Kitabı oku: «DAS BUCH ANDRAS I», sayfa 6

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II. Der Anschlag in der Villa

Kapitel 1

Eine dreiviertel Stunde später – es war mittlerweile schon nach vier Uhr nachmittags – stand ich frisch geduscht und angezogen vor dem Haus meiner Eltern, starrte an der Fassade der Villa im Jugendstil empor und ließ den Anblick auf mich wirken. Ich ahnte den fragenden Blick der Männer, die mich umstanden, mehr, als dass ich ihn sehen konnte, und beantwortete ihre unausgesprochene Frage, ob mir irgendetwas daran vertraut erschien, mit einem entschlossenen Kopfschütteln.

Unmittelbar nach dem Essen hatte ich in Begleitung von Dr. Jantzen und Gabriel das Sanatoriumgebäude verlassen und auf dem Rücksitz einer dunkelblauen BMW-Limousine Platz genommen, der durch ein engmaschiges Gitter vom vorderen Bereich abgetrennt war, wie man es aus Filmen von amerikanischen Polizeifahrzeugen kennt. Gabriel setzte sich hinters Steuer des Wagens, während der Arzt auf dem Beifahrersitz Platz nahm und während der Fahrt durch die Münchener Innenstadt schweigend diverse Unterlagen studierte.

Ich selbst war froh, aus der Anstalt heraus und an die frische Luft zu kommen. Es kam mir so vor, als hätte ich schon eine Ewigkeit hinter den Mauern des Sanatoriums verbracht, obwohl es sich in Wirklichkeit nur um ein paar Tage gehandelt hatte, wobei ich die meiste Zeit nicht einmal bei klarem Verstand und ohne Bewusstsein gewesen war. Aber wahrscheinlich kam dieses irrationale Gefühl im Wesentlichen daher, dass meine Erinnerung mit meinem heutigen Erwachen in der Anstalt einsetzte und sich mein bewusstes bisheriges Leben daher auch auf das Innere dieses Gebäudes beschränkte.

Aber auch wenn dieses Empfinden jeglicher Vernunft widersprach, genoss ich das Gefühl von Freiheit, das ich kurzzeitig empfand, auch wenn es in Wahrheit trügerisch war, und beobachtete während der Fahrt vom Sanatorium in Bogenhausen zur elterlichen Villa in Nymphenburg interessiert die Stadtgebiete, durch die wir fuhren. Ich sah andere Fahrzeuge und zahlreiche Menschen auf den Bürgersteigen. Alles war in Bewegung und schien ein konkretes Ziel anzusteuern, und jeder, den ich sah, hatte ein eigenes Leben und vor allem vielfältige eigene Erinnerungen daran. Überwältigende Trauer überkam mich in diesem Moment und verdrängte das Freiheitsgefühl, das ich noch zu Beginn unserer Fahrt empfunden hatte. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin unter all diesen Menschen, ein Fremdkörper, der nicht dazugehörte und den vom Rest der Menschheit weit mehr trennte als nur das dünne, transparente Glas der Scheiben.

Ich war daher erleichtert, als wir unser Ziel erreichten und mich die Aussicht, endlich den Ort betreten und mit eigenen Augen sehen zu können, an dem meine derzeitige unerquickliche Lage aller Voraussicht nach ihren Anfang genommen hatte, auf andere Gedanken brachte.

Kriminalhauptkommissar Gehrmann wartete bereits vor dem Haus auf uns. Er schien schon etwas länger auf uns gewartet zu haben und machte einen ungeduldigen und gehetzten Eindruck, als hätte er noch einen anderen dringenden Termin und als würde ihm die Zeit unter den Nägeln brennen. In seiner Begleitung befand sich ein unscheinbarer junger Mann mit blasser Haut und dunklen, kurz geschorenen Haaren, der mir kaum alt genug erschien, um sich ohne Begleitung eines Erwachsenen alkoholische Getränke kaufen zu dürfen, geschweige denn, sich schon zu rasieren oder bei der Kripo zu arbeiten. Dennoch stellte Gehrmann ihn als seinen Mitarbeiter, Kriminalkommissar Ingo Klapp, vor.

Nachdem wir im Anschluss an das gegenseitige Vorstellen mehrere Augenblicke vor der Vorderfront des eindrucksvollen Hauses verharrt waren und ich den anderen wortlos mitgeteilt hatte, dass mir nichts davon bekannt vorkam, scheuchte der Hauptkommissar uns auch schon wie eine Herde Schafe ins Innere.

Die aus zwei Flügeln bestehende Tür stand bereits offen, und das polizeiliche Siegel zwischen ihnen war zerrissen. Lediglich ein gelbes Plastikband, dessen Aufdruck uns darauf hinwies, dass wir nicht passieren durften, weil der Ort eines Verbrechens vor uns lag, spannte sich zwischen den beiden Türpfosten. Allerdings ließen wir uns davon nicht aufhalten, schließlich befanden wir uns in Begleitung der ermittelnden Polizisten. Nacheinander duckten wir uns unter dem Absperrband hindurch ins Innere der Villa, bis wir alle eng beieinander in einem großen Vorraum standen, von dem zahlreiche Türen und Gänge in alle Richtungen des Hauses gingen und ein breiter Treppenaufgang ins erste Obergeschoss führte.

»Vielleicht sollten wir zunächst unser Vorgehen absprechen, bevor wir weitermachen«, schlug Dr. Jantzen vor, nachdem wir uns kurz umgesehen und unsere imposante Umgebung in Augenschein genommen hatten. Alles hier roch nach Geld und Reichtum, doch der Gedanke an den materiellen Besitz, der mich als Erbin des Nachlasses möglicherweise erwartete, beeindruckte und interessierte mich im Augenblick nicht.

»Lassen Sie uns zuerst den Papierkram erledigen«, erwiderte Hauptkommissar Gehrmann, der sich nun, da wir im Innern des Hauses waren, wieder beruhigt zu haben schien. Die Eile und Hektik, die er vor dem Haus an den Tag gelegt hatte, als er uns durch die Tür nach drinnen gescheucht hatte, waren spurlos verschwunden. »Dann haben wir wenigstens den langweiligeren Teil dieses Treffens hinter uns.«

»Papierkram?« Dr. Jantzen runzelte die Stirn und verzog angewidert das Gesicht. Die Aussicht, Formulare ausfüllen zu müssen, schien ihm nicht besonders zu schmecken. »Welcher Papierkram denn?«

»Ich brauche lediglich ein paar Unterschriften von Ihnen, Herr Doktor. Sie wissen doch selbst, wie solche Dinge in unserem Bürokratenstaat gehandhabt werden. Alles muss schriftlich und mindestens in vierfacher Ausfertigung vorliegen, damit auch alles seine Ordnung hat.« Gehrmann öffnete seine Aktentasche, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, und holte einen nicht gerade dünnen Stapel loser Blätter heraus, der nach mehr als nur ein paar Unterschriften roch. »Haben Sie zufällig einen Kugelschreiber dabei? Ich muss meinen im Wagen vergessen haben.«

Dr. Jantzen klopfte mit der Hand gegen die linke Seite seiner Brust, wo er wohl normalerweise einen Kugelschreiber in der Hemd- oder Jackentasche stecken hatte, allerdings erfolglos. Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid. Anscheinend habe ich meinen Kugelschreiber ebenfalls im Auto oder im Sanatorium liegen gelassen.«

Hauptkommissar Gehrmann sah fragend in die Runde, doch auch sonst konnte ihm niemand mit einem Schreibgerät dienen. Woher hätte ich auch einen Kugelschreiber oder etwas Ähnliches haben sollen, wenn nicht einmal die Kleidung, die ich trug, meine eigene war?

»Ich würde vorschlagen, Ihr Assistent holt meinen Kugelschreiber aus unserem Dienstwagen, während ich Ihnen in der Zwischenzeit schon einmal die Vordrucke erläutere«, schlug Gehrmann dem Arzt vor und sah dann Gabriel fragend an. »Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr …«

»Das ist kein Problem«, erwiderte der Hüne. Er warf mir einen raschen Blick zu, als wollte er sich wortlos erkundigen, ob er mich mit den anderen Männern allein lassen konnte. Ich nickte, um ihm zu signalisieren, dass ich kein Problem damit hatte.

Der Hauptkommissar reichte dem Pfleger daraufhin seinen Autoschlüssel und nannte ihm eine Reihe von Orten, wo der Kugelschreiber sein könnte. Dann duckte sich Gabriel wieder unter dem Absperrband hindurch und verschwand nach draußen.

»Ich zeige Ihnen solange die Formulare, die Sie lesen und unterzeichnen müssen«, sagte Gehrmann, nachdem Gabriel weg war, nahm Dr. Jantzen am Arm und führte ihn zu einer hüfthohen Kommode aus edlem, dunklem Holz, die vor der linken Seitenwand stand, um dort seine Papiere auszubreiten. Wie zur Entschuldigung fügte er hinzu: »So eine Tatortbesichtigung mit einer Zeugin ist leider mit einem hohen bürokratischen Schreibaufwand verbunden, der in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Nutzen steht. Aber Sie kennen das wahrscheinlich selbst von Ihrer Arbeit.«

Ich blieb in der Mitte des Vorraums stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. In Ermangelung einer anderweitigen interessanten Beschäftigung sah ich mich noch einmal genauer um und forschte gleichzeitig in meinem Inneren nach einem Funken des Erkennens. Doch es war nichts dergleichen vorhanden. Meine Umgebung kam mir so fremd vor, als befände ich mich das erste Mal hier. Kaum zu glauben, dass es sich tatsächlich um mein Elternhaus handeln sollte, in dem ich jahrelang aus und ein gegangen sein musste.

Plötzlich wurde ich grob am rechten Oberarm gepackt und durch den Vorraum gezerrt.

»Ich führe Sie schon mal ein bisschen im Haus herum, damit Sie sich einen ersten Eindruck verschaffen können!«, sagte Kriminalkommissar Klapp schroff.

Ich war viel zu perplex und durch seinen Befehlston auch etwas eingeschüchtert, um augenblicklich gegen die rüde Behandlung zu protestieren. »Sollten wir nicht Ihrem Chef und Dr. Jantzen Bescheid sagen, wo wir hingehen«, schlug ich zaghaft vor, als Klapp mich bereits durch einen Durchgang in einen Flur schob, der tiefer ins Innere des Hauses führte. Hier war es erheblich düsterer als im Vorraum, weil durch die offen stehenden Türen auf einer Seite des Gangs nur wenig Tageslicht hereinfiel.

»Das ist nicht nötig! Bis die anderen mit dem Papierkram fertig sind, sind wir längst wieder zurück. Außerdem gehen wir gar nicht weit.« Klapp hielt mich weiterhin mit der linken Hand schmerzhaft am Arm gepackt, als hätte er – nicht ganz unberechtigt – Angst, ich würde ihm sonst davonlaufen, und schob mich vor sich her.

»Sie tun mir weh!«, beschwerte ich mich und bewegte meinen Oberkörper beim Gehen hin und her, um den eisenharten Griff zu lockern. Doch er ließ nicht los, sondern klammerte sich nur noch fester. »Was haben Sie vor? Wo bringen Sie mich hin?«

Mittlerweile kam mir sein Verhalten merkwürdig und verdächtig vor. Wenn er mich tatsächlich nur kurz durchs Haus führen wollte, benahm er sich dabei reichlich unfreundlich.

Anstatt auf meine Fragen einzugehen, zog der Kriminalbeamte an meinem Arm und zwang mich dadurch auf schmerzhafte und abrupte Weise dazu, stehen zu bleiben, als wir eine geschlossene Tür auf halber Höhe des Gangs erreicht hatten.

»Au! Passen Sie doch auf!«, fuhr ich ihn an.

»Halten Sie gefälligst den Mund und machen Sie die Tür auf«, befahl Klapp barsch, ohne mit einer einzigen Silbe auf mein Gejammer einzugehen. Er klang nun nicht nur unfreundlich, sondern geradezu feindselig. Ein Verhalten, das ich dem unscheinbaren jungen Mann gar nicht zugetraut hätte. Ich beschloss daher, dass es nun genug und an der Zeit war, ihm seine Grenzen aufzuzeigen.

»Jetzt hören Sie mal gut zu, Herr Klapp!«, sagte ich und bemühte mich dabei um einen ruhigen und besonders eindringlichen Tonfall, um an seine Vernunft zu appellieren. »Wenn Sie mich nicht augenblicklich loslassen und zu den anderen zurückbringen, schreie ich laut um Hilfe! Was glauben Sie, wer von uns beiden dann mehr Ärger bekommt: Sie oder ich?«

Ich konnte mir zwar vorstellen, dass Klapp diese Rambo-Nummer mit seinem Chef abgesprochen hatte, um meiner Erinnerung etwas nachdrücklicher auf die Sprünge zu helfen, doch mittlerweile schien er erheblich übers Ziel hinausschießen. Gehrmanns Bemühen, Dr. Jantzen durch den zu erledigenden Papierkram abzulenken und gleichzeitig Gabriel unter einem Vorwand nach draußen zu schicken, damit sein Assistent freie Bahn hatte, um mich wegzubringen und mir ein bisschen Angst einzujagen, erschien mir nun im Rückblick zu auffällig, als dass es sich um ein zufälliges Aufeinandertreffen all dieser Umstände handeln konnte. Außerdem kannte ich mich mit Krimiserien gut genug aus – auch wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte, woher dieses Wissen kam –, um das Spielchen vom guten und bösen Cop, das hier vermutlich ablief, zu durchschauen. Entweder wollten die Kriminalbeamten meine verlorenen Erinnerungen dadurch zurückholen, dass sie mich unmittelbar am Tatort in Angst und Schrecken versetzten, oder sie gingen davon aus, dass ich den Erinnerungsverlust nur simulierte und alles eingestand, wenn sie nur genügend Druck ausübten.

Aber was auch immer die beiden Polizisten vorhatten, Gehrmann mochte die Aktion bis zu einem gewissen Grad durchaus unterstützen und gutheißen, sie vielleicht sogar eingefädelt haben, aber Dr. Jantzen und Gabriel würden entsetzt sein, sobald sie davon erfuhren, und mir, wenn ich nur laut genug schrie, mit Sicherheit sofort zu Hilfe kommen.

Klapp schien das ebenfalls zu befürchten und änderte daher kurzerhand sein Vorgehen. Er griff mit der freien rechten Hand in sein Sakko und zog einen langen, im diffusen Licht matt schimmernden Gegenstand hervor, den er bis auf Augenhöhe hob und mir dann direkt vors Gesicht hielt.

Mein Herz setzte mindestens ein oder zwei Schläge aus, und ich schnappte überrascht nach Luft, denn es war trotz allem hell genug, sodass ich erkennen konnte, worum es sich bei dem Ding handelte, das unmittelbar vor meinen Augen schwebte: Es war eine Automatikpistole mit Schalldämpfer.

Kapitel 2

Die auf den ersten Blick harmlose, aber gleichwohl auch erschreckend wirkende runde Öffnung des dunklen Metallzylinders, der am Lauf der Waffe angebracht worden war, befand sich allenfalls einen Zentimeter von meiner Nasenwurzel entfernt. Ich schielte automatisch, als würden meine Augen unabhängig voneinander von dem todbringenden Loch magisch angezogen werden. Die Mündung schwankte leicht hin und her, und mein Blick folgte den pendelnden Bewegungen.

»Jetzt machen Sie endlich die verdammte Tür auf!«, wiederholte Klapp seinen Befehl. Seine Stimme klang höher als zuvor und zitterte leicht, was mir verdeutlichte, dass auch er unter enormer Anspannung stand. Ich beschloss daher, ihn nicht länger zu reizen, sondern zu tun, was er verlangte. Sollte er diese Farce ruhig noch eine Weile weiterspielen. Es konnte schließlich nicht mehr lange dauern, bis der ins Haus zurückkehrende Gabriel und Dr. Jantzen unser Verschwinden bemerken und nach uns suchen würden. Sie würden diesem Spiel, das inzwischen weit über jedes erträgliche Maß hinausging, ein rasches Ende bereiten, und der junge Polizist würde für sein rücksichtsloses Verhalten schon noch zur Rechenschaft gezogen werden.

»Ich mache alles, was Sie sagen«, versicherte ich ihm und spreizte spontan die Unterarme vom Körper ab, als wollte ich ihm dadurch meine Hilflosigkeit und Unterlegenheit demonstrieren. Als wenn der Beamte nicht auch ohne derartige Gesten genau gewusst hätte, dass ich unbewaffnet und kein ernstzunehmender Gegner für ihn war. Meine Stimme schwankte ebenfalls leicht. In meinem Fall war jedoch die Angst dafür verantwortlich, die wahrscheinlich jeden packte, der in die Mündung einer Schusswaffe schielte. »Aber bitte nehmen Sie die Pistole aus meinem Gesicht.«

Ich konnte sehen, dass sich glänzende Schweißtropfen ihren Weg über Klapps leicht verzerrtes Gesicht bahnten. Er blinzelte mehrmals, als ihm die salzige Flüssigkeit in die Augen lief, weil er keine Hand frei hatte, um sie wegzuwischen. Ich hatte den Eindruck, dass er selbst von dieser Situation ebenfalls überfordert war und kurz davor stand, die Nerven zu verlieren. Ich ahnte, dass in diesem prekären Augenblick alles möglich sein konnte. Entweder senkte er die Waffe, wie ich ihn gebeten hatte, oder er schoss mich einfach nieder. Mein Magen verkrampfte sich bereits in Erwartung des schlimmstmöglichen Szenarios.

Doch da entspannte sich sein Gesichtsausdruck geringfügig, und ich konnte förmlich mitansehen, wie sich sämtliche verkrampften Muskeln in seinem Körper auf einmal lockerten. Es sah fast so aus, als würde aus einem Ballon Luft entweichen, denn der Mann schien auf einen Schlag um eine ganze Konfektionsgröße zusammenzuschrumpfen. Am wichtigsten war für mich jedoch, dass sich auch sein rechter Zeigefinger lockerte, der auf dem Abzug der Pistole lag, und er die Waffe langsam sinken ließ, bis sie sich in Hüfthöhe befand. Die Waffe blieb zwar weiterhin auf mich gerichtet, zielte nun aber nicht mehr auf mein Gesicht, sondern auf meine Körpermitte. Auch wenn es möglicherweise ebenso tödlich ausgehen konnte, wenn mich an dieser Stelle eine Kugel traf, sah es zumindest nicht mehr so bedrohlich aus, und ich konnte mich ebenfalls ein bisschen entspannen.

Nachdem sich die Lage nun ein bisschen, wenn auch nicht wirklich dramatisch entspannt hatte, legte ich meine linke Hand auf den Griff der Tür vor mir, um Klapps Befehl Folge zu leisten, bevor er endgültig die Nerven verlor, und öffnete sie. Ein lichtloser Schlund gähnte mir entgegen. Im schwachen Licht konnte ich vage die ersten Stufen einer Steintreppe erkennen, die in die Tiefe führte. Ein kühler, modrig riechender Luftzug kam aus der Finsternis und ließ mich frösteln.

»Machen Sie das Licht an! Der Schalter befindet sich auf der rechten Seite.«

Ich tastete mit der linken Hand – meinen rechten Oberarm hielt Klapp noch immer so fest umklammert, dass sich nahezu der ganze Arm taub anfühlte – über die raue, unverputzte Wand nach dem Lichtschalter und betätigte ihn, nachdem meine suchenden Fingerspitzen ihn endlich gefunden hatten. Klickend erwachten mehrere 60-Watt-Birnen über der Treppe und unten im Keller zum Leben und ließen mich aufgrund der plötzlichen Helligkeit blinzeln.

Meine zuvor allenfalls vage Ahnung über das Ziel unseres kleinen Ausflugs wurde nun endgültig zur Gewissheit. Der Polizist wollte mich direkt zum Tatort bringen, an dem die beiden Leichen gefunden worden waren. Ob er damit ein Geständnis erzwingen wollte, weil die Kripo mich unter Umständen für die Mörderin meiner Eltern und meines Bruders hielt, oder nur einen Flashback auslösen wollte, war mir aber nicht bekannt.

»Vorwärts!«, kommandierte Klapp und schob mich gleichzeitig so unerwartet nach vorn, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und die Stufen hinuntergepurzelt wäre. Es gelang mir gerade noch rechtzeitig, meinen rechten Fuß zu heben und auf die nächste Treppenstufe zu setzen.

»Au! Passen Sie doch auf, verdammt noch mal!«, protestierte ich lautstark. »Außerdem wäre es nett, wenn Sie mich weniger fest anpacken würden. Ich kann meinen Arm schon gar nicht mehr spüren.«

»Halts Maul, Teufelsbuhle«, fuhr Klapp mich an, während wir so eng beieinander die Stufen nach unten stiegen, als wären wir wie siamesische Zwillinge zusammengewachsen. Der Griff um meinen Oberarm lockerte sich dabei aber kein bisschen. »Spar dir deine Worte. Mich kannst du mit deinem teuflischen Sirenengesang nicht betören. Wenn wir an unserem Ziel sind, wird ein tauber Arm das geringste deiner Probleme sein.«

»Was haben Sie mit mir vor?« Ich musste das aufsteigende Gefühl von Panik unterdrücken. Der Kommissar machte immer mehr den Eindruck, als würde er jeden Moment von dem schmalen Grat zwischen Vernunft und Irrsinn fallen, auf dem er momentan balancierte, und auf der falschen Seite landen. Mehr noch als seine verwirrende Wortwahl, die für mich keinen Sinn ergab, zeigte mir seine schriller werdende, stark vibrierende Stimme, dass er kurz davor stand, die Nerven zu verlieren. Langsam begann ich mir doch ernsthafte Sorgen zu machen, dass der Arzt und der Pfleger des Sanatoriums nicht mehr rechtzeitig kamen, um mich vor dem Polizisten zu retten, der mit jedem verstreichenden Augenblick weniger den Eindruck eines vernünftigen deutschen Beamten, sondern eher den eines gut ausgebildeten Diplom-Psychopathen vermittelte.

»Hören Sie mir zu!«, begann ich daher, eindringlich auf ihn einzureden. »Ihr Guter-Polizist-böser-Polizist-Spielchen können Sie sich sparen, denn ich weiß wirklich absolut nichts. Ihr Kollege hat Ihnen doch bestimmt erzählt, dass ich unter einer Amnesie, einem totalen Gedächtnisverlust leide. Ich kann mich an nichts erinnern, ehrlich. Sie müssen mir glauben!« Ich konnte deutlich die beginnende Verzweiflung hören, die in meinen hastig hervorgestoßenen Worten mitschwang.

Ich hörte Klapp kurz und bellend lachen, als ich von der letzten Stufe in den Kellergang trat, der quer zur Treppe in beide Richtungen führte. Es lag jedoch nicht die geringste Spur von Humor in diesem Lachen. Er schien damit allenfalls seinem Unglauben über meine Worte Ausdruck verleihen oder seine eigene Unsicherheit, die ich wahrzunehmen glaubte, überspielen zu wollen.

Mit einem groben Zerren an meinem rechten Arm, das einen Strahl brennender Schmerzen bis ins Zentrum meines Schädels sandte, zog Klapp mich nach rechts und gab mir damit wortlos die Richtung an, in der unser Ziel lag.

»Du glaubst also immer noch, dass wir tatsächlich Polizisten sind«, sagte er und stieß erneut sein an das Kläffen eines Hundes erinnerndes Lachen aus, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Mit jedem Wort schien er mehr Gefallen am Reden zu finden, als würde es ihn davon abhalten, über das nachdenken zu müssen, was er hier eigentlich tat. »Das mit der Amnesie nehme ich dir sogar ab. Denn wenn du dich erinnern könntest, hättest du mich erkennen müssen.«

Seine Worte verstärkten die Verzweiflung, die in mir wuchs, nur noch mehr. Bisher war ich davon ausgegangen, es mit Polizisten zu tun zu haben, die mir im Endeffekt nichts Schlimmes antun würden, sondern nur den Eindruck erwecken wollten, um mich einzuschüchtern. Wenn Gehrmann und Klapp allerdings gar keine Kriminalbeamten waren, mussten sie sich auch an keinerlei Regeln oder Dienstvorschriften halten, sondern konnten mit mir tun und lassen, was sie wollten. Aber wenn sie keine Polizisten waren, wer oder was waren sie dann? Und was wollten sie von mir?

»Du dachtest wohl, dass du in der Klapsmühle vor uns in Sicherheit bist«, fuhr Klapp – wenn das überhaupt sein richtiger Name war – fort. »Aber die Faust Gottes reicht bis in die finstersten Winkel! Und niemand ist vor seinem gerechten Zorn sicher!«

Während Klapp weiterhin sinnloses Geschwätz von sich gab, schob er mich durch den schmucklosen, unverputzten Kellergang, von dem auf beiden Seiten hin und wieder Türen abgingen, die allerdings geschlossen waren. Mehrere Meter vor uns vollführte der Gang einen Knick nach rechts. Ich ahnte, dass es bis zu unserem Ziel nicht mehr weit sein konnte.

Plötzlich bemerkte ich trotz der Taubheit in meinem Arm, dass sich der Griff seiner Finger etwas gelockert hatte. In einem Akt schierer Verzweiflung riss ich mich los und wirbelte herum, sodass wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Damit hatte ich zwar noch nicht wirklich viel gewonnen, aber immerhin konnte ich jetzt meinem Widersacher wieder in die Augen sehen, was ich in diesem Moment durchaus als Vorteil betrachtete, wenn auch nur in psychologischer Hinsicht.

»Was wollen Sie eigentlich von mir?« Ich bemühte mich, mir meine ungeheure Angst nicht anmerken zu lassen und stattdessen so nachdrücklich wie möglich zu sprechen, damit meine Worte nicht nur seine Ohren erreichten, sondern auch in seinen wirren Verstand eindrangen.

Klapps Augen glänzten, als hätte er Fieber, und ich glaubte sogar, ein irrlichterndes Funkeln darin zu sehen, als wäre er jetzt tatsächlich kurz davor, endgültig das bisschen Verstand zu verlieren, das er zwischen seinen Ohren spazieren trug. Er schwitzte mittlerweile so stark, dass ihm der Schweiß nicht nur in breiten Bahnen übers Gesicht lief, sondern auch seine Kleidung durchnässte, vor allem auf seiner Brust und unter den Achseln. Außerdem registrierte ich den Geruch, den er verströmte: sauer und ekelerregend. In diesem Augenblick begriff ich, dass auch Klapp Angst hatte, vielleicht sogar ebenso große Angst wie ich, wenn auch aus einem ganz anderen Grund. Möglicherweise hatte er Angst vor dem, was er im Begriff war zu tun.

»Vor ein paar Tagen konntest du uns noch entkommen.« Er sah mich zwar an, die Pistole in seiner zitternden Hand weiterhin auf meinen Bauchnabel gerichtet, doch sein Blick ging durch mich hindurch, als würde er nicht mich sehen, sondern Szenen aus der Vergangenheit, von der er in diesem Moment sprach und an die ich mich nicht erinnern konnte. Seine Stimme klang ausdruckslos, als hätte er sich durch sein eigenes, mir widersinnig erscheinendes Gequatsche selbst in Trance geredet. »Aber jetzt ist endlich der Zeitpunkt gekommen, die Bedrohung, die deine unselige Existenz für die Menschheit darstellt, endgültig vom Angesicht der Erde zu tilgen. Nun kann dich nichts und niemand mehr retten.« Seine Stimme wurde immer lauter und schriller, während er Worte und Sätze stakkatoartig hervorstieß, die so klangen, als hätte er sie irgendwann auswendig gelernt. »Wenn ich dich töte, ist damit meine Ausbildung beendet. Dann bin ich nicht länger Novize. Deshalb muss ich dich töten! Ich muss! Ich muss! Die Welt muss errettet werden, um jeden Preis. Das Leben eines Einzelnen zählt dabei nicht. Es geht um das Wohl der gesamten Menschheit. Ich muss dich töten! Ich muss …«

Wahrscheinlich waren ihm die Worte tausendfach eingebläut worden, um ihn davon zu überzeugen, dass er das Richtige tat. Und nun benutzte er diese Worte dazu, sich selbst von der Richtigkeit dessen zu überzeugen, was er tun musste, und die Grenzen, die sein Gewissen ihm setzte, zu überwinden.

Ich wollte nicht tatenlos zusehen und abwarten, was bei Klapps Bemühungen letztendlich herauskam. Sein Blick hatte sich immer noch nicht auf mich fokussiert, und die Waffe in seiner Hand hüpfte unkontrolliert hin und her, während ihr Besitzer allem Anschein nach darum kämpfte, sowohl den Mut als auch die Kraft aufzubringen, eine unbewaffnete, hilflose Person zu erschießen.

Mir wurde bewusst, dass die Gelegenheit vermutlich nicht günstiger werden würde, da mein Widersacher augenblicklich durch seinen inneren Zwiespalt abgelenkt war und kaum darauf achtete, was ich tat. Blitzschnell – erheblich schneller sogar, als ich es für möglich gehalten hätte – ließ ich meine rechte Hand in seine Richtung schnellen und stieß sie gegen seinen verschwitzten Brustkorb. Ein schmerzhafter Stich fuhr bei dieser ruckartigen Bewegung durch meinen ohnehin schon arg malträtierten Oberarmmuskel, doch ich biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz.

Klapps Wortschwall endete wie abgeschnitten, als mein Handballen auf seinen Solarplexus traf. Im ersten Augenblick dachte ich enttäuscht, dass ich meine Chance vertan und nun mein letztes Stündchen geschlagen hätte, denn ich hatte das Gefühl, meinen Gegner überhaupt nicht richtig erwischt, sondern allenfalls leicht angestoßen zu haben. Doch mein Hieb musste erheblich stärker ausgefallen sein als gedacht, was möglicherweise auch an dem noch immer nicht vollständig abgeklungenen Taubheitsgefühl in meiner Hand lag, denn im nächsten Moment flog Klapp nach hinten, als wäre er ein Stuntman und würde von einem überdehnten Gummiseil zurückgerissen werden. Er riss überrascht die Augen auf und formte mit dem Mund ein perfektes O, als er abrupt aus seinen Gedanken gerissen wurde und schlagartig begriff, was mit ihm geschah. Im nächsten Moment hob er mit beiden Füßen vom Boden ab, während seine Arme zu Seite flogen, als wollten sie zu flattern beginnen und ihn so vor dem unvermeidlichen Sturz bewahren. Doch es funktionierte nicht, und so kippte er wie ein gefällter Baum rasend schnell nach hinten und krachte auf den Betonboden des Gangs. Der heftige Aufschlag prellte ihm die Pistole aus der Hand. Sie rutschte über den Boden und blieb drei Meter entfernt außerhalb seiner Reichweite liegen.

Das ganze Geschehen hatte sich, nachdem Klapps Redefluss jäh verstummt war, in geradezu erschreckender Lautlosigkeit abgespielt. Erst als der Mann mit dem Rücken und den Hinterkopf auf dem harten Stein landete und der Aufprall ihm den Atem aus den Lungenflügeln presste, entfuhr ihm mit seiner Atemluft gleichzeitig ein lautes, schmerzerfülltes Stöhnen.

Dieser unheimliche, von den Wänden widerhallende Laut riss mich endlich aus der Erstarrung, in die ich verfallen war, als ich nahezu atemlos die durch mich ausgelöste unfreiwillige Stuntshow meines Gegners verfolgt hatte. Ich überlegte kurz, ob ich mir seine Pistole holen und ihn damit in Schach halten sollte, verwarf diese Idee aber sofort wieder, denn er lag zwischen mir und der Waffe. Er brauchte bloß die Hand auszustrecken, wenn ich an ihm vorbeilief, um mich zu packen. Ebenso verhielt es sich, wenn an ihm vorbei zur Kellertreppe und von dort ins Erdgeschoss gelangen wollte. Mir blieb also nur die Flucht in die andere Richtung und die Hoffnung, dass es dort eine Möglichkeit gab, nach oben zu entkommen oder mich zumindest lange genug vor ihm zu verstecken.

Bevor Klapp sich von der kurzzeitigen, durch das unsanfte Aufeinandertreffen seines Schädels und des Steinbodens ausgelösten Benommenheit erholen konnte, wirbelte ich um die eigene Achse und lief davon. Doch schon nach den ersten Schritten konnte ich hören, dass sich mein Widersacher wieder rührte. Anhand der Geräusche, die Klapp machte, versuchte ich seine Bewegungen zu erraten, denn aus Angst, ich könnte straucheln, wagte ich es nicht, den Kopf zu wenden. Ich hörte ihn erneut aufstöhnen, dann schien er sich herumzuwälzen und auf seine Waffe zuzukriechen.

Die Biegung des Ganges befand sich unmittelbar vor mir, als die Geräusche hinter mir schlagartig verstummten. Möglicherweise pochte auch nur mein eigener Herzschlag so laut in meinen Ohren, dass ich keine anderen Geräusche wahrnehmen konnte. Meine Fantasie arbeitete dennoch fieberhaft. Sie zeigte mir ein Bild meines Gegners, der auf dem Boden kniete, die Luft anhielt und mit seiner Waffe auf meinen ungeschützten Rücken zielte. Exakt in der Mitte zwischen meinen Schulterblättern begann es zu kribbeln. Ich rechnete jeden Moment damit, dass an dieser Stelle ein Projektil eindrang und sich glühend und schmerzhaft durch meinen Körper bohrte.

Für das letzte Stück bis zur rettenden Ecke mobilisierte ich noch einmal alle verborgenen Reserven meines Körpers. Und tatsächlich gelang es mir, noch ein klein wenig schneller zu rennen, um endlich die Biegung zu erreichen, ohne von einer Kugel niedergestreckt zu werden. Keuchend warf ich mich zur Seite, um schnellstmöglich aus der Schusslinie zu kommen.

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