Kitabı oku: «Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation», sayfa 2

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Kurzer historischer Überblick

Der Begründer der buddhistischen Lehren, der historische Buddha, lebte etwa im 5. Jahrhundert v. Chr. Geboren als erster Sohn eines Fürsten, wuchs er unter dem bürgerlichen Namen Siddharta an einem adligen Hof in der nordindischen Stadt Kapilavastu auf, im heutigen Nepal. Die einzelnen Stationen seines Suchens und Findens werden wir im Hauptteil dieses Buches näher beleuchten. Der spätere Buddha (wörtlich: »der Erwachte«) entwickelte im Laufe seiner intensiven und kurvenreichen Suche nach einem Ausweg aus dem Leiden schließlich eine Meditationspraxis, mit der er zur Erleuchtung fand. Der Sage nach war dies Vipassana. Die Technik wurde zur zentralen Praxis des Theravāda-Buddhismus (auf Pali, der Sprache des Buddha: »Die Lehre der Ältesten«). Theravāda gilt als die älteste und ursprünglichste Linie des Buddhismus, heute vorwiegend praktiziert in Sri Lanka, Myanmar, Thailand und Kambodscha.

An dieser Stelle ein kleiner Vorgriff, für Kenner der Materie: Theravāda wird von manchen anderen buddhistischen Traditionen auch »Hinayāna«, »das kleine Fahrzeug«, genannt, um zu betonen, dass hier die Erleuchtung des Einzelnen und nicht das Glück aller Wesen im Vordergrund steht. Diese Fremdeinschätzung beruht allerdings auf einem Missverständnis der Lehre. Im Theravāda geht es zwar in erster Linie darum, den Geist zu beruhigen und zu reinigen, mit dem Ziel, einen Ausweg aus dem Leiden zu finden. Das geschieht jedoch, wie wir im letzten Kapitel sehen werden, mit dem Ziel, sich auf dieser Basis wieder der Welt öffnen zu können. Zunächst kann man sich merken, dass im Theravāda die Entwicklung von Konzentration und Selbsterkenntnis im Vordergrund steht. Der auf diese Weise geläuterte Geist verändert sich; er wird mit der Zeit immer stärker von einer mitfühlenden, liebevollen und gleichmütigen Haltung gleichsam durchflutet. Wer stetig und ausdauernd meditiert, der verändert auf Dauer nicht nur sein Verhalten, sondern schlussendlich auch seinen Charakter – dieser Prozess stellt sich von allein ein, die Sekundärtugenden folgen auf dem Fuße. Vor die großartigen Früchte der Meditation hat der »liebe Gott« jedoch den Schweiß gesetzt: Ohne gewissenhafte Arbeit an sich selbst passiert hier gar nichts.

Die Traditionslinien Mahāyāna und Vajrayāna spalteten sich erst etwa 500 Jahre später ab,* als der Buddhismus sich über ganz Asien verbreitete. Mahāyāna, auch das »Große Fahrzeug« genannt, erreichte über die Seidenstraße Zentral- und Ostasien. Hier ist die Didaktik anders gelagert, Ausgangspunkt der meditativen Schulung ist explizit und von vornherein die Entwicklung von tatkräftiger Liebe und Mitgefühl. Die Richtungen des Mahāyāna sind heute vorwiegend in Vietnam, Japan, Tibet, Bhutan, Taiwan, der Volksrepublik China und Korea vertreten. Auch der im Westen sehr beliebte Zen-Buddhismus entspringt dieser Linie – allerdings rückt hier eher wieder die Selbsterkenntnis in den Mittelpunkt.

Vajrayāna, auch »Diamantfahrzeug« genannt, hat sich besonders in Tibet und im südostasiatischen Raum verbreitet, in Bhutan ist diese Linie des Buddhismus Staatsreligion. Im Westen ist sie vor allem durch den Dalai Lama und den 16. Karmapa, den Linienhalter der Karma-Kagyü-Schule, bekannt geworden.

Keine dieser Traditionen erhebt den Anspruch, der wahre Buddhismus zu sein; sie bestehen nebeneinander. Es gibt innerhalb der vielfältigen, sich auf den historischen Buddha berufenden Bewegungen keine zentrale Autorität oder Lehrinstanz, die entscheidet, was die wahre Lehre ist. Alle Linien beziehen sich auf Schriften, die die Lehre des Buddha überliefern, und das in den verschiedensten Formen. Es handelt sich eher um unterschiedliche Ausprägungen verschiedener Aspekte dieser Lehre, die sich im Laufe der Zeit mit jeweils regional unterschiedlichen lokalen Traditionen und Glaubenssystemen vermischten. Was wir heute im Westen als »Buddhismus« antreffen, hat ebenso bereits einen Veränderungsprozess durchlaufen und sich unserem christlich-säkularen Selbstverständnis, der Ideengeschichte, die unser Denken und Fühlen prägt, unauffällig angepasst.

Vipassana ist eine von vielen Formen, in denen das Phänomen Meditation in den Westen gefunden hat. Die Technik legt Wert darauf, keinen »-ismus« vor sich herzutragen, sie will explizit keine Religion sein und richtet sich an Angehörige aller Kulturen und Religionen, an Männer wie Frauen. Viele Textstellen legen nahe, dass auch der Buddha selbst zu seinen Lebzeiten diese Haltung lebte und lehrte. So wird von vielen Anhängern berichtet, die ein weltliches Leben führten, also ihrem Beruf nachgingen und für ihre Familie sorgten und dennoch tief in die Meditationspraxis eintauchten. Siddharta Gotama war überdies Feminist: Er unterrichtete auch Frauen, womit er die damalige patriarchale Kultur ordentlich vor den Kopf gestoßen haben dürfte. Doch die neue buddhistische Idee traf auf ein traditionelles Asien. Im Laufe der Jahrhunderte vermischte sich die Lehre mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen. Sie passte sich einer hinduistisch geprägten, streng patriarchalen und nach Kasten getrennten Ordnung an, in der das Priestertum eine herausragende Rolle spielte und Frauen wieder zurückgedrängt wurden.5

Das große Ziel der Erleuchtung, zentral für die Lehre des Buddhas, wurde zu etwas, das im Leben der kleinen Leute nicht vorkam. Wer meditieren lernen wollte, musste ins Kloster gehen. Die große Befreiung – wenn überhaupt6 – blieb den Mönchen vorbehalten, die sich in Orden organisierten, von allen weltlichen Aufgaben befreit waren und ihr Leben der Introspektion und Meditation widmeten. Der »Buddhismus« der Mönche sah und sieht noch heute völlig anders aus als der der großen Masse der Gläubigen. Mönche widmen sich der Meditation, für ihren Lebensunterhalt sind sie auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. Im Gegenzug übernehmen sie ihrerseits eine spirituell ordnende Funktion in der Gesellschaft. Sie führen Rituale aus und übernehmen seelsorgerische Tätigkeiten für die Allgemeinheit. Das einfache Volk hingegen befolgt Riten und Gebräuche. Ähnlich wie in der christlichen Tradition war es lange ausschließlich der Klerus, der Zugang zu Texten der Lehre hatte und darauf seine Autorität begründete. Die Mönche hielten ihr Wissen lange Zeit vor Laien, Frauen und in späteren Jahrhunderten auch vor Menschen aus dem Westen verborgen. Vipassana sollte nur an diejenigen weitergegeben werden, die jahrelang durch Meditation ihren Geist geschult hatten. So blieb die Praxis lange Zeit einer kleinen Elite von Männern vorbehalten, die in Klöstern, Höhlen und Wäldern lebte.

Indien, die Heimat des Buddha, ist heute kein buddhistisches Land. Die größte Ausdehnung hatte der Buddhismus unter König Ashoka, der im 3. Jahrhundert v. Chr. diese Philosophie bis weit über die Grenzen Indiens hinaus verbreitete. Erst im 12. Jahrhundert wurde die Lehre des Buddha durch den Hinduismus und später auch den Islam verdrängt. Während letztere heute die prägenden Religionen des Subkontinents sind, geriet Vipassana im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit. In einigen südostasiatischen Ländern, insbesondere in Myanmar, wurde die Technik jedoch unauffällig gehütet. In dem Bestreben, sie möglichst rein und unverändert zu erhalten, wurde die Praxis nur von Mönch zu Mönch, von Lehrer zu Schüler, weitergegeben. Unterweisung in Vipassana zu bekommen, war eine Auszeichnung. Bis heute ist der dankbare Rückbezug auf die Lehrer, auf deren Schultern alle heutigen Meditierenden gewissermaßen stehen, ein Charakteristikum der Vipassana-Bewegung. Auch deshalb soll die Geschichte der modernen Vipassana-Tradition an dieser Stelle den Raum bekommen, den sie verdient. Ohne all die vielen mutigen und inspirierenden Schritte derer, die vorangegangen sind, wäre es heute im Westen nicht möglich, diese Technik zu erlernen.

Es ist eine alte Prophezeiung überliefert: 2500 Jahre nach der Erleuchtung des Buddha sollte Vipassana von Myanmar aus zurück nach Indien finden und von dort aus in die ganze Welt. Prinzessin Vipassana fiel also in einen jahrhundertelangen Dornröschenschlaf. Als sie wieder erwachte, fand sie eine Welt vor, die sich grundlegend verändert hatte.

Vipassana für Laien – ein Ergebnis der Befreiung aus der Kolonialherrschaft?

Damit die Vipassana-Tradition, wie wir sie heute im Westen kennen, entstehen konnte, mussten zwei historische Strömungen zusammenfinden. Zum einen der sogenannte buddhistische Modernismus, eine im Kern politische Bewegung. In den vorwiegend britisch besetzten Gebieten des heutigen Indien und Myanmar formierte sich eine gebildete Mittelschicht, die die Kolonialherren abzuschütteln versuchte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte sie den Buddhismus als eine Art Reformreligion. Es ging dabei weniger um spirituellen Gehalt als um ein ethnien- und schichtenübergreifendes kulturelles Erbe. Das damalige Burma oder Birma, heute Myanmar genannt, seit 1886 als indische Provinz von den Briten besetzt, war ein gespaltenes Land: Die Besatzungsmacht hatte das buddhistische Königshaus zerschlagen, etliche ethnische Gruppen bekämpften einander; Mönche und Laien verfolgten unterschiedliche Ziele.7 Der Mönch und Gelehrte Ven Ledi Sayadaw (»Ven« steht für »ehrwürdiger Lehrer«), geboren 1846, gehörte einer Reformbewegung an, die die zerrissene Zivilgesellschaft vereinen wollte, um gegen die Kolonialmacht anzugehen. Buddhistische Meditation war etwas, worauf sich Laien und Mönche sowie die wirtschaftliche und die politische Elite des Landes gut einigen konnten. Hier kommt eine zweite Strömung ins Spiel, in der die Praxis die primäre Rolle spielt: Der Mönch und Gelehrte Ledi Sayadaw erinnerte sich an die alte Prophezeiung, entsprechend der die buddhistischen Lehren 2500 Jahre nach Buddhas Tod erneut in der Welt Fuß fassen würden. Er war der Erste, der völlig neue Wege beschritt, indem er zum ersten Mal die Vipassana-Technik an Laien weitergab – und ihnen wiederum auftrug, ihr Wissen weiterzugeben. »Meditiert, als ob eure Köpfe Feuer fingen«, wies er seine Adepten an.8 Er vertrat eine Linie von spirituellen Lehrern, denen es darum ging, den wahren Gehalt der buddhistischen Lehren zu demokratisieren. Dhamma, die Lehre Buddhas, sollte nicht länger einer kleinen Elite vorbehalten sein. Seine Schüler, unter ihnen zum Beispiel auch der burmesische Meister Pa Auk Sayadaw, verbreiteten Vipassana in Burma und darüber hinaus. An dieser Stelle verzweigte sich die Bewegung, was bis heute sichtbar ist: Es gibt verschiedene Vipassana-Schulen, die die Technik in leicht variierter Form weitergeben. So wird zum Beispiel die Konzentration auf den Atem unterschiedlich gelehrt, es wird unterschiedlich viel Zeit auf das Vertiefen der Konzentration verwandt und auf die vier »Säulen der Achtsamkeit«. Dies sind: Betrachtung des Körpers, der Empfindungen, des Geistes und der mentalen Inhalte. Auch werden nicht alle Kurse kostenlos angeboten. Wenn im Laufe dieses Buches Bezug auf die Technik und auf die Organisation der Kurse genommen wird, dann ist stets die Schule nach S. N. Goenka gemeint.

Der erste Laienlehrer im großen Stil war Saya Thetgyi, ein Schüler Ledi Sayadaws. Ab 1914 unterrichtete er erstmals Feldarbeiter, später immer mehr Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die zu ihm pilgerten, um sich unterweisen zu lassen. 1937 begann Sayagyi U Ba Khin, der spätere oberste Buchhalter von Burma, zu meditieren. Der hohe Regierungsbeamte, berühmt-berüchtigt für seine Effizienz und den Kampf gegen Korruption in den burmesischen Behörden, begann schon bald seine Mitarbeiter selbst zu unterrichten. 1952 gründete er in der Hauptstadt Rangun das erste kleine Vipassana-Zentrum, wo er schon bald burmesische und auch westliche Schüler unterrichtete. Er gilt als Erfinder des Formats des bis heute gängigen Zehntageskurses.

Bevor Vipassana heim nach Indien finden konnte, musste noch S. N. Goenka auf den Plan treten. Er war bereits kein mönchisch geprägter Buddhist mehr, sondern brachte einen ganz anderen Hintergrund mit: Satya Narayan Goenka, der Begründer der gleichnamigen Vipassana-Bewegung, wurde 1924 im burmesischen Mandalay geboren, als Kind indischer Eltern. Der gläubige Hindu wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann, den allerdings heftige Migräneattacken plagten. Jeder Mensch, der einmal chronische Schmerzen erlebt hat, kennt die verzweifelte Suche nach Heilung, das Pilgern von Arzt zu Arzt, das auch Goenka hinter sich bringen musste. Schließlich kam er auf Empfehlung eines Freundes zu Sayagyi U Ba Khin. Als Goenka den Lehrer um Hilfe bat, soll dieser ihn zunächst wieder weggeschickt haben – er weigerte sich, die Technik nur als Mittel zum Zweck weiterzugeben. Goenka konnte ihn offenbar überzeugen, im Jahr 1955 absolvierte er seinen ersten Kurs. 1969 zog er zusammen mit seiner Frau nach Indien und begann dort, Kurse in Vipassana zu erteilen. Das »Rad der Lehre« begann nun, sich deutlich schneller zu drehen. 1976 eröffnete er das erste offizielle Vipassana Meditationszentrum in Igatpuri, nördlich von Mumbai.

Interkultureller Austausch – Vipassana goes West

Nicht nur in Indien und Burma braute sich in Sachen Meditation etwas zusammen. Auch in Europa und Asien bahnten sich geistige und soziale Strömungen an, die später auf das in Indien bereitete Feld treffen sollten. Bereits um 1900 gab es im Westen eine frühe Welle der Faszination für östliches Gedankengut. Die Theosophen und später die Anthroposophen ließen sich von Motiven wie Wiedergeburt und Erleuchtung inspirieren, interessierten sich für Magisches und Okkultes und bauten die entsprechenden Funde in ihre Weltanschauungen ein. Das Interesse galt vorwiegend den alten Schriften, nur eine Handvoll Theosophen widmete sich auch der praktischen Seite von Meditation.9 Zahlenmäßig waren diese Avantgardisten eine Randerscheinung, sie bereiteten jedoch den geistigen Boden für einen späteren Boom.

In den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die Hippies nach Indien, und das in Scharen. Das Land war für Westler war zwar weit entfernt, aber doch gut zugänglich: Die Kolonialisierung hatte ein gut funktionierendes Eisenbahnnetz und Englisch als Amtssprache hinterlassen; die Mönche waren es inzwischen gewohnt, auch mit Laien zu sprechen. Die 68er-Bewegung suchte nach Alternativen zu den verkrusteten, autoritären Strukturen, die ihre Elternhäuser geprägt hatten; der indische Subkontinent wurde ihr Selbsterfahrungslabor. Sich mit Buddhismus und Meditation zu beschäftigen, wurde hip: Die Beatles lernten Transzendentale Meditation, Osho gründete seinen berühmten Ashram in Puna, ein wahrer Exodus gen Osten setzte ein. Dieser war so deutlich, dass indische Bauern sich zu wundern begannen. Ob in Europa und den USA eine Dürre herrschte? – Ja, es war eine wohl eine Dürre. Aber eine von anderer, von spiritueller Art.10 Immer mehr dieser jungen Reisenden stießen auch auf die Angebote von S. N. Goenka. Seine Kurse hatten den Ruf, relativ unesoterisch zu sein, frei von Gebeten, Symbolen und Ritualen – das war besonders für Menschen mit akademischer Vorprägung attraktiv. Schon bald bildete sich eine ganze Community von vorwiegend amerikanischen Meditierenden, die im Umfeld des heutigen Lehrzentrums Dhammagiri, etwa 120 Kilometer von Mumbai, wohnten und arbeiteten und sich jahrelang in Meditation ausbildeten. Viele von ihnen kehrten später zurück in ihre Heimat und machten dort Karrieren, die es ihnen ermöglichten, Meditation in die Institutionen zu tragen. Einige wurden prominent: Die Philosophen Joseph Goldstein und Sharon Salzberg zum Beispiel sind heute bekannte Zen-Meditationslehrer, der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn entwickelte die MBSR-Methode, der Psychologe Daniel Goleman wurde in den 1990er-Jahren mit seinem Buch Emotionale Intelligenz weltbekannt – und das ist nur eine kleine, willkürliche Auswahl. 1975 wurde im US-Bundesstaat Massachusetts die Insight Meditation Society gegründet, das erste Meditationszentrum im Westen. Viele östliche Lehrer reisten in dieser Zeit durch die Welt, um zu unterrichten, so auch S. N. Goenka. Er steckte all seine Unternehmerfähigkeiten in seine Mission, leitete hunderte von Meditationskursen in Asien, Europa und den USA und schreckte nicht davor zurück, gemeinsam mit seiner Frau monatelang im Wohnmobil durch die USA zu touren.

Was heute ausgesprochen gut organisiert daherkommt, begann mit improvisierten Kursen in Zeltlagern und Jugendherbergen. Der erste zehntägige Vipassana-Kurs in Deutschland wurde 1983 in Eschwege bei Kassel durchgeführt. In den 1990er-Jahren fand die wachsende deutsche Vipassana-Gemeinde Heimat in Bad Herrenalb im Nordschwarzwald. Im Jahr 2002 wurde das Zentrum Dhamma Dvara im sächsischen Vogtland eingeweiht. Heute finden in diesem Zentrum und in angemieteten Herbergen und Seminarzentren deutschlandweit mehr als 30 Kurse pro Jahr statt, zählt man den gesamten deutschen Sprachraum sowie deutsche Kurse in Polen und Belgien mit, sind es über 50. Es sind Angebote, an denen niemand auch nur einen Cent verdient.

Viele östliche Schulen, die ihren Weg in den Westen fanden, machten sich von ihren ursprünglichen Lehrern schon bald unabhängig. Im Unterschied dazu hat die Linie nach S. N. Goenka das Erbe des Lehrers sorgfältig bewahrt. Die Tradition legt Wert darauf, Goenkas Didaktik nicht zu verändern. Noch immer werden in den Kursen Audio- und Videotapes abgespielt, die Goenka in den 1990er-Jahren zeigen. Der Aktualität tut dies bislang keinen Abbruch. Die Aufnahmen ermöglichen es, Kurse überall auf der Welt in gleicher Weise abhalten zu können. Die Rolle des Lehrers ist daher in dieser Tradition eine sehr bescheidene. Wer nach einem Guru sucht, wird hier enttäuscht. S. N. Goenka starb im Jahr 2013, er benannte keinen Nachfolger. Sein Erbe ist eine echte Erfolgsstory: Aus einer vergessenen Tradition machte er einen Exportschlager, eine zeitgemäße Laienbewegung, die jedes Jahr aufs Neue mehr Menschen erreicht und deren Leben sie positiv verändert.

1.3Meditation wirkt. Das Allheilmittel des 21. Jahrhunderts?

Auch im Westen hat das Phänomen Meditation in wenigen Jahren eine Entwicklung hingelegt, die ihresgleichen sucht. Noch vor wenigen Jahren eine Randerscheinung, die mit Räucherstäbchen und Guru-Hörigkeit assoziiert wurde, ist das Schlagwort »Meditation« heute eines, mit dem sich unterschiedlichste Produkte und Therapieangebote verkaufen lassen. Meditation, häufig »Achtsamkeit« genannt, wird vom Arzt verschrieben und ist aus Frauenzeitschriften, Manager-Ratgebern und App-Stores nicht mehr wegzudenken. Dasselbe gilt für die Forschung: Was Mitte der 1970er-Jahre mit einzelnen Studien begann, meist durchgeführt von Forschern, die selbst meditierten, hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem Boom ausgewachsen, der die verschiedensten Disziplinen erobert hat. Die Hirnforscher und Psychologen Richard J. Davidson und Daniel Goleman gehörten zu den ersten, die meditierende Probanden verkabelten und alles prüften, was sie finden konnten. Sie hatten – übrigens bei Vipassana-Kursen in Indien, geleitet von S. N. Goenka persönlich – das faszinierende Potenzial von Meditation am eigenen Leib erlebt und wollten den wissenschaftlichen Beweis erbringen, dass Meditation wirkt. In den frühen 1970ern gab es noch keine funktionellen Magnetresonanztomografien (fMRTs) und keine Elektroenzephalogramme (EEGs). Goleman untersuchte in seinen ersten Studien Herz- und Atemfrequenz sowie Schweißreaktionen der Probanden. Diese frühen Studien und ihre vielversprechenden Ergebnisse waren Ausgangspunkte für eine Vielzahl neuer Fragen und Pionierschritte einer Forschungsrichtung, die seit den 2000er-Jahren exponentiell wächst. Im Jahr 2020 erschienen allein im englischsprachigen Raum mehr als 10 000 Veröffentlichungen zum Thema.* Die Doktoranden von damals sind heute gefeierte Bestsellerautoren, ihr Forschungsfeld ist heute als »Kontemplative Neurowissenschaft« bekannt. Davidson wurde für seine Hirnscan-Experimente mit meditierenden Mönchen weltbekannt. Im Jahr 2006 zählte das Time Magazine11 ihn zu den 100 einflussreichsten Menschen der Erde.

Was bewirkt Meditation? – Jede Menge, suggerieren Medien und Onlinekurse, und immer genau das, was man gerade braucht. Meditation ist gut für und gegen alles, so die landläufige Botschaft. Der Dalai Lama, befragt nach dem Potenzial von Meditation für die Gesundheit, federte die übermäßige Erwartung mit dem für ihn typischen Humor allerdings doch ein wenig ab: »Wenn Meditation für alle Gesundheitsprobleme gleichermaßen gut wäre, dann hätte ich keine Schmerzen im Knie.«12

Wer genauer hinschaut, stellt schnell fest: Die Studienlage ist unübersichtlich, es mangelt an Vergleichbarkeit und Kontrollgruppen.13 Randomisierte Doppelblindstudien durchzuführen, also den Goldstandard naturwissenschaftlicher Forschung einzuhalten, ist in diesem Feld herausfordernd bis unmöglich. Häufig werden Studien zum Thema Meditation von Forschern durchgeführt, die selbst meditieren – ihnen kann man leicht vorwerfen, dass sie geneigt sind, zu den Ergebnissen zu kommen, die sie für richtig halten. In anderen Fällen haben nichtmeditierende Studienleiter so wenig Ahnung von der Materie, die sie untersuchen, dass sie nicht wirklich in der Lage sind, die Ergebnisse gewinnbringend auszuwerten. Die Studienteilnehmer repräsentieren in den meisten Fällen eine Minderheit: Sie sind überwiegend weiß, gut ausgebildet, ökonomisch abgesichert und stammen aus industrialisierten, demokratischen Kulturen.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass selbst die Koryphäen Goleman und Davidson im Jahr 2018 zu dem Schluss kamen: »Angesichts des Hypes um Meditation als gesundheitsförderndes Mittel waren wir überrascht, wie wenig wir eigentlich sicher sagen können.«14

Sicher ist, dass regelmäßige Meditation Struktur und Aktivität des Gehirns verändert, und das teilweise schon nach relativ kurzer Zeit. Meditation hat positive Effekte auf eine ganze Reihe körperlicher Symptome. Dieses Kapitel ist der Versuch, einen Überblick zu schaffen und zusammenzutragen, was derzeit gesichert scheint.