Kitabı oku: «Das Lebenselixier», sayfa 9

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Kapitel XVII

Wie ich es aussprach? In welchen Worten konnte sich mein Herz äußern? Ich erinnere mich dessen nicht mehr. Alles war wie ein Traum, der auf eine ruhelose, fiebrige Nacht folgt und verschwindet, sobald sich die Augen für den Frieden eines wolkenlosen Himmels und die Luft einer goldenen Sonne öffnen. In der Tat schien mir auf Erden ein neuer Morgen anzubrechen, als ich aus einem lebenslangen Gestern erwachte – ihre teure Hand in der meinen, ihr holdes Antlitz sich an meine Brust anschmiegend.

Und dann das melodische Schweigen, in das sich kein hörbarer Laut von außen mischte, im Innern aber eine besänftigende himmlische Musik, als ob unser ganzes, mit dem All in Harmonie getretenes Wesen aus seiner glücklichen Tiefe in die Hymne einstimmen würde, zu der sich der Sterne Chor vereinigt!

In diesem Schweigen schienen unsere zwei Herzen sich wechselseitig zu verständigen, einander näher und näher zu rücken und mit geheimnisvoller Eintracht in dem feierlichen Bund zu verschmelzen, der hinfort nicht mehr gelöst werden sollte.

Nach einer Weile sagte ich leise: „Und hier war es, an dieser Stelle, als ich Sie zum ersten Mal sah – hier, dass ich zum ersten Mal erfuhr, welche Macht der Zauber eines menschlichen Antlitzes besitzt, um unsere Welt zu ändern und unsere Zukunft zu beherrschen!“

Lilian fragte mich dann schüchtern und ohne die Augen zu erheben, wie ich sie gesehen habe, indem sie mich zugleich daran erinnerte, ich habe ihr schon früher versprochen, es ihr zu sagen, ohne dass ich Wort gehalten hätte.

Und dann erzählte ich ihr von dem seltsamen Impuls, der mich in den Garten führte, und von dem Zufall, der mich bewog, meine Schritte auf den Pfad hin zu dem freien Platz zu lenken; wie ihre Gestalt plötzlich, bestrahlt von dem Rosenrot der untergehenden Sonne, vor mir auftauchte und wie sehnsüchtig mein Auge dem stummen Blick gefolgt sei, den sie in den fernen Himmel schickte.

Während ich so sprach, drückte ihre Hand krampfhaft die meinige; sie erhob ihr Antlitz von meiner Brust und sah mich mit ängstlicher Eindringlichkeit an. Dieser Blick! Schon zweimal hatte er mich erschreckt und verwirrt.

„In diesem Blick liegt etwas, oh meine Lilian, was mir sagt, dass Ihnen etwas beklemmend auf der Seele liegt – Sie möchten es mir anvertrauen und scheuen gleichzeitig davor zurück. Sehen Sie, ich studiere bereits in dem schönen Buch, dessen Siegel gelöst ist; aber Sie müssen mir noch helfen, seine Sprache zu übersetzen.“

„Wenn ich davon zurückscheue, es Ihnen anzuvertrauen, so geschieht das nur deshalb, weil ich fürchte, ich kann mich nicht so ausdrücken, dass ich verstanden werde oder dass man mir Glauben schenkt. Doch Sie haben ein Recht, die Geheimnisse des Lebens kennen zu lernen, das Sie mit dem Ihrigen verbinden wollen. Sie müssen aber Ihr Gesicht von mir abwenden; ein tadelnder Blick, ein ungläubiges Lächeln würde mir – oh, Sie können sich nicht denken wie sehr - eiskalt durch die Seele fahren, wenn ich von dem spreche, was für mich eine so ernste, so seltsam feierliche Sache ist.“

Ich wandte mein Gesicht ab und ihre Stimme wurde fester, als sich nach einer kurzen Pause fortfuhr.

„So weit meine Erinnerung in meine Kindheit zurück reicht, erinnere ich mich, dass es Augenblicke gegeben hat, in welchen ein dünner Nebelschleier zwischen meine Augen und die umgebenden Dinge zu treten schien. Der Nebel verdichtete sich, bis er das Aussehen einer der weißen flockigen Wolken hatte, die sich am Horizont sammeln, wenn die Luft noch ruhig, aber die Winde sich schon erheben wollen. Dann öffnete sich dieser Dunst oder Schleier plötzlich, wie es auch die Wolken tun und ließ mich den blauen Himmel sehen.“

„Fahren Sie fort,“ sagte ich sanft, da sie hier stockte.

Sie fuhr in einem hastigeren Tempo fort.

„In dieser Öffnung zeigen sich mir seltsame Bilder wie in einer Vision. In meiner Kindheit waren es hauptsächlich Landschaften von wunderbarer Schönheit. Ich konnte damals nur eine vage Beschreibung davon geben und vermag sie auch jetzt nicht zu beschreiben, da sie fast aus meiner Erinnerung entschwunden sind. Meine liebe Mutter tadelte mich, wenn ich ihr erzählte, was ich sah, und so prägten sich die Gestalten, von denen ich nicht weiter sprechen durfte, meinem Gedächtnis nicht ein. Als ich heranwuchs, wurde diese Art Vision, wenn ich es so nennen darf, seltener und noch weniger deutlich. Ich sah wohl noch den dünnen Schleier niederfallen, sich zu einer blassen Wolke bilden und auseinandergehen; doch was sich mir dann zeigte, war meist vergessen, wenn ich wieder wie aus einem Schlaf erwachend, zu mir kam. Bisweilen aber konnte ich mich sehr lebhaft und vollständig wieder erinnern. Ich sah hin und wieder das Antlitz meines verstorbenen Vaters und vernahm wohl auch seine Stimme, ganz genau so, wie mir beides aus früher Jugend in Erinnerung war, als er mich, wenn er nachdachte und studierte, stundenlang neben sich ruhen ließ und ich mich so glücklich fühlte, wenn ich still in seiner Nähe sein konnte; denn ich liebte ihn – ach, und wie - und ich erinnere mich seiner noch so deutlich, obwohl ich erst sechs Jahre alt war als er starb. Vor kurzem, um es genau zu sagen während der letzten paar Monate, erschienen mir die Bilder zukünftiger Dinge in dem freien Raum so deutlich wie in einem Spiegel. So sah ich einige Wochen bevor ich hierher kam und ehe ich noch etwas von diesem Platz wusste, deutlich das alte Haus, jene Bäume dort, diesen Rasen, den moosbewachsenen gotischen Brunnen, und an die Vision knüpfte sich der Eindruck, dass auf dem Schauplatz vor mir in meinem alten kindlichen Leben eine ernste Veränderung vor sich gehen werde. Als ich nun hierher kam und die Bilder meiner Vision wieder erkannte, fasste ich für den Ort eine Vorliebe, die freilich nicht frei war von einer gewissen Ehrfurcht: er hatte ein gewaltiges, die Sinne verwirrendes Interesse für mich, wie man es etwa unter dem Einfluss eines Schicksals fühlt, in das man einen prophetischen Blick tun durfte. Und an jenem Abend, als Sie mich zum ersten Mal sahen und ich hier saß.....“

„Ja, Lilian, an jenem Abend...?“

„Sah ich auch Sie, aber nicht körperlich, sondern nur in meiner Vision – dort, weit in den Tiefen des Raumes – und – und mein Herz fühlte eine Unruhe, wie nie zuvor; und nicht weit von Ihrem Bild sah ich in der Wolke das Antlitz meines Vaters und hörte seine Stimme, nicht mit meinen Ohren, sondern in meinem Herzen, wie sie mir zuflüsterte....“

„Was flüsterte sie, Lilian?“

„Diese Worte – nur diese – „Ihr werdet einander nötig haben.“ Dann aber erhob sich zwischen meinen aufwärts gerichteten Augen und den zwei Gestalten, die sie vor sich hatten, von der Erde aufsteigend und den Himmel verdunkelnd, plötzlich trüber, sich wellenförmig ausbreitender Dunst, der sich wie zu einer ungeheuren Schlange ringelte, ohne bestimmte Gestalt und Form, ein Blitzen aus zwei schrecklich leuchtenden Augen und ein jugendliches Haupt, ähnlich dem der Medusa, welches sich schneller, als ich nach Atem ringen konnte, in einen grinsenden Totenschädel verwandelte. In meinem Schrecken wandte ich den Kopf ab und als ich wieder zurückblickte, war die Vision verschwunden. Der Schrecken aber wich nicht, selbst als mich der Arm meiner Mutter umschlang und ich ihre Stimme hörte. Und als ich dann im Haus allein war, wurde die Erinnerung an das, was ich gesehen hatte, – an jene Augen – jene Vision – jenen Schädel – immer mächtiger, bis ich zuletzt ohnmächtig zusammensank. Von da an weiß ich nichts mehr bis zu meinem Erwachen. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich Sie an meiner Seite, verwundert wohl, aber nicht erschreckt, sondern vielmehr mit einem Gefühl der Freude, des Schutzes und der Hoffnung. Allerdings mischte sich ein Schatten aus Furcht und Scheu darein, als ich das Gesicht erkannte, das aus dem Himmel auf mich herabblickte, während mir die Stimme meines Vaters zuflüsterte: „Ihr werdet einander nötig haben.“ Und nun – und nun – werden Sie mich weniger lieben, seit Sie ein Geheimnis in meinem Dasein kennen, das ich noch niemand geoffenbart habe und das ich mir selbst nicht zu deuten weiß? Ach, so spotten Sie wenigstens nicht – und sagen Sie nicht, dass Sie mir nicht glauben. Nein, halten Sie sich nicht länger abgewandt; ich bitte Sie jetzt, mir in die Augen zu sehen. So; nun mögen Sie mir, bevor sich unsere Hände wieder vereinigen können, sagen, dass Sie mich nicht als eine Lügnerin verachten oder als eine Irrsinnige bemitleiden.“

„Still – still!“ versetzte ich, sie an meine Brust ziehend. „Über alles, was Sie mir erzählt haben, wollen wir später sprechen. Die Waagschalen der Wissenschaft haben keine Gewichte, die fein genug wären für die Seidenfäden der reinen Phantasie einer jungen Frau. Es ist genug für mich – für uns beide –, wenn aus allen solchen Trugbildern nur eine Wahrheit aus dem Himmel hervorbricht, die zu Ihnen, liebliches Kind, und auch auf Erden zu mir, dem raueren Manne spricht. Jeder Schlag dieses Herzens, das Ihnen in vollem Vertrauen entgegenschlägt, wiederholt die Worte – jetzt und fortan durchs ganze Leben bis in den Tod: Jeder bedarf des Anderen – ich Deiner – ich Deiner! meine Lilian – meine Lilian!“

Kapitel XVIII

Ungeachtet der Versicherung, die mir Mrs. Poyntz gegeben hatte, näherte ich mich doch nicht ohne eine gewisse Besorgnis der Zeder, unter welcher Mrs. Ashleigh noch immer, die Freundin zu ihrer Seite, saß. Ich blickte auf das holde Wesen nieder, dessen Arm in dem meinen ruhte. Sie war so jung, so ungemein liebenswert und mit all den Gaben der Geburt und des Vermögens ausgestattet, durch welche Habsucht und Ehrgeiz nur um so mehr unter das Joch der Jugend und Schönheit gebeugt wird, dass es mir vorkam, als habe ich mich versündigt an dem, was eine Mutter mit Recht als ihr natürliches Los betrachten würde.

„Oh, wenn Ihre Mutter unseren Bund nicht billigen würde...!“ sagte ich zögernd.

Lillian lehnte sich etwas weniger leicht auf meinen Arm.

„Wenn ich das denken würde“, antwortete diese mit leichtem Erröten, „würde ich mich so an Ihrer Seite befinden?“

Wir bogen die dunklen Zweige der Zeder zurück. Lilian ließ mich los, küsste Mrs. Ashleigh auf die Wange, nahm neben ihr auf dem Rasen Platz und legte ihr Haupt in den mütterlichen Schoss. Ich betrachtete die Königin des Hill, deren scharfes Auge über mich hinwegschoss. Auf ihrem Antlitz schien sich für einen Moment ein Ausdruck des Schmerzes oder der Missbilligung abzuzeichnen; doch das war schnell vorüber. Zurück blieb eine gewisse Ironie, eine Art Triumph oder eine Beglückwünschung in dem halben Lächeln, mit welchem sie ihren Platz verließ und in dem Ton, mit welchem sie an mir vorbei gleitend zuflüsterte: „So, damit wäre die Angelegenheit also geregelt.“

Mrs. Ashleigh sah mich wohlwollend an; dann hob sie das Gesicht ihrer Tochter aus ihrem Schoss und flüsterte: „Lilian.“ Lilians Lippen bewegten sich, aber ich vernahm ihre Antwort nicht. Die Mutter hatte sie verstanden. Sie nahm Lilians Hand, legte sie einfach in die meine und sagte:

„Wie sie wählt, wähle auch ich; wen sie liebt, der ist auch mir teuer.“

Kapitel XIX

Von jenem Abend an bis zu dem Tag, an welchem Mrs. Ashleigh und Lilian den gefürchteten Besuch antraten, verbrachte ich jede Minute der Zeit, die mir meine Patientenbesuche frei ließen, in ihrem Hause; und während dieser wenigen Tage, der glücklichsten, die ich je erlebt hatte, war es mir, als hätten mich Jahre nicht mit Lilians außerordentlichem Wesen vertrauter machen können; ihr reiner Sinn erfüllte mich mit der tiefsten Ehrfurcht und ihre Anmut verstrickte mich immer tiefer in die Bande der Liebe. Ich konnte nur einen einzigen Fehler an ihr entdecken, machte mir aber selbst Vorwürfe darüber, dass er mir wie ein Mangel vorkam. Wir sehen viele, welche die untergeordneten Pflichten des Lebens vernachlässigen und denen eine wachsame, überlegende Fürsorge für Andere fehlt; gewöhnlich ist die Ursache hiervon Leichtsinn oder Egoismus. Allerdings konnte man keine dieser Eigenschaften Lilian zuschreiben; doch lag in den täglichen Bagatellen etwas von dieser Nachlässigkeit, etwas von diesem Mangel an Sorgfalt und Vorbedacht. Sie liebte ihre Mutter aufs Zärtlichste; aber doch fiel es ihr nie ein, ihr bei den kleinen Haushaltsgeschäften zur Hand zu gehen, auf die Ashleigh so viel Wert legte. Sie besaß ein Herz voll Zartgefühl und Mitleid für die Armen und Leidenden; dennoch gab es auf dem Berg manche junge Dame, die ihre Wohltätigkeit aktiver gestaltete, im Besuch kranker Armer zum Beispiel oder durch Unterweisung ihrer Kinder in den Kinderschulen.

Ich war der Überzeugung, dass ihre Liebe zu mir wahr und aufrichtig sei; sie war ganz offensichtlich frei von allem Ehrgeiz, und ohne Zweifel wäre sie fähig gewesen, sich zufrieden und ohne Widerspruch in Alles zu fügen, was die Welt Opfer und Entbehrung nennt – dennoch traute ich ihr nicht zu, dass sie Anteil an der Mühsal des täglichen Lebens nehmen werde. Ich hätte auf sie nie den häuslichen und so bezeichnenden Ausdruck „Gehilfin“ anwenden mögen. Selbst während ich dies schreibe, mache ich mir Vorwürfe, wenn ich diesen Mangel (sofern es ein Mangel ist) in der – wie soll ich sagen? – praktischen Routine unseres gemeinsamen, positiven, menschlichen Dasein notiere. Und ohne Zweifel war dies der Grund, der Mrs. Poyntz zu dem harten Urteil über meine Auserwählte führte. Aber der abkühlende Schatten, den ihr bezauberndes Wesens warf, war nicht der Reflex einer trägen, unliebenswürdigen Selbstsucht, sondern lediglich die Folge jener Selbstschau, welche durch ihre Träumerei genährt wurde. Ich enthielt mich vorsichtig jeder Anspielung auf die visionären Trugbilder, die sie mir als wirkliche Eindrücke ihres Geistes, wenn nicht ihrer Sinne, anvertraut hatte. Alles, was meiner Ansicht nach nur den Hauch des Aberglaubens trug, war mir unangenehm; jede Nachsicht in Phantasien, die nicht in dem klar definierten und ausgetretenen Pfad einer gesunden Einbildungskraft lagen, wirkte noch stärker auf mich – es alarmierte mich. Ich ermutigte sie mit keiner Silbe in ihren Überzeugungen, von denen ich mir sagen musste, es sei noch zu früh, ihnen mit vernünftigen Gründen entgegenzutreten, in jedem Fall aber grausam, sie lächerlich zu machen. Ich war überzeugt davon, dass die Nebel, die ihre natürliche Intelligenz umgaben und einer einsamen, dem Brüten anheim gegebenen Kindheit entsprungen waren, sich von selbst im hellen Tageslicht des ehelichen Lebens legen würden. Es schien sie schmerzlich zu berühren, wenn sie sah, mit welcher Entschiedenheit ich einem Thema aus dem Weg ging, der ihren Gedanken so wichtig war. Sie machte ein oder zweimal einen schüchternen Versuch, darauf zurückzukommen, aber meine ernsten Blicke genügten, ihr Einhalt zu gebieten. Ein- oder zweimal kam es bei solchen Gelegenheiten vor, dass sie sich von mir abwandte und mich verließ; doch kehrte sie bald wieder zurück. Das sanfte Herz konnte keinen Schatten zwischen sich und dem Gegenstand seiner Liebe ertragen.

Laut Übereinkunft sollte unsere Verlobung zunächst ein Geheimnis zwischen uns und Mrs. Poyntz bleiben und erst nach der Rückkehr von Mrs. Ashleigh und Lilian, die in einigen Wochen stattfinden sollte, bekanntgemacht werden. Unsere Heirat war für den Herbst geplant, eine Zeit, in welcher der normalerweise niedrige Krankenstand mir kurze Ferien gestattete.

So kam der Abschied – ein Abschied, wie er zwischen Liebenden stattfindet. Ich fühlte nichts von jenen eifersüchtigen Befürchtungen, die mich vor unserer Verlobung schon bei dem Gedanken an eine Trennung zittern gemacht und vor meiner Einbildungskraft unwiderstehliche Nebenbuhler heraufbeschworen hatten. Dennoch sah ich sie nicht ohne schwere, düstere Gedanken von dannen ziehen. Die Erde hatte ihre Herrlichkeit, das Leben seinen Segen verloren.

Kapitel XX

Während der vielbeschäftigten Jahre meiner Berufslaufbahn hatte ich immer noch Musse erübrigen können, um wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben, die mehr oder weniger Aufsehen erregten. Eine davon unter dem Titel „Das Lebensprinzip, seine Verschwendung und seine Versorgung“ fand auch unter dem nicht ärztlichen Publikum einen ausgedehnten Leserkreis. Die genannte Schrift enthielt die Ergebnisse gewisser, damals in der Chemie noch neuer Versuche, aus denen ich für die Ernährung des menschlichen Organismus Folgerungen nach denselben Grundsätzen zog, auf die Liebig die Kräftigung eines ausgelaugten Bodens baut; das heißt, ich schlug vor, dem Körper als wesentliche Elemente der Ernährung die Stoffe wieder zu geben, die er durch seine Tätigkeit verbraucht oder durch Zufall verloren hat – mit anderen Worten, ich forderte, diesem die Bestandteile der Ernährung zuzuführen, deren der individuelle Organismus konstitutionell bedarf und eine Neutralisierung und Ausgleich des im Übermaß Vorhandenen – eine Theorie, auf welche sich in neuester Zeit einige vielberufene Ärzte mit ausgezeichnetem Erfolg gestützt haben. Aber ich legte auf diese Arbeiten, die flüchtig waren und nur Andeutungen, keine durchgearbeiteten Sätze enthielten, keinen Wert. Während der letzten zwei Jahre beschäftigte mich ein Werk von viel größerer Tragweite, ein von größerem Ehrgeiz eingegebenes Unternehmen, von dem ich mir den nachhaltigen Ruf eines streng wissenschaftlichen, nicht auf Vorgänger bauenden Physiologen versprach. Es handelte sich um die Erforschung des organischen Lebens, basierend auf den Arbeiten des Berliners Johannes Müller, mit denen jener die Wissenschaften unseres Zeitalters bereichert hatte – leider nur ein schwaches Trachten, die Gedankentiefe und Gelehrsamkeit eines großes Geistes zu erreichen, welcher die Spekulation über den Gang der gewöhnlichen Reflexion erhaben macht. Damals wurde ich freilich getragen von der Wichtigkeit meines Themas und bewunderte meine Leistung, weil ich die Arbeit voller Hingabe erledigte. Während der Aufregung des letzten Monats war dieses Projekt völlig bei Seite gelegt worden; nun aber, da Lilian fort war, nahm ich es allen Ernstes als einzige Tätigkeit wieder auf, die Reiz und Macht genug besaß, mich den Verlust, die schmerzliche Leere, weniger empfinden zu lassen.

Am Abend nach ihrer Abreise nahm ich mir mein Manuskript wieder vor, das ich am Anfang eines Kapitels über „Wissen, von unseren Sinnen abgeleitet“ abgebrochen hatte. Da meine Überzeugungen über diesen Gegenstand sich auf die wohlbekannten Sätze Locke´s und Condillac´s gegen angeborene Vorstellungen und auf die Spekulationen gründete, durch welche Hume die Verbindung der Empfindung zu einer allgemeinen Vorstellung auf einen lediglich der Gewohnheit entspringenden Impuls zurückführt, widersprach ich dem gefährlichen Zugeständnis an die Sentimentalität oder den Mystizismus einer Pseudophilosophie, indem ich Widerspruch gegen die Lehre erhob, welche bei den meisten unserer neueren Physiologen Beifall findet und dem Wesen nach von den ausgezeichnetsten deutschen Metaphysikern, wenn auch ihrer positiven Form nach übernommen worden ist – ich meine die Lehre, welcher Müller selbst in folgenden Worten Ausdruck gab:

„Dass es angeborene Vorstellungen geben kann, lässt sich nicht im mindesten bezweifeln: es gibt hierfür Beweise. Alle Vorstellungen der Tiere, welche aus dem Instinkt hervorgehen, sind angeboren und unmittelbar: der Seele wird etwas dargeboten, der Wunsch etwas zu erreichen, was zu gleicher Zeit gegeben ist. Das neugeborene Lamm, das Fohlen hat solche angeborene Vorstellungen, durch die es bewogen wird, der Mutter zu folgen und an ihrer Zitze zu saugen. Trifft dies nicht in gewisser Weise auch auf die intellektuellen Vorstellungen des Menschen zu?“

Auf diese Frage antwortete ich mit einem entrüsteten „Nein“. Ein „Ja“ hätte meinen Glauben an den Materialismus in den Staub getreten. Ich schrieb rasch und mit Eifer fort, definierte die Eigentümlichkeiten und steckte die Grenzen der Naturgesetze ab, über die sich meiner Meinung nach selbst kein Gott hinwegsetzen konnte. So klempnerte und lötete ich an den Kettengliedern meiner Flicklogik Dogma an Dogma, bis aus meinen Blättern zu meinem großen Wohlgefallen der intellektuelle Mensch als reines Gebilde seiner materiellen Sinne erwachsen war; aus ihnen allein ging der Geist oder die sogenannte Seele hervor und zog Nahrung aus ihnen; durch sie wurde jede Aktion bedingt und mit der sich bewegenden Maschine ging auch der Geist unter. Seltsam, dass ich zu der selben Zeit, in der mich meine Liebe zu Lilian hätte lehren können, dass es in der Tiefe der Gefühle Geheimnisse gab, welche meine Analyse der Vorstellungen nicht zu entschlüsseln vermochte, allem Geistigen so engstirnig entgegenzutreten im Stande war. Seltsam, dass ich zu einer Zeit, nachdem kurz vorher mich der Gedanke an den vorübergehenden Verlust eines Wesens, das ich nur einen Monat kannte, so tief erschüttert hatte, mich so selbstgefällig hinsetzen konnte, um den Beweis zu führen, dass ich nach den Gesetzen der Natur, welchen meine Leidenschaft untertan war, für die Ewigkeit das Glück verlieren müsse, welches ich hoffte, für die Dauer meiner Lebensspanne erworben zu haben. Doch wie sehr unterscheidet sich nicht das Benehmen des Menschen von seinen Theorien. Betrachten wir den Dichter, der im Schatten des Waldes Oden an die Geliebte dichtet und folgen wir ihm hinaus in die wirkliche Welt, in der für ihn nie eine Geliebte gelebt hat! Oder der ernste Mann der Wissenschaft, welcher sich von der Welt abgeschlossen in seine leidenschaftslosen Probleme vertieft und folgen wir ihm dahin, wo sein Gehirn von der Arbeit ausruht und das Herz seinen Sabbat findet – welches Kind ist zärtlicher, schmiegsamer, weicher?

Aber ich hatte zu meiner Befriedigung bewiesen, dass der Dichter und der Gelehrte nichts weiter ist als Staub, sobald sein Puls zu schlagen aufgehört hat. Und nach diesem trostreichen Schluss hielt meine Feder inne.

Plötzlich hörte ich deutlich neben mir einen Seufzer – einen mitleidigen, wehmütigen Seufzer. Der Laut war unverkennbar. Ich fuhr von meinem Sitz auf, sah mich um und war erstaunt, dass ich nirgends ein Lebewesen entdecken konnte. Die Fenster waren geschlossen – draußen lautlose Nacht. Das Seufzen konnte also nicht vom Wind herrühren. Aber was war das dort – in der dunklen Ecke des Zimmers? Ein silbernes Weiß, unbestimmt die Umrisse einer menschlichen Gestalt annehmend, welche zurückwich, undeutlicher wurde und mit einem Mal verschwunden war! Ich weiß nicht warum – denn ich konnte kein Gesicht, keine bestimmte Form, sondern nur einen farblosen Umriss erkennen – ich weiß nicht, warum, aber ich rief laut hinaus: „Lilian! Lilian!“ Meine Stimme hallte seltsam in meinem Ohr wieder. Ich hielt inne, lächelte und errötete ob meiner Torheit. „So habe auch ich erfahren, was Aberglauben ist,“ murmelte ich vor mich hin. „Nun habe ich also eine selbst erlebte Anekdote zu erzählen (von welchen auch Müller spricht, wenn er von den Illusionen spricht, die ihn bei geschlossenen oder geöffnete Augen heimsuchten) – eine Anekdote, die ich anführen kann, wenn ich zum Kapitel: „Von der Sinnestäuschung und spektralen Phantasmen“ komme. Ich kehrte zu meinem Manuskript zurück und schrieb weiter, bis meine Schreibtischlampe im Grau der Morgendämmerung erblasste. Und damals sagte ich mir im Triumph meines Stolzes, als ich mich zur Ruhe niederlegte: „Meine Schrift weist mit der größten Genauigkeit dem Menschen seine Stelle in dem Bereich der Natur an; sie wird die Grundlage einer Schule abgeben und Schüler bilden. Geschlecht um Geschlecht derer, die durch den reinen Verstand die Wahrheit zu erforschen trachten, wird auf meinen Grundlagen mein Gebäude erweitern“. Und wieder hörte ich den Seufzer; aber diesmal überraschte er mich nicht. „Wirklich eine seltsame Geschichte dieses Nervensystem,“ murmelte ich vor mich hin, drehte mich um und schlief völlig erschöpft ein.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
740 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783946433408
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