich wie ein Klumpen Eiskrem, so hart gefroren, dass sich daran jeder Löffel verbiegt.

»Freddy macht Musik«, schnatterte ich, »so eine Art Garagen-Punk auf Haushaltsgeräten. Gegenwärtig pausiert er. Laut Tante Astrids letzten Katastrophenmeldungen ist der Kuckuck ins Nest heimgekehrt, und die armen Vogeleltern haben nicht die Kraft, ihn rauszuschmeißen.«

»Tante Astrid?« Mr. Haskells dunkle Augenbrauen zogen sich zu einem konzentrierten Strich zusammen, während wir durch das Städtchen St. Martin’s Mill glitten, vorbei an Fachwerkhäusern, die uns im schwindenden Dämmerlicht beäugten.

Es hatte endlich aufgehört zu schneien. Ich nahm den Schirm herunter und machte vorsichtig Armbeugen. »Tante Astrid ist Witwe, zieht sich immer zum Abendessen um und wurde noch nie ohne ihre Perlen gesehen. Ich glaube, sie hält sich für eine Reinkarnation von Königin Viktoria – sie spricht von sich stets im Pluralis majestatis. Sieht immer aus, als hätte sie sich gerade auf einen glühenden Feuerhaken gesetzt. Sie hat eine Tochter – Vanessa«, murmelte ich, da bog Mr. Haskell von der Straße ab und ersparte mir, Vanessa in all ihrer Femme-fatale-Pracht zu beschreiben.

»Zeit zum Auftanken«, sagte er.

»Benzin oder Nahrung?«

»Weder noch«, zügelte mich Mr. Haskell, während mir Visionen von Rührei mit Pommes durch den Kopf tanzten. »Ich dachte, Sie hätten nichts dagegen, wenn wir Ihre Wärmflasche aufheizen.«

»Durchaus nicht«, schoss ich zurück. »Sie hat sich schon vor Stunden in einen Grabstein verwandelt. Aber wenn das da drüben ein Gasthaus ist, werde ich reingehen und mich bei einem dicken, saftigen Steak und Meeren von dampfendem Kaffee auftauen. Sie können machen, was Sie wollen, hier draußen Schneemann spielen oder mitkommen.«

Der arme Mr. Haskell sah hin- und hergerissen aus. Aber das Fleisch war schwach, denn er hielt unter dem knarrenden Gasthausschild, auf dem passenderweise Zur Zuflucht stand, entriss mir die Wärmflasche und stieß seine Tür auf. »Ich hoffe, Sie zahlen«, fauchte er, klopfte sich den Schnee von den Armen und stapfte ums Auto, um mir herauszuhelfen.

»Bleibt mir was anderes übrig? Sie entwickeln sich zu einem sehr kostspieligen Bedarfsartikel, Mr. Haskell.« Meine Würde litt etwas darunter, dass ich mich fest an seinen Arm klammern musste, damit mir nicht die Beine wegrutschten. »Mein Mantel« – zehn Jahre war er alt – »ist völlig ruiniert, und wenn Sie nicht auf die hirnrissige Idee gekommen wären, in Ihrem Frischluftauto zu fahren, säßen wir jetzt beide kuschelwarm in Merlins Schloss und könnten Tante Sybils köstlichen Kochkünsten zusprechen.«

»Was Sie nicht sagen. Nach Ihrer Beschreibung hatte ich eher den Eindruck, sie serviert sehr tote Fledermäuse in sehr kalter Suppe.«

Seine Vorstellung kam der Wahrheit ziemlich nahe, was meinen Zorn weiter anfachte. Wutschnaubend erreichten wir die Tür. Drinnen würdigten wir uns keines Blickes und gaben, während sich um uns kleine Pfützen bildeten, dem irritierten Mädchen hinter der Theke zu verstehen, dass wir einen Tisch für zwei brauchten. Die Antwort war patzig, aber ich schaute stur geradeaus.

Bald saßen wir vor einem prasselnden Kaminfeuer, um uns glänzte gut geputztes Messing vor handgeschnitzter Täfelung. Es war unmöglich, sich der besänftigenden Wirkung von so viel Achtzehntes-Jahrhundert-Charme zu entziehen. Ich beschloss zu vergessen, welch Wurm Mr. Haskell war.

»Gemütlich, nicht?«

»Reichlich übertrieben, die Altertümelei. Warum läuft das Mädchen da mit einer Lockenwickelhaube und im Nachthemd rum?«

»Die Kellnerin? Das ist kein Nachthemd, das ist die Tracht der Kammerzofen am Hofe Karls des Zweiten. Haben Sie Angst, sie enthüpft ins Bett, bevor wir bestellen können?«

Wir entschieden uns beide für Steak mit Champignons. Es war hart, auf die Kartoffeln zu verzichten, aber er sollte doch mein Problem für eine Drüsenstörung halten. Unser Essen kam, es brutzelte auf irdenen Tranchiertellern.

»Miss Simons«, sagte er und nahm die Gabel zur Hand, »ich schlage vor, wir üben uns in der Benutzung des Du, damit wir uns im Schloss nicht verplappern.«

Behutsam spießte ich einen Pilz auf. »Ihre Sorgfalt im Detail ist beeindruckend. Sehr professionell. Ist Ihr Rufname Bentley oder haben Sie eine Kurzform, Benny?«

»Ben«, sagte er frostig, »und Ellie, kommt das von Ellen?«

Ich schnitt ein Stück Fleisch ab, schob es auf dem Teller hin und her, zerschnitt es noch einmal.

»Von Ellen also nicht.«

»Da wir angeblich eng befreundet sind, werden Sie es erfahren müssen. Mein richtiger Name ist Giselle.« Ich schaute auf und erwischte ihn dabei, wie seine Lippen zuckten. Ob die Kellnerin was merken würde, wenn ich ihn mit der Gabel erstach und das blütenweiße Tischtuch Blutflecken bekam? Zu meiner Überraschung wurde sein Gesicht ernst und er berührte meine Hand.

»Eltern können sehr unreif sein. Solche Höhenflüge der Phantasie sind für Kleinkinder hübsch, die in ihren Stühlchen ruckeln und brabbeln, aber auch Herzblättchen und Heideröschen werden erwachsen. Namen sollten zur Ansicht vergeben werden – mit Umtauschrecht nach Entfaltung des Verstandes.«

»Danke.« Meine Stimme gab einen rauen Ton von sich. Ich werde unsicher, sobald Leute, besonders Männer, nett zu mir sind. »Mutter hat es gut gemeint, die Arme. Sie träumte davon, ich würde in ihre Fußstapfen treten und in einem duftigen rosa Tutu umherflattern.«

»Deine Mutter ist Tänzerin?«

»War. Nur in der Gruppe an kleinen Stadttheatern. So viele Pirouetten und Arabesken, und dann stolperte sie, als sie die Bahnhofstreppe runterrannte; genau wie ich kam sie immer zu spät. Inzwischen ist sie seit zehn Jahren tot.«

»Tut mir leid. Und dein Vater?«

»Irgendwo auf der Suche nach sich selbst. Momentan ist er Landwirt und Schafzüchter in Neusüdwales. Zuletzt hatte er zwei – Schafe, nicht Bauernhöfe – und wie ich Papas Pech kenne, nimmt das Mutterschaf die Pille. Eigentlich ist er toll; nächstes Jahr versucht er’s vielleicht als Feuerwehrmann oder Zirkusclown.«

»Was meine Theorie untermauert, dass Eltern, sie mögen noch so liebenswert sein, die wahren Kinder sind.« Ben ließ sich von der Kellnerin mit der Morgenhaube einen Kaffee servieren. Sie umschwänzelte ihn in sattsam bekannter Manier. Zeit, Mr. Haskell daran zu erinnern, dass er im Dienst war. Ich hatte ihn zur Genüge mit spritzigen Einzelheiten aus meiner Familiengeschichte – ausgenommen Vanessa – versorgt, jetzt war Bentley T. Haskell dran.

₺291,45

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
371 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549929
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre