Kitabı oku: «Kinder im Kreuzfeuer», sayfa 2

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1Chronische Elternkonflikte: Der familiäre Kontext

Als Frau und Herr B. sich vor etwa 15 Jahren kennenlernten, erlebten sie etwas, das sie noch immer als »Liebe auf den ersten Blick« bezeichnen. In den ersten fünf Jahren waren sie glücklich miteinander, bis das Baby Rahul geboren wurde. Schwangerschaft und Geburt waren sehr schwierig, und Rahul war ein ziemlich anstrengender Säugling. Herr B. hatte eine sehr anspruchsvolle berufliche Position und arbeitete oft lange. Frau B., die früher einmal eine Vollzeitstelle in einer Apotheke gehabt hatte, blieb nun bei dem Baby zu Hause. Beide Eltern waren gestresst und erschöpft und verwickelten sich in Streitigkeiten wegen der Kindesbetreuung, wegen unterschiedlicher Erwartungen und kultureller Gepflogenheiten, wegen der Rolle der beidseitigen Schwiegereltern sowie wegen anderer Dinge. Als zwei Jahre später das zweite Kind, Marina, geboren wurde, befand sich die Beziehung der Eltern in einer tiefen Krise, wie sie sie noch nie erlebt hatten. Frau B. hatte das Gefühl, ihr Mann sei nicht der stets hilfsbereite Vater, der zu sein er ihr versprochen hatte. Er war nur selten zu Hause, und wenn, war er meist gestresst und verhielt sich, als wolle er jeden Schritt seiner Frau und der Kinder kontrollieren. Seiner Frau gegenüber ließ er nur wenig Zuneigung erkennen, und er würdigte auch kaum ihre Arbeit im Heim der Familie. Sie vermutete, er habe eine außereheliche Affäre, doch das stritt er vehement ab. Herr B. seinerseits hatte das Gefühl, das Leben im Heim seiner Familie werde von seiner Schwiegermutter bestimmt, die sich in der Nähe eine Wohnung gesucht hatte und fast täglich auftauchte. Frau B. und ihre Mutter kritisierten ihn oft und bezogen ihn in wichtige Entscheidungen fast nie ein. Deshalb fühlte er sich ausgegrenzt, als würde seine Rolle als Vater seiner Kinder unterminiert, als blieben seine Ansichten und Meinungen ungehört und als wollten die Kinder des Paars nur Kontakt zu ihrer Mutter.

Die Atmosphäre in der Familie wurde immer angespannter, und es kam täglich zu Streitigkeiten; das passierte zunächst nur, wenn die Kinder nicht anwesend waren oder schliefen, doch später fanden die Auseinandersetzungen zunehmend auch vor den Kindern statt. Schon bald häuften sich bei Rahul Wutausbrüche, und Marina bekam Probleme mit dem Essen und litt unter Schlafstörungen. Die Beziehung der Eltern verschlechterte sich immer weiter. Rahul war drei Jahre alt und Marina noch nicht einmal ein Jahr, als Herr B. sich entschloss, aus dem Haushalt der Familie auszuziehen. Er fühlte sich von seiner Frau nicht mehr respektiert und glaubte, ihm werde »verboten«, der Vater zu sein, der er sein wolle. Frau B. hingegen fühlte sich von ihrem Mann verlassen und sah in seiner Entscheidung auszuziehen einen Beweis dafür, dass er sich seiner Familie nicht wirklich verpflichtet fühle. Das Paar vereinbarte, dass Herr B. die Kinder jedes zweite Wochenende zu sich nehmen solle und dass sie außerdem in der Wochenmitte einmal bei ihm übernachten dürften. Frau B. erklärte, sie wolle die Beziehung der Kinder zu ihrem Vater erhalten, machte sich aber andererseits Sorgen wegen seiner mangelnden Erfahrung im fürsorglichen Umgang mit ihnen. Jedes Mal wenn die Kinder von einem Besuch bei ihrem Vater zurückkamen, hatte die Mutter das Gefühl, sie kämen nicht zur Ruhe, und in den folgenden Tagen sei es schwieriger, mit ihnen zurechtzukommen. Nach zwei Monaten erklärte Frau B., sie könne nicht zulassen, dass Marina weiter bei ihrem Vater übernachte, wogegen er erfolglos protestierte. Rahul besuchte den Vater nun allein, sagte aber, er vermisse seine Schwester und seine Mutter. Drei Monate später weigerte er sich, das Wochenende bei seinem Vater zu verbringen. Er wollte sich nicht auf den Besuch vorbereiten und verhielt sich der Mutter gegenüber sehr anklammernd. Er sagte: »Papa ist mürrisch, und er brüllt.« Frau B. rief ihren Mann an und sagte, sie habe »buchstäblich alles« versucht, um Rahul dazu zu bringen, seinen Vater zu besuchen, aber er weigere sich.

In den folgenden vier Monaten sah Herr B. keines seiner Kinder, obwohl er an jedem zweiten Wochenende mit seiner telefonierte, um die Übergabe der Kinder abzusprechen; doch Frau B. erklärte jedes Mal: »Ich habe alles versucht, aber Rahul will dich nicht sehen. Er ist jetzt so alt, dass ich ihn nicht mehr zwingen kann, dich zu besuchen.« Herr B. reagierte zunehmend frustriert darauf, dass die Mutter nicht mehr tat, um seine Beziehung zu ihren gemeinsamen Kindern zu fördern. Er sprach mit Freunden der Familie über seine Sorgen, die daraufhin mit Frau B. redeten und ihr vorwarfen, sie versuche, Herrn B. mithilfe der Kinder dafür zu bestrafen, dass er seine Familie verlassen habe. Im Beisein der Kinder kam es zwischen den Eltern auf der Straße zu hitzigen Auseinandersetzungen, und in einer dieser Situationen rief ein Nachbar die Polizei hinzu. Frau B. erklärte, sie erlebe Herrn B. als verärgert und kontrollbesessen – als tyrannisch –, und die Kinder interessierten ihn im Grunde nicht. Herr B. hingegen erklärte, Frau B. »entfremde« ihm die Kinder absichtlich. Er engagierte einen Anwalt, und zwischen diesem und dem Anwalt seiner Frau entwickelte sich ein immer feindseliger werdender Schriftverkehr. Einige Monate später landete der Streitfall vor Gericht, und unabhängige Sozialarbeiter und andere professionelle Helfer wurden einbezogen. Als Rahul acht Jahre alt war, hatten schon zehn Gerichtstermine stattgefunden, und mehrmals hatten Richter angeordnet, dass die beiden Kinder Zeit bei ihrem Vater verbringen sollten – aber dies passierte einfach nicht. Als das Gericht der Familie schließlich die Auflage machte, unsere Klinik aufzusuchen, hatten beide Kinder ihren Vater seit vier Jahren nicht gesehen und auch nicht mit ihm gesprochen. Rahul sagte, er »hasse« seinen Vater, weil er »mich und meine Mama anbrüllt«, und Marina schien keinerlei Interesse an ihrem Vater zu haben.

1.1Hochstrittige Eltern und resultierende Familiendynamiken

Die Familie wird oft als sicherer Hafen bezeichnet. Sie kann aber auch ein gewaltiges Schlachtfeld sein oder dazu werden. Nach Schätzungen enden in den USA und in Großbritannien über 40 % aller Ehen mit einer Scheidung, und in vielen europäischen Ländern scheint es sich ähnlich zu verhalten (OECD 2018). Die Anzahl der minderjährigen Scheidungskinder in Deutschland ist in den letzten Jahren zwar gesunken, aber immerhin gab es 2019 mehr als 122 000 (Statista 2020).2 Etwa zehn Prozent aller Scheidungsfälle sind mit sehr starken Konflikten verbunden (Bream a. Buchanan 2003). Konflikte zwischen Eltern nach der Trennung führen häufig zu Auseinandersetzungen über das Umgangs- und Sorgerecht: zu schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten darüber, wer das alleinige Sorgerecht für die Kinder erhalten soll, wo und bei wem die Kinder leben sollen und wie viel direkten (persönlichen) und indirekten (z. B. telefonischen oder brieflichen) Umgangskontakt sie mit einem oder beiden Elternteilen haben sollen. Solche Meinungsverschiedenheiten und Konflikte greifen oft auch auf die erweiterte Familie sowie auf Freunde und berufliche Netzwerke über. In Szenarien dieser Art können Kinder emotionalen Schaden erleiden, weil sie dem problematischen Konfliktmanagement der Eltern und deren Unfähigkeit, sich zu einigen, schutzlos ausgesetzt sind.

Die meisten Eltern, die sich trennen, sind in der Lage, sich vorrangig um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern und sie vor ihrer eigenen Verbitterung über den Expartner zu schützen. Sie tun alles, um ihre Kinder zu unterstützen, eine Beziehung zu beiden Eltern und deren erweiterten Familien- und Freundeskreisen aufrechtzuerhalten. Es gibt allerdings auch Eltern, denen es unmöglich erscheint, von ihren eigenen Konflikten abzusehen – was dann, wie in unserem Beispielfall, dazu führt, dass die Kinder Schritt für Schritt in den elterlichen Konflikt hineingezogen werden und oft am Ende für eine Seite Partei ergreifen. Weil starke Gefühle und noch stärkere Reaktionen bestehende Konflikte noch stärker anfachen, sammeln sich Freunde und Mitglieder der erweiterten Familien um die Partner und unterstützen die eine oder die andere Partei, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis in solche Konflikte Anwälte und professionelle Helfer einbezogen werden. Die Ausweitung solcher Auseinandersetzungen auf das Rechtssystem kann derartige Situationen noch weiter polarisieren und verschärfen. Die Aufmerksamkeit der beteiligten Erwachsenen ist dann zunehmend darauf gerichtet, den »Fall« zu gewinnen, und die Leidtragenden sind fast immer die Kinder, deren komplexe Emotionen und Loyalitätsprobleme nicht mehr angemessen berücksichtigt werden, weil zwischen ihren Eltern und den Angehörigen des erweiterten Systems ein stark von Emotionen geprägter Krieg tobt, an dem auch Freunde und manchmal sogar professionelle Helfer parteiisch beteiligt sein können.

Wenn Elternpaare sich trennen oder sich scheiden lassen, haben manche schon seit Langem Partnerschaftsprobleme, und dabei spielen auch vor der Trennung oder Scheidung meist Mitglieder der jeweiligen Ursprungsfamilien eine Rolle. Solche Streitigkeiten können sich über viele Jahre hinziehen, in deren Verlauf die Erzählungen der beteiligten Erwachsenen, oft unter dem Einfluss langwieriger juristischer Auseinandersetzungen, immer starrer werden (Blow a. Daniel 2002; Gorell Barnes 2005). Kinder sind sich der langjährigen Verbitterung ihrer Eltern und deren Streitigkeiten in der Regel sehr wohl bewusst, auch wenn die Eltern beteuern mögen, dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht damit konfrontiert würden. Werden die Kinder – direkt oder indirekt – in die Auseinandersetzungen der Eltern verwickelt, geraten sie in Loyalitätskonflikte, die bei ihnen das Gefühl hervorrufen, sie müssten sich einen festen Standpunkt zu eigen machen, indem sie beispielsweise für einen Elternteil gegen den anderen Partei ergreifen. Leben Eltern nach der Trennung in separaten Wohnungen, beginnen die Kinder oft, zunehmend den Elternteil zu idealisieren, bei dem sie leben, manchmal allerdings auch den anderen Elternteil. In vielen Fällen läuft der Elternteil, bei dem die Kinder nicht regulär wohnen, Gefahr, marginalisiert zu werden, und manchmal wird er sogar aktiv verleumdet oder dämonisiert. Wird dann nicht bewusst gegengesteuert oder wird der Zustand absichtlich oder unabsichtlich verstärkt und gefördert, kann er das Geschehen in der Familie über Gebühr belasten. Manchmal werfen Kinder dem ihnen ferner stehenden oder häufiger abwesenden Elternteil frühere schlechte Behandlung vor, wozu sie auf angebliche Situationen von Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung verweisen, was der Elternteil, bei dem sie wohnen, dann nutzt, um den Kontakt zum früheren Partner einzuschränken oder völlig zu unterbinden oder um durchzusetzen, dass fortan jeder Kontakt unter amtlicher Aufsicht stattfindet.

Der elterliche Trennungsprozess ist oft eine schwierige Übergangssituation, die eine Umstrukturierung und Anpassung innerhalb der Familie erforderlich macht; in dieser Situation verstricken sich Eltern nicht selten in juristische Auseinandersetzungen, weil sie ihre Identität wahren wollen oder weil sie ihre bisherige Rolle oder Position innerhalb der Familie gefährdet sehen (Gorell Bernes 2017). Sie hegen dann oft die Erwartung, dass die rechtlichen Klärungsversuche ihre komplexen Emotionen, die den früheren Partner betreffen, lindern werden (Trinder et al. 2008). Hat außerdem ein ehemaliger Partner oder haben beide neue Partner gefunden, können sich weitere komplexe Dynamiken entfalten, welche die Beziehungen der Kinder zu einem Elternteil oder zu beiden Eltern negativ beeinflussen. Wie Kinder mit der Trennung ihrer Eltern kurz- wie auch langfristig fertigwerden, hängt stark von Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern ab, ihre Kinder trotz der Trennung weiterhin gemeinsam zu betreuen.

1.2Elterliche Trennung und ihre Auswirkungen auf Kinder

Die Trennung der Eltern verursacht bei Kindern normalerweise starke Gefühle, die von Kummer bis hin zu Angst und von Traurigkeit bis hin zu Wut reichen können (Kelly a. Emery 2003). Häufig werden Kinder von den Eltern über eine bevorstehende Trennung oder Scheidung und die Gründe dafür unzureichend informiert, und ihnen wird nur wenig über die langfristigen Implikationen für die zukünftige Familienstruktur und für Kontakt- und Wohnregelungen mitgeteilt – meist weil sich die Eltern darüber selbst nicht im Klaren sind. Zieht ein Elternteil aus dem Heim der Familie aus, kann es sein, dass der zurückbleibende Elternteil den Auszug des Expartners anders darstellt als derjenige, der das Heim verlässt. Die Kinder wissen dann oft nicht, welche Darstellung die »richtige« ist. Vom Zeitpunkt der physischen Trennung an ist es oft so, dass die Kinder den Elternteil, der sich entfernt hat, seltener und manchmal wochenlang gar nicht sehen.

Es ist gut belegt, dass Zwistigkeiten und erbitterte Konflikte zwischen Eltern meist negative Auswirkungen auf die Kinder und ihre psychosoziale Entwicklung haben (Barletta a. O’Mara 2006; Holmes 2013; Bernet et al. 2016; Harold a. Sellers 2018) und dass dies so häufig der Fall ist, dass im DSM-5 (2013) die diagnostische Kategorie »Kindliche Beeinträchtigung aufgrund von Beziehungsproblemen der Eltern« (Z62.898) eingeführt wurde. Dabei geht es nicht um die Trennung selbst, sondern um den destruktiven Konflikt zwischen den Eltern, der häufig zu einer schlechten psychosozialen Anpassung der Kinder in den Jahren nach der Trennung führt (Emery 1982; Kline et al. 1991), wobei auch eine Rolle spielt, wie stark die Kinder in die Konflikte hineingezogen werden (Davies a. Cummings 1994; Buchanan a. Heiges 2001; McIntosh 2003) und ob sie das Gefühl haben, sie selbst hätten die schlechte Beziehung ihrer Eltern zueinander verschuldet (Harold et al. 2007). Obzwar einige Kinder stärker beeinträchtigt werden als andere, beinhaltet das wiederholte und längerfristige direkte Miterleben elterlicher Konflikte und Streitigkeiten grundsätzlich für alle Kinder ein beträchtliches psychisches Risiko. Dieses kann sich in Form von Angst und Depression niederschlagen sowie in Form von Verhaltensproblemen, darunter aggressiven und feindseligen Verhaltensweisen (Johnston et al. 1987; Buchanan a. Heiges 2001; Grych a. Fincham 2001; Cummings a. Davies 2002; McIntosh 2003; Harold a. Murch 2005; Jenkins et al. 2005; Holt et al. 2008; Pinnell a. Harold 2008), Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen (Bolgar et al. 1995), Loyalitätskonflikten und kognitiven Dissonanzen (Amato a. Afifi 2006) sowie starken psychosozialen Anpassungsschwierigkeiten (Kline et al. 1991). Außerdem haben betroffene Kinder später im Leben häufiger Schwierigkeiten mit dem Aufbau und der Erhaltung von Vertrauensbeziehungen.

Wenn getrennte Eltern sich in einem Dauerstreit befinden, kann sich das negativ auf ihre emotionale Offenheit ihren Kindern gegenüber auswirken, weil viele ihrer Aktionen und Reaktionen mit den laufenden Konflikten zusammenhängen, also nichts direkt mit den Bedürfnissen ihrer Kinder zu tun haben. Jeder Elternteil mag für sich in Anspruch nehmen, dass es ihm nur um das Wohl der Kinder geht, macht aber gleichzeitig dem anderen Elternteil Vorwürfe; hingegen fällt es meist beiden schwer, den eigenen Anteil an der verbitterten Atmosphäre zu erkennen. Häusliche Gewalt setzt sich nicht selten auch nach der Trennung von Eltern fort, wobei die Kontakte der Kinder zu dem Elternteil, der das Heim der Familie verlassen hat, zum Fokus weiter eskalierender Konflikte zwischen den Eltern werden. Das beeinflusst nicht nur die Kindesbeziehung zum »entfremdeten« Elternteil, sondern zu beiden Eltern negativ.

1.3Die Debatte über Eltern-Kind-Entfremdung

Der Begriff »Elternentfremdung« – »Parental Alienation Syndrome« (PAS), Gardner 1985) – bezeichnet die (augenscheinlich) ungerechtfertigte und dauerhafte Zurückweisung und Herabsetzung eines Elternteils durch ihr Kind (bzw. ihre Kinder), ausgelöst und gefördert durch die Indoktrinierung des betreuenden Elternteils, der dem anderen bewusst Liebe und Respekt des eigenen Kindes vorzuenthalten versucht (Lowenstein 2007). Das Kind entwickelt mit dem Elternteil, bei dem es wohnt, eine starke Koalition und lehnt eine Beziehung zum »zurückgewiesenen« Elternteil »ohne plausible Begründung« ab (Gardner 1998). Die Diagnose des »Elternentfremdungssyndroms« (Gardner 1985) bleibt umstritten, weil sie impliziert, dass das Kind infolge absichtlicher oder unbewusster Indoktrinierung durch einen »entfremdenden« Elternteil eine »Störung« entwickelt, oft verbunden mit allem Anschein nach banalen, falschen oder unbelegten Anschuldigungen dem entfremdeten Elternteil gegenüber. Bestätigungen der Auffassung, dass Kinder die falschen Anschuldigungen, die sie gegen den Elternteil, den sie zurückweisen, erheben, lassen sich aus einem beträchtlichen Fundus an Untersuchungen herleiten, die unter anderem auch zeigen, dass Erinnerungen leicht verzerrt und dass »falsche Erinnerungen« eingepflanzt werden können (Loftus 1997; Bruck a. Ceci 1999; Schacter 2001; Tavris a. Aronson 2007; Lilienfeld et al. 2010).

Man hat festgestellt, dass bei Kindern von stark zerstrittenen getrennten Eltern typischerweise bestimmte Verhaltensweisen zu finden sind (Baker a. Darnall 2006; Baker 2007; Baker a. Chambers 2011; Ben-Ami a. Baker 2012). Darnall (1998) unterscheidet drei Kategorien von »entfremdenden Eltern«:

1.»Naive Entfremder« verhalten sich der Beziehung der Kinder zum anderen Elternteil gegenüber weitgehend passiv und sagen oder tun nur gelegentlich etwas, das einen Entfremdungsprozess initiieren kann.

2.»Aktive Entfremder« wissen, dass das, was sie tun, falsch ist, wirken aber trotzdem entfremdend, um mit ihrer persönlichen Verletztheit und Wut fertigzuwerden – aufgrund ihrer eigenen emotionalen Verletzlichkeit oder ihrer mangelnden Impulskontrolle.

3.»Besessene Entfremder« fühlen sich im Recht, wenn sie den anderen Elternteil verletzen und die Beziehung des gemeinsamen Kindes zu ihm zerstören, und lassen nur selten Selbstkontrolle oder Einsicht erkennen.

Weitere, einander überschneidende Begriffe und Kategorien existieren, die erklären sollen, warum Kinder sich auf die Seite eines Elternteils schlagen und den anderen ablehnen. Der Begriff »zu rechtfertigende Entfremdung« (siehe Bala a. Hebert 2016; Whitcombe 2017) wurde geprägt zu dem Zweck, die »verständliche Zurückweisung« eines misshandelnden oder vernachlässigenden Elternteils durch sein Kind zu charakterisieren. Von »hybriden Fällen« wird gesagt, sie würden »Entfremdung« und »zu rechtfertigende Entfremdung« kombinieren, um die Zurückweisung eines Elternteils zu legitimieren (Friedlander a. Walters 2010). Andere Begriffe und Konzepte wie »Ausgrenzung von Familienmitgliedern« (Scharp a. Dorrance 2017) und »kontraproduktives schützendes Elternverhalten« (Drozd a. Williams Olesen 2004) oder unfaire Verunglimpfung eines Elternteils durch den anderen werden ebenfalls zur Beschreibung dessen, was dazu geführt hat, dass ein Kind einen Elternteil nicht sehen will, benutzt. Kelly und Johnston (2001) haben versucht, das »Elternentfremdungssyndrom (PAS)« umzuformulieren und sich auf das »entfremdete Kind« zu konzentrieren, und in diesem Zusammenhang haben sie untersucht, warum und wie die Beziehungen von Kindern zu ihren Eltern nach deren Trennung beeinflusst werden. Das Konzept der »unversöhnlichen Feindseligkeit« (Sturge a. Glaser 2000) ist ein weiterer Versuch, die starke und nicht nachlassende Feindseligkeit zu erfassen, die oft zwischen dem Elternteil, dem das Sorgerecht für das Kind zugestanden worden ist, und dem anderen Elternteil besteht. Das letztgenannte Konzept hat insofern Schwächen, als man denken könnte, es würde implizieren, dass es unmöglich wäre, die Situation zu verbessern – was davon abhalten könnte, veränderungsfördernde Interventionen auch nur auszuprobieren.

Es wurde und wird weiterhin viel darüber diskutiert, ob Elternentfremdung tatsächlich ein Syndrom ist (siehe hierzu beispielsweise Andre 2004; Bernet et al. 2010; Rand 2011; Gottlieb 2012; Baker et al. 2016; Cantwell 2018). Nach unserer Auffassung hat das Konzept der Entfremdung zwar einige Vorzüge, aber andererseits auch Grenzen, da es einen in eine Richtung verlaufenden linearen und kausalen Prozess postuliert, der bewirken soll, dass sich Kinder in die verbitterte Beziehung ihrer Eltern hineingezogen fühlen und aufgrund dessen einem Elternteil gegenüber eine Abneigung entwickeln. Zwar erkennen wir an, dass in sehr extremen Fällen ein Elternteil bei der Unterminierung der Beziehung eines Kindes zum anderen Elternteil die treibende Kraft ist, doch sind in den meisten Fällen umfassendere und komplexere Dynamiken – wie »Triangulierungsprozesse« und Loyalitätskonflikte – im Spiel, die ein differenzierteres Verständnis und entsprechende Formulierungen erfordern.

Fidler und Bala (2010) zitieren zahlreiche Studien, die potenziell negative Auswirkungen von Entfremdungsprozessen auf die betroffenen Kinder thematisieren. Dabei kann es um folgende Aspekte gehen:

•Mängel der Realitätsprüfung

•unlogische kognitive Operationen

•übermäßig vereinfachende und starre Informationsverarbeitung

•unzutreffende oder verzerrte interpersonale Wahrnehmungen

•gestörte und beeinträchtigte interpersonale Funktionsfähigkeit

•Selbsthass

•schwaches oder übertrieben starkes Selbstwertgefühl oder sogar Allmachtsgefühle

•Pseudoreife

•Probleme hinsichtlich der Geschlechtsidentität

•Schwierigkeiten mit Grenzziehungen, wie z. B. »Verstrickung«

•Aggression und Störungen des Sozialverhaltens

•Ablehnung von sozialen Normen und Autoritäten

•mangelnde Impulskontrolle

•emotionale Einengung, Passivität oder Abhängigkeit

•Mangel an Reue oder Schuldgefühlen.

Retrospektive qualitative Untersuchungen an Erwachsenen, die in ihrer Kindheit Entfremdungsprozessen ausgesetzt waren, stehen mit den beschriebenen Erkenntnissen in Einklang (Baker 2007; Verrocchio et al. 2018). Die meisten Betroffenen berichten, sie könnten sich zwar deutlich daran erinnern, in ihrer Kindheit erklärt zu haben, sie hassten oder fürchteten den zurückgewiesenen Elternteil und hätten oft negative Gefühlen ihm gegenüber gehabt, hätten sich aber nicht gewünscht, dass er sich seinerseits von ihnen distanziert hätte, und hätten sogar insgeheim gehofft, irgendwann wäre jemandem klar geworden, dass sie das tatsächlich Gesagte nicht so gemeint hätten. Diese Erkenntnisse sind keineswegs neu, denn schon vor fast drei Jahrzehnten berichteten Clawar und Rivlin (1991), 80 % der Kinder ihrer Stichprobe hätten erklärt, sie wünschten sich, der Entfremdungsprozess werde entdeckt und gestoppt.

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