Kitabı oku: «Das Lebenselixier», sayfa 8
Kapitel XVI
Nur der Anwesenheit des weiblichen Parlamentärs war es zuzuschreiben, dass Mr. Vigors den Ausbruch der Wut unterdrückte, die in ihm aufstieg, als er erfahren musste, dass ich Dr. Jones ebenso schnell wieder im Abbots´ House abgelöst hatte, wie er mich kurz zuvor. Da Mrs. Poyntz die volle Verantwortung für diesen Wechsel übernahm, wagte er es nicht, ihr seine Meinung ins Gesicht zu schleudern, denn selbst der Vollstrecker des Gesetzes hatte großen Respekt vor der Herrscherin über die öffentliche Meinung, so launenhaft diese auch sein mochte.
Ganz anders manifestierte sich der Unwille des Magistrats gegenüber der sanften Mrs. Ashleigh. Er stellte augenblicklich seine Besuche ein und auf einen langen, beschwichtigenden Brief, in dem sie versuchte, die Wogen etwas zu glätten und ihn für ihr Haus zurückzugewinnen, antwortete er in einem ausgefeilten, zwischen Satire und Predigt wechselnden Schreiben. Es begann mit seiner Entschuldigung, ihre Einladungen angenommen zu haben, da er zwar seine wertvolle Zeit und seine Bequemlichkeit einer guten Sache gerne opfere, es jedoch als seine Pflicht gegenüber sich selbst und der Menschheit erachte, dies zu unterlassen, wenn seine Ratschläge auf taube Ohren stießen und seine Ansicht missachtet werde. Kurz, aber nicht ohne Deutlichkeit wies er auf die Achtung, die seinem Urteil von ihrem verstorbenen Gatten entgegengebracht worden war und auf die Vorteile, die diesem daraus erwachsen wären, hin. Diesem von ihrem Gatten erwiesenen Respekt stelle er die Schmach gegenüber, die er von dessen Witwe hatte erleiden müssen. Er maße sich nicht an, Frauen vorzuschreiben, welche Pflichten sie dem Andenken ihrer verstorbenen Gatten entgegenzubringen hätten, sei jedoch der Meinung, dass diese in der Regel wenigsten die Ansprüche ihrer lebenden Nachkommen achteten und sich nicht leichtsinnig über deren Interessen, geschweige denn deren Gesundheit hinweg setzen würden. Was Dr. Jones betreffe, so setze er, Mr. Vigors, vollstes Vertrauen auf dessen Fähigkeiten. Mrs. Ashleigh müsse selbst beurteilen, ob Mrs. Poyntz in medizinischen Fragen eine ebenso große Autorität darstelle, die er ihr ohne Zweifel in Bezug auf Schals und Bänder einräumen müsse. Dr. Jones sei ein bescheidener und vorsichtiger Mann, der nichts mit den hohlen Phrasen, mit welchen die Scharlatane leichtgläubiges Volk ködern würden, im Sinn habe; aber Dr. Jones habe ihm im Vertrauen versichert, dass dieser, obwohl Lilians Fall keine übereilten Experimente zulasse, bei Beibehaltung seines bewährten Verfahrens durchaus auf ein gutes Resultat hoffe. Über die Konsequenzen eines anderen Heilverfahrens wolle sich Dr. Jones nicht auslassen, da es nicht seine Art wäre, sein Misstrauen gegenüber einem Rivalen auszudrücken, der sich noch dazu äußerst fragwürdiger Methoden bedient hätte, um ihn aus seinem Amt zu verdrängen. Aber Mr. Vigors sei überzeugt, dass – wie ihm auch andere zuverlässige Quellen versichert hätten (ich vermute, es handelte sich dabei um Weissagungen seiner Hellseherinnen) – die Zeit kommen werde, in der die arme junge Frau selbst auf der Entlassung Dr. Fenwick´s bestehen würde und „diese Person“ vielen anderen, die sie jetzt bewundern und das ehrerbietigste Vertrauen schenken würden, in einem völlig anderen Licht erscheinen werde. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen sei, werde er, Mr. Vigors, wieder von Nutzen sein. Bis dahin werde, wenn er es auch ablehnen müsse, sein vertrauliches Verhältnis gegenüber dem Abbots´ House wieder aufzunehmen oder dort unnütze zeremonielle Besuche zu machen, seine Anteilnahme der Tochter eines alten Freundes gegenüber ungeschmälert anhalten, nein, ihr aus Mitleid sogar in erhöhtem Maße zukommen lassen.
Er würde in aller Stille über ihr Wohlergehen wachen und wann immer ihm etwas einfalle, das ihrem Wohl dienen könne, werde er sich sogar durch die Geringschätzung, die ihm durch Mrs. Ashleigh zuteil geworden wäre, nicht davon abhalten lassen, seine Vorschläge zu unterbreiten und dieser, wie er es auch jetzt täte, die volle Verantwortung für die Missachtung seiner Ratschläge übertragen, die, wie er ohne Eitelkeit behaupten könne, einiges Gewicht bei Personen besäßen, die zwischen wahrem Wert und prahlerischer Anmaßung wohl zu unterscheiden wüssten.
Mrs. Ashleigh gehörte zu den überaus weiblichen Naturen, die sich instinktiv auf andere stützen. Sie war schüchtern, vertrauensselig, sanft und liebenswert. Die Schilderung von Mrs. Poyntz, Mrs. Ashleigh sei „auf alltägliche Weise schwach“, wurde ihr nicht ganz gerecht, denn obwohl sie man sie schwach nennen konnte, besaß sie Herzensgüte und einen empfindsamen Charakter, die dieser herabwürdigenden Definition nicht entsprachen. Wurde ihr eine Richtschnur vorgegeben, folgte sie dieser Vorgabe ohne Abweichung. Die Pflichten einer Hausfrau erfüllte sie hervorragend. Kein Haushalt, nicht einmal der von Mrs. Poyntz, war perfekter organisiert. Das alte Abbots´ House hatte seinen düsteren, altertümlichen Charakter gegen den einer angenehmen gastlichen Stätte vertauscht. Alle Dienstboten vergötterten Mrs. Ashleigh und es machte ihnen großen Spaß, ihr dienlich zu sein. Alles lief mit der Harmonie eines Uhrwerks, und sie verbreitete Behaglichkeit wie das Sonnenlicht, das sich über einen geschützten Platz ergießt. Ihr in das liebe Gesicht zu blicken und dem einfachen Geplauder zuzuhören, das in gleichförmigem, langsamen und einlullenden Tonfall über ihre Lippen strömte, bedeutete schon eine Rast vor den „zehrenden Sorgen“ des Alltags. Sie bedeutete für das Gemüt, was die grüne Farbe für das Auge ausmacht. In allen Dingen, die sich auf den normalen Tagesablauf bezogen, erwies sie sich als äußerst verständig, und der Klügste hätte in diesem Bereich von ihr lernen können. Aber sobald irgendetwas, so unbedeutend es auch sein mochte, sie zwang, von dem ausgetretenen Pfad des Hausfrauenlebens abzuweichen, verließ sie ihre Zuversicht und sie bedurfte eines Vertrauten, eines Ratgebers, dem sie arglos und unterwürfig Folge leistete und unbedingtes Vertrauen schenkte. Aus diesem Grunde wandte sie sich, nachdem sie Mr. Vigors, dessen Führung sie sich bisher anvertraut hatte, verloren hatte, zunächst an Mrs. Poyntz und kurz darauf noch flehentlicher an mich, da eine Dame dieses Charakters, ohne den Ratschlag eines Mannes einzuholen, nie ganz zufrieden sein konnte. Zudem nimmt dort, wo einmal einem Arzt gegenüber eine über die Förmlichkeit eines normalen Krankenbesuch hinausgehende Vertrautheit hergestellt ist, das Zutrauen zu ihm rasch und bedenkenlos als natürliches Resultat der Sympathie zu, die sich auf ein Objekt der Sorge konzentriert und seinem forschenden, aber teilnahmsvollen Blick auch die verborgensten Winkel des Heims öffnet. Aus diesem Grunde hatte mir Mrs. Ashleigh auch den Brief Mr. Vigors gezeigt und – vergessend, dass ich nicht ihren liebenswürdigen Charakter besaß und der diesen mit dem Nimbus einer Würde begleitete, zu dem sie nur scheu aufblickte – mich befragt, wie sie vorgehen solle, um den Freund und Bekannten ihres verstorbenen Gatten versöhnen und beschwichtigen zu können. So erstickte ich meinen Unmut, den weniger der Ton seiner beleidigenden Anspielungen gegen mich, als die Arroganz, mit der sich dieser voreingenommene Eindringling über den Willen der Mutter hinweg zum Wächter über ein Kind erhob, das unter ihrer Obhut stand, hervorgerufen hatte. Ich entwarf eine meiner Meinung nach würdevolle und versöhnliche Antwort, in welcher ich mich aller Erörterungen enthielt und Mrs. Ashleigh mitteilen ließ, sie werde ihm jeder Zeit ihre Aufmerksamkeit schenken und jeden Rat, den ihr ein so geschätzter Freund ihres Gatten zum Wohle ihrer Tochter gütigst erteilen würde, gerne annehmen. Ungefähr einen Monat nach meiner Wiedereinsetzung in Abbots´ House war jegliche Verständigung zum Erliegen gekommen.
Eines Nachmittags aber begegnete ich unerwartet Mr. Vigors am Eingang zu der dunklen Gasse, die Richtung Abbots´ House führte. Mit dem ersten Blick in sein Gesicht – das einen noch finstereren Ausdruck zeigte als gewöhnlich - erkannte ich, dass er von dort kommen musste und das, als er meiner Gewahr wurde, sich seine Züge von Düsterheit zu einer Grimasse höhnischen Triumphs verzogen. Sofort wurde mir klar, dass ihm irgendein Schlag gegen mich geglückt sein musste und ich beschleunigte voll banger Ahnungen meinen Schritt.
Mrs. Ashleigh saß allein vor dem Haus unter einer hohen Zeder, die ein natürliches Dach in der Mitte des sonnigen Vorplatzes bildete. Als ich neben ihr Platz nahm, bemerkte ich, dass sie sich in sichtlicher Verlegenheit befand.
„Ich hoffe “ sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln, „dass Mr. Vigors Ihnen nicht versucht hat einzureden, ich wäre für das baldige Ableben meiner Patientin verantwortlich oder sie sähe viel schlechter aus als unter der Obhut von Dr. Jones?“
„Nein,“ antwortete sie „er bemerkte freudig, dass Lilian viel gesünder wirke und dass er zu seiner großen Freude vernommen habe, sie sei auch recht heiter geworden, würde ausreiten und sogar tanzen – was ich sehr freundlich von ihm finde, denn er hat für das Tanzen nicht allzu viel übrig, schon aus Prinzip.“
„Trotzdem fühle ich, dass er irgendetwas gesagt haben muss, was Ihnen Verdruss bereitet hat, und wie ich aus seinem Gesichtsausdruck, als ich ihm in der Gasse begegnete, entnehmen darf, liegt die Vermutung nahe, dass er es irgendwie geschafft hat, das Vertrauen, welches Sie freundlicherweise in mich setzen, zu schmälern.“
„Ich versichere Ihnen, dass dem nicht so ist. Er hat Ihren Namen weder mir noch Lilian gegenüber erwähnt. Ich habe ihn selten so freundlich erlebt, fast wie in alten Zeiten. Er hat ein gutes Herz und war meinem Gatten sehr zugetan.“
„Hatte Mr. Ashleigh eine sehr hohe Meinung von Mr. Vigors ?“
„Nun, ich weiß nicht genau, da mein lieber Gilbert nie mit mir über ihn gesprochen hat. Gilbert war von Natur aus sehr schweigsam. Aber er hasste jeglichen Trubel – alle weltlichen Dinge – und Mr. Vigors verwaltete seinen Besitz, prüfte seine Bücher und vertrat ihn während eines lang andauernden Rechtsstreits, den er von seinem Vater geerbt hatte. Sein Vater brachte dieser Prozess unter die Erde und ich weiß nicht, was wir ohne Mr. Vigors getan hätten. Ich bin so froh, dass er mir vergeben hat.“
„Hm! Wo ist Miss Ashleigh? Im Haus?“
„Nein, irgendwo im Garten. Aber lieber Dr. Fenwick, Sie dürfen mich jetzt nicht verlassen. Sie sind so freundlich und es ist, als ob Sie ein alter Freund wären. Es ist etwas vorgefallen, das mich völlig außer Fassung bringt.“
Sie sagte das so kleinlaut und matt und schloss dabei ihre Augen, so dass es schien, als wäre es nicht nur um ihre Fassung, sondern um sie selbst geschehen.
„Das Gefühl der Freundschaft, das Sie eben erwähnten, beruht auf Gegenseitigkeit,“ sagte ich ernst „und wird von meiner Seite von einem Gefühl tiefster Dankbarkeit begleitet. Ich bin alleinstehend, ein einsamer Mann, habe weder Eltern noch nahe Verwandte und habe seit der Abreise von Dr. Faber in dieser Stadt niemanden, mit dem ich in näheren Kontakt treten wollte. Sie waren so freundlich, mich in Ihr Haus aufzunehmen und mir etwas zu gegeben, was mir während meines bisherigen Lebens versagt geblieben war – einen Blick auf das häusliche Glück werfen zu dürfen, jenen Zauber, jene Ruhestätte für das Auge, das Herz und den Verstand, den man nur in einem Haushalt zu spüren vermag, welcher durch die Anmut eines Frauenantlitzes erhellt wird. Daher sind meine Gefühle für Sie und die Ihren in der Tat die eines alten Freundes und bei jedem besonderen Ausdruck des Vertrauens, den Sie mir gewähren, fühle ich, als sei ich nicht mehr der einsame, und heimatlose Mensch ohne Freunde.“
Mrs. Ashleigh schien durch diese Worte, die mir von Herzen kamen, sehr bewegt, und nachdem sie mir mit einfacher, ungekünstelter Wärme geantwortet hatte, erhob sie sich, nahm meinen Arm und wir spazierten langsam eine Weile im Hof auf und ab.
„Sie wissen vielleicht, dass mein seliger Gatte eine Schwester hinterließ, inzwischen eine Witwe wie ich selbst, Lady Haughton.“
„Ich erinnere mich, dass Mrs. Poyntz erwähnte, Sie hätten eine Schwägerin, aber den Namen Lady Haughton habe ich sie noch nie erwähnen hören. Ja ... und?“
„Mr. Vigors hat mir einen Brief von ihr überbracht und der Inhalt dieses Briefs war es, der mich aus der Fassung gebracht hat. Ich muss gestehen, dass der Grund dafür, dass ich Lady Haughton niemals erwähnt habe, ist, dass ich mich schäme beinahe vergessen zu haben, dass sie überhaupt existiert. Sie ist einige Jahre älter als mein Ehemann war und von völlig unterschiedlichem Charakter. Nach unserer Heirat hat sie ihn nur ein einziges Mal besucht und mich sehr verletzt, indem sie ihn als Bücherwurm lächerlich gemacht hat. Es kränkte ihn, dass sie ein wenig auf mich herabsah, auf ein Niemand ohne Geist und Weltgewandtheit, was ja auch tatsächlich zutraf. Nach dem Verlust meines armen Gilbert habe ich außer einem kalten, gefühllosen und formellen Kondolenzbrief bis zum heutigen Tage nichts mehr von ihr gehört. Aber trotzdem ist sie die ältere Schwester meines Gatten und Lilians Tante und, wie Mr. Vigors richtig sagt „Pflicht ist Pflicht“.
Hätte sie gesagt „Pflicht ist Qual“, hätte sie diesen Satz nicht mit einer traurigeren, trostlosere Resignation aussprechen können.
„Und worin besteht diese Pflichterfüllung, die Ihnen Mr. Vigors so ans Herz gelegt hat?“
„Mein Gott! Was für ein Scharfsinn! Sie haben vollkommen richtig geraten. Aber ich glaube, Sie werden mit Herrn Vigors übereinstimmen. Ich habe leider keine Wahl und muss es tun.“
„Leider lässt mich hier mein Scharfsinn im Stich. Was müssen Sie tun? Ich bitte Sie, drücken Sie sich etwas klarer aus.“
„Die arme Lady Haughton hat vor sechs Monaten ihren einzigen Sohn, Sir James, verloren. Mr. Vigors sagt, er sei ein prächtiger junger Mann gewesen, auf den jede Mutter stolz gewesen wäre. Ich hörte allerdings, er wäre ziemlich wild gewesen. Mr. Vigors behauptet allerdings, er sei im Begriff gewesen, sich zu ändern und eine junge Dame heiraten zu wollen, die seine Mutter für ihn ausersehen hatte, als er unglücklicherweise an einem Hindernisrennen teilnahm und sich dabei, weil er nicht ganz nüchtern war, den Hals brach. Verständlicherweise ein schwerer Schlag für Lady Haughton. Sie hat sich nach Brighton zurückgezogen und schrieb mir von dort besagten Brief, den mir Mr. Vigors überbrachte. Er wird heute wieder zu ihr zurückkehren.“
„Zurück zu Lady Haughton? Wie? Ist er bei ihr gewesen? Steht er zur Schwester in ebenso vertraulichem Verhältnis wie zuvor zu deren Bruder?“
„Nein, aber sie haben lange und kontinuierlich miteinander korrespondiert. Sie hat Anteile am Kirby Estate, der ihr zu Gilberts Lebzeiten nicht ausbezahlt worden war. Ein kleiner Teil der Liegenschaft ging an Sir James, und Mr. Ashleigh Summer, gesetzlicher Erbe des restlichen Besitzes, äußerte - während er noch unter der Vormundschaft von Mr. Vigors stand - den Wunsch, auch diesen kleinen Teil zu erwerben. Da der Besitz Lady Haughton´s auch auf diesem Teil des Landes steht, war ihre Einwilligung ebenso notwendig, wie die ihres Sohnes. Es gab einige Verhandlungen, und der Tod des armen Sir James komplizierte die Angelegenheit noch. Aus diesem Grund hat Mr. Vigors Lady Haughton in Brighton besucht, um bestimmte Angelegenheiten zu regeln. Kurz gesagt wünscht Lady Haughton, dass ich sie mit Lilian besuche. Ich habe aber überhaupt keine Lust dazu. Aber Sie haben mir vor Kurzem gesagt, dass während der Hitze des Sommers Seeluft das Beste für Lilian wäre und sie scheint jetzt in der Verfassung für eine Luftveränderung zu sein. Oder was denken Sie?“
„Ihr gesundheitlicher Zustand wäre allerdings kein Hindernis; nur ist Brighton nicht gerade der Platz, den ich für den Sommeraufenthalt empfehlen würde. Es fehlt an Schatten und es ist dort viel heißer, als in L....“
„Ja; aber Lady Haughton hat leider diesen Einwand vorausgesehen und deshalb in der Nähe der See einige Meilen von Brighton entfernt einen Witwensitz gemietet. Die Gegend ist bewaldet, gilt als kühl und gesund und liegt in der Nähe des St. Leonhards Forrest. Kurz, ich habe ihr geschrieben, dass wir kommen wollen. Und dies wird auch geschehen müssen, wenn Sie keine erheblichen Einwände äußern.“
„Wann wollen Sie abreisen?“
„Nächsten Montag. Mr. Vigors bestand darauf, dass ich einen Tag festlege. Ach, wenn Sie wüssten, wie schwer es mir fällt, mich zu verändern, wenn ich mich einmal niedergelassen habe, und eigentlich habe ich Angst vor Lady Haughton, sie ist so fein und satirisch! Aber Mr. Vigors sagt, sie habe sich sehr verändert, armes Ding! Ich sollte Ihnen ihren Brief zeigen, aber ich habe ihn ein oder zwei Minuten, bevor sie kamen an Margaret – Mrs. Poyntz – hinüber geschickt. Sie kennt Lady Haughton etwas. Margaret kennt eigentlich überhaupt jeden. Und wir werden wohl für den armen Sir James Trauer anlegen müssen – Margaret wird das entscheiden, da ich sicher bin, ich könnte nicht festlegen, in welchem Ausmaß die Trauer von uns erwartet wird. Ich hätte es eigentlich schon am letzten Morgen tun sollen – der Neffe des armen Gilbert –, aber ich bin so gedankenlos und habe ihn nie kennengelernt. Aber – oh, das ist aber freundlich – Margaret selbst – meine liebe Margaret!“
Wir hatten uns während unseres Auf-und-Ab-Gehens gerade vom Haus abgewandt, als plötzlich Mrs. Poyntz unmittelbar vor uns stand.
„Sie haben also wirklich die Einladung angenommen, Anne, und schon für nächsten Montag?“
„Ja! War das falsch?“
„Was sagt Dr. Fenwick dazu? Kann man Lilian eine solche Reise zumuten?“
Wollte ich ehrlich sein, konnte ich keinen wirklichen Einwand geltend machen; aber das Herz wurde mir schwer wie Blei, als ich antwortete:
„Miss Ashleigh braucht keine intensive ärztliche Betreuung mehr. Mehr als die Hälfte ihrer Heilung hing davon ab, ihren Geist vor Depressionen zu schützen. Sie könnte den vergnügten Umgang mit Ihrer Tochter und den anderen jungen Damen ihres Alters vermissen. Ein sehr melancholisches Haus, einen kürzlichen Verlust betrauernd, ohne Anwesenheit anderer Gäste, eine Gastgeberin, die ihr fremd ist und vor der sich selbst Mrs. Ashleigh zu fürchten scheint, sind nicht gerade die optimalen Voraussetzungen für eine Luftveränderung. Wenn ich davon sprach, dass Seeluft dem Befinden von Miss Ashleigh zuträglich sein könnte, dachte ich an einen Aufenthalt an unserer Nordküste und an eine spätere Jahreszeit, in der ich mich einige Wochen freimachen und sie begleiten könnte. Eine derartige Reise wäre erheblich kürzer und weniger ermüdend. Die Luft wäre dort wesentlich belebender.“
„Zweifellos wäre das besser,“ bemerkte Mrs. Poyntz trocken; „aber was Ihre Befürchtungen bezüglich des Besuchs bei Lady Haughton anbelangt, sind diese unbegründet. Ihr Haus ist nicht so melancholisch; zudem werden andere Gäste anwesend sein und Lilian wird junge Leute ihres Alters – junge Ladies und auch junge Gentlemen – kennenlernen!“
Es lag etwas Unheilvolles, Mitleidiges in dem Blick, den mir Mrs. Poyntz gegen Ende ihres Satzes zuwarf, der an sich schon ausreichte, um die Ängste eines Liebenden zu wecken. Lilian weit weg von mir, im Haus einer weltgewandten Lady – für die ich Lady Haughton hielt – nicht nur von jungen Damen, sondern auch von jungen Herren umgeben, die zweifellos mit höherem Rang und einem blendenderen Aussehen ausgestattet als jene, die sie bisher kennengelernt hatte. Ich schloss meine Augen und hatte Mühe, ein Ächzen zu unterdrücken.
„Liebe Annie, gestatten Sie mir, mich davon zu überzeugen, dass Dr. Fenwick dieser Reise wirklich seine volle Zustimmung gibt. Er wird mir sagen, was er vielleicht Ihnen gegenüber nicht aussprechen will. Entschuldigen Sie daher bitte, wenn ich ihn einige Minuten beiseite nehme. Ich sehe Sie später wieder hier unter dieser Zeder.“
Ihren Arm in den meinen legend zog mich Mrs. Poyntz, ohne eine Antwort von Mrs. Ashleigh abzuwarten, in einen abgelegeneren Gartenweg. Sobald wir außerhalb der Reichweite von Mrs. Ashleigh waren, sagte sie:
„Nachdem Sie nun Lilian Ashleigh näher kennengelernt haben, wollen Sie sie immer noch zur Frau nehmen?“
„Immer noch? Mit einer Intensität die proportional zu der Furcht ist, die mich erfüllt, wenn ich daran denke, dass sie nicht nur meinem Blick, sondern auch meinem Leben entrissen werden könnte.“
„Stimmt Ihr Verstand der Wahl Ihres Herzens zu? Überlegen Sie gut, bevor Sie mir antworten.“
„Der selbstsüchtige Verstand, den ich besessen habe, bevor ich sie kennenlernte, würde allerdings die Wahl nicht bestätigen, aber der edlere Verstand, der nun all meinem Denken zu Grunde liegt, billigt und unterstützt die Stimme meines Herzens. Nein – lächeln Sie nicht so spöttisch – es ist nicht die Stimme einer blinden und egoistischen Leidenschaft. Lassen Sie mich meine Gedanken schildern, wenn ich es kann. Ich stimme Ihnen zu, dass Lilians Charakter noch nicht voll entwickelt ist, ich stimme Ihnen zu, dass aus der kindlichen Frische und Unschuld ihres Wesens bisweilen etwas Seltsames, Mysteriöses auftaucht, dessen Ursprung ich noch nicht ermitteln konnte. Aber ich bin mir sicher, dass ihr Verstand organisch genau so gesund ist, wie ihr Herz und das sich beide - unter günstigen Voraussetzungen – zuletzt zu der glücklichen Harmonie vereinigen werden, welche die weibliche Vollkommenheit ausmacht. Aber genau weil sie, vielleicht über Jahre hinweg, vielleicht immer, einer hingebungsvolleren und rücksichtsvolleren Behandlung bedarf als weniger sensible Naturen, billigt mein Verstand meine Wahl. Was immer ihrem Besten dient, ist auch für mich das Beste. Und wer könnte besser über sie wachen, als ich es kann?“
„Sie haben Lilian noch nichts von Ihren Gefühlen erzählt?“
„Oh nein – wie könnte ich?“
„Und trotzdem glauben Sie, dass Ihre Zuneigung nicht unerwidert sein könnte?“
„Ich glaubte es einmal; nun zweifle ich daran – und hoffe trotzdem. Aber warum quälen Sie mich mit diesen Fragen? Denken Sie auch, dass ich sie durch diesen Besuch für immer verlieren könnte?“
„Wenn Sie das befürchten, sagen Sie es ihr und vielleicht kann ihre Antwort Ihre Befürchtungen zerstreuen.“
„Wie! Jetzt schon, während sie mich kaum einen Monat kennt? Setze ich durch ein solch übereiltes Handeln nicht alles aufs Spiel?“
„Es gibt keinen Terminplan für die Liebe. Bei vielen Frauen wird sie in dem Moment geboren, in dem sie erfahren, dass sie geliebt werden. Alle Weisheit lehrt uns, dass ein verfehlter Augenblick unwiderbringlich verloren ist. An Ihrer Stelle würde ich mir klarmachen, dass ich an einem Punkt angelangt bin, den ich nicht ungenutzt verstreichen lassen darf. Ich habe genug gesagt. Jetzt muss ich zurück zu Mrs. Ashleigh.“
„Einen Moment – sagen Sie mir zuerst, was der Brief von Lady Haughton beinhaltet, dass Sie es für notwendig halten, mir einen derartigen Rat zu erteilen, der mich gleichzeitig ermutigt und erschreckt.“
„Nicht jetzt – später vielleicht – nicht jetzt. Wenn Sie Lilian alleine sprechen wollen, sie ist an der Old Monk´s Well. Ich habe sie dort sitzen gesehen, als ich vorhin auf das Haus zuging.“
„Noch ein Wort – nur noch eins. Beantworten Sie mir diese Frage bitte ganz offen, da es sich um eine Frage der Ehre handelt. Glauben Sie immer noch, Mrs. Ashleigh wird meine Werbung um ihre Tochter nicht missbilligen?“
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht; nächste Woche könnte ich vielleicht diese Antwort nicht mehr geben.“
Sie wandte sich von mir ab und verließ mit ihrem raschen, aber gemessenen Schritt den schattigen Gartenweg in Richtung des Hofes und ich sah ihr hellgraues Kleid unter den Zweigen der Zeder verschwinden. Dann brach ich die unschlüssige, ängstliche Spannung, in der ich vergeblich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, meine Zweifel zu zerstreuen, meinen Willen zu konzentrieren und ging in die entgegengesetzte Richtung auf die Einfassung zu, welche die Ruinen umgab – als zuerst seitlich an deren stolzer Terrasse die Häuser der benachbarten Stadt in Blick kamen, nur durch die unter der efeuüberwachsenen Böschung sich hinziehende geräuschvolle Straße von der geschäftigen Welt der Menschen getrennt, die plötzlich hinter dem Laubwerk des üppigen Juni verschwand.
Dann öffnete sich die verzauberte Lichtung mit seinem Saum aus spanischem Flieder, Rosen und Geißblatt aus dem frischen Grün und dort, bei dem grauen Denkmal eines vergangenen gotischen Zeitalters, schien meinen unstet umherwandernden Augen Einhalt geboten werden, gebannt durch das Bild, in dem für mich die Inkarnation aller Blüte und Jugend der Erde verkörpert wurde.
Sie stand inmitten der Vergangenheit, vor dem Hintergrund von Mauern, die der Mensch errichtet hatte, um sich vor den menschlichen Leidenschaften abzusondern und verschloss unter gesenkten Lidern das Geheimnis des einzigen Wissens, das ich mir von der grenzenlosen Zukunft ersehnte.
Ach! Welch Ironie liegt in dem großen Wort, dem wilden Kriegsruf der Welt – FREIHEIT! Wer hätte nicht in seinem Leben eine Periode gekannt – so ernst, dass ihre Schatten weit in das danach folgende Leben hineinreichen – in der ein menschliches Wesen eine größere und absolutere Gewalt über ihn ausübte, als die, welche die Knechtschaft des Orients in den Symbolen des Diadems und Szepters verehrt? Welcher Helmbusch flatterte je so hoch, dass er sich nicht vor der Hand beugte, die erhöhen oder erniedrigen konnte? Welches Herz schlug furchtlos genug, dass es nicht vor dem Gedanken an das Wort erzitterte, das ihm die Tore des Entzückens oder der Verzweiflung erschloss? Nur das Leben ist frei, welches sich selbst genügt und gebietet. Das Leben, welches wir verwirken, wenn wir lieben!