Kitabı oku: «INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Drei», sayfa 2

Yazı tipi:

Der junge Mann lief vor dem Auto her und führte sie zur Garage, einem separaten Gebäude, das abgelegen vom Hauptgebäude, in einem kleinen, aber dichten Pinienwäldchen versteckt lag. Vermutlich hatte es früher als Pferdestall gedient, war vor einigen Jahren aber komplett umgebaut worden. Jetzt beherbergte es eine Reihe nobler Fahrzeuge, die zum größten Teil unter schützenden, undurchsichtigen Kunststoffplanen verborgen waren. Im oberen Stockwerk, direkt unter dem Dach, war eine Wohnung eingerichtet worden, die man sowohl über eine Außentreppe als auch durch die Garage erreichen konnte. Einst war sie für den Chauffeur der eindrucksvollen Fahrzeugflotte vorgesehen gewesen, doch da Signor Nero nach Auskunft des pausenlos plappernden Mitarbeiters seine teuren Nobelkarossen bevorzugt selbst fuhr, war die Wohnung seitdem ungenutzt geblieben. Nun war sie kurzfristig dazu auserkoren worden, Wolfgang als Domizil während ihres Aufenthalts in Rom zu dienen. Der schweigsame Gestaltwandler sollte wohl gegenüber dem Inquisitor als Neros Chauffeur ausgegeben werden. Die Wohnung war gereinigt und gelüftet worden, sodass einem Einzug nichts im Wege stand. Falls der dunkelhaarige, gut aussehende Italiener sich wunderte, warum Wolfgang kein Gepäck bei sich hatte, sagte er nichts davon.

Nachdem Wolfgang den Wagen in die Garage gelenkt hatte, mussten sie den bewusstlosen Inquisitor aus dem Sarg heben und ins Haupthaus bringen, wo Zimmer für ihn und Marcella vorbereitet worden waren. Auch über den befremdlichen Umstand, dass ein lebender Mensch in einem Sarg transportiert wurde, verlor der beflissene junge Mann kein Wort. Marcella konnte an seiner Aura feststellen, dass er kein Luziferianer war. Vielleicht war er ein »Luziferianer-Groupie«, wie spöttische Zeitgenossen diejenigen nannten, die selbst keine Luziferianer waren, aber für ihr Leben gern dazugehören wollten und alles taten, um zumindest in die Nähe ihrer Idole zu gelangen. Möglicherweise wusste er auch gar nicht, dass sein Arbeitgeber ein Nekromant war, war aber wegen Neros verbrecherischen Machenschaften im Immobiliengeschäft einiges gewohnt und wunderte sich deshalb nicht mehr über derartige Dinge.

Auf jeden Fall zeigte sich Fabrizio, wie er sich ihnen verspätet vorstellte, trotz seines wenig gelungenen Einstands wenigstens jetzt gut vorbereitet, da in einer Ecke der Garage ein Rollstuhl bereitstand. Dort setzten sie den Inquisitor hinein, nachdem sie mit vereinten Kräften erst den Sarg aus dem Leichenwagen gehoben und auf dem Boden abgestellt und anschließend den Bewusstlosen herausgeholt hatten.

Wolfgang begleitete Marcella und Fabrizio zum Haupthaus, denn der Gestaltwandler sollte dort die wichtigsten Räumlichkeiten kennenlernen und mithelfen, Michael Institoris nach oben in den ersten Stock zu tragen, wo dieser in einem der Gästezimmer untergebracht wurde. Der Weg war gepflastert und führte erst durch das Wäldchen und anschließend noch ein gutes Stück weiter, bis sie nach einem weiten Bogen, der um eine dichte Buschgruppe herumführte, die Villa erreichten.

Fabrizio hatte es sich nicht nehmen lassen, den Rollstuhl zu schieben. Marcella zog ihren Trolley hinter sich her und trug den Vogelkäfig in der linken Hand. Wolfgang marschierte neben ihnen her und ließ stumm den Blick in alle Richtungen schweifen, als ginge ihn das alles nichts an.

Während des gesamten Weges wurde es Fabrizio nicht müde, sich immer wieder wort- und gestenreich bei ihnen dafür zu entschuldigen, dass er nicht sofort das Tor geöffnet hatte. Er bat sie auch mehrmals, seinem Chef nichts davon zu erzählen, da er ansonsten »gefeuert« würde. Die Art, wie er es sagte, ließ Marcella vermuten, dass er damit mehr meinte als eine gewöhnliche Kündigung. Sie versicherte ihm daher, dass sie die Sache längst vergessen und keine Veranlassung habe, Signor Nero darüber zu unterrichten. Wolfgang hüllte sich in Schweigen. Das war bei ihm an sich nichts Ungewohntes, doch Marcella gewann den Eindruck, dass der Deutsche kein Wort Italienisch sprach und nichts von dem verstand, was Fabrizio ihnen sagte. Wahrscheinlich orientierte sich der Gestaltwandler an den ständigen Gesten des schlanken, ein gutes Stück zu klein geratenen Italieners und erahnte auf diese Weise Bruchstücke dessen, worüber Fabrizio sprach. Dadurch gelang es ihm bisweilen, zum richtigen Zeitpunkt zustimmend zu nicken.

Das Haus war eindrucksvoll, aber Marcella war mittlerweile viel zu müde, um alle Daten und Informationen, die Fabrizio herunterrasselte, aufnehmen und gebührend würdigen zu können. Er erweckte den Eindruck, als wollte er ihnen die Villa verkaufen und nicht bloß den Ort zeigen, an dem Institoris und sie die nächsten Tage wohnen, schlafen und essen würden. Marcella war daher froh, als Fabrizio die Besichtigungstour für beendet erklärte. Er war der Einzige, der nicht müde wirkte, was aber kein Wunder war, nachdem er bis zu ihrer Ankunft geschlafen hatte. Die beiden Männer trugen den Inquisitor nach oben. Marcella folgte ihnen und zog den Trolley Stufe für Stufe hinter sich her, während sie den schlafenden Vogel in seinem Käfig in der anderen Hand hielt.

Sie brachten zunächst Michael Institoris in sein Zimmer. Trotz ihrer Erschöpfung bewunderte Marcella die Einrichtung. Entweder hatte Nero wider Erwarten einen guten Geschmack in puncto Inneneinrichtung oder einen ausgezeichneten Innenarchitekten. Marcella tippte insgeheim auf Letzteres. Die Männer entkleideten den Inquisitor mit raschen Handgriffen, während sich Marcella dezent im Hintergrund hielt und ab und zu einen neugierigen Blick wagte. Anschließend zogen sie ihm einen bereitliegenden, seidenen Schlafanzug an, legten ihn in die Mitte der Matratze und deckten ihn zu. Marcella erwartete beinahe, dass Wolfgang dem Inquisitor noch einen Gutenachtkuss gab. Dies hätte dem Ganzen die Krone aufgesetzt und ihr sicherlich einen Lachkrampf beschert, doch so weit ging seine Fürsorglichkeit dann doch nicht. Rasch und wortlos verließen sie das Zimmer. Fabrizio kam als Letzter heraus und löschte das Licht.

Wolfgang nickte zum Abschied und verschwand wortlos, um in die Räumlichkeiten über der Garage zu gehen, nachdem es für ihn in der Villa nichts mehr zu tun gab. Fabrizio versicherte Marcella, dass der Hausherr am nächsten Tag zurückkehren würde. Außerdem würde am Morgen das Personal zur Arbeit kommen und sich um sie kümmern. Er entschuldigte sich ein letztes Mal wortreich und zeigte ihr dann ihr Schlafzimmer, das direkt neben dem des Inquisitors lag und beinahe dessen Spiegelbild war – lediglich die Farbe der Vorhänge war eine andere. Anschließend verabschiedete sich Fabrizio, indem er nach ihrer Hand griff, einen Kuss auf ihren Handrücken hauchte und ihr eine gute Nacht wünschte.

Wenn Nero ihn nicht feuert, weil Wolfgang sich über das Warten beschwert, wird er es im Immobiliengeschäft sicherlich noch weit bringen, dachte Marcella schmunzelnd und sah sich in ihrem Zimmer um. Es gefiel ihr, und sie war sicher, dass sie es hier ein paar Tage lang aushalten konnte, bis ihre Aufgabe erledigt war. Doch nachdem sie den Vogelkäfig auf den Tisch gestellt hatte und ans Fenster getreten war, wo sich ihrem Blick wie ein glitzernder Teppich das erleuchtete, nächtliche Rom präsentierte, drohte ein akuter Anfall von Heimweh sie fast zu ersticken. Mit Tränen in den Augen zog sie schnell den Vorhang vor das Fenster, wandte sie sich ab und ging zu ihrem Trolley. Sie war todmüde und wollte endlich ein paar Stunden ungestörten Schlaf bekommen.

Am nächsten Vormittag erwachte Marcella spät, aber ausgeruht, als sie vom lauten Gezwitscher eines Vogels geweckt wurde, während die Sonne bereits ihre gleißenden Strahlen über die Stadt ergoss. Es war der Gesang der Elster, die lange vor ihr aufgewacht war, Hunger hatte und aus dem Käfig heraus und ins Freie wollte. Marcella stand auf und öffnete die Käfigtür. Ragazzo hüpfte auf dem Tisch hin und her und beäugte ebenso misstrauisch wie neugierig seine neue Umgebung. Währenddessen holte Marcella Futter aus ihrem Koffer und stellte ein kleines Schälchen auf den Tisch. Der Vogel machte sich gierig über die Körner her, während Marcella alles, was sie zum Duschen und für ihre Morgentoilette brauchte, aus dem Trolley holte und im angrenzenden Bad verschwand. Anschließend zog sie sich eine frische, helle Leinenhose und eine beige Bluse an. Ragazzo, der die Futterschale geleert hatte, flog auf ihren Zeigefinger, den sie ihm hinhielt. Sie hob den Finger mit dem Familiaris an ihr Gesicht, worauf Ragazzo sein Köpfchen an ihrer Wange rieb. Er zwitscherte laut, und auch ohne mentalen Kontakt wusste Marcella, dass der Vogel nach draußen wollte. Wie jedes lebende Wesen hatte auch er Bedürfnisse, die er befriedigen musste. Und da Ragazzo ein wohlerzogener Spiritus familiaris war, verrichtete er sein Geschäft im Freien. Marcella ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite, der den Schein der Sonne gedämpft und für ein angenehmes Dämmerlicht gesorgt hatte. Jetzt konnten die Sonnenstrahlen ungehindert ins Zimmer gelangen und die Hexe und den Vogel in ihren gleißenden Schein baden. Marcella öffnete einen Fensterflügel und hielt ihre Hand nach draußen. Ragazzo pfiff wie einen Abschiedsgruß eine kurze, melodische Abfolge von Tönen und flog davon. Marcella hatte keinerlei Bedenken, den Vogel fliegen zu lassen, da er in der Nähe des Hauses bleiben würde. Sie hatte auch keine Angst, dass es auf dem Grundstück Gefahren für die Elster geben könnte. Selbst wenn, würde sich das Tier zu helfen wissen. Und anderen Menschen ging das scheue Tier ohnehin aus dem Weg.

Marcella schwelgte noch für eine Weile im überwältigenden Anblick ihrer Heimatstadt, bevor sie das Zimmer verließ und nach unten ging. Im Erdgeschoss wurde sie von einer freundlichen, schmächtigen Frau mit mausgrauen Haaren begrüßt, die einen dunkelgrauen Hosenanzug trug. Signora Belatatto war Neros Haushälterin und führte sie auf die Terrasse, wo der Frühstückstisch für sie vorbereitet worden war. Sie genoss diesen seltenen Luxus, wusste sie doch, dass ihre Sorgen und Probleme schon bald wieder bei ihr anklopfen und sich aus ihrem Kurzurlaub zurückmelden würden.

Nach dem Frühstück besuchte sie den Inquisitor, der noch immer tief und fest schlief. Er hatte aber schon mehr Farbe im Gesicht und sah fast gesund, wenn auch hagerer und abgezehrter aus. Marcella legte ihm die Hand auf die Stirn und gab vor, seine Temperatur zu prüfen. In Wahrheit wollte sie für einen Moment Körperkontakt herstellen. Aus Angst, jemand könnte zur Tür hereinkommen und sie ertappen, beließ sie es bei einer kurzen Berührung. Bevor sie das Zimmer verließ, stellte sie fest, dass die Kleidung des Inquisitors, die von den beiden Männern in der Nacht auf den Marmorfußboden geworfen worden war, verschwunden war. Wahrscheinlich wurde sie gewaschen und gebügelt und musste teilweise sogar genäht werden. Marcella beschloss, Nero danach zu fragen, sobald er zurück war, um dem Inquisitor Auskunft geben zu können, wenn er erwachte und sie fragte.

Da ihr niemand – weder Fabrizio noch Signora Belatatto – verboten hatte, sich in der Villa umzusehen, machte sie auf eigene Faust eine Erkundungstour und besichtigte die Teile, die der junge Italiener ihr in der Nacht nicht gezeigt hatte. Im ersten Stock fand sie zwei weitere Gästezimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges, die exakt so wie ihres und das des Inquisitors ausgestattet waren, und mehrere Badezimmer. Manche Türen waren verschlossen und daher für sie unzugänglich. Marcella nahm an, dass sich dahinter auch Neros Schlaf- und Arbeitszimmer befanden. Sie stieß auf eine reichhaltig ausgestattete Bibliothek – wenn ihr die Zeit bis zu Institoris’ Erwachen zu lang werden sollte, konnte sie sich hier wenigstens ein interessantes Buch aussuchen und lesen – und ein Jagd- und Trophäenzimmer. Marcella verzog angewidert das Gesicht, als sie die verschiedenartigsten Waffen – Gewehre, Pistolen, Lanzen, Schwerter und Dolche – an den Wänden und in den Vitrinen und die vielfältigen Trophäen sah. Zahlreiche abgetrennte und präparierte Tierköpfe hingen an den Wänden, die mit dunklem Holz vertäfelt waren. Sie erkannte Hirsche, Rehe, Gazellen und einen monströsen Elch. Ein ausgehöhlter Elefantenfuß diente als makabrer Ständer für das Kaminbesteck. Vor dem Kamin war ein Tigerfell auf dem Parkettboden ausgebreitet, rechts und links davon erhoben sich ein Eis- und ein Grizzlybär auf ihren Hinterbeinen zu ihrer vollen, außerordentlich eindrucksvollen Lebensgröße. Sie hatten die Pranken erhoben und rissen angriffslustig ihre Mäuler auf, als wollten sie den Betrachter attackieren. Dabei wirkten sie so echt, als wären sie noch am Leben. Marcella schauderte und sah sich den Rest der Einrichtung an. In der Mitte des schaurigen Zimmers stand ein großer, flacher Holztisch, der von bequemen, ledernen Sesseln umzingelt wurde. Ansonsten gab es nichts, was für sie von Interesse war. Froh, der beklemmenden Atmosphäre inmitten all dieser tödlichen Waffen und toten Tiere zu entkommen, schlüpfte sie rasch nach draußen.

Sie nahm die Treppe ins Erdgeschoss, verzichtete aber darauf, sich auch dort genauer umzusehen. Erstens hatte ihr Fabrizio letzte Nacht bereits die wichtigsten Räume – das Esszimmer, die Küche und das Wohnzimmer – gezeigt, und zweitens waren hier zu viele Leute unterwegs. Sie wusste, dass Signora Belatatto in der Nähe war. In der Küche war zweifellos die Köchin mir ihren Helfern zugange, und aus einer anderen Richtung war das Heulen eines Staubsaugers zu hören. Sie beschloss, einen Spaziergang über das Grundstück zu machen. Sie wollte das Gelände bei Tag besichtigen und sich einen Überblick über ihre Umgebung verschaffen, da man nie wusste, ob man diese Kenntnisse nicht irgendwann einmal gebrauchen konnte. Denn ihr Leben als mäßig begabte Hexe am Rand des Haifischbeckens voller gefräßiger und feindseliger Luziferianer hatte Marcella vor allem eins gelehrt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Sie ging nach draußen und spazierte über das Grundstück. Schon bald begegnete sie einem Gärtner, der damit beschäftigt war, Rosensträucher zurückzuschneiden. Er lüpfte seinen Hut, den er wohl vor allem deshalb trug, um seinen kahlen Schädel vor der Sonne zu schützen, verbeugte sich leicht und grüßte sie freundlich. Sie ging gedankenverloren weiter und kam zu einem Pavillon, der wie eine mehrstöckige chinesische Pagode aussah. Dahinter begann der Hang des Hügels, an dem das Haus stand, steiler abzufallen, sodass sich von dort ein wundervoller Ausblick auf die Stadt bot. Sie setzte sich eine Weile in den Schatten und blickte auf die Metropole hinunter, in der hektische Betriebsamkeit herrschte. Mit den Augen folgte sie den Hauptverkehrsadern und ließ deren Umgebung gleichzeitig aus den in ihrer Erinnerung gespeicherten Bildern von Nahem auferstehen, so als würde sie tatsächlich leibhaftig dort entlangspazieren, bis sie zu der engen Gasse kam, in der Signora Consolinis Laden lag. Doch an der Ladentüre endete ihre gedankliche Reise, als wäre diese ab sofort für sie versperrt. Sie seufzte und besah sich andere markante Orte ihrer Heimatstadt aus dieser ungewohnten Warte, die an ein malerisches Postkartenidyll erinnerte. Als ihr auch das zu langweilig wurde, beschloss sie, ins Haus zurückzukehren und sich Lesestoff aus der Bibliothek zu holen.

Doch als sie durch den Terrasseneingang die Villa betrat, kam ihr Nero entgegen. Er begrüßte sie überschwänglich, als wären sie alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten, und küsste sie auf die Wangen, was sie widerwillig, und ohne sich etwas anmerken zu lassen, über sich ergehen ließ. Nero teilte ihr mit, dass er vor einer Stunde angekommen sei und schon mit Wolfgang gesprochen habe, um dem Gestaltwandler weitere Anweisungen seines Anführers zu überbringen. Um welche Befehle es sich gehandelt hatte, sagte er ihr nicht. Stattdessen informierte er sie, dass einer der besten Ärzte Roms zwischenzeitlich hier gewesen sei und nach dem Inquisitor gesehen habe. Nach Auskunft des Dottore war Michael Institoris auf dem besten Wege, sich vollständig zu erholen. Die Schussverletzungen waren so gut verheilt, dass der Verband morgen früh entfernt werden konnte. Nach der Prognose des Mediziners würde der Inquisitor wohl im Laufe des nächsten Tages zu sich kommen.

»Das wird auch Zeit«, sagte Nero und grinste. »Aber keine Angst, wir liegen noch im Zeitplan.«

Die Neuigkeiten beruhigten Marcella. Nicht wegen des Zeitplans, der sie nur am Rande interessierte, sondern wegen dem, was der Arzt über den Zustand des Inquisitors gesagt hatte. Jetzt musste sie noch die kommenden Stunden herumbringen, bis Michael Institoris am nächsten Tag erwachte. Sie sah diesem Moment jedoch mit zwiespältigen Gefühlen entgegen, da dann die zweite, entscheidende Phase ihrer Aufgabe beginnen würde.

Und nun war dieser Zeitpunkt gekommen.

Obwohl sie den Moment, in dem Michael Institoris wieder die Augen aufschlagen und so gut wie genesen sein würde, herbeigesehnt hatte, fürchtete sie die Begegnung gleichzeitig, da die weitere Entwicklung und womöglich ihr eigenes Leben davon abhingen, wie sie sich diesem Mann gegenüber verhielt. Sie hatte sich im Vorhinein nicht überlegt, was sie tun und wie sie sich verhalten würde, sondern beschlossen, alles auf sich zukommen zu lassen und zu improvisieren. Alles andere hätte eventuell zu gekünstelt und unecht gewirkt und den Inquisitor misstrauisch gemacht, schließlich war sie keine Schauspielerin.

Ihr Herz klopfte so rasch und heftig in der Brust, als müsste sie ihrem eigenen Henker gegenübertreten – Oder als seist du verliebt!, flüsterte etwas in ihrem Inneren, das Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Stimme hatte, das sie aber eilig und vehement zum Schweigen brachte –, als sie die Hand hob und mit den Knöcheln ihrer Finger gegen das Holz der Tür pochte.

»Herein!«, hörte sie ihn auf Deutsch rufen.

Der Klang seiner Stimme verstärkte ihre Erregung. Ihre Handflächen waren schweißfeucht. Sie rieb sie an ihrer Hose trocken und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, ehe sie die Tür öffnete und eintrat.

Er stand vor dem Fenster und hatte sich zur Tür umgewandt, doch durch das helle Viereck aus blendendem Sonnenlicht hinter ihm konnte sie ihn nur als dunklen Umriss sehen. Sie schloss die Tür und trat ein.

»Marcella!«, rief er erfreut und kam ihr entgegen.

Die offensichtliche Freude in seiner Stimme wärmte ihr Herz und sorgte dafür, dass sie die neutrale Miene, die sie unter allen Umständen zu wahren beschlossen hatte, nicht länger aufrechterhalten konnte. Sie spürte das strahlende Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, und ließ es dankbar zu, da sie sich lange nicht so glücklich gefühlt hatte.

Als sie sich einander näherten, konnte sie ihn allmählich deutlicher erkennen. Er trug einen Morgenmantel über dem seidenen Schlafanzug. Seine Gesichtshaut wirkte rosiger und gesünder als gestern, doch er sah auch ziemlich abgemagert aus. Sie entdeckte ein paar Falten in seinem Gesicht, die zuvor nicht da gewesen waren. Und auch sein Gang war unsicher und zögerlich.

Einerseits erwartete sie freudig, andererseits fürchtete sie aber auch, dass sie sich in der Mitte des Weges in die Arme fallen könnten. Sie hätte allerdings nicht sagen können, wie sie sich verhalten hätte, wenn es wirklich dazu gekommen wäre. Doch als sie nur noch einen guten Meter voneinander entfernt waren, verharrten sie beide zaudernd und unsicher, wie sie nach den gemeinsamen Erlebnissen eigentlich zueinanderstanden und wie sie sich jetzt verhalten sollten.

»Marcella«, wiederholte der Inquisitor, als könnte er nicht glauben, dass sie tatsächlich vor ihm stand, und sah sie noch immer voller Freude an. »Ich freue mich, Sie zu sehen.«

»Ich freue mich auch sehr«, antwortete sie und verschränkte die Arme vor der Brust, weil sie nicht wusste, was sie sonst mit ihren Händen anstellen sollte. Ihm die Hand zum Gruß zu reichen, wirkte in ihren Augen zu förmlich und distanziert. Eine Umarmung erschien ihr dagegen unangemessen, auch wenn sie diese wesentlich mehr genossen hätte. »Und vor allem freue ich mich, dass es Ihnen schon so gut geht.«

»Das habe ich nicht zufällig Ihnen zu verdanken?«

Erst glaubte sie, er spräche von ihren Hexenkräften, die sie eingesetzt hatte, um die Wundheilung zu unterstützen. Hatte er es trotz seiner Bewusstlosigkeit mitbekommen und wusste, was sie in Wahrheit war? Ihr wurde eiskalt, als wäre die Temperatur im Zimmer schlagartig um zehn Grad gefallen, und der Schreck fuhr wie ein Stromstoß durch ihre Glieder. Doch dann sagte sie sich, dass er zu schwer verwundet gewesen war und mit dem Tode gerungen hatte, um etwas von dem mitzubekommen, was in seiner Umgebung und mit ihm geschehen war. Und schon seine nächsten Worte bestätigten ihre Vermutung.

»Sie haben mich schließlich da herausgeholt«, sagte er. »Ich erinnere mich noch, wie wir im Wagen saßen und nach draußen fuhren. Danach …« Sein Blick trübte sich, als sähe er nach innen und würde die Szene erneut in Gedanken miterleben, bevor seine Augen sich wieder auf seine Gesprächspartnerin fokussierten. »… danach kommt der Filmriss. Was haben Sie anschließend gemacht? Sie kannten in München doch niemanden und konnten mich schlecht zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus bringen. Ganz abgesehen von den Fragen, die man Ihnen angesichts der Schussverletzungen unweigerlich gestellt hätte, hätte jeder gesetzestreue Mediziner umgehend die Behörden informiert. Wie haben Sie also das Wunder fertiggebracht, mein Leben zu retten, ganz allein in einem fremden Land, und mich auch noch hierherzubringen?« Er schüttelte lächelnd den Kopf, als könnte er es nicht glauben.

Marcella sah genau hin, konnte aber nicht die geringste Spur von Argwohn oder vorgetäuschter Ahnungslosigkeit in seinen Zügen entdecken. Er schien tatsächlich noch meilenweit davon entfernt zu sein, ihr auf die Schliche zu kommen. Die Täuschung, die sie in München begonnen hatte, konnte also fortgesetzt werden, auch wenn es ihr nicht behagte, ihn ständig belügen zu müssen. Aber sie hatte keine andere Wahl. Sie musste die Regeln akzeptieren und die Befehle ausführen, die ihr der im Hintergrund agierende Butcher gab.

Sie sah, dass der Inquisitor leicht schwankte, sich aber nichts anmerken lassen und vor ihr keine Blöße geben wollte. Er war noch nicht vollständig auf dem Damm und längst nicht in derselben körperlichen Verfassung wie vor der Verwundung. Seine sagenhafte Selbstheilungskraft hatte zwar die Wunden in phänomenalem Tempo geschlossen und vernarben lassen, dabei aber Raubbau an seinem Körper betrieben. Irgendwoher mussten die notwendige Energie und das Material für die Heilung ja gekommen sein. Nachdem er erwacht war, war es an der Zeit, dem Körper die verlorene Energie und Substanz zurückzugeben.

»Haben Sie denn keinen Hunger?«, fragte Marcella, anstatt ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben. »Sie sehen erschöpft und halb verhungert aus. Warum setzen Sie sich nicht, um Ihre Kräfte zu schonen, während ich Ihnen ein spätes Frühstück organisiere?«

Er nickte und legte eine Hand auf seine Bauchdecke, als würde er erst jetzt realisieren, wie recht sie hatte. Bevor er antworten konnte, übernahm sein Magen die Initiative und knurrte laut. Er lachte leise und sagte nickend: »Da haben Sie Ihre Antwort. Ich habe in der Tat einen Riesenhunger und nehme Ihr Angebot dankbar an.« Er ging vorsichtig zum Bett und ließ sich langsam auf der Kante nieder.

Marcella ging zum Tisch, der dem Bett unmittelbar gegenüber vor der Wand stand, an der ein großer rechteckiger Spiegel hing. Wie in jedem Gästezimmer und in den meisten übrigen Räumen stand auch hier ein Telefon, das mit der Telefonanlage der Villa verbunden war. Signora Belatatto hatte ihr gestern die Funktionsweise erläutert. Sie nahm den Hörer ab und wählte die Eins, die Nummer des zentralen Apparats in der Eingangshalle im Erdgeschoss. Wer immer in der Nähe war, würde den Hörer abnehmen und den Ruf entgegennehmen. Marcella hatte Glück und sofort Signora Belatatto in der Leitung. Sie informierte die ältere Frau, dass Neros zweiter Gast erwacht sei und ein reichhaltiges, nahrhaftes Frühstück benötige. Die Haushälterin versprach, sich umgehend darum zu kümmern und es aufs Zimmer zu bringen. Anschließend wollte sie Signor Nero Bescheid geben. Der Hausherr weilte nämlich momentan unten in der Stadt in seinem Immobilienbüro. Obwohl Sonntag war, hatte Nero dort diverse geschäftliche Angelegenheiten zu klären, die sich während seiner Abwesenheit angesammelt hatten und keinen Aufschub duldeten. Marcella bedankte sich bei Signora Belatatto und legte auf.

Sie sah hoch und warf einen kurzen Blick auf ihr eigenes Abbild im Spiegel. Rasch strich sie eine widerspenstige Strähne ihres blonden Haars glatt. Ansonsten war sie mit ihrem Äußeren jedoch zufrieden. Als sie den Kopf leicht nach rechts wandte, konnte sie den Inquisitor sehen, der sie ansah. Als sich ihre Blicke in der Spiegelfläche begegneten, riss er die Augen auf, als fühlte er sich ertappt, und sah rasch zur Seite. Marcella wandte sich um, zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und nahm Platz.

»Ihr Frühstück ist in ein paar Minuten fertig. Es wird aufs Zimmer gebracht, dann müssen Sie sich nicht erst ankleiden und nach unten ins Esszimmer bemühen. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.«

»Ja, das ist mir sogar sehr recht. Vielen Dank, Marcella. Ich muss zugeben, dass ich … also, ich bin noch nicht wieder ganz auf der Höhe und fühle mich noch ein wenig schwach. Nach den Schussverletzungen und dem Erholungsschlaf ist das aber wohl kein Wunder. Doch erzählen Sie schon! Was passierte, nachdem bei mir die Lichter ausgingen?«

»Nun, wo soll ich anfangen?«

Seit Marcella und Wolfgang hier angekommen waren, waren anderthalb Tage verstrichen. Seitdem hatte sie den Gestaltwandler nicht mehr gesehen – was sie nicht im Mindesten bedauerte – und auch mit ihrem Gastgeber nur einmal, unmittelbar nach dessen Rückkehr in die Villa gestern Vormittag, gesprochen – was ihr ebenfalls nicht unrecht gewesen war. Die übrige Zeit hatte sie darauf gewartet, dass Michael Institoris erwachte, und die Stunden mit langen Spaziergängen im Garten, mit der Lektüre interessanter Bücher aus der reichhaltigen Bibliothek oder einfach dadurch totgeschlagen, sich zu überlegen, was sie dem Inquisitor erzählen sollte, sobald er erwacht war. Daher war sie auf die Fragen des Mannes gut vorbereitet. Dass sie die Beantwortung dennoch hinausgezögert hatte, indem sie sich zunächst um das Frühstück gekümmert hatte, lag nicht daran, dass sie sich nicht längst eine überzeugende Geschichte ausgedacht hatte, sondern daran, dass sie sich mittlerweile innerlich sträubte, Michael Institoris mit weiteren Lügen in die Irre zu führen. Doch sie konnte es nicht endlos hinauszögern, sondern musste Farbe bekennen. Allerdings kam es nicht infrage, dass sie ihm die ganze Wahrheit erzählte.

»Warum fangen Sie nicht mit dem Zeitpunkt an, als ich bewusstlos wurde«, schlug der Inquisitor vor. Eine ebenso einleuchtende wie einfache Lösung. »Wir hatten gerade die Tiefgarage des Glaspalastes ungehindert verlassen können und fuhren rasch davon. Ich erinnere mich noch, dass Sie mich fragten, wohin Sie fahren sollten. Als ich nicht antwortete, weil ich allmählich das Bewusstsein verlor, riefen sie meinen Namen und fragten, was mit mir los sei. Anschließend war für mich Sendeschluss. Was geschah danach?«

Durch seine Worte rief Institoris ihr die damaligen Ereignisse wieder lebhaft in Erinnerung. Doch von alldem, was danach passiert war, von der Wahrheit also, konnte sie ihm nur wenig offenbaren. Stattdessen griff sie auf die Geschichte zurück, die sie sich im Vorfeld dieser Begegnung sorgfältig zurechtgelegt hatte. Allerdings gab sie auch ein paar unverfängliche Dinge und die Gefühle, die sie damals empfunden hatte, wahrheitsgetreu wider, weil ein Schuss Wahrheit ihrer Geschichte mehr Überzeugungskraft verlieh und es nicht schadete, wenn sie in diesen Punkten bei der Wahrheit blieb.

»Ich geriet ganz schön in Panik, als Sie nicht mehr antworteten. Ich dachte … Ich dachte, Sie wären tot. Schließlich hatte ich Ihre blutverschmierte Hand gesehen und fürchtete, dass die Kugel des Wachmanns Sie letztendlich tödlich verletzt hatte. Doch zunächst konnte ich mich nicht um Sie kümmern, sondern musste das ungewohnte Fahrzeug durch den dichten Verkehr einer fremden Stadt lenken und rasch Abstand zwischen uns und das Hauptquartier der Inquisition bringen. Darüber hinaus befürchtete ich, wir könnten verfolgt werden. Doch trotz all dieser widrigen Umstände verlor ich erstaunlicherweise nicht den Kopf, sondern reagierte nach einem Moment absoluter Panik relativ besonnen. Da ich mir vor meiner Reise nach München den Stadtplan angesehen hatte, wusste ich in etwa, wo ich war und wo mein Hotel lag. Ich fuhr in der Nähe des Hotels in ein Parkhaus und parkte den Wagen in einer finsteren Ecke, wo niemand zufällig vorbeikam. Dort hatte ich endlich Gelegenheit, mich um Sie zu kümmern. Sie können sich nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich feststellte, dass Sie noch leben. Ich holte den Verbandskasten aus dem Kofferraum, inspizierte Ihre Verletzungen, die gar nicht gut aussahen, und verband die Wunden. Anschließend musste ich Sie kurz allein lassen, um ins Hotel zu gehen, auszuchecken und meinen Koffer zu holen.«

Marcella verstummte, als an die Tür geklopft wurde.

Der Inquisitor hatte ihr aufmerksam zugehört und bisweilen anerkennend genickt. Scheinbar glaubte er ihr jedes Wort. Aber bislang hatte er auch keinen Grund, etwas davon anzuzweifeln, und sei es nur ein einzelnes Detail, schließlich hatte sie sich bislang ganz nah an die Wahrheit gehalten. Doch das würde sich bald ändern, da er das, was nach ihrer Rückkehr vom Hotel mit ihm geschehen war, natürlich nicht erfahren durfte. Außerdem musste sie erklären, wie seine Wunden genäht worden waren, obwohl sie in München keinen Arzt aufgesucht hatten. Der von Butcher gerufene Doktor war nämlich ein Detail, das sie ihm unter keinen Umständen erzählen durfte, ohne Verdacht zu erregen.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
362 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783847665809
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu