Kitabı oku: «Die Ehre der Stedingerin», sayfa 9
„So“, sagte Dirk, „nun heraus mit der Sprache: Was haben sie euch getan? Hast du dich gewehrt… und sie haben Lüder eine Klinge an den Hals gehalten…? Du schämst dich, das merke ich dir an.“
Sie senkte die Stirn und starrte auf die Tischplatte, ohne darauf einzugehen. Doch ihm lag zu viel an ihr, um es dabei bewenden zu lassen. „Ich habe mich mit meinem Vater überworfen“, übertrieb er. „Möglicherweise verstößt er mich. Ist mir gleichgültig. Ich suche keine gute Partie, sondern eine Lebensgefährtin, die mich versteht. Und ich nehme dich so wie du bist zum Weib, egal ob da etwas ist, das du mir heute noch nicht erzählen möchtest. Ich verzeihe es dir einfach und gut. Gott weiß, von was wir leben, aber ich stehe zu dir.“
Verwundert zog Ulrike die Brauen zusammen. „Was willst du verzeihen? Ich gab nichts… sie haben es sich genommen.“
Wie auf dem Kirchhof vergrub sie das Gesicht entsetzt in die Hände, anders hätte sie die Schande nicht ertragen. Nie sah er ihr ernster in die Augen, aber Dirk spürte, er musste Geduld haben mit ihr. Ihr fehlte nur das nötige Vertrauen in ihn, um sich wirklich mit Leib und Seele bei ihm anzulehnen und dafür konnte er ihr nicht böse sein. Wie es aussah, hätte er anhand von Taten zu beweisen, zu was er fähig war, und er schreckte nicht davor zurück, gegen den eigenen Stand anzutreten. Seine Augen nagelten sie fest, ein wildes, gegen ihre Sturheit rebellierendes Aufbegehren blitzte darin.
„Ulrike, was wollen wir nun tun? Mich reizt es, mit dir nach Burg Lechtenberg zu reiten. Ich möchte den Vogt zur Rede stellen.“
Ulrike traute ihm das zu, und der unbändige Hass, der sie im Rittersaal nach dem Schürhaken greifen ließ, kochte erneut hoch. Sie erzählte ihm haarfein alles, was in ihr wühlte und sie schon so lange beschäftigte.
Dirk knirschte mit den Zähnen. Unverzüglich weihte er seine Vettern ein, weshalb es ihn nun dringlich zur Lechterburg trieb und bat sie, im Gasthof abzuwarten, was bei diesem Besuch herauskäme. Sein Rappe graste bei den Pferden seiner Vettern auf dem Grünstreifen vor der Friedhofsmauer und scharrte mit den Hufen, als er seinen Reiter erkannte. Dirk saß geschwind im Sattel und klopfte dem Rappen beruhigend den Hals.
„Heb das Bein, so hoch du kannst, bis du den Fuß in den Steigbügel kriegst“, riet er Ulrike und reichte ihr lächelnd die Hand. Als sie hinter ihm zu sitzen kam stieg ihr der herbe Geruch von Pferdestall und Mannsbild in die Nase. Sie wusste nicht, wohin mit den Armen, doch setzte sich Adalbert sogleich in Bewegung, und der breite Rücken schaukelte heftig, so dass sie erschrocken Halt suchte, anfangs an seiner Schulter, dann umschlang sie beherzt seine Hüften und schloss die Hände um seinen Bauch.
Beritten war es bloß ein kurzer Ausritt zu den Huntewiesen, und an dem kragenförmigen Steg zog er vor der hochgekurbelten Zugbrücke innerlich aufgerührt den Zügel an und ließ den Rappen halten. „Meldet dem Burgherren“, rief Dirk den Turmwachen zu, „Dirk von Keyhusen bittet um Einlass!“
Lange brauchten sie nicht warten, da zeigte sich auf dem Bergfried Konrad. Wilhad von Brügge stellte sich gleich neben ihn, und Dirk beging den Fehler, mit zu wenig Feingefühl an die Sache heran zu gehen. „Was habt ihr mit Lüder gemacht?“, fragte er ganz konkret.
Natürlich erkannten die Ritter Ulrike; was Wilhad mit dem Vogt tuschelte, verschluckte der Wind. Aber der schien sich nicht im Unrecht zu fühlen. „Wir rieten ihm heimzugehen, und das tat er.“
Es klang banal und stank nach einer Lüge, das störte Dirk. „Weißt du was“, gab er kaltschnäuzig zurück, „das glaube ich dir nicht!“
Leider hielten sie sich zu nahe am Torhaus der Burg auf. Das lud dazu ein, von oben einen Kübel Wasser über den Steg zu schütten. Ein ungünstiger Windstoß verstreute den Guss, und Dirk und Ulrike bekamen genug ab, dass danach die Kleider kalt am Leib klebten. „Verdammt“, bemerkte Dirk, „ich bin nass wie eine Katze.“
„Das soll euch noch leidtun“, drohte er den beiden Rittern, und Ulrike flüsterte er zu, „jetzt glaube ich auch, sie haben Lüder in den Turm gesperrt. Und ich schwöre dir bei Gott, wir holen ihn da heraus.“
„Aber wie?“ fragte sie neugierig und schüttelte sich, so fror sie in ihrem nassen Kleid.
„Du wirst schon sehen. Gib mir eine Woche, es vorzubereiten. Deine Freundinnen und du, ihr müsst zu mir stehen und zugeben, was euch angetan wurde.“
„Ich verstehe immer noch nicht, was du tun willst. Aber du solltest den Deichgrafen einweihen. Das ist ein Mann der Tat, willensstark wie ein Ritter.“
„Gut, bringe mich zu ihm.“
„Du musst nach dem Hof der Bardenfleths fragen.“
„Ich möchte ein Treffen aller aufrechten Männer von Stedingen“, erklärte ihr Dirk und ritt mir ihr schnurstracks zum Marktplatz von Berne, um seine Freunde aus dem Gasthof zu holen. „Wir reiten zu dem Bardenflether, den sie in dieser Gegend den Deichgrafen nennen“, gab er ihnen zu verstehen, und Ulrike zeigte ihnen den Weg.
Am frühen Nachmittag erschienen vier Junker in weißgelben Waffenröcken auf dem Deich, in dessen Schutz das Gehöft Bardenfleth lag, ein langgestreckter Fachwerkbau mit bäuerlich gekreuzten Pferdeköpfen über der Giebelfront, weiß gekalkt, Eingangstüren und Rahmen der Fenster grün und über allem ein tief herunterhängendes, wulstiges Reetdach. Ein Stück abseits hob sich die Scheune vom blauen Himmel ab. Unzählige Hühner und sich herumtreibende Schweine bevölkerten das Gut, eine Drossel sang auf dem Giebel der Scheune, und einige Mägde vom Gesinde hoben neugierig die Köpfe, als die fremden Edelleute ihre Rosse anhielten.
Ulrike ließ sich elegant zu Boden gleiten und lachte, als sie auf ihren Füßen zu stehen kam und ihr nicht länger ihr Sitzfleisch weh tat. Jemand rief wohl nach dem Gutsherrn. Aus der größten Tür des Fachwerkhauses, durch welche die vollen Erntewagen in die Diele fuhren, betrat Rainald von Bardenfleth den Hof. Das schulterlange, graue Haar wirkte sehr gepflegt, und sein brauner Mantel mit Fellkragen entsprach der Kleidung der Wohlhabenderen. Aus wachen grauen Augen musterte er argwöhnisch Dirks junges Gesicht. „Was verschafft mir die Ehre?“
Dirk stieg gelassen ab und stemmte neben Ulrike die Arme in die Hüften. „Ich bin Dirk, der Sohn des Vogtes von Burg Keyhusen. Ich bin hier, weil ich mit dem Vogt von Burg Lechtenberg ein Hühnchen zu rupfen habe.“
Der oberste Deichgraf empfing sie bewusst reserviert, galten doch die Keyhuser Ritter als Lehnsmänner des Grafen von Oldenburg. Er schnitt ein entsetzlich abweisendes Gesicht und zog die Brauen an, eine steile Falte zog die Stirn hinauf. „Ein übermütiger Bursche wiegelte kürzlich auf der Rodung am Hemmelskamper Wald die Bauern auf, und das ging böse aus. Ich bemühe mich seitdem, Hetzer zu überhören. Haltet mich aus eurem Händel mit dem Vogt heraus. Mich quälen andere Sorgen und davon genug.“
Dirk dämmerte bereits, was weiter passierte. „So etwas beginnt man nicht aus Starrköpfigkeit, sondern überlegt sich zuvor genauestens wie, wo und wann…“
„So ist es. Acht Männer aus Bettingbüren und Ranzenbüttel, die ihn gut kannten und sich mitreißen ließen, sind dafür gehängt worden. Sie haben bei der Kapelle auf dem Kirchhof einen Platz gefunden, wo sie frei sein können.“
Energisch bot ihm Dirk die Stirn. „Hört mich erst einmal an.“
Er langte mit ausholendem Arm nach Ulrike und zog sie fürsorglich an sich. „Das ist Ulrike, die Tochter von Lüder, dem Schmied. Sie war an dem Sonntag nach Erntedank mit einem Fuhrwerk unterwegs nach Berne, zum Gottesdienst. Bei ihr war Birte Aumund, die Ihr kennen dürftet, sowie ihre Geschwister und eine Magd, die ich Euch gern als Zeuginnen bringe, falls ihr darauf besteht. Ein Trupp Reisiger unter Führung des Vogtes von der Lechterburg fing sie am Brookdeicher Holz ab. Die Waffenkechte haben im Rittersaal um die Frauen gewürfelt und sich an ihnen vergangen, und ich will nicht mehr und nicht weniger als Rache dafür.“
Der Deichgraf nickte begreifend. „Das kam schon öfter vor, kann ich Euch verraten.“
Dirk las in den Mienen, er war überzeugend. Rainald hielt ihm die Hand hin, und er schlug freudig ein. Seine Freunde sprangen von den Rossen und schüttelten dem Deichgrafen einer nach dem anderen kraftvoll die Hand.
„Ganz Stedingen wird aufstehen, wenn ich das will“, sagte Rainald von Bardenfleth. „Ich habe meine Leute, um ein Thing einzuberufen und das bekannt zu machen. Einer wird es dem anderen flüstern. Am nächsten Sonntag… da wo die Ritter die Gespanne abzufangen pflegen, am Brookdeicher Holz. Diese Raubritter gehören bestraft. Und der Siedlungsvertrag des Jahres 1106 ermächtigt uns, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln den Landfrieden aufrecht zu halten und die Übeltäter zur Verantwortung zu ziehen. In der Kolonisationsurkunde wird klar erwähnt, auch in der niederen Gerichtsbarkeit ist die Aburteilung von Landfriedensbrechern möglich. Niemand kann uns vorwerfen, wir hätten zum Aufruhr angestiftet. Wir treffen uns zur Abenddämmerung. Ich hoffe, auf Euch ist Verlass!“
Bis dahin war es noch eine Woche hin, und als Ulrike sich an Dirks Rücken schmiegte und sie die Hände vor seinem Bauch faltete, sprengten sie zum Gehöft der Aumunds. Er hieb frohlockend die flache Hand auf den Oberschenkel und genoss die Vorfreude, wie er sich einst auf die Schwertleite freute. Alles war in die Wege geleitet und erfüllte ihn mit Stolz. Er dachte bereits nach, wie sie ohne große Verluste die Burgen einnehmen könnten, doch wie er sich das genau vorstellte, verriet er nicht einmal Ulrike. Seit sie sich ihm auf dem Friedhof geöffnet hatte, war er mit keinem anderen Menschen lieber zusammen und genoss es, ihr nahe zu sein. „Wie stehst du zu Birtes Vater, Rike? Weiß er, was geschah? Es wäre günstig, sollte sich eine Kammer auf dem Aumundhof für uns finden.“
Ulrike blies der Wind durch die Haare, während sie sich bei ihrem dritten Ritt durchaus geborgen an seinem Rücken fühlte und sich ungehemmt von hinten an ihn klammerte. „Der alte Aumund weiß, wer ich bin, und er mag mich, glaub‘ ich, aber mit ihm über das zu sprechen, was uns widerfuhr, das bringe ich nicht fertig. Ich möchte eigentlich mit keinem darüber reden…“ Das Hufgetrappel der Freunde begleitete sie, und etwas fehlte plötzlich, weil das Geräusch fehlte.
Dirk warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah Godeke an, dessen Gesicht rot war vor Anstrengung. Der Freund grinste, als wollte er sagen: So leicht wären sie nicht abzuschütteln. Dirk gab Ulrike unverhofft einen sehr vertraulichen Kuss hinter das Ohr - schneller als sie den Kopf wegdrehen konnte.
„Ich bin stolz auf dich“, flüsterte er. „Du hättest es leicht verderben können, eben beim Bardenflether. Zum Glück hast du mich nicht dafür getadelt, dass ich dich an mich zog. Das hätte mich unglaubhaft gemacht vor eurem Deichgrafen. Jetzt nimmt die Sache ihren Lauf. Weißt du, vieles wollen wir, und wenig wird in die Tat umgesetzt. Nach diesem Thing im Brookdeicher Holz lässt sich nichts mehr zurückpfeifen…“
Sie hätte ihm gern anvertraut, wie unangenehm es für sie auf einmal wurde. Ein Mädchen mochte hässlich sein, hübsch aussehen, oder zu den Schönheiten zählen, wichtig war allein, unbefleckt zu bleiben, bis es zum Altar geführt wurde. Die alten Wertevorstellungen machten leider keinen Unterschied, ob der gefallene Engel früher schon als schwaches Geschöpf für Tratsch sorgte, oder ob verwahrloste Mannsbilder im Schergenrock ihr fleischliches Verlangen an ihnen ausgetobt hatten. Auch ein schuldlos in Schande gefallenes Mädchen sollte so klug sein, sich nicht selbst ins Gerede zu bringen. Dirk machte keinen Hehl daraus, genau dazu würde er sie drängen. „Hat Birte ebenso viel Rückgrat wie du?“
Ulrike stöhnte, als hätte er einen wunden Punkt berührt. „Was heißt hier Rückgrat?“, fragte sie unwillig. „Auf mich wirkt Birte, als wären ihr kürzlich Mutter und Vater verstorben. Seit ein paar Tagen zerreißen sich die Leute auf dem Markt den Mund über sie und ihr Missgeschick auf Burg Lechtenberg. Gott weiß, wer sich da verplappert hat - sicher ist: Birte mag den Sohn des Deichgrafen, und für Bolke von Bardenfleth ist sie nicht mehr gut genug… Der wird kalte Füße bekommen, denkt sie, und ich kann es ihr nicht ausreden. Daran wird sich nichts ändern, so lange sie sich in ihr Kämmerlein verkriecht. Und genau das tut sie… leider.“
Er spürte, Ulrike litt auch darunter, doch das Problem, das Birtes Zustand mit sich brachte, lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung. Hinter der Huntebrücke näherte sich der große, von Pfützen starrende Gutshof der Aumunds, mit dem Bauernhaus aus Fachwerk und dem Storchennest auf dem Reetdach, und Ulrike fiel etwas ein, das alles veränderte. „Geldis ist wetterwendig und leicht zu beeinflussen, die kriege ich rum. Und die hat es besser als Birte verwunden. Du wirst keinen roten Kopf bekommen bei der Versammlung am kommenden Sonntag“, rutschte ihr über die Lippen, und das war unüberlegt, da sie seinen Eifer anheizte und sie es eigentlich lieber nicht darauf angelegt hätte, alles an die große Glocke zu hängen. Aber auf dem Aumundhof herrschte Antje Aumund, mehr noch als vielleicht Sibo Aumund, und deren Fürsprache rückte alles in ein anderes Licht. Zufällig hielt sie sich am großen Dielentor auf. Da sie Ulrike längst in ihr Herz geschlossen hatte und sich herausstellte, die vier Edelleute brachten sie lediglich heim, bekreuzigte sie sich erleichtert. Freudig knickste Ulrike vor Birtes Mutter, und die sah sie an, als wäre ihr diese Geste der Unterwürfigkeit zuwider.
„Du bist ja eine kleine Heldin“, lobte sie Antje Aumund. Die Augen ruhten mit Wohlgefallen auf Ulrike. Sie dagegen fand es peinlich.
„Rike hat dem Vogt mit dem Schürhaken gedroht“, erklärte Antje. „Himmel und Hölle hat sie beschworen, wenn sie ihrer Schwester ein Leid zufügen.“
Dirk hob anerkennend die Brauen. „Alle Achtung, Rike, du bist ein starker Mensch.“
Sie schnappte nach Luft, erwägte sie doch eben noch, einen Rückzieher zu machen, aber seine Hochachtung bedeutete ihr viel. An diesem löblichen Bild wollte sie ungern rütteln. Tröstlich blieb die Hoffnung, Geldis könne sich durchaus weigern, zur Notzucht im Rittersaal öffentlich Stellung zu beziehen. Und Ulrike fragte sich, ob es wirklich so wichtig war, die Sache ruchbar zu machen. Am liebsten hätte sie Birtes Mutter festgehalten, die in ihrem schwerfälligen, leicht wackelnden Gang bereits zur Nebentür in der Fachwerkfassade zuckelte, um sie zu Geldis zu bringen.
Abseits der geräumigen Diele reihten sich die Kühe im Halbdunkel. Eine Magd schaute hochgeschreckt vom hellen Licht von ihrem Schemel auf, die sich gerade die Hände mit Melkfett einrieb. Geldis strahlte sie an, als könne kein Wässerchen ihre Laune trüben und hätte fast den halbvollen Holzkübel umgekippt.
„Den Burgen an Hunte und Olle droht ein Sturm“, berichtete Dirk ihr. „Hast du den Mut, zuzugeben auf welche Weise ihr drei entehrt wurdet?“
Geldis beeilte sich aufzustehen und vollzog den üblichen Knicks. „Sicher Herr Ritter.“
„Herr Ritter…“, wiederholte Dirk mit leiser Belustigung. „Das ist gut, Mädchen, eure Aussage ist unsere einzige Handhabe, um diese Schweinehunde zur Rechenschaft ziehen zu können.“
Ulrike und Geldis tauschten einen beklommenen Blick aus, und er wandte sich Birtes Mutter. zu. „Gute Frau, habt ihr eine Kammer für meine Freunde und im Stall Platz für vier Pferde?“
Sie lächelte matt. „Ich habe von Euch gehört, Ritter Dirk, willkommen bei Aumunds.“
Ulrike wunderte sich, was er vorhatte, und er drückte der Hausherrin ungesehen drei Markstücke in die Hand. „Damit ich immer eine offene Tür in Berne finde“, gab er ihr leise zu verstehen. Es war überreich gegeben, auch wenn es die Unterbringung von Lüders Töchtern begleichen sollte, aber er hatte beizeiten gelernt, sich rechtzeitig Verbündete zu suchen und wusste, auf kernige Menschen wie Antje Aumund konnte man bauen.
7. Kapitel
Das Brookdeicher Holz war berüchtigt für den im Halbschatten der Birken wuchernden Eisenfuß, der Grundwasserstand dort ganzjährig außergewöhnlich hoch. Wer in das finstere Unterholz eindrang, holte sich nasse Füße und musste bei jedem Schritt damit rechnen, in ein von Quellmoosen übergrüntes, tückisches Wasserloch zu treten. Als kleines Mädchen hatte Ulrike mit ihrer Mutter an diesem Ort Johannisbeeren gepflückt, um selbst auf dem Herd Marmelade zu kochen, und sie kannte sich hier aus, aber je länger ihre Gedanken um die Frage kreisten, ob es wirklich ratsam war, ihre Klage gegen die Herren von der Lechterburg öffentlich vorzutragen, desto törichter kam sie sich vor. Auch die Liese sorgte einst für viel Klatsch, und nicht für einen Fehltritt. Die Nachbarn zeigten mit dem Finger auf sie und spuckten vor dem armen Mädchen aus. Ulrike, damals noch eine hilflose Göre an der Mutter Hand, hatte die Eingeschüchterte vor Augen als wäre sie ihr gestern auf der Straße begegnet, mit ihrem kranken Gesicht und den strohblonden Zöpfen. Unmöglich, in dem zarten Alter zu verstehen, wieso Menschen, die sie als gutmütig kannte, einander leise ermahnten, die Unglückliche nicht zu grüßen. Heute, fast zehn Jahre später, schwante ihr, warum die Liese den Freitod wählte. Aber ging sie ehrlich mit sich selbst ins Gericht, musste sie sich eingestehen, sie hatte sich leichtfertig anstecken lassen von Dirks Glauben an eine höhere Gerechtigkeit, und sie fand es anfangs auch notwendig, ja unumgänglich, was der oberste Deichgraf auf die Beine stellte. Ohne Dirks Beitrag zu schmälern, dachte sie nur etwas weiter, aber sie hielt sich tapfer. Dirk und die anderen Keyhuser folgten ihr mit ungebrochenem Gottvertrauen, ebenso Geldis, Birte und Ulrikes Schwester Wibke. Die Köpfe geduckt, wegen der tiefhängenden Zweige, stiegen sie langsam durch das Gehölz. Besonders Dirk fand es mühsam, denn das Schlachtschwert, das er sich anfertigen ließ, stellte sich immer wieder zwischen Jungbirken und Büschen quer oder hakte anderswo fest.
Sie waren nicht die Ersten, die sich auf der Lichtung einfanden. Im kalten Blaulicht des Mondes schimmerte das Heidekraut lila, den Rand säumten Adlerfarn und Brombeerhecken. Dirk stolperte ins Freie, da sah er schattenhaft an die hundert Gestalten, in geselligen Gruppen zusammenstehen. Rainald von Bardenfleth begrüßte sie gleich mit Handschlag. „Ritter Dirk?“
Dirk nickte bestätigend. „Ja, und die anderen Keyhuser.“
Daraufhin betrachtete der Deichgraf zunächst den Begleiter von Dirk. Der Glanz des Wappenrocks verriet, er trug Seide und Wappen, war bloß vom Wuchs her derber und breiter gebaut als Dirk. Aus den grauen, sicheren Augen, die Rainald aus einer Kapuze musterten wie er ihn, sprachen besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe. Erst jetzt zeichnete sich echte Freude im Antlitz des Deichgrafen ab, angesichts der schmächtigeren Gestalten, die sie wie versprochen begleiteten. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, schoben sie sich die Kapuzen vom Kopf. Ihre hervorquellenden vollen Haare beseitigten alle Zweifel, sie brachten wie angekündigt einige Mädchen mit. Rainald tuschelte ihnen zu, „wir rechnen mit bedeutend mehr Leuten.“
Über eine Stunde verhielt sich die beständig wachsende Menge ruhig wie bei einer Bestattung, bevor der Pfarrer erscheint. Wibke mochte sich im Stillen fragen, ob sie nicht besser im Bett liegen sollte, und Geldis überkam schon häufig ein unkontrolliertes Gähnen. Über vierhundert Menschen fanden sich schließlich auf der Heidefläche im Birkenwald ein.
Die Nacht war klar, die Sterne am graublauen Himmel ähnelten fernen Funken, und Dirk fühlte sich plötzlich von Ulrike angestoßen, warf einen raschen Blick in den Himmel. Eine aus dem Nichts fallende Sternschnuppe glühte auf und erlosch.
Dirk wusste gar nicht, um was es ihr ging, aber Ulrike war mulmig bei dem Gedanken, sich und Geldis auch noch ins Gerede zu bringen. Doch stand die Zeugenaussage unumstößlich an, und sie wünschte sich angesichts der Sternschnuppe innig die nötige Kraft, das Ungeheuerliche in aller Unschuld an den Pranger zu stellen, für Birte und alle, die vor ihnen in Schande fielen und wie Vogelfreie das Licht der Straße scheuen mussten.
Unterdessen erstieg Rainald von Bardenfleth den einsamen Hügel, wo eine Gruppe Moorbirken in die Heidelichtung hineinragte und eine mächtige Trauerweide ihre Schirmkrone wie in Andacht versunken der murmelnden Menge zuneigte. Der schorfig verknorpelte Stamm sprach für sich: zwei große Männer hätten ihn nicht umfassen können. Der Deichgraf wartete noch, bis der nahezu volle Mond sich in einem Wolkenfenster zeigte und für ein wenig mehr Helle sorgte, um dann das Wort zu ergreifen. „Es macht mich froh, wie viele tatsächlich den Weg hierher gefunden haben!“
Der Beifall klang eher gedämpft, aber es war eben eine Aktion unter dem Deckmantel der Heimlichkeit, und er kam gleich zur Sache. „Seit Graf Moritz die Lechterburg und Burg Liene erbauen ließ, kommt es an der Stelle, die ihr alle kennt, wo die Felder beginnen und der Weg in das Brookdeicher Holz mündet, zu Übergriffen der Burgbesatzungen. Nach der Kolonisationsurkunde aus dem Jahre 1106, die für das Holler Recht steht, ist es unsere Pflicht, die Übeltäter dingfest zu machen.“
Es war der Augenblick, in dem Ulrike vom Deichgrafen auf die Anhöhe unter der Trauerweide gebeten wurde. Da alle sie beobachteten, strich sie gehemmt die Sitzfalten aus ihrem Arbeitskittel und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Ja… ähm…was wollt ihr denn nun hören?“
Ein magerer Mann mit halb ergrauten Schläfen und Stirnglatze, der die Lebensmitte deutlich überschritten hatte, zählte zu den Vorständen der Meiereien. Der baute sich breitbeinig vorn in der Menschenmasse auf und verschränkte herrisch die Arme. „Na, wenn du das nicht selber weißt...“
Bei den Rittern hielt sich Bolke von Bardenfleth auf und maßregelte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Ach Wige, du förderst die Sache nicht, machst du die Zeugen unglaubwürdig.“
„Kann man das denn…? Sie unglaubwürdig machen?“
„Lass sie ausreden und basta“, brachte der Deichgraf ihn zum verstummen. Das hin und her bot Anlass genug für eine Ansprache, die ein heikles Thema anschnitt. „Um eines klar zu stellen, ein Weibsbild hat das Recht, jeden Freier abzuweisen, um sich aufzuheben für den Mann ihres Lebens. Dafür verdient sie Hochachtung. Doch wehe dem, der sich über unsere Töchter den Mund zerreißt, die gezwungen wurden, zu dem, was untrennbar zur Ehe gehört und zu dem keiner ein Weib zwingen darf! Diese als unehrenhaft zu verstoßen, ist heuchlerisch und verwerflich, wie einem Blinden ein Bein zu stellen. Sollte ein Weibsbild unter euch durch ein unbelehrbares Schandmaul in Verruf geraten, soll sie zum Hof der Bardenfleths gehen. Ich selbst richte den Kerl. Er soll im Moor ersäuft werden wie ein toller Hund! Gott helfe mir dabei!“
Ulrike atmete erleichtert aus, um sich zu sammeln. „Ich bin Ulrike, die Tochter des Schmieds von Berne. Die Fuhrleute unter euch kennen Lüder, und die, die zum Frühling den Pflug erneuert brauchen, ebenso... oder die, denen er die Eisenstifte für den Schuppen hergestellt hat.“
„Und wenn…?“ Es war derselbe Mann wie eben, der aus den Umstehenden unangenehm hervorstach. „Ob wir ihn kennen… oder nicht, ist doch egal.“
Sie fuhr sich gekränkt über die Stirn. „Na gut. Seit einer Woche wohne ich jedenfalls auf dem Gut der Aumunds.“
Ihre Stimme bebte vor Aufregung, und einem Greis mit einem ausgehärmten Fuchsgesicht, der sich an Wige Harms hielt, riss der Geduldsfaden. „Herr Gott, Weib, komme zu dem Punkt, um den es uns geht.“
Dirk hatte den Eindruck, es sei verabredet, sie ständig zu unterbrechen, und Eike von Bardenfleth wies den Alten scharf zurecht. „Mach dir ins Hemd, Käsebauer, das kühlt ab – so viel Zeit haben wir!“
Es tat Ulrike gut, Fürsprache zu hören. Als Stille einkehrte und Dirk ihr zuzwinkerte, hob sie würdevoll das Kinn und verschränkte die Arme. „So kam es, dass ich am Sonntag nach Erntedank mit Birte Aumund, meinen beiden Schwestern und einer Freundin mit auf dem Leiterwagen der Aumunds saß und zum Gottesdienst wollte. Wir verloren ein Rad und mussten zu Fuß weiter, und unterwegs fingen uns die Reiter der Lechterburg ab. Meine jüngste Schwester und des Bauern Jungen ließen sie in Ruhe, uns Frauen nahmen sie mit. Wir schliefen im Rittersaal, wo ein Bett für ganz bestimmte Anlässe steht… Der flämische Ritter Wilhad von Brügge und der Burgvogt selbst waren zugegen, als sie um uns würfelten. An mir kühlten sogar zwei ihr Mütchen… so nennt man ja wohl diese Art, Kinder zu zeugen.“
Zum Ende ihrer Rede schluckte Rainald und schnitt ihr das Wort ab, weil Ulrike außer sich geriet, während sie alles schilderte und es im Geiste erneut durchmachte. „Das genügt, Ulrike.“
Sie fiel aus Gewohnheit in einen Knicks vor der versammelten Menschenmenge. Hinterher wurde sie sich bewusst, ihre Schande öffentlich heraus posaunt zu haben und senkte mit hochroten Wangen die Stirn.
Aber Geldis gesellte sich zu ihr und bestätigte den Bericht. „Ich bin Geldis. Bitte, verdammt Ulrike nicht für ihre Ehrlichkeit. Was hätten wir wohl tun sollen gegen die ganze Burgmannschaft? Ulrike stellte sich immerhin vor ihre Schwester, den Schürhaken in der Faust. Nur gegen den starken Hauptmann der Lechterburg kam sie natürlich nicht an.“
Auch Birte Aumund bewies Schneid, da sie gut über Ulrike sprach und sie bestätigte. Der Deichgraf sorgte mit abwiegelnder Hand für Ruhe auf der Lichtung. Die Leute fingen an zu diskutieren, und es lief darauf hinaus, die Menschenmenge hätte sich bald zerstreut. „Wartet“, rief der alte Bardenflether den Leuten zu. „Jetzt kommen wir doch erst zu dem, wofür wir uns hier versammelt haben.“
Erneut kehrte atemlose Stille ein, nur irgendwo im Birkenholz heulte eine Eule. „Das war jetzt das vierte Fuhrwerk, und das vierte Mal wiederfuhr Frauen auf der Burg Gewalt. Für Birte Aumund forderten sie zudem 30 Mark Lösegeld, ehe man die Weiber laufen lassen hat. Ist irgendwer unter euch, der Einzelheiten über die früheren Vorkommnisse weiß, oder vielleicht ein Weib zugegen, das auch auf die Burg verschleppt worden ist?“
Außer Birte Aumund, Geldis, Wibke und Ulrike hatte sich kein weibliches Wesen überwinden können, zu später Stunde die Männer zum Treffen im Brookdeicher Holz zu begleiten. Zu dieser Zeit, in der die meisten die Jahre nach der Zahl ihrer Kinder zählten, hielt eine Frau es einfach nicht für wichtig genug, die Kinder allein zu Haus zu lassen, um gemeinsam auf den Adel zu schimpfen.
Ein Knecht mit einer ärmellosen Lederweste und kräftigen Oberarmen drängte sich aus der Menge vor und schielte unschlüssig nach rechts und links, als wollte er es sich noch anders überlegen. Rainald verhinderte, dass er sich einfach wieder zurückzog. „Sprich Mann. Oder hast du weniger Mut als die Frauen, die sich eben selbst ins Gerede brachten, um ein Beispiel zu geben?“
Der Mann senkte widerwillig die Stirn, ehe er mit einem trockenen Husten herausplatzte. Weißer Pflaum sprießte an seiner faltigen Kehle und das Doppelkinn verlieh ihm ein ungepflegtes Äußeres, doch daran mochte eine Krankheit schuld sein. „Meine Tochter wollte zum Markt, sich beim Backkarren ein Brot holen...“, sein Mund zitterte, als weigere er sich, den Rest herauszurücken.
„Mach jetzt keinen Rückzieher“, half ihm Rainald über die Hürde.
Aber da es dem Armen an Zähnen haperte, war alles, was er zu erzählen hatte, bloß undeutlich und mit genauerem Hinhören zu verstehen. Es trug sich vor der halbverfallenen Huntebrücke zu, wo der Holunder blühte. Zwei Schergen der Lieneburg kamen wohl aus dem Nichts über den Alten Deich an der Olle und ritten sie fast um. Dafür schalt er sie eine Satansbande, und sie schlugen ihn grün und blau. Seiner Tochter schnürten sie das Kleid über dem Kopf zusammen, warfen das hilflose Ding ins Gras und fielen über sie her. Seitdem blieb das Mädchen stumm und nichts konnte es dazu bringen, zu sprechen.
„Mir bleibt nur der Hass auf die, die das taten“, schloss er. „Wir sollten uns wehren. Ich mache mit, egal was ihr beschließt. Das habe ich meinem Weib geschworen.“
Seinem Beispiel folgte ein zottelbärtiger Schafhirte in einem Wollwams, der drückte sich den Leib wie unter Schmerzen. „Bei jeder schnellen Bewegung ist es wie ein Nadelstich, hier über der Hüfte…“ Verbissen zeigte er die Zähne und rieb sich über die unteren Rippen. „Es tut weh, so oft ich mich unbedacht bewege. Ich verdanke es den Bütteln des Grafen.“
Eike von Bardenfleth warf ihm einen mitleidigen Blick zu. „Wurdest du zusammengeschlagen?“
„Und getreten. Ich trieb vor einer Woche und einem Tag meine Herde zur Kate zurück… unweit von Ranzenbüttel. Meine fünfzehn Jahre alte Tochter Imke begleitete mich und wies mir drei Schergen zu Pferd, die vom Deich aus ein Auge auf uns warfen. Ich bekam Angst und befahl meinem Mädchen, nicht die Kate zu verlassen und den Riegel vorzulegen. So tobten sie ihre Wut an mir aus, und unserem Hütehund, der mir helfen wollte, schlugen sie den Kopf ab, als sei er toll, stießen mich um und traten mir in den Leib, bis ich mich nicht mehr rührte. Ich will die Burg an der Hunte brennen sehen.“
„Das geht vielen hier so“, sagte Eike und klopfte ihm die Schulter, da er keuchend den Bericht abbrach. Aber einige, die sein Schicksal erschütterte, beruhigten den armen Hirten, und es gab noch mehr, die nicht länger schwiegen, auch was sie erzählten waren keine Bagatellen.
„Es musste nur jemand den Anfang machen“, tuschelte Rainald von Bardenfleth der Gruppe Keyhuser Ritter zu.
Frederik nickte grimmig und sagte noch einiges zu dem, was er aus der Rasteder Chronik wusste… „Ich war ein Bruder in Kutte und Strick und kann euch die Ländereien aufzählen, die das Kloster Rastede die letzten Jahre schluckte, in Rüstringen, im Ammerland, um Lüneburg und im westfälischen Lüdenscheid, und ebenso in Stedingen, gewöhnlich zum Martinstag oder nach Erntedank. In jedem Fall lief es gleich ab. Galt es, die Ernte einzuholen, wurde dieser oder jener Bauer mitsamt Gesinde zum Frondienst an einer Rodung gerufen oder zum Bau einer neuen Burg. Es gibt einen Kuhhandel zwischen dem Abt des Klosters Rastede und dem Grafenhaus zu Oldenburg.“
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