Kitabı oku: «Das Lebenselixier», sayfa 10
Kapitel XXI
Am nächsten Tag, nachdem der letzte meiner Patienten, denen die Morgenstunden gewidmet waren, meine Praxis verlassen hatte, wurde ich mit höchster Eile zu dem Verwalter des nicht auf seinem Familiengut lebenden Sir Philipp Derval gerufen, der ungefähr fünf Meilen von L... entfernt wohnte. Es kam eigentlich nur selten vor, dass mich Personen niedereren Ranges auf eine solche Entfernung rufen ließen; aber ich hatte es mir zum Grundsatz gemacht, jedem Ruf Folge zu leisten, da ich meinen Beruf nicht rein um des Gewinnes willen, sondern in der Absicht ausübte, meinen Mitmenschen Hilfe leisten zu wollen; die Bezahlung betrachtete ich nur als ein zufälliges, nicht als ein wesentliches Moment. Der Bote erklärte den Fall als dringend. Ich bestieg deshalb mein Pferd und ritt hinaus; als ich aber durch das Dorf trabte, das an Sir Philipp Derval´s Park angrenzte, fiel mir die sichtliche Sorgfalt auf, mit der auf die Unterbringung der ländlichen Bevölkerung Bedacht genommen worden war. Ich fühlte, dass ich mich auf dem Grund und Boden eines reichen, intelligenten und wohlwollenden Gutsherrn befand. Als ich jedoch in den Park gelangte und an dem Herrenhaus vorbeikam, wirkte der Kontrast zwischen der Vernachlässigung und dem Verfall der stattlichen Wohnung des Abwesenden und den lachenden Häuschen der Dorfbewohner trostlos und traurig.
Ein imponierendes Gebäude, augenscheinlich nach einem Plan von Vanbrugh hergestellt, mit verzierten Wandpfeilern, einem stolzen Säulengang, einem großartigen Perron (doppelte Treppenflucht vor dem Eingang) und einem Schmuck aus Urnen und Statuen, die sich aber verfärbt, mit Flechten überzogen und beschädigt halb unter Efeu und anderen ungepflegten Schlingpflanzen verbargen. Die meisten Fenster waren mit Jalousien, die aus Mangel an Farbe verwitterten, verschlossen, an einigen Fensterflügeln waren die Scheiben zerschlagen und der Pfau saß auf einer zerschmetterten Balustrade, welche den von Unkraut überwucherten Garten abgrenzte. Die Sonne brannte heiß und grell auf den Platz und ließ seinen verfallenen Zustand noch trauriger erscheinen. Ich war froh, als eine Biegung des Parkwegs das Haus meinem Anblick entzog. Plötzlich tauchte ich aus einer Gruppe von alten Eiben auf und vor mir schimmerte, in blendendem Weiß, ein Bau, der offensichtlich als Familienmausoleum bestimmt war - mit klassischen Umrissen. In eine Nische der dicken Mauer war eine eiserne Türe eingelassen und umgeben von einem mit Rosen und Immergrün bewachsenen Friedhofsgarten, der durch ein eisernes, teilweise vergoldetes Geländer eingefasst war.
Die Plötzlichkeit, mit der dieses Haus des Todes vor meinen Augen auftauchte, steigerte den unheimlichen Eindruck, den der Anblick des verlassenen Gebäudes und seiner Umgebung auf mich gemacht hatte, fast zu einem Schmerz, wenn nicht zu einer Art Ehrfurcht. Ich gab meinem Pferd die Sporen und erreichte bald die Türe meines Patienten, der am anderen Ende des Parks ein hübsches Backsteinhaus bewohnte.
Ich fand den Kranken, ein in Jahren etwas vorgerückter Mann von kräftiger Statur, im Bett liegend vor; er war vor einigen Stunden zusammengebrochen und man hatte einen Schlaganfall vermutet; er war aber schon wieder bei Besinnung und außer unmittelbarer Gefahr. Nachdem ich einige einfache Arzneistoffe verschrieben hatte, nahm ich die Frau des Patienten bei Seite und begab mich mit ihr in das ein Stockwerk tiefer gelegene Wohnzimmer hinunter, um ihr einige Fragen über die gewohnte Lebensweise ihres Mannes zu stellen. Diese zeigte keinerlei Auffälligkeiten; ich konnte keinen Grund für den Anfall finden, welcher Symptome zeigte, die mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen waren.
„Hat Ihr Mann schon früher solche Anfälle gehabt?“
„Nie.“
„Ist vielleicht etwas Ungewöhnliches vorgefallen? Hat er eine unerwartete Nachricht erhalten oder ist ihm etwas zugestoßen, was ihn außer Fassung brachte?“
Die Frau sah mich bei diesen Fragen sehr verstört an. Ich drang schärfer in sie. Endlich brach sie in Tränen aus, fasste mich bei der Hand und sagte:
„Oh Doktor, ich muss es Ihnen schon sagen, denn ich habe ja eben deswegen zu Ihnen geschickt; aber ich fürchtete, Sie werden mir nicht glauben. Mein guter Mann hat einen Geist gesehen!“
„Einen Geist?“ versetzte ich, ein Lächeln unterdrückend. „Tja dann, so erzählen Sie mir Alles, damit ich der Wiederkehr dieses Geistes vorbeugen kann.“
Die Frau holte sehr weit aus mit ihrer Geschichte; sie enthielt im Wesentlichen folgendes: Ihr Mann, der an ein frühes Aufstehen gewöhnt war, hatte an jenem Morgen früher als sonst sein Bett verlassen, um wegen einiger Stücke Vieh, die auf einen benachbarten Markt zum Verkauf geschickt werden sollten, die nötigen Anweisungen zu erteilen. Eine Stunde später fand ihn ein Schäfer unweit des Mausoleums offensichtlich in leblosem Zustand. Man brachte ihn zurück zum Haus, wo er, sobald er seine Sprache wieder gewonnen hatte, alle, mit Ausnahme seiner Frau aufforderte, das Zimmer verlassen; er erzählte ihr darauf, wie er auf seinem Weg durch den Park zu den Viehställen vor der eisernen Türe des Mausoleums etwas gesehen habe, was anfangs wie ein blasses Licht wirkte. Als er sich näherte, verwandelte sich dieses Licht in die deutlich sichtbare Gestalt seines Herrn, des Sir Philipp Derval, der sich damals im Ausland - vermutlich im Orient - befand, wo er sich viele Jahre aufgehalten hatte. Der Eindruck auf den Geist des Verwalters war so lebhaft gewesen, dass er ausrief: „Oh, Sir Philipp!“ als er aber schärfer hinsah, bemerkte er, dass das Gesicht wie das einer Leiche wirkte. Während er, unfähig sich zu bewegen, die Erscheinung anstarrte, schien sie allmählich zurückzuweichen, als ob sie in dem Grabgewölbe selbst verschwinde. Von diesem Zeitpunkt an konnte er sich an nichts mehr erinnern; er war bewusstlos zusammengebrochen. Der Schrecken über diese seltsame Mitteilung hatte die arme Frau bewogen, statt nach dem Dorfbader, nach mir zu schicken, weil sie meinte, da dem Anfall ihres Mannes eine so erstaunliche Ursache zu Grunde gelegen habe, könne er nur durch einen Arzt, der im Ruf einer höheren Qualifikation stand, richtig behandelt werden. Auch wolle der Verwalter selbst nichts von dem aus der Umgebung stammenden Dorfdoktor wissen, der ihn bei dem Landvolk ins Gerede bringen konnte, was bei einem weiter entfernt wohnenden Arzt nicht so zu befürchten war.
Ich hütete mich sehr wohl, mir das Vertrauen der guten Frau dadurch zu verscherzen, dass ich vorschnell meinen Unglauben an das Phantom äußerte, das ihr Mann gesehen zu haben versicherte. Da mir aber das Ganze entschieden auf eine epileptische Natur des Anfalls hinzudeuten schien, begann ich ihr von ähnlichen Illusionen zu erzählen, die mir im Bereich meiner Erfahrungen mit Fallsüchtigen begegnet waren und beruhigte sie schließlich mit meiner Überzeugung, dass die Erscheinung sich bestimmt auf natürliche Ursachen zurückführen lasse. Ich lenkte dann das Gespräch auf Sir Philipp Derval, weniger aus Neugierde, als vielmehr in der Absicht, die Frau daran zu gewöhnen, dass sie sich das Bild des fernen Gutsherrn als das eines lebenden Menschen vergegenwärtige. Der Verwalter hatte schon im Dienst von Sir Philipps Vater gestanden und Sir Philipp als Kind gekannt. Er hing mit großer Anhänglichkeit an seinem Herrn, den die Frau als äußerst wohlwollend, aber auch als exzentrischen Mann schilderte, was, wie sie meinte, auf seine vielen Studien zurückzuführen sei. Er hatte den Titel und das Gut als Minderjähriger angetreten und nach seiner Volljährigkeit einige Jahre viel in der Gesellschaft verkehrt, indem er sein Haus Derval-Court mit lebensfrohen Gästen füllte und sie mit verschwenderischer Gastlichkeit bewirtete. Der Grundbesitz stand jedoch nicht im Verhältnis zu der Großartigkeit des Herrenhauses und vermochte mit seinem Ertrag den Aufwand des Eigentümers nicht zu decken. Er geriet in große Verlegenheit. Gerüchten zufolge resultierte aus seinen finanziellen Schwierigkeiten die Beendigung einer Liebesbeziehung und er änderte nun plötzlich seine Lebensweise, indem er sich von seinen alten Freunden zurückzog und in seiner Abgeschiedenheit Zuflucht zu Büchern, wissenschaftlichen Beschäftigungen und „anderem sonderbaren Zeug“, wie sich die alte Frau unbestimmt, aber doch sehr bezeichnend ausdrückte, nahm. Durch strenge Sparsamkeit gegen sich selbst, die jedoch in vernünftigem Maße Edelmut gegen Andere nicht ausschloss, war es ihm allmählich gelungen, sich aus seinen Schulden heraus zu wirtschaften. Wieder zu Wohlstand gekommen, verließ er plötzlich das Land und begab sich auf Reisen. Er war inzwischen ungefähr achtundvierzig Jahre alt, wovon er die letzten achtzehn Jahre fern seiner Heimat verbracht hatte. Er schrieb regelmäßig an seinen Verwalter und erteilte ihm ausführliche und umsichtige Weisungen, wie er für die Beschäftigten und eine gute Unterbringung derselben Sorge tragen solle, verbot ihm aber aufs Entschiedenste, Geld für das Herrenhaus und dessen Garten zu verschwenden. Als Grund hierfür gab er an, dass er beabsichtige, nach seiner Rückkehr das Gebäude abreißen zu lassen.
Ich hielt mich in dem Haus des Kranken etwas länger auf, als unbedingt notwendig gewesen wäre. Ich verließ es erst, nachdem der Kranke eine Zeitlang ruhig geschlafen hatte und sein Bett mit seinem Armsessel vertauscht hatte, einige Nahrung zu sich genommen und als ich mich entfernte, sich von seinem Anfall wieder vollkommen erholt zu haben schien.
Auf dem Heimweg machte ich mir Gedanken über den Unterschied, den die Erziehung bei unterschiedlichen Menschen selbst in pathologischer Hinsicht bedingt. Da war nun ein muskulöser, an die gesundeste Lebensweise gewohnter Landbewohner, der nichts von den Fähigkeiten wusste, die wir Einbildungskraft nennen, durch den Schrecken über eine optische Täuschung fast an den Rand des Grabes gebracht worden, die sich bei näherer Prüfung wohl aus denselben einfachen Ursachen erklären ließ, welche am Abend vorher für einen Augenblick auf mich den Eindruck gemacht hatten, als höre ich ein Geräusch und sehe ein Gespenst – auf mich, der, Dank einer besseren Ausbildung, sich einige Minuten später ruhig zum Schlafen niederlegte, in der festen Überzeugung, dass kein Phantom, selbst das gespenstischste nicht, das je ein Auge gesehen oder ein Ohr vernommen habe, etwas anderes sein kann, als das Produkt einer Störung des Nervensystems.
Kapitel XXII
An jenem Abend besuchte ich Mrs. Poyntz; es war einer ihrer üblichen „Empfangsabende“ und ich wusste, sie würde voraussetzen, dass ich es für meine Pflicht halten würde, es an einer „gebührenden Aufwartung“ nicht werde fehlen lassen.
Um die Dame des Hauses war eine Gruppe in allgemeiner Unterhaltung versammelt; sie saß wie gewöhnlich im Mittelpunkt und strickte – schnell, wenn sie sprach, langsam, wenn sie zuhörte.
Ohne den Besuch zu erwähnen, den ich am Morgen gemacht hatte, lenkte ich das Gespräch auf die verschiedenen Adelssitze in der Nachbarschaft und warf dabei gleichzeitig die Frage ein, um was für einen Mann es sich bei Sir Philipp Derval handle, indem ich gleichzeitig mein Bedauern äußerte, dass er einen so schönen Platz verfallen lasse. Die Antworten, die ich erhielt, brachten mir nicht viel mehr, als ich ohnehin schon erfahren hatte. Mrs. Poyntz wusste von Sir Derval nur so viel, dass er schöne Besitzungen habe, deren Ertrag durch eine Erhöhung des Werts seiner Grundstücke in L..., welche in unmittelbar Nähe des Besitzes ihres Gatten lägen, beachtenswert gesteigert worden sei. Zwei oder drei langjährige Bewohner des Hill erinnerten sich noch an seine Jugendzeit, als er lebensfroh, hochsinnig, gastfreundlich und verschwenderisch gewesen sein musste. Einer bemerkte, dass die einzige Person, die während seiner späteren selbst gewählten Abgeschiedenheit Kontakt zu ihm gehabt habe, Dr. Lloyd gewesen sei; der Doktor habe damals doch keine Praxis gehabt und sei ihm bei gewissen chemischen Versuchen zur Hand gegangen.
An dieser Stelle schaltete sich ein Herr ins Gespräch ein, der mir und überhaupt in L... fremd war; ein Gast eines Bewohners des Hill, welcher die Erlaubnis erbeten hatte, ihn seiner Königin als einen vielgereisten Mann und bedeutenden Altertumskenner vorstellen zu dürfen.
Dieser Herr sagte also: „Sir Philipp Derval? Ich kenne ihn. Ich traf im Orient mit ihm zusammen. Wenn ich mich nicht irre, so war er damals ein großer Anhänger der Chemie – ein gescheiter, wenn auch seltsamer Philanthrop; hatte Medizin studiert oder übte sie wenigstens aus und soll wahre Wunderheilungen bewirkt haben. Ich wurde in Aleppo mit ihm bekannt gemacht. Er war in diese von englischen Reisenden wenig besuchten Stadt gekommen, um über die Ermordung zweier Männer Erkundigungen einzuziehen, von denen einer ein Freund, der andere ein Landsmann von ihm gewesen sein muss.“
„Das ist interessant,“ bemerkte Mrs. Poyntz trocken. „Wir, die wir auf diesem unschuldigen Berg leben, sind ganz verliebt in Verbrechergeschichten und ein Mord ist das köstlichste Thema, das sie anregen könnten. Bitte erzählen Sie uns Einzelheiten.“
„So ermutigt,“ entgegnete der Reisende gutmütig, „zögere ich nicht, das Wenige mitzuteilen, das ich weiß. In Aleppo hatte mehrere Jahre ein Mann gelebt, der von den Einheimischen sehr verehrt wurde. Er stand im Ruf außerordentlicher Weisheit, war aber nur schwer zugänglich und die lebhafte Einbildungskraft der Orientalen stattete seinen Charakter mit dem Reiz der Fabel aus; kurz, Harun von Aleppo galt bei dem Volk als Magier. Man erzählte sich abenteuerliche Geschichten von seiner Macht, von seinem übernatürlichen Alter und den von ihm angehäuften Schätzen. Abgesehen von diesen zweifelhaften Ansprüchen auf Huldigung schien aus Allem, was ich hörte, hervorzugehen, dass er unzweifelhaft ein sehr gelehrter und sehr wohltätiger Mann war, der sein Leben in einer beispiellosen Askese zubrachte. Er scheint Ähnlichkeit mit den arabischen Weisen des Mittelalters gehabt zu haben, denen die neue Wissenschaft so viel verdankt - ein mystischer Enthusiast, der sich gleichzeitig ernsthaften wissenschaftlichen Studien widmete. Ein reicher alleinstehender Engländer, der sich lange in einem anderen Teil des Morgenlandes aufgehalten und unter einer langwierigen Krankheit litt, unternahm die Reise nach Aleppo, um diesen Weisen zu befragen, welcher angeblich seltene Geheimnisse in der Arzneikunst – seine Landsleute nannten es „Zaubermittel“ – entdeckt hatte. Eines Morgens, kurz nach der Ankunft des Engländers, fand man Harun tot, offenbar erwürgt in seinem Bett, und der Engländer, der in einem anderen Teile der Stadt wohnte, war verschwunden; aber einige seiner Kleidungsstücke und eine Krücke, auf der er sich zu stützen pflegte, wurden ein paar Meilen von Aleppo in der Nähe der Landstraße gefunden. Es schien kein Zweifel daran zu bestehen, dass auch er ermordet worden war, aber seine Leiche war nicht auffindbar.
Sir Philipp Derval war ein treuer Schüler des Weisen von Aleppo gewesen, der ihn, wie ich aus Sir Philipps eigenem Munde weiß, nicht nur in seine ärztlichen Kenntnisse, sondern auch in verschiedene Naturwahrheiten eingeweiht hatte, durch deren Veröffentlichung sich Sir Philipp einen Ruf als philosophische Kapazität zu erwerben hoffte.“
„Welcher Art mögen wohl diese Naturwahrheiten gewesen sein?“ fragte ich etwas sarkastisch.
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Sir Philipp machte mir keine Mitteilungen und ich wollte ihn auch nicht danach fragen, denn was man in Asien als Wahrheit verehrt, wird in Europa gewöhnlich als Phantasterei verachtet. Doch um auf meine Geschichte zurückzukommen: Sir Philipp war kurze Zeit vor dem Mord in Aleppo gewesen und hatte den Engländer in Haruns Behandlung zurückgelassen; auf die Nachricht von dem tragischen Ereignis hin kehrte er wieder nach der Stadt zurück und war, als ich zufällig nach Aleppo kam, eben eifrig damit beschäftigt, alle Beweise zu sammeln und Nachforschungen nach dem Verbleib unseres vermissten Landsmannes anzustellen. Ich half ihm dabei; aber wir erzielten keinen Erfolg – die Mörder blieben unentdeckt. Ich zweifelte nicht daran, dass es sich um die Tat gewöhnlicher Räuber gehandelt hatte. Sir Philipp aber hegte einen dunkleren Verdacht, aus dem er mir gegenüber keinen Hehl machte; aber obwohl ich ihn für haltlos hielt , muss ich um Entschuldigung bitten, wenn ich diesen Verdacht hier nicht wiederhole. Ob die Leiche des Engländers seit meiner Rückkehr aus dem Orient gefunden wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es ist sehr wahrscheinlich; denn soviel ich erfahren konnte, haben seine Erben seinen Nachlass, welcher viel geringer war, als man erwartet hatte, bereits angetreten. Es hielt sich aber hartnäckig das Gerücht, er habe bedeutende Schätze vergraben und so absurd dies auch klingen mag, wäre ein solcher Schritt mit seinem Charakter nicht eben unvereinbar gewesen.“
„In welchem Ruf stand er?“ bemerkte Mrs. Poyntz.
„Er galt als ein finsterer, böser Mann und war der Schrecken der Diener, die ihn nach Aleppo begleitet hatten. Aber er kam aus einem sehr entlegenen, Europäern wenig bekannten Teil des Orients und hatte sich dort, so viel ich erfahren konnte, ein außerordentliches, durch abergläubische Furcht noch verstärktes Ansehen zu verschaffen gewusst. Man sagte ihm nach, er habe intensive Studien in den „okkulten Wissenschaften“, wie die Philosophen des Altertums sie nannten, betrieben, aber nicht, wie der Weise von Aleppo, zu wohltätigen, sondern zu bösen Zwecken. Er wurde beschuldigt, mit bösen Geistern verkehrt und sich an seinem barbarischen Hof (er spielte unter den Wilden die Rolle eines Königs) mit Zauberern und Schwarzkünstlern umgeben zu haben. Ich vermute, letzten Endes war er nichts Anderes, als was ich selbst auch bin, ein eifriger Altertumsforscher, der wusste, die Furcht, die er einflößte, schlau zu nutzen, um sich Autorität zu verschaffen und so ungehindert seine Forschungen in alten Gräbern und Tempeln betreiben zu können. Tatsächlich waren Ausgrabungen solcher Überreste in seiner Nachbarschaft seine große Leidenschaft; mit welchem Erfolge kann ich nicht sagen, da ich nie so tief in Landstriche eingedrungen bin, in welchen Räuber hausen und der Gifthauch der Malaria weht. Er trug morgenländische Kleidung und hatte immer Juwelen bei sich. Ich kam zu dem Schluss, dass er wohl auch um dieser Juwelen willen ermordet wurde, vielleicht sogar von einigen aus seiner eigenen Dienerschaft (und tatsächlich wurden zwei seiner Begleiter vermisst), die dann sofort seine Leiche verscharrten und ihr Geheimnis zu wahren wussten. Er war alt, sehr gebrechlich und hätte sich ohne Beistand niemals so weit von der Stadt entfernen können.“
„Sie haben uns seinen Namen nicht genannt,“ sagte Mrs. Poyntz.
„Er hieß Grayle.“
„Grayle?“ entgegnete Mrs. Poyntz, indem sie ihr Strickzeug fallen ließ. „Louis Grayle?“
„Ja, Louis Grayle. Sie können ihn nicht gekannt haben.“
„Gekannt? Nein. Aber ich habe meinen Vater oft von ihm sprechen hören. Dies war also das tragische Ende des kräftigen, dunklen Wesens, für den ich als kleines Mädchen eine Art furchtsamen, bewundernden Interesses zu fühlen pflegte?“
„Jetzt ist die Rolle des Erzählers an Ihnen,“ sagte der Reisende.
Und wir alle rückten näher an unsere Gastgeberin, die einige Momente lang still die Stirne runzelte, dann aber ihre Arbeit in den Schoss legte.
„Nun ja,“ sagte sie, uns mit hochmütigen, fast herausfordernden Blicken messend. „Kraft und Mut üben immer einen Zauber, selbst wenn sie eine völlig falsche Richtung einschlagen. Ich gehe mit der Welt, weil die Welt mit mir geht; täte sie es nicht....“
Hier hielt sie einen Moment inne und ballte ihre feste weiße Hand; dann schwenkte sie dieselbe geringschätzig, ließ den Satz unvollendet und begann einen anderen.
„Wenn man mit der Welt geht, muss man natürlich diejenigen niedertreten, die sich ihr in den Weg stellen. Aber wenn ein einzelner Mann sich nur mit seiner eigenen Kraft diesem Gang entgegen stemmt, verachten wir ihn nicht; es genügt, ihn zu vernichten. Ich bin sehr froh, dass ich Louis Grayle nicht kennen lernte, als ich ein sechzehnjähriges Mädchen war.“
Wieder trat eine kurze Pause ein. Dann fuhr sie fort:
„Louis Grayle war der einzige Sohn eines Wucherers, der sich durch die Gier, mit der er sich einen ungeheuren Reichtum zusammengerafft hatte, allgemein verhasst gemacht hatte. Der alte Grayle wünschte seinen Erben zu einem Gentleman zu erziehen und schickte ihn nach Eton. Knaben sind immer aristokratisch; man rieb ihm bald seine Herkunft unter die Nase. Er war wild und raufte sich mit Knaben, die größer waren als er, bis sie ihn halb tot geschlagen hatten. Mein Vater befand sich mit ihm auf der Schule und schilderte ihn als einen jungen Tiger. Eines Tages – er war noch ein Neuling – schlug er einen Knaben aus der sechsten Klasse. Die Knaben der sechsten Klasse balgten sich nicht mit Neulingen, sondern züchtigten sie. Man befahl Louis Grayle die Hand zur Bestrafung mit dem Rohr auszustrecken; er erhielt den Schlag, zog dann aber sein Taschenmesser und versetzte dem Züchtiger einen Stich. Daraufhin verließ er Eton. Ich glaube nicht, dass er öffentlich ausgestoßen wurde, da er für diese Ehre noch zu jung war – kurz, man entfernte ihn eben oder schickte ihn fort. Zu Hause erhielt er durch die besten Lehrer eine sorgfältige Erziehung, und als er das Alter zum Besuch der Universität erreichte, starb der alte Grayle. Louis wurde von seinen Vormunden nach Cambridge geschickt; er besaß Kenntnisse, durch die er sich gegenüber den meisten seiner Altersgenossen auszeichnete und dabei Geld, so viel er nur haben wollte. Mein Vater besuchte mit ihm das gleiche College und schilderte ihn wieder als hochmütig, streitsüchtig, unbekümmert, gutaussehend, ehrgeizig und tapfer. (Zu den anwesenden Ladies gewandt:) Würden Sie für einen solchen jungen Mann wohl Interesse zeigen, meine Lieben?“
„Pah!“ versetzte Miss Brabazon; „den Sohn eines abscheulichen Wucherers!“
„Ah, richtig. Das Sprichwort sagt, es sei gut, mit einem silbernen Löffel im Mund geboren zu werden; und so ist es auch, wenn dieser Löffel sein Familienwappen trägt. Wenn es sich aber um einen Löffel handelt, auf dem die Leute ihr eigenes Familienwappen erkennen, rufen sie aus: „Aus unserer Silbertruhe gestohlen“, er ist ein Erbstück, das schon das Kind in der Wiege ächtet. Aber junge Leute, die die Universität besuchen und Geld brauchen, nehmen es mit der Herkunft etwas weniger genau, als die Knaben von Eton. Louis Grayle fand in Cambridge eine Menge Bekannte von hoher Geburt, die sich bereitwillig dazu hergaben, einiges von dem Raub, den sein Vater den Ihren abgepresst hatte, wieder an sich zu bringen. Er war ein zu wilder Mensch, um nach der Auszeichnung akademischer Ehren zu ringen; doch sagte mein Vater, die Tutoren des College hätten erklärt, es gäbe an der Universität keine sechs angehenden Absolventen, die so viel von der harten und trockenen Wissenschaft verständen, wie der wilde Louis Grayle. Ohne Zweifel war er in die Welt hinaus gegangen, in der Hoffnung, jemand zu werden; aber der Name des Vaters hatte einen zu üblen Ruf, um dem Sohn Zutritt in die Gesellschaft zu gestatten. Die feine Welt untersucht allerdings nicht mit dem scharfen Auge eines Herolds und betrachtet den Reichtum nicht mit der erhabenen Verachtung eines Stoikers; aber dennoch hat sie ihren Familienstolz und ihr moralisches Gefühl. Sie liebt es nicht, betrogen zu werden – ich meine, in Geldangelegenheiten –; und wenn der Sohn des Mannes, der ihr den Beutel geleert und ihren Grund und Boden versteigert hat, mit in die Hüfte gestemmter Hand und hoch erhobenem Kopf vor den Fenstern ihres Clubhauses vorbei reitet, so kann kein Löwe finsterer blicken und keine Hyäne schrecklicher lachen, als eben diese ruhige, gelassene, tolerante und gebildete feine Welt, die als Bekannte so angenehm, als Freundin matt, als Feindin aber erbarmungslos ist.
Kurz, Louis Grayle glaubte ein Recht darauf zu haben, dass man ihm den Hof mache und wurde gemieden; er wollte bewundert sein und wurde verabscheut. Selbst seine alten Universitätsbekannten schämten sich, ihn zu kennen. Vielleicht hätte er alles dies vermeiden können, wenn er versucht hätte, in aller Stille in eine Stellung hineinzuschlüpfen; aber es fehlte ihm der Takt der feinen Herkunft und er wollte sich nicht verstohlen einschleichen, sondern sich im Sturm Bahn brechen. Da er sich in Bezug auf seine Gefährten auf dürftige Parasiten angewiesen sah, so bot er den Begriffen von Anstand verletzenden Trotz durch jene Schaustellung von Übertreibung, mit der ein Richelieu oder Lauzun die öffentliche Meinung verhöhnte. Aber Richelieu und Lauzun waren Herzöge! Natürlich hasste er nun die feine Welt und erwiderte Verachtung mit Verachtung. Er wollte sich mit der Demokratie verbinden; sein Reichtum konnte ihm zwar keinen Zutritt zu einem Club verschaffen, konnte ihn aber ins Parlament einkaufen; und wenn es zu einem Lauzun oder vielleicht zu einem Mirabeau nicht reichte, schaffte er es immerhin die Rolle eines Danton zu spielen. An Kenntnissen und an Verwegenheit fehlte es ihm nicht und mit solchen Eigenschaften mangelt es dem Hass auch nicht an Beredsamkeit. So wäre vielleicht dieser arme Louis Grayle berufen gewesen, eine bedeutende Figur zu werden, seinem Zeitalter einen neuen Impuls zu geben und seinen Namen in das Buch der Geschichte einzuschreiben; aber in dem Wahlkampf des Bezirks, den er für sich gewonnen glaubte, stand ihm als Mitbewerber ein wirklich feiner Gentleman gegenüber, den sein Vater ruiniert hatte, ein hochgebildeter ruhiger Mann mit einer Zunge wie ein Schwert und dem höhnischen Blick einer Natter. Natürlich kam es zu einem persönlichen Streit und Louis Grayle schickte ihm eine Forderung zum Duell. Der feine Gentleman, der keine Memme war (wahre Gentlemen sind dies nie), hatte anfangs Lust, das Ansinnen mit Verachtung abzulehnen. Aber Grayle war das Idol des Pöbels geworden und auf ein Wort von ihm wäre der feine Gentleman unter ein Brunnenrohr getaucht oder auf die Prelldecke gebracht worden. Dies hätte ihn lächerlich gemacht. Auf sich schießen lassen ist eine Kleinigkeit, aber der Gegenstand des Gespötts zu werden eine ernste Sache. Er ließ sich deshalb herab, die Forderung anzunehmen und mein Vater war sein Sekundant.
Nach englischem Brauch wurde natürlich die Abmachung getroffen, dass beide Duellanten auf ein gegebenes Zeichen zu gleicher Zeit das Feuer eröffnen sollten. Der Widersacher schoss im richtigen Moment und seine Kugel streifte Louis Grayle´s Schläfe. Grayle hatte nicht gefeuert. Den Sekundanten kam es vor, als ziele er jetzt erst recht langsam und bedächtig. Sie riefen ihm zu, nicht zu schießen und eilten zwischen die Kämpfer, um ihn daran zu hindern; aber schon war der Abzug durchgezogen und sein Feind lag tot auf der Erde. Das Duell wurde sofort für unfair erklärt und Grayle ein Prozess auf Tod und Leben gemacht; er stellte sich aber nicht, sondern flüchtete auf den Kontinent, machte Reisen durch ferne, unzivilisierte Länder, wohin man ihn nicht verfolgen konnte und ließ sich in England nicht wieder blicken. Der Anwalt führte seine Verteidigung mit großem Geschick. Er behauptete, die Verzögerung des Schusses sei nicht absichtlich, daher auch nicht verbrecherisch gewesen, sondern nur eine Auswirkung der Betäubung, in welche ihn die Schläfenwunde versetzte. Der Richter war ein Gentleman und fasste die Angaben in einer Weise zusammen, die den Geschworenen zu einem Urteilsspruch gegen den Kerl, der einen Gentleman ermordet hatte, bewegen sollten. Die Geschworenen aber waren keine Gentlemen und Grayle´s Anwalt hatte natürlich nicht versäumt, ihre Sympathien für einen Sohn des Volks zu wecken, der von einem Gentleman mutwillig beleidigt worden war. Das Urteil lautete auf einfachen Totschlag; aber das Gericht setzte erschwerende Umstände voraus und erkannte auf dreijähriges Gefängnis. Dieser Strafe wich Grayle aus; aber von nun an war er ein geächteter und verbannter Mann – seine Ambitionen zerschlagen, seine Karriere die eines Gesetzlosen und er war noch keine dreiundzwanzig Jahre alt. Mein Vater vermutete, er habe seinen Namen geändert; niemand wusste, was aus ihm geworden war. Und so musste dieser kühne, prächtige Mensch, vor dem, wenn seiner Geburt günstigere Sterne geleuchtet hätten, wir vielleicht gekrochen wären, nachdem er – niemand weiß wie – ein hohes Alter erreicht hatte, durch Mörderhand in Aleppo sterben, ohne dass, wie Sie sagen, der Täter bekannt wurde.“
„Ich las vor ungefähr drei Jahren in den Zeitungen einen Bericht über seinen Tod,“ sagte jemand aus der Gesellschaft; „aber der Name war falsch geschrieben und ich hatte keine Vorstellung davon, dass es sich bei dem Ermordeten um denselben Mann handelte, dessen Duell Mrs. Colonel Poyntz uns so anschaulich beschrieben hat. Ich kann mich an die Gerichtsverhandlung noch dunkel erinnern; sie fand vor mehr als vierzig Jahren statt, als ich noch ein Junge war. Die Sache verursachte damals viel Aufsehen, ist aber bald in Vergessenheit geraten.“
„Bald vergessen – ja, was würde nicht bald vergessen?“ entgegnete Mrs. Poyntz. „Verlassen Sie Ihren Platz in der Welt nur für zehn Minuten, und wenn sie zurückkommen, hat ihn schon ein Anderer eingenommen; verlässt man sie für immer, wer erinnert sich dann noch daran, dass man je auch nur einen Platz im Kirchenregister eingenommen hat?“
„Wie dem auch sei,“ erwiderte ich, „ein großer Dichter hat schön und wahr gesagt: Noch immer scheint auf uns die Sonne des Homer.“
„Aber sie scheint nicht auf Homer; und gelehrte Leute haben mir gesagt, man könne nicht mit Bestimmtheit sagen, wer oder was Homer gewesen sei und ob es nur einen einzigen oder eine ganze Herde von Homeren gegeben habe, genau so wenig, wie wir wissen, ob es wirklich einen Mann im Mond gibt und ob es nur einen einzigen oder eine Million gibt. Meine liebe Miss Brabazon, es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie unsere Gedanken in weniger düstere Kanäle leiten könnten – irgend eine französische Arie. Dr. Fenwick, ich muss Ihnen etwas mitteilen.“ Sie zog mich zum Fenster. „Anne Ashleigh schreibt mir, dass ich Ihre Verlobung niemandem gegenüber erwähnen solle. Halten Sie es für klug, die Sache geheim zu halten?“
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