Kitabı oku: «Totengesicht», sayfa 4

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»Ich muss sofort zurück und meine Mappe holen!«, sagte ich.

Ich wusste nicht, wie oft in diesen Satz in den letzten zwanzig Minuten wiederholt hatte.

Und auch Alessias Antwort war stets dieselbe: »Sie können noch nicht zurückgehen, Rex. Vielleicht rechnet er damit und erwartet Sie dort. Warten wir lieber noch etwas ab.«

Sie hatte natürlich recht, das war sogar mir klar. Aber die Vorstellung, dass meine Arbeitsmappe in ihrer Wohnung lag und möglicherweise von dem Mann gefunden wurde, der uns hatte töten wollen, verursachte mir Bauchschmerzen. All meine Kontaktdaten – mein Name, meine Anschrift, meine Telefonnummer und meine Email-Adresse – waren darin vermerkt. Es erfüllte mich mit eiskaltem Entsetzen, dass der Killer unter Umständen längst meinen Namen kannte und wusste, wo ich wohnte. Nicht zum ersten Mal an diesem verfluchten Tag fragte ich mich, in was ich da hineingeraten war. Ich seufzte resignierend und nahm einen Schluck von meinem Caffè Americano.

Wir saßen in einem Starbucks in der Leopoldstraße unweit der U-Bahnstation Münchner Freiheit. Alessia hatte mich dazu überredet, dorthin zu gehen, um mehr Abstand zwischen uns und den Mann mit der schallgedämpften Pistole zu bringen, nachdem sie mich mehrmals davon abgehalten hatte, sofort umzukehren und in ihre Wohnung zurückzugehen. Obwohl ich mich an diesem Ort unter all den anderen Gästen halbwegs sicher fühlte, sah ich mich dennoch immer wieder um, ob Carlo uns nicht vielleicht doch bis hierher gefolgt und ganz in der Nähe war, um die angefangene Arbeit zu beenden.

Ich setzte den Kaffeebecher ab und leckte mir über die Lippen. »Ich muss kurz telefonieren«, sagte ich dann und holte mein Handy heraus.

Alessia nickte nur.

Nachdem wir meinen Caffè Americano und einen Caffè Latte für sie geholt und Platz genommen hatten, hatte sie mich nach meinem Namen gefragt.

»Sie können mich Rex nennen«, hatte ich wie üblich geantwortet.

»Rex?«

»So nennen mich meine Freunde. Eigentlich heiße ich Richard König.«

Sie hob die Augenbrauen, als ihr die Herkunft meines Spitznamens klar wurde, und nickte dann. »Ich heiße Alessia, Alessia Engel.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Alessia, auch wenn es unter diesen unerfreulichen Umständen geschieht.«

»Ganz meinerseits.«

Dann war ich mir allerdings wieder meiner Mappe und der Dringlichkeit, sie zurückzubekommen, bewusst geworden, und hatte die gegenseitige Vorstellung mit der erneuten Wiederholung des Satzes »Ich muss sofort zurück und meine Mappe holen!« beendet, obwohl ich ihr ansah, dass sie vermutlich genauso viele Fragen an mich hatte wie ich an sie. Doch noch war ich nicht bereit, ihr erläutern zu müssen, warum ich sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt hatte.

Während ich die gespeicherte Nummer der Werbeagentur abrief, überlegte ich mir, wie ich ihr erklären sollte, warum ich so überraschend in ihrer Wohnung aufgetaucht war, auch wenn ich ihr dadurch vermutlich das Leben gerettet hatte. Denn die Wahrheit würde sie mir ohnehin nicht glauben.

Als ich eine Sekretärin der Werbeagentur in der Leitung hatte, nannte ich meinen Namen und sagte ihr, dass ich den Termin in fünfzehn Minuten leider absagen müsse, weil ich völlig überraschend krank geworden sei. Dabei bemühte ich mich, heiser und ein wenig verschnupft zu klingen, und hustete zwischendurch.

Alessia tat so, als würde sie meinem Telefonat keine Aufmerksamkeit schenken, ich sah jedoch, dass sie schmunzelte.

Die Sekretärin hatte zum Glück allergrößtes Verständnis und wünschte mir gute Besserung. Es gelang mir, einen neuen Termin für den nächsten Tag zu vereinbaren. Bis dahin musste ich die Mappe allerdings wiederhaben, da sie sämtliche Originale meines Storyboards enthielt und ich keinerlei Kopien besaß.

»Ein wichtiger Termin?«, fragte Alessia. Sie sah etwas blass aus, was nach allem, was wir erlebt hatten, natürlich kein Wunder war. Ansonsten wirkte sie allerdings erstaunlich gefasst für jemanden, der vor weniger als einer halben Stunde beinahe erschossen worden wäre. Vielleicht war ihr aber auch noch gar nicht bewusst geworden, wie knapp sie dem Tod entgangen war und dass sie ohne mein Eingreifen vermutlich längst tot wäre. Oder sie vermied es momentan bewusst, daran zu denken, und machte stattdessen lieber ein bisschen Smalltalk mit mir. Sie saß mit dem Rücken zur Wand und konnte jeden sehen, der das Starbucks betrat oder sich unserem Tisch näherte, während ich mich dazu umdrehen und über die Schulter schauen musste.

Ich nickte und steckte mein Handy wieder weg. »Ein möglicher Auftrag für einen Werbetrickfilm. In der Arbeitsmappe befindet sich das Storyboard, das ich gezeichnet habe.«

»Interessant. Dann sind Sie also Trickfilmzeichner.«

»Auch. Hauptsächlich aber Comiczeichner und Illustrator. Und Sie?«

Sie antwortete nicht sofort, sondern sah in ihren Caffè Latte, als müsste sie erst darüber nachdenken und könnte die Antwort darin finden. »Ich arbeite im Gastronomiebereich.«

»Aha«, sagte ich und hob die Augenbrauen in der Erwartung, dass sie noch etwas ins Detail gehen würde. Das hatte sie jedoch anscheinend nicht vor. Vielleicht schämte sie sich ja, weil sie nur Kellnerin war. So genau musste ich es aber auch gar nicht wissen. Stattdessen wechselte sie plötzlich das Thema, als wäre es ihr unangenehm, und stellte die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte, da ich darauf ebenfalls ausweichend oder mit einer faustdicken Lüge reagieren musste.

»Warum sind Sie mir eigentlich von der U-Bahnstation bis zu meiner Wohnung gefolgt?«

Ich entschied mich für die Unwahrheit, die ich mir bereits auf dem Weg zu ihrer Wohnung überlegt hatte, als ich von dem Mann mit der Pistole noch nichts geahnt hatte. Ich spürte, dass es ihr nicht genügen würde, wenn ich ihrer Frage auswich, und sie vermutlich nachbohren würde. »Sie haben meine Schmerztabletten mitgenommen. Die wollte ich wiederhaben. Ich hatte heftige Kopfschmerzen und brauchte die Tabletten. Deshalb bin ich Ihnen nachgegangen.«

Sie nickte. »Und warum haben Sie mich dann nicht schon auf der Straße eingeholt und darauf angesprochen, wenn Sie die Tabletten schon so dringend benötigten?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Sie waren schon zu weit vor mir, als ich beschloss, Ihnen zu folgen, um meine Tabletten zurückzubekommen. Und ich wollte nicht rennen, weil manche Leute das missverstehen könnten. Man hätte mich für einen Dieb auf der Flucht halten können.«

Sie schmunzelte, sah aber nicht so aus, als wäre sie von meiner Erklärung wirklich überzeugt.

»Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen, deshalb folgte ich Ihnen einfach bis zu Ihrer Wohnung. Und als ich dann klingeln wollte, sah ich, dass die Tür nur angelehnt war. Das kam mir merkwürdig vor. Deshalb schob ich die Tür auf und sah den Mann mit der Pistole in Ihrem Flur.«

»Und da beschlossen Sie kurzerhand, sich mit einem Bewaffneten anzulegen und mein Leben zu retten. Wer sind Sie? Batman?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment gar nicht viel darüber nachgedacht habe, was ich tue, sonst wäre ich vermutlich sofort wieder verschwunden. Ich handelte eher instinktiv und ohne zu überlegen.«

»Zum Glück«, sagte sie und atmete einmal tief durch. »Und vermutlich wird es langsam Zeit, dass ich mich bei Ihnen bedanke und Sie nicht länger mit Fragen löchere, Rex. Vielen Dank also, dass Sie nicht wieder verschwunden sind, sondern das Richtige getan haben. Sie haben mir vermutlich das Leben gerettet. So hätte nicht jeder reagiert.«

»Ich bin froh, dass ich es getan habe. Allerdings wäre ich noch glücklicher, wenn ich meine Arbeitsmappe wiederhätte.«

»Natürlich.« Sie sah auf ihre Armbanduhr, die silbern und mit glitzernden Steinen besetzt war und ein schmales weißes Lederband besaß. Ich wusste nicht, ob die Steine echt waren, die Uhr sah allerdings sehr teuer aus. »Aber wir sollten noch mindestens zehn Minuten warten, bevor wir zurückgehen.«

»Wir?«

»Selbstverständlich. Ich lasse Sie doch nicht allein dorthin gehen. Schließlich handelt es sich um meine Wohnung. Außerdem wären Sie ohne mich gar nicht in diesen Schlamassel geraten. Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem Sie mein Leben gerettet haben.«

Ich nickte, denn sie hatte erneut recht. Und der Mann mit der Waffe war vermutlich schlau genug und hatte längst das Weite gesucht, weil er damit rechnen musste, dass wir so schnell wie möglich die Polizei informieren würden.

»Sie sollten die Polizei benachrichtigen«, sprach ich den Gedanken aus, der mir soeben zum ersten Mal gekommen war, seit wir vor dem Killer geflohen waren.

Sie sah mich überrascht an und runzelte dann die Stirn, als wäre sie bislang ebenfalls noch nicht auf diesen Gedanken gekommen. »Die Po-li-zei?«, fragte sie gedehnt, als wäre das Wort neu für sie.

»Ja. Immerhin hatte dieser Typ die Absicht, Ihnen etwas anzutun und Sie vielleicht sogar zu töten. Und mich hätte er ebenfalls beinahe umgebracht. Wir sollten die Polizei darüber informieren, damit nach dem Kerl gefahndet wird, denn unter Umständen versucht er es erneut. Und solange er sich auf freiem Fuß befindet, sind Sie weiterhin in tödlicher Gefahr. Die Polizeibeamten könnten darüber hinaus Ihre Wohnung checken. Wenn die Luft rein ist, können Sie zurück in Ihr Heim, und ich kann meine Mappe holen. Vielleicht bekommen Sie sogar Polizeischutz, solange der Killer auf freiem Fuß ist.«

Sie dachte mit gerunzelter Stirn über meine Worte nach, während sie ihren Blick durch das Café schweifen ließ. Sogar ihr Stirnrunzeln sah apart aus, als hätte sie es tausendmal vor dem Spiegel geübt, um es mit dieser Perfektion hinzukriegen.

»Ich glaube, das ist keine so gute Idee.«

Nun war es an mir, die Stirn zu runzeln und sie nachdenklich anzusehen. Die Frage, warum es ihrer Meinung nach keine so gute Idee wäre, war mir vermutlich so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass ich sie nicht laut stellen musste.

»Im Grunde ist ja gar nichts Schlimmes passiert, oder?«

Ich hob überrascht die Augenbrauen. Gar nichts Schlimmes passiert? Aber hallo!

Doch wenn man einmal davon absah, dass ein fremder Mann mit der übelsten Gaunervisage, die ich seit Langem außerhalb eines Comics gesehen hatte, und einer schallgedämpften Schusswaffe in der Hand in ihre Wohnung eingedrungen war, um sie zu erschießen, und dann mehrere Schüsse auf uns abgefeuert hatte, war vermutlich tatsächlich nicht viel passiert, denn im Endeffekt waren nur drei Löcher in ihrer Flurwand und eine unbekannte Anzahl von Durchschüssen in ihrer Wohnungstür übrig geblieben. Der tatsächliche, materielle Schaden war also vergleichsweise gering. Es war eben alles nur eine Frage der richtigen Perspektive. Im Grunde hatte sie also gar nicht so unrecht. Dennoch musste meiner Meinung nach noch mehr hinter ihrer Weigerung stecken, die Polizei einzuschalten.

Ich fragte mich zum ersten Mal, warum der Mann sie hatte töten wollen, denn ohne Grund dringt niemand bewaffnet in fremde Wohnungen ein, um die Bewohner möglichst geräuschlos um die Ecke zu bringen. Und nach einem Raub hatte es für mich nicht ausgesehen, denn als Alessia im Bad gewesen war, hätte der Mann die halbe Wohnung ausräumen können, ohne dass sie es überhaupt bemerkt hätte und ohne dass er sie hätte töten müssen. Doch so, wie sich der Mann verhalten hatte, erschien es mir wahrscheinlicher, dass sein vordringlichstes Ziel Alessias Ermordung gewesen war. Allenfalls hätte er hinterher die Wohnung verwüstet, um es für die Polizei wie einen Raubmord aussehen zu lassen. Aber wenn sie tatsächlich ermordet werden sollte, wer war der Mann dann? Jemand, der sie tot sehen und den Job selbst erledigen wollte, oder ein gedungener Mörder, hinter dem ein Auftraggeber steckte, der sich die Hände nicht schmutzig machen wollte. Dass Alessia Carlo nicht zu kennen schien, sprach eher für die zweite Alternative. Und auch die Benutzung eines Schalldämpfers, die Reaktionsschnelligkeit des Mannes und sein lässiges Verhalten vor der Konfrontation mit seinem Opfer ließen auf einen Profi schließen.

»Ich habe bis vor Kurzem in einer Nachtbar gearbeitet«, sagte Alessia und unterbrach meine Überlegungen über die Hintergründe des Mordversuchs. »Dort bekam ich Ärger mit der Polizei. Auf eine Wiederholung kann ich gerne verzichten.«

»Weswegen hatten Sie mit der Polizei Schwierigkeiten?«

Sie seufzte. »Es war nichts Ernsthaftes und außerdem völlig aus der Luft gegriffen. Der Vorwurf lautete Vortäuschung einer Straftat. Das Verfahren wurde natürlich eingestellt, weil letztendlich auch der zuständige Staatsanwalt einsehen musste, dass an der Geschichte nichts dran war. Aber wenn ich jetzt erneut die Polizei informiere und behaupte, jemand sei in meine Wohnung eingedrungen und habe versucht, mich zu töten, werden sie mich bestimmt nicht ernst nehmen, sobald sie meinen Namen in ihren Polizeicomputer eingeben und auf das damalige Verfahren stoßen.«

»Aber ich kann doch bezeugen, dass Sie die Wahrheit sagen. Außerdem gibt es die Einschusslöcher in Ihrem Flur und in der Wohnungstür.«

»Die werden sagen, dass wir die Einschusslöcher selbst verursacht haben und dass Sie ebenfalls lügen. Und am Ende haben Sie ebenfalls ein Verfahren wegen Vortäuschung einer Straftat oder Falschaussage am Hals. Ich will aber nicht, dass Sie noch mehr in diese Geschichte hineingezogen werden, als es ohnehin schon der Fall ist. Deshalb lautet meine Entscheidung, dass wir die Polizei vorerst noch nicht einschalten. Und das ist mein letztes Wort! Versuchen Sie also besser nicht, mich umstimmen zu wollen.«

»Na gut, wie Sie wollen. Es ist Ihre Entscheidung. Aber falls Sie noch einmal in eine derart lebensgefährliche Situation geraten, sollten Sie meiner Meinung nach keinen Moment länger als nötig zögern und sofort die Behörden einschalten. Alles andere könnte Sie nämlich leicht das Leben kosten. Sie wissen schon, dass wir vorhin nur mit unglaublich viel Glück lebend davongekommen sind, oder?«

»Natürlich weiß ich das. Und ich verspreche Ihnen hoch und heilig, in Zukunft vorsichtiger zu sein und sofort die Polizei zu rufen, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht in Ordnung oder mein Leben in Gefahr ist. Zufrieden?«

Ich nickte. »Sie sollten die Geschichte trotzdem nicht auf die leichte Schulter nehmen, Alessia. Das nächste Mal haben Sie vielleicht nicht mehr so viel Glück. Ich glaube nämlich nicht, dass der Kerl sein Vorhaben aufgegeben hat. Er kam vermutlich in der Absicht in Ihre Wohnung, Sie zu töten. Und da ihm das beim ersten Mal nicht gelungen ist, wird er es bestimmt erneut versuchen. Haben Sie denn gar keine Ahnung, weswegen jemand Sie tot sehen will?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe natürlich schon selbst darüber nachgedacht, aber mir fällt beim besten Willen nichts ein. Wie schon gesagt, war ich bis vor Kurzem in einem Nachtclub tätig. Dort kommt man auch mit dem einen oder anderen zwielichtigen Typen mit kriminellem Hintergrund in Kontakt. Aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, wieso einer von denen mich umbringen lassen sollte.«

»Vielleicht hat es ja mit der Geschichte zu tun, wegen der Sie damals Ärger mit der Polizei hatten.«

Sie dachte kurz darüber nach und nahm einen Schluck von ihrem Caffè Latte. Ich nutzte die Pause und trank ebenfalls etwas. Dann stellte sie die Tasse ab und schüttelte den Kopf. »Nein! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da einen Zusammenhang gibt.«

»Dennoch muss es einen Grund für den Mordversuch geben. Vielleicht haben Sie im Nachtklub etwas gesehen, das Sie nicht sehen sollten.«

»Vielleicht war es auch nur eine Verwechslung.«

Ich schmunzelte, obwohl ich die Sache nicht im Mindesten komisch fand. »Natürlich, das ist die Erklärung. Warum bin ich da nicht gleich draufgekommen? Der Profikiller, den jemand engagierte, um einen kaltblütigen Mord zu begehen, hatte heute vermutlich seine Brille zu Hause vergessen und war, als er die Adresse seines Opfers aus dem Telefonbuch abschrieb, auch noch in der Zeile verrutscht und nur deshalb zufällig in Ihrer Wohnung gelandet. Vermutlich bemerkt er genau in diesem Moment seinen Irrtum und denkt sich: Verflixt, wie konnte mir so ein Fehler nach 20 Jahren als hauptberuflicher Mörder bloß passieren? Also lässt er 200 Euro auf Ihrer Flurkommode zurück, um den Schaden zu ersetzen, den er angerichtet hat, und verlässt Ihre Wohnung, um sich auf die Suche nach dem richtigen Mordopfer zu machen.«

Alessia schmunzelte ebenfalls. »Sie haben wirklich eine blühende Fantasie, Rex. Kein Wunder, dass Sie sich Comics und Trickfilme ausdenken. Wenn Sie genauso gut zeichnen, wie Sie sich solche Geschichten ausdenken, würde ich gern mal ein paar Ihrer Arbeiten sehen.«

»Vermutlich haben Sie das schon, ohne dass Sie es wussten. In einem Werbespot, einer Zeitungsanzeige oder einem Comic in einer Zeitschrift. Aber um zum Thema zurückzukommen. Ich glaube noch immer, dass es ein großer Fehler ist, die Polizei nicht zu informieren. Vielleicht sogar ein Fehler, der Sie letzten Endes das Leben kosten könnte. Denken Sie also lieber noch einmal darüber nach.«

»Okay, okay. Da Sie in dieser Sache anscheinend partout keine Ruhe geben wollen, verspreche ich Ihnen, dass ich zumindest noch einmal darüber nachdenken werde. Aber erst, nachdem wir in die Wohnung zurückgekehrt sind und uns angesehen haben, was der Mann dort angerichtet hat. Einverstanden?«

Ich nickte und trank meinen Kaffeebecher leer. »Dann lassen Sie uns endlich aufbrechen.«

»Warten Sie!«

Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen überrascht an. »Wieso?«

»Weil ich, nachdem Sie mich gerade wie ein mittelalterlicher Inquisitor ausgefragt haben, ebenfalls ein oder zwei Fragen an Sie habe. Außerdem muss ich mich noch kurz frisch machen, bevor wir gehen.«

Ich seufzte und nickte. »Okay. Fragen Sie!«

Ich ahnte, was nun kommen würde, weil ich schon wesentlich früher damit gerechnet hatte. Mit der Frage, die immer kam, wenn ich mich mit anderen Leuten unterhielt, seit ich beschlossen hatte, in der U-Bahn Handschuhe zu tragen. Die Bestätigung meiner Ahnung bekam ich schon einen Augenblick später, als sie den Blick senkte und auf meine Hände sah, die rechts und links von meinem leeren Becher auf dem Tisch lagen.

»Warum trugen Sie in der U-Bahn Handschuhe? Und wieso haben Sie mich in der U-Bahnstation so entsetzt angesehen, nachdem ich Ihre bloße Hand berührt hatte? Sie sahen aus, als hätten Sie ein Gespenst oder dem Tod ins Auge gesehen.«

Ich nahm unwillkürlich die Hände vom Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust und schob die Hände in meine Achselhöhlen, wie ich es seit Kurzem oft tat, wenn ich sie sowohl vor den Blicken anderer als auch vor zufälligen Berührungen schützen wollte. Ich wusste nicht, ob sie mir meine Reaktion auf ihre Worte ansah, denn mich hatte erschreckt, was sie gesagt hatte. Nicht die Fragen nach den Handschuhen und meinem merkwürdigen Verhalten in der U-Bahnstation. Damit hatte ich gerechnet. Nein, es ging um ihren letzten Satz und die darin enthaltene Feststellung, da diese erschreckend nah an der Wahrheit gewesen war. Denn ich hatte dem Tod buchstäblich ins Auge gesehen. Allerdings nicht meinem Tod oder dem Tod als abstraktem Schreckgespenst, sondern Alessias Tod. Aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen, ohne in ihren Augen wie ein komplett durchgeknallter Irrer zu wirken. Also musste ich ihr eine weitere Lüge auftischen, die ich mir schon zurechtgelegt hatte, nachdem ich meine Gabe erkannt hatte, um anderen Menschen zu erklären, warum ich ihnen zur Begrüßung nicht die Hand geben konnte.

Ich seufzte schwer, bevor ich antwortete: »Ich leide unter Berührungsangst. Das ist die Angst vor Körperkontakt mit anderen Menschen. Der medizinische Fachausdruck dafür lautet Aphenphosmophobie.« Meist reichte diese knappe und glaubwürdig klingende Ausführung in Verbindung mit dem zungenbrecherischen Fremdwort, um andere zu überzeugen und mein sonderliches Verhalten zu erklären.

Alessia runzelte nachdenklich die Stirn, als hätte sie insgeheim eine andere Antwort erwartet. Dann nickte sie und sagte: »Verstehe.«

»Wären damit alle Fragen geklärt?«

Sie nickte erneut. »Für den Moment schon. Ich geh dann nur noch rasch, um mich frischzumachen. Danach können wir aber sofort gehen.«

Sie stand auf und machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Ich sah ihr nachdenklich hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwand. Dann ließ ich den Blick durch das Starbucks schweifen, ob ich ein bekanntes Gesicht entdeckte. Zum Glück war das nicht der Fall.

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