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Kitabı oku: «Ligeia und andere Novellen», sayfa 6

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Ellison gedachte seinen ungeheuren Reichtum in der Verwirklichung einer derartigen Vision anzulegen – in der durch persönliche Überwachung seiner Anordnungen gebotenen Bewegung im Freien – in dem unbeschränkten Ziel, das diese Absichten boten, in dem vergeistigten Wesen dieses Ziels, in der Verachtung ehrgeizigen Strebens, die ihm dadurch ermöglicht wurde, in dem ewigen Lenz, mit dem dieses Ziel, ohne je zu übersättigen, seine Hauptleidenschaft, den Durst nach Schönheit, befriedigte; vor allem aber in der Sympathie eines nicht unweiblichen Weibes, deren Lieblichkeit und Liebe sein Dasein mit der purpurnen Atmosphäre des Paradieses umgeben; und er hoffte, Befreiung von den Alltagszielen der Menschheit zu finden, und er fand sie und eine weit größere Fülle positiven Glücks, als je in den überschwenglichen Wachträumen einer Staël glühte.

Ich bezweifle, daß ich dem Leser eine irgendwie klare Vorstellung der Wunder vermitteln kann, die mein Freund tatsächlich verrichtete. Ich möchte beschreiben, fühle mich aber von der Schwierigkeit der Beschreibung entmutigt und zögere zwischen Detaillierung und Verallgemeinerung. Der beste Weg ist vielleicht der, die beiden Extreme zu vereinigen.

Mr. Ellisons erster Schritt galt natürlich der Wahl einer Örtlichkeit, und kaum hatte er über diesen Punkt nachgedacht, als die üppige Naturpracht der Südsee-Inseln seine Aufmerksamkeit fesselte. Ja, er hatte schon beschlossen, eine Reise in die Südsee anzutreten, als die Überlegung einer Nacht ihn veranlaßte, die Idee aufzugeben. „Wäre ich ein Menschenfeind,“ sagte er, „so würde mir solch ein Ort gefallen. Die völlige Abgeschlossenheit und die Schwierigkeit des Hin- und Zurückgelangens wäre in solchem Falle der Reiz aller Reize; noch aber bin ich nicht Timon. Ich wünsche die Erholung, aber nicht das Bedrückende der Einsamkeit. Ich muß in gewissem Sinne den Grad und die Dauer meiner Zurückgezogenheit bestimmen können. Es mögen Stunden kommen, in denen ich das, was ich geleistet habe, der Sympathie poetischer Geister vorführen will. Ich werde daher einen Ort wählen, der nicht weit von einer volkreichen Stadt liegt, deren Nähe mir auch die Durchführung meiner Pläne am besten ermöglicht.“

Auf der Suche nach einem solchen Ort reiste Ellison mehrere Jahre umher, und mir war es erlaubt, ihn zu begleiten. Wohl tausend Plätze, von denen ich entzückt war, verwarf er aus Gründen, deren Richtigkeit ich jedesmal anerkennen mußte. Wir kamen schließlich zu einem erhöhten Tafelland von wundervoller Fruchtbarkeit und Schönheit, das einen Rundblick bot, der dem des Ätna an Ausdehnung sehr wenig nachstand und das nach Ellisons wie meiner Ansicht die weitberühmte Aussicht jenes Berges in allen wesentlichen Elementen des Malerischen überragte.

„Ich bin mir bewußt,“ sagte der Reisende mit einem Seufzer tiefen Entzückens, nachdem er die Szene wohl eine Stunde lang bezaubert betrachtet hatte, „ich weiß, daß neun Zehntel der wählerischsten Männer an meiner Stelle hier befriedigt sein würden. Dieses Panorama ist in der Tat herrlich, und ich würde davon hingerissen sein, wenn es nicht übertrieben herrlich wäre. Der Geschmack aller mir bekannten Baumeister veranlaßt sie, der ‚Aussicht‘ wegen, ihre Häuser auf eine Höhe zu stellen. Der Irrtum ist klar. Größe in jeder Form, besonders aber als Ausdehnung, bringt Überraschung, Erregung – und ermüdet dann, drückt nieder. Als gelegentliche Szene kann es nichts Besseres geben – zum dauernden Anblick nichts Schlimmeres. Und zum dauernden Anblick ist die unzulässigste Art der Größe die der Ausdehnung, des weiten Raumes. Sie steht mit dem Gefühl, dem Sinn für Zurückgezogenheit auf dem Kriegsfuß – dem Sinn, den wir zu befriedigen suchen, wenn wir uns ‚auf das Land zurückziehen‘. Wenn wir vom Gipfel eines Berges um uns blicken, so fühlen wir uns unwillkürlich verloren in der Welt. Die tief melancholischen Seelen meiden einen weiten Blick wie die Pest.“

Nicht vor Ende des vierten Jahres unsrer Suche fanden wir eine Gegend, mit der Ellison sich einverstanden erklärte. Es ist natürlich überflüssig, zu sagen, wo diese Gegend lag. Der kürzlich erfolgte Tod meines Freundes, der seine Besitzung für gewisse Kreise von Besuchern erschloß, hat Arnheim zu einer heimlichen und gedämpften, wenn nicht traurigen Berühmtheit verholfen, ähnlich – allerdings in unendlich höherem Grade – wie es mit dem so lang verehrten Fonthill gegangen ist.

Der übliche Weg nach Arnheim war der Fluß. Der Besucher verließ die Stadt am frühen Morgen. Im Laufe des Vormittags glitt er zwischen Ufern voll stiller, ländlicher Schönheit dahin, auf denen zahllose Schafe weideten, deren weißes Fell das strahlende Grün der vorüberziehenden Wiesen sprenkelte. Nach und nach wirkte die Landschaft weniger bebaut, als lediglich mit Sorgfalt gepflegt. Das wandelte sich allmählich in Verlassenheit – diese wieder in völlige Abgeschiedenheit. Als der Abend kam, wurde der Kanal enger, die Ufer erhoben sich steiler und waren mit üppigem, dunklem Laubwuchs bedeckt. Das Wasser wurde durchsichtig. Der Fluß machte tausend Windungen, so daß man seine schimmernde Fläche nur immer eine kurze Strecke weit überschauen konnte. Jeden Augenblick war es, als befinde sich das Schiff in einem Zauberkreis aus undurchdringlichen Laubwänden, einer Decke von tiefblauer Seide und – keinem Boden, da der Kiel mit staunenswerter Geschicklichkeit auf dem eines andern gespenstischen Bootes zu balanzieren schien, das, zufällig kieloben treibend, die beständige Begleitung und gewissermaßen der Halt des wirklichen Bootes zu sein schien. Der Kanal wurde jetzt zu einer Schlucht – die Bezeichnung ist allerdings etwas unangebracht, und ich gebrauche sie nur, weil die Sprache kein Wort hat, das diesen auffälligsten Zug der Landschaft kennzeichnet. Der Charakter einer Schlucht wurde nur durch die Höhe und Gleichmäßigkeit beider Ufer gegeben; in allem andern war keine Ähnlichkeit zu spüren. Die Wände der Schlucht (durch die das Wasser weiter still dahinfloß) erreichten eine Höhe von hundert und gelegentlich hundertfünfzig Fuß und neigten sich einander soweit zu, daß sie das Tageslicht wesentlich abdämpften, während das lange flaumige Moos, das in dichten Büscheln vom verflochtenen Strauchwerk oben herniederhing, der ganzen Kluft eine trauernde Düsterkeit verlieh. Die Windungen wurden häufiger und verworrener und schienen oft wieder nach rückwärts zu führen, so daß der Reisende längst nicht mehr die Richtung kannte. Überdies fühlte er mit Entzücken die Seltsamkeit seiner Umgebung. Freilich, Natur war es noch immer, aber sie war beeinflußt worden. Da war eine zauberhafte Symmetrie, eine packende Gleichmäßigkeit, eine märchenhafte Sauberkeit hier in ihren Werken. Nicht ein totes Zweiglein – nicht ein welkes Blatt – nicht ein verirrter Kiesel – nicht ein Fleckchen nackter Erde war zu sehen. Das kristallklare Wasser wellte an dem sauberen Granit oder dem fleckenlosen Moos empor in einer so ebenmäßigen Grenzlinie, daß es das Auge entzückte und bestürzte.

Hatte man die Irrgänge dieses Kanals einige Stunden lang durchzogen, während die Dämmerung immer mehr zunahm, so brachte eine scharfe und plötzliche Wendung das Boot wie vom Himmel gefallen in ein rundes Becken von ansehnlichen Ausmaßen, mit denen der Schlucht verglichen. Es hatte etwa zweihundert Meter Durchmesser und war bis auf eine einzige Stelle, die dem Boot bei seinem Eintritt genau gegenüber lag, von Hügeln eingefaßt, deren Höhe den Mauern der Schlucht entsprach, die aber ganz anders in der Anlage waren. Sie glitten in einem Winkel von etwa vierzig Grad zum Wasser herunter, und diese Hänge waren von unten bis oben – ohne den kleinsten Zwischenraum – mit den prächtigsten Blüten geschmückt; kaum ein grünes Blättchen war in dem Meer duftender Farben und flutender Blütensterne zu sehen. Dieses Becken war von großer Tiefe; das Wasser war aber so durchsichtig, daß der Boden, der aus einer dichten Menge kleiner, runder Alabasterkiesel zu bestehen schien, gelegentlich deutlich sichtbar wurde, das heißt immer dann, wenn das Auge es fertig brachte, nicht tief unten im umgekehrten Himmel das verdoppelte Blühen der Hügel wahrzunehmen. Auf diesen gab es weder Bäume noch Sträucher irgendwelcher Größe. Der Eindruck für den Beschauer war Fülle, Wärme, Farbe, Ruhe, Gleichmäßigkeit, Sanftheit, Zartheit, Vornehmheit, Üppigkeit und ein so wundervolles Übermaß von Pflege, daß man träumen mochte, das Geschlecht der Feen, der fleißigen, geschmackvollen, prunkliebenden und stolzen Feen sei auferstanden; wenn aber der Blick von der scharfen Wassergrenze des myriadengetönten Hanges zu seiner in niedrig ziehenden Wolken verschwimmenden Höhe schweifte, so war es wirklich schwer, nicht an einen stürzenden Wasserfall von Rubinen, Saphiren, Opalen und goldschimmernden Onyxen zu denken, der schweigend aus dem Himmel niederstürzte.

Der Besucher, der plötzlich aus dem Dämmer der Schlucht in diese Bucht herausgleitet, ist entzückt und überrascht, den vollen Ball der untergehenden Sonne zu erblicken, die er längst tief unter dem Horizont glaubte, die ihm nun aber gegenübersteht und den einzigen Abschluß eines andernfalls unbegrenzten Ausblicks durch einen andern schluchtartigen Einschnitt in den Hügeln bildet.

Hier aber verläßt der Reisende das Schiff, das ihn soweit getragen hat, und besteigt ein leichtes Boot aus Elfenbein, das innen wie außen mit Arabesken in Scharlachrot geziert ist. Bug und Hinterteil des Bootes heben sich in scharfer Spitze hoch aus dem Wasser, so daß die Form des Ganzen ein unregelmäßiger Halbmond ist. Mit der stolzen Anmut des Schwanes wiegt es sich auf dem Spiegel der Bucht.

Auf seinem hermelinbelegten Boden ruht ein einziges leichtes Ruder aus Atlasholz; doch kein Ruderer oder Begleiter ist zu sehen. Der Gast wird gebeten, sich vertrauensvoll darauf zu verlassen, daß das Schicksal ihn behüten wird. Der größere Kahn verschwindet, und er bleibt allein in dem Boot zurück, das anscheinend unbeweglich mitten im See liegt. Während er überlegt, welchen Kurs er nehmen soll, spürt er jedoch, daß das Feenboot sich sacht bewegt. Es schwingt sich langsam herum, bis sein Bug zur Sonne weist.

Es bewegt sich mit sanfter, aber zunehmender Schnelligkeit voran, und das leichte Wellenkräuseln umtanzt die elfenbeinernen Bootswände wie mit himmlischen Melodien – und gibt jedenfalls die einzige Erklärung für die schmeichelnde, doch schwermütige Musik, nach deren unsichtbarem Ursprung der bestürzte Reisende vergeblich um sich blickt.

Das Boot rückt stetig voran, und das Felsentor der Durchsicht rückt näher, so daß man deutlicher in seine Tiefen spähen kann. Rechts erhebt sich eine Kette wild und üppig bewaldeter Höhen. Immer aber kann man sehen, daß die köstliche Sauberkeit des Ufers dort, wo es ins Wasser taucht, erhalten bleibt. Nicht ein Zeichen des an Flußufern sonst üblichen Verfalls ist wahrzunehmen. Nach links ist die Szene sanfter, und das Künstliche ist stärker betont. Hier schwingt sich das Ufer in sehr sanfter Steigung vom Fluß empor und bildet eine breite Rasenfläche, die nur mit Sammet zu vergleichen ist und ein so strahlendes Grün aufweist, daß es mit dem reinsten Smaragd wetteifert. Dieses „Plateau“ hat eine wechselnde Breite von zehn zu dreihundert Metern und reicht vom Ufer bis zu einer Mauer, die in unzähligen Kurven dahinzieht, im allgemeinen aber dem Flußlauf folgt, bis sie sich nach Westen in der Ferne verliert. Diese Mauer besteht aus einem zusammenhängenden Fels und ist dadurch entstanden, daß man den einst zerklüfteten Hang des südlichen Flußufers senkrecht abschnitt; doch nicht die kleinste Spur dieser Arbeit ist mehr zu sehen. Der gemischte Stein ist altersgrau und ist verschwenderisch mit Efeu, korallenrotem Geisblatt, der wilden Rose und Klematis behangen und umwuchert. Die Gleichmäßigkeit der oberen und unteren Abschlußlinie der Mauer wird durch Bäume von gigantischer Größe erreicht, die vereinzelt oder in Gruppen auf dem „Plateau“ oder im Bereich hinter der Mauer, aber immer dicht neben ihr stehen, so daß zuweilen die Äste (besonders jene der schwarzen Walnuß) herübergreifen und ihre hängenden Spitzen ins Wasser tauchen. Weiter hinten ist das eingeschlossene Gebiet von undurchdringlichem Laubwerk verhüllt.

Diese Dinge bemerkt man, während das Boot der Stelle immer näher kommt, die ich das Tor der Durchsicht genannt habe. Je mehr man sich ihm nähert, desto mehr verschwindet das Zauberhafte daran; nach links öffnet sich ein neuer Abfluß aus der Bucht, und in dieselbe Richtung scheint auch die Mauer sich zu ziehen, die immer noch den Flußlauf begleitet. Weit kann das Auge nicht in diese neue Flucht hinunterspähen, denn das von der Mauer begleitete Wasser biegt wiederum nach links ab, bis beide im Laubdach verschwinden.

Das Boot aber gleitet wie durch Zauberkraft in den gewundenen Kanal, und hier zeigt das der Mauer gegenüberliegende Ufer Ähnlichkeit mit dem vorhin beschriebenen Ufer. Hohe Hügel, die sich gelegentlich zu Bergen erheben und eine üppige, wilde Vegetation tragen, schließen die Szene ein.

Das Boot gleitet sanft, aber mit zunehmender Geschwindigkeit dahin, bis nach vielen kurzen Drehungen der Reisende seinen Weg von einem gigantischen Tor oder vielmehr einer vergoldeten, überreich zierlichen Tür gehemmt sieht, die den vollen Strahlen der jetzt schnell sinkenden Sonne ein so glänzender Spiegel ist, daß der ganze umliegende Wald in Flammen zu stehen scheint. Dieses Tor ist in die hohe Mauer eingelassen, die den Fluß hier scheinbar rechtwinklig kreuzt. Nach kurzer Zeit allerdings sieht man, daß der Hauptstrom des Wassers noch immer in sanftem und gedehntem Bogen nach links gleitet, wie zuvor der Mauer folgend, während eine nicht unbeträchtliche Strömung sich von dem Hauptarm abzweigt und leise kräuselnd unter dem Tor den Blicken entschwindet. Das Boot fällt in den kleinen Kanal und nähert sich dem Tor. Seine weitausladenden Flügel dehnen sich langsam und sanft erklingend. Das Boot gleitet hindurch und fliegt eilig einem ungeheuren Amphitheater zu, das vollständig von purpurnen Bergen umschlossen ist, deren Füße ein schimmernder Fluß umspült. Und nun zeigt sich den Blicken urplötzlich das ganze Paradies Arnheim. Eine bezaubernde Melodie rauscht auf; ein seltsam süßes Duften umschmeichelt die Sinne, – und traumgleich erstehen vor dem Auge hohe, schlanke Zypressen, laubenartiges Gesträuch, Scharen goldener und scharlachroter Vögel, lilienumsäumte Teiche, Wiesen voller Veilchen, Tulpen, Mohn, Hyazinthen und Tuberosen, lange, gewundene, silberne Wasserläufe und mitten aus alledem phantastisch emporstrebend ein halb gotisches, halb maurisches Bauwerk, das wie durch Wunderkraft frei in der Luft zu schweben scheint, im roten Sonnenglanz mit hundert Erkern, Minaretten und Zinnen erglitzert und vermuten läßt, es sei ein Geisterwerk der Sylphen, Feen, Genien und Gnomen.

GEDICHTE

DER RABE

 
Einst in dunkler Mittnachtstunde, als ich in entschwundner Kunde
Wunderlicher Bücher forschte, bis mein Geist die Kraft verlor
Und mir’s trübe ward im Kopfe, kam mir’s plötzlich vor, als klopfe
Jemand zag ans Tor, als klopfe – klopfe jemand sacht ans Tor.
Irgendein Besucher, dacht’ ich, pocht zur Nachtzeit noch ans Tor —
Weiter nichts. – So kam mir’s vor.
 
 
O, ich weiß, es war in grimmer Winternacht, gespenstischen Schimmer
Jagte jedes Scheit durchs Zimmer, eh es kalt zu Asche fror.
Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst war’s, Trost zu borgen
Aus den Büchern für das Sorgen um die einzige Lenor,
Um die wunderbar Geliebte – Engel nannten sie Lenor —
Die für immer ich verlor.
 
 
Die Gardinen rauschten traurig, und ihr Rascheln klang so schaurig,
Füllte mich mit Schreck und Grausen, wie ich nie erschrak zuvor.
Um zu stillen Herzens Schlagen, sein Erzittern und sein Zagen,
Mußt’ ich murmelnd nochmals sagen: „Ein Besucher klopft ans Tor. —
Ein verspäteter Besucher klopft um Einlaß noch ans Tor“,
Sprach ich meinem Herzen vor.
 
 
Alsobald ward meine Seele stark und folgte dem Befehle.
„Herr“, so sprach ich, „oder Dame, ach, verzeihen Sie, mein Ohr
Hat Ihr Pochen kaum vernommen, denn ich war schon schlafbenommen,
Und Sie sind so sanft gekommen – sanft gekommen an mein Tor;
Wußte kaum den Ton zu deuten …“ Und ich sperrte auf das Tor: —
Nichts als Dunkel stand davor.
 
 
Starr in dieses Dunkel spähend, stand ich lange, nicht verstehend,
Träume träumend, die kein irdischer Träumer je gewagt zuvor;
Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen
Keine Zeichen, und gesprochen ward nur zart das Wort „Lenor“ —
Zart von mir gehaucht, – wie Echo flog zurück das Wort „Lenor“.
Nichts als dies vernahm mein Ohr.
 
 
Wandte mich zurück ins Zimmer, und mein Herz erschrak noch schlimmer,
Da ich wieder klopfen hörte, etwas lauter als zuvor.
„Sollt ich“, sprach ich, „mich nicht irren, hörte ich’s am Fenster klirren;
O, ich werde bald entwirren dieses Rätsels dunklen Flor;
Herz, sei still, ich will entwirren dieses Rätsels dunklen Flor;
Wind wohl machte den Rumor.“
 
 
Hastig stieß ich auf die Schalter – flatternd kam herein ein alter,
Stattlich großer, schwarzer Rabe, wie aus heiliger Zeit hervor;
Machte keinerlei Verbeugung, keine kleinste Dankbezeigung,
Flog mit edelmännischer Neigung zu dem Pallaskopf empor,
Grade über meiner Türe auf den Pallaskopf empor —
Saß – und still war’s wie zuvor.
 
 
Doch das wichtige Gebaren dieses schwarzen Sonderbaren
Löste meines Geistes Trauer, und ich schalt ihn mit Humor:
„Alter, schäbig und geschoren, sprich, was hast du hier verloren?
Niemand hat dich herbeschworen aus dem Land der Nacht hervor.
Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer aus Plutonischem Land hervor?“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
Daß er sprach so klar verständlich – ich erstaunte drob unendlich,
Kam die Antwort mir auch wenig sinnvoll und erklärend vor.
Denn noch nie war dies geschehen: über seiner Türe stehen
Hat wohl keiner noch gesehen solchen Vogel je zuvor —
Über seiner Stubentüre auf der Büste je zuvor,
Mit dem Namen „Nie du Tor.“
 
 
Doch ich hört’ in seinem Krächzen seine ganze Seele ächzen,
War auch kurz sein Wort und brachte er auch nichts als dieses vor.
Unbeweglich sah er nieder, rührte Kopf nicht, noch Gefieder,
Und ich murrte murmelnd wieder: „Wie ich Freund und Trost verlor,
Werd’ ich morgen ihn verlieren – wie ich alles schon verlor.“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
Seine schroff gesprochnen Laute klangen passend, daß mir graute.
„Aber“, sprach ich, „nein, er plappert nur sein einzig Können vor,
Das er seinem Herrn entlauschte, dessen Pfad ein Unstern rauschte,
Bis er letzten Mut vertauschte gegen trüber Lieder Chor —
Bis er trostlos trauerklagte in verstörter Lieder Chor
Mit dem Kehrreim: ‚Nie du Tor.‘“
 
 
Da der Rabe das bedrückte Herz zu lächeln mir berückte,
Rollte ich den Polsterstuhl zu Büste, Tür und Vogel vor,
Sank in Samtsitz, nachzusinnen, Traum mit Träumen zu verspinnen
Über solchen Tiers Beginnen: was es wohl gewollt zuvor —
Was der alte ungestalte Vogel wohl gewollt zuvor
Mit dem Krächzen: „Nie du Tor.“
 
 
Saß, der Seele Brand beschwichtend, keine Silbe an ihn richtend,
Seine Feueraugen wühlten mir das Innerste empor.
Saß und kam zu keinem Wissen, Herz und Hirn schien fortgerissen,
Lehnte meinen Kopf aufs Kissen lichtbegossen – das Lenor
Pressen sollte – lila Kissen, das nun nimmermehr Lenor
Pressen sollte wie zuvor!
 
 
Dann durchrann, so schien’s, die schale Luft ein Duft aus Weihrauchschale
Edler Engel, deren Schreiten rings vom Teppich klang empor.
„Narr!“ so schrie ich, „Gott bescherte dir durch Engel das begehrte
Glück Vergessen: das entbehrte Ruhen, Ruhen vor Lenor!
Trink, o trink das Glück: Vergessen der verlorenen Lenor!“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
„Weiser!“ rief ich, „sonder Zweifel Weiser! – ob nun Tier, ob Teufel —
Ob dich Höllending die Hölle oder Wetter warf hervor,
Wer dich nun auch trostlos sandte oder trieb durch leere Lande
Hier in dies der Höll’ verwandte Haus – sag, eh ich dich verlor:
Gibt’s – o gibt’s in Gilead Balsam? – Sag mir’s, eh ich dich verlor!“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
„Weiser!“ rief ich, „sonder Zweifel Weiser! – ob nun Tier, ob Teufel —
Schwör’s beim Himmel uns zu Häupten – schwör’s beim Gott, den ich erkor;
Schwör’s der Seele so voll Grauen: soll dort fern in Edens Gauen
Ich ein strahlend Mädchen schauen, die bei Engeln heißt Lenor —
Sie, die Himmlische, umarmen, die bei Engeln heißt Lenor?“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
„Sei dies Wort dein letztes, Rabe oder Feind! Zurück zum Grabe!
Fort! zurück in Plutons Nächte!“ schrie ich auf und fuhr empor.
„Laß mein Schweigen ungebrochen! Deine Lüge, frech gesprochen,
Hat mir weh das Herz durchstochen. – Fort, von deinem Thron hervor!
Heb dein Wort aus meinem Herzen – heb dich fort, vom Thron hervor!“
Sprach der Rabe: „Nie du Tor.“
 
 
Und der Rabe rührt sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer
Auf der blassen Pallasbüste, die er sich zum Thron erkor.
Seine Augen träumen trunken wie Dämonen traumversunken;
Mir zu Füßen hingesunken droht sein Schatten tot empor.
Hebt aus Schatten meine Seele je sich wieder frei empor? —
Nimmermehr – o, nie du Tor!