Kitabı oku: «WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN», sayfa 3

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Als sie den Feldweg verließen und unter das Blätterdach der Eiche traten, wurden die beiden Beamten der Mordkommission von den Anwesenden begrüßt und erwiderten die Grüße. »Ich komm gleich zu dir, dann unterhalten wir uns«, sagte Schäringer zu Christian Krautmann von der Spurensicherung. Dann gesellten sie sich zu Stefan Bauer, der mit verschränkten Armen neben dem Stamm des Baumes stand und mit ausdrucksloser Miene dem Gerichtsmediziner bei seiner Arbeit zusah. In der rechten Hand hielt er zwei Beweismittelbeutel aus transparenter Plastikfolie.

Zunächst sah es so aus, als hätte er die Ankunft der beiden Kollegen von der Mordkommission gar nicht bemerkt, so konzentriert beobachtete er, was Dr. Mangold tat. Als diese aber keine Anstalten machten, wieder zu gehen und ihn in Ruhe zu lassen, hob er geradezu widerwillig den Blick und sah zuerst Schäringer und dann Baum abschätzig an. »Sieh an, die Kollegen von der Abteilung Mord und Totschlag sind also auch schon da.«

Bauer war Mitte vierzig, von durchschnittlicher Statur und durchschnittliche eins einundachtzig groß. Er hatte kurzes und in der Mitte gescheiteltes, hellbraunes Haar und einen Zehntagebart. Er war leger gekleidet, trug eine ausgewaschene, hellblaue Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber ein hellblaues Jeanshemd im Western-Style. Seine Füße steckten in beigen Freizeitschuhen von Adidas.

Schäringer erinnerte sich, dass der Kriminaloberkommissar seit Neuestem nicht nur für Vermisstenfälle zuständig, sondern auch Leiter einer Sonderkommission war, die vorgestern eingerichtet worden war, nachdem innerhalb weniger Tage zwei junge Frauen spurlos verschwunden waren. Die erste war die siebzehnjährige Nadine Blume. Sie wohnte in der Gemeinde Emmering, die im Osten an das Stadtgebiet von Fürstenfeldbruck grenzte, und besuchte die elfte Klasse des Graf-Rasso-Gymnasiums. Sie war vor acht Tagen auf dem Heimweg vom Nachmittagsunterricht gewesen, allerdings nie zu Hause angekommen und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Und vor zwei Tagen war eine weitere Schülerin verschwunden. Die achtzehnjährige Nele Schumacher aus dem Ortsteil Buchenau ging aufs Viscardi-Gymnasium. Sie war mit Schulfreunden abends beim Pizzaessen gewesen, bevor auch sie spurlos verschwand. Gemeinsam war beiden jungen Frauen nicht nur, dass sie etwa im gleichen Alter waren und aufs Gymnasium gingen, sie waren auch bildhübsch und sahen sich sogar ein bisschen ähnlich. Beide hatten langes und sehr helles, blondes Haar und waren groß und schlank. Nach Neles Verschwinden wurde daher eilig eine Sonderkommission eingerichtet, die sich auf die Suche nach den beiden Frauen konzentrierte. Und Stefan Bauer wurde kurzerhand zum Leiter der Soko ernannt.

»Morgen, Kollege Bauer«, grüßte Schäringer, ohne auf die Bemerkung des anderen einzugehen. Er wollte kein frisches Öl ins Feuer gießen, sondern war nur hier, um seine Arbeit zu erledigen, so gut es ihm möglich war. Persönliche Animositäten hatten dabei seiner Meinung nach nichts zu suchen. »Was hat Sie denn hierher verschlagen?«

»Sie müssen sich verirrt haben, Bauer«, sagte Baum und deutete auf den Toten. »Das da ist eindeutig ein Kerl und keins Ihrer verschwundenen Mädchen. Nach denen sollten Sie lieber woanders suchen. Aber was soll’s? Jeder kann sich mal täuschen.«

»Morgen, Schäringer. Ist Ihr Schoßhündchen eigentlich immer so bissig?«

Schäringer zuckte mit den Schultern. »Nicht immer. Aber wenn wir so früh am Tag schon unsere erste Leiche zu Gesicht bekommen, läuft er zur Hochform auf.«

Baum grinste Bauer frech an, knurrte und machte: »Wuff!«

»Aber um noch einmal auf meine Frage zurückzukommen«, sagte Schäringer. »Was suchen Sie denn nun wirklich hier?«

»Dasselbe wollte ich eigentlich Sie fragen.«

Schäringer runzelte die Stirn und sah Bauer fragend an. »Warum mein Kollege und ich hier sind, dürfte sich ja wohl von selbst erklären. Schließlich liegt da drüben für jedermann sichtbar eine männliche Leiche, die kurz zuvor noch an einem Strick an diesem eindrucksvollen Baum hing. Obwohl die äußeren Umstände klar für einen Suizid sprechen, sind die tatsächliche Ursache und die genaueren Umstände des Todeseintritts vor der Untersuchung des Leichnams durch den Gerichtsmediziner und der Würdigung der gefundenen Beweise gleichwohl unklar. Eindeutig ist bislang nur, dass es sich um keinen natürlichen Tod handelt. Wir sind somit hier, um die Todesermittlungen durchzuführen und zu prüfen, ob es sich tatsächlich um einen Freitod handelt oder ob eine andere Person für das Ableben des jungen Mannes verantwortlich ist. Solange also nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststeht, dass er sich selbst und aus freien Stücken umgebracht hat, ist und bleibt das ein Fall für die Mordkommission. Und nachdem ich mein Sprüchlein aufgesagt habe, sind Sie mit Ihrem an der Reihe, Bauer. Was tun Sie hier? Hat der junge Mann etwas mit den Ermittlungen der Soko zu tun?«

Bauer nickte. »Das hat er tatsächlich, Schäringer. Sie und Ihr Hündchen können sich also gleich wieder in Ihr Auto setzen und zurück ins Büro fahren, denn das hier ist ein Fall für meine Soko.«

»Wenn er noch einmal Hündchen zu mir sagt, pinkle ich ihm ans Bein. Darf ich?«

»Von mir aus«, sagte Schäringer. »Aber vorher erklären Sie mir mal, warum das kein Fall für die Mordkommission sein soll, Bauer, und woher Sie diese Erkenntnis haben. Stammt sie etwa von den Dingen, die Sie in diesen Beweismitteltüten mit sich herumtragen?«

»In der Tat. Sie waren ja schon immer ein ganz Schlauer, Schäringer. Am besten sehen Sie es sich selbst an.« Er reichte Schäringer eine der Beweismitteltüten, in der sich ein Stück Papier befand.

»Was ist das?«, fragte Schäringer. »Ein Abschiedsbrief?«

Baum trat nach einem feindseligen Blick auf Bauer näher an seinen älteren Kollegen, um ebenfalls einen Blick auf das durch die Kunststoffhülle geschützte Beweisstück werfen zu können.

»Nicht direkt ein Abschiedsbrief«, sagte Bauer. »Allerdings so gut wie. Aber in meinen Augen ist es vor allem ein lupenreines Geständnis dieses Burschen, was das Verschwinden und die wahrscheinliche Ermordung von Nadine Blume angeht.«

»Sie meinen also, dass er der Entführer der beiden Schülerinnen ist und sie auch schon getötet hat?«

Bauer nickte mit grimmiger Miene. »Lesen Sie doch selbst, was er geschrieben hat.«

Schäringer folgte der Aufforderung und konzentrierte sich auf das Schriftstück in seiner Hand. Es handelte sich um ein kariertes Blatt Papier im Format DIN-A5, das an einer Seite einen unregelmäßigen, ausgefransten Rand aufwies, weil es augenscheinlich aus einem Heft oder einem Notizbuch herausgerissen worden war, und mehrere Knickstellen besaß, wo es ursprünglich mehrfach gefaltet gewesen war. Auf eine Seite des Blattes hatte jemand mit blauem Kugelschreiber in großen Druckbuchstaben, die mehrere Kästchen hoch waren, folgende Worte geschrieben:

BLÜMCHEN IST VERSCHWUNDEN, UND ICH BIN SCHULD!

ICH HAB SIE AUF DEM GEWISSEN!

ES TUT MIR ALLES SO LEID!

WAS SOLL ICH NUR TUN?

Die dicken Linien, aus denen die einzelnen Buchstaben bestanden, waren mehrfach nachgezeichnet worden, sodass sie sich sehr tief in das Papier eingedrückt und dieses teilweise sogar aufgerissen hatten.

»Klingt mir allerdings weder nach einem eindeutigen Abschiedsbrief noch nach einem lupenreinen Geständnis«, sagte Schäringer. »Schließlich kündigt der Schreiber in keiner Weise unmissverständlich an, sich selbst zu töten, sondern fragt nur, was er tun soll. Außerdem steht auch nirgendwo explizit, dass er das Mädchen – mit Blümchen ist vermutlich das erste Entführungsopfer Nadine Blume gemeint – entführt und umgebracht hat. Falls das Ganze überhaupt von diesem jungen Mann hier stammt. Aber um das zu klären, muss die Schrift erst mit einer Schriftprobe von ihm verglichen werden. Wenn Sie mir also nichts Eindeutigeres vorlegen können, Kollege, werden wir bestimmt nicht unverrichteter Dinge ins Büro zurückkehren, sondern hier, wie geplant, unseren Job erledigen und die Todesermittlungen durchführen.«

»Vielleicht überzeugt Sie das hier mehr«, sagte Bauer und hielt den zweiten Beweismittelbeutel hoch, sodass Schäringer und Baum seinen Inhalt erkennen konnten.

»Was ist das?«, fragte Baum. »Ein Armband?«

»Ihr Schützling kann ja tatsächlich mehr als nur kläffen und Bäume anpinkeln, Schäringer. Das ist tatsächlich ein Armband, genauer gesagt ein Bettelarmband oder auf Englisch charm bracelet. An die Kettenglieder werden kleine Anhänger oder charms gehängt, die Symbole darstellen und ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können: Glücksbringer, Glaubenszeichen oder auch zur Erinnerung an bestimmte Orte oder Personen. Der Name kommt vermutlich daher, dass man sich die Symbole ursprünglich erbettelt hat.«

»Ich vermute mal«, sagte Schäringer, »dass es nicht dem jungen Mann, sondern eigentlich Nadine Blume gehörte.«

»Damit liegen Sie goldrichtig. Und auch mit Ihrer anderen Vermutung von vorhin haben Sie übrigens ins Schwarze getroffen. Nadine Blume wurde von ihren Freundinnen und Freunden Blümchen genannt.«

»Und das hatte der Tote bei sich?«, fragte Baum und deutete mit dem Zeigefinger auf das Bettelarmband in der Tüte.

»Ja. Jemand von der Spurensicherung fand es zusammen mit dem Zettel in einer Hosentasche.«

»Trug Nadine Blume das Bettelarmband auch am Tag ihres Verschwindens?«, fragte Schäringer.

»Nach Aussage ihrer Angehörigen und Freundinnen trug sie es jeden Tag. Wir gehen daher davon aus, dass sie es auch anhatte, als sie verschwand.«

»Dann gibt es zumindest einen Zusammenhang zwischen dem jungen Mann und dem Verschwinden des Mädchens«, räumte Schäringer ein, um sofort zu ergänzen: »Aber mehr auch nicht. Und solange nicht hundertprozentig feststeht, dass der Junge sich selbst erhängt hat, ergibt sich auch nicht der geringste Zweifel an der Zuständigkeit der Mordkommission, um die exakte Ursache und die Umstände seines Todes aufzuklären.«

»Dann führen Sie und Ihr …«, Bauer sah Baum abschätzig von oben bis unten an, »… Lakai von mir aus Ihre Todesermittlungen durch. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieser Typ hier mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die beiden Mädchen entführt und getötet hat. Damit ist das in erster Linie ein Fall für mich und die Soko. Kommen Sie mir also besser nicht in die Quere.«

»Korrekt müsste es eigentlich heißen: ein Fall für die Soko und mich«, sagte Baum. »Der Esel nennt sich eben immer zuerst. Aber das würde Ihnen natürlich gut in den Kram passen, Bauer, nicht wahr? Kaum sind Sie zwei Tage Leiter der Soko, schon können Sie den Medien und der Öffentlichkeit den Täter präsentieren, auch wenn es letztendlich gar nicht Ihr Verdienst war. Und jetzt wollen Sie sich natürlich von niemandem die Butter vom Brot nehmen und Ihren großen Ermittlungserfolg streitig machen lassen, nicht wahr? Dieser Mann will auf Teufel komm raus Karriere machen, Franz.«

»Mag sein, dass du recht hast, Lutz. Aber das interessiert mich alles nicht«, sagte Schäringer. »Mir geht es nur darum, dass wir ungestört unsere Arbeit erledigen können. Falls der junge Mann sich tatsächlich selbst umgebracht hat, finden wir das bald heraus und sind hier schnell fertig. Dann gehört er wieder ganz Ihnen, Bauer, und Sie können mit dem Fall machen, was Sie wollen. Aber bis es so weit ist, bleibt das unser Fall. Und falls er sich doch nicht selbst aufgehängt hat, sondern umgebracht wurde, um einen Mord zu vertuschen und ihm gleich noch die Entführung und Ermordung der Mädchen in die Schuhe zu schieben, was meiner Meinung nach durchaus in Betracht zu ziehen ist, dann werden wir weiter ermitteln und alles daransetzen, den Mörder zu finden. Also geben Sie mir schon den Beutel mit dem Armband, Bauer. Ich werde die Beweise dem Leiter der Spurensicherung übergeben, damit sie kriminaltechnisch untersucht werden können.«

Für einen Moment sah es ganz so aus, als wollte Bauer sich weigern. Seine Finger schlossen sich noch fester um die obere Hälfte der Beweismitteltüte, sodass seine Knöchel weiß wurden. Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass Schäringer glaubte, er könnte sie leise knirschen hören. Dann verzog Bauer jedoch das Gesicht und zeigte ein falsches Grinsen, bevor er sagte: »Na gut, Schäringer, für den Moment haben Sie vielleicht gewonnen, weil es momentan tatsächlich noch Ihr Fall ist. Aber sobald Sie feststellen, dass diese kleine Drecksau, die zwei junge Frauen ermordet hat, sich tatsächlich durch einen feigen Selbstmord seiner Festnahme und Verurteilung entzogen hat, erwarte ich, dass Sie mir augenblicklich alle Unterlagen und Beweise übergeben.«

»Selbstverständlich«, sagte Schäringer, ohne eine Miene zu verziehen, und griff nach dem Beutel mit dem Bettelarmband. »Darf ich?«

Bauer ließ los, sodass Schäringer das Beweisstück an sich nehmen konnte, wandte sich wortlos ab und marschierte davon.

»Wuff, wuff!«, rief ihm Baum hinterher und grinste schadenfroh.

Ohne sich von jemandem zu verabschieden, ging Bauer zu seinem Wagen und stieg ein.

»Der Arsch soll bloß aufpassen, dass er beim Ausparken nicht gegen unser Auto fährt!«, sagte Baum und beobachtete mit Argusaugen, wie der verhasste Kollege aus der Lücke fuhr, seinen Wagen auf dem schmalen Feldweg wendete und davonbrauste. »Dem haben wir’s aber gegeben, Franz!«

»Wozu auch immer diese Diskussion gut war?«, sagte Schäringer und seufzte. »Aber wenigstens können wir jetzt anfangen, ungestört unsere Arbeit zu machen. Also komm und lass uns mal ein Wörtchen mit Krautmann reden.«

3

»Was sollte denn das gerade?«, fragte Christian Krautmann, der Leiter der Abteilung Spurensicherung und -verwertung, als Schäringer und Baum sich zu ihm gesellten. Er verstaute eine leere Bierdose, die er in der Nähe der Holzbank gefunden und mithilfe einer Pinzette aufgehoben hatte, in einer Kunststofftüte, auf der er in seiner gewohnt krakeligen Schrift alle notwendigen Daten notierte.

»Nur das übliche Kompetenzgerangel eines überehrgeizigen Kollegen«, antwortete Schäringer und übergab Krautmann die beiden Beweismittelbeutel, die er von Bauer bekommen hatte. »Hier. Mit freundlichen Grüßen von Kriminaloberkommissar Stefan Bauer und verbunden mit der Bitte um kriminaltechnische Untersuchung. Bauer sagte, dass ihr das Papier und die Kette in der Hosentasche des Toten gefunden habt.«

»Das stimmt«, sagte Krautmann, bückte sich und verstaute alle Beweismitteltüten in einem Pappkarton, der am Boden stand und bereits zur Hälfte gefüllt war. Dann richtete er sich wieder auf, schob mit dem Ballen seiner rechten Hand, die in einem Einweghandschuh steckte, die randlose Brille wieder nach oben, die beim Bücken heruntergerutscht war. Durch die Gläser sahen seine stets etwas angriffslustig funkelnden Augen unter den dünnen, schwarzen Brauen noch größer aus. Er hatte einen runden Kopf, der jedes Jahr mehr an einen Ball erinnerte, weil sein dunkles Haar immer lichter wurde, obwohl er sich bemühte, durch geschickte, aber letztendlich untaugliche Kämmtechniken die ständig größer werdende Kahlstelle auf seinem Kopf zu kaschieren. Krautmann liebte guten Wein, was er mit Schäringer gemeinsam hatte. Die Vorliebe für einen guten Tropfen hatte dafür gesorgt, dass sie sich nicht nur beruflich trafen, seit beide etwa zur selben Zeit bei der Kripo Fürstenfeldbruck angefangen hatten, sondern gelegentlich auch privat miteinander verkehrten. Krautmann und seine Frau waren Verehrer sogenannter Bollywood-Filme, die in Indiens Metropole Mumbai in großer Zahl gedreht werden, grell, bunt, schwülstig und oft bis zu vier Stunden lang sind, in der Regel mehrere Tanzszenen enthalten und für den gewöhnlichen mitteleuropäischen Fernsehzuschauer gewöhnungsbedürftig sind.

»Was kannst du uns über den Zettel und die Kette sagen, Christian?«, fragte Schäringer seinen Freund. »Stammt das Schreiben von dem Jungen? Und ist die Kette tatsächlich dieselbe, die Nadine Blume trug, als sie vor über einer Woche verschwand?« Bauer hatte es ihnen zwar schon erzählt, aber Schäringer wollte von Krautmann nicht nur eine Bestätigung, sondern auch seine objektive Meinung zu den Beweisstücken.

»Ob es wirklich die Handschrift des Toten ist, kann ich natürlich noch nicht sagen. Dazu benötigen wir zunächst eine Schriftprobe, die eindeutig von ihm stammt, um einen Schriftvergleich durchführen zu können. Allerdings befand sich der Zettel zusammengefaltet in seiner hinteren, linken Hosentasche. Es scheint sich um die herausgerissene Seite aus einem Notizbuch oder Schreibheft im Format DIN-A5 zu handeln, die augenscheinlich mit einem blauen Kugelschreiber beschrieben wurde.«

»Und die Kette?«

»Ein sogenanntes Bettelarmband. Tatsächlich trug Nadine Blume ein derartiges Armband bei sich, als sie verschwand. Ob es sich allerdings wirklich um das Bettelarmband des verschwundenen Mädchens handelt, kann ich noch nicht bestätigen. Für eine eindeutige Identifizierung müssen wir es erst ihren Angehörigen und Freunden vorlegen. Die Beschreibung von Nadine Blumes Armband und der sieben Symbole stimmt allerdings exakt mit dem hier überein.«

Schäringer nickte nachdenklich. Also hatte Bauer tatsächlich die Wahrheit gesagt. Aber weshalb sollte er lügen. Ihm musste klar sein, dass Schäringer und Baum seine Angaben leicht überprüfen konnten und das vermutlich auch tun würden. »Wissen wir eigentlich schon, wer der junge Mann ist?«

»Wissen wir. Er hatte nämlich freundlicherweise sein Portemonnaie bei sich. Es steckte in seiner rechten, hinteren Hosentasche. Darin befanden sich neben etwas Bargeld eine EC-Karte, ein Führerschein und ein Personalausweis. Sämtliche Papiere sind auf einen Niklas Kramer ausgestellt, wohnhaft im Willy-Buchauer-Ring in Fürstenfeldbruck. Er wurde im vergangenen Januar volljährig und ging anscheinend auf das Graf-Rasso-Gymnasium. Zumindest steht das in dem Schülerausweis, den er ebenfalls bei sich hatte.«

»Dieselbe Schule, die auch Nadine Blume besuchte«, sagte Schäringer, der diese Information in einem der zahlreichen Zeitungsartikel, die nach ihrem Verschwinden erschienen waren, gelesen und sich gemerkt hatte.

»Wenn die beiden auf dieselbe Schule gingen, dann hat er das Mädchen vermutlich auch gekannt«, stellte Baum fest. »Vielleicht hat Bauer ja doch recht, auch wenn ich das ungern zugebe, und der Junge hat die beiden Mädchen tatsächlich entführt und umgebracht. Und weil er mit der Schuld nicht mehr leben konnte, hat er sich hier aufgehängt. Macht doch Sinn, oder?«

Krautmann nickte. »Diese Version würde zumindest zu den Beweisstücken passen, die wir gefunden haben.«

»Aber wieso soll er ganz plötzlich Gewissensbisse bekommen haben, nachdem er zwei Mädchen entführte und tötete?«, fragte Schäringer, ohne sich an jemand Bestimmtes zu richten. Es war eher so, als würde er laut nachdenken. »Wenn es bereits nach dem ersten Entführungsopfer, das er aus der Schule kannte, geschehen wäre, würde ich es eher verstehen. Aber wieso erst jetzt, so kurz, nachdem er eine weitere junge Frau kidnappte und umbrachte?«

Baum schürzte die Lippen und zuckte mit den Achseln. »Vielleicht wollte er die Mädels gar nicht töten, sondern nur irgendwo gefangen halten, wo er mit ihnen machen konnte, was er wollte. Aber dann passierte ein Unfall, und die Mädchen starben. Und weil er daran schuld war, wollte er nicht mehr weiterleben.«

»Vielleicht war es ja tatsächlich so«, stimmte Schäringer zu, klang aber alles andere als überzeugt. »Immer vorausgesetzt, die beiden Schülerinnen sind tatsächlich tot und der junge Mann hat sich wirklich selbst umgebracht. Kannst du uns dazu schon etwas sagen, Christian?«

»Vermutlich kann euch der Doc bald mehr darüber erzählen, wie der Junge wirklich ums Leben gekommen ist. Ich kann dazu nur so viel sagen: Da wir nichts gefunden haben, auf das er sich stellen konnte, um den Ast zu erreichen, muss er auf den Baum geklettert sein, um den Strick zu befestigen. Anschließend muss er sich die Schlinge um den Hals gelegt und heruntergesprungen sein. Anders wäre es ohne fremde Hilfe nämlich nicht möglich gewesen. Am Baum und auf der Oberseite des Astes fanden wir auch tatsächlich mehrere Stellen, an denen die Rinde abgeschabt oder beschädigt wurde. Es ist also tatsächlich jemand hochgeklettert. Ob es der Junge war, konnten wir aber nicht feststellen. Wahrscheinlich sind wir schlauer, sobald wir seine Kleidung im Labor auf Spuren untersuchen konnten.«

»Also sieht es momentan eher nach Suizid aus«, mutmaßte Schäringer. »Na gut. Wenn es wirklich einer war, dann schließen wir die Akte schnell wieder, binden eine hübsche Schleife drumherum und schicken alles an Bauer. Mit freundlichen Grüßen von den lieben Kollegen der Mordkommission. Ob der Junge in dem Fall tatsächlich die beiden Frauen entführt hat, ist für uns nicht von Interesse, weil unsere Ermittlungen damit vorerst abgeschlossen sind. Erst wenn irgendwann ihre Leichen auftauchen sollten, sind wir wieder zuständig und werden die Ermittlungen wieder aufnehmen. Aber bis es so weit ist, kann Bauer von mir aus der Presse stolz diesen jungen Mann als Täter präsentieren, damit er in der Zeitung seinen Namen lesen und sein Foto bewundern kann.«

»Warte damit mal lieber, bis du mit dem Doc gesprochen hast, Franz«, sagte Krautmann und deutete auf Dr. Mangold. »Eine Sache fiel mir nämlich auf, als wir die Leiche herunterholten.«

»Und was?«, fragte Schäringer interessiert.

»Es sah so aus, als hätte der Kerl eine frische Wunde hier am Kopf.« Krautmann langte sich mit der linken Hand an die rechte Seite seines Schädels, um den beiden Kollegen die Stelle zu zeigen. »Sah nach einer Platzwunde aus, die geblutet hat. Wir fanden aber weder am Stamm der Eiche noch an dem Ast, an dem das Seil befestigt war, Blutspuren. Wenn er also vor seinem Tod irgendwo kräftig mit dem Kopf dagegen gestoßen ist, dann zumindest nicht gegen diesen Baum hier.«

»Interessant«, sagte Schäringer und runzelte die Stirn. »Mal sehen, was Dr. Mangold dazu zu sagen hat.«

»Mehr kann ich dir momentan ohnehin nicht sagen. Brauchst du mich noch, Franz?«

»Eine kurze Frage hätte ich tatsächlich noch, Christian. Habt ihr in der näheren Umgebung ein Fahrzeug gefunden?«

Krautmann schüttelte den Kopf. »Die Kollegen in Grün haben die Gegend abgesucht, bevor ihr gekommen seid, aber rein gar nichts gefunden. Einen Wagen würde man hier ohnehin schon von Weitem sehen. Es wurde aber auch kein Motorrad, Mofa oder Fahrrad gefunden, das im hohen Gras oder in einem Feld lag.«

»Und wie kam der Typ dann hierher?«, fragte Baum und sah sich um.

»Vielleicht fuhr er mit dem Bus nach Landsberied und ging von dort zu Fuß hierher«, überlegte Schäringer. »Der Ort ist von hier gerade einmal einen guten Kilometer entfernt.«

Baum zuckte mit den Schultern.

Schäringer seufzte. »Lass uns mit Dr. Mangold sprechen, Lutz. Sieht ganz so aus, als wäre er gerade mit der Untersuchung des Toten fertig geworden. Fürs Erste vielen Dank für deine Hilfe, Christian. Lass mir doch bitte eine Kopie des Zettels und ein Foto des Armbands zukommen, sobald du zurück im Büro bist. Und sag uns Bescheid, sobald ihr die Beweisstücke näher untersucht und etwas Neues herausgefunden habt.«

»Versteht sich doch von selbst«, sagte Krautmann, ehe er sich abwandte und zu seinen Mitarbeitern ging.

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