Kitabı oku: «Die Ehre der Stedingerin», sayfa 5
Das Gehabe, wenn in Männern viehische Gelüste erwachen, konnte Ulrike kaum schocken, doch es befremdete. Knolle grabschte Birte in den Speck, dass sie vom Gesäß bis an die Füße zusammenzuckte, und Wendel platzte ein wieherndes Lachen heraus. Alle außer den Mädchen lachten mit, und Wendel schubste Birte auf das Bett, packte nach ihren Füßen. Sie fing an, sich in seinem Griff zu winden wie ein Aal und hatte in ihrem muffigen Verschluss keine Chance. Als sie endlich stilllag und ihr Atem zur Ruhe kam, hatte sich Wendel derweil von seiner streng müffelnden Bruche befreit und rückte ihr zu Leibe, dass Birte losschrie wie ein Iltis, und das Geschrei schlug um in ein leise quengelndes Wimmern.
Die Freundinnen, zum Zusehen verurteilt, rangen um Atem. Ulrike wurde vom Zuschauen übel, und was sie der Freundin antaten, drohte ihr selbst. Die heimlich gehegte Zuversicht, die Tür müsse gleich auffliegen und Dirk von Keyhusen erscheinen, war abgebrannt wie ein Strohfeuer, und sie schaute gebannt zum Tisch. Wieder klackerten die Würfel über die Eichenplatte. „Würfel richtig Knolle“, befahl Konrad.
„Tu ich doch.“
„Nein, du schummelst. Du musst die Würfel werfen, nicht fallen lassen“, wies ihn sein Nebenmann zurecht. Konrad fasste ihn tadelnd in die Augen. „Nun aber anständig, Knut. Hier wird es auch anderen langsam eng in der Bruche.“
Er warf erneut, und Ulrike wurde angst und bange. Diesmal gewann Bruno, und der Fettwanst unter den Gewappneten rückte stürmisch den Stuhl zurück, um sich Ulrike zu holen. Ihr Vorsatz, die Flucht nach vorn anzutreten und sich freiwillig auf das Bett zu werfen, um es schnell hinter sich zu bringen, wurde von einem Sturm des Widerwillens hinweggefegt. Nein, lieber wollte sie sterben!
„Wie ihr Mund zuckt“, hörte sie Knolle raunen. „Muss die eine Angst haben…“
Alle am Tisch verfielen in grölendes Gelächter über ihre entgeistert herabfallende Miene. Bruno packte Ulrike derb am Handgelenk und schleuderte sie in Richtung Bett, wo sie an dem Pfosten Halt fand, der das schleierartige Dach trug. Schwankend wie ein Halm im Wind weigerte sie sich, den Pfosten loszulassen und spürte die Bettkante an den Kniekehlen. Der Dicke schubste sie mit dem Bauch auf das zerwühlte Lager. Sie riss die Knie an sich und schlang die Arme darum.
„Soll ich dir auch das Kleid bündeln?“, drohte er.
Sie zog eine Flappe, als wollte sie sagen, kommt doch…
„Setz dich mal vernünftig hin“, forderte Konrad.
Ulrike hatte das unbestimmte Gefühl, es könnte besser sein, ihm zu gehorchen und ließ die Beine vom Bett baumeln, sodass ihre Pantinen leicht den Holzboden schabten, als sie sich aufsetzte und trotzig den Kopf hob. Wie ein armer Sünder sah sie Konrad in die Augen. „Helft mir doch. Ihr seid doch ein Mann von Ehre, Herr Vogt.“
Konrad schüttelte stur das Haupt. „Pech gehabt Mädchen. Sei tapfer“, riet er ihr.
„Los, raff dein Kleid, mein Täubchen“, verlangte Bruno.
Als sie trotzig die Unterlippe hochzog, schubste er sie um. Natürlich strampelte sie nach Kräften, aber viele Hände streckten sie lang auf das Bett. Unbarmherzig schlug Bruno ihr Kleid hoch. Sie glühte vor Scham, weil sie einen Anblick bot, der die Herzen der im Rittersaal versammelten Männer höher schlagen ließ. Schlimmer als die Scham vor all den Gaffern war seine tölpelhafte Grobheit. Mit seiner ganzen Masse warf er sich auf sie und quetschte ihr die Brust, dass sie fürchtete, ihre würden die Rippen brechen. Und das war noch erträglich, gegen das Gefühl, gewaltsam geöffnet zu werden. Ein weißglühender Schmerz durchpflügte ihren Leib und sie versteifte sich, riss atemlos den Mund auf. Doch der Laut erstickte in Kehle und Rachen. Wie besessen rührte sie mit dem Kopf auf den Kissen, während ihr Peiniger unablässig in der brennenden Wunde herumfuhrwerkte, so weh tat es. Speichel triefte auf ihren Hals, und schlotternd vor Ekel wünschte sie ihm den Teufel an den Hals. Etwas in ihrem Herz zerbrach in einer Wolke aus Qual und Enttäuschung.
Sich von der Notzucht zu erholen, blieb wenig Zeit. Ulrike rang um Atem, fühlte sich hundeelend und beschmutzt. Durch die verfliegenden Schleier des Schmerzes klang erneut das Klappern von über Holz rollenden Würfeln an ihr Ohr. Die quakende Stimme von Knolle meldete sich wieder. „Jetzt um die Kleine?“
„Um die Kleine“, bestätigte Konrad vom Kopf der Tafel.
Eben noch wünschte Ulrike, der Boden möchte sie gnädig verschlingen, da ging das Temperament mit ihr durch. In blinder Raserei sprang sie vom Bett, griff nach dem rußgeschwärzten Schürhaken und stellte sich vor die Schwester, am ganzen Leib bebend. „Meine Schwester ist keine zwölf!“, schrie sie den Burgvogt an. „Wage es nicht… du wirst es büßen! Mein Freund ist dein Freund, und ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, dass er erfährt, was sich hier abgespielt hat. Dirk wird dich richten, du Dreckskerl von einem Kükenschänder… das schwöre ich dir bei der Jungfrau Maria, dem heiligen Valentin und dem heiligen Georg!“
„Dirk?“ Der bartlose Junker mit den adretten, kurzen, schwarzen Locken und dem schmalen aber schönen Gesicht blickte sie aufhorchend an.
„Dirk von Keyhusen…“, bekräftigte sie. „Er wird Euch auf den Topf setzen, darauf könnt Ihr Gift nehmen!“
„Ach“, sagte der Junker und winkte verächtlich ab. „Eine Frau ist kein Stück Seife, ihr nutzt euch nicht ab.“ Sein Gesicht wirkte wie versteinert, ehe Unmut über Ulrikes Fluch erwachte, und er herrschte seine Leute an. „Fürchtet ihr, die kleine Hexe könnte euch beißen, die ist ja noch eine halbe Göre.“
Vielleicht wollte er herauskehren, er habe vor Dirk von Keyhusen keinen Respekt. Jedenfalls packte ein vierschrötiger Waffenknecht Ulrike grob am Handgelenk und kugelte ihr fast den Arm aus. Brutal in die Ecke gestoßen, stürzte sie quer über Geldis und Birte hinweg und schrammte sich am Kamin die Schulter. Der bittere Kelch wanderte dennoch an der jüngeren Schwester vorüber, allerdings aus einem anderen Grund. Alle starrten Atem holend zur Tür: Die wurde von außen aufgerissen, und mit hochrotem Kopf stolperte ein Waffenknecht herein. „Kommt zum Burgtor!“ forderte er, und von einem Augenblick zum anderen ließ man die Mädchen allein.
Auf dem Bergfried der Lechterburg hielten zwei graubärtige Gewappnete müde die Stellung, als ein kräftig gebauter Mann mit Stirnglatze übermütig durch das nasse Wiesenland am Schilf der Hunte stapfte und sich der Flussschleife näherte. Seine jüngste Tochter und ein zehnjähriger Knabe mussten an der Laube des Brookdeicher Waldes nicht lange warten, ehe ein Planwagen mit Ochsen den Feldweg hochzuckelte und sie mitnahm nach Berne. So war Lüder bald im Bilde, was sich ereignete. Auch eine Woche nachdem seine Töchter ihn verließen, umgezogen zum Hof der Aumunds, übernachtete er noch in der alten Heimstätte und brach unverzüglich auf, um Ulrike und Wibke aus den Fängen des Vogtes zu befreien. Ohne zu wissen, wie er das anstellen wollte, erschien er vor der eingeholten Zugbrücke. Seine Augen flogen hinauf zu den Zinnen, und er schnaubte vor Wut. „Lasst meine Töchter frei!“ schrie er und schüttelte den Reisigen die Faust.
Eine halbe Minute später erstieg Konrad die Leiter zur Aussichtsplattform, in seiner Gesellschaft ein Ritter in einem knielangen Kettenhemd, mit dem flämischen Löwen auf blaugelbem Waffenrock - Wilhad von Brügge, der aus Flandern fliehen musste. Auf Burg Lechtenberg fand er Zuflucht und lebte gut im Land seines Waffenbruders und Freundes aus Turniertagen.
„Geh‘ Heim“, rief Konrad von oben. „Wir schicken dir deine Töchter, sobald wir mit ihnen fertig sind!“
Es traf Lüder an der empfindlichsten Stelle. Er schlug die Augen nieder und wurde fuchsteufelswild. „Seid ihr Männer… oder feige Ratten mit Sporen?“
„Das genügt“, bemerkte Wilhad von Brügge. „Dem werde ich Beine machen.“
„Spare dir die Mühe die Treppe hinab“, riet ihm Konrad. „Ein Armbrustbolzen erfüllt denselben Zweck.“
„Oh nein, ich lasse mich nicht derart beleidigen von einem Bauerntölpel.“
Fünf Minuten später senkte sich die Zugbrücke, und der Ritter mit dem Narbengesicht betrat den Außensteg der Burg. Die Eisenschuppen auf seinen Handschuhen blinkten in der Mittagssonne, er hielt ein langes Schlachtschwert in der Faust.
Lüder biss die Zähne zusammen und schritt kraftvoll auf ihn zu, bewaffnet mit einem Schmiedehammer. Der Ritter lachte ihn aus, fegte mit einem Hieb seinen schweren Hammer aus dem Weg. Der klatschte in die Hunte, und der Fläme schlug ihm die Klinge von oben herab in die Schulter. Lüder kippte tödlich erwischt ins hohe Gras und brachte nicht einmal mehr einen Schrei über die Lippen. Der Ritter trat dem Erschlagenen in die Hüfte, um sich zu vergewissern, ob der wirklich tot sei, und zwei Reisige übernahmen es, die Leiche hundert Meter vor der Flussschleife in die Hunte zu werfen.
So sinnlos, wie Lüder in der letzten Sekunde glaubte, war sein Tod doch nicht. Es hielt die Knechte des Vogtes davon ab, auch Wibke zu schänden. Die Mädchen blieben ungefähr eine halbe Stunde unter sich. Geldis bebte vor Angst, sie wäre an der Reihe gewesen. Sie betrachtete Birte mitleidig, die am Kamin hockte und sich ununterbrochen in die Arme weinte - sah auch Ulrike, die sich wie gerädert fühlte und gleichgültig auf dem Himmelbett ausgestreckt hatte. Wibke lief vor dem Gobelin auf und ab und rüttelte verzweifelnd am schmiedeeisernen Gitterornament, welches das Fenster sicherte, weil sich zwar ein Ausblick auf die Huntewiesen bot, der jedoch vergittert war.
„Wir müssen hier verschwinden“, jammerte Wibke. „Die kommen zurück, und dann…“
„Sicher“, stöhnte Geldis. „Aber wir befinden uns auf einer Burg. Hier sind nun einmal alle Fenster vergittert.“
Nur für einen Augenblick lag Ulrike auf dem Bett. Auch sie ertrug das sinnlose Warten nicht länger, sprang auf und warf ebenfalls einen Blick auf das Umland der Burg. Hätte ihr das Torhaus mit der Zugbrücke nicht die Sicht versperrt, sie wäre Zeuge geworden, wie der flämische Ritter ihren Vater erschlug. Das sich dahinter im roten Licht der Abendsonne erstreckende Ipweger Moor wirkte trostlos und irgendwie unheimlich. Trübe, halbdurchsichtige Schwaden wallten träge über den Wasserlöchern, und ihr wurde von dem Anblick klamm ums Herz. Aber dann gab sie sich einen Ruck, das Problem anzupacken. „Kommt, wir versuchen, ob wir das Gitter gemeinsam herausbrechen können.“
Von Birte hörte sie bloß ein atemloses Schluchzen, und der Schürhaken, den Ulrike einmal gegen die Edelmänner zu ihrer Waffe machte, fehlte seit kurzem. So waren Geldis und sie allein nicht stark genug und hätten es sowieso bald aufgegeben, als die Tür aufschlug und die beiden Edelleute mit drei Waffenknechten den Rittersaal betraten.
„Da sind wir wieder“, sagte Konrad gut gelaunt. Johann, der graubärtige Hauptmann und Stellvertreter der Ritter, blickte bedeutungsvoll auf Geldis, die bei Ulrike am Fenster lehnte und eine betretene Miene zog. „Überlasst ihr sie mir, ohne zu würfeln?“
„Ungern… na ja in Ordnung, weil du es bist, Johann.“
Ulrikes Augen sprühten vor Zorn, da er forsch auf Geldis zu schritt und sie am Handgelenk ergriff. „Lass sie los“, fauchte sie, „oder ich zerkratze dir das Gesicht, dass du glaubst, du hättest mit einer Katze gerungen.“
Er bedachte sie mit einem spöttischen Blick, wollte Geldis zum Bett ziehen. Die suchte entsetzt Halt am Gitter, worauf Ulrike handelte. Ihr Knie schnellte mitten in seinen Schritt. Johann stierte sie aus großen Augen an, dann sackte er zusammen und krümmte sich am Boden.
Für Konrad genügte das, sich in die Balgerei einzumischen. „Das sollst du bereuen“, herrschte der Burgherr Ulrike an. Und sie bot ihm aus zusammengekniffenen Augen die Stirn, während sich sein Hauptmann aufrappelte und vor ihr in die Schultern legte, sodass sich knirschend das Kettenhemd spannte. Geldis zählte nicht mehr, sie zogen Ulrike mit sich, jeder an einem Arm und warfen sie ein zweites Mal auf das Himmelbett. Ein zweites Mal stieg ein Mann über sie hinweg, diesmal Johann. Sein Haar war grau und über der Stirn längst verschwunden. Als sie ihm voll Abscheu ins Gesicht spuckte, setzte es Ohrfeigen rechts und links und säuerlich bitterer Altmänneratem brandete ihr entgegen, bis man ihr Kleid hochwarf und ihr Gesicht zudeckte.
In ihrem Vorsatz, einfach die Realität auszublenden, machte sie sich schwer wie ein nasser Sack und versuchte, sich an das Erntedankfest zu erinnern, denn das war bislang der schönste Tag in ihrem Leben. Aber dafür fehlte Ulrike die nötige Einbildungskraft. Der Mann verschlang sie wie eine Hure, die er nicht zu bezahlen brauchte, und kaum hatte er sich erleichtert, sodass sie erlöst Atem holte, packte er ihr blitzschnell in den Nacken und drehte sich den Zopf ums Handgelenk. Es ziepte und zwang sie, ihn anzusehen. Fassungslos starrte sie auf seine rabiaten Finger, und als sie instinktiv hinter sich langte, kappte er den Zopf. Ulrike langte ins Leere und schluckte ernüchtert.
Wie ein Andenken stopfte Johann das lange Ende in seine Gürteltasche und scherte sich nicht darum, ob Ulrike hinter ihm die Hände übers Gesicht schlug. Danach war ihr Stolz gebrochen. Sie fühlte sich benutzt und zog angeekelt das hochgebauschte Kleid über ihre Schenkel, dann ließ sie den Tränen freien Lauf und weinte leise schluchzend vor sich hin. Für einen Augenblick stellte sie sich Dirks Gesicht vor, das sie dann ganz seltsam und doch vorwurfsvoll betrachtete. Wer konnte schon ermessen, was ihr dieser Zopf bedeutete? Als könne sie es noch immer nicht glauben, tastete sie wieder über die Haarstoppeln am Ohr, und gab sich dem öden Gefühl hin, wohl nie wieder lachen zu können, da schien ihr, sie würde in ihrer Seele die Stimme der Mutter wahrnehmen, die ihr in solchen Momenten, die sie kein Licht mehr sehen konnte, riet, verzage nicht. Nur die Schwachen verzagen. Ulrike gehörte zu den Starken, daraus keimte frischer Lebensmut. Immerhin würde Johann für heute Geldis in Frieden lassen, und der Burgvogt war jetzt selbst scharf auf Geldis, dachte sie plötzlich schadenfroh. Dem jedoch schlug die Rangelei auf den Magen, und da er sie seinen Leuten nicht gönnte, räumten die Männer überraschend das Feld. Dadurch blieben die Mädchen geraume Zeit unter sich, die sie zu Ulrikes Ärger unter Jammern vertändelten, ehe gegen Abend wieder die Burgmannschaft in den Rittersaal einkehrte. Die traurig und demoralisiert vor dem Kamin kauernden Weibsbilder fanden kaum noch Beachtung. Konrad saß am Kopf der Tafel und Wilhad von Brügge am Ende. Auf den anderen Stühlen nahmen die gewappneten Knechte ihre Stammplätze ein.
„Die hübsche Blonde ist eine Vornehme“, stellte der Vogt klar. Der Blick richtete sich auf Birte. „Wie heißt du mit vollem Namen?“
„Birte Aumund“, flüsterte sie und fing erneut an zu weinen, weil sie eine Heidenangst bekam.
„Die Aumunds“, wiederholte Konrad und schnippte mit den Fingern. „Das ist doch dieses riesige Gut an der unteren Huntebrücke. Für die gibt es Lösegeld.“
„Somit sind die anderen bloß Mägde, schade“, folgerte vom anderen Ende der Tafel Wilhad.
„Dafür ist die Tochter vom Aumundhof allemal 30 Mark wert, und die werden wir auch für sie fordern. Sönke – das übernimmst du. Hol‘ dir den Rappen aus dem Pferdestall und mache dich auf den Weg, damit du zum Abendessen zurück bist.“
„Was soll ich sagen?“
„Was du immer sagst. Sie sind aufmüpfig gewesen und in Gewahrsam genommen. Ein Auge zudrücken ist möglich. Sie sollen dir das Geld in einem Ledersäckchen aushändigen, dann lassen wir die Frauen morgen bei Sonnenaufgang frei.“
Ohne mehr zu fragen verließ der junge Mann im Wappenrock den Kaminsaal. Konrad schlug die flache Hand auf den Tisch. „Ich habe drei Punkte, die ich mit euch besprechen möchte“, eröffnete er ihre Unterredung. „Zunächst geht es darum, dem Sägewerk weitere Arbeitskräfte zuzuführen. Ich schlage vor, wir heben in Elsfleth zwanzig Leute aus und zehn in Dreisielen.“
Alle nickten es ab, es geschah ohnedies, was der Burgvogt im Namen des Grafen beschloss. „Graf Moritz möchte zu Weihnachten seine Burg in Berne beziehen“, erklärte Konrad der Burgmannschaft. „Um das zu bewerkstelligen, müssen wir für mehr brauchbares Holz sorgen. Es gibt zwar Wälder, aber die bestehen größtenteils aus Birken, Erlen und Weiden… kein Baumaterial also. Deshalb haben wir den Auftrag, uns anderweitig mit Holz einzudecken. Die Sägerei an der Olle verfügt über die nötigen Verbindungen. Große Mengen sind erforderlich. Das müssen wir in die Wege leiten. Es bietet sich an, die Fleete als Schifffahrtswege zu nutzen, um das Holz zur Baustelle zu befördern.“
„Was für Verbindungen sollen das sein?“, fragte Johann, der Hauptmann der Reisigen, der gern alles genau wusste.
„Ich war im Auftrag des Grafen bei der Sägerei und kann dazu verraten: Man bezieht seit Jahrzehnten regelmäßig Bauholz über einen Holzkaufmann aus Arhus.“
„Arhus? Sind das nicht Wikinger?“
„Sagen wir, Dänen. Heute steht dort ein Dom. Außerdem… wen stört es?“
Er warf einen Blick auf die Frauen in der Kaminecke und musterte die kratzbürstige Ulrike, als würde er ihr am liebsten den Hals umdrehen. Dann räusperte er sich. „Lärche oder Eiche bietet sich an. Ich bin für Eiche…“
„Alles neu für mich“, warf einer der Reisigen ein.
„Darum erzähle ich es euch… aber das nur nebenbei. Eure Aufgabe besteht darin, bei der Rodung Hemmelskamp minderwertiges Holz auszusortieren, damit es wie die aus dem Boden gepuhlten Wurzelstümpfe als Brennholz auf der Burg landet. Hat noch jemand eine Frage?“
„Sicher, die hätte allerdings nichts mit der Holzversorgung zu tun“, meldete sich der mitdenkende Hauptmann. „Wer regiert eigentlich zurzeit das Deutsche Reich? Frederico, der Enkel Barbarossas?“
„Der ist kaum zehn Jahre alt.“ Konrad wischte sich nervös über die juckende Nase und überdachte seine letzten Informationen dazu. „Viele würden Otto, den Sohn Heinrich des Löwen, ihren König nennen. Doch seine Mutter stammt aus Burgund, er mag tausendmal ein Welfe sein, er bleibt dennoch ein halber Engländer. Philipp der Schwabe hingegen ist ein Meister politischer Schlichen, und ich werde ihm das nicht absprechen, egal ob ich welfisch eingestellt bin. Um ein Gegengewicht zum welfisch-englischen Bund zu schaffen, erneuerte er das staufische Bündnis mit den Franzosen, und bekanntlich unterlag England den Franzosen. Dadurch gewann Philipp die Oberhand, und niemand wird ihn daran hindern können, auch noch Kaiser zu werden.“
Der Flame begehrte auf. „Eher friert die Hölle zu. Nicht, solange Innocenz Papst ist. Man hört, er ist nicht in Aachen gekrönt worden und auch nicht vom richtigen Prälaten, sondern lediglich durch den Bischof von Tarenteise. Der Heilige Vater in Rom bevorzugt darum Otto.“
„Sicherlich“, gab Konrad in so weit nach. „Aber sogar der machtgierige und wetterwendische Erzbischof von Köln, der am meisten für die Wahl Ottos getan hat, bekannte, im Ernstfall sei der Sohn des Löwen bloß ein zu Rotz und Tränen aufgeweichtes Bürschchen und gäbe eine erbärmliche Figur als Regent ab. Philipp im Vergleich machte sich in den Jahren, die er Stellvertreter des Kaisers war, einen Namen und sichert sich die Krone im Grunde für den unmündigen Frederico, damit sie seiner Familie nicht verlustig geht. Das nötigt mir Respekt ab.“
Die beiden Ritter rieben sich und verfielen, ohne es zu merken, in einen lauteren Ton. Der Flame lachte trocken. „Ach, jeder weiß, der Heilige Vater schürt die antistaufische Unruhe wo er kann. Auch Ottos Krönung verlief nicht ordnungsgemäß, seine Einmischung in den Thronstreit ist schlichtweg eine staatsrechtliche Frechheit!“
Ulrike hockte in eingeknickter Haltung am toten Kamin und kam sich verloren vor in ihrem lichtarmen Winkel am Fuße des schweren Eichentisches. Sonst redete Birte über alles, was sie bewegte, jetzt zeichnete sich ab, wie wenig sie tatsächlich gemeinsam hatten. Die Freundin blies Trübsal und bedauerte sich selbst. Mit anderen Worten, sie flennte vor sich hin und saß das Problem aus, und das ging Ulrike total gegen den Strich. Die Stille, die sich unentrinnbar und leise einschlich, drückte auf ihr Gemüt; das Männergespräch über Politik ließ sie lauschen und rührte empfindlich an ihrem Selbstvertrauen. Es bewirkte, dass sie sich wie eine dumme Gans fühlte, denn sie musste sich eingestehen, sie wäre in nicht geringe Verlegenheit geraten, hätte man sie nach dem Namen ihres Königs gefragt, den Reisigen erging es ja ähnlich. Wenige begriffen die Hintergründe des Machtkampfes, der die Obrigkeit in Atem hielt. Seltsam, überlegte Ulrike, wenn sie Konrad so betrachtete, fiel ihr ein südländischer Einschlag auf, der Frauen ansprach, und doch verdiente er nicht, von irgendeinem Weib geliebt zu werden.
Der Ritter schmunzelte sinnig und drückte sich bestechend genau aus. „Eigentlich geht es um die Frage, wer ist mächtiger, Papst oder König. Im Jahr 1202 protestierten 30 staufische Reichsfürsten gegen die Einmischung der Kirche. Wir beide, Wilhard, kannten uns derzeit noch nicht, aber ich befand mich unter den Zuschauern - und nun scheint Phillip von Schwaben den unseligen Machtkampf ums Königtum zu gewinnen … leider.“
Ulrike wurde klar, wie rechthaberisch der Burgherr sein konnte. Er sonnte sich geradezu selbstverliebt in seiner bräsig hochgespielten Überlegenheit, und unter den Männern war keiner in der Lage, seinem Monolog ein Ende zu bereiten.
„Also sind die Staufer am Ruder?“, fragte Johann verwirrt.
„Leider“, wiederholte Konrad dumpf und fügte versöhnlich bei: „Allerdings sind wir abhängig vom Erzbisstift Bremen, und Hartwich ist ein Welfenfreund. Aber vor ihm war Waldemar von Schleswig unser Erzbischof, der seit über zehn Jahren in dänischer Gefangenschaft schmort. Innocenz verlangt, er solle sich vor einem päpstlichen Gericht verantworten und hat den dänischen König und seine Freunde aufgefordert, ihn nach Rom zu senden. Das bedeutet, Waldemar könnte demnächst seinen Bischofstitel zurückerhalten.“
„Was soll das denn?“, stöhnte der Hauptmann kopfschüttelnd. „Die können doch nicht einfach Hartwich in die Wüste schicken.“
Konrad nickte beipflichtend. „Genau das wird geschehen, und Philipp wird sich die Hände reiben.“
All das rauschte an Birtes Ohr vorbei. So oft Ulrike in ihre rot geschwollenen Augen sah, seufzte sie. Birte fiel am tiefsten durch die überzogene Lösegeldforderung und schien nicht mehr, wer sie war. Ebenso Geldis und ihre Schwester. Beide sonst nicht mundfaul, starrten blicklos und mit tränenverschmierten Gesichtern in das Kaminfeuer.
Ulrike war aus anderem Holz. Auf der Suche nach einem Ausweg hielt sie sich vor Augen, wie sehr Sibo Aumund an seiner einzigen Tochter hing, und zu wissen, der war kein Knauser, beruhigte sie. Ihr schien auferlegt, allein mit allem fertig zu werden, und im Herzen haderte sie mit ihrem Schicksal, weil sie nicht wusste, womit sie diese Schande verdient hatte. Warum, in Gottes Namen, musste der Leiterwagen eine Birke rammen, fragte sie sich. Aber ihr Glaube an einen guten Herrgott, der ein Auge auf sie hatte, war wie etwas, das verschüttet wurde und sie in der Not einfach wieder ausgrub. Das tägliche Abendgebet erfüllte sie wie eine Heimkehr, und sie verfluchte die dummen Knechte des Vogtes, die ihr das wenige nicht gönnten, dass sie für Männer zu einer begehrenswerten Mauerblume machte. Sie hing an ihren Haaren wie an ihrem Leben, Birte hatte sie darum beneidet, und sie machte sich nichts vor. Dirk deutete einmal an, für einen Edelmann war es eine anrüchige Sache, eine aus dem Dorf zur Frau zu nehmen. Er schob schleunigst ein, es sei ihm einerlei, doch das zerstreute nicht die Zweifel, ob er sie überhaupt noch anziehend finden würde? Männer waren da ja anders eingestellt als Frauen. Nun, sie hoffte dennoch. Dirk vermittelte ihr das Gefühl, sie sei vom Wesen her ein besonderer Mensch für ihn, daraus erwuchs die Kraft, andere aufzurichten, und gegen alle Vernunft klammerte sie sich an diesen Strohhalm und döste darüber ein.
„Wacht auf, Mädchen“, weckte sie am Morgen der Hauptmann der Burgmannschaft. Ein Waffenknecht betrat mit ihm das Kaminzimmer, und der Burgvogt warf voll Vorfreude einen Blick auf die zierliche Geldis, die es spürte und betreten hochschaute.
„Es wird euch freuen, zu hören, der Unterhändler vom Aumundshof ist eingetroffen. Die 30 Mark für eure Auslösung sind bezahlt.“
Birte atmete vernehmlich aus, Ulrike seufzte erlöst. „Wir sind frei?“, fragte Wibke ungläubig. Geldis spürte, es war für sie zu früh, sich zu freuen. Johann, der Hauptmann der Burgmannschaft sah sie unverfroren höhnisch an.
„Aber…“, protestierte Ulrike und richtete sich auf wie eine Königin. „Ihr wolltet Geld für unsere Freilassung, und das habt ihr erhalten. Habt ihr nicht den Anstand, zu eurer Abmachung mit Sibo Aumund zu stehen?“
Der dünne, strenge Mund des ergrauten Hauptmanns zuckte unterschwellig, die Augen hefteten sich auf Geldis. „Sie meint, uns zum Narren halten zu können.“
Als der Vogt auf Geldis zu hielt, schluckte Ulrike trocken herunter.
„Danach könnt ihr gehen“ gab Konrad ihnen zu verstehen. „Warum so widerspenstig, Täubchen? Du kannst stolz darauf sein, wenn ich der Erste bin. Schluss mit dem Getue…Ich will meinen Spaß haben.“
„Nein“, schrie Geldis entsetzt. Sie hatte erlebt, was diese Kerle unter Spaß verstanden und dachte nicht daran, ihm diesen Dienst zu erweisen. Sie starrte ihn mit bebenden Lippen an. „Wer mich anfasst wird wenig Freude an mir haben. Ich kann beißen wie ein Schwein…“
„Du gefällst mir zu sehr“, raunte der Burgherr, „um mir das Vergnügen zu verkneifen.“ Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich. Allein Geldis hörte, was er ihr flüsterte, aber als man sie anhielt, sie könnten gehen, blieb die Freundin noch. Außerhalb der Zugbrücke, wo eine Hecke blauer Schlehen Schutz versprach, warteten sie geduldig auf Geldis.
„Hätte ich mich gesträubt“, erklärte sie anschließend mit heißen Wangen und rot verheulten Augen, „sie hätten am Aumundhof erzählt, wir wären erhängt in unserer Kammer aufgefunden worden. Tod durch eigene Hand hätte es geheißen, zu bestatten am Rande der Friedhofsmauer.“
Jedenfalls stieß Geldis nach einer Stunde wieder zu ihnen. Ihr zitterten noch die Knie, aber sie brachen hastig auf und gönnten sich keine Rast, ehe sie nicht die Huntebrücke hinter sich wussten und die Turmwachen sie aus den Augen verloren.