Kitabı oku: «Cannabis in der Medizin», sayfa 2
Byzanz und Orient
Mit der Aufteilung des Römischen Weltreichs in West- und Ostrom im 4. Jahrhundert nach Christus und der Schließung der von Platon gegründeten Philosophenschule in Athen wurde das Ende der Antike definitiv eingeläutet.
Im oströmischen Reich konnte sich Byzanz (das spätere Konstantinopel und heutige Istanbul) als Zentrum behaupten: im Jahr 1453 wurde Konstantinopel von den Türken erobert und in Istanbul umbenannt. Damit ging die mehr als tausend Jahre währende Epoche des Byzantinischen Reichs zu Ende.
Der wohl bedeutendste byzantinische Arzt war Oribasius. Auch er erwähnt Hanf und empfiehlt die Samen gegen Blähungen, weist jedoch auch auf eine kopfschädigende Wirkung (Kopfschmerzen?) hin (ABEL 1980: 34). Grundsätzlich brachten Vertreter der byzantinischen Medizin wenig Neues: in Bezug auf Cannabis wurde vor allem auf das Wissen von Dioskurides und Galen zurückgegriffen.
In der arabischen Welt war die Bedeutung von Cannabis dagegen sehr groß. Anders als in der abendländischen Kultur wurde im Orient das Haschisch dem Opium vorgezogen («Haschisch» – ursprünglich war damit «dürres Kraut» gemeint – löste um 1000 n.Chr. Qanab, die arabische Bezeichnung für Cannabis, ab [STRINGARIS 1972: 1]; heute ist mit Haschisch das Drüsenharz der weiblichen Hanfpflanze gemeint). Auch als Rauschpflanze konnte sich Cannabis in der persisch-islamischen Kultur etablieren. In zahlreichen «Tausendundeine Nacht»-Märchen des 12. Jahrhunderts kommt Haschisch vor: beispielsweise wird in der kurzen Erzählung aus der 143. Nacht ein Haschischrausch beschrieben (REININGER 1955: 2370). Überhaupt ist in der morgenländischen Literatur Hanf allgegenwärtig. Stellvertretend sei auf eine Stelle aus einem orientalischen Volksroman verwiesen, zitiert nach Gelpke (GELPKE 1975: 62-64):
«Vom Haschisch wird der Peniskopf gleich dem Amboss: wie er auch sei – er wird zweimal so groß. Jeder Feueranbeter und Jude und Armenier wird sogleich aus Wohlbehagen ein Moslem, nachdem er Haschisch genoss.
Das Haschisch ist es, das dem Verstand Erleuchtung bringt: (doch) zum Esel wird, wer ihn wie Futter verschlingt. Das Elixier ist Genügsamkeit: Iß von ihm nur ein Korn, damit es goldgleich ganz das Sein deines Daseins durchdringt.
Durch das Essen vom Haschisch wird der Verstand nicht vermehrt, und nicht anders wird vom Nichtessen die Welt (und ihr Wert). Gegen Traurigkeit (hilft es), davon ein wenig zu essen: doch esse keiner sich voll, damit ihn nicht Frechheit versehrt.
Ein jeder, der dem Haschisch als Sklave verfällt, ist bald lebendig, bald ein Toter, vom Schlafe gefällt. (Während) das Essen von wenigem die Traurigkeit abwehrt, ist, wer zu viel isst, in Blödheit zerschellt.»
Auch in der arabischen Medizin konnte sich Hanf behaupten. Anders als bei den Griechen und Römern wurde nun die ganze Pflanze als Arznei eingesetzt. Bereits damals scheint der Hanf aus dem Morgenland wirksamer und potenter gewesen zu sein als der in Europa bekannte. Aus heutiger Sicht ist klar, dass er mehr wirksamkeitsbestimmendes Tetrahydrocannabinol (THC, vgl. Kapitel 2 und 3) enthielt als der in der westlichen Medizin eingesetzte. Auch der berühmteste aller arabischen Ärzte, Ibn Sina, genannt Avicenna, erwähnt in seinem im Jahr 1025 erstmals erschienenen Standardwerk Canon medicinae den Hanf (TSCHIRCH 1910: 602).
Anders als in der westlichen Welt existierten schon damals zeitgenössische Berichte arabischer Ärzte, die den Missbrauch von Cannabis beklagen (MOELLER 1951: 360). In Kairo beispielsweise wurde im Garten von Cafour ein Haschischpräparat namens Okda verkauft. Die Bewohner von Kairo seien durch diesen «Schauplatz aller nur erdenklichen Ausschweifungen und Scheußlichkeiten» angezogen worden (HENKEL 1864: 538), im Jahr 1253 ließ der Gouverneur von Kairo diesen Garten zerstören und alle Hanfpflanzen ausreißen (Abel 1980: 42). Trotzdem verbreitete sich der Gebrauch des Krauts offenbar weiter, bis schließlich der Sultan von Ägypten zu Beginn des 14. Jahrhunderts den Verkauf von Haschisch ganz verbieten ließ (FLÜCKIGER, HANBURY 1879: 547).
Die Legende von den Assassinen
Heftig umstritten ist die Bedeutung von Haschisch in Zusammenhang mit den Assassinen. Der Orden der Assassinen wurde in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts vom persischen Ismailiten Has(s)an (ibn) Sab(b)ah gegründet. Der Legende zufolge ließ Hasan die Mitglieder des Ordens einen Trank trinken, der sie berauschte und zu den schrecklichsten Taten trieb. Dieses Getränk – der Abt Arnold von Lübeck war der erste Europäer, der im 13. Jahrhundert darüber schrieb –, über dessen Zusammensetzung immer wieder spekuliert wurde, nannte man Haschischin. Die Bezeichnung «Assassinen» für die fanatischen Ordensanhänger wurde (wenn auch etymologisch umstritten) daraus abgeleitet (BEHR 1992: 97). Der französische Orientalist Silvestre de Sacy kam im Jahr 1818 in einem Aufsatz zum Schluss, dass das französische assassin (= Meuchelmörder) auf das arabisch-persische haschischia (= Haschisch-Leute) zurückgehe (GELPKE 1975: 100-101). Interessant ist, dass diese größtenteils widerlegte Legende bis heute als vermeintlicher Beweis herhalten muss, um die Gefährlichkeit von Cannabis zu illustrieren.
Bereits im frühen Mittelalter nahm man an, dass es sich beim Ordensgründer Hasan um den «Alten vom Berge» handle: dies gilt heute als widerlegt, ist damit doch das Oberhaupt der syrischen Assassinen, Raschid ad-Din Sinan*, gemeint.
Hanf im mittelalterlichen Europa
Hanf zu Beginn des Mittelalters
Wie bis anhin verwendete man im Europa des frühen Mittelalters fast ausschließlich entweder den Hanfsamen oder die Faser. Als Halluzinogen war Cannabis unbekannt: der einheimische Hanf hätte auch kaum Wirkung gezeigt. Im Gegensatz dazu hatten andere psychotrop wirkende Pflanzen wie Stechapfel, Alraune, Bilsenkraut oder Tollkirsche ihre Blütezeit in dieser Periode. Sie dienten fast ausschließlich der Magie und finsteren Machenschaften (SCHULTES, HOFMANN 1987: 26).
Es gibt allerdings vereinzelt Hinweise, dass Hanf oder Hanfsamen zusammen mit anderen schlaffördernden und/oder schmerzbetäubenden Pflanzen in Form von Räucherungen oder als Tolltränke verabreicht wurden (TSCHIRCH 1910: 454-455). Diese These könnte dadurch gestützt werden, dass die Inquisition im 12. Jahrhundert in Spanien und im 13. Jahrhundert in Frankreich verschiedene Naturheilmittel verbot, darunter auch Cannabis (HERER 1993: 126). Später, im 15. Jahrhundert, erreichte die Ächtung von Cannabis einen vorläufigen Höhepunkt, als Papst Innozenz VII. im Jahr 1484 die sogenannte Hexenbulle (Summis desiderantes affectibus) erließ. Darin verbot er Kräuterheilern die Verwendung von Cannabis, da Hanf ein unheiliges Sakrament der Satansmesse sei (FISCHER 1929: 126-128).
Bereits 300 Jahre früher geht die deutsche Äbtissin Hildegard von Bingen in ihrer um 1150 erschienenen Heilmittel- und Naturlehre Physica auf Cannabis ein:
«[De Hanff-Cannabus] Der Hanf ist warm. Er wächst, während die Luft weder sehr warm noch sehr kalt ist, und so ist auch seine Natur. Sein Same bringt Gesundheit und ist den gesunden Menschen eine heilsame Kost, im Magen leicht und nützlich, weil er den Schleim ein wenig aus dem Magen entfernt und leicht verdaut werden kann, die schlechten Säfte mindert und die guten stärkt. Wer Kopfweh und ein leeres Gehirn hat, dem erleichtert der Hanf, wenn er ihn isst, den Kopfschmerz. Den, der aber gesund ist und ein volles Gehirn im Kopfe hat, schädigt er nicht. Dem schwer Kranken verursacht er im Magen einigen Schmerz. Den, der nur mäßig krank ist, schädigt sein Genuss nicht. – Wer ein leeres Gehirn hat, dem verursacht der Genuss des Hanfes im Kopf einen Schmerz. Einen gesunden Kopf und ein volles Gehirn schädigt er nicht. Ein aus Hanf verfertigtes Tuch, auf Geschwüre und Wunden gelegt, tut gut, weil die Wärme in ihm temperiert ist» (REIER 1982: 204).
Hanf in den Kräuter- und Arzneibüchern des Mittelalters
Interessanterweise erschien 1484, im gleichen Jahr wie die Hexenbulle, das Kräuterbuch Herbarius Moguntinis (Mainzer Kräuterbuch), worin «hanff, haniff» aufgeführt ist. Der Verfasser des Werkes ist nicht bekannt: die in Mainz hergestellte Inkunabel gilt zusammen mit dem Herbarium des Pseudo-Apuleius als erstes gedrucktes bebildertes Kräuterbuch der Welt (FISCHER 1929: 74-79). Auch in den folgenden Werken, so in dem im Jahr 1485 gedruckten Kleinen (H)ortus sanitatis wie im Großen Hortus sanitatis (im Jahr 1491 gedruckt) fehlt Hanf nicht. Altbekannte Anwendungen wie die Behandlung von Wasser- und Gelbsucht werden übernommen (HORTUS SANITATIS 1485: FISCHER 1929: 79-94: HEILMANN 1966: 99).
Ähnliches findet sich in Werken des später berühmt gewordenen Paracelsus. Der Hanf(samen) ist Bestandteil in seinem «Arcanum compositum», das er als wichtiges Arzneimittel mit besonderer Heilkraft ansah (MARTIUS 1856: 138: SCHNEIDER 1985: 27).
Nur ganz sporadisch tauchen Berichte auf, dass Hanf auch berauschende Effekte habe. Allerdings bezogen sich solche Aussagen immer auf den Gebrauch von Cannabis oder Haschisch außerhalb Europas. So beschrieben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der deutsche Arzt Johannes Wier (Weyer) oder auch der berbischstämmige Geograf Leo Africanus die psychotropen Effekte von Hanf (ABEL 1980: 108, MARTIUS 1856: 138).
Abb. 2: Darstellung von Cannabis im Kräuterbuch von Leonard Fuchs
Abb. 3: Darstellung von Cannabis im Kräuterbuch des Tabernaemontanus
Ab 1500 entstanden als Folge der sich etablierenden Buchdruckerkunst epochenprägende Kräuterbücher. Man ging dazu über, die Pflanzen so naturgetreu wie möglich abzubilden. Bei den als Väter der Botanik bezeichneten Kräuterbuchautoren Otto Brunfels, Hieronymus Bock und Leonard Fuchs wird die Pflanze beschrieben und in kunstvollen Holzschnitten porträtiert.
Aber auch nachfolgende Kräuterbuchautoren wie Adam Lonicer, Jacobus Theodorus Tabernaemontanus oder Andreas Matthioli erläutern die medizinischen Anwendungen von Hanf. Letzterer schreibt:
«Den Weiber / so von wegen der auffstoßenden Mutter hinfallen / sol man angezündeten hanff für die Nasen halten / so stehen sie bald wiederumb auff»
(TSCHIRCH 1910: 849).
Bemerkenswert ist, dass in diesem Kräuterbuch der therapeutische Gebrauch von Hanfrauch zur Inhalation erwähnt wird, denn man verwendete in dieser Zeit fast ausschließlich die Samen oder das daraus gewonnene Öl, deren Nutzen man schon lange kannte. Im gleichen Kräuterbuch wird ein äußerlich angewandter Umschlag aus Hanfwurzel zur Behandlung von Gichtschmerzen erwähnt: auch dies war bis dahin unüblich.
Auch andere Gelehrte widmen sich der Hanfpflanze. So beschreibt der berühmte Zürcher Arzt Conrad Gessner in einem seiner Werke folgendes Hanfrezept gegen Haarausfall:
«Das Wasser von Hanffsaamen mit Knoblauchsafft gebrannt / eben auff die weise wie das Rosenwasser distilliert wird / ist ein zierd Wasser. Dann so man die glatten kaalen orth darmit bestreicht / so macht es daselbst haar wachsen» (GESSNER 1583).
Hanf – ein Berauschungsmittel?
Im Zuge der Eroberungen oder durch Reisende wurde auch in Europa bekannt, dass Hanf außerhalb Europas als Berauschungsmittel verwendet wurde. So beschreibt der portugiesische Arzt Garcia ab Horto bereits im 16. Jahrhundert den Gebrauch von Bangue (Cannabis) in Indien (GARCIA AB HORTO 1574: 219). Auch der deutsche Arzt Engelbert Kämpfer beschreibt Anfang des 18. Jahrhunderts den rekreativen Gebrauch von Cannabis im Orient (KÄMPFER 1712: 645). Andere Asien- und Orientforscher in dieser Zeit erwähnen den Gebrauch von Cannabis in fremden Kulturen ebenso. Wann genau Haschisch zum ersten Mal nach Europa kam, ist nicht ganz sicher. Eventuell könnte dies im Jahr 1690 geschehen sein, und zwar durch den englischen (Drogen-)Kaufmann John Jacob Berlu, der in seiner Übersicht über die die handelsüblichen Drogen (The Treasury of Drugs Unlock’d) auch das «betörende und schädliche» B(h)ang aufführt (BOUQUET 1912: 13): «Bang. Is an Herb which comes from Bantam in the East Indies, of an Infatuating quality and pernicious use».
Dass Hanf bereits in dieser Zeit auch in Europa als Berauschungsmittel verwendet wurde, ist nur ganz spärlich belegt. Es kommt dazu, dass der einheimische Hanf kaum den berauschenden Inhaltsstoff enthielt und der importierte «indische» Hanf als Medizin erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa richtig populär wurde. Interessant ist, dass das Hanfkraut bereits im 16. Jahrhundert in der europäischen Literatur Einzug hielt. So beschrieb der französische Arzt und Schriftsteller François Rabelais in seinem Werk Gargantua und Pantagruel eingehend ein Kraut namens Pantagruelion, welches insbesondere von älteren Autoren als Hanf identifiziert wurde (REGIS 1841: 1158–1163).
Cannabis im europäischen Arzneischatz des 18. Jahrhunderts
Das bis Mitte des 18. Jahrhunderts wohl populärste Arzneibuch im europäischen Raum war die Pharmacopoeia medico-chymica des Johann Schröder (TSCHIRCH 1910: 890). In der deutschen Ausgabe von 1709 mit dem Titel Vollständige und nutzreiche Apotheke oder medizin-chymischer Artzney-Schatz sind zahlreiche Cannabisrezepturen erwähnt. Einige Beispiele (SCHRÖDER 1709: 902):
«Die Bauern in Niederland geben Hanff Körner zerstoßen und ein Safft deraus gepresst den Patienten zu Anfang der Gelbsucht ein/und offt nicht ohne Nutzen sonderlich wenn sie aus bloßer Verstopfung und ohne Fieber entstehet. Er öffnet den Gang der Gallen und befördert durch den ganzen Leib bilis digestionem.»
«Wer flüssige Augen hat, der siede Hanff Körner in rothen Wein bis sie keimen hernach nehme man einen Schwam tunke den in die Brühe und binde den Schwamm alle Abend in den Nacken / zeucht die Flüsse hinweg.»
«Hanff-Emulsion aus dem Kern davon die Rinde abgemacht mit Rosen- Wasser bereitet und mit Baumwolle übergelegt vertreibet die MaserFlecken und Pocken-Narben / machet man aber mit Bier und Butter/Brühlein davon und trinket sie das morgens nüchtern so praeserviren sie den Kindern von Kinds-Blattern.»
In vielen zeitgenössischen Arzneibüchern wurde Hanf als Bestandteil von Rezepturen erwähnt. Meist waren es immer wieder die gleichen Beschwerden, die man mit Hanf(samen) behandelte. Eine typische Krankheit, die man unter anderem mit Hanfsamen bekämpfte, war die Geschlechtskrankheit Gonorrhoe (Tripper).
Auch der Schweizer Universalgelehrte Albrecht von Haller kannte den medizinischen Gebrauch von Hanf. Nebst den wohlbekannten Indikationen geht er in seinem 1776 erschienenen Werk Historia stirpium indigenarum Helvetiae auch auf die kulturhistorischen Hintergründe dieser Pflanze ein (HALLER 1768: 287-289).
Obgleich die nützlichen und therapeutischen Eigenschaften des einheimischen Hanfes geschätzt wurden, stand man dem bis dahin in der westlichen Medizin unbekannten indischen Hanf kritisch gegenüber. Den berauschenden Eigenschaften der fremdländischen Hanfpflanze und ihrer vermuteten Schädlichkeit wurde mit Vorsicht begegnet. Der Tübinger Medizinprofessor Johann Friedrich Gmelin hielt in seiner 1777 erschienen Allgemeinen Geschichte der Pflanzengifte fest:
«Auch der Saame, die Rinde, die Blätter, noch mehr der Saft, und die Spitzen der grünenden Pflanze haben etwas Betäubendes: sie sind das Brug, oder Bangue der Morgenländer, dass sie gemeiniglich mit etwas Honig anmachen, und es gebrauchen, wenn sie sich in eine angenehme Art von Trunkenheit und Benebelung des Verstandes versetzen wollen. Ob ich gleich nicht zweifle, dass ein langer Gebrauch solcher Mittel tödlich sein kann, so ist mir doch bisher kein Beispiel davon bekannt» (GMELIN 1777: 402).
Zusammengefasst: Auch im 18. Jahrhundert verwendete man von der Arzneipflanze Cannabis sativa fast ausschließlich, wie in der Volksmedizin üblich, die Samen in Form des Öls oder einer Emulsion. Die Heilpflanze Cannabis indica war bis zu diesem Zeitpunkt als Arzneimittel praktisch unbekannt. Es sollte bis Mitte des 19. Jahrhunderts dauern, bis sich der Indische Hanf in der europäischen Schulmedizin etablieren konnte.
Was ist Indischer Hanf?
Der wissenschaftliche Name Cannabis indica, Indischer Hanf, stammt von dem französischen Botaniker Jean Baptiste Lamarck (1744–1829), der ihn damit von dem in Europa angebauten Hanf Cannabis sativa unterschied. Er erwähnte «Chanvre des Indes – Cannabis indica» wahrscheinlich erstmals im Jahr 1783. Heute ist umstritten, ob es sich um eigene Arten (Spezies) oder um zwei Unterarten (Subspezies) derselben Art handelt (siehe Kapitel 2). Unabhängig von der Stammpflanze wird «Indischer Hanf» im Deutschen häufig als Synonym für Rausch- oder Drogenhanf verwendet, beispielsweise in der Homöopathie.
Cannabis in der Schulmedizin des 19. Jahrhunderts
Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert begann man sich für die fremdländische Variante des einheimischen Hanfes zu interessieren – so auch der Begründer der klassischen Homöopathie, Samuel Hahnemann, der 1797 schrieb:
«Obgleich bisher bloß die Samen im Gebrauche gewesen sind, so scheinen doch andre Theile der Pflanze wirksamer zu sein und höhere Aufmerksamkeit zu verdienen» (HAHNEMANN 1797: 266).
Indischer Hanf kommt nach Europa
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es der Franzose Pierre Sonnerat, der nach einer Orientreise nicht nur vom Indischen Hanf berichtete, sondern auch Exemplare davon nach Frankreich brachte. Auch Napoleon Bonapartes Ägyptenfeldzug machte erneut auf Haschisch aufmerksam. Man begann sich – vorerst noch etwas zögerlich – für diese «neue» Pflanze zu interessieren. Im Jahre 1823 erschien im renommierten Hufeland-Journal ein Artikel über den Gebrauch des indischen Hanfextraktes:
«Das Extraktum (Foliorum?) Cannabis wurde in der Poliklinik in Berlin gegen Tussis convulsiva [Keuchhusten] in einem Falle mit schneller Hülfe gebraucht und dasselbe in Pulver mit Zucker zu 4 Gran täglich verordnet» (DIERBACH 1828: 420).
Die erste ausführliche Beschreibung zur Verwendbarkeit des Indischen Hanfs in Europa lieferte im Jahr 1930 der Apotheker und Botaniker Theodor Friedrich Ludwig Nees von Esenbeck, er schreibt:
«Mehrere Ärzte, auch Hahnemann, geben das weinige Extrakt gegen mancherlei Nervenbeschwerden, wo man sonst Opium oder Bilsenkraut anwendet» (NEES V. ESENBECK, EBERMAIER 1830: 338-339).
Trotzdem war die Bedeutung des Indischen Hanfs in der Arzneimitteltherapie noch marginal:
«Wichtiger ist der Gebrauch des Hanfsamens in Emulsionen oder Aufgüssen und Abkochungen, als eines beruhigenden, einhüllenden und reizmindernden Mittels bei Heiserkeit, Husten, Durchfall und besonders bei Krankheiten der Harnwerkzeuge, namentlich des Trippers» (NEES V. ESENBECK, EBERMAIER 1830: 338-33).
Dies sollte sich nun grundsätzlich ändern, denn aus Indien folgten neue Erkenntnisse.
Eine folgenreiche Studie
Im Jahr 1839 veröffentlichte der im indischen Kalkutta stationierte irische Arzt William B. O’Shaughnessy eine umfassende Studie über den Indischen Hanf. Seiner Arbeit mit dem Titel On the Preparations of the Indian Hemp, or Gunjah ist es hauptsächlich zu verdanken, dass sich der Indische Hanf in der Folge auch in der europäischen Schulmedizin etablieren konnte. O’Shaughnessy erläutert zuerst einige Tierversuche, bei denen er mit traditionellen indischen Hanfzubereitungen arbeitet.
Im Hauptteil seiner Arbeit geht der Autor auf seine vielfältigen Versuche am Menschen ein. Er verwendet verschiedene Hanfpräparate (zum Beispiel Tinktur und Pillen) mit teilweise großem Erfolg bei den folgenden Indikationen: Rheumatismus, Hydrophobia (Tollwut), Cholera, Tetanus (Starrkrampf), Konvulsionen (Krämpfe), Delirium tremens (Alkoholentzugssyndrom). Zu jeder Indikation liefert O’Shaughnessy mehrere Fallbeispiele und hält Beobachtungen fest. Bei den meisten genannten Indikationen waren Krämpfe ein zentrales Problem. Mit den Cannabispräparaten fand er gute Mittel, um seinen Patienten Linderung zu verschaffen oder sie sogar ganz von diesen Symptomen zu befreien. Er schrieb:
«Die vorliegenden Fälle geben zusammengefasst meine Erfahrungen mit Cannabis indica wieder und ich glaube, dass dieses Heilmittel ein Antikonvulsivum [=Entkrampfungsmittel] von größtem Wert ist» (O'SHAUGHNESSY 1838–40: 29).
Die westliche Schulmedizin reagierte prompt auf diese neuen Erkenntnisse aus Indien. Dies ist nicht erstaunlich, denn bis dahin hatte sie den noch nicht als Infektionskrankheiten erkannten Problemen wie Tollwut, Cholera oder Starrkrampf relativ hilflos gegenübergestanden. Aus den Ergebnissen von O’Shaughnessy schöpfte man große Hoffnungen. Der Startschuss zu einer vielversprechenden Karriere der Medizinalpflanze Cannabis indica war gefallen.
Abb. 4: Reprint der ersten Seite der Studie von W. B. O’Shaughnessy (Ausschnitt), 1839.
Die Franzosen waren die Ersten, die sich intensiv mit dieser indischen Variante des einheimischen Hanfes beschäftigten. Bereits im Jahr 1840 benutzte der in Ägypten ansässige französische Arzt Louis Aubert-Roche das Haschisch anscheinend erfolgreich gegen Pest: er gab an, in sieben von elf schweren Fällen die Betroffenen mit Cannabis geheilt zu haben. Gleichzeitig begann sein Landsmann und Freund, der später berühmt gewordene Psychiater Jacques Joseph Moreau de Tours, mit Haschisch zu experimentieren.
Moreau de Tours war schon bald davon überzeugt, dass in der Psychiatrie von allen bekannten Medikamenten der Indische Hanf das Mittel der Wahl sei. Sein 1845 veröffentlichtes Buch Du Hachisch et de l’aliénation mentale erregte damals großes Aufsehen und gilt heute als Ursprung der experimentellen Psychiatrie (WEBER 1971: 8).