Kitabı oku: «INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei», sayfa 5

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Steinbach würde für anderthalb bis zwei Stunden bewusstlos sein und vorerst keine Gefahr für Michaels weitere Pläne darstellen. Allerdings ließ sich Michael deshalb noch lange nicht dazu verleiten, Zeit zu vertrödeln, da von anderer Seite noch immer Gefahr drohte. Mittlerweile musste Becker längst misstrauisch geworden sein und sich fragen, was seinen jungen Kollegen aufgehalten hatte. Entweder hatte er sich bereits auf den Weg hierher gemacht, oder er rief den Wachdienst an, damit dieser ein paar Leute hierherschickte. Auf alle Fälle war es für Michael höchste Zeit, aus diesem Raum zu verschwinden und seine Begleiterin einzusammeln.

Er öffnete vorsichtig die Tür. Noch waren keine heraneilenden Schritte zu hören, doch das konnte sich bald ändern. Als der Spalt groß genug war, steckte Michael den Kopf nach draußen und sah sich im Gang nach allen Seiten um. Er konnte niemanden entdecken, was ihn nicht verwunderte. Wachleute vor der Tür waren in diesem Trakt nicht erforderlich, da die Verhörräume von außen verriegelt werden konnten. Außerdem befanden sich seines Wissens derzeit kaum Gefangene in Gewahrsam – die sechs Luziferianer, die in der Nacht festgenommen worden waren, waren entweder tot oder entkommen.

Michael huschte nach draußen, schloss die Tür hinter sich leise und schob den Riegel vor. Steinbach konnte sich zwar nicht selbst von seinen Fesseln befreien, aber die Verriegelung würde die Illusion, alles wäre in bester Ordnung und der Gefangene nicht soeben entkommen, ein paar Augenblicke länger am Leben erhalten. Wichtige Zeit, die Michael bitter nötig haben mochte, um seinen Häschern wirklich und dauerhaft zu entkommen.

Der Inquisitor musste sich nicht orientieren, da er diesen Teil des Gebäudes gut kannte. In den zurückliegenden Jahren hatte er allzu oft in einem der Vernehmungsräume zu tun gehabt. Dass er sie als Inhaftierter – gewissermaßen von der anderen Seite – kennenlernen würde, hätte er vor dem heutigen Tag jedoch nicht für möglich gehalten. Es handelte sich dabei aber nicht um die einzige handfeste Überraschung, die er in den letzten Stunden erlebt hatte – und vermutlich auch nicht um die letzte, wie er insgeheim befürchtete.

Die gedämpfte Stimme, die Michael zuvor wahrgenommen hatte, war nicht mehr zu hören. Scheinbar war Marcella jetzt allein in Vernehmungsraum 4, und Steinbach hatte die Wahrheit gesagt. Michael hatte auch nichts anderes vermutet, da der Kollege viel zu verängstigt gewesen war, um einen Mann zu belügen, den er für einen kaltblütigen Mörder hielt und der mit einer Pistole auf ihn zielte.

Michael lief auf leisen Sohlen quer über den Flur. Verhörraum Nummer 4 war das mittlere der drei nebeneinanderliegenden Vernehmungszimmer auf der gegenüberliegenden Gangseite. Insgesamt gab es sechs, jedes in Sachen Einrichtung, Größe und Ausstattung nahezu identisch mit den anderen – jeweils drei auf jeder Seite des Flurs. An jedes Verhörzimmer schloss sich ein kleiner Beobachtungsraum an, der durch einen Einwegspiegel abgetrennt war und über einen eigenen Eingang verfügte.

Der Beobachtungsraum von Verhörraum 4 war das erste Ziel des Inquisitors. Zum einen wollte er sicherstellen, dass sich niemand darin aufhielt, der Marcellas Befreiung bemerken und Alarm schlagen konnte. Zum anderen konnte er mit einem raschen Blick durch die Glasscheibe feststellen, ob seine Begleiterin wirklich allein war. Michael blieb vor der Tür stehen, die keinen Riegel besaß, und lauschte. Als er nichts hören konnte, das ihm darüber Auskunft gegeben hätte, ob sich jemand im Innern aufhielt, öffnete er behutsam die Tür und spähte hinein. Noch bevor er durch den Türspalt das ganze Zimmer überblicken konnte, spürte Michael, dass niemand anwesend war. Die Gegenwart einer anderen Person hätte er sonst instinktiv wahrgenommen – beispielsweise anhand leiser Atemgeräusche, eines kaum wahrnehmbaren Raschelns der Kleidung oder des leichten Geruchs nach Parfüm, Aftershave oder Zigarettenrauch.

Ohne die Tür hinter sich zu schließen, trat Michael ein. Durch die Scheibe rechter Hand drang das Licht der Neonröhren aus dem Nachbarraum in die kleine Kammer. Der angrenzende Raum war ein nahezu identisches Abbild des Verhörzimmers, in dem Michael festgehalten worden war. Hier fehlten jedoch die Schäden an den Wänden, die der Zauber des Magiers und die Kugeln verursacht hatten. Der entscheidende Unterschied bestand aber darin, dass hier kein Mann am Vernehmungstisch saß, sondern eine Frau.

Marcella war tatsächlich allein. Sie hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und den Kopf in die Handflächen gelegt, als würde sie ein Nickerchen machen. Sie war wach, aber ihr Blick nahm nichts Konkretes wahr, sondern war in die Ferne und auf Dinge gerichtet, die nur sie wahrnehmen konnte.

Insgeheim hatte Michael befürchtet, er würde die Italienerin zutiefst verängstigt und eingeschüchtert vorfinden, da sie schon vor Betreten des Glaspalastes extrem ängstlich reagiert hatte. Doch zu Michaels Erleichterung war von dieser Furcht nichts zu sehen, obwohl Marcellas schlimmste Befürchtungen wahr geworden sein mussten, als sie von ihrem Begleiter getrennt, von einem Inquisitor in die gefürchteten Kellergeschosse gebracht und dort befragt worden war. Aber die junge Frau erweckte einen eher gelangweilten Eindruck. Entweder hatte sie resigniert, sich mit der Situation abgefunden und war nach der langen Nacht in der Gefangenschaft der Blutsauger und der anschließenden Befreiung viel zu müde und erschöpft, oder Kollege Greiter hatte ihr bereits gesagt, dass sie als unschuldiges Opfer angesehen wurde und nichts zu befürchten hatte. Äußerlich wirkte sie unversehrt, was zu Steinbachs Aussage passte, dass Greiter sie nicht angerührt habe.

Von alldem konnte sich Michael durch einen kurzen Blick ein erstes Bild machen. Zu einem längeren Aufenthalt im Beobachtungsraum blieb ihm keine Zeit, da die Sekunden erbarmungslos verrannen und sich den Moment näherten, an dem sein Entkommen unweigerlich entdeckt wurde. Er stellte lediglich noch sicher, dass die Kamera, die auf einem Stativ befestigt und auf den Vernehmungstisch im anderen Raum gerichtet war, ausgeschaltet war. Er wollte nicht erneut gefilmt werden und später eine weitere manipulierte Aufnahme ansehen müssen, die ihn in schlechtem Licht erscheinen ließ.

Michaels Aufenthalt in der Beobachtungskammer hatte nicht lange gedauert, doch er verhielt sich erneut äußerst vorsichtig, als er sie verließ und auf den Gang trat. Die Situation war unverändert, daher eilte er zur nächsten Tür, entriegelte und öffnete sie. Da er wusste, dass sich dahinter nur die Italienerin aufhielt, musste er nicht länger vorsichtig vorgehen, sondern konnte sich beeilen.

Marcella schrak hoch, als die Tür schwungvoll geöffnet und sie dadurch aus ihren Gedanken oder Träumereien gerissen wurde. »Perché …?«, begann sie, verstummte aber, als sie Michael erkannte, und fragte stattdessen: »Was tun Sie denn hier?«

Michael blieb in der offenen Tür stehen, um den Flur im Auge zu behalten. »Unsere mit Sicherheit zahllosen Fragen an den jeweils anderen sollten wir auf später verschieben, da ich mich momentan auf der Flucht befinde und deshalb in Eile bin. Wollen Sie mitkommen, oder bleiben Sie lieber hier und genießen die Gastfreundschaft meiner Kollegen noch etwas länger?«

Eine Vielzahl von Emotionen zeichnete sich in raschem Wechsel auf Marcellas Gesicht ab, bevor sie antwortete. Michael glaubte, anfangs eine Spur echter Freude gesehen zu haben, als Marcella ihn erkannt hatte, und stellte fest, dass ihn dies tief in seinem Innersten ebenfalls erfreute, auch wenn er sich im Moment nicht den Luxus erlauben konnte, genauer über seine Gefühle für diese Frau nachzudenken. Die Verwirrung in ihrer Miene ob seines unerwarteten Auftauchens wurde rasch von einem Ausdruck der Nachdenklichkeit und anschließend von Bestürzung ersetzt, als befürchtete sie, Michael würde sie tatsächlich zurücklassen.

»Warten Sie!«, rief sie und sprang auf. »Natürlich komme ich mit.«

Schon bei seinem Blick durch den Einwegspiegel hatte Michael erkannt, dass Kollege Greiter darauf verzichtet hatte, Marcella Handschellen anzulegen und sie an den Tisch zu fesseln. Deshalb hielt sie jetzt nichts davon ab, zur Tür zu eilen und Michael zu folgen, als dieser auf den Gang trat.

Er schloss die Tür zum Vernehmungsraum und legte auch hier den Riegel vor. Dies würde seine Kollegen nicht lange täuschen, aber unter Umständen verschaffte es ihnen die zusätzliche Zeit, die sie benötigten, um aus dem Glaspalast zu entkommen.

»Kommen Sie«, forderte Michael seine Begleiterin auf und eilte durch den Flur in die Richtung, in der nicht nur die beiden Aufzüge, sondern auch die Zugänge zum Treppenhaus und zur Tiefgarage lagen. Sie passierten die verschlossenen Türen zu den Verhörräumen 1 und 2 und den dazugehörigen Beobachtungskammern und erreichten am Ende des Flurs eine gläserne Tür, die weit offen stand.

Instinktiv sah Michael nach oben und erkannte über dem Durchgang eine der zahlreichen Überwachungskameras. Bei seiner täglichen Arbeit hatte er den Kameras in sämtlichen Stockwerken des Gebäudes wenig Beachtung geschenkt, sondern sie allenfalls zur Kenntnis genommen, aber jetzt alarmierte ihn der Anblick. Er kam sich unwillkürlich vor, als wäre er ertappt worden. Dann erinnerte er sich, wie Becker angedeutet hatte, dass die Überwachungsanlage noch nicht funktionsfähig sei und die Haustechniker damit beschäftigt seien, dieses Problem zu lösen. Immerhin war nicht nur die ganze Anlage demoliert worden, auch sämtliche Überwachungsvideos waren gelöscht worden. Als Michael genauer hinsah, bemerkte er, dass das LED-Licht rechts neben dem Objektiv, das normalerweise leuchtete und anzeigte, dass die Kamera in Betrieb war, erloschen war. Erleichtert stieß er die Luft aus, die er beim Anblick des Überwachungsgerätes angehalten hatte.

»Gibt es Probleme?«, fragte Marcella, die seine Reaktion bemerkt hatte.

Er schüttelte den Kopf und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, obwohl er sich dessen nicht so sicher war, da sie noch nicht außer Gefahr waren. »Ich befürchtete, die Kamera dort oben würde uns filmen. Aber die Anlage ist momentan außer Betrieb.«

Bevor sie den Durchgang passierten, sah sie ruckartig nach oben und schien zum ersten Mal die Überwachungskamera wahrzunehmen, denn sie runzelte die Stirn. »Sind Sie sicher?«

»Ja. Die Kamera ist ausgeschaltet, sonst würde die Kontrollleuchte brennen.«

Marcella war darüber augenscheinlich ebenso erleichtert wie er, und ein Teil der Anspannung ihres Körpers löste sich. »Wohin gehen wir überhaupt?«

»In die Tiefgarage. Das ist vermutlich der einzige Weg, wie wir hier herauskommen. Aber jetzt sollten wir uns wieder ruhig verhalten, da hinter der nächsten Ecke die Aufzugstüren liegen.«

Marcella nickte, während sie sich bemühte, mit Michaels hohem Tempo Schritt zu halten. Sie runzelte die Stirn und fixierte aus weit aufgerissenen Augen die Biegung vor ihnen, als könnte jederzeit irgendetwas Furchterregendes um die Ecke springen.

Eher unbewusst nahm Michael die nächste Tür wahr, an der sie vorbeikamen. Sie war geschlossen und führte, wie er sich erinnerte, zur Damentoilette. Er drosselte sein Tempo, während sie sich der Ecke näherten, und ergriff Marcellas Arm, um sie ebenfalls zurückzuhalten. Sämtliche Muskeln in seinem Körper waren vor Erwartung angespannt, während all seine Sinne auf Hochtouren arbeiteten, um jedes noch so leise Geräusch, jeden kaum wahrnehmbaren Duft und sogar die winzigste Erschütterung in jenem Bereich hinter der Biegung, den er noch nicht einsehen konnte, rechtzeitig wahrzunehmen. Immerhin war es möglich, dass Becker bereits das ganze Haus in Alarmzustand versetzt hatte und sämtliche verfügbaren Kräfte – unter Umständen sogar das Sondereinsatzkommando, sofern es sich noch im Gebäude befand – hinter der nächsten Ecke auf sie warteten.

Doch Michaels aufmerksame Sinne nahmen nichts dergleichen wahr. Wenn er von den Eindrücken ausging, die sie ihm übermittelten, hätte sich vor ihnen ebenso gut ein Vakuum befinden können, in dem keine Geräusche, Gerüche oder Erschütterungen entstehen und übertragen werden konnten.

Michael erlaubte sich ein schmales Lächeln der Erleichterung. Das Glück schien ausnahmsweise auf seiner Seite zu sein. Wenn sie jetzt schnell genug waren, konnten sie ungesehen durch den direkten Zugang zur Tiefgarage verschwinden.

Er hielt den Arm seiner Begleiterin noch mit der linken Hand umfasst und zog sie mit sich, als er um die Ecke biegen wollte. Da wurden unvermutet erste Geräusche laut und ließen Michael und Marcella mitten in der Bewegung erstarren, als hätte ein greller Suchscheinwerfer sie erfasst und an Ort und Stelle festgenagelt. Ein Rauschen durchbrach die Stille, als die Kabine des intakten Fahrstuhls nach unten sank, und verstummte mit einem mechanischen Klappern, als sie in ihrem Stockwerk zum Stehen kam. Es klingelte leise, bevor sich die Lifttür scharrend öffnete. Das laute Getrampel und die erregten Stimmen, die unmittelbar darauf zu hören waren, signalisierten Michael, dass sie es mit mindestens einem halben Dutzend Männern zu tun hatten, die in größter Eile waren. Und selbst wenn der Inquisitor sie nicht sehen konnte, weil die Ecke des Gangs sie noch voneinander trennte, hatte er dennoch die deutliche Vorstellung einer Handvoll seiner Kollegen, die von Hauptinquisitor Becker angeführt wurden, Schusswaffen in den Händen hielten und auf das Schlimmste gefasst waren.

Steinbach war längst überfällig, und deshalb hatte Becker Verstärkung alarmiert, um nach dem Rechten zu sehen. Und sie kamen gerade rechtzeitig, um Michael und Marcella daran zu hindern, unbemerkt in die Tiefgarage zu flüchten.

Michael blieb nicht viel Zeit, über einen Ausweg nachzudenken, da die polternden Schritte rasch näher kamen und schon fast die Biegung vor ihnen erreicht hatten. Marcella schnappte panisch nach Luft, als ihr bewusst wurde, dass ihre Flucht an diesem Punkt gescheitert war.

Aber Michael war noch weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen, nachdem sie es beinahe bis zur Tiefgarage geschafft hatten. Er erinnerte sich an die Tür, die sie soeben passiert hatten. Da dahinter die Damentoilette lag, musste sie unverschlossen sein. Er hoffte das Beste, während er herumwirbelte, Marcella mit sich riss und loslief.

Die Schritte waren noch nicht verklungen, da riss Michael die Tür auf und verließ den Vorraum der Damentoilette, in dem sie sich vor ihren Verfolgern verborgen gehalten hatten. Der Flur und der Durchgang rechter Hand, durch den die Männer soeben verschwunden waren, zeigten sich verlassen. Allerdings konnte Michael hören, wie das Getrampel vor einem der Verhörräume verstummte und der Riegel zurückgeschoben wurde. Schon im nächsten Moment würden seine Kollegen feststellen, dass Michael entkommen war und an seiner Stelle Inquisitor Steinbach am Tisch saß. Michael hoffte, dass der junge Inquisitor noch bewusstlos war und seinen Kollegen nicht verraten konnte, dass Michael ihm die Autoschlüssel abgenommen hatte. Er machte sich aber wenig Hoffnung, dass ihnen das viel Zeit verschaffen würde. Die Tiefgarage war zurzeit der einzig mögliche Fluchtweg, darauf würden seine Kollegen auch von selbst kommen.

Seine linke Hand umfasste noch immer Marcellas Oberarm und zog sie mit, während er in der anderen Steinbachs Pistole hielt. Nebeneinander rannten sie um die Biegung und erreichten den Bereich, an dem die Gänge des Kellergeschosses aufeinandertrafen. Übertriebene Heimlichkeit war nicht mehr erforderlich, nachdem ihre Flucht aus den Verhörzellen entdeckt worden war. Jetzt war Schnelligkeit gefragt, da ihnen die Zeit unter den Nägeln brannte, denn ihre Verfolger wären ihnen wohl bald auf den Fersen. Michael hoffte, dass Becker keinen Wachtposten vor den Aufzügen postiert hatte. Er wollte seinen Kollegen lediglich entkommen, aber nicht dazu gezwungen sein, einen von ihnen zu verletzen oder schlimmstenfalls zu töten. Auch wenn mittlerweile vermutlich jeder, der im Glaspalast arbeitete, davon überzeugt war, dass Michael nicht nur ein Verräter, sondern ein kaltblütiger Mörder war und zwei Kollegen umgebracht hatte, wollte er nicht durch aktives Tun dazu beitragen, dass dieser Verdacht neue Nahrung erhielt und sich erhärtete. Sein Bestreben war ja das genaue Gegenteil, nämlich sich von jedem Vorwurf reinzuwaschen. Aus diesem Grund war Michael grenzenlos erleichtert, als er um die Ecke bog und feststellte, dass dort niemand auf sie wartete, der sich nur durch massive Gewaltanwendung davon hätte überzeugen lassen, sie ungehindert passieren zu lassen.

Die Erleichterung des Inquisitors wurde getrübt, als hinter ihnen erneut das Trampeln rennender Füße laut wurde und rasch näher kam. Im Gegensatz zu Marcella und ihm mussten sich seine Verfolger keine besondere Mühe gehen, leise vorzugehen, was ihr Vorankommen beträchtlich beschleunigte.

Michael und seine Begleiterin befanden sich jetzt im geometrischen Mittelpunkt dieses Stockwerks. Die Gänge, die von hier in die Seitenflügel führten, bildeten zusammen ein schmales, lang gezogenes H. Rechts lagen die beiden Türen zu den Aufzügen. Beide waren geschlossen. Die linke Tür war darüber hinaus mit rot-weißem Absperrband gesichert, damit niemand versehentlich in den Schacht der zerstörten Kabine fiel.

Aber weder die eventuell noch wartende Liftkabine, in der sie ohnehin in der Falle säßen, noch der Zugang zum Treppenhaus auf der gegenüberliegenden Seite war Michaels Ziel. Stattdessen durchquerte er den Bereich vor ihnen diagonal und eilte auf eine geschlossene Metalltür zu, auf der sich ein Schild mit der Abkürzung TG befand. Die Tiefgarage des Hauptquartiers der bayerischen Inquisition erstreckte sich über alle drei unterirdische Stockwerke, aber nur die oberen beiden waren vom 1. und 2. Untergeschoss des Glaspalastes aus direkt zugänglich. Das unterste Parkdeck war abgesondert und für die Schwarze Lucy und den Zugang festgenommener Luziferianer reserviert, die von dort über eine Schleuse direkt in den Zellenbereich im 3. Untergeschoss gebracht werden konnten.

Die trampelnden Schritte ihrer Verfolger wurden lauter. Michael befürchtete, dass sie um die Ecke biegen und seine Begleiterin und ihn entdecken könnten, bevor sie die rettende Tür erreichten. Aus diesem Grund forcierte er sein eigenes Tempo noch einmal und zog Marcella einfach hinter sich her. Sie beklagte sich nicht, sondern rannte laut schnaufend hinter ihm her. Das Geräusch ihrer Schritte auf dem dünnen Teppichbelag war nicht annähernd so laut wie der Lärm, den ihre Verfolger produzierten, da deren Zahl mindestens dreimal so hoch war und sie sich nicht im Geringsten bemühten, leise zu sein. Michael hoffte deshalb, dass seine Kollegen außer ihrem eigenen Getrampel nichts hörten.

Michael erreichte die hellgrau gestrichene Feuerschutztür, schlug kurzerhand mit seiner Waffenhand auf die Klinke und warf sich gleichzeitig mit der Schulter gegen das Metall. Leise knarrend gab die Tür dem Ansturm nach und schwang in die andere Richtung. Michaels Schwung und Körpergewicht drückten sie weit genug auf, sodass er hindurchschlüpfen konnte. Marcella folgte ihm auf dem Fuß. Michael wartete nicht erst ab, bis die Tür sich automatisch schloss, denn um zu verhindern, dass die Türen zur Tiefgarage und ins Treppenhaus ständig laut zuknallten, waren sie mit einem hydraulischen Schließmechanismus versehen, der dafür sorgte, dass sie langsam und geräuscharm ins Schloss fielen. So lange wollte Michael aber nicht warten, da seine Kollegen mit Sicherheit gleich um die Ecke biegen, die sich schließende, schwach knarrende Tür bemerken und daraus die richtigen Schlüsse ziehen würden. Er ließ Marcellas Arm los, wirbelte herum und drückte mit der freien Hand fest gegen das Türblatt. Die Hydraulik leistete anfangs Widerstand, dennoch vollzog sich das Schließen der Tür wesentlich schneller. Bevor die Tür sich komplett geschlossen hatte und nur ein schmaler Spalt vorhanden war, stoppte Michael seine Bemühungen und bremste stattdessen, damit die Tür nicht mit einem lauten Knallen zufiel, sondern sich möglichst lautlos schloss. Durch die schmaler werdende Lücke konnte er einen letzten Blick auf seine Verfolger erhaschen, als diese um die Ecke rannten. Sie verlangsamten ihr Tempo, während ihre Blicke suchend in alle Richtungen huschten, um eine Spur der entflohenen Gefangenen zu entdecken. Michael sah seine Vorstellungen bestätigt, als er die schussbereiten Pistolen in den Händen der sechs Männer entdeckte, an deren Spitze sich Hauptinquisitor Becker befand. Mehr konnte er nicht erkennen, da sich die Tür leise schloss und ihm jeden weiteren Blick auf ihre Verfolger verwehrte.

Immerhin, tröstete er sich, konnten sie ihn auch nicht mehr sehen. Wenn Marcella und er Glück hatten, würde die Vielzahl möglicher Fluchtwege, denen sich die sechs Männer gegenübersahen, ihnen zumindest minimal Zeit verschaffen, ihren Vorsprung auszubauen. Von dort, wo die Verfolger sich befanden, hätten Marcella und Michael im Aufzug, im Treppenhaus, in einem der anderen Gänge oder durch die Tür in die Tiefgarage verschwinden können, auch wenn das Parkdeck die naheliegendste Lösung war. Dies musste selbst Becker klar sein, der die Verfolger anführte. Wenn Michael an Beckers Stelle wäre, würde er seine Leute aufteilen, über sein Mobiltelefon Verstärkung anfordern und diese zur Ausfahrt der Tiefgarage schicken. Er selbst würde mit einem Kollegen die Tiefgarage aufsuchen, da die Wahrscheinlichkeit, dort auf die Ausbrecher zu stoßen, am größten war. Da Michael den Hauptinquisitor für schlau genug hielt, all diese Überlegungen selbst anzustellen und zu denselben logischen Schlüssen zu kommen, waren ihre Chancen auf ein erfolgreiches Entkommen weiterhin gering. Das Aufteilen und das Herbeirufen von Verstärkung würden zumindest Zeit kosten, die Michael und Marcella nutzen konnten.

Michael hielt sich deshalb nicht länger hinter der metallenen Tür auf, die sie von seinen Kollegen trennte und abschirmte. Da es keine Möglichkeit gab, die Tür von dieser Seite zu verriegeln, wirbelte er herum, sobald die Tür sich geschlossen hatte, und rannte weiter. »Los! Wir müssen uns beeilen!«, wandte er sich an Marcella, die eine derartige Aufforderung vermutlich nicht nötig hatte und die Notwendigkeit größtmöglicher Eile selbst erkannte. Sie nickte knapp, schwieg aber und sparte sich ihre Atemluft für den nächsten Spurt.

Sie befanden sich in einem kurzen, kahlen Gang, der an beiden Seiten von Feuerschutztüren verschlossen wurde, um im Brandfall ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. Mit wenigen langen Schritten durchmaß Michael den Durchgang und riss die zweite Tür auf, durch die sie in den eigentlichen Bereich der Tiefgarage gelangten.

Als sie die Tür passiert hatten, sah Michael in alle Richtungen, konnte jedoch niemanden entdecken. Die ganze Tiefgaragenebene schien menschenleer zu sein. Es war kühl und roch nach Abgasen und Benzin. Zahlreiche Fahrzeuge standen auf den markierten und durchnummerierten Stellplätzen und warteten auf ihre Besitzer, doch nirgends war eine Bewegung wahrzunehmen.

»Kommen Sie!« Michael lief weiter und folgte der Fahrbahn, die an den Parkplätzen vorbei zur Ausfahrt führte. Mit der linken Hand holte er Steinbachs Schlüssel aus der Tasche und drückte auf die Fernbedienung des Türöffners. Er lauschte aufmerksam und ließ seinen Blick nervös in alle Richtungen zucken. Doch das erhoffte Geräusch, mit dem sich die Zentralverriegelung eines Wagens in ihrer näheren Umgebung entriegelte, oder das Aufblitzen der Blinklichter blieb aus.

Erneut drückte der Inquisitor auf den Knopf, wesentlich fester diesmal für den Fall, dass er beim ersten Mal zu zaghaft gewesen war, während sie auf der Fahrbahn zwischen den abgestellten Fahrzeugen weiterrannten. Das Ergebnis war dasselbe. Michael hätte am liebsten laut geschimpft, bremste sich jedoch mühsam, da es ohnehin nichts geholfen hätte und eine Vergeudung kostbarer Atemluft gewesen wäre. Er hatte gehofft, Steinbachs Wagen auf dieser Ebene der Tiefgarage zu finden, doch wie es schien, hatte der junge Inquisitor sein Auto im 2. Untergeschoss geparkt.

»Was haben … Sie vor?«, fragte Marcella, die unmittelbar neben Michael herrannte und heftig schnaufte.

Michael hielt die Schlüssel mit der Fernbedienung hoch, sodass sie ihn sehen konnte, und antwortete: »Keine Reaktion. Der Wagen muss auf der Ebene unter dieser stehen!«

»Lassen Sie’s … mich mal … versuchen«, schlug Marcella vor und streckte ihm die Hand entgegen.

Michael zuckte mit den Schultern und gab ihr den Schlüssel. Er glaubte zwar nicht, dass sie mehr Erfolg haben würde als er, hatte aber nichts dagegen, wenn sie ihr Glück versuchte. Was konnte es schaden? Sie passierten eine Durchfahrt und wandten sich nach rechts, da die Fahrbahn abknickte und ein weißes Schild mit der Aufschrift »Ausfahrt« in diese Richtung wies.

Marcella hob die Hand mit dem Türöffner und betätigte ihn. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig, doch nicht alle waren gleichermaßen erfreulich.

Das charakteristische Geräusch der automatischen Türentriegelung eines Wagens war in der der Stille der gewölbeartigen Garage deutlich zu hören, als wenige Meter von ihnen entfernt sämtliche Blinklichter eines hellgrauen VW Golf zweimal aufleuchteten.

Marcellas apartes Gesicht hellte sich auf. Mit einem triumphierenden Lächeln, das nicht verhehlen konnte, dass sie ein Mindestmaß an Genugtuung darüber empfand, dass ihr etwas gelungen war, woran Michael zuvor gescheitert war, sah sie ihren Begleiter an.

Auch Michael war freudig überrascht, hatte er doch damit gerechnet, dass ihre Flucht erneut durch widrige äußere Umstände erschwert würde. Aber seine Freude wurde von Panik ersetzt, als plötzlich auch hinter ihnen Geräusche zu hören waren.

Als hätte Marcella mit der Fernbedienung nicht nur die Autotüren entriegelt, sondern auch die Feuerschutztür geöffnet, durch die sie vor Kurzem hereingekommen waren, wurde diese jäh aufgestoßen und knallte mit einem lauten Krachen gegen die Wand, bevor sich drei ihrer Verfolger nacheinander durch die Öffnung schoben.

Becker musste – wie es auch Michael getan hätte – die ihm zur Verfügung stehenden Männer aufgeteilt haben. Er hatte zwei Männer mit in die Tiefgarage genommen und damit den richtigen Riecher bewiesen. Als er Marcella und Michael vor sich sah, hellte sich seine Miene ebenso auf wie zuvor die der beiden Verfolgten, als sie des gesuchten Fahrzeugs ansichtig geworden waren. Er sprach mit seinen Begleitern und wies mit der freien Hand auf die beiden Flüchtlinge. Obwohl er eine Pistole in der Rechten hielt, schoss er nicht, sondern rannte los, direkt auf das wie erstarrt mitten auf der Fahrbahn stehende Paar zu.

Einer seiner Begleiter folgte seinem Beispiel und nahm ebenfalls die Verfolgung auf. Der dritte Mann allerdings – ein Wachmann, den Michael vom Sehen kannte – blieb stehen, riss die Waffe hoch und gab in rascher Folge drei Schüsse ab.

Nicht nur Marcella und Michael waren entsetzt, als ohne Vorwarnung auf sie geschossen wurde. Auch Hauptinquisitor Becker und der Kollege an seiner Seite fuhren erschrocken zusammen, duckten sich und wirbelten alarmiert herum.

»Ich sagte nicht schießen, verdammt noch mal!«, schrie Becker und schwenkte wie wild die linke Hand, um seinen Befehl dadurch noch zu unterstreichen. Der Schütze machte ein ratloses Gesicht und zuckte mit den Schultern, ließ aber die Waffe sinken.

Aber der Schaden war schon angerichtet, da nur zwei der Kugeln ihr Ziel verfehlt hatten.

Michael konnte im Nachhinein nicht beurteilen, welches Projektil ihn getroffen hatte. Die Schüsse waren in so rascher Folge abgegeben worden, dass sie nicht voneinander zu unterscheiden waren und die Detonationen wie eine einzige klangen. Im Endeffekt war es auch egal, welche Kugel es war. Der Schlag, der mit der Wucht eines Fausthiebs seine rechte Brust traf, war nicht besonders schmerzhaft und ließ ihn unwillkürlich zwei Schritte nach hinten taumeln. Doch er blieb auf den Beinen und war sich zunächst, während Becker den Wachmann anschrie, nicht einmal bewusst, dass er tatsächlich getroffen worden war. Michael wandte sich überrascht um und sah, dass die Kugeln hinter ihm die Frontscheibe eines geparkten Wagens durchschlagen hatten. Drei Einschlaglöcher hatten das Sicherheitsglas perforiert, das von einem dichten Netz haarfeiner Risse durchzogen wurde.

Daneben!, dachte der Inquisitor, nachdem er die Einschusslöcher gezählt hatte, und verspürte Erleichterung, bevor unvermittelt der Schmerz einsetzte, als würde seine gesamte rechte Körperhälfte in lodernden Flammen stehen. Erst da erkannte er seinen Irrtum. Nicht alle Kugeln hatten ihn verfehlt! Nein, mindestens eine musste zuvor ihn getroffen und seinen Körper durchbohrt haben, bevor sie in die Scheibe schlug. Michael stöhnte leise, während ein Anfall ungeahnter Schwäche ihn überfiel und fast in die Knie zwang. Steinbachs Pistole entglitt seinen kraftlosen Fingern und fiel auf den Betonboden.

»Michael?« Marcellas Stimme drang wie durch eine dichte Watteschicht an Michaels Gehör und klang wie eine zu langsam abgespielte Tonbandaufnahme. »Sind Sie verletzt?«

Er wollte nicken, gleichzeitig abwiegeln und sagen, dass es nicht so schlimm sei, aber alles, was über seine Lippen kam, war ein schmerzerfülltes Stöhnen, das so kläglich klang, dass es unmöglich von ihm stammen konnte. Oder etwa doch?

Trotz der Kraftlosigkeit, die seinen Körper in festem Griff hielt und auf ihm lastete wie ein Tonnengewicht, ging Michael nicht in die Knie, sondern mobilisierte sämtliche Reserven, die in einem verborgenen Winkel seines Körpers schlummerten. Wie durch einen langen, engen Tunnel sah er die Verfolger, die wie zu Salz erstarrte Säulen noch an derselben Stelle standen, an der sie sich bei Abgabe der verhängnisvollen Schüsse befunden hatten. Obwohl ihre fernen Gestalten hin und her wankten – insgeheim vermutete Michael, dass auch er es sein könnte, der wie ein Schilfrohr im Sturm schwankte –, konnte er ihre Gesichter deutlich erkennen. Becker und der Inquisitor unmittelbar neben ihm sahen mit entsetzten Mienen in Michaels Richtung. Der Wachmann jedoch, der die Schüsse abgegeben hatte, lächelte selbstzufrieden, als wäre er soeben Dorfschützenkönig geworden.

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