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Kitabı oku: «Gesammelte Schulhumoresken», sayfa 7

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Der entrüstete Oberlehrer

 
Traun, jetzt bin ich es müde! Beim Zeus, das schändet die Klasse!
Flink auf den untersten Platz! Schmelzer, was träumen Sie noch?
Vorwärts! Hören Sie nicht? Dem Besonnensten reißt die Geduld hier,
Wo sich das Nichtstun frech paart mit der Stupidität!
Bildet der schreckliche Mensch mir ein Imperfektum »etypson«!
Wahrlich, die Muse verhüllt schaudernd ihr Göttergesicht!
Nie ward gleiches gehört in den würdigen Räumen Sekundas:
Kaum ein Quartanergemüt wagte so schnödes Gewäsch!
Soll ich den Otto vielleicht, das winzige Knäbchen, zitieren,
Daß mit korrektester Form stolz es den Vetter beschämt?
Gehen Sie in sich, Schmelzer! Dies Imperfektum »etypson«
Flößt für die Zukunft mir trübste Befürchtungen ein.
Wer da »etypson« sagt, der sagt auch: »Lasset uns kneipen!«
Feist in bavarischem Bier schlemmt er die Gelder hinab.
Wer da »etypson« sagt, der schwänzt und wütet im Tabak;
Selbst auf erotischem Feld weckt er gerechten Verdacht.
Wie? Sie trumpfen noch auf? Sie zucken die störrische Achsel?
Holt den Pedellen mir her! Piesecke, tragen Sie ein:
»Schmelzer, weil er »etypson« als Imperfektum gebildet
Und den kymmerischen Bock nicht, wie es billig, bereut,
Sondern Gebärden gewagt, die empörende Frechheit bekunden,
Stracks auf den Karzer geschickt!« Marsch nun zur Türe hinaus!
So – jetzt fahren Sie fort! Ja, ja, so fügt es Ananke!
Freundlich im schweren Beruf stärke mich, Meister Apoll!
 

Der Bierparagraph

Die Art und Weise, wie die Schüler der oberen Gymnasialklassen von den Schulgesetzen in abstracto und ihren einzelnen Lehrern in concreto behandelt werden, hat, streng genommen, etwas Naives, denn sie basiert auf Voraussetzungen, die eine merkwürdige Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse bekunden. Es waltet hier teils der himmelschreiendste Irrtum, teils der unbegreiflichste Optimismus vor. Die ernsten Männer, die in ihrer Eigenschaft als Oberstudienräte die Zusammenstellung jener Gesetzesparagraphen beaufsichtigt haben, verstanden sehr viel von der theoretischen Pflicht, aber sehr wenig von dem praktischen Leben. Das moderne Gymnasialgesetz verwechselt den Begriff einer öffentlichen Lehranstalt, die nur zu gewissen Stunden besucht wird, mit dem eines Pensionats, das die Schüler sozusagen mit Leib und Seele aufnimmt und nicht allein ihren Unterricht, sondern ihre moralische und gesellschaftliche Erziehung leitet. Es ist lächerlich, die Befugnisse des Gymnasiums in der angedeuteten Richtung zu erweitern, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil seine Mittel nicht zur Durchführung ausreichen. Wo die Kontrolle fehlt, da ist alles Befehlen und Verbieten ein zweischneidiges Schwert. Anstatt sich also damit zu begnügen, den Gymnasiasten während der Lehrstunden im Zaume zu halten, ihm gelegentlich die christlichen Tugenden einzuprägen und die Norm aufzustellen: Sobald du irgendwie einen öffentlichen Skandal erregst, gleichviel durch welche Handlung, so wanderst du auf den Karzer, – anstatt sich dieser klugen Reserve zu befleißigen, mischt sich das Gymnasium in Dinge, die nicht nur über seine vernunftgemäßen Befugnisse, sondern in der Regel sogar über die Möglichkeit einer Beaufsichtigung weit hinausgehen.

So erklärt die Gymnasialordnung das Besuchen von Wirtshäusern für unmoralisch und ahndet die Zuwiderhandlung mit mehr oder minder beträchtlichen Freiheitsstrafen. Was man bei diesem Verbot beabsichtigt, liegt klar zutage: nicht den Wirtshausbesuch an sich, sondern den daraus erwachsenden Mißbrauch wolle man hintertreiben. Naiv und idealistisch wie sie sind, glauben die Oberstudienräte diesen Zweck durch ein Radikalverbot zu erreichen; aber sie haben nur eins erreicht: der anständige Gebrauch eines an sich harmlosen Instituts ward zum Verbrechen gestempelt, ohne daß der unanständige Gebrauch, der Mißbrauch, ernstlich verringert würde. In der Tat läßt sich nicht absehen, warum es für den achtzehnjährigen Primaner eine Sünde sein soll, gelegentlich ein Glas Bier zu trinken, während der Kommis schon in früheren Jahren das gleiche leistet, ohne darum die Achtung seiner Mitbürger einzubüßen. Weit richtiger und wirkungsvoller würde es sein, wenn das Gymnasium den allgemeinen Grundsatz aufstellte: »Benehmt Euch anständig!« – ohne weiter auf die Details einzugehen. In jedem einzelnen Falle würde dann das freie Ermessen des Lehrers darüber entscheiden, ob dieses erste und vornehmste Gebot des Gymnasiasten befolgt oder verletzt worden wäre. Ein solcher Appell an das Taktgefühl der jungen Leute bei theoretischer Anerkennung ihrer unbedingten Selbständigkeit müßte auch moralisch von ungleich günstigeren Erfolgen sein, als die alberne und demütigende Methode, die jetzt noch vielfach im Schwunge ist.

Der Bierparagraph war auch mir in den Tagen meiner Gymnasiastenschaft ein fortwährender Grund des Verdrusses und der Erbitterung. Wenn ich so an heißen Juliabenden bei den Hecken des Lohseschen Felsenkellers vorüber kam und den Direktor Samuel Heinzerling erblickte, wie er im Kreise seiner zahlreichen Familie ein Seidel nach dem andern hinter die schwarze Krawatte goß, so war mir zu Mut wie einem Pariser Vorstadtbewohner, der im zerlumpten Kittel durch das Bois de Boulogne schlendert und die prunkvollen Equipagen des Quartier Saint Germain vorbeieilen sieht. Warum schwelgte dieser graue Epikuräer im vollen, während ich, ein Kind der Entbehrung, fernab an der Böschung stand und meine Sehnsucht bändigen mußte? Wäre ich jetzt kühnlich auf die Plattform gewandert, hätte ich unbekümmert um Samuel und seine Töchter Ismene, Winfriede, Laura und Vitriaria vor einem der braun gestrichenen Tische Platz genommen und einen Schnitt bestellt, so war mein Schicksal besiegelt. Am andern Morgen hätte der strenge Autokrat mich in folgender Weise apostrophiert:

»Eckstein! Sä waren mer gestern wäder mal auf dem Felsenkeller! Sä haben dä Ongeböhrlichkeit Ähres Benehmens so weit geträben, daß Sä sogar, ohngeachtet Sä mäch bemerkt haben, einen Schnätt bestellten. Sä gehen mer zwei Tage auf den Karzer! Knebel, schreiben Sä änmal äns Tagebooch: Eckstein, weil er än einem öffentlichen Bärlokal einen Schnätt bestellte, mit zwei Tagen Karzer bestraft. Heppenheimer, rofen Sä den Pedellen!«

Das sieht fast wie ein tableau chargé aus, aber es ist eine Photographie, streng nach der Natur. Samuel Heinzerling hatte nur selten das Glück, einen Schüler wegen »Wärtshausbesochs« abzufassen, denn wir kannten die Lokale, die er zu frequentieren pflegte, und vermieden sie: aber wenn er einen ertappte, so übte der rector illustrissimus in der oben geschilderten Weise Justiz, und die Form seines »Eintrags« im »Tagebooch« variierte nur wenig. Niemals ist es erhört worden, daß er einem kneipenden Schüler die Strafe erlassen hätte; es war, als fürchte er, der Durst seiner Primaner könnte die Befriedigung seines eigenen Durstes in Frage stellen, wie er denn in der Tat stets in den Herbstmonaten, wenn das sogenannte Salvatorbier ausgetrunken und durch eine geringere, später gebraute Sorte ersetzt war, düsterer und grämlicher dreinschaute als in der eigentlichen Saison.

Trotz dieser exklusiven Richtung unseres Direktors zechten wir schon in Sekunda ganz wacker. Wir hatten eine Stammkneipe, deren Inhaber, von der Ungehörigkeit der Gymnasialgesetze im tiefsten Innern durchdrungen, alles anstrebte, um uns das Joch unserer Schülerschaft nach Möglichkeit zu erleichtern. Leider bot sein Lokal nicht unbedingte Sicherheit, da sich mitunter auch ein Lehrer in diese traulichen Räume verirrte. Der alte Lorenz wußte uns in solchen Fällen rechtzeitig von der drohenden Gefahr zu verständigen. Es war hergebracht, daß wir vor dem Eintreten an den Schalter klopften. Lorenz zog dann die Klappe weg und grinste. Dieses Grinsen bedeutete so viel als: die Luft ist rein. War Lorenz nicht am Faß tätig, so versah einer von seinen Söhnen das Amt des Schenkwirts interimistisch, und diese Söhne bewerkstelligten jenes orientierende Grinsen weit unzuverlässiger als der Vater; daher es sich denn hin und wieder ereignete, daß wir unseren Peinigern ahnungslos in die offenen Arme liefen.

Eines Nachmittags – es war im August des Jahres 18** – hatte uns Samuel Heinzerling durch eine furchtbare Auseinandersetzung über das Wesen des lateinischen Konjunktivs gemartert und am Schlusse seiner Rede ein neues Thema für den lateinischen Aufsatz gegeben: »Quaeritur utrum Alexander dignus fuerit cognomine Magni necne.« Am Schlusse der Lehrstunde verspürte ich einen unwiderstehlichen Durst, und mein Freund Wilhelm Rumpf teilte diese Empfindungen, so daß er meinen Vorschlag, in der Schenke des alten Lorenz ein Seidel zu schlürfen, ohne weiteres genehmigte. Arm in Arm schritten wir über den Ludwigsplatz. Vor der Engelhardtschen Buchhandlung begegnete uns Wilhelm Rumpfs angeheirateter Onkel, ein liebenswürdiger alter Herr, der gern seinen Spaß mit uns trieb und auch heut nicht umhin konnte, uns mit einer scherzhaften Phrase dingfest zu machen. Wir kannten zwar die humoristischen Redensarten des Onkels seit lange auswendig; aber die selbstgefällige Freude, mit der er sie immer und immer wieder vortrug, verfehlte nie ihre Wirkung. Besonders tiefsinnig schien ihm der anachronistische Scherz von den Kanonen des Hannibal, und er besaß ein bewundernswürdiges Talent, von jedem beliebigen Gesprächsthema auf dieses Bonmot abzulenken. – Als er uns nach längerer Kauserie wieder freigab, hatte unser Durst gewaltige Dimensionen angenommen, und im Geschwindschritt eilten wir der Stätte zu, wo wir so oft gegen die Paragraphen des Gymnasialgesetzes gefrevelt hatten.

Wir klopften an den Schalter. Der alte Lorenz war diesmal wieder »dienstlich verhindert«, und sein ältester Sohn Fritz stand vor dem Schenktische.

Der Bursche warf uns einen beruhigenden Blick zu, und so schritten wir denn ahnungslos ins Lokal und suchten mit jener prüfenden Unsicherheit, die jedem Neueintretenden eigen ist, nach einem Tische, um uns niederzulassen.

Da – wer beschreibt unser Erstaunen, unsere Verwirrung, als wir in der entferntesten Ecke des langen, bandartigen Kneipzimmers die nur allzu wohlbekannte Gestalt Samuel Heinzerlings wahrnahmen! Der Vortrag über den lateinischen Konjunktiv schien nicht allein uns durstig gemacht zu haben, denn das Seidel, das der Direktor vor sich stehen hatte, war bis auf einen traurigen Rest ausgeschlürft. Samuels Angesicht glühte in dunkler Röte. Ich schwankte, ob ich dies Echauffement der Glut des Augusttages oder dem Zorn über unser vermessenes Eintreten zuschreiben sollte: beide Umstände mochten in gleicher Weise mitgewirkt haben. Ich ergab mich schon stillschweigend in mein Schicksal. Die zwei Tage Karzer dünkten mir ebenso unvermeidlich, wie dem Delinquenten, der unter dem Fallbeil liegt, die Enthauptung. Auch Samuel Heinzerling schien von der Notwendigkeit dieser Lösung durchdrungen, denn jetzt spielte um seine Lippen ein halb verdrießliches, halb siegesgewisses Lächeln, und mit grimmigem Finger rückte er an der großen rundglasigen Brille.

Aber wir hatten die Rechnung ohne Wilhelm Rumpf gemacht. Ehe ich noch ahnte, was er vor hatte, faßt er mich am Arm, und sagte mit einer Stimme, in der die Fülle der höchsten seelischen Genugtuung widerklang:

»Komm, da sitzt ja der Herr Direktor! So habe ich mich doch nicht getäuscht.«

Samuel Heinzerling starrte uns an, als habe die Vermessenheit Rumpfs ihn versteinert.

»Wälhelm« aber schritt kühn auf ihn zu, zog die Mütze und verneigte sich mit einem artig gelispelten: »Guten Tag, Herr Direktor, verzeihen Sie gütigst, wenn wir Sie stören!«

»Rompf, was onterstehn Sä sich?«

»Entschuldigen Sie gütigst«, stammelte Rumpf mit verbindlichem Lächeln.

»Was haben Sä här zo sochen? Äch kann mer schon denken, was för Nächtsnotzigkeiten Sä wäder auf'm Korn haben!«

»Ich habe Sie auf dem Korn, Herr Direktor. Ich wollte mir nur die ganz ergebene Frage erlauben, ob wir den Aufsatz: »Quaeritur utrum Alexander dignus fuerit cognomine Magni necne« auch in Dialogform behandeln dürfen. Mein Freund da behauptet, nein; ich aber bin in der Ansicht, daß diese Form sich ganz besonders für ein derartiges Thema eignet, denn, sagen Sie selbst, Herr Direktor: wenn man so die Tugenden und die Laster Alexanders des Großen gegeneinander abwägen will, so ergibt es sich ganz natürlich, daß man jede dieser verschiedenen Auffassungen eine Person substituiert. Hat nicht z. B. Lessing in seinem Gespräche über Freimaurerei …«

»Schon goot!« unterbrach ihn Samuel Heinzerling.

»Wir dürfen's also in Dialogform behandeln?« fuhr Wilhelm Rumpf fort. »Ich wollte mich doch gleich vergewissern. Wir sahen Sie da eben hereintreten, und da ich die Absicht habe, noch heute Abend an die Disposition zu gehen …«

»Rompf, Sä sänd ein Schelm; aber es läßt säch nächt leugnen, Sä haben säch got herausgebässen. Än Zokonft warten Sä mer höbsch draußen, bäs äch wäder hänaus komme. So lange hat Ähre Däsposätion wohl Zeit. Kennen Sä nächt dä Vorschräft des Gämnasialgesetzes, daß es den Schölern onserer Anstalt verboten äst, öffentläche Lokale zo besochen?«

»Entschuldigen Sie, Herr Direktor,« sagte Rumpf im Tone eines Gekränkten, »es ist den Schülern verboten, die Lokale allein zu besuchen; wenn sie aber wissen, daß sie innerhalb dieser Lokale einen Lehrer oder gar den Direktor der Anstalt treffen, so scheint es mir den Gesetzen des Gymnasiums durchaus nicht zuwider zu laufen, wenn man in der Absicht einer wissenschaftlichen Anfrage …«

»Schwätzen Sä säch den Hals nächt noch trockener, als er schon äst! Äch wäderhole Ähnen, Sä haben säch got herausgebässen, ond non wäll äch Ähnen erlauben, daß Sä mät Anstand än Glas Bär tränken. Hören Sä? Aber nor ein Glas: von där däalogischen Form wollen wär än däsem Falle absehen.«

»Herr Direktor sind zu gütig, aber ich versichere Sie, wir dachten durchaus nicht …«

»Frätz!« unterbrach ihn Samuel Heinzerling, »brängen Sä mal drei Seidel! So, ond non lassen Sä säch's got schmecken. Wahrhaftig Rompf, wenn Sä änmal später än den Verhältnissen des börgerlichen Lebens so väl Geistesgegenwart an den Tag legen, wä jetzt bei Ähren leider nor zo oft wäderholten Lompenstreichen, so werden Sä ein beröhmter Mann werden.«

Wir nahmen Platz und ließen uns das unter so gefährlichen Umständen erworbene Bier trefflich munden. Nach Verlauf von zehn Minuten erhob sich unser jovial-liebenswürdiger Direktor vom Sitze, was für uns natürlich das Signal war, ein gleiches zu tun. Draußen vor dem Tore trennten wir uns. Nach zehn Schritten machte Heinzerling Kehrt.

»Non, Rompf. Sä haben ja noch keine Antwort wägen der däalogischen Behandlung? Es scheint, daß Ähre Däsposätion doch nächt so große Eile hat, wä Sä vorgeben?«

»Qui tacet, consentire videtur«, sagte Rumpf mit unerschütterlicher Gelassenheit. »Sie haben meine Frage unbeantwortet gelassen, also schließe ich daraus, daß Sie meine Ansicht billigen. Die Grundzüge des Aufsatzes habe ich mir bereits beim Bier überlegt.«

»Nochmals, Sä sänd ein Schelm,« lachte Samuel, indem er den breitkrempigen Hut in die Stirne zog. »Aber nähmen Sä säch än acht! Äch för mein Teil habe Sänn för Humor, und lasse mer ab ond zo selbst eine kleine Dommheit gefallen, wenn sä mät Grazie ond attischem Salz gewörzt ist. Äch känne jedoch Leute, dä för dä Reize der Komäk ongleich weniger empfänglich sänd! Da könnten Sä mät Ähren olämpischen Konstgräffen sehr öbel anlaufen! Danken Sä Gott, daß äch här gesässen habe: wäre äch zom Beispiel mein Schwägersohn, der Ordänarius von Obersekunda gewäsen, so hätten Sä kein Bär, sondern Cachot gekrägt! Märken Sä säch das!«

Und mit würdevoller Gelassenheit schritt er den heimischen Laren zu.

Vom Rauchen

Das zierlich broschierte Heft der Gymnasialgesetze, das jedem neu aufgenommenen Schüler persönlich vom Herrn Direktor überreicht und ans Herz gelegt wurde, enthielt auch einen Paragraphen über das Tabakrauchen. Die Oberstudienräte bezeichneten dieses moderne Kulturlaster als »überaus schädlich für die Gesundheit und obendrein in hohem Grade kostspielig«, daher denn jeder Schüler der »Pflanzstätte« verpflichtet sei, ein Gelübde der Enthaltsamkeit abzulegen.

Die Wirkungen dieses Paragraphen waren der Art, daß ich der kompetenten Behörde, falls es ihr um die Förderung der Jugend ernstlich zu tun ist, den Vorschlag mache, künftighin folgende Ukase unter die Gesetzessammlung mit aufzunehmen:

»Die in hohem Grade zeitraubenden und gesundheitswidrigen Privatstudien sind jedem Schüler des Gymnasiums bei Relegation untersagt.«

»Das schweigsame Verhalten während der Lehrstunden zeugt von Stumpfsinn und wird daher dringlich verbeten.«

»Fortgesetzte Nüchternheit schädigt die Elastizität der Seele, wie schon der uralte christlich-germanische Wahlspruch beweist: ›Wer niemals einen Rausch gehabt …‹ Daher sich denn jeder Schüler mindestens dreimal wöchentlich im Zustande eines schönen, augenrollenden Wahnsinns befinden muß.«

Und so weiter.

Nach den bisherigen Erfahrungen würde man auf diesem Weg wahre Musterbilder von fleißigen, aufmerksamen und nüchternen Schülern erziehen.

Kein Kenner der einschlägigen Verhältnisse wird mir bestreiten, daß es nur das Verbot ist, was den Quartaner an die Regaliakiste und in die Kneipe führt. Ich weiß mich sehr wohl zu erinnern, daß ich ein stark gebrautes Lagerbier mit einer wahren Überwindung trank, denn es schmeckte mir heillos bitter, und eine Tasse gezuckerter Milch wäre mir hundertmal lieber gewesen: aber ich erblickte im Bier das Kriterium der Männlichkeit, und so bezwang ich mein Widerstreben und sündigte ohne jeden Genuß. Hätte man uns damals täglich drei Seidel als Pensum diktiert, ich hätte mich lieber einsperren lassen, als daß ich mich diesem Zwange in Demut gefügt hätte.

Noch entschiedener und allgemeiner gilt dies vom Rauchen. Mit wahrer Todesverachtung qualmten wir in Tertia unsere Zigarren – nur weil es verboten war! Keinem von uns wäre es im Traum beigefallen, eine so unerfreuliche Summe von Beschwerden und Üblichkeiten durchzumachen, wenn wir nicht aus jenem Gymnasial-Paragraphen die Überzeugung geschöpft hätten, es müsse dem Rauchen doch irgend ein verborgener Zauber innewohnen, der sich durch fortgesetztes Studium entdecken ließe. Das Rauchen der Gymnasiasten würde auf ganz bescheidene Dimensionen beschränkt werden, sobald jener verhängnisvolle Paragraph hinwegfiele. Man gebe die Sünde frei, – und sie hört auf, zu verlocken.

Die Epoche, in der ich am meisten gegen das Tabaksverbot frevelte, war mein Biennium in Quarta und Tertia. Wir hatten da unser sechs eine Art Tabakskollegium gegründet, das seine Sitzungen unter freiem Himmel abhielt. Durch den Wiesengrund am östlichen Ende der Stadt strömte ein Bach, von Erlen und anderem Dickicht umsäumt. Selten nur verirrte sich eines Menschen Fuß an dieses trauliche Ufer – und hier saßen wir geschart und ließen in feierlichem Ernste den Qualm unserer Zigarren zum Firmament aufsteigen. Mein Vater hatte damals von einem bösen Schuldner zweitausend Zigarren an Zahlungs Statt empfangen, die der Versicherung dieses Spekulanten zufolge unter Brüdern hundert Taler wert sein sollten, in Wirklichkeit aber ein so niederträchtiges Kraut waren, daß mein Vater sie schon auf den bloßen Geruch hin beiseite stellte. Da mir um jene Zeit jede, auch die beste Zigarre ganz abscheulich schmeckte, so waren mir diese Zahlungsobjekte trotz ihrer Verwerflichkeit äußerst willkommen. Vor Beginn unseres Tabakskollegiums füllte ich mir die Taschen und regalierte dann meine Genossen mit echten Havannas. Schwarz, der sich viel auf seine Kennerschaft zugute tat, wehte sich wiederholt mit den Fingern den Rauch in die Nase und sagte bedeutsam: »Ja, die Zigarre ist gut!« – »Ein feines Blatt«, fügte Knebel hinzu. Und nun rauchten wir mit wütender Vehemenz – etwa dreimal so schnell als ein erwachsener Durchschnittsraucher. – Knebel ward immer blässer und blässer, aber er lächelte in stoischem Gleichmut und wiederholte nur zuweilen mit halb verlöschender Stimme: »Wirklich, ein sehr feines Blatt! Aber schwer!« – Noch zwei Minuten, und der Ärmste ließ die Zigarre sinken, beugte sich über das Wasser und erbrach sich so heftig, daß ihm der Angstschweiß in großen Perlen auf die fiebernde Stirn trat.

Trotz unseres kollegialischen Mitleids war uns diese Katastrophe äußerst willkommen, denn sie bot uns die Möglichkeit, ohne ein Geständnis der eigenen Schwäche die Zigarren zu beseitigen und dem stöhnenden Knebel beizuspringen. Einer von uns trat weiter oberhalb an den Bach und tauchte sein Taschentuch in die rieselnde Flut, um Knebel die Schläfe zu kühlen. Ein zweiter und ein dritter faßten den Dulder bei den Armen; ein vierter klopfte ihm beschwichtigend auf den Rücken. Die Zigarrenstummel flogen ins Wasser; Knebel erholte sich, und stolz im Selbstgefühle einer männlichen Tat begab man sich auf den Heimweg.

Unterwegs blies man sich verschiedene Male den Atem ins Gesicht und fragte:

»Du, riecht man's?«

»Noch ziemlich …«

Dann wurde Gras gekaut oder ein Apfel verzehrt, denn auch die Eltern durften von unseren Orgien nichts wissen. Noch stundenlang trugen wir die Empfindung einer gewissen Üblichkeit mit uns herum. Ja, zuweilen, wenn Schwarz ein paar wirklich schwere Zigarren mitgebracht hatte, waren wir förmlich berauscht, und alles, was um uns vorging, machte uns den Eindruck eines beklemmenden Traumes …

Und doch ertrugen wir diese Leiden mit Genugtuung, – denn die herbe Frucht war verboten!

Auch die Furcht, »abgefaßt« zu werden, steigerte unser Mißgefühl. In Quarta und Tertia bebt man wie ein scheues Mädchen vor dem Gedanken, wegen irgend einer Freveltat »eingesponnen« zu werden. Bei mir persönlich kam noch hinzu, daß ich während des Jahres in Tertia um ein Prämium kandidierte; eine »Abfassung« wegen Rauchens hätte aber dieses Prämium im Keime erstickt.

Mit welcher Ängstlichkeit hielten wir selbst an dem verborgenen Strande des Wiesenbachs Umschau, ob nicht irgend ein bedrohlicher Wanderer nahe! Einmal überraschte uns der felder- und wälderdurchstreifende Registrator Bieler so jählings, daß wir gerade noch Zeit hatten, den Brand unserer Zigarren in die weiche Erde zu drücken. Der alte Herr schien nicht wenig befremdet, hier am einsamen Quell eine Reihe von Knaben zu finden, die sich nicht einmal Blumen zum Kranze wanden, sondern in sichtlicher Verlegenheit aufsprangen und die Mützen zogen.

»Was macht Ihr denn hier?« fragte er argwöhnisch.

»Wir krebsen«, gab Schwarz mit großer Schlagfertigkeit zur Antwort.

»So, gibt's hier Krebse? Und was brennt denn da drüben?«

»Ach da«, sagte Schwarz … »Wir haben vorhin ein kleines Pulvermännchen gemacht, und da glimmt das Papier noch.«

Der Registrator entfernte sich, ohne sich über die Glaubhaftigkeit dieser Bemerkung zu äußern. Tagelang schwebten wir in heilloser Angst, er möge uns denunzieren; denn der Quartaner lebt der Meinung, die ganze Welt sei gegen ihn verschworen, und die Bürgerschaft kenne kein höheres Interesse, als ihn anzuzeigen.

So ging die Sache in Quarta und Tertia. In Sekunda wurden wir bereits frecher. Des Abends nach Sonnenuntergang bummelten wir häufig mit brennender Zigarre durch die Stadt. Anfangs gebrauchten wir die Vorsicht, das glühende Ende mit der Hand zu bedecken; später ward auch diese Reserve kühn über Bord geworfen. So begab es sich denn nicht selten, daß ein Sekundaner wegen Tabakrauchens mit Strafe belegt wurde. Wenn ich meinesteils diesem Schicksal entging, so lag das nur daran, daß ich in Sekunda über die Freude am Rauchen so ziemlich hinaus war und nicht den vierten Teil so oft »blotzte«, als in Quarta und Tertia. Auch hatte ich, wenn ich extra muros gegen die Gymnasialgesetze sündigte, allzeit Glück.

Ein einziges Mal wurde ich als Sekundaner wegen öffentlichen Rauchens denunziert, aber nicht bei den Gymnasiallehrern, sondern bei dem Stadtprediger, der uns den Konfirmanden-Unterricht erteilte.

Dieser Mann, der sehr ehrwürdige Kirchenrat Doktor Philipp Jakob Engel, war in jeder Beziehung ein Original. Er hatte sich unter dem schwarzen Talar ein frisches, fröhliches Herz bewahrt. Nichts lag ihm ferner als Puritanertum und einseitiger Zelotismus. In der Weise des großen Doktor Martinus Luther genoß er sein Leben, – zum mindesten was Wein und Gesang betraf. Im Punkte des Weibes war er allerdings vom Schicksal mißhandelt, denn er hatte sich, vom Rausch der Minne verlockt, eine Wirtstochter aus Bromskirchen zur Gattin erkoren, die ihm das Dasein mehr mit Dornen als mit Rosen durchflocht. Er suchte dann in der feierlichen Stille des Wirtshauses Trost für die Leiden seiner Häuslichkeit. »Der Wind bläst heute wieder von Bromskirchen«, pflegte er den Stammgästen zuzurufen, und dann wußte man, daß der Kirchenrat nicht vor ein Uhr nachts den Heimweg antreten würde.

Doktor Engel leitete also den Konfirmanden-Unterricht, und zwar abwechselnd in dem einen Jahre den der Knaben und in dem anderen den der Mädchen. Ich hatte glücklicherweise ihn zum Seelsorger! Wer es irgend einrichten konnte, sparte sich für das Jahr Engels auf, denn das Joch dieses Gerechten war sanft und schmerzlos. Der Unterricht fand von elf bis zwölf statt. Kurz vor halb erschien der Herr Kirchenrat langsamen Schrittes im Lehrsaale, wandelte wohl noch fünf Minuten lang, in Gedanken verloren, auf und ab und begann dann mit einer kurzen Wendung, deren feierliches Phlegma gegen sein sonstiges Feuer wunderbar kontrastierte, die Gesangbuchverse zu überhören. Human wie er war, nahm er nie den geringsten Anstoß daran, daß man diese Gesangbuchverse einfach ablas. Nachdem die Aufgabe zur beiderseitigen Befriedigung erledigt war, schritt er an das Abfragen der Katechismussprüche, die wir ebenfalls ganz unverfroren vom Blatte wegstahlen.

»Nun, und was denkst Du Dir bei diesem Spruche?« forschte er dann wohl gelegentlich.

Der Schüler gab eine Antwort, die mit einem langsamen »Ganz gut!« belohnt wurde, wenn sie nur einigermaßen verdaulich war. Im andern Falle meinte der Kirchenrat, das lasse sich wohl hören, sei aber doch nicht so ganz richtig – und nun lieferte er mit salbungsvollem Behagen die korrekte Erklärung. Fünf Minuten vor drei Viertel sah er zum erstenmal auf die Uhr, zwei Minuten später zum zweitenmal. Um drei Viertel aber stemmte er die rundlichen Finger auf die Tischplatte und murmelte durch die Zähne:

»So, ich habe jetzt noch ein Amtsgeschäft, und da wollen wir's denn für heute gut sein lassen. Für das nächste Mal lernt Ihr mir den folgenden Vers und die folgenden Sprüche.«

Und hiermit verließ er das Lehrzimmer.

Was das für Amtsgeschäfte waren, die so regelmäßig um drei Viertel auf zwölf wiederkehrten, das habe ich nie in Erfahrung gebracht.

Bei diesem Kirchenrat, dessen echt christliche Milde aus der vorstehenden Schilderung zur Genüge erhellen wird, hatten mich einige der sogenannten Stadtschüler, auf die wir Gymnasiasten mit Verachtung herabsahen, wegen öffentlichen Rauchens angezeigt.

Als ich den Saal betrat, riefen sie mir triumphierend entgegen:

»Heute wird er Dich vornehmen!«

So recht behaglich war mir bei dieser Eröffnung, trotz Engels bekannter Nachsichtigkeit, nicht zumute. Doch beherrschte ich mich und gewärtigte mit stoischer Ruhe der Dinge, die da kommen sollten.

Der Kirchenrat erschien, wie üblich, kurz vor halb. Sein Antlitz hatte diesmal etwas ungewöhnlich Ernstes und Feierliches. Ja, ich glaubte einen Zug von Schmerz zu entdecken, der elegisch um die herabgezogenen Lippen spielte. So mußte der biblische Vater dreinschauen, wenn er des verlorenen Sohnes gedachte …

Gebeugten Hauptes schritt der Kirchenrat einige Male auf und ab. Dann blieb er stehen und rief mich beim Namen.

»Komm einmal heraus«, sagte er mit einer Stimme, die mir ein tiefes seelisches Weh zu atmen schien.

Die Stadtschüler rieben sich schmunzelnd die Hände.

Nicht ohne Verlegenheit trat ich zu dem Kirchenrate heran, der mich ein wenig abseits führte und mir dann mit gedämpfter Stimme ins Ohr raunte:

»Eh' ich's vergesse, sag' doch Deinem Herrn Vater, ich könnte morgen abend nicht zum L'Hombre-Kranz kommen.«

Frohe Enttäuschung!

»So,« fuhr er nun mit energisch dröhnender Stimme fort, »nun geh' auf Deinen Platz und vergiß nicht, was ich Dir gesagt habe!«

Es war der nachsichtigen und liebevollen Natur dieses Priesters unmöglich, irgend jemanden zu verletzen. So ignorierte er denn vollständig die schnöde Anzeige meiner Gegner und genügte nur in dieser wahrhaft klassischen Weise dem Dekorum.

In Prima wichen unsere Lehrer insoweit von dem Wortlaute des Gymnasialgesetzes ab, als sie ein Auge zudrückten, wenn die Schüler innerhalb ihrer vier Pfähle zur Zigarre oder zur Pfeife griffen. Nur das Rauchen auf der Straße war hier verboten. Aber gerade deshalb ward es mit Vorliebe kultiviert. Wäre es dem Gymnasiasten wirklich nur um das Kraut zu tun, so hätten wir unserem Rauchgelüste bei einer so milden Praxis hinlänglich fröhnen können: aber jetzt hatten die Zigarren im Hause ihren wesentlichen Reiz verloren. Die Sehnsucht des Primaners galt der öffentlich gerauchten Straßenzigarre. Einige von uns trieben die Sache so weit, daß sie vor dem Beginn der Lehrstunden in dem Schulsaale rauchten, was hin und wieder zu gräßlichen Untersuchungen führte, ohne daß jemals der Täter entdeckt worden wäre.

Als wir schließlich Studenten wurden, und der letzte Zwang wegfiel, da hingen sehr viele unserer Matadore das Rauchen überhaupt an den Nagel; wie denn zum Beispiel mein früherer Mitschüler, der Geheime Medizinalrat Dr. Schwarz in Hamburg, noch bis auf den heutigen Tag ein abgesagter Feind der Zigarre ist. Wenn ihm diese Zeilen hier zu Gesicht kommen, widmet er vielleicht meinen abscheulichen Tertianer-Glimmstengeln ein dankbares Lächeln der Erinnerung; denn ihnen schuldet er die erkleckliche Summe, die er jetzt infolge seines Nichtrauchens alljährlich zurücklegen oder für die Vervollständigung seiner humoristischen Bibliothek aufwenden kann.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
260 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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