Kitabı oku: «DAS BUCH ANDRAS I», sayfa 7

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Dies hätte keine Sekunde später erfolgen dürfen. Denn kaum war ich um die Ecke gesprungen, die mir Deckung gab, erklangen drei gedämpfte Schüsse aus der Richtung, in der sich mein Gegner befand. Die Projektile zischten dicht hinter mir durch die Luft und schlugen in die Wand. Sie rissen kleine Krater in den Beton, ließen winzige Gesteinssplitter in alle Richtungen spritzen und wirbelten Wolken aus Betonstaub auf.

Grenzenlos erleichtert, dem tödlichen Kugelhagel gerade noch entronnen zu sein, schnappte ich nach Luft, um meine gequälten Lungen mit dem dringend benötigten Sauerstoff zu füllen. Besser Löcher in der Wand als Löcher in meinem Rücken, dachte ich. Ich verharrte jedoch nur einen Moment, um zu Atem zu kommen, denn mir war klar, dass ich mir keine längere Verschnaufpause leisten konnte. Klapp würde wahrscheinlich rasch wieder auf den Beinen und hinter mir her sein. Da er mit der Schusswaffe eine größere Reichweite besaß, musste ich aus dem Gang verschwunden sein, bevor er die Biegung erreichte. Seine Hemmung, auf mich zu schießen, schien er inzwischen völlig überwunden zu haben.

Ich rannte also weiter und richtete meinen Blick nach vorn. Beinahe hätte ich vor Enttäuschung laut aufgeheult, wenn ich die dazu notwendige Atemluft übrig gehabt hätte, als ich sah, dass der Gang nur wenige Meter vor mir wie abgeschnitten vor einer blanken Mauer endete. Lediglich zwei geschlossene, braun angestrichene Türen aus feuerfestem Metall befanden sich dort auf beiden Seiten des Gangs. Falls diese Türen abgesperrt waren, dann gab es für mich kein Entrinnen vor meinem Verfolger.

Ich glaubte bereits, Klapps stampfende Schritte jenseits der Biegung zu hören, als ich das Ende des Gangs und die Türen erreichte. Nach Luft hechelnd wie ein Hund an einem heißen Sommertag ließ ich mich zunächst gegen das kühle Metall der linken Tür fallen und drückte gleichzeitig die Klinke nach unten. Doch die Tür gab nicht nach und widerstand hartnäckig meinen Versuchen, sie zu öffnen. Jenseits des Türblattes konnte ich schwach ein Summen wie von einer Heizanlage oder einem großen Boiler hören. Ich hielt mich jedoch nicht länger mit dieser Tür auf, sondern warf mich hastig herum. Während ich zur zweiten Tür hetzte, wagte ich einen raschen Blick den Gang hinunter. Doch von meinem Gegner war zum Glück noch nichts zu sehen. Er konnte allerdings jeden Moment um die Ecke kommen, mich ins Visier nehmen und wie einen Hasen im Scheinwerferlicht abknallen.

Hektisch ließ ich meine linke Hand auf die Klinke der rechten Tür fallen und stemmte mich zugleich gegen das Metall. Vor Erleichterung hätte ich am liebsten laut gejubelt, als die Tür nach einem kurzen, entmutigenden Augenblick des Widerstands nachgab und ohne einen Laut nach innen schwang. Doch für jede Form einer lauten Äußerung fehlte mir schlicht und einfach die Luft.

Aus dem Augenwinkel registrierte ich eine verwaschene Bewegung, als Klapp um die Biegung des Gangs geschlittert kam. Ich wendete nur leicht den Kopf und sah, dass er stehen blieb, als er meiner ansichtig wurde, und die Waffe auf mich anlegte. Ohne darüber nachzudenken, was mich jenseits der Türschwelle in der Finsternis erwartete, stürzte ich mich durch die Öffnung und schlug die Tür noch im gleichen Bewegungsablauf hinter mir zu. Mit der Lautstärke einer mittelschweren Explosion krachte die metallene Tür ins Schloss.

Ich sank mit dem Rücken gegen die Tür und stieß geräuschvoll die Luft aus, die ich unwillkürlich angehalten hatte. Undurchdringliche Finsternis umgab mich, und das Geräusch meiner keuchenden Atemzüge wurde von der Dunkelheit verschluckt. Mit meiner rechten Handfläche hämmerte ich an der Stelle neben der Tür gegen die Wand, wo ich den Lichtschalter vermutete. Ich traf ihn sogar erstaunlich zielsicher. Flackernd erwachten mehrere Neonröhren an der Decke zum Leben und offenbarten mir den Ort, an dem ich auf meiner überstürzten Flucht vor meinem Verfolger gelandet war.

Kapitel 3

Obwohl ich es insgeheim bereits geahnt und mich innerlich darauf vorbereitet hatte, bevor der Raum in grelles Neonlicht getaucht wurde, traf mich der Anblick dennoch wie ein leichter Stromstoß. Denn ich war natürlich genau an dem Ort gelandet, an den Klapp mich ohnehin hatte bringen wollen. Mangels Alternativen war mir jedoch keine andere Möglichkeit geblieben.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich ein überwältigendes Déjà-vu-Erlebnis, das mich vollkommen überraschte und erschütterte, da ich damit schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Ich hatte das überwältigende Gefühl, schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein, und nahm zunächst an, ein Teil meiner verlorenen Erinnerungen wäre zurückgekehrt. Doch nur allzu schnell breitete sich wieder Ernüchterung in mir aus, denn ich erkannte, dass ich dieses Gefühl des Sich-Erinnerns vermutlich nur deshalb hatte, weil Gehrmann mir im Sanatorium Fotos von diesem Ort gezeigt hatte.

Sämtliche grausigen Details, die ich bereits von den Aufnahmen kannte, sprangen mir sofort wieder ins Auge. Das traf natürlich besonders auf die großen Flecken aus schwarzem, getrocknetem Blut zu, die die Fundorte der beiden Leichen deutlicher markierten als die Striche aus weißer Sprühfarbe, mit der die Polizei die Umrisse der Körper grob nachgezeichnet hatte.

Gleichzeitig nahm ich einen ekelerregenden, alles andere überlagernden Geruch wahr, den mir die Fotografien natürlich nicht hatten vermitteln können. Mir wurde klar, obwohl ich nicht ahnte, woher dieses Wissen kam, dass es der Geruch des hier vergossenen Blutes war. Und zwar einer sehr großen Menge Blut. Erst später registrierte ich unterschwellig auch den Duft nach Kerzenwachs und menschlichem Schweiß.

Doch dann waren sowohl die blutigen Lachen als auch der Gestank vergessen, denn der wuchtige Altarstein zog meinen Blick auf sich und nahm ihn sofort gefangen.

Der massive Block mit der merkwürdigen Oberfläche, die das Licht der Neonlampen in sich aufzusaugen und nicht zurückzuwerfen schien, stand immer noch scheinbar unangetastet inmitten des Raumes und des mit schwarzer Farbe auf den Boden gemalten Pentagramms. Wahrscheinlich war es wesentlich einfacher gewesen, die vorhandenen Spuren auf der Oberfläche des Altars an Ort und Stelle zu sichern, als den schweren Stein in ein Labor zu transportieren.

Ich fröstelte, als hätte mich ein Hauch arktischer Kälte gestreift, und riss meinen Blick vom Altar los.

All meine Beobachtungen und Überlegungen seit dem Betreten des Raumes hatten nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, obwohl es mir erheblich länger vorgekommen war. Dennoch glaubte ich, von der anderen Seite der Tür in meinem Rücken bereits die dröhnenden Schritte meines Verfolgers zu vernehmen. Gleichzeitig kribbelte es zwischen meinen Schultern, als ich zu spüren vermeinte, wie das Metall der Tür, gegen das ich mich lehnte, im Gleichklang mit Klapps stampfenden Schritten erzitterte. Wahrscheinlich handelte es sich nur um Einbildung, dennoch riss es mich aus meinen Gedanken und trieb mich zur Eile an.

Mit der linken Hand tastete ich instinktiv nach einem Schlüssel, fand jedoch nur das leere Schlüsselloch. Abschließen konnte ich die Tür also nicht, aber wahrscheinlich hätte das meinen Verfolger ohnehin nicht lange aufgehalten, da er das Schloss einfach aufschießen konnte.

Fieberhaft, und vor unterdrückter Angst zitternd, blickte ich mich um, sah jedoch nichts, womit ich die Tür verrammeln konnte. Der Altarstein war der einzige Gegenstand im Raum, der groß genug war. Nach seinem massiv erscheinenden Äußeren zu schließen, war er jedoch vermutlich zu schwer, als dass ich ihn auch nur um einen Millimeter von der Stelle bewegen, geschweige denn bis zur Tür hätte schieben können. Außerdem ekelte es mich schon bei dem Gedanken, die Oberflächen des Steinblocks mit bloßen Händen zu berühren.

Hinter dem schwarzen Stoff, mit dem die Wände verhängt waren, könnte ich mich zwar verbergen, allerdings würde mein Gegner meine Umrisse hinter dem dünnen Material sofort erkennen und leichtes Spiel haben. Möglicherweise waren hinter den Stoffbahnen ein paar Kellerfenster verborgen, allerdings fehlte mir die Zeit, mich zuerst durch die engen Fensteröffnungen unmittelbar unter der Decke und dann auch noch durch die Lichtschächte nach oben ins Freie zu winden, bevor Klapp mich erwischte.

Die einzig realistische Möglichkeit, mich – wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum – vor meinem Feind zu verbergen, stellte somit der Altarblock selbst dar. Er würde mir sowohl Sichtschutz als auch Deckung vor den Kugeln bieten, was allemal besser war, als meinem Verfolger völlig ungedeckt gegenüberzutreten.

Erneut nahm ich die stampfenden Schritte aus dem Gang jenseits der Tür wahr, die sich schnell näherten, und fühlte ein leichtes, kaum wahrnehmbares Erbeben des Türblattes an meinem Rücken. Und dieses Mal handelte es sich nicht mehr um bloße Einbildung.

Mein Widersacher nahte, und mir blieb keine Zeit für weitere Überlegungen.

Ich prägte mir die genaue Position des Altars ein und löschte dann das Licht, um durch die Dunkelheit weitere wertvolle Zeit zu gewinnen. Dann stieß ich mich von der Tür ab und lief in der undurchdringlichen Finsternis einen Bogen bis zu einem Punkt, von dem ich glaubte, dass er unmittelbar hinter dem Steinblock lag. Dort kauerte ich mich augenblicklich nieder. Ich hätte mich zwar durch Herumtasten mit den Händen vergewissern können, dass ich direkt hinter dem Altar auf dem Boden kniete, ließ es jedoch bleiben, da ich befürchtete, dabei aus Versehen die Oberfläche des unheimlichen Steinblocks zu berühren.

Dann blieb mir ohnehin keine Zeit mehr, denn die Tür schwang nach innen, nachdem etwas mit großer Wucht von der anderen Seite dagegen gerannt war, und krachte gegen die Wand.

Ich war heilfroh, nicht mehr an der Tür zu stehen, sonst wäre ich durch die Wucht wahrscheinlich durch den ganzen Raum bis zur gegenüberliegenden Wand geschleudert worden. So viel Kraft hätte ich dem schmächtigen Klapp gar nicht zugetraut. Aber nach dem zuletzt gezeigten Verhalten und den wirren Äußerungen zu urteilen, musste es sich bei ihm um einen verblendeten Fanatiker handeln – auch wenn mir immer noch nicht klar war, worauf oder wogegen sich sein Fanatismus eigentlich richtete –, und die konnten in ihrem blindwütigen Eifer anscheinend extreme Kräfte entwickeln.

Durch die offene Tür fiel Licht aus dem erleuchteten Gang in den Raum, teilweise abgeschirmt durch die bedrohliche, finstere Silhouette meines Verfolgers. Ich überprüfte rasch, ob ich mich vollständig hinter dem Altarblock befand, und kroch möglichst lautlos noch etwas näher an den Stein heran, ohne ihn dabei allerdings zu berühren. Die mattschwarze, von durcheinanderlaufenden Linien und verwirrenden Mustern überzogene Oberfläche befand sich nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Hatte der Altar schon auf dem Foto im Sanatorium und von meiner Position vor der Tür eine unangenehme Wirkung auf mich ausgeübt, so verstärkte sich diese in unmittelbarer Nähe und bei dem düsteren Licht um ein Vielfaches. Mein Magen zuckte konvulsivisch, und Übelkeit stieg heiß und ätzend meine Speiseröhre empor. Der steinerne Block schien in einer unerträglichen Frequenz zu vibrieren, die mir durch Mark und Bein ging, bis mein ganzer Körper – sämtliche Knochen, Muskeln und Organe bis in die kleinste Zelle – im Gleichklang erschüttert wurde, als erlitte ich urplötzlich einen epileptischen Anfall. Ich wusste nicht, ob ich mir die Vibrationen des Steins, deren Ursache ich mir nicht erklären konnte, nur einbildete, und, falls es sich nicht um Einbildung handelte, ob der Block ständig derart erbebte oder auf meine Gegenwart reagierte, was mir aber noch widersinniger erschien. Aber an diesem Ort, in unmittelbarer Nähe zu dem unheimlichen Altarblock, schien mir in diesem Augenblick und im düsteren Halbdunkel alles möglich zu sein, so als würde der Stein die ihn umgebende Wirklichkeit verzerren und sämtliche Naturgesetze auf den Kopf stellen.

»Wo steckst du, Teufelsbuhle?«, hörte ich in diesem Moment Klapps Stimme, wodurch er mich zu meiner Erleichterung aus der unerklärlichen, Übelkeit erregenden Verbundenheit mit dem Altarstein riss und mich gleichzeitig davor bewahrte, mich zu übergeben. Denn die Übelkeit, die ich krampfhaft zu unterdrücken versucht hatte, war kurz davor gewesen, mich zu überwältigen.

Ich schluckte mehrere Male, nachdem das Gefühl des Unwohlseins sich endlich gelegt hatte. Mein Herz, das sich ebenfalls der Frequenz der Vibrationen angepasst hatte, klopfte wieder in einem halbwegs normalen, wenn auch aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr erheblich schnelleren Takt.

Klapps Stimme hatte wie eine Mischung aus mühsam unterdrücktem Wahnsinn und aufreizendem Spott geklungen. Möglicherweise hatte er die hauchdünne Grenze zum Wahnsinn, auf der er zuvor schon stark schwankend und ohne Netz und Sicherungsseil balanciert hatte, nun endgültig überschritten. Gleichzeitig schien er ein perverses Spiel mit mir treiben zu wollen, denn trotz der unzureichenden Beleuchtung musste er sich anhand fehlender Alternativen leicht ausrechnen können, an welchem Ort ich mich vor ihm versteckte.

Die Neonröhren an der Decke flackerten auf und überfluteten den Raum mit ihrem hellen, kalten Licht.

Ich konnte meinen Verfolger nicht sehen, sondern lediglich seine lauten, keuchenden Atemzüge über das Pochen meines eigenen Pulsschlags hinweg hören. Allerdings schien der Altarstein, der mir bislang noch Deckung gab, auch die Geräusche des Mannes zu verzerren, sodass ich nicht in der Lage war, seine genaue Position zu bestimmen. Ich musste daher jeden Moment damit rechnen, dass er den Altarblock umrundete und auf meiner Seite auftauchte, um mich ins Visier zu nehmen.

Als ich in unmittelbarer Nähe einen schlurfenden Laut hörte, ertrug ich die Ungewissheit nicht länger und blickte auf. Ich konnte meinen Verfolger aus meiner kauernden Position nicht sehen, ahnte jedoch, dass er bereits sehr nahe war und jeden Moment in meinem Blickfeld auftauchen würde.

»Ja, wen haben wir denn da?«

Als Klapps schrille Stimme die Stille durchschnitt wie ein heißes Messer einen Block Butter, erschrak ich dennoch, obwohl ich mit etwas Derartigem gerechnet hatte, und zuckte heftig zusammen. Unmittelbar darauf trat der Mann mit einem großen Schritt um die Ecke des Altarblocks in mein Sichtfeld und richtete die Mündung des Schalldämpfers auf mein Gesicht.

Ich erstarrte für einen Moment und begann dann heftig zu zittern, als ich zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit in den todbringenden Lauf der Pistole blickte. Meine Glieder schlotterten dermaßen, dass ich beinahe vollständig die Kontrolle über meine Muskeln verloren hätte und haltlos zur Seite gekippt wäre. So musste sich eine Maus im Angesicht der Schlange fühlen, die sie im nächsten Augenblick verschlingen würde.

»Das Versteckspiel ist zu Ende!« Noch immer schwang eine Spur von Wahnsinn in Klapps Stimme mit, doch darunter erkannte ich etwas Neues und Unerwartetes, nämlich eine Entschlossenheit, die vorher nicht vorhanden gewesen war. Alle Zweifel schienen den jungen Mann verlassen zu haben. Ich hatte zuvor zeitweise nicht daran geglaubt, dass er mich tatsächlich töten könnte, doch in diesem Moment wurde mir klar, dass Klapp seine Unsicherheit und Bedenken inzwischen komplett über Bord geworfen hatte. Nun war er bereit, das zu tun, was seiner Meinung nach getan werden musste.

Das unkontrollierbare Beben meines Körpers verstärkte sich, als ich sah, dass sich der Zeigefinger meines Gegners langsam, fast im Zeitlupentempo am Abzug der Waffe krümmte. Nur noch wenige Millimeter und allenfalls Sekundenbruchteile fehlten, bis die Pistole sich entlud und ihr tödliches Projektil in meine Richtung schleuderte. In diesem Moment, der sich wie ein ausgelutschter Kaugummi in die Länge zog, schloss ich mit meinem Leben ab – an das ich mich mit Ausnahme des heutigen Tages ohnehin nicht erinnern konnte – und schloss die Augen. Wenn ich schon sterben musste, dann wenigstens nicht mit Klapps Psychopathen-Fratze vor Augen.

Im nächsten Moment hörte ich den gedämpften Schuss der Pistole und schrie in Erwartung der tödlichen Kugel laut und gellend.

Kapitel 4

Ich krümmte mich und war überzeugt, jeden Augenblick den überwältigenden Schmerz der tödlichen Verwundung zu spüren. Doch dieser blieb überraschenderweise aus. Ganz allmählich wuchs in mir das Begreifen, dass ich gar nicht getroffen worden und immer noch unverletzt und am Leben war. Aber wie war das möglich? Aus dieser kurzen Distanz konnte selbst der miserabelste Schütze nicht daneben schießen.

Schrittweise verlagerte sich meine Wahrnehmung, die ich in Erwartung meines Todes ausschließlich auf mich selbst konzentriert hatte, nach außen, und ich begann wieder damit, meine Umgebung wahrzunehmen.

Ich hörte laute Geräusche in meiner unmittelbaren Nähe. Ein unmenschlich klingendes Knurren, Keuchen und Grunzen, als würden zwei Straßenköter miteinander balgen. Endlich wagte ich es, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben, und starrte zum Ursprungsort des Lärms. Anfangs sah ich nur ein verwirrendes Durcheinander ineinander verflochtener Gliedmaßen und Körper. Doch ganz allmählich kristallisierten sich Einzelheiten heraus, und ich erkannte, dass sich dort zwei Männer wie Sumoringer gegenüberstanden, einander umklammert hielten und verbissen miteinander kämpften.

Einer davon war natürlich Ingo Klapp, der mich vor wenigen Augenblicken beinahe getötet hätte. Er rang mit einem wesentlich größeren und stärkeren Mann in weißer Pflegerkleidung. Grenzenlose Erleichterung durchströmte mich, als ich Gabriel erkannte. Erst da wurde mir wirklich bewusst, dass ich dem Tod ins Auge gesehen und dem Sensenmann schon die Hand geschüttelt hatte, ihm aber noch einmal von der Schippe gesprungen war. Obwohl ich gar nicht mehr daran geglaubt hatte, war der Pfleger des Sanatoriums gerade noch rechtzeitig aufgetaucht und hatte Klapp davon abgehalten, mich zu töten.

Unter normalen Umständen hätte ich mein ganzes Geld – abgesehen von der Tatsache, dass ich zurzeit keinen müden Euro bei mir hatte – unbesehen auf Gabriel gesetzt, der aufgrund seiner überlegenen Stärke und Größe mit dem wesentlich kleineren und schmächtigeren Klapp keine großen Schwierigkeiten hätte haben dürfen. Doch sein Widersacher war alles andere als ein normaler Gegner. Der Fanatismus, der ihn antrieb wie ein innerer Atomreaktor, der Wahnsinn, den ich in seinen Augen zu sehen geglaubt hatte, oder auch nur die nackte Verzweiflung, die ihn mittlerweile bei dem Gedanken beherrschen musste, nicht nur versagt zu haben, sondern wahrscheinlich sogar alsbald hinter Schloss und Riegel zu landen, wo er nach meinem Dafürhalten auch hingehörte, mussten ihm Kräfte verleihen, die weit über jedes normale Maß hinausgingen und ihn zu einem ebenbürtigen Gegner für den im Umgang mit Wahnsinnigen versierten Pfleger machten.

Keiner der beiden Männer schien die Oberhand über den jeweils anderen gewinnen zu können, während sie sich krampfhaft umklammert hielten und einander ständig umkreisten wie zwei Tänzer, die verbissen darum rangen, wer führte.

»Holen Sie sich die Pistole!«, stieß Gabriel in diesem Moment keuchend hervor. Er musste bemerkt haben oder zumindest davon ausgehen, dass ich sie beobachtete. Außerdem schien ihm bewusst zu sein, dass er Klapp auf konventionelle Art nicht so schnell besiegen konnte. Deshalb erhoffte er sich durch meine Mithilfe einen Vorteil, der den Kampf rasch zu unseren Gunsten entscheiden konnte.

Natürlich, die Waffe!, durchfuhr es mich siedend heiß. Ich ärgerte mich, dass ich nicht selbst daran gedacht hatte, sondern stattdessen seelenruhig zugesehen hatte, wie der Mann, der mir gerade das Leben gerettet hatte, in einen unerbittlichen Zweikampf verwickelt war. Wie hatte ich nur Klapps Pistole vergessen können? Aber ehrlich gesagt war mir gar nicht aufgefallen, dass Klapp die Schusswaffe gar nicht mehr in der Hand hielt.

Da wurde mir auch der ungefähre Ablauf der Ereignisse während des kurzen Zeitraums klar, als ich die Augen geschlossen hatte und mich in Erwartung meines sicher geglaubten Todes von der Außenwelt abgekapselt und in meinen eigenen Körper zurückgezogen hatte, blind und taub für die Geschehnisse um mich herum. Gabriel musste es gewissermaßen im letzten Augenblick gelungen sein, Klapp die Waffe aus der Hand zu schlagen, bevor sich der ansonsten tödliche Schuss löste. Das Projektil war dadurch in eine andere Richtung gelenkt worden, wo es wesentlich weniger Schaden angerichtet hatte.

Ich sah mich suchend um und ließ meinen Blick über den Boden des Kellerraumes wandern. Allerdings fiel es mir zunächst schwer, inmitten des Durcheinanders aus schwarzen Linien, die das Pentagramm, die Schriftzeichen und Symbole bildeten, der Kerzen, die teilweise umgefallen waren und Wachs verschüttet hatten, der dunklen Lachen getrockneten Blutes und der weißen Umrisse, mit der die Polizei die Lage der Toten gekennzeichnet hatte, überhaupt etwas Konkretes zu erkennen. All die unterschiedlichen Formen und Farben schienen ineinander überzugehen und miteinander zu verfließen und nahmen nur widerstrebend deutlichere Konturen an. Doch dann entdeckte ich endlich die charakteristische Form und das matte Glänzen, mit dem Klapps Pistole das Licht der Neonröhren reflektierte.

»Hab sie!«, verkündete ich triumphierend und erhob mich aus der Hocke, in der ich die ganze Zeit nahezu regungslos verharrt war.

Klapps Waffe war bis zur Wand geschlittert, die der Tür direkt gegenüberlag, und ein Stück unter den dunklen Stoff gerutscht, der die Wände verhüllte. Ich befand mich zum Glück näher an der Pistole als die beiden Männer und musste daher nicht um die Kämpfenden herumgehen. Selbst wenn Klapp sich in diesem Moment von seinem Gegner befreit hätte und losgerannt wäre, hätte er die Schusswaffe nicht mehr vor mir erreichen können.

Rasch lief ich los, um die Waffe an mich zu nehmen, wie Gabriel mich angewiesen hatte.

Doch mein Aufschrei war natürlich nicht unbemerkt geblieben und schien wie ein Startsignal auf Klapp zu wirken. Er ahnte wohl, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, bevor sich die Kräfteverhältnisse dramatisch zu seinen Ungunsten verändern würden, und mobilisierte daher noch einmal all seine Kräfte.

Bevor ich die Pistole erreiche, hörte ich hinter mir einen lauten Schrei, gefolgt von einem dumpfen Schlag und einem schmerzerfüllten Stöhnen. Ich blieb stehen, als wäre ich gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, und wirbelte herum, um zu sehen, was sich hinter meinem Rücken abspielte.

Klapp trat in diesem Augenblick schwer atmend einen Schritt zurück und blickte auf seinen Gegner, der vor ihm kniete, sich vor Schmerzen krümmte und beide Hände gegen seinen Unterleib presste. Dem jungen Mann musste es gelungen sein, sich für einen kurzen Moment so weit aus Gabriels Umklammerung zu lösen, um diesem sein Knie oder ein anderes Körperteil mit voller Wucht in den Unterleib zu rammen. Selbst der hünenhafte Pfleger war durch diese Aktion vorerst außer Gefecht gesetzt und außerstande, Klapp länger Widerstand zu leisten, geschweige denn, ihn zu überwältigen.

Da drehte sich Klapp um und sah in meine Richtung. Sein Blick wanderte von mir zu seiner Waffe, die in meiner unmittelbaren Nähe lag, und dann wieder zu mir zurück, als würde er die Entfernungen und seine Erfolgsaussichten abschätzen. Für einen Augenblick befürchtete ich, er könnte es trotz allem versuchen, an die Pistole zu gelangen, um eine zweite Chance zu bekommen, mich zu töten. Doch dann schien er einzusehen, dass er nicht die geringste Chance hatte, vor mir an die Waffe zu kommen. Außerdem erholte sich Gabriel erstaunlich schnell von dem heimtückischen Schlag und stemmte sich schon wieder stöhnend in die Höhe.

Die Aussicht, sich alsbald wieder mit dem wiedererstarkten Pfleger herumschlagen zu müssen, schien für Klapp den Ausschlag zu geben. Er warf mir einen letzten hasserfüllten Blick zu, der mich erschaudern ließ, denn in ihm lag das wortlose Versprechen, dass wir uns erneut begegnen würden und mich dann niemand mehr retten könnte. Dann wandte sich Klapp um und rannte aus dem Raum.

Nachdem der Mann, der mich aus Gründen töten wollte, die ich nicht kannte, endlich durch die Tür verschwunden war, löste sich auch meine Erstarrung, in die ich verfallen war, als er mich mit diesem mörderischen Blick fixiert hatte. Auch wenn es nun nicht mehr dringend notwendig war, hob ich dennoch die Pistole vom Boden auf und eilte anschließend zu Gabriel. Doch der Pfleger benötigte meine Hilfe nicht mehr. Er stand schon wieder, wenn auch etwas nach vorn gebeugt, und stützte sich mit den Händen an den Oberschenkeln ab. Sein Gesicht war wegen der Schmerzen noch immer leicht verzerrt, und er atmete mehrmals tief durch.

Durch die offen stehende Tür konnte ich die leiser werdenden Schritte des flüchtenden Klapp im Kellergang hören. Bevor sie in der Ferne vollends verklangen, vernahm ich einen empörten Aufschrei und dann die laute Stimme eines Mannes.

»Au! Können Sie denn nicht aufpassen? Wohin so eilig? Ist etwas passiert? Haben Sie Frau Dorn gesehen? Hallo, ich rede mit Ihnen, junger Mann!« Auch wenn ich Dr. Jantzen noch nicht lange kannte, gelang es mir dennoch, ihn anhand seiner Stimme zu identifizieren.

»Dr. Jantzen kommt!«, sagte in diesem Moment wie zur Bestätigung meiner Gedanken Gabriel, richtete sich zu seiner ganzen imposanten Größe auf und bemühte sich gleichzeitig, seine Gesichtszüge zu glätten und ihnen einen neutralen Ausdruck zu verleihen. »Geben Sie mir die Waffe, Frau Dorn! Schnell!«

Ich sah ihn irritiert an, gehorchte aber, ohne Fragen zu stellen. Gabriel würde schon wissen, was er tat. Er nahm mir die Pistole aus der Hand und ließ sie in seiner linken Hosentasche verschwinden, wo sie lediglich eine leichte Ausbeulung verursachte und auf den ersten Blick nicht als Schusswaffe zu erkennen war. Dann klopfte er sich gemächlich den Staub von den Hosenbeinen.

Und während ich mir Gedanken über das merkwürdige Verhalten des Pflegers machte und mir vornahm, ihn zu einem späteren Zeitpunkt, sobald wir unter uns waren, zur Rede zu stellen, warteten wir auf das Auftauchen des Arztes, dessen Schritte auf dem Gang immer lauter wurden.

Kapitel 5

Als Dr. Jantzen auftauchte, erzählte Gabriel ihm weder von der Waffe noch von dem vereitelten Mordversuch. Ich hielt mich an sein Beispiel und hüllte mich in Schweigen, warf Gabriel aber bei der erstbesten Gelegenheit einen bedeutungsvollen Blick zu, um ihm zu signalisieren, dass wir über diese Angelegenheit noch sprechen würden.

Der Arzt beschwerte sich über Klapps rücksichtsloses Verhalten, der ihn am Fuß der Kellertreppe angerempelt und gegen die Wand gestoßen hatte. Fast wäre Dr. Jantzen sogar zu Boden gestürzt. Dann war Klapp, ohne auf die Fragen des Arztes zu reagieren, die Treppenstufen hochgerannt und verschwunden.

»Können Sie mir vielleicht sagen, warum Kriminalkommissar Klapp es so eilig hatte?«

Ich zuckte mit den Schultern und überließ es Gabriel, sich eine überzeugende Antwort auszudenken.

»Er sagte uns nur, dass er sofort mit seinem Chef sprechen müsse«, log Gabriel und schaffte es dabei, so überzeugend zu klingen, dass sogar ich ihm auf den Leim gegangen wäre, wenn ich es nicht besser gewusst hätte. Man sah ihm mittlerweile kaum noch an, dass er noch kurz zuvor vor Schmerz gekrümmt am Boden gekniet war. Allenfalls der dünne Schweißfilm auf seiner Stirn zeigte mir, dass er noch immer unter dem Schlag in seinen Unterleib zu leiden hatte.

Dr. Jantzen ließ das Thema daraufhin fallen und fragte mich stattdessen, warum ich einfach mit Klapp verschwunden sei, ohne ihm oder Gehrmann Bescheid zu geben. »Der Kriminalhauptkommissar und ich bemerkten es erst, als Gabriel mit dem Kugelschreiber vom Auto der Polizisten zurückkam und nach Ihnen fragte. Ich fiel aus allen Wolken und machte mir große Sorgen um Sie. Immerhin trage ich die Verantwortung für Ihr Wohlergehen während dieses Treffens. Nicht auszudenken, wenn Sie verschwunden oder gar verletzt worden wären. Wir wären allesamt in Teufels Küche gekommen, das können Sie mir glauben. Zum Glück ist ja nichts passiert.«

Wenn du wüsstest, was hier wirklich abgegangen ist, dachte ich und schluckte gleichzeitig, denn auf seine Frage war ich, auch wenn sie vorhersehbar gewesen war, überhaupt nicht vorbereitet. Insgeheim verfluchte ich den Pfleger, der direkt neben mir stand, denn wenn er nicht angefangen hätte, dem Arzt Lügengeschichten aufzutischen und die wahren Ereignisse vorzuenthalten, müsste ich mir jetzt nicht irgendwelche Märchen ausdenken.

Zum Glück kam mir Gabriel zu Hilfe: »Das war Klapps Idee. Er wollte anscheinend keine Zeit verlieren und beschloss eigenmächtig, Frau Dorn im Haus herumzuführen. Dabei sind die beiden dann wohl eher zufällig hier gelandet.«

Ich nickte zur Bestätigung und setzte eine reuevolle Miene auf, als würde ich einsehen, dass ich mich falsch verhalten hatte, obwohl ich gar nichts dafürkonnte. Immerhin war Gabriels Geschichte nicht weit von der Wahrheit entfernt und daher umso überzeugender.

Dr. Jantzen schien die Erklärung und meine wortlose Entschuldigung zu akzeptieren. »Und? Hat der kleine Ausflug sich wenigstens gelohnt?« Er sah sich interessiert um und verzog angewidert das Gesicht, als sein Blick auf die Flecken aus getrocknetem Blut am Boden fiel.

Ich hätte dem Arzt natürlich von den verheerenden Auswirkungen unseres »kleinen Ausflugs« auf Klapps Psyche – immerhin Dr. Jantzens Fachgebiet – erzählen können. Oder davon, dass er beinahe dazu geführt hatte, dass ich an diesem furchtbaren Ort mein Leben verlor. Doch ich hütete mich davor, etwas davon auszuplaudern, nachdem Gabriel allem Anschein nach so viel daran lag, diese Dinge vor dem Nervenarzt geheim zu halten. Stattdessen beschränkte ich mich auf ein knappes Statement: »Leider nicht!«

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