Kitabı oku: «DER WIDERSACHER», sayfa 5

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»Da bin ich!«, sagte Anja und breitete die Arme aus. Sie sah auf die Kreideumrisse und Blutflecken auf dem Boden. »Sagt mir jetzt endlich mal jemand, warum ich hier bin?« Da Englmair wusste, dass sie vom Dienst suspendiert war, musste sie ihn nicht extra daran erinnern. Wenn er sie dennoch an diesen Ort geholt hatte, um mit ihr über einen seiner Fälle zu sprechen, musste er einen verdammt guten Grund dafür gehabt haben.

»Sagt dir der Name Doris Sonntag etwas?«, fragte Englmair, als wäre sie eine Verdächtige in einem Mordfall. Es beruhigte sie allerdings, dass er dabei noch immer ein freundliches, väterliches Lächeln auf dem Gesicht trug.

Anja schüttelte den Kopf. »Noch nie gehört. Ist das der Name des Opfers?« Sie deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Kreideumriss und das getrocknete Blut auf dem Boden, neben dem Fingerabdruckpulver an der geschlossenen Aufzugstür die einzig verbliebenen Hinweise, dass hier vermutlich ein Verbrechen verübt worden war.

Die beiden Mordermittler nickten nahezu synchron. Englmair nicht länger lächelnd, sondern mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, Plattner hingegen weiterhin grinsend, als wäre das alles nur ein Spaß.

»Sie war Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis«, erklärte Englmair. »Vierzig Jahre alt, verheiratet mit einem Schönheitschirurgen, keine Kinder. Ihnen gehört eine sündteure Eigentumswohnung in diesem Haus.«

»Sagt mir alles nichts. Was ist passiert?« Anja verschränkte die Arme vor der Brust, verlagerte das Gewicht und stellte sich bequemer hin. Sie ging davon aus, dass diese Unterredung länger dauern würde. Da die Beleuchtung nicht ausging, nahm sie an, dass der Hausmeister auf Veranlassung der Polizei die Zeitschaltuhr abgestellt und auf Dauerbeleuchtung umgeschaltet hatte.

Englmair sah Plattner an und nickte ihm zu, um es seinem Partner zu überlassen, Anja über die Einzelheiten des Falls aufzuklären. Plattner räusperte sich kurz, bevor er zu sprechen anfing. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als er sich auf die Fakten konzentrierte. »Frau Sonntag war nach der Arbeit noch beim Einkaufen, weil ihr Mann jemanden überraschend zum Essen eingeladen hatte. Anschließend fuhr sie hierher. Über der Einfahrt ist eine Kamera installiert, und auf der Aufnahme sieht man, wie sie in die Tiefgarage fährt.«

»Saß sie am Steuer?«, fragte Anja. »Und war sie allein im Fahrzeug?«

»Sie steuerte den Wagen, und soweit man es sehen kann, war außer ihr niemand sonst im Auto.«

»Und dann?«

»Sie parkte den Mercedes auf ihrem Stellplatz und ging mit ihrer Handtasche und zwei Einkaufstüten zum Aufzug. Hier hat sie dann ihren Mörder getroffen. Als er auf sie losging, ließ sie alles fallen. Er tötete sie anschließend mit einem einzigen Stich ins Herz.«

»Die Tatwaffe?«

»Vermutlich ein Dolch mit einer beidseitig geschliffenen und spitz zulaufenden Klinge.«

»Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Anja, was zunächst einmal naheliegend war.

Doch Plattner schüttelte verneinend den Kopf.

»Raubmord?«

»Ebenfalls Fehlanzeige«, schaltete sich Englmair ein. »Von ihren Sachen fehlte absolut nichts. Geldbörse und Schmuck waren unangetastet.«

»Was ist mit dem Ehemann? Hat er ein Alibi?«

»Das hat er in der Tat«, sagte Plattner. »Sogar ein absolut überzeugendes, denn er hat zu dem Zeitpunkt, als seine Frau umgebracht wurde, eine Schönheitsoperation durchgeführt. Dafür gibt es ungefähr ein halbes Dutzend Zeugen.«

Anja seufzte. »Wäre nicht das erste Mal, dass ein Ehemann jemanden mit dem Mord an seiner Frau beauftragt und dafür sorgt, dass er selbst ein hieb- und stichfestes Alibi hat.«

»Das ist natürlich durchaus möglich«, sagte Englmair. »Aber in dem Fall müsste er ein hervorragender Schauspieler sein, denn er erlitt einen Schwächeanfall und kippte einfach um, als wir ihn über den Tod seiner Frau informierten. Ich dachte schon, er hätte einen Herzinfarkt und würde ebenfalls sterben. Der Notarzt, den wir gerufen hatten, gab ihm dann ein Beruhigungsmittel. Außerdem informierten wir seine Schwester, die sich seitdem um ihn kümmert. Es geht ihm zwar noch immer schlecht, doch inzwischen konnten wir ihm zumindest ein paar Fragen stellen. Dabei haben wir erfahren, wo er zum Zeitpunkt ihres Todes war und dass weder seine Frau noch er irgendwelche Feinde haben.«

Anja zuckte ratlos mit den Schultern und sah sich um. »Wenn es der Ehemann nicht war, und sowohl ein Sexualverbrechen als auch ein Raubmord ausscheiden, warum wurde sie dann getötet?«

»In den letzten drei Jahren gab es vier nahezu identische Mordfälle«, ließ Englmair die Katze endlich aus dem Sack. »Allerdings nicht hier in München, nicht einmal in Bayern, sondern in Norddeutschland. In allen vier Fällen wurden sowohl weibliche als auch männliche Psychiater und Psychotherapeuten ermordet. Und jedes Mal wurden sie mit einem einzigen gezielten Dolchstoß ins Herz getötet.«

»Ein Serienkiller also«, sagte Anja.

»Sieht ganz danach aus.«

Anja überlegte fieberhaft. Obwohl sie bei der Vermisstenstelle arbeitete und im Grunde nur nach vermissten Personen suchte, hatte sie es in den letzten Jahren mehrere Male mit Serienmördern zu tun bekommen. Deshalb war sie allerdings noch lange keine Expertin auf diesem Gebiet. Es musste daher noch einen anderen Grund für ihr Hiersein geben, auch wenn dieser nicht sofort ersichtlich war. »Wann geschah der Mord eigentlich?«

»Gestern Abend«, sagte Plattner.

»Gestern Abend?«, echote Anja erstaunt. »Und warum habt ihr mich erst jetzt hierher gebracht?«

»Wir waren anderweitig beschäftigt«, sagte Englmair, ohne näher darauf einzugehen, was sie in der Zeit getrieben hatten.

»Okay«, sagte Anja und nickte nachdenklich. »Jetzt bin ja hier. Aber ich weiß immer noch nicht, was ich hier soll.« Sie sah Englmair erwartungsvoll an. »Entweder du sagst mir endlich, was dahintersteckt, oder ich schwöre dir, ich verlasse auf der Stelle diese Tiefgarage, fahre mit dem Taxi nach Hause und schicke dir dann die Rechnung.«

Englmair lächelte. »Das glaube ich dir sogar. Es wird aber nicht nötig sein.« Er griff in die Innentasche seiner Jacke, holte einen Stapel Fotografien heraus und reichte ihn Anja. »Das sind die Tatortfotos. Tu mir bitte den Gefallen und sieh sie dir an.«

Anja seufzte, senkte den Blick und sah sich das oberste Foto an. Es war in der Tiefgarage, allerdings aus einiger Entfernung aufgenommen worden, sodass die Frauenleiche im Hintergrund kaum als solche zu erkennen war. Sie nahm das Foto und steckte es nach hinten. Bei der nächsten Aufnahme war der Fotograf schon näher dran gewesen, doch noch immer war von dem Leichnam kaum etwas zu erkennen. Man konnte allerdings die beiden bunten Einkaufstüten und die Handtasche sehen, von denen Plattner gesprochen hatte und die inzwischen weggeräumt worden waren. Sie besah sich aufmerksam ein Bild nach dem anderen. Da sich der Fotograf dem Leichnam immer mehr angenähert hatte, nahm dieser immer mehr Raum auf den Aufnahmen ein, wodurch auch immer mehr Details erkennbar waren, bis die Leiche schließlich in Großaufnahme und all ihrer Schrecklichkeit zu sehen war. Anja erschauderte bei dem Anblick, doch es war nichts gegen das Angstgefühl, das sie stets hatte, wenn sie sich in direkter Gegenwart einer menschlichen Leiche befand.

Langsam arbeitete sie sich durch den Stapel in ihrer Hand und beäugte eine Aufnahme nach der anderen aufmerksam. Doch nichts, was sie darauf sah, erklärte, warum sie hier war. Doch dann war auf einer der letzten Aufnahmen in Großaufnahme eine rechteckige weiße Karte zu sehen. Die Karte war ihr bereits vorher aufgefallen, denn sie hatte in der Nähe der einzelnen Stichwunde auf dem Leichnam gelegen, Anja hatte ihr aber keine besondere Bedeutung beigemessen. Doch nun, aus unmittelbarer Nähe, erkannte sie, dass es sich um eine Visitenkarte handelte. Und nicht etwa um irgendeine Visitenkarte, denn Anjas Name, ihr Dienstgrad und ihre dienstliche Telefonnummer standen darauf.

Jäh überkam sie ein Gefühl von Déjà-vu, als sie sich unwillkürlich daran erinnerte, dass schon einmal Visitenkarten von ihr an mehreren Tatorten zurückgelassen worden waren. Damals hatte ihr Widersacher mit der Hilfe eines Serienkillers versucht, ihr mehrere Morde an Menschen, die sie in ihrer Kindheit gekannt hatte, in die Schuhe zu schieben. Beinahe wäre ihm das auch gelungen. Zeitweise hatte Anja sogar selbst geglaubt, sie hätte die Morde im Alkoholrausch begangen, und deshalb sogar Beweismittel beiseitegeschafft, die sie belasteten. Der Anblick der Visitenkarte weckte in Anja nun zahlreiche ungute Erinnerungen, denn es war damals ausgerechnet Krieger gewesen, der sie aufgrund der Spurenlage der Morde verdächtigt hatte. Nachdem schließlich der wahre Täter getötet worden war, hatte sich Krieger bei ihr entschuldigt; allerdings war er seitdem stets besonders misstrauisch ihr gegenüber gewesen. Er war davon überzeugt gewesen, dass Anja ihren Kollegen wichtige Informationen vorenthalten hatte und insgeheim ihr eigenes Süppchen kochte. Und damit hatte er nicht einmal unrecht gehabt, auch wenn er ihr dabei kriminelle Motive unterstellt hatte, die sie nicht besaß.

»Jetzt wissen Sie, warum Sie hier sind«, sagte Plattner.

Anja hob den Blick und sah ihn an. »Aber ich kannte die Frau doch gar nicht.«

»Sind Sie sich sicher?«

Sie nickte. »Absolut! Ich bin dieser Psychiaterin noch nie im Leben begegnet.«

»Warum hat der Täter dann Ihre Visitenkarte auf die Leiche gelegt?«

»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.« Anja seufzte. »Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass dahinter derselbe Kerl steckt, der meinen Vater, meinen Mann und Krieger umgebracht hat. Anscheinend hat er wieder damit begonnen, seine Spielchen mit mir zu treiben.«

Englmair nickte. »Das dachte ich mir auch gleich, als ich die Visitenkarte sah. Deshalb hielt ich es für das Beste, dass du von der Sache erfährst.«

»Wovon redet ihr zwei eigentlich?«, fragte Plattner irritiert.

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Anja und sah Englmair fragend an.

Der zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist es besser, wenn wir ihn einweihen. Schließlich spielt er jetzt in unserem Team.«

»Einweihen in was?«

Anja nickte und sah Plattner an. »Es gibt da jemanden, der es auf mich abgesehen hat und mir seit einiger Zeit immer wieder das Leben schwermacht, indem er Leute umbringt oder umbringen lässt. Anschließend verwickelt er mich dann in diese Mordserien, indem er mir Nachrichten schickt oder es so aussehen lässt, als hätte ich die Taten begangen. Fragen Sie mich aber bitte nicht, warum er das tut, denn das weiß ich nicht. Ich nenne diesen Mann den Widersacher. Wenn er allerdings im Darknet mit anderen Psychopathen kommuniziert, dann lässt er sich von ihnen Jack nennen.«

»Jack?« Plattner lachte. »Wie in Jack the Ripper etwa? Echt jetzt? Ihr wollt mich bloß verarschen, oder? Das ist ein Streich, den man den Neulingen in der Mordkommission spielt. Und gleich kommen die Kollegen hereingestürmt, lachen sich scheckig, weil ich euch auf den Leim gegangen bin, und rufen: ›Hereingelegt, Grünschnabel!‹«

»Schön wär’s«, sagte Englmair und sah Anja an. »Wieso sind wir nicht auf diese Idee gekommen?«

Anja zuckte mit den Schultern. »Vermutlich, weil man mit so etwa, vor allem an einem Tatort wie diesem, keine Scherze treibt.«

»Daran wird’s wohl liegen«, stimmte Englmair zu.

»Ihr meint das also wirklich ernst?«, fragte Plattner noch einmal nach. Das Grinsen war ihm scheinbar vergangen, denn er guckte reichlich konsterniert aus der Wäsche.

»Todernst!«, versicherte ihm Anja. »Außerdem haben wir uns den Namen nicht ausgedacht, den hat er selbst gewählt. Vermutlich ist die Assoziation mit dem berühmtesten Serienmörder aller Zeiten dabei durchaus beabsichtigt. Der Widersacher ist allem Anschein nach sehr von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt. Und dazu hat er auch allen Grund, denn bislang ist es niemandem gelungen, ihn für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen oder auch nur seine wahre Identität zu enthüllen.«

»Und was hat dieser mysteriöse Jack so alles angestellt?«, fragte Plattner.

»Soweit wir wissen, begann alles vor annähernd sechsundzwanzig Jahren. Damals wurden hier in München drei Mädchen entführt, die bis auf ihr langes dunkelbraunes Haar, das Geschlecht und die Altersgruppe kaum etwas gemeinsam hatten. Ich kannte sogar eines der Mädchen; sie hieß Helena und ging mit mir in eine Klasse. Mein Vater war damals für die Vermisstenfälle zuständig und leitete zusammen mit seinem Partner die Sonderkommission, die gebildet worden war. Doch noch während der Ermittlungen starb mein Vater. Ich fand damals seine Leiche, als ich nach Hause kam und die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete. Der Widersacher hatte ihn getötet, weil mein Vater ihm vermutlich auf die Schliche gekommen war und zur Rede gestellt hatte. Er hatte den Mord allerdings erfolgreich als Selbstmord inszeniert, sodass jahrelang alle – auch ich – davon ausgingen, er hätte Suizid begangen.« Anja verstummte und verdrängte die schmerzhaften Erinnerungen an damals, die sie noch heute gelegentlich in furchtbaren, immer wiederkehrenden Albträumen quälten.

»Und was passierte dann?«, fragte Plattner neugierig.

»Danach geschah erst einmal lange Zeit gar nichts«, sagte Anja. »Vielleicht trieb Jack woanders sein Unwesen, möglicherweise im Ausland, denn ich kann nicht glauben, dass jemand wie er von heute auf morgen einfach mit dem Morden aufhört.«

»Und die drei verschwundenen Mädchen?«

»Sind nie wieder aufgetaucht«, antwortete Englmair, den Anja nach Kriegers Tod in alles eingeweiht hatte.

»Stattdessen ist vor fast etwa zweieinhalb Jahren der Widersacher wieder in Erscheinung getreten«, fuhr Anja fort. »Allerdings nicht persönlich, sondern mithilfe einer Reihe anderer Killer, die er als Werkzeug benutzte. Außerdem schickte er mir Nachrichten, sodass ich in die Mordfälle involviert wurde. Auf diese Weise erfuhr ich auch, dass mein Vater sich nicht selbst getötet hatte, sondern von Jack ermordet worden war. Und dass der Widersacher sich noch im Haus aufhielt, als ich den Leichnam meines Vaters fand. Darüber hinaus ermordete er meinen Mann und ließ es ebenfalls wie einen Suizid aussehen, um ihm die Schuld an mehreren Morden in die Schuhe zu schieben, die in Wahrheit eines seiner Werkzeuge begangen hatte.« Anja verstummte und schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht vor, Plattner hier und jetzt alles haarklein zu erzählen. Es genügte, wenn er die groben Umrisse der Geschichte kannte. »Seitdem versuche ich herauszufinden, wer der Widersacher ist, um ihm endlich das Handwerk zu legen.«

»Und was ist mit den Morden vor ein paar Wochen, als ich noch beim KDD war und meine Kollegin und ich von Ihnen zu zwei Tatorten gerufen wurden?«, fragte Plattner.

»Auch hinter diesen Fällen steckte in Wahrheit der Widersacher. Er bediente sich dabei der Hilfe des Mannes, der sich selbst Regenmann nannte.«

Plattner nickte mit gerunzelter Stirn, als er nun die Zusammenhänge erkannte. Über den Regenmann, der nur bei Regenwetter zugeschlagen und mehrere Menschen ermordet hatte, wusste er Bescheid. Allerdings hatte er bislang natürlich nicht die wahren Hintergründe der letzten Morde dieses Mannes gekannt.

»Am Ende tötete der Widersacher nicht nur den Regenmann, als er ihn nicht mehr benötigte«, sagte Anja, »sondern auch Kriminaloberkommissar Anton Krieger, der mir zum Haus des Regenmanns gefolgt war.«

»Und er ermordete darüber hinaus eine Malerin und ihren Vater in Fürstenfeldbruck«, ergänzte Englmair.

»Aus welchem Grund?«, fragte Plattner.

»Durch ein Notizbuch meines Vaters, das meine Mutter im Auto gefunden und dann wieder vergessen hatte, stieß ich auf ein Grundstück in der Nähe von Fürstenfeldbruck, das mein Vater unmittelbar vor seinem Tod überprüft hatte. Vermutlich hatte der Widersacher das Grundstück damals gemietet und die Leichen der drei Mädchen dort vergraben. Allerdings wurden die Leichname später wieder entfernt und an einen bislang unbekannten Ort gebracht. Als ich den damaligen Eigentümer befragte, der an beginnendem Alzheimer litt und in einem Seniorenheim lebte, wurde er ermordet, während ich ihn kurz allein ließ, um Wasser zu holen. Kurze Zeit später wurde auch seine Tochter in meiner Gegenwart getötet. Allerdings gab sie mir vorher eine Fotografie, auf der vermutlich das Auto des damaligen Grundstücksmieters und ein Teil des Kennzeichens zu sehen sind.«

»Und?«, fragte Plattner. »Hat sich mithilfe dieses Fotos eine neue Spur ergeben?«

Anja und Englmair schüttelten gleichzeitig den Kopf.

»Und dabei haben wir alles versucht, um den damaligen Halter des Fahrzeugs zu ermitteln«, sagte Englmair zerknirscht. »Aber es ist einfach schon zu lange her. Außerdem kennen wir nur einen Teil des Kennzeichens, was die Sache zusätzlich verkompliziert.«

»Also seid ihr noch immer keinen Schritt weitergekommen?«

Auch das mussten die Kollegen zähneknirschend bejahen.

»Habt ihr dann wenigstens einen vagen Verdacht, wer es sein könnte?«

Englmair sah Anja fragend an. Von dem Verdacht, den sie insgeheim hegte, hatte sie nicht einmal ihrem Vorgesetzten, sondern nur ihm erzählt.

Anja seufzte, bevor sie sagte: »Ich habe tatsächlich jemanden in Verdacht. Ich ließ diese Person sogar von einem Bekannten meines Vaters, einem ehemaligen Kollegen, zeitweise überwachen. Allerdings hat diese Überwachung nichts ergeben, das meinen Verdacht erhärtet hätte, sodass ich den Namen des Mannes momentan lieber für mich behalten möchte. Schließlich kann ich mich auch täuschen, und diese Person hat nichts mit der Angelegenheit zu tun und ist unschuldig. Deshalb möchte ich sie nicht grundlos verdächtigen.«

Bei dem Verdächtigen handelte es sich um ihren Onkel Christian Kramer. Er war unmittelbar nach der Beerdigung seines Bruders nach Südafrika ausgewandert und unmittelbar vor dem erneuten Auftauchen des Widersachers wieder nach Deutschland zurückgekehrt, was ihn in Anjas Augen verdächtig genug machte. Außerdem konnte sie sich gut vorstellen, dass ihr Vater damals beschlossen hatte, jemanden wie seinen Bruder erst zur Rede zu stellen, als er ihn in Verdacht hatte, bevor er anderen davon erzählte.

Plattner nickte nachdenklich. Er schien den Grund für ihr Schweigen über die Identität ihres Verdächtigen nachvollziehen zu können, denn er bohrte nicht nach. Nach ein paar Augenblicken kehrte das obligatorische Grinsen auf sein Gesicht zurück. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Mannomann! Was für eine abgefahrene Scheiße.«

Anja und Englmair mussten daraufhin ebenfalls grinsen.

»Das kannst du laut sagen, Partner«, meinte Englmair.

Anja nickte. »Und die Sache ist noch nicht zu Ende, denn es sieht danach aus, als hätte der Widersacher erneut einen willigen Psychopathen gefunden, der für ihn die Drecksarbeit erledigt, damit er weiter sein hinterhältiges Spielchen mit mir treiben kann. Ich hatte gehofft, er gönnt mir diesmal eine längere Pause, sodass wir eine Chance bekommen, ihm endlich auf die Schliche zu kommen. Aber er ist uns wie immer mal wieder einen Schritt voraus und treibt uns vor sich her.« Sie seufzte laut und sah sich um. »Gibt es sonst noch etwas, das ich über den Mord an der Psychiaterin wissen sollte?«

»Da ist tatsächlich noch etwas«, sagte Englmair.

Anja wandte den Kopf und sah ihn fragend an. »Was denn noch?« Insgeheim hatte sie allerdings bereits geahnt, dass das noch nicht alles gewesen war und Englmair noch eine Überraschung für sie parat hatte.

»Sieh dir einfach das nächste Tatortfoto an.«

Sie tat, was er ihr geraten hatte. Die Aufnahme zeigte die Rückseite der Visitenkarte. Darauf war ein roter Fingerabdruck zu sehen, vermutlich aus Blut. Ein derart deutlicher und vollständiger Abdruck war vermutlich der Traum jedes Kriminaltechnikers. »Wessen Abdruck ist das?«, fragte Anja, hob wieder den Kopf und sah Englmair an.

»Das wissen wir nicht«, sagte er. »Wenn es dein Fingerabdruck wäre, hätten wir dich bereits festnehmen und in einem Verhörzimmer befragen müssen, aber er stammt definitiv nicht von dir, denn das haben wir bereits überprüft. Im Übrigen auch nicht von unserem Mordopfer, was natürlich unser zweiter Gedanke war. Und es gibt auch keine Übereinstimmung mit den gespeicherten Fingerabdrücken im AFIS.« Dabei handelt es sich um das automatisierte Fingerabdruck-Identifizierungs-System beim Bundeskriminalamt, das es der Polizei ermöglicht, unbekannte Fingerabdruckspuren mit bekannten Fingerabdrücken zu vergleichen. Im AFIS sind die Fingerabdrücke von mehr als fünf Millionen Personen und die Handflächenabdrücke von über zwei Millionen Personen gespeichert.

»Vielleicht ist es ja der Fingerabdruck des Mörders oder Ihres mysteriösen Widersachers«, schlug Plattner vor.

Doch Anja schüttelte entschieden den Kopf. »Das halte ich für unwahrscheinlich. Der Mörder meines Vaters würde sich vermutlich eher die Hand abhacken, als an einem Tatort einen Fingerabdruck zu hinterlassen. Und wieso sollte der Täter so etwas tun? Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Von wem ist er dann?«

Anja überlegte. »Wie ich schon sagte, liebt es der Widersacher, seine perfiden Spielchen mit uns zu treiben. Deshalb gehe ich davon aus, dass es sich auch hier wieder um eine seiner niederträchtigen Gemeinheiten handelt. Ihr solltet daher alles daransetzen, so schnell wie möglich herauszufinden, wessen Fingerabdruck das ist.« Sie sah erneut auf die oberste Fotografie des Stapels in ihren Händen. »Besteht der Abdruck tatsächlich aus Blut, oder ist das nur rote Farbe?«

»Blut«, antwortete Englmair und fuhr, da er ihren Gedankengang und ihre nächste Frage bereits erahnte, fort: »Es handelte sich eindeutig um menschliches Blut der Gruppe A Rhesus positiv, also um die in Deutschland häufigste Blutgruppe. Das Ergebnis der DNA-Analyse steht allerdings noch aus.«

Anja ließ sich diese Information durch den Kopf gehen.

»Was denkst du jetzt?«, fragte Englmair.

»Er spielt wieder mit uns«, sagte Anja nachdenklich. »Außerdem ist das hier sicherlich noch nicht alles, was Jack für uns auf Lager hat. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, die er uns sehen lässt. Ich könnte mir daher vorstellen, dass sowohl der Fingerabdruck als auch das Blut vom nächsten Opfer stammen.«

»Das denke ich nicht«, widersprach Englmair.

Anja sah ihn überrascht an. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«

Englmair seufzte. Bevor er ihr eine Antwort gab, streckte er die Hand aus, nahm ihr den Stapel mit den Tatortfotos ab und steckte sie wieder ein. »Das wollten wir dir ohnehin als Nächstes zeigen«, sagte er dann. »Komm mit!« Damit wandte er sich ohne ein weiteres Wort um und marschierte in Richtung Tiefgaragenausfahrt.

Anja sah Plattner fragend an. Doch der zuckte nur mit den Schultern und grinste, bevor er seinem Partner folgte. Anja blieb erneut nichts anderes übrig, als ihnen hinterherzueilen, während sie sich fragte, welche Überraschung dieser Tag noch für sie bot.

Von alldem, was noch kommen sollte, ahnte sie zu ihrem Glück nichts.

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