Kitabı oku: «ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR», sayfa 4

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Zweieinhalb Stunden später kehrte er erschöpft, verschwitzt und frustriert an seinen Ausgangspunkt zurück. Er hatte überall nach ihr gesucht, war in jedes einzelne Geschäft gegangen und hatte jeden Verkäufer gefragt, aber niemand hatte Silke gesehen. Es war wie verhext. Seine Frau war anscheinend über Nacht spurlos verschwunden.

Er betrat das Hotel und lief an der verwaisten Rezeption vorbei zur Treppe. Erneut suchte er ihre Suite auf. Er hoffte, dass Silke zwischenzeitlich zurückgekehrt war, seit Stunden ungeduldig wartend auf dem Bett saß und ihn nach dem Betreten des Zimmers wütend fragte, wo er denn bitteschön die ganze Zeit gesteckt habe. Aber als er die Suite betrat, war sie noch genauso verlassen wie zuvor.

Er machte sofort wieder kehrt und eilte zurück zum Empfang. Er schlug kräftig auf die Rezeptionsklingel, doch nichts geschah. Immer wieder klingelte er, aber Linda tauchte nicht auf. Verdammt, war die nun etwa auch noch verschwunden.

Der Tag, als die Frauen verschwanden, dachte er. Das wäre doch mal ein guter Titel für einen Film der hiesigen Romeros, Carpenters oder Cronenbergs.

Als er realisierte, dass vermutlich niemand auf das Klingeln reagieren würde, wirbelte er herum und rannte ins Freie. Vor dem Hotel blieb er schwer atmend stehen und überlegte fieberhaft. Was sollte er jetzt tun? Was konnte er jetzt überhaupt noch tun? Vielleicht war es nun doch an der Zeit, zum Sheriff zu gehen und Vermisstenanzeige zu erstatten? Schließlich kannte er hier sonst niemanden näher außer der Rezeptionistin Linda, und die war ebenfalls nicht mehr da.

Moment mal, dachte er, der Bürgermeister! Genau, das war die rettende Idee! Der alte Walt Hooper kannte sich hier aus und wusste bestimmt, was in einem solchen Fall zu tun war. Günther legte die Stirn in Falten und versuchte sich zu erinnern, denn Walt hatte ihnen auf der Feier erklärt, wo sein Amtsgebäude lag. Dabei hatte er auch irgendetwas über das Hotel gesagt. Aber was war das nur gewesen? Verdammter Whisky! Hoffentlich hatte der Alkohol nicht ausgerechnet die Gehirnzellen vernichtet, die er jetzt so dringend benötigte. Aber dann fiel es ihm wieder ein. »Mein Büro liegt direkt gegenüber dem Hotel. Sie können es eigentlich gar nicht verfehlen«, hatte Walt erklärt.

Günther achtete nicht auf den Verkehr, den es hier ohnehin nicht gab, und rannte, ohne nach rechts oder links zu schauen, über die Straße zu einem Gebäude, das eine exakte Kopie des Herrenhauses der Plantage Tara aus dem Film Vom Winde verweht war. Er lief zwischen den weißen Steinsäulen hindurch zur Eingangstür, verharrte dann aber dort für einen Moment. Es gab keine Klingel, aber schließlich handelte es sich hier um ein öffentliches Gebäude. Da marschierte man doch einfach so rein, oder. Er drückte kurzerhand die Tür auf, schlüpfte ins klimatisierte Innere und stand dann schwer atmend und schwitzend in einem langen Flur mit zahlreichen Türen.

Soweit er sich erinnern konnte, sah das Plantagenhaus im Film innen ganz anders aus. Allerdings hatte er nur noch vage Erinnerungen, da er den Film nur Silke zuliebe angesehen hatte und beinahe eingeschlafen wäre. Aber vermutlich zählte in einem Ort wie Movietown ohnehin nur die Fassade.

Er sah sich um und entdeckte am gegenüberliegenden Ende des Flurs eine Tür mit Glaseinsatz, auf dem in schwarzen Lettern Walt Hooper, Mayor stand – und zwar so groß, dass er es trotz der Entfernung problemlos lesen konnte.

Er rannte den Gang hinunter und klopfte vorsichtig gegen das Glas. Er lauschte, konnte jedoch nichts hören, weder die Aufforderung »Come in!« noch sonst irgendeinen Laut. Er klopfte erneut, etwas energischer und kräftiger, doch wieder geschah nichts. Langsam drückte er die Klinke nach unten und schob dann behutsam die Tür auf, die unverschlossen war und ihm keinen Widerstand leistete.

»Mr Hooper?«, sagte er laut und schob sich durch den Türspalt in das Büro des Town Mayor.

An den beiden Seitenwänden standen dicht gefüllte Bücherregale. Die Mitte des Raumes dominierte ein riesiger Schreibtisch aus Walnussholz. An der Wand dahinter hing die amerikanische Flagge zwischen den beiden Fenstern. Der Stuhl hinter dem Schreibtisch war allerdings leer.

Wo sind denn alle hin, verdammt noch mal?

Günther trat zaghaft näher und sah sich um. Rechts neben dem Schreibtisch standen auf einem niedrigen Phonotisch ein Flachbildfernseher und ein Videorecorder mit integriertem DVD-Player. Wenn der Bürgermeister den Stuhl zur Seite drehte, konnte er bequem Videofilme angucken.

Wahrscheinlich seine eigenen, dachte Günther, ging noch näher heran und fasste eine Ansammlung von Videokassetten ins Auge, die fächerförmig ausgebreitet auf dem Schreibtisch lagen, so als hätte der Bürgermeister sie erst vor Kurzem angesehen.

Er nahm eine Kassette zur Hand und las die Aufschrift: »Der Tod kommt nur nachts, Szene 138. Darsteller: Edward Landis, Karl Landis. Gaststar: Carolyn Boone.« Das war die Szene, die er gestern zusammen mit Silke gesehen und die schon beim Dreh so realistisch gewirkt hatte. Günther kannte sich mit professionellen Filmaufnahmen nicht aus, aber anscheinend wurden die Szenen gleichzeitig auf Video aufgezeichnet, um sich sofort das Ergebnis ansehen und die Aufnahme zur Not noch einmal wiederholen zu können. Die Landis-Brüder hatten sie natürlich gestern auf der Feier getroffen. Schließlich war der Film, in dem sie mitgewirkt hatten, der Anlass der Feierlichkeit gewesen. Er erinnerte sich aber nicht, dort auch Carolyn Boone gesehen zu haben. Er konnte sich auch an keinen bekannten Regisseur mit dem Namen Boone erinnern. Entweder war Carolyn Boone damit die berühmte Ausnahme von der Regel, oder es gab doch einen Regisseur namens Boone, der in Deutschland nur nicht so bekannt war.

Er legte die Videokassette auf den Schreibtisch zurück und wollte sich schon abwenden, um das Büro zu verlassen und nachzusehen, ob er den Bürgermeister oder wenigstens einen seiner Mitarbeiter woanders in diesem Haus finden konnte, als ihm auf dem Etikett einer anderen Kassette etwas ins Auge fiel, das ihm so vertraut erschien, dass er unwillkürlich innehielt und instinktiv danach griff. Er nahm die Kassette und las stirnrunzelnd die von Hand geschriebene Beschriftung: »Satansmesse auf dem Teufelshügel, Szene 24. Darsteller: Harry Carpenter. Gaststar: Silke Gerhards. Zahlreiche Statisten.«

Obwohl er es schwarz auf weiß vor sich hatte, weigerte sich Günthers Verstand dennoch hartnäckig, an den Wahrheitsgehalt dessen zu glauben, was er soeben gelesen hatte. Er las die Aufschrift noch einmal, im festen Glauben, sich verlesen zu haben, doch das Ergebnis blieb unverändert: Auf der Videokassette war der Name seiner Frau als Gaststar der aufgenommenen Szene aufgeführt. Aber das war doch vollkommen unmöglich. Und was hatte es überhaupt zu bedeuten?

Er erinnerte sich noch gut daran, dass Walt seine Frau gefragt hatte, ob sie nicht in einem Film mitspielen wolle. Auch auf der Feier hatte der Bürgermeister sie noch mehrmals darauf angesprochen. Silke hatte das Angebot jedoch jedes Mal abgelehnt, am Ende schon ein wenig genervt von Hoopers Hartnäckigkeit. Offensichtlich hatte sie ihre Meinung über Nacht geändert. Wieso sollte ihr Name sonst auf dieser Kassette stehen? Und vermutlich war das auch der Grund, weshalb Silke heute früh ohne ihn das Hotel verlassen war. Seine Frau spielte, ohne ihm etwas zu sagen, den großen Filmstar, während er sich große Sorgen um sie machte und die ganze Stadt nach ihr absuchte.

Er musste sich sofort Gewissheit verschaffen. Zu diesem Zweck eilte er um den Schreibtisch herum zum Fernsehgerät und schaltete es ein. Anschließend schob er die Kassette in den Recorder und drückte auf Play. Für ein paar Sekunden lief noch das normale Fernsehprogramm, dann wurde der Bildschirm schwarz. Günther wartete und starrte gebannt auf die Mattscheibe.

Endlich erschien ein Bild. Es handelte sich um eine Filmklappe, die vor die Kamera gehalten wurde. Darauf waren der Titel des Films, die Szenen- und die Aufnahmenummer, das heutige Datum sowie die Namen des Regisseurs und des Kameramanns vermerkt. Günther registrierte, dass Walt Hooper als Regisseur genannt war. Es gab noch ein paar weitere Angaben, von denen er aber nicht wusste, was sie bedeuteten.

»Satansmesse auf dem Teufelshügel, Szene 24, die Erste!«, rief jemand aus dem Off, ehe die Balken aufeinandergeschlagen und die Klappe aus dem Bild genommen wurde.

»Ton?«

»Läuft.«

»Kamera?«

»Läuft.«

»Und Action«, hörte Günther jemanden rufen, bei dem es sich unzweifelhaft um Bürgermeister Walt Hooper handelte.

Es war Nacht. Zahlreiche Gestalten in langen schwarzen Roben und mit schwarzen Kapuzen über den Köpfen umstanden in einem Halbkreis einen flachen Felsen. Sie hielten blakende Fackeln in den Händen. Auf dem Stein in ihrer Mitte lag wie auf einem Altar eine weiß gekleidete Frau. Als die Kamera näher heranzoomte, sah man, dass die Frau an Armen und Beinen gefesselt war. Sie wandte ihr Gesicht in Richtung Kamera und schrie gellend, die Augen vor Todesangst weit aufgerissen.

Günther stockte der Atem, denn es war Silke, seine Frau, die dort in Fesseln lag und schrie.

Die Kamera fuhr noch näher heran, bis der graue Felsen die gesamte untere Hälfte des Bildes ausfüllte. Deutlich konnte Günther das Entsetzen und die Angst auf Silkes Gesicht und in ihren Augen erkennen. Sie schrie und weinte abwechselnd und wand sich in ihren Fesseln. Mehrmals rief sie seinen Namen, was ihm jedes Mal einen weiteren gezielten Stich ins Herz versetzte, weil es ihm noch bewusster werden ließ, dass er nicht bei seiner Frau gewesen war, als sie ihn am dringendsten gebraucht hatte.

Er wusste sofort, dass das, was er sah, nicht gespielt war. Auch wenn Silke und er erst vor Kurzem den Bund der Ehe geschlossen hatten, waren sie schon vorher sechs Jahre lang ein Paar gewesen. Er kannte seine Frau daher gut genug, um zu erkennen, dass die Gefühle, die sie zeigte, echt waren! Mit Schauspielerei hatte das nichts zu tun. Silke durchlitt Todesängste und rief in ihrer Verzweiflung nach ihrem Mann.

Diese verdammten Schweine!, dachte Günther. Was haben sie nur getan?

Dabei war es offensichtlich, was sie getan hatten. Sie hatten Silke entführt und zu diesen Filmaufnahmen gezwungen. Günther erinnerte sich, wie Walt sie auf der Feier gedrängt hatte, noch einen letzten Drink zu nehmen, bevor sie ins Hotel zurückkehrten. Das freundliche Angebot des Bürgermeisters abzulehnen, wäre unhöflich gewesen. Also hatten sie höflich ihre Gläser geleert, ehe sie die Feier verlassen hatten. Doch in dem Whisky musste noch etwas anderes enthalten gewesen sein, ein Schlafmittel vermutlich. Und während sie anschließend friedlich schliefen, waren Walt und seine Komplizen in ihre Suite eingedrungen und hatten die bewusstlose Silke aus dem gemeinsamen Bett geraubt. Diese verfluchten Schweine hatten sie entführt, während er nichts ahnend danebengelegen und geschlafen hatte.

Günther taumelte nach hinten, als seine Knie weich wurden, und ließ sich in den Drehstuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Gebannt starrte er weiterhin auf das Geschehen auf dem Bildschirm. Seine Hände hatte er in hilfloser Wut zu Fäusten geballt. Wenn er jetzt einen dieser Mistkerle in die Finger bekommen hätte, dann hätte er ihm die Scheiße aus dem Leib geprügelt.

Plötzlich trat eine groß gewachsene Gestalt hinter den Altarstein. Im Gegensatz zu den anderen trug sie eine rote Robe mit Kapuze und blieb direkt neben Silke stehen. Vermutlich der Hohepriester dieses Kultes. Silke schrie noch immer, obwohl ihre Stimme schon heißer klang, krümmte und wand sich, dass sie beinahe von der Felsplatte gerollt wäre, und zerrte panisch an den Fesseln. Die vermummte Gestalt ballte die rechte Hand zur Faust und schlug sie Silke mitten ins Gesicht.

»Du Drecksau!«, schrie Günther und sprang wieder auf die Füße. Wenn er die Kerle erwischte, dann konnten sie was erleben. Und wenn sie Silke auch nur ein Haar gekrümmt hatten, dann …, dann … Hilflos ballte Günther immer wieder die Hände zu Fäusten und lockerte sie wieder, aber er konnte nichts tun. Alles, was er auf dem Bildschirm sah, war bereits geschehen, und er konnte nichts mehr daran ändern. Alles, was er tun konnte, war hilflos mit anzusehen, was weiter passierte. Trotz der großen Unruhe, die ihn am ganzen Körper zittern ließ, und seines inneren Aufruhrs ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken und beobachtete den Fortgang der Szene.

Silkes Schreie waren nach dem Fausthieb schlagartig verstummt. Sie lag reglos auf dem Stein und wimmerte nur noch leise vor sich hin. Ein dünner Blutfaden lief aus ihrer Nase, die schief aussah, als wäre sie gebrochen. Der Vermummte breitete die Arme aus und rief mit lauter Stimme die Mächte der Finsternis an, allen voran Satan persönlich. Dann bückte er sich und hob etwas vom Boden auf, das bisher von dem Opferfelsen verborgen zu seinen Füßen gelegen hatte. Günther erwartete, ein Opfermesser zu sehen, und erbleichte, als er den Gegenstand erkannte. Der Hohepriester legte die rechte Hand fest um den vorderen Griffbügel und zog dann mit der anderen ruckartig am Seilzugstarter. Heulend sprang die Kettensäge an.

»Oh, mein Gott, nein!«, hauchte Günther und schlug die Hände vors Gesicht, als der Kuttenmann die Motorsäge auf sein hilfloses Opfer herabsenkte und die erste Blutfontäne emporspritzte. Er hörte Silkes gellende Schreie, die sogar das Heulen der Kettensäge übertönten, bis sie schlagartig verstummte.

Da die Ungewissheit über ihr Schicksal ihn noch mehr quälte als die schrecklichen Bilder, nahm er rasch wieder die Hände vom Gesicht und sah, wie sich die die vordere Hälfte des Metallblatts mit der Sägekette durch den Hals seiner Frau wühlte und den Kopf vom Rumpf trennte. Tränen schossen ihm in die Augen, ließen die entsetzlichen Bilder verschwimmen und liefen ihm übers Gesicht.

»Nein!«, schrie er, als ihn der Hass auf die Übeltäter und die Mörder seiner Frau wie ein wildes Tier aus dem Hinterhalt anfiel, sprang auf und trat unbeherrscht mit dem rechten Fuß gegen den Bildschirm. Der Flachbildfernseher kippte nach hinten und fiel krachend auf den Fußboden. Ein hauchdünner Riss lief durch den ganzen Bildschirm, der sofort schwarz wurde. Das Surren der Säge aus dem Lautsprecher verstummte abrupt. Feine Rauchschwaden und der Gestank nach verbranntem Kunststoff breiteten sich im Amtszimmer des Bürgermeisters von Movietown aus.

Günther stand schwer atmend da, die Hände zu blutleeren Fäusten geballt, und starrte auf das zerstörte Fernsehgerät. Der Videorecorder surrte immer noch leise vor sich hin und spielte, von Günthers Ausbruch gänzlich unbeeindruckt, die Kassette ab, auch wenn die darauf enthaltenen Schreckensbilder nun nicht mehr zu sehen waren und das Kreischen der Kettensäge nicht länger zu hören war. Günther weinte und schluchzte dabei leise. Mit den schleppenden Schritten eines Greises ging er zum Stuhl zurück, als wäre er innerhalb der letzten Augenblicke um Jahrzehnte gealtert, und sank auf die Sitzfläche. Er beugte sich nach vorn, als würde ihn eine Zentnerlast nach unten drücken, und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Silke ist tot!

Es waren nur drei simple Worte, insgesamt gerade einmal elf Buchstaben, doch diese Worte enthielten eine Sprengkraft, die sein ganzes Leben aus den Fugen geraten ließen. Dabei konnte er es selbst noch gar nicht so richtig fassen, aber es gab einfach keinen Zweifel. Schließlich hatte er es mit eigenen Augen gesehen. Und das war kein Filmtrick oder Special Effect gewesen, sondern die brutale, auf Zelluloid gebannte Wirklichkeit. Diese Scheißkerle hatten seine Frau umgebracht, einfach so, vor laufender Kamera.

Plötzlich wurde ihm noch etwas bewusst. Der anderen Frau gestern – ihr Name war Carolyn Boone, erinnerte er sich – war es vermutlich genauso ergangen wie Silke. Schon da war ihnen alles so echt, so wirklich erschienen.

Er erschauderte, als hätte sich eine Tür oder ein Fenster geöffnet, um eine kühle Brise hereinzulassen. Wo sind wir hier bloß hingeraten?, fragte er sich. So wie es aussah, waren alle Einwohner von Movietown an diesem furchtbaren Treiben beteiligt. Sie alle mussten vollkommen wahnsinnig sein, opferten sie doch tatsächlich Menschen – ortsfremde Durchreisende – für ihre verdammten Filme. Er musste diese Vorgänge den Behörden melden und umgehend zur Polizei gehen. Allerdings musste er unbedingt die Videokassetten mitnehmen, denn sie waren der eindeutige Beweis, dass hier sogenannte Snuff-Filme gedreht wurden, in denen echte Morde geschahen.

»Hi, Günther.«

Behäbig, als würde er nur langsam aus einem Albtraum erwachen und in die Realität zurückkehren, hob Günther den Kopf. Der Bürgermeister saß auf der anderen Seite des Schreibtisches. Am liebsten hätte sich Günther augenblicklich auf ihn gestürzt, wäre mit einem einzigen Satz über den Schreibtisch gehechtet und hätte seine Finger um Walts faltigen Hals gelegt, um ihn mit bloßen Händen zu erwürgen. Doch erstens fehlte ihm dazu im Moment die nötige Kraft, und zweitens sahen Walts Begleiter, die groß gewachsenen Brüder Edward und Karl Landis, die zu beiden Seiten des Bürgermeisters Aufstellung genommen hatten und Günther finster ansahen, so aus, als hätten sie etwas dagegen und würden ihn notfalls durch Anwendung brutaler Gewalt daran hindern, ihrem Bürgermeister auch nur ein Haar zu krümmen.

»Wo ist Silke, ihr verdammten Arschlöcher?«, fragte Günther mit merkwürdig rauer Stimme, die sich nicht im Entferntesten wie seine eigene anhörte. »Wo ist meine Frau?«

»Wir kommen gerade von ihrer Beisetzung«, sagte Walt in seinem gewohnt leutseligen Ton, als würden sie sich über das Wetter unterhalten. »Es war wirklich eine schöne Beerdigung. Schade, dass du nicht dabei sein konntest, Günther. Die ganze Stadt hat Abschied genommen. Sogar Linda war da. Die meisten haben Tränen vergossen. Was für ein Verlust für die Leinwand, denn sie war wirklich eine begnadete Darstellerin.«

Günther konnte nicht glauben, was er hörte. Diese ganze Situation war einfach zu absurd. Diese Verrückten schlachteten seine Frau bestialisch ab und organisierten im Anschluss eine schöne und tränenreiche Beisetzung. Er konnte nur mit dem Kopf schütteln. »Wieso nur? Warum tut ihr das?«

»Was soll ich sagen, Günther? Weil das eben die Art ist, wie wir hier in Movietown unsere Filme machen. Sieh dir doch nur den ganzen Mist aus Hollywood an, alles nur Lug und Trug. All die fliegenden Untertassen und realistisch wirkenden Ungeheuer werden nur noch im Computer erzeugt. Menschen werden in dem einen Film von Kugeln durchsiebt, sind aber schon im nächsten Film wieder putzmunter. Bei unseren Filmen ist das anders. Wir betrügen den Zuschauer nicht, sondern sind ehrlich. Und darauf sind wir auch verdammt stolz. Was in unseren Filmen passiert, ist echt. Reality Cinema

Walt warf einen Blick auf seine Uhr und gab den beiden Landis-Brüdern dann einen Wink. Die Männer setzten sich umgehend in Bewegung, umrundeten den Schreibtisch und nahmen auf beiden Seiten von Günther Aufstellung.

»Und was haben Sie jetzt mit mir vor, Walt?«

»Ich muss einen Film zu Ende drehen«, sagte Walt und lächelte so breit, dass all seine Zähne zu sehen waren. »Der Drehplan lässt uns leider keine Zeit, unsere nette Plauderei fortzusetzen. Ich habe die nächste Szene schon ganz genau im Kopf«, sagte er und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Und du wirst darin die Hauptrolle spielen. Ich bin sicher, du wirst deine Sache ebenso großartig machen wie Silke. Ich habe nämlich einen Riecher für erstklassige Darsteller.«

Günther zerrte an den Fesseln, doch sie gaben keinen Millimeter nach. Die Landis-Brüder wussten, wie man einen Knoten band, schließlich hatten sie in den letzten Jahren genug Erfahrung sammeln können.

Nahezu alle Einwohner von Movietown standen zehn Meter entfernt in einem Kreis um ihn herum. Sie waren in mittelalterliche Gewänder geschlüpft – der Ort musste einen riesigen Fundus an Kostümen haben – und sahen ihn erwartungsvoll an. Rechts und links von ihm standen Edward und Karl Landis und hielten brennende Fackeln in ihren Händen.

Es war früher Nachmittag, und da Günther der gnadenlos herabbrennenden Sonne schutzlos ausgeliefert war, schwitzte er wie in einer Sauna, obwohl er nur ein schlichtes weißes Baumwollgewand am Leib trug. Allerdings waren die Hitze des Tages und ein möglicher Sonnenstich die geringsten seiner Sorgen. Er stand auf einer kleinen hölzernen Plattform und war an einen Holzpfahl gefesselt, den man in den Boden der Wiese gerammt hatte. Rundherum waren Berge trockener Äste und Reisig aufgeschichtet worden.

Günther richtete seinen Blick nach vorn. Durch eine Lücke in der Zuschauermenge konnte er die Kamera sehen. Direkt daneben saß Walt Hooper in einem Klappstuhl. Das Mädchen mit der Filmklappe trat vor die Kamera.

Günther schrie und wand sich in seinen Fesseln, auch wenn er wusste, dass es letztendlich sinnlos war. Einer der beiden Landis-Brüder blickte grinsend zu ihm auf, als wäre alles nur ein Spiel, und zeigte ihm den erhobenen Daumen.

»Satansmesse auf dem Teufelshügel, Szene 37, die Erste!«, rief die junge Frau und huschte aus dem Bild.

»Ton?«

»Läuft.«

Günther zerrte immer verzweifelter an den Stricken. Er spürte, wie sie sich schmerzhaft in seine Handgelenke gruben. Tränen liefen ihm übers Gesicht und vermischten sich mit den Schweißtropfen.

Die Landis-Brüder machten sich bereit und hoben die Fackeln.

Die Menschen starrten erwartungsvoll und erregt auf den Scheiterhaufen in ihrer Mitte.

»Kamera?«

»Läuft.«

Entsetzt beobachtete Günther, wie der Regisseur ein Megafon an die Lippen hob.

»Uuunnnndddd … Action!«

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