Kitabı oku: «ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR», sayfa 3

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»Vielleicht hätten wir ihn doch mit zur Beerdigung nehmen sollen«, meinte Rita nun.

»Ich glaube immer noch, dass es so für ihn besser war«, widersprach ihr Mann. »Die Beisetzung seines besten Freundes hätte ihn vermutlich nur verwirrt und zu sehr aufgewühlt.«

»Vermutlich hast du ja recht. Aber er hat sich heute Abend so merkwürdig benommen.«

»Das legt sich mit der Zeit wieder. Wirst schon sehen.«

Rita schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich hab schon die ganze Zeit so ein komisches Gefühl.« Sie straffte sich und erhob sich von der Couch. »Ich sehe besser noch mal nach dem Jungen. Vorher finde ich einfach keine Ruhe.«

»Wenn es dich beruhigt, dann tu das. Wirst schon sehen, dass alles in Ordnung ist.«

Rita verließ das Wohnzimmer und ging über den Flur zum hinteren Teil des Hauses, in dem die Schlafzimmer der Familie lagen. Vor dem Zimmer ihrer Tochter blieb sie stehen, öffnete die Tür und spähte hinein. Im Schein des Nachtlichts sah sie, dass Katharina im Bett lag, ihren Teddy fest umklammert hielt und schlief. Mit einem Lächeln um die Lippen schloss Rita wieder leise die Tür.

Sie ging weiter, öffnete auch die nächste Tür möglichst lautlos und blickte ins Zimmer ihres Sohnes. Ihr Herz setzte aus, als sie das verwaiste Bett sah. Sie stieß die Tür ganz auf, machte Licht und stürmte hinein. Von Kevin war jedoch nichts zu entdecken. Stattdessen sah sie, dass der Vorhang zurückgezogen war und das Fenster ein kleines Stück offen stand.

»Kevin! Nein!« Rita eilte zum Bett, als hoffte sie, ihren Sohn übersehen zu haben und doch noch irgendwo zwischen dem zerwühlten Bettzeug zu finden. Doch sie sah auf den ersten Blick, dass sich unter der zurückgeschlagenen Decke niemand verbergen konnte. In der Mitte der Matratze zeichnete sich sogar noch der Umriss des Kindes auf dem Laken ab. Und genau dort lag ein merkwürdiger kleiner Gegenstand, der nicht hierher gehörte und deshalb sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Sie beugte sich vor und nahm den weißen Gegenstand, der sie unwillkürlich an Elfenbein erinnerte, in die Hand, um ihn genauer anzusehen. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas jemals in Kevins Händen gesehen zu haben. Es dauerte einen Moment, während sie das merkwürdige Ding von allen Seiten musterte, bis sie erkannte, um was es sich handelte.

Augenblicklich ließ sie den menschlichen Fingerknochen angeekelt fallen und schrie gellend. Dann stürzte sie ans Fenster, riss es ganz auf und blickte in die Nacht.

»Kevin!«, schrie sie den Namen ihres geliebten Sohnes in die Finsternis, immer wieder, doch sie erhielt keine Antwort und konnte keine Spur von ihm entdecken. Sie spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, und ihr wurde instinktiv bewusst, dass Kevin zu einem schrecklichen Ort unterwegs war und sie soeben eines ihrer Kinder verloren hatte. Blicklos starrte sie in die finstere Nacht, die ihren Sohn verschlungen hatte und vermutlich nie mehr hergeben würde.

MOVIETOWN

WILLKOMMEN IN MOVIETOWN stand auf dem verwitterten Holzschild am Ortseingang der kleinen Stadt, die mitten im Nirgendwo des Südwestens der Vereinigten Staaten von Amerika lag. Und natürlich durften auch die obligatorischen Einschusslöcher – Günther machte sich die Mühe, sie zu zählen, und kam auf dreizehn – nicht fehlen.

Silke und Günther Gerhards lachten noch immer darüber, als sie schon wieder in ihrem gemieteten Chrysler saßen und daran vorbeifuhren. So einen verrückten Namen konnten sich auch nur die Amerikaner ausdenken. Doch erst, als sie im Schritttempo die breite Main Street entlangrollten, realisierten sie, dass Movietown nicht nur so hieß, sondern tatsächlich wie eine kleine Filmstadt aussah. Die Häuser rechts und links der Straße bildeten eine knallbunte und total verrückte Mischung aus Westernkulisse, dem Chicago der dreißiger Jahre, einem modernen amerikanischen Vorort, wie man ihn aus zahllosen Filmen kannte, einer futuristischen Zukunftsvision und diversen anderen Stilarten, die sie auf die Schnelle gar nicht alle erfassen konnten.

Das Ehepaar aus Bayern fuhr an einer Bank vorbei, die aussah, als wäre sie erst vor wenigen Augenblicken von Butch Cassidy und Sundance Kid überfallen worden. Daneben erhob sich ein zweistöckiges Gebäude, das aus dem letzten Star-Wars-Film zu stammen schien. Diesem wiederum schloss sich ein eindrucksvolles, fünfstöckiges Art-déco-Gebäude an, aus dem jeden Augenblick Eliot Ness und seine Untouchables kommen mochten, die Al Capone in Handschellen abführten.

»Lass uns doch bitte hier anhalten«, schlug Silke begeistert vor. »Davon muss ich unbedingt ein paar Fotos machen.«

»Okay«, stimmte Günther zu. »Aber erst müssen wir neue Filme kaufen.« Sie schworen noch immer auf ihre analoge Spiegelreflexkamera, eine Nikon F 6, und hielten nichts von neumodischen Digitalkameras.

»Irgendwo werden wir schon welche kriegen. Aber das muss ich einfach fotografieren, denn es ist zu verrückt hier.«

Günther lachte. »Nach anderthalb Wochen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dürfte dir eigentlich nichts mehr verrückt vorkommen.«

»Da hast du auch wieder recht. Aber nach allem, was wir in den letzten zehn Tagen schon gesehen und erlebt haben, kommt trotzdem immer wieder etwas Neues, wo ich mir dann denke: Mannomann, das ist ja noch abgefahrener als alles andere.«

»Geht mir genauso.«

»Lass uns doch da vorn anhalten.« Silke deutete mit dem Zeigefinger durch die Windschutzscheibe. »Vor diesem Saloon

Günther grinste. »Gute Idee. Ich hab sowieso einen Riesendurst. Und außerdem muss ich mal für kleine Jungs.«

»Ich auch, ganz dringend sogar, seit ungefähr zwei Stunden.«

»Seit zwei Stunden? Wieso hast du dann nichts gesagt?«, fragte Günther, während er den Wagen vor den Saloon lenkte und am Straßenrand zum Stehen brachte. »Wir hätten doch jederzeit anhalten können.«

»Schon. Aber ich wollte nicht in die Wüste machen.«

Günther stellte den Motor ab und zog den Zündschlüssel. »Wieso denn nicht? Da war doch genug Platz.«

»Na ja«, druckste Silke herum. »Da wächst doch kaum was. Also kann man sich auch nirgends verstecken, um in Ruhe sein Geschäft zu verrichten. Wenn nun aber jemand vorbeikommt, während ich gerade mit heruntergelassener Hose im Sand hocke?«

»Wer hätte denn bitteschön vorbeikommen sollen?«, fragte Günther lachend. »Wir sind jetzt fast vier Stunden auf dieser gottverlassenen Straße unterwegs gewesen, ohne auch nur einer einzigen Menschenseele zu begegnen.«

»Hast du eine Ahnung. Wenn ich meine Shorts heruntergelassen hätte, dann wäre garantiert genau in diesem Augenblick jemand vorbeigekommen. Wahrscheinlich sogar ein ganzer Bus voller Leute, die ihre Nasen an den Scheiben platt gedrückt hätten, um einen Blick auf meinen blassen Po zu erhaschen«, beharrte Silke. »Außerdem gibt es in der Wüste keinen Schatten. Ich hätte wahrscheinlich schon einen Sonnenbrand auf dem Hintern bekommen, bevor ich ihn überhaupt ganz aus der Hose gehabt hätte.«

»Ich hätte ihn dir mit Vergnügen eingecremt, meine Liebe.«

»Das kann ich mir vorstellen, du alter Lüstling. Aber denk doch nur mal an all die Viecher, die in der Wüste krabbeln und kriechen: Klapperschlangen, Skorpione, Spinnen – und dann diese riesigen giftigen Eidechsen, wie immer die auch heißen …« Silke verzog angewidert das Gesicht, während sie die Tierarten an den Fingern ihrer rechten Hand abzählte, ehe ihr keine mehr einfielen.

»Gila-Krustenechsen«, half Günther aus. »Aber lass gut sein, langsam kapiere ich ja, warum du nicht in die Wüste machen wolltest. Zum Glück sind wir ja wieder in die Zivilisation – oder zumindest in eine merkwürdige Form davon – zurückgekehrt. Also lass uns in den Saloon gehen, bevor wir am Ende noch beide in die Hose machen.«

Als sie die Türen des klimatisierten Mietwagens öffneten, traf sie die Hitze wie ein Faustschlag. Sie beeilten sich daher, in das kühlere Innere des Gebäudes zu kommen, aber als sie die stilechten Schwingtüren des Saloons erreichten, waren sie längst nassgeschwitzt. Günther schob eine der beiden hölzernen Türklappen zur Seite und ließ seiner Frau den Vortritt.

Das Innere des Saloons war ebenfalls klimatisiert und angenehm kühl. Im Hintergrund lief leise Countrymusik, die gegen das laute Summen der Klimaanlage allerdings einen schweren Stand hatte.

»Bestell mir bitte irgendetwas Eisgekühltes zu trinken«, bat Silke ihren Mann, ehe sie eilig eine Tür im Hintergrund des Raums ansteuerte, hinter der sich, nach dem Schild mit der Aufschrift Ladies & Gents zu urteilen, die Toiletten befinden mussten.

Günther wählte einen kleinen, runden Tisch am Fenster, so weit wie möglich von der lärmenden Klimaanlage entfernt, und setzte sich. Die Main Street war menschenleer, was bei der momentanen mörderischen Hitze allerdings kein Wunder war. Es war früher Nachmittag, und die Sonne stand noch hoch am Himmel. Jeder, der nicht unbedingt nach draußen musste, verkroch sich wahrscheinlich im Schatten und nahm kühle Getränke zu sich, um nicht auszutrocknen.

Günther zupfte an dem feuchten T-Shirt herum, das unangenehm auf seiner nassgeschwitzten Haut klebte, und blickte sich im Saloon um. Auch hier hielt sich außer ihm niemand auf, sogar die lange Theke war unbesetzt. Vielleicht lebte in dieser merkwürdigen Stadt ja gar niemand, und alles war tatsächlich nur eine große, längst vergessene und verlassene Filmkulisse. Andererseits standen zu beiden Seiten der Hauptstraße Autos vor den Häusern. Also musste irgendjemand hier sein.

Günther überlegte gerade, wie er sich bemerkbar machen könnte, als eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die einen Cowboyhut, ein besticktes Westernhemd, Jeans und Cowboystiefel trug, aus einer Seitentür kam. Sie sah ihn und kam sofort lächelnd auf ihn zu.

»Hi, was darf ich Ihnen bringen?«, fragte sie freundlich im deutlich dialektgefärbten Amerikanisch dieser Region, und Günther bestellte zwei Coke mit Eis.

Als Silke von der Toilette zurückkam, hatte er seine Cola schon zur Hälfte geleert und presste sich das kühle Glas gegen die Stirn.

»Puh, das war wirklich Rettung in allerletzter Sekunde«, sagte seine Frau, während sie sich auf den freien Stuhl ihm gegenüber setzte, und stürzte sich gierig auf ihr Getränk. »Oh, das tut jetzt richtig gut.« Nachdem sie das halb leere Glas abgesetzt hatte, musterte die Straße durch die staubige Scheibe. »Viel ist hier aber nicht gerade los, oder?«

Günther zuckte mit den Schultern. »Was erwartest du denn bei diesen Temperaturen?«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir kaufen neue Filme und schießen ein paar Fotos. Dann setzen wir uns schnell wieder in unser voll klimatisiertes Auto und fahren irgendwohin, wo es angenehmer und vor allem mehr los ist.«

Als die Bedienung das nächste Mal an ihren Tisch kam, um sich zu erkundigen, ob sie noch etwas trinken wollten, bezahlten sie.

»Entschuldigen Sie, Miss, aber wissen Sie zufällig, wo wir hier in der Nähe Filme für unseren Fotoapparat kaufen können?«, fragte Günther.

»Kein Problem. Wenn Sie sich vor dem Eingang nach rechts wenden, finden Sie drei Häuser weiter einen Drugstore. Dort bekommen Sie auch Ihre Filme«, erklärte das Cowgirl freundlich.

Günther bedankte sich.

»Aber sagen Sie mal, wo sind denn die ganzen Leute?«, fragte Silke neugierig.

»Die sind alle beim Schießen.«

»Beim Schießen?«, wiederholte das frischvermählte Paar wie aus einem Mund verblüfft, wobei Silke dachte, sie hätte sich nur verhört, und Günther überzeugt war, er hätte die junge Frau aufgrund ihres ausgeprägten Dialekts einfach nur falsch verstanden.

»Ja, in einer Nebenstraße wird gerade ein Film gedreht.«

»Ach so, ein Film«, sagte Günther und lachte. »Und ich dachte schon, Sie meinen mit Schießen das hier.« Er formte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand eine Pistole, fuchtelte damit herum und imitierte das Geräusch von Schüssen.

Die Bedienung lachte. »Nein, ich meinte damit natürlich die Filmaufnahmen.«

Nachdem sie wieder hinter der Theke verschwunden war, ging auch Günther noch rasch auf die Toilette. Anschließend verließen sie den Saloon.

Sie wandten sich nach rechts und hielten sich im Schatten der Häuser. Nebenan lag ein Video- und DVD-Verleih. In den Schaufenstern wurden allerdings nur Filme beworben, von denen sie noch nie gehört hatten. Danach kam ein Laden, in dem man von Filmplakaten über kleine Plastikfiguren und Modellsätze bis zu großen Pappaufstellern alles kaufen konnte, was auch nur im Entferntesten mit dem vorherrschenden Thema Film zu tun hatte.

»Die Einwohner müssen ja echt total filmbegeistert sein«, stellte Günther fest.

»Sieht ganz danach aus. Und dann wird hier zufällig auch noch ein richtiger Film gedreht.«

»Warum sehen wir uns das nicht aus der Nähe an, bevor wir fahren?«, schlug Günther vor.

Silke war sofort einverstanden. Sie kauften im Drugstore mehrere Kleinbildfilme für ihre Kamera und erkundigten sich bei dem älteren, glatzköpfigen Verkäufer nach den Dreharbeiten. Er war ebenfalls sehr hilfsbereit, ging sogar mit ihnen aus dem Laden und erklärte ihnen dort gestenreich den Weg. Sie bedankten sich, überquerten die Straße und gingen zur nächsten Querstraße.

Noch immer war es, vor allem in der prallen Sonne, so heiß, dass ihnen schon nach wenigen Schritten der Schweiß aus allen Poren strömte. Doch das störte sie momentan gar nicht so sehr, denn die Begeisterung darüber, bei richtigen Dreharbeiten zugucken zu können, hatte sie erfasst und überstrahlte alle Beschwerlichkeiten.

Als sie um die Ecke bogen, konnten sie eine große Ansammlung von Leuten sehen, die unter einer als Sonnenschutz dienenden Plane vor einem zweistöckigen Haus standen, dem die komplette Fassade fehlte, sodass es wie ein riesiges Puppenhaus aussah. Günther und Silke gingen näher heran und blieben dann im Schatten eines Vordachs stehen. Von dort verfolgten sie fasziniert die Dreharbeiten. Silke legte gleich einen neuen Film in die Nikon und schoss selbst Fotos von dem, was sie sahen.

In einem großen Schlafzimmer im Erdgeschoss des Hauses befanden sich momentan vier Personen. Ein Mann mit einer Baseballkappe der Arizona Diamondbacks, bei dem es sich vermutlich um den Regisseur des Films handelte, erklärte den Darstellern, zwei weiteren Männern und einer Frau, die nächste Szene. Die Frau trug nur ein dünnes Nachthemd und lag auf dem Bett. Fast schien es, als würde sie vor sich hindösen und kaum etwas von dem wahrnehmen, was der Regisseur erklärte. Wahrscheinlich, dachte Silke, konzentrierte sich die Schauspielerin auf die bevorstehende Szene. Die beiden männlichen Darsteller nickten zum Zeichen, dass sie die Regieanweisungen verstanden hatten, und verließen das Schlafzimmer durch eine Tür in der Seitenwand. Auch der Regisseur verließ die Kulisse, sodass lediglich die Frau zurückblieb.

Der Regisseur gesellte sich zu den anderen Leuten unter die schützende Plane und nahm auf einem Klappstuhl Platz. Neben ihm stand die Kamera. Etwas weiter vorn stand ein junger Mann und hielt den Mikrofongalgen so, dass das Aufnahmegerät auf das Schlafzimmer gerichtet war, aber nicht im Bild auftauchte. Der Regisseur nickte einer jungen Frau zu, die daraufhin mit einer Filmklappe vor die Kamera trat.

»Der Tod kommt nur nachts, Szene 138, die erste«, sagte sie laut, schlug die beiden Teile der Klappe krachend aufeinander und huschte dann flink zur Seite.

»Ton?«, fragte der Regisseur.

»Läuft.«

»Kamera?«

»Läuft.«

»Action!«

Die Frau im Bett rührte sich nicht und gab vor, zu schlafen. Plötzlich zerbarst die Fensterscheibe hinter dem Bett, und einer der beiden männlichen Darsteller kletterte ins Schlafzimmer. Der zweite trat die Tür ein, durch die sie kurz zuvor verschwunden waren, und stürmte ins Schlafzimmer. Beide hielten gefährlich aussehende Messer mit langen, glänzenden Klingen in ihren Händen. Die Frau auf dem Bett, scheinbar durch den infernalischen Lärm geweckt, fuhr hoch, sah die beiden Eindringlinge und schrie gellend. Die beiden Männer stürmten zum Bett, hoben unisono die Messer und stachen damit wie wild auf die Frau ein. Ihr Schrei endete buchstäblich wie abgeschnitten. Immer wieder schwangen die beiden Messerklingen nach oben und sofort wieder nach unten. Das Blut spritzte sogar bis zur Zimmerdecke, und das weiße Bettzeug färbte sich rasch rot.

Günther warf seiner Frau einen kurzen Blick zu. Silke hatte zwar leicht angewidert das Gesicht verzogen, da sie übertriebene Brutalität in Filmen eigentlich nicht mochte, starrte aber dennoch wie hypnotisiert auf die bestialische Szene. Günther lächelte und richtete seine Augen wieder auf die Filmszene.

Die beiden Darsteller gebärdeten sich noch immer wie rasend. Mit verzerrten Gesichtern, aus denen alles Menschliche gewichen war, hackten sie immer wieder auf ihr Opfer ein. In diesem Moment rief der Regisseur: »Schnitt!« Augenblicklich ließen die beiden Männer die Messer sinken und wandten sich vom Bett ab. Sie grinsten sich an und klatschten sich mit ihren linken Händen gegenseitig ab. Mit mehreren Mitarbeitern im Schlepptau betrat der Regisseur das Set und klopfte den beiden Männern anerkennend auf die Schultern. Das Schlafzimmer war jetzt voller Menschen, die dort diversen Tätigkeiten nachgingen, sodass man das blutüberströmte Bett und die Schauspielerin dahinter gar nicht mehr sehen konnte.

Silke wandte sich ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. »Puh, für meine Begriffe war das ziemlich brutal. Den Film sehe ich mir bestimmt nicht an, wenn er bei uns im Kino oder im Fernsehen kommt.«

»Aber gut gemacht, oder?«, wandte Günther ein. »Sah irgendwie richtig echt aus.«

»Stimmt. Wie machen die so was bloß?«

Günther zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Auf alle Fälle braucht man dafür eine Menge Filmblut. Ich glaube, es wird in kleinen Beuteln auf die Haut geklebt und dann überschminkt. Die Klingen der Messer sind nicht starr, sondern verschwinden im Griff. Und sobald das Messer auf einen Beutel mit Filmblut trifft, platzt der Beutel und verspritzt seinen Inhalt.«

»Sehr interessant, nicht wahr?«

Günther drehte sich sofort um, als er die unbekannte Stimme hinter sich hörte. Zwei Schritte von ihm entfernt stand ein alter Mann mit dem wettergegerbten Gesicht des Marlboro-Mannes und einem Zahnstocher im Mundwinkel.

»Ja, wirklich sehr interessant«, antwortete Günther.

»Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

»Natürlich. Wir sind aus Deutschland.«

»Aus Deutschland«, wiederholte der alte Mann nachdenklich. »Da war ich auch schon. Ist allerdings schon ein paar Jahre her. Ich war dort, um Nazischweine zu töten.«

Günther und Silke warfen sich irritierte Blicke zu.

»Übrigens, mein Name ist Walt Hooper«, stellte sich der Alte vor und streckte die rechte Hand aus. Günther ergriff sie und nannte ihre Namen. Walt schüttelte auch Silke die Hand und musterte sie dabei von oben bis unten. »Haben Sie schon mal daran gedacht, in einem Film mitzuspielen, Lady?«

Silke schüttelte entgeistert den Kopf. »Nein, so etwas kann ich nicht. Ich bin Lehrerin.«

»Na, vielleicht bringen wir Sie ja noch dazu, solange Sie sich in unserem schönen Städtchen aufhalten«, meinte Walt lächelnd. »Sie kommen mir nämlich vor wie eine zweite Rita Hayworth.«

Silke lachte. »Wohl kaum.«

»Nun, wie auch immer, ich bin jedenfalls der Bürgermeister von Movietown. Nebenbei mache ich auch Filme.«

»Sie sind Regisseur?«, fragte Günther überrascht.

»Ja. Jeder Einwohner unserer Stadt hat mit dem Film zu tun, denn Movietown ist nach Hollywood die zweite Filmmetropole dieses Landes. Wir produzieren etwa fünfzig Filme pro Jahr«, erklärte Walt stolz. »Warum kommen Sie nicht einfach heute Abend auf unsere Feier. Sie sind hiermit herzlich eingeladen. Die ganze Stadt wird da sein und feiern.«

»Eine Feier?«, wiederholte Silke. »Was wird denn gefeiert?«

»Gerade wurde die letzte Szene aus Der Tod kommt nur nachts gedreht. Das wird natürlich gefeiert. Romero wird selbstverständlich auch kommen.«

»Romero?«, fragte Günther verwundert.

»Ja. Joseph Romero. Sie haben ihn bestimmt gesehen. Er ist der Regisseur des Films. Und, wie sieht’s aus? Können wir mit Ihnen rechnen?«

Günther und Silke warfen sich fragende Blicke zu.

»Was meinst du?«, fragte Günther.

»Wäre zur Abwechslung mal was anderes«, sagte Silke, und die Vorfreude ließ ihre Augen in einer Art und Weise funkeln, der Günther noch nie hatte widerstehen können. »Außerdem haben wir’s ja nicht so eilig, oder? Heike und Rolf werden auf alle Fälle Bauklötze staunen, wenn wir Ihnen diese Geschichte erzählen und die Bilder zeigen.«

Lächelnd gab Günther sein Einverständnis. Er wandte sich an den Bürgermeister. »Sie haben uns überredet, Mr Hooper, wir kommen gerne. Vielleicht können Sie uns auch sagen, wo wir hier für eine Nacht ein Zimmer bekommen.«

»Freut mich, dass Sie zu unserer Feier kommen. Ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass Sie es bestimmt nicht bereuen werden. Und nennen Sie mich bitte Walt.« Er drehte sich um und zeigte auf ein großes Fachwerkhaus, das genauso gut in einer deutschen Stadt hätte stehen können. »Das ist das Hollywood Hilton, wahrscheinlich das beste Hotel im Umkreis von fünfhundert Meilen. Sagen Sie Linda – das ist die freundliche junge Dame am Empfang –, dass ich Sie geschickt habe, dann macht sie Ihnen einen Sonderpreis.«

»Vielen Dank«, sagte Günther.

»Ich danke Ihnen, wir freuen uns nämlich immer über Gäste. Ich sehe Sie dann auf der Feier.« Damit wandte sich Walt ab und ging in Richtung Main Street davon.

Günther und Silke warteten, bis er um die Ecke verschwunden war, dann sahen sie sich an, grinsten und lachten leise.

»Komischer Kauz«, sagte Günther.

»Da war ich auch schon. Ich war dort, um Nazischweine zu töten«, ahmte Silke den Tonfall des alten Mannes erstaunlich gut nach.

Lachend wandten sie sich wieder den Dreharbeiten zu, doch die waren inzwischen beendet. Die Darsteller und der Regisseur waren längst verschwunden, nur ein paar Helfer waren noch da und bauten die Kameras und das übrige Equipment ab.

»Dann lass uns mal den Wagen holen und im Hollywood Hilton einchecken, dem wahrscheinlich besten Hotel im Umkreis von fünfhundert Meilen, Rita«, schlug Günther vor und reichte seiner Frau die Hand.

Silke lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Der gute Walt hat uns gar nicht gesagt, wo die Feier stattfindet«, gab sie zu bedenken.

»Ich denke mal, dass wir es auch so finden werden«, sagte Günther. »Angeblich feiert ja die ganze Stadt. Wir fragen einfach Linda aus dem Hotel.«

Es war schon deutlich nach Mitternacht, als sie nach einem anstrengenden Tag von der Feier in ihr Hotelzimmer zurückkehrten. Da sie der Empfangsdame Linda am Nachmittag erzählt hatten, dass sie auf ihrer Hochzeitsreise waren, hatten sie natürlich die Honeymoon Suite erhalten. Und das, wie von Walt versprochen, zu einem Sonderpreis, der ihren verbliebenen Reiseetat nur geringfügig belastete.

Erschöpft ließ sich Silke auf das Kingsize-Bett fallen. »Das war doch eine ganz nette Feier, findest du nicht auch?«

Günther nickte, während er wie ein Storch auf einem Bein balancierte, um den Schnürsenkel an seinem Schuh aufzubinden. Er traute sich nicht mehr, sich zu bücken, da er Angst hatte, er würde sonst umfallen. »Stimmt, schöne Feier. Auf den letzten Whisky hätte ich aber besser verzichten sollen. Ich glaube, der war irgendwie schlecht!«

»Ich hab auch ein flaues Gefühl im Magen. Allerdings konnten wir den Drink schlecht ablehnen, weil Walt uns zum Abschied noch unbedingt einen ausgeben wollte. Aber du musst doch zugeben: Das waren alles sehr nette Leute.«

Günther verlor nun doch das Gleichgewicht und fiel vornüber aufs Bett. »Stimmt«, sagte er dumpf ins Kissen und rollte sich dann auf den Rücken. »Aber ist dir eigentlich aufgefallen, dass alle Personen, die wir heute getroffen haben, also so ziemlich die gesamte Bevölkerung von Movietown, die Namen berühmter Hollywoodregisseure tragen?«

»Nö. Aber ich kann mich auch kaum noch an die Namen erinnern«, gab Silke zu und gähnte.

»Aber ich, weil ich mich mehr für Filme interessiere als du. Also pass auf! Da gab es die Spielbergs, die Dantes, die Romeros, die Cronenbergs, die Hoopers, die Carpenters …«

»Ach was, Carpenters gibt’s doch überall«, warf Silke ein. »Haben die nicht auch mal Musik gemacht?«

»Komisch ist das aber schon, oder?«, sagte Günther gähnend.

»Was? Ich hab grad gar nichts verstanden.«

»Komisch finde ich das schon«, wiederholte er und versuchte, Deutlichkeit durch erhöhte Lautstärke auszugleichen. »Die sind hier so was von fixiert auf Filme, dass sie alles darauf ausrichten und vermutlich sogar ihre Namen ändern. Typisch Amis, wenn du mich fragst.«

»Hast du auch brav Fotos gemacht?«

»Jawohl, Chef. Ich hab mindestens drei Filme verknipst. Wir haben bestimmt Fotos von jedem Spielberg und jeden Romero.«

Silke gähnte erneut. »Ich bin todmüde und möchte am liebsten gar nicht mehr aufstehen. Wer zieht mich aus, putzt mir die Zähne und geht für mich aufs Klo?«

»Ich bestimmt nicht. Ich würde selbst auch lieber liegen bleiben. Ist grade so schön bequem.«

»Mist, dann muss ich wohl doch alles selber machen.« Mühsam stieg sie aus dem Bett. »Okay, wer zuletzt wieder im Bett ist, hat verloren.«

Erst das knatternde Geräusch eines Autos mit defektem Auspuff, das auf der Straße vor dem Hotel vorbeifuhr, war am nächsten Morgen in der Lage, Günther zu wecken. Er reckte sich behaglich und gähnte. Als sein Blick dabei auf die andere Hälfte des Bettes fiel, sah er, dass diese leer war. Das Laken lag zerwühlt am Fußende des Bettes. Silke, der Morgenmensch, war also schon auf den Beinen.

»Silke?«, rief er und schwang die Beine aus dem Bett. Leichter Schwindel überkam ihn dabei, ansonsten hatte er den Whiskykonsum der letzten Nacht jedoch wider Erwarten erstaunlich gut weggesteckt. Der befürchtete Kater blieb aus, und auch das Schwindelgefühl legte sich sogleich wieder. Nur im Magen hatte er weiterhin ein flaues Gefühl, aber das ließ sich vermutlich durch ein ausgiebiges Frühstück beheben. Er stand auf und stapfte barfuß ins Badezimmer. »Wo steckt denn mein Schatz?«

Das Badezimmer war jedoch ebenso leer wie der Rest der Suite. Von seiner Frau fand er keine Spur. Wo steckte sie nur? War sie etwa ohne ihn frühstücken gegangen? Das sah ihr zwar gar nicht ähnlich, aber vielleicht hatte sie Schwierigkeiten gehabt, ihn wach zu bekommen, und deshalb beschlossen, allein zu frühstücken. Er erinnerte sich, dass sie in der Nacht ebenfalls über einen flauen Magen geklagt hatte. Er zuckte ratlos mit den Schultern. Nachdem er sich gewaschen und die Zähne geputzt hatte, zog er sich rasch an und eilte ins Erdgeschoss zur Rezeption.

»Guten Morgen. Entschuldigen Sie, aber ich suche meine Frau. Sie wissen nicht zufällig, wo sie sich gerade auffällt?«

»Tut mir leid, Mr Gerhards, aber ich habe Ihre Frau heute Morgen noch nicht gesehen«, teilte ihm Linda bedauernd mit. »Möchten Sie jetzt frühstücken?«

Günther überlegte. Silke sah sich wahrscheinlich den Ort an, bevor die Hitze zu groß wurde, und machte dabei möglichst viele Fotos, die sie ihren Bekannten zu Hause zeigen konnte. Es ärgerte ihn ein wenig, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte und stattdessen allein losgezogen war. Aber wenn er jetzt auch noch wegging, um sie zu suchen, brachte das auch nichts. Im Gegenteil, besser, er wartete hier, wo sie ihn finden konnte, auf ihre Rückkehr.

»Frühstück klingt ganz ausgezeichnet«, sagte er deshalb und wurde von Linda in den Frühstücksraum geführt.

Eine gute Stunde später hatte er ausgiebig gefrühstückt. Silke war allerdings noch immer nicht aufgetaucht. Er fragte erneut am Empfang nach, erhielt dort aber dieselbe Antwort wie zuvor. Also suchte er in ihre Suite auf, um nachzusehen, ob Silke vielleicht unbemerkt dorthin zurückgekehrt war. Doch auch dort war sie nicht, seine Ehefrau blieb spurlos verschwunden.

Auf dem Nachttisch lag ihre Kamera, die er am Morgen nicht bemerkt hatte. Also war sie gar nicht weggegangen, um zu fotografieren. Aber wo steckte sie dann? Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, einfach zu verschwinden, ohne ihm Bescheid zu sagen. Andererseits konnte ja wohl kaum jemand in der Nacht in ihre Suite gekommen sein und seine Frau geklaut haben. Es musste einen Grund für ihre Abwesenheit geben. Allerdings fiel ihm keiner ein, sosehr er sich auch den Kopf zerbrach.

Günther begann sich nun doch ernsthaft Sorgen um Silke zu machen. Was sollte er jetzt tun? Für eine Vermisstenanzeige beim örtlichen Sheriff’s Office war es wahrscheinlich noch zu früh, schließlich vermisste er seine Frau erst seit dem Aufstehen, also gerade mal gute anderthalb Stunden. Außerdem wäre es ihm extrem peinlich, wenn er den Sheriff bat, nach seiner Frau zu suchen, und diese schon im nächsten Augenblick munter pfeifend um die Ecke marschiert kam. Nein, lieber wollte er erst einmal selbst nach ihr suchen. So groß war Movietown schließlich nicht.

Also verließ er die Suite, eilte wieder nach unten und ging nach draußen. Nachdem es in der Nacht vergleichsweise kühl gewesen war, waren die Temperaturen schon wieder deutlich nach oben geklettert. Um diese Tageszeit war es allerdings noch zu ertragen, und man war nicht schon nach wenigen Schritten in Schweiß gebadet. Der Mietwagen stand vor dem Hotel, wo er ihn vor dem Einchecken abgestellt hatte. Er blickte suchend die Main Street rauf und runter, konnte jedoch keine Menschenseele entdecken, weder seine Frau noch einen der filmverrückten Einwohner von Movietown. Verdammt, ging denn hier niemand vormittags zum Einkaufen oder spazierte einfach mal die Straße entlang? Bei dem Gedanken kam ihm eine Idee: Vielleicht machte Silke einen Bummel durch die Geschäfte und kaufte Andenken ein.

Günther wandte sich nach links und begann mit der systematischen Suche nach seiner Frau, indem er die Geschäfte an der Main Street der Reihe nach abklapperte. Die Stadt war schließlich nicht so groß. Irgendwann musste er also zwangsläufig auf Silke stoßen.

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