Kitabı oku: «Totengesicht», sayfa 3

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Bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, was ich in Anbetracht der dramatisch veränderten Situation tun sollte, betrat ich bereits die Wohnung und schlich lautlos durch den Flur. Der Fußboden war mit einem dünnen, billigen Teppich bedeckt, der das Geräusch meiner Schritte dennoch komplett verschluckte.

Was ich tat, war verrückt, gefährlich und vermutlich hochgradig selbstmörderisch, denn ich wusste noch nicht einmal, was ich überhaupt tun sollte, sobald ich dem Mann mit der Pistole begegnete.

Ganz einfach, Idiot, du wirst erschossen!, sagte eine gehässige Stimme in meinem Verstand, die ich unschwer als die des vernünftigeren Teils meines Ichs identifizierte.

Allerdings konnte ich jetzt auch nicht einfach wieder gehen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung, nachdem ich den Mann und vor allem seine schallgedämpfte Waffe gesehen hatte. Zumindest ergab die offene Wohnungstür nun einen Sinn, auch wenn mir dieser nicht gefiel. Der Mann musste im Treppenhaus gewartet haben, bis die Frau nach Hause kam, hatte sich anschließend mit einem Dietrich oder einem Nachschlüssel Zutritt verschafft und die Tür offen gelassen, um schneller flüchten zu können. Aber was hatte er vor?

Was wohl, Blödmann? Er ist natürlich hier, um die Frau zu erschießen.

Aber wieso?

Die Stimme in meinem Kopf, die es mir ersparte, laute Selbstgespräche zu führen, schwieg. Vermutlich zuckte mein mentaler Gesprächspartner stattdessen mit den Achseln. Und er hatte ja auch recht, und zwar mit allem, was er gesagt hatte. Wenn ich nicht aufpasste und mir nicht schleunigst eine Waffe suchte, würde ich vermutlich unmittelbar vor oder nach der Frau erschossen werden. Denn was immer der Mann mit der Waffe vorhatte, es konnte nichts Gutes sein. Es sah sogar danach aus, als befände sich die Frau, der ich gefolgt war, in akuter Lebensgefahr. Schließlich hatte ich ihr Totengesicht gesehen und wusste daher, dass sie bald sterben würde. Und warum der Mann sie töten wollte, war in diesem Augenblick zweitrangig. Wichtiger war die Frage, was ich gegen ihn unternehmen und wie ich den Mord verhindern sollte.

Während ich durch den düsteren Flur schlich, um dorthin zu gelangen, wo er nach rechts abknickte und der Mann verschwunden war, sah ich mich nach einer geeigneten Waffe um. Neben einer Kommode aus hellem Holz stand ein Schirmständer, in dem sich zwei Regenschirme befanden. Allerdings erschienen sie mir als Waffe eher ungeeignet, denn was sollte ich damit tun? Dem anderen ein Auge ausstechen? Keine gute Idee! Schließlich hatte er zwei Augen und konnte mich auch einäugig noch erschießen. Ich hoffte eher darauf, dass ich mich von hinten an ihn heranschleichen konnte und er mich gar nicht erst sah, bevor es für ihn zu spät war, denn ansonsten hätte er mehr als genug Zeit, mir eine Kugel zu verpassen. Und wenn ich versuchen würde, ihm einen Schirm über den Schädel zu ziehen, ginge wohl eher der Schirm als sein Kopf zu Bruch.

Aber was sollte ich dann nehmen? Wie als Antwort auf meine Frage fiel mein Blick auf mehrere afrikanische Masken aus dunkelbraunem Hartholz, die teilweise mit Messing verziert waren und an der Wand hingen. Eine Maske fiel mir dabei besonders ins Auge. Sie war 40 bis 45 Zentimeter hoch und stellte einen Elefantenkopf dar. Der dünne Rüssel war meiner Meinung nach der ideale Griff, an dem ich das Teil packen und notfalls über den Kopf schwingen konnte.

Vor der Wand mit den Masken bückte ich mich und legte meine Mappe lautlos auf den Boden, da sie bei meinem Vorhaben nur hinderlich war. Während ich die Elefantenmaske vorsichtig von der Wand nahm und mich bemühte, dabei so geräuschlos wie möglich zu agieren, horchte ich auf andere Geräusche in der Wohnung. Von dem Mann mit der Pistole hörte ich keinen Ton. Er musste sich ebenso unhörbar bewegen wie ich. Alles, was ich hörte, war das Rauschen fließenden Wassers, das aus dem Bad kommen und von der Frau stammen musste. Entweder nahm sie eine Dusche oder wusch sich am Waschbecken.

Die afrikanische Maske war schwerer, als ich erwartet hatte. Wenn es mir gelang, dem anderen damit eins überzubraten, bevor er auf mich aufmerksam wurde, musste ich mir um die Schusswaffe keine Sorgen mehr machen. Mit der Maske in der Hand fühlte ich mich sofort ein bisschen wohler und besser auf die unvermeidlich bevorstehende Auseinandersetzung vorbereitet als mit der für derartige Situationen völlig nutzlosen Arbeitsmappe.

Ich näherte mich der Biegung des Flurs, verharrte vor der Ecke und schob dann vorsichtig meinen Kopf nach vorn, um mit einem Auge in den abknickenden Teil zu spähen, der sich dahinter erstreckte. Das andere Flurstück war viel kürzer. Drei Türen gingen von ihm ab. Die linke Tür war geschlossen, und dahinter war das Wasserrauschen zu hören. Die Tür geradeaus stand offen, und man konnte eine Toilettenschüssel und ein kleines Waschbecken sehen. Die rechte Tür stand ebenfalls offen, was dahinter lag, war allerdings von meiner Position aus nicht einsehbar. Ich nahm an, dass sie ins Schlafzimmer der Frau führte.

Wichtiger als der Grundriss der Wohnung war jedoch der Mann mit der Waffe, den ich ebenfalls sah. Er wandte mir den Rücken zu und stand neben der geschlossenen Tür zum Badezimmer. Er lehnte mit der linken Schulter lässig an der Wand und wartete vermutlich darauf, dass die Bewohnerin endlich herauskam, damit er sie erschießen konnte. Die Mündung des klobigen schwarzen Schalldämpfers an seiner Schusswaffe aus brüniertem Stahl zeigte momentan zu Boden, doch ich war mir sicher, dass er sie im Bruchteil eines Augenblicks hochreißen und abdrücken konnte. Da im Bad allerdings noch immer das Wasser rauschte und ihm augenscheinlich langweilig war, beschäftigte er sich momentan damit, mit dem kleinen Finger der linken Hand Ohrenschmalz aus dem linken Ohr zu pulen.

Ich verzog das Gesicht vor Ekel. Allerdings wurde mir auch klar, dass es eine einmalige Chance war, mich von hinten an ihn heranzuschleichen, während er abgelenkt war und auf einem Ohr kaum etwas hörte, weil das vollständige erste Glied seines dreckigen Fingers darin steckte.

Also ging ich weiter und umfasste den Rüssel der Elefantenmaske, den ich mit beiden Händen umklammerte, noch fester. Ich betrat den kleineren Flur, der ebenfalls mit Teppich ausgelegt war, was mir nur recht war, denn es verringerte die Gefahr, dass er meine Schritte hörte. Außerdem überdeckte das Rauschen des fließenden Wassers aus dem Bad jedes noch so leise Geräusch, das ich versehentlich verursachte.

Doch als hätte es nur dieses Gedankens bedurft, verstummte in diesem Moment das Wasserrauschen wie abgeschnitten, und atemlose Stille kehrte stattdessen ein. Ich blieb wie erstarrt stehen, das rechte Bein schon zum nächsten Schritt angehoben, wagte es aber nicht, die Bewegung zu Ende zu führen. Der Mann mit der Pistole nahm den Finger aus dem Ohr, sah sich kurz an, was seine Bemühungen zum Vorschein gebracht hatten, und hob gleichzeitig die Hand mit der Pistole.

Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und trug einen Rollkragenpullover, eine Jogginghose und Turnschuhe, als käme er gerade vom Joggen. Außerdem hatte er eine Rollmütze auf dem Kopf. Allerdings trug er keine Handschuhe, was ich von einem professionellen Killer eigentlich erwartet hätte. Er hatte sehr dunkles Haar ohne jede Spur von Grau, das kurz geschnitten war und seinen dicken, speckigen Nacken freiließ. Als ich ihn vorhin von der Seite gesehen hatte, war mir außerdem aufgefallen, dass er vermutlich Mitte bis Ende vierzig war und dichte, schwarze Augenbrauen und eine knollenartige, rot geäderte Nase hatte. Der Rest seiner wegen der dicken Backen sehr breiten unteren Gesichtshälfte wurde von einem dichten Fünftagesbart bedeckt. Und als ich nun wie zur Salzsäule erstarrt weniger als zwei Meter hinter ihm stand, sah ich darüber hinaus, dass er in jedem Ohrläppchen einen silbernen Ring trug. Er war breitschultrig und stämmig und wirkte viel kräftiger als ich, sodass mir rasch klar wurde, dass ich mich nicht auf ein Handgemenge mit ihm einlassen durfte. Insgesamt erinnerte er mich an eine fleischgewordene Inkarnation von Kater Carlo, dem Erzgegner von Micky Maus, weshalb ich ihn in Gedanken auf den Namen Carlo taufte.

Ich betete, dass das Rauschen im Bad gleich wieder einsetzen würde, damit ich die restliche Distanz bis zu ihm unbemerkt überwinden und ihm die Elefantenmaske auf den Kopf hauen konnte. Meine Hände, die den Elefantenrüssel umklammerten, als hinge mein Leben davon ab – was vermutlich auch genau so war –, hatte ich bereits gehoben.

In diesem Moment wurden im Bad tatsächlich Geräusche laut. Sie stammten allerdings nicht vom fließenden Wasser, sondern von der Frau, die sich darin befand. Es klapperte, als würde sie etwas aus der Hand legen. Dann waren ihre Schritte zu hören, die sich der Badezimmertür näherten, bevor diese auch schon schwungvoll aufgerissen wurde.

6

Ich setzte mich bereits in Bewegung, bevor die Frau aus dem Bad kam, den Mann mit der Schusswaffe sah und einen kurzen, schrillen Schrei ausstieß. Die Zeit der Heimlichtuerei war ohnehin vorbei. Jetzt war Schnelligkeit gefragt und nicht länger Lautlosigkeit. Ich machte zwei Schritte nach vorn, bis ich unmittelbar hinter Carlo stand, und ließ meine Hände mit der Holzmaske herabsausen.

Doch Carlo musste mein Näherkommen gespürt oder gehört haben, denn er stieß sich in ein und derselben fließenden Bewegung von der Wand ab, kreiselte herum und schwang die Hand mit der tödlichen Waffe in meine Richtung. Durch seine abrupte Bewegung verfehlte ich den Punkt auf seinem Kopf, den ich so sorgfältig anvisiert hatte. Die obere Kante der Maske streifte zwar seine Schläfe, krachte dann aber nur auf seine rechte Schulter. Der Hieb reichte nicht aus, ihn das Bewusstsein verlieren zu lassen, schleuderte ihn allerdings wieder gegen die Wand und sorgte darüber hinaus dafür, dass sich die Finger seiner Hand öffneten und die Waffe fallen ließen. Anscheinend hatte ich durch pures Glück einen empfindlichen Punkt an seiner Schulter getroffen.

Er stöhnte laut, sah mich so wütend an wie sonst nur Jürgen Klopp einen Schiedsrichter und sprang auf mich zu, noch ehe ich die Maske zu einem zweiten Schlag heben konnte. Seine Hände legten sich augenblicklich um meinen Hals und schlossen sich dann wie die stählernen Spannarme einer Schraubzwinge. Ein letzter gurgelnder Laut, der selbst für mich unverständlich blieb, kam aus meiner Kehle, bevor die Luftzufuhr schlagartig unterbunden wurde.

Ich ließ die Maske fallen, von der ich mir mehr erhofft hatte, und sah in sein Gesicht. Seine Gesichtszüge waren jedoch nicht länger erkennbar, weil sich ein düsterer Fleck darübergelegt hatte, der in seinen Ausmaßen an einen Totenschädel erinnerte.

Verdammter Mist! Nicht schon wieder!

Ich konnte es nicht fassen, dass ich zum zweiten Mal an ein und demselben Tag einen todgeweihten Menschen berührte. Wo war ich da nur hineingeraten?

Das Schicksal des Mannes konnte mir allerdings herzlich egal sein, da mir mein eigenes naturgemäß viel mehr am Herzen lag. Und momentan sah es danach aus, als würde ich noch vor ihm den Löffel abgeben. Noch war der Luftmangel nicht so bedrohlich, dass ich in Panik geriet und nicht mehr in der Lage war, vernünftig zu handeln. Aber lange würde es vermutlich nicht mehr dauern, bis es dazu kam. Da ich mir wenig von dem Versuch versprach, seine Hände von meinem Hals zu zerren, weil er deutlich breitere Schultern als ich hatte und viel kräftiger war, schlug ich ihm meine zur Faust geballte rechte Hand mit aller Kraft auf seine Knollennase, die ich wieder deutlich genug erkennen konnte, weil der Schatten auf seinem Gesicht sich allmählich wie Nebel in der Mittagssonne auflöste.

Er grunzte und funkelte mich sofort noch zorniger an. Hätten Blicke töten können, hätte er seine Hände gar nicht mehr dazu benutzen müssen. Ansonsten schien mein Hieb allerdings nichts bewirkt zu haben, sodass ich kurz davor stand, zu verzweifeln und jegliche Hoffnung auf ein Überleben aufzugeben.

Doch da wich der Zorn schlagartig aus seinen braunen Augen und machte einem Ausdruck tiefster Verwunderung Platz. Gleichzeitig lockerte sich der Griff seiner Hände um meinen Hals, und er taumelte einen Schritt zur Seite. Ich sog erleichtert frische Atemluft in meine Lunge, befreite mich aus seinem Griff und wich zurück. Er torkelte nach links und prallte gegen die Wand, bevor er auf die Knie sank, den Oberkörper nach vorn beugte und laut stöhnte. Allerdings fiel er nicht um und verlor auch nicht das Bewusstsein.

Ich wandte den Kopf und sah zu der Frau, die den größten Föhn in der Hand hielt, den ich jemals gesehen hatte. Sie sah auf den knienden und laut stöhnenden Attentäter, der in diesem Moment die rechte Hand hob und sich an den Hinterkopf fasste, wo ihn der Schlag mit dem Föhn getroffen hatte. Dann wandte sie den Kopf und sah mich an. Was jetzt?, schien ihr wortloser Blick zu bedeuten.

Ich sah von ihr zu dem Mann, der noch vor wenigen Augenblicken drauf und dran gewesen war, mich zu erwürgen, und fasste mit der linken Hand unwillkürlich an meinen Hals, der noch immer etwas schmerzte. Der andere hob den Kopf und sah erst mich und dann die Frau an. Sein Blick und sein Gesichtsausdruck versprachen uns einen schmerzhaften und keineswegs raschen Tod. Zumindest sahen meine Comicfiguren so aus der Wäsche, wenn sie dies ihren Gegnern wünschten.

»Wir müssen hier weg!«, rief ich, ohne den Blick von ihm zu wenden, und meinte die Frau.

»Aber …«, begann sie, als gäbe es tatsächlich auch nur ein einziges vernünftiges Argument, in der Nähe eines bewaffneten Gewalttäters zu bleiben, den wir gerade eben so richtig wütend gemacht hatten.

»Kein Aber!«, sagte ich entschlossen, während ich gleichzeitig nach der Schusswaffe Ausschau hielt. Ich entdeckte sie rasch, doch zu meinem Leidwesen musste ich feststellen, dass sie sich näher bei ihm als bei einem von uns befand.

Der Mann folgte meinem Blick und sah die Pistole ebenfalls, die nur knapp außerhalb seiner Reichweite lag. Ein bösartiges Grinsen breitete sich daraufhin auf seinem Gesicht aus, das ihn noch mehr wie Kater Carlo aussehen ließ, wenn dieser einen hinterlistigen Plan ausheckte.

Ich ahnte, dass uns nur noch Sekunden blieben. »Los! Kommen Sie schon! Sofort!«

Endlich schien auch sie den tödlichen Ernst unserer Lage erfasst zu haben, denn sie reagierte, ohne noch länger zu zögern. Sie ließ den Föhn fallen, dessen Plastikgehäuse ohnehin schon gesplittert war, und rannte los. Als sie den Mann passierte, der sie töten wollte, kam auch in diesen wieder Bewegung. Er ließ sich einfach in die Richtung fallen, in der seine Pistole lag, und griff danach. Ich wartete nicht ab, bis er sie wieder in der Hand hatte, sondern warf mich herum und rannte ebenfalls los, sobald die Frau an mir vorbei war.

Zwischen meinen Schulterblättern prickelte es, während ich hinter der Frau auf die Ecke des Flurs zusteuerte, um dahinter Schutz vor den Kugeln zu suchen, die der Mann jeden Moment auf uns abfeuern würde. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein, um ein kleineres Ziel zu bieten, auch wenn mir das bei dieser kurzen Distanz nicht viel nützen würde. Mein Herz raste wie verrückt, und der Schweiß brach mir am ganzen Körper aus, während ich darauf wartete, dass sich eine Kugel in meinen Rücken bohrte und der Aufprall mich nach vorne warf. Es war ein verdammt unangenehmes und beängstigendes Gefühl, so als hätte ich eine Zielscheibe auf dem Rücken meiner Lederjacke. Und vermutlich würde ich den Schuss wegen des Schalldämpfers nicht einmal hören, bevor mich die Kugel erwischte.

Trotz der tödlichen Gefahr, in der wir schwebten, fiel mir in diesem Moment dennoch auf, dass die Frau noch immer dieselbe Kleidung trug, die sie auch bei unserer Begegnung in der U-Bahnstation angehabt hatte. Dann hatte sie vermutlich gar keine Dusche genommen, sondern nur das Wasser am Waschbecken laufen lassen und sich dort gewaschen. Deshalb war sie auch nicht lange im Bad gewesen. Hätte sie hingegen geduscht und das Wasser länger laufen lassen, hätte ich genügend Zeit gehabt, mich an den Mann heranzuschleichen und ihn mit einem gezielten Hieb niederzuschlagen. Aber es war nicht nur müßig, jetzt und in dieser Situation darüber nachzusinnen, was hätte sein können, es war auch schlichtweg irrsinnig, denn jeden Augenblick konnte ich erschossen werden.

Über unsere trampelnden Schritte hinweg hörte ich, wie hinter uns ein schwerer Körper auf dem Boden landete. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Carlo, von dessen Reaktionsschnelligkeit und Geschmeidigkeit, die absolut im Widerspruch zu seiner äußerlichen Erscheinung stand, ich vorhin schon einen kleinen Vorgeschmack erhalten hatte, blitzschnell nach seiner Pistole griff, kaum dass er auf dem Teppich aufgekommen war, die Hand nach vorne riss, auf mich anlegte und den Zeigefinger krümmte. Es sah aus wie aus einem Actionfilm, bestand allerdings aus einzelnen Bildern wie in einem Comicstrip. Es fehlte nur noch das fett und kursiv gedruckte Wort BANG! im letzten Bild.

Die Frau bog vor mir um die Ecke und war in Sicherheit. Ich war hingegen noch einen halben Meter davon entfernt. Jeden Moment musste der Schuss fallen und das todbringende Projektil abgefeuert werden. Vermutlich benötigte es nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde, um mich zu erwischen. Bis ich hingegen die Ecke erreichte und ebenfalls dahinter verschwinden konnte, würde es länger dauern.

Im selben Augenblick, als ich in Gedanken vor mir sah, wie sich der Zeigefinger des Mannes am Abzug der Pistole krümmte – BANG! –, warf ich mich in einem flachen Hechtsprung nach vorn. Von hinten hörte ich allerdings keinen lauten Knall, sondern nur ein dünnes Klacken, weil der Schalldämpfer den Mündungsknall dämpfte. Ich spürte nicht einmal, dass die Kugel nur knapp über mich hinwegsauste, hörte und sah jedoch, wie sie ein Loch in den Verputz des Flurs vor mir stanzte.

Sobald ich am Ende meines Becker-Hechts mit den Händen den Boden berührte, warf ich mich auch schon nach links, um hinter die Flurbiegung und in Deckung vor weiteren Kugeln zu gelangen. Ich hörte die Waffe noch zweimal klacken, die Projektile schlugen jedoch hinter der Ecke in die Wand und konnten mir nicht gefährlich werden. Der Mann stieß daraufhin einen lauten Fluch in einer Sprache aus, die mir vollkommen fremd war.

Die Frau hatte in diesem Teil des Flurs auf mich gewartet, packte mich am rechten Oberarm und half mir, rasch auf die Beine zu kommen. Von jenseits der Biegung wurden Geräusche hörbar, die uns verdeutlichten, dass der Mann dasselbe tat und allem Anschein nach noch nicht bereit war, sein Vorhaben aufzugeben. Wäre ja auch zu schön gewesen.

»Weiter! Schnell! Raus hier!«, rief ich laut, da mir zum einen die Atemluft für längere Sätze fehlte und sich auch zuvor schon knappe Befehle bewährt hatten. Die Frau widersprach dieses Mal auch nicht. Gewiss hatten auch die Kugeln, die die Wände ihres Flurs perforiert hatten, ihren Teil dazu beigetragen, ihren Widerspruchsgeist zu dämpfen. Sie nickte mit ernster Miene und lief dann zur Wohnungstür. Ich rannte sofort hinterher und warf einen Blick über die Schulter.

Wenn der Mann hinter der Flurbiegung auftauchte, bevor wir die Tür erreicht und das Treppenhaus betreten hatten, dann hatten wir vermutlich nicht mehr die geringste Chance, die Wohnung lebend zu verlassen. Dann konnte er uns in aller Seelenruhe abschießen wie Tonfiguren in einer Schießbude. Doch noch tauchte er nicht hinter der Gangbiegung und in meinem Blickfeld auf.

Obwohl ich den Gang hinter mir ungern aus den Augen ließ, musste ich meinen Blick wieder nach vorn richten, um nicht gegen ein Hindernis zu laufen, denn die dadurch bewirkte Verzögerung hätte meinen sicheren Tod bedeutet. Ich sah, dass die Frau, die allem Anschein nach schneller war als ich, die Tür erreichte, die ich nach meinem Eintreten weit offen stehen gelassen hatte, und ins Treppenhaus rannte.

Ich spürte erneut ein Prickeln zwischen den Schulterblättern, kurz bevor ich ebenfalls an der Wohnungstür war. Auch ohne mich umzusehen, wusste ich in diesem Moment, dass Carlo mit der Schusswaffe hinter mir um die Ecke gekommen war und auf mich anlegte. Ich griff nach dem Türknopf und zog die Tür zu, während ich nach draußen lief. Ich duckte mich, so weit es ging und ohne meine Geschwindigkeit dadurch nennenswert zu verringern, und warf mich gleichzeitig nach rechts, um aus der direkten Schusslinie des Schützen zu kommen. Die Tür fiel krachend ins Schloss, unmittelbar gefolgt von den Geräuschen mehrerer Projektile, die das Türblatt durchschlugen und an mir vorbeisausten. Sie kamen so rasch aufeinander, dass ich nicht in der Lage war, sie zu zählen. Ich hoffte allerdings wider jede Vernunft, dass Carlo sein Magazin leer geschossen und keine Munition zum Nachladen bei sich hatte.

Die Frau lief bereits die Stufen nach unten. Die erhöhte Todesangst der letzten Sekunden hatte mir zu einem Geschwindigkeitsschub verholfen, sodass ich wieder ein bisschen aufgeschlossen hatte. Ich folgte ihr und konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf meine Füße und die Stufen unter mir, um nicht zu stolpern. Die geschlossene Wohnungstür würde den Mann immerhin ein paar Sekunden aufhalten. Außerdem war er mir trotz seiner Reaktionsschnelligkeit nicht wie jemand vorgekommen, der schnell laufen konnte. Wenn also nichts schiefging, mussten wir es aus dem Haus und auf die Straße schaffen. Und wenn wir erst einmal draußen waren, waren wir vermutlich auch in Sicherheit, da sich dort noch andere Menschen aufhielten und der Killer es doch sicherlich nicht wagen würde, in der Öffentlichkeit auf uns Jagd zu machen und zu schießen.

Ich hatte gerade den ersten Treppenabsatz passiert und war um die Ecke gebogen, als ich hörte, wie über uns die Wohnungstür aufgerissen wurde. Wenigstens befand ich mich nun nicht mehr in direktem Schussfeld des Mannes. Außerdem hielt ich mich möglichst weit rechts an der Wand und so weit wie möglich vom Treppengeländer entfernt, falls der Mann auf den Gedanken kam, durch den Treppenschacht auf uns zu schießen. Wegen des Polterns unserer eigenen Schritte konnte ich nicht hören, ob der Mann uns verfolgte. Ich ging allerdings davon aus und wurde deshalb auch nicht langsamer. Und auch die Frau vor mir verringerte ihre Geschwindigkeit nicht.

Ich war vollkommen konzentriert auf die Stufen unter meinen wirbelnden Füßen und die Stelle zwischen meinen Schulterblättern, die mir mit einem Kribbeln signalisieren würde, wenn ich erneut ins Visier des Killers geriet. Doch das geschah nicht, und so erreichten wir unbeschadet das Erdgeschoss und die offen stehende Haustür.

Die Frau wollte sofort nach draußen rennen und wäre vermutlich sogar bis auf die Straße gelaufen, doch ich griff nach ihrem Arm und hielt sie auf, während ich gleichzeitig langsamer wurde und schließlich unmittelbar vor der Türschwelle stehen blieb.

»Was ist?«, fragte sie schwer atmend, blieb aber stehen.

Ich legte meinen Zeigefinger an meine Lippen, wandte den Kopf und horchte. Nachdem das Getrampel unserer Schritte verstummt war, hätte ich es hören müssen, wenn er uns verfolgte, doch im Hausflur war es plötzlich gespenstisch still. Falls einer der Anwohner den Lärm gehört hatte, so hatte er sich zumindest nicht darüber gewundert und die Wohnung verlassen, um nachzusehen, was das alles zu bedeuten hatte. Aber auch von dem Bewaffneten war nichts zu hören.

Ich sah die Frau an und hob fragend die Augenbrauen.

»Wo steckt er?«, fragte sie flüsternd.

Ich zuckte mit den Schultern, doch dann kam mir ein erschreckender Verdacht. Ich schob mich neben die Frau, deren Arm ich längst wieder losgelassen hatte, bis ich auf der Türschwelle stand und deutete dann nach oben. »Vielleicht hat er ein Fenster geöffnet und wartet nur darauf, dass wir das Haus verlassen, um uns von dort oben zu erschießen«, sagte ich leise.

Sie bekam große Augen und richtete den Blick unwillkürlich nach oben, obwohl von unserer Position aus natürlich nichts zu sehen war.

»Ich werde vorgehen und nachsehen«, sagte ich. Keine Ahnung, woher ich in diesem Augenblick den Mut dazu nahm. Aber wir konnten auch nicht ewig hier herumstehen und darauf warten, dass der Killer herunterkam. Es war schließlich auch denkbar, dass er sich die Schuhe ausgezogen hatte und in diesem Moment vollkommen lautlos die Stufen nach unten schlich. »Wenn die Luft rein ist, folgen Sie mir. Aber halten Sie sich dicht an der Hauswand.«

Sie nickte und knabberte an ihrer Unterlippe. Erst jetzt, aus der Nähe, bemerkte ich, dass sie sehr glatte, zarte Haut, leuchtend grüne Augen und einen Schönheitsfleck unter dem linken Auge hatte.

»Okay!«, sagte ich, was allerdings eher dazu gedacht war, mir selbst Mut zu machen und das Startkommando zu erteilen, sonst hätte ich mich vielleicht doch nicht getraut, nach draußen zu gehen.

Ich trat vorsichtig auf die Schwelle und schob dann den Oberkörper und den Kopf zaghaft nach draußen, während ich gleichzeitig den Kopf hob und nach oben sah. Ich konnte allerdings niemanden sehen, der sich aus einem der Fenster des Treppenhauses beugte. Von meiner Position sah ich aber auch nicht, ob die Fenster offen oder geschlossen waren. Also machte ich den nächsten Schritt und behielt dabei die Fensterreihe unmittelbar über mir aufmerksam im Auge. Noch immer konnte ich nichts erkennen, also tat ich einen weiteren, ein wenig größeren Schritt, bis ich mitten auf dem Gehsteig vor dem Haus stand und sehen konnte, dass alle Treppenhausfenster zu waren. So wie es aussah, war Carlo nicht auf den Gedanken gekommen, uns von dort oben abzuknallen. Vielleicht hatte er die Idee aber auch in Erwägung gezogen und wieder verworfen, weil es einfach zu viele Tatzeugen gegeben hätte, die ihn später identifizieren konnten, denn sowohl auf diesem als auch auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite waren insgesamt ungefähr zwei Dutzend Leute unterwegs. Und auch auf der Straße fuhren mehrere Autos vorbei.

Ich stieß in einem Stoßseufzer die Luft aus, die ich unwillkürlich angehalten hatte, und atmete voller Erleichterung auf. Dann senkte ich den Blick und richtete ihn auf die Frau, die mich mit gerunzelter Stirn fragend ansah.

Ich fragte mich, ob ich noch immer das Antlitz des Todes in ihrem hübschen Gesicht sehen würde, wenn ich sie in diesem Moment mit bloßen Händen berühren und Körperkontakt herstellen würde. Oder ob es mir tatsächlich gelungen war, sie nicht nur vor dem Killer zu retten, sondern ihr Schicksal dauerhaft zu verändern. Doch erstens scheute ich davor zurück, weil ich Angst vor der Erkenntnis hatte, ich könnte durch meine Aktion vielleicht gar nichts bewirkt haben. Und zweitens war jetzt nicht der richtige Moment dafür, weil wir noch nicht wirklich in Sicherheit waren. Also nickte ich ihr nur zu und sagte: »Die Luft ist rein. Kommen Sie!«

Wir hielten uns dicht an der Hausmauer, während wir davoneilten und ab und zu einen Blick über die Schulter warfen, um nachzusehen, ob der Mann uns verfolgte. Von ihm war allerdings nichts mehr zu sehen, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Erst als wir die nächste Straßenecke erreichten und uns nach rechts wandten, fiel mir siedend heiß ein, dass ich meine Arbeitsmappe im Flur der Wohnung liegen gelassen hatte.

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