Kitabı oku: «Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation», sayfa 3

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Meditation – ist das nicht MBSR? Ein Missverständnis

Die am besten erforschte Form der Meditation ist »Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion« (Mindfulness-Based Stress Reduction), bekannt unter dem Kürzel »MBSR«. Genau genommen handelt es sich bei dieser Meditationsform um eine Kombination mehrerer Meditations- oder Achtsamkeitstechniken, entwickelt vom US-Amerikaner Jon Kabat-Zinn in den späten 1970er-Jahren. Sein Ziel war es, Patienten mit unheilbaren oder chronischen Krankheiten dabei zu helfen, ihr Leiden an der Krankheit zu mindern. Die Methode kombiniert Elemente achtsamkeitsbasierter Techniken, die sich aus den Traditionen des Vipassana, Zen und Yoga speisen: Meditation auf den Atem, eine spezielle Art des Bodyscans sowie achtsamen Umgang mit Gefühlen und Gedanken.15 Kabat-Zinn entwickelte aus diesen Bestandteilen ein Acht-Wochen-Programm, das heute in Kliniken auf der ganzen Welt gelehrt wird. In Deutschland übernehmen seit einigen Jahren gesetzliche Krankenkassen einen Teil der Kurskosten – indiziert bei chronischen Schmerzzuständen, häufigen Infektionskrankheiten, Ängsten oder Panikattacken, Depressionen, Hauterkrankungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Migräne, Magenproblemen und Burn-out. Selbst das US-Militär nutzt MBSR-Programme, um Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu unterstützen.

Studien zeigten, dass Teilnehmer nach acht Wochen MBSR-Training sich besser konzentrieren und Ablenkungen ausblenden können und dass sie körperliche Empfindungen besser wahrnehmen. Am deutlichsten ist die Wirkung auf das Stressempfinden: Nach dreißig Stunden Training, verteilt über acht Wochen, zeigt die Amygdala, ein Knotenpunkt in der Stressverarbeitung des Gehirns, geringere Aktivität.16 Dieser Fund macht MBSR für unsere Zeit besonders interessant. Denn »Stress« ist nicht nur ein individuell empfundenes Gefühl des Überwältigtseins in einer Welt zwischen Pandemie, Homeoffice, Klimawandel und Twitter-Account – selbst die WHO hat Stress zur »Epidemie des 21. Jahrhunderts« erklärt. Nicht umsonst haben Achtsamkeitstrainings Einzug in die Welt der Großkonzerne gehalten. Google zum Beispiel hat ein an MBSR orientiertes Programm aufgelegt und geht mit missionarischem Eifer vor, um es nicht nur im Unternehmen, sondern auch an Schulen weltweit zu verbreiten.

Ist das der vielbeschworene Siegeszug von Meditation? – Jein. Einerseits ist es wunderbar, dass durch die weite Verbreitung von MBSR Achtsamkeitstechniken in gesellschaftliche Schichten vordringen und dort Menschen erreichen, die noch vor wenigen Jahren sonst niemals dazu gefunden hätten. Gefängniskurse, Rehakliniken, Talkshows, Smartphone-Apps – der Zugang zu Meditation wird immer weniger elitär. Andererseits: Zwischen Heilung und Selbstoptimierung liegt ein schmaler, aber existenzieller Grat. In spirituellen Kreisen gibt es aus gutem Grunde die Befürchtung, dass etwas Wesentliches verloren geht, wenn Meditations- und Achtsamkeitstechniken zum Zwecke der Selbstoptimierung eingesetzt werden. Wenn stressgeplagte Individuen sich Zugang zu diesen alten Lehren erkaufen und sich dann ihrer bedienen, um sich für einen entfesselten Neoliberalismus fit zu machen – läuft dann etwas schief? Das Geschäft mit der Achtsamkeit brachte es, so das Time Magazine, im Jahr 2018 allein in den USA auf einen Umfang von 1,1 Milliarden Dollar.17

Die Vipassana-Tradition nach Goenka distanziert sich von MBSR. Sie legt Wert darauf, für das Vermitteln der Technik einen Raum zu schaffen, der frei von den Gesetzen der Marktwirtschaft und der hiermit einhergehenden Verwertungslogik ist, wie wir in Kapitel 3.2 sehen werden. Vipassana ist damit etwas grundlegend anderes als eine Technik oder therapeutische Dienstleistung. Es ist ein Geschenk, das andere einem gewähren, es wird aus einer Haltung des Mitgefühls gegeben und führt im Idealfall dazu, dass in den Beschenkten der Wunsch entsteht, ihrerseits dieses Geschenk weitergeben zu wollen. Vipassana ist nicht denkbar ohne Dankbarkeit und Freigiebigkeit.

(Vipassana-)Meditation und MBSR gleichzusetzen, ist also gleich aus zwei Gründen problematisch. Einerseits stehen in der Praxis unterschiedliche Werte hinter den beiden Techniken. Andererseits ignoriert die Forschung zu MBSR meist den Umstand, dass diese Methode aus einem Mix an Techniken besteht, deren einzelne Bestandteile in ihren Effekten bei der Auswertung durcheinandergeraten. Wer sich für die Effekte von Vipassana interessiert, kann sich an den Ergebnissen dennoch zumindest mit Blick auf die psychophysiologischen Effekte ein wenig orientieren: MBSR beinhaltet zwei wesentliche Aspekte, die auch in die Vipassana-Meditation einfließen: Atemmeditation und Bodyscan.

Die Studienlage, die sich ausschließlich mit Vipassana und den Effekten speziell dieser Meditationstechnik beschäftigt, ist bedauerlicherweise sehr dünn. Interessant ist eine Längsstudie, die die Wirkung eines Zehntageskurses untersucht, der in einem US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis durchgeführt wurde.18 Im Hinblick auf emotionale Intelligenz, Impulskontrolle und ein besseres Selbstgefühl der Teilnehmer wurden hier erstaunliche Ergebnisse erzielt. Leider ist die Studie – stellvertretend für viele andere – sehr klein und ohne Kontrollgruppe, es fehlt schlicht an Geldern und Möglichkeiten.

Von Äpfeln und Birnen. Meditation ist nicht gleich Meditation

Bis vor wenigen Jahren hat die kontemplative Forschung kaum berücksichtigt, welche Methoden auf ihre Effekte hin untersucht wurden. Im Grunde ist das absurd. Nehmen wir das Forschungsfeld »Sport«: Niemand käme auf die Idee, die Trainingseffekte von Fußball mit denen von Eiskunstlauf oder Boxen zu vergleichen. In Sachen Meditation wurden lange die unterschiedlichsten Techniken über einen Kamm geschoren, ohne sich bewusst zu machen, dass es wenig aussagekräftig ist, Studien zu Zen mit solchen zu Yoga, zu geführten Meditationen oder zu Achtsamkeitstechniken auf den Atem zu vergleichen. Über Jahrzehnte hinweg wurden (und werden) also Äpfel mit Birnen verglichen und daraus Schlüsse gezogen. Was Meditierende seit Jahrtausenden wissen, musste die Forschung erst entdecken: Aufmerksamkeit und mentale Aktivität haben viele Formen und Aspekte. Folglich wirken sich unterschiedliche Meditationsformen auch in unterschiedlicher Weise aus – nicht nur auf den Geist, sondern auch auf den Körper. Der Trainingseffekt ist schlicht ein anderer. Eigentlich ist das eine Binse, es hat schließlich noch niemand Klettern geübt und dadurch Fahrradfahren gelernt.

Erst in neuerer Zeit rückt eine Frage in den Vordergrund, die sich Menschen, die selbst meditieren, vermutlich schon lange stellen oder auch längst selbst beantwortet haben: Inwiefern unterscheiden sich die unterschiedlichen Formen und Techniken von Meditation in ihrer Wirkung? Welchen »Trainingsplan« sollte ich mir aufstellen, wenn ich was erreichen möchte? Goleman und Davidson sind sich sicher: »Jede Variation von Meditation hat ihr eigenes neurologisches Profil.«19

Tania Singer, bis 2018 Leiterin der Forschungsgruppe »Soziale Neurowissenschaften« am Leipziger Max-Planck-Institut, hat sich dieser Frage zugewandt. Sie untersucht zum Beispiel seit 2013 in einer groß angelegten Studie, wie sich speziell Mettā-Meditation, die als Teil von Vipassana gelehrt wird, auf Körper und Geist auswirkt. Dazu mehr in Kapitel 3.2. Es ist eine großangelegte Langzeitstudie über die Effekte mentalen Trainings auf Geist, Gehirn, Verhalten und Gesundheit, eine Suche nach der »Signatur des Mitgefühls«.20 Singer und ihr Team machten dabei eine erstaunliche Entdeckung: Stress, der durch Empathie, also durch Mitfühlen von Angst und Schmerz entsteht, kann durch liebevolles Mitgefühl überlagert werden – das ist trainierbar. Diese Ergebnisse sind hochinteressant für Fragen der Burn-out-Behandlung und Resilienzforschung.

»Gut fürs Gehirn«. Positive Effekte von Meditation

Trotz aller oben genannten Einschränkungen, was die wissenschaftliche Qualität und Übertragbarkeit mancher Studien angeht: Die Empirie spricht für sich. Die Liste der Probleme und Zipperlein, die den typischen Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts plagen und bei denen Meditation von Nutzen sein kann, ist lang. Wir orientieren uns hier an Goleman und Davidson, den beiden Silberrücken der Meditationsforschung, die den Versuch unternommen haben, die Ergebnisse aus fünf Forschungsjahrzehnten zu überprüfen und zu gewichten.

Beginnen wir mit unserem Gehirn und damit, wie wir es nutzen wollen. Die Geißel des digitalen Zeitalters heißt »Multitasking«. Konzentration, voller Fokus auf eine Aufgabe, wird mehr und mehr ein Luxusgut; permanente Ablenkung durch Push-Nachrichten, eintrudelnde E-Mails und Handy-Anrufe sind die Realität. Unser Gehirn aber kann gar nicht »multitasken«, es ist schlicht nicht in der Lage, parallel zwei Prozesse durchführen. Stattdessen schaltet es schnell zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin und her. Nach jedem Umschalten ist die Konzentration stark herabgesetzt, oft dauert es mehrere Minuten, bis sie wieder auf dem Level ankommt, wo wir unterbrochen wurden. Das Dumme daran: Dieser Effekt ist selbstverstärkend. Je mehr wir »multitasken«, desto ablenkbarer werden wir. Das geht einher mit schlechterer Konzentration – und, Obacht: mit weniger Empathie. Notorische »Multitasker« »verflachen« regelrecht, stumpfen ab.21 Auch ein schlechtes Gedächtnis ist die Folge – denn was wir nicht aufmerksam wahrnehmen, wird als Datensatz im Gehirn gar nicht erst registriert. Die gute Nachricht: Bereits mit wenig Aufwand lassen sich diese Schäden wiedergutmachen. Schon nach acht Minuten Achtsamkeitstraining wandert der Geist weniger, sind Probanden weniger ablenkbar. Nach zehn Stunden Training über zwei Wochen hinweg verbessert sich nicht nur die Konzentration, sondern auch das Kurzzeitgedächtnis.22

Von der positiven Wirkung auf die Stressverarbeitung war bereits die Rede. Kurzzeitgedächtnis und Fokus verschlechtern sich bei Stress, dementsprechend profitieren beide von einem besseren Umgang mit dem, was uns stresst. Aber auch auf die allgemeine Gesundheit wirkt sich Stress aus – jedenfalls dann, wenn er chronisch wird. Das ist unter den Umständen, in denen wir heute leben, vergleichsweise oft der Fall. Die Neurobiologie unserer Stressantwort stammt noch aus der Zeit, als eine Angstreaktion angesichts eines Säbelzahntigers eine sinnvolle Sache war. Stress durch einen Säbelzahntiger geht schnell vorbei, auf die eine oder andere Weise. Heute ist es eher der Kontostand oder der nahende Abgabetermin, der uns in Panik versetzt. Die Stressreaktion ist dieselbe wie damals und auch das dazugehörige Empfinden dürfte sehr ähnlich sein. Der Unterschied ist, dass das Problem mit dem Konto oder der Chefin sich nicht so schnell lösen lässt, und Stressreaktionen, die andauern, machen krank. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) oder Burn-out zeigen, wo das im Extrem hinführt: Ihre Gehirne sind nicht mehr in der Lage, die Stressreaktion wieder herunterzuregeln – Meditation kann für sie ein wahrer Segen sein.

Aber auch abgesehen vom Befinden ist chronischer Stress Gift für den Körper. Es ist bekannt, dass Krankheitsbilder wie Bluthochdruck oder Diabetes sich unter Stress verschlimmern. Dauerstress versursacht auch Entzündungen. Ein spektakulärer Fund: Schon dreitägige Achtsamkeitstrainings reduzieren Entzündungswerte – allerdings nur kurzzeitig.23 Je intensiver und länger Menschen meditieren, desto mehr kann dieser Effekt sich verfestigen: Erfahrene Vipassana-Meditierende zeigten nach einem einzigen Tag intensiver Achtsamkeitsmeditation signifikant niedrigere Entzündungswerte.24 Das ist bedeutsam für eine ganze Liste der häufigsten Krankheiten unserer Zeit, von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Arthritis und Diabetes bis hin zu Krebs.

Ein weiteres häufiges Leiden sind chronische Schmerzen in den unterschiedlichsten Formen. Hier sind die Effekte von Achtsamkeitstechniken besonders gut untersucht, wieder in Form von MBSR. Die Methode reduziert nicht den Schmerz selbst, aber – darauf werden wir in späteren Kapiteln noch genauer eingehen – die Beziehung zum Schmerz. Probanden einer Studie, die mit älteren Menschen durchgeführt wurde, berichteten von weniger Belastung und verringerter Einschränkung aufgrund der Schmerzen. Auch Einsamkeit empfanden sie als weniger belastend.25 Medikamente – gerade starke Schmerzmedikamente und Betäubungsmittel, die bei chronischen Schmerzen häufig verschrieben werden – haben häufig unerwünschte Nebenwirkungen und machen süchtig – Meditation nicht. Um achtsam zu sein, braucht es kein Rezept vom Arzt, keine Wartezeiten, keine kostspieligen Behandlungen. Allerdings: Der Schlüssel für die Langzeitwirkung ist die kontinuierliche Praxis. Auch hier ist es wie mit jedem Trainingseffekt: Sobald man aufhört zu meditieren, lässt auch die Wirkung nach.

Schlagzeilen machte in der jüngsten Vergangenheit die Vermutung, Meditieren könne das Altern aufhalten. Studien konnten zeigen, dass Achtsamkeitsmeditation die Aktivität des Enzyms Telomerase erhöht.26 Telomere sind Kappen auf den Enden der DNA-Stränge. Je länger das Telomer, desto länger auch die künftige Lebensspanne der dazugehörigen Zelle. Mit zunehmendem Alter werden die Telomere kürzer. Das Enzym Telomerase verlangsamt diesen Abbaueffekt, es hält quasi die Zelle jung. Je mehr Telomerase, desto besser also für unsere Gesundheit und unser physiologisches Alter.27 Interessanterweise scheint dieser Effekt mit dem Gefühl von größerer Sinnhaftigkeit im Leben einherzugehen28 – und er scheint anzuhalten: Auch fünf Monate später war er noch messbar. Allerdings wurden Probanden vor und nach einem dreimonatigen Vipassana-Retreat untersucht, es handelt sich also um sehr fortgeschrittene Meditierende.

Eine andere Studie untersuchte die Hirnmasse von Langzeitmeditierenden. Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Gehirn mit dem Alter schrumpft. Bei Langzeitmeditierenden im Altern von 50 Jahren fand man Gehirne vor, die im Schnitt 7,5 Jahre jünger waren als die ihrer Altersgenossen. Dieser Effekt scheint dann mit dem Alter immer stärker zu werden: Mit jedem weiteren Jahr erhöht sich dieser Vorsprung um knapp zwei Monate. Richard und Davidson weisen allerdings darauf hin, dass dieser Fund eine Neuauswertung einer vorigen Studie ist, in der Meditierende alle möglichen Formen praktiziert hatten: von Vipassana bis hin zu Kriya- und Kundalini-Yoga.29

Generell gilt: Erste Wirkungen zeigen sich schnell, wer jedoch durchschlagende Veränderungen erreichen will, muss Geduld mitbringen. Je länger und intensiver die Meditationspraxis, desto stärker und anhaltender die Effekte.

Von dieser Regel gibt es interessanterweise eine Ausnahme: Die sogenannte Mettā-Meditation, in der das Gefühl von liebevoller Güte kultiviert wird. Hier treten erste Effekte sehr schnell ein, und dazu noch vergleichsweise heftig. Von den Wirkungen bei Burn-out war zuvor bereits die Rede. Mettā-Meditation ist noch bei einem zweiten Volksleiden angezeigt: bei Depressionen. Es zeigte sich sogar: Je stärker die Depression, desto besser wirkte Mettā-Meditation im Vergleich zu Medikamenten oder auch Elektroschock-Therapie.30 Und das ohne die Nebenwirkungen, die bei Psychopharmaka oft so heftig ausfallen, dass Patienten geneigt sind, sie wieder abzusetzen. Es scheint so zu sein, dass Mettā-Meditation im menschlichen Körper-Geist-System auf den fruchtbaren Boden einer »biologischen Bereitschaft« fällt, ähnlich dem Lernprozess von Kindern, wenn sie sprechen oder laufen lernen. Eine liebevolle Haltung uns selbst und anderen gegenüber scheint in unserem biologischen Bauplan vorgesehen zu sein.31

Die Erkenntnis, dass ein verbessertes Selbstgefühl auch für das soziale Miteinander wichtig ist, veranlasste Daniel Goleman in den 90er-Jahren dazu, das Buch EQ. Emotionale Intelligenz zu schreiben, mit dem er einen globalen Bestseller landete. Selbstwahrnehmung und Empathie, gleichermaßen trainierbar durch Meditation, sind aus seiner Sicht wesentlich für ein erfolgreiches und geglücktes Leben: »Wenn wir nicht auf unsere eigene Erfahrungswelt eingestimmt sind, fällt es uns umso schwerer, uns bei anderen darauf einzustimmen.«32

Dass Meditation wirkt, bestreitet kaum noch jemand. Bei der Frage nach dem Warum wird es schon komplizierter. »Hätte«, »könnte«, »vermutlich« – diese und ähnliche Wendungen tauchen in Studien zum Thema auffallend häufig auf. Dies zeigt vor allem eines: Die Wissenschaft steht in ihrem Verständnis noch am Anfang. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Medizin sich meist dem Entstehen von Krankheit widmet, nur selten der Salutogenese. Die Neurowissenschaft entwirft vor allem Landkarten davon, an welchen Stellen im Gehirn sich Strukturen verändern und wo im Gehirn sich bestimmte Prozesse abspielen. Wie genau sie ablaufen oder gar erlebt werden, kann sie derzeit jedoch nicht darstellen.

Der bunte Strauß neuro- und kognitionswissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist zweifellos faszinierend. Eigentlich ist es jedoch nicht weiter verwunderlich, dass Meditation Spuren im Gehirn hinterlässt. Denn jede Aktivität, alles, was Menschen tun und erleben, geht mit speziellen neuronalen Aktivitäten im Gehirn einher. Ob wir Zwiebeln schneiden, eine SMS tippen, meisterhaft Klavier spielen oder meditieren – alles, was wir regelmäßig tun, denken oder fühlen, bahnt entsprechende Wege in den jeweiligen beteiligten Regionen des Gehirns und macht sie leichter ansteuerbar. Die Wissenschaft nennt diesen Effekt »Neuroplastizität«. Uns allen ist das Phänomen als »Gewohnheit« bekannt: Was einmal gründlich und vor allem regelmäßig eingeübt wurde, ist früher oder später mühelos abrufbar. Es ist natürlich sehr eindrucksvoll, tibetische Mönche in Kernspintomografen zu untersuchen und als Ergebnis Bilder mit bedeutungsvollen bunten Flecken zu zeigen. Tatsächlich liefern solche Aufnahmen der Hirnforschung wertvolle Hinweise. Dass bestimmte Veränderungen und Effekte von Meditation in bildgebenden Verfahren darstellbar sind, ist aber kein Beweis an sich. Vielmehr wird an der Faszination, die von diesen Bildern ausgeht, deutlich, wie wenig wir Menschen des 21. Jahrhunderts, mit all seinen Möglichkeiten, offenbar davon ausgehen, dass wir in die Steuerung unserer geistigen und körperlichen Prozesse willentlich eingreifen können, indem wir unseren Geist trainieren.

All diese Ergebnisse müssen jedoch mit Warnhinweisen versehen werden. Erstens: Meditation schützt nicht vor dem Leben. Auch langjährige Meditationslehrer erleiden Unfälle, erkranken an Krebs, werden dement. Und wir alle sterben. Zweitens: Man kann davon ausgehen, dass die meisten dieser wunderbaren Effekte nicht von Dauer sind. Sobald Bereiche des Gehirns nicht mehr angesteuert werden, baut der Körper sie zurück, frei nach dem Prinzip »use it or lose it«. Im Umkehrschluss heißt das: Wer dauerhaft von den Segnungen der Meditation profitieren will, kommt nicht darum herum, sie auch dauerhaft zu praktizieren. Das bedeutet aber auch: Wer es sich über einen langen Zeitraum hinweg zur Gewohnheit macht, täglich zu meditieren, dem geht diese Gewohnheit und alles, was sie an neurologischen und physiologischen Veränderungen mit sich bringt, buchstäblich in Fleisch und Blut über. Richard Davidson ist sich sicher, dass sich nicht nur Verhaltensweisen, sondern langfristig auch Charakterzüge verändern lassen: »Wenn Sie wenig üben, ändert sich auch nur wenig, aber wenn Sie oft und lange üben, verändern Sie sich sehr.«33 In ihrem Buch The Science of Meditation haben Goleman und Davidson aufgeschlüsselt, welche Effekte von Meditation sich auf welchem Expertise-Level einstellen. Sie sind sich sicher: Die Dosis macht die Wirkung.

Generell lässt sich sagen: Je höher die Anzahl an Stunden, die Menschen meditieren, desto mehr Effekte stellen sich ein. Aber auch die Intensität der in Meditation verbrachten Zeit ist von Bedeutung. Sich zum Meditieren in Kurse und Retreats zurückzuziehen, verstärkt nachweisbar den Effekt der »vermeditierten« Zeit. Das ist nicht weiter verwunderlich: Wer sich von den Ablenkungen des Alltags zurückzieht, dessen Gehirn startet bereits auf einem anderen Niveau, und jede neue Stunde Meditation baut auf den Ergebnissen der vorigen auf. Auch macht es einen Unterschied, ob ein Lehrer zugegen ist, der Fragen beantwortet, orientiert und eventuell individuell zugeschnittene Anleitungen gibt.

Schon ein eintägiger Ganztageskurs hat positive Auswirkungen auf das Immunsystem. Ab etwa 1000 Stunden Meditation scheinen sich die Effekte, die vorher vorübergehender Natur waren, zu verfestigen. Sie werden stabiler und breiten sich gleichsam im Leben aus. Hirn und Hormone zeigen nun dauerhaft verringerte Stressreaktionen, niedrigere Entzündungswerte und Kortisolspiegel. Mettā auf diesem Trainingsniveau führt zu einer verstärkten neuronalen »Verschaltung« für Empathie und dazu, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, nicht nur mitzufühlen, sondern auch tätig zu werden. Was die Aufmerksamkeit angeht, wird es ab diesem Level zum Normalzustand, dass die Gedanken weniger wandern, dass Aufmerksamkeit und Fokus besser gehalten werden. Auch der Atemrhythmus wird nachhaltig langsamer. Ab 27 000 Stunden Lebens-Meditations-Zeit, also im quasi-olympischen Bereich, fanden Goleman und Davidson Gehirne, die sehr schnell und mühelos in tiefe Konzentration eintreten konnten und sich von Stressereignissen weder im Vor- noch im Nachhinein aus der Ruhe bringen ließen. Solche Meditierende der Meisterklasse zeigen im Ruhezustand dieselben Muster an Hirnwellen, wie weniger Geübte bei der Konzentration auf Achtsamkeit oder mettā.

All das ist schrecklich spannend, bleibt aber instrumentell und aus der Dritte-Person-Perspektive recht abstrakt. Was erleben Menschen, die Meditationspraxis dauerhaft zu ihrem Begleiter durchs Leben machen? Wie fühlen, verstehen und reflektieren sie die Veränderung, die in ihnen selbst, und damit auch in ihrem Verhältnis zu ihren Mitmenschen und ihrem Umfeld stattfindet? Handelt es sich um rein subjektives individuelles Erleben, oder gibt es Dinge, die sich verallgemeinern lassen? Lässt sich aus den Erfahrungen von Praktizierenden eine Art Landkarte spiritueller Entwicklung ableiten, die dem Einzelnen in seiner Praxis Orientierung bieten kann? In das persönliche Erleben des jeweiligen Meditierenden geben bildgebende Verfahren leider keinen Einblick. Für dieses Buch verlassen wir uns daher nicht auf Hirnscans – wir schauen Menschen, die Vipassana praktizieren, auf andere Art und Weise in die Köpfe. Wir lassen sie erzählen, befragen die Schriften und ziehen unsere Schlüsse.

* Der Mahāyāna-Buddhismus entwickelte sich in Folge der Lehren von Nāgārjuna und Asaṅga, etwa 500 Jahre nach Buddhas Tod. Der Vajrayāna-Buddhismus ist dann unter Integration von Elementen des indischen Tantrismus im 4. Jahrhundert in Indien entstanden und hat später im tibetischen Lamaismus Fuß fassen können. Siehe zum Überblick etwa Conze 1988.

* Allein in der medizinischen Datenbank PubMed finden sich unter dem Begriff »Meditation« an die 3000 Publikationen in den letzten fünf Jahren. Google Scholar listet für das Jahr 2020 für die Stichworte »Meditation« und »Effects« gar 19 800 Ergebnisse auf.

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