Kitabı oku: «Die Ehre der Stedingerin», sayfa 8

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Frederik, der Älteste und Klügste in ihrer Runde, seufzte vernehmlich. „Freunde, eine Reise nach Schwaben ist auf alle Fälle zu weit für einen verarmten Bauern. Und an wen sollten sie sich wenden, wenn nicht an Philipp von Schwaben? Der jedoch hat andere Sorgen. Seid ihr im Bilde? Otto zieht im Raum Köln ein Heer zusammen.“

Verblüfft sah Dirk ihn an. „So ein Kind“, war alles, was ihm dazu einfiel. Lächelnd hob er den Kelch und nippte vom Wein. „Ein guter Tropfen, Frederik. Ich komme zu dem Schluss, je tiefer ich die Nase in die Angelegenheit stecke, desto mehr stinkt sie“, kehrte er sogleich zum Thema zurück. „Es juckt mir in den Fingern, dem Moritz eins auf die Finger zu geben. Könnte sein, ich sympathisiere für einen angehenden Burgherren mit der falschen Seite, aber etwas in mir sträubt sich hartnäckig, ihn als unseren neuen Lehnsherren anzuerkennen, und den Stedingern ergeht es ja ebenso.“

Dirk betrachtete den fein ziselierten Rand des Kelches, ehe er trank und ihn leer neben seinen hohen Lederstiefeln abstellte, und Frederik hob anerkennend die Brauen. „Weißt du“, riet er Dirk, „ich habe die Bibel gelesen und Verstand genug, Gottes Wort selbst zu deuten. Wollen die Pfaffen Gerechtigkeit, wie sie so gern beteuern, dürfte kein Dorfpfarrer aus dem Alten Testament seine Predigt zusammenstellen. Das Testament beruht auf der Kabbala der Juden und dem noch älteren Talmud, und der geht zurück auf das alte Babylon und den König Hamurabi. Auge um Auge, Zahn um Zahn ist seine Botschaft. Das Neue Testament hingegen ist die Lehre von Jesus Christus, die uns auffordert, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wir sollen barmherzig den Gescheiterten die Hand reichen, so wie der Heiland es uns vorgelebt hat.“

„Mir schwirrt der Kopf“, unterbrach ihn Ekhard und fing an, wüst seine Laute zu schlagen. „Fass‘ dich kurz Frederik.“

Der bemühte sich ernsthaft, es allgemein verständlich auszudrücken. „Gilt das Alte Testament und auch das Neue, haben wir in Wahrheit zwei sich gegenseitig wiedersprechende Religionen. Das Alte Testament ist eigentlich überholt, durch das, was unser Heiland uns vorlebte, denn Jesus lehrte uns, zum Guten in das Schicksal einzugreifen. Genau das tat er nämlich, wenn er Kranke heilte, oder übereifrige Leute dazu aufrief, Mitleid für Menschen mit einem verfehlten Leben zu zeigen. Darum geht es: Sich verantwortlich zu fühlen, für das, was um einen her geschieht und sich einzumischen. Das Übel zu erkennen genügt nicht. Wahrhaftigkeit heißt, ernst zu machen, mit unseren schönen Worten.“

„Du fängst ja schon wieder an“, fiel ihm Ekhard ins Wort. „Langsam begreife ich, warum du ins Kloster gegangen bist.“

Gelassen winkte Frederik ab. „Ach, die hier leben, sind meist nicht besser als die Menschen außerhalb der Klostermauer. Ein Mensch kann nur mit Würde sterben, ist er mit sich und seinen Taten im Reinen. Man muss das leben und sich stets bemühen, den Schwachen beizustehen, ob hier drinnen, oder draußen. Es erspart den Katzenjammer auf dem Sterbebett. Das, sagt dir Bruder Frede vom Kloster Rastede, ist nicht der Papst oder ein Kirchenfürst, das ist die Stimme in deinem Herzen, auf die du lernen musst zu hören. Es geht um Wahrhaftigkeit. Dahin zu kommen, ist ein weiter Weg zu sich selbst. Seltsam, das wird mir soeben selbst erst richtig bewusst.“

Dirk, Godeke und Ekhard wechselten erstaunt Blicke. Ekhard schüttelte erneut den Kopf über Frederik. „Das klingt mir immer noch, als wolltest du uns bekehren.“

Andächtig nickte Frederik. „Es ist an der Zeit, euch etwas von hier zu erzählen. Bei uns verschwanden spurlos Dinge wie eine silberne Halskette, Silberlöffel, eine Brosche und zuletzt sogar Meinrichs Siegelring. Und, ist es nicht seltsam? Obgleich alle im Rahmen der Klostermauer ihr Leben Gott widmen und über jeden Verdacht erhaben sein sollten, verfiel man auf den Gedanken, unter uns müsse ein Dieb sein.“

Dirk und Godeke wunderten sich, Ekhard zuckte mit den Achseln und wusste nicht so recht, auf was der alte Freund hinaus wollte. Und Dirk entgegnete zögernd: „Na ja, die Folgerung ist eigentlich logisch.“

Frederik lächelte in sich hinein, als hätte er ihm eine Falle gestellt. „Stimmt Dirk, doch die Geschichte geht weiter. Einer von uns, Bruder Ansgar, blieb stets ein Sonderling. Einige beschuldigten ihn bald, er habe sich den Schmuck angeeignet. Immerhin hatte er oft Gelegenheit, im Namen des Klosters nach Bremen zu reisen. Es hieß, er habe die hier verschwundenen Dinge versilbert und in Minnehöfen verjubelt … mit Weibern, will ich mal vorsichtig sagen.“

„Das ist traurig für einen Mönch“, warf Godeke ein.

„Nein“, belehrte ihn Frederik. „Traurig ist, nachdem August und September trocken blieben wie selten, gab es ein Unwetter, das die Wahrheit ans Licht brachte, und niemand fand das sonderlich beschämend. Das war in der Nacht vor Erntedank. Der Sturm tobte bis in den Morgen und riss manchem die Kapuze vom Kopf. Er wirbelte Zweige, Laub und sogar Äste über den Klosterhof, und zu Füßen der Linde, genau vor der Tür der Bibliothek, ging ein richtig großer abgebrochener Ast mit einem Elsternnest nieder, in dem fanden wir zwei silberne Halsketten und den Siegelring unseres Abtes…“

„Für den jener Ansgar verstoßen wurde“, bemerkte Dirk und die Freunde nickten beeindruckt.

„So ist es“, sagte der Älteste, der das Kettenhemd gegen die Mönchskutte eintauschte. „Darum verlasse ich dieses Kloster.“

„Du trittst aus?“, fragte Dirk ungläubig.

„Ja“, bekräftigte Frederik. „In gewisser Hinsicht ist das Kloster nur eine Flucht. Misstrauen gibt es hier wie da, und der Versuchung aus dem Weg zu gehen, bewirkt am wenigsten.“

Er faltete die Hände auf dem Pult und heftete den Blick auf Ekhard. „Was sagt der Poet? Sollte nicht ein Ritter von altem Schrot und Korn den Schwachen beistehen? Was fällt dir dazu ein?“

„Kennt ihr die britannische Sage um den Hof von König Arthus? Manches vornehme Fräulein bat um die Hilfe eines seiner Ritter, der dann für sie die Sache durchgefochten hat. Den Schwachen zu helfen, das war der Sinn des Rittertums.“

„Gut gesprochen, Spielmann.“ In Frederiks Augen trat ein gerührter Glanz. „Unter Barbarossa galt das ebenso in den deutschen Landen. Ritterlichkeit ist mehr als Lehen zu verwalten, sage ich. So viel zu der Frage, was ich an deiner Stelle täte, Dirk.“

Dirk blickte ihn überrascht an. Das in etwa sinngemäß auf Burg Lechtenberg zu äußern, genügte Konrad, ihn vor dem Flamen als Hinterwäldler bloßzustellen. Dirk schlug sich an die Stirn. „Wie meinte Konrad doch gleich? Solang ich mein Schlachtschwert habe, nehme ich den Bauern ab, was dem Grafenhaus gebührt. Wisst ihr was, Freunde? Ich werde mir ein Schwert schmieden lassen, gegen das sich seines wie ein Handstock ausnimmt. Zum Martinstag wollen sie für jedes hochgezogene Kalb einen Silberpfennig und jede zehnte Mastgans für die Burgküche. Und ich werde Konrad in die Suppe spucken.“

„Ohne mich“, entfuhr Godeke verständnislos.

Dirk schloss enttäuscht die Augen und überlegte, wie sich dem Grafen von Oldenburg, der einzig und allein vor dem Erzbischof von Bremen kuschte, Angst einjagen ließe.

„In den südlichen Gauen“, besann er sich dunkel, „gibt es Bünde, die knöpfen sich Menschen vor, die gegen alle Menschlichkeit verstoßen, sogenannte Feme-Gerichte. Alle, die zu dieser Bruderschaft gehören, sind schwarz gekleidet und vermummt. Die Leute, die sonst kaum bestraft werden könnten, werden geladen durch einen Boten, der nachts dreimal kräftig an das Burgtor klopft und einen Brief annagelt, in dem sie schriftlich eingeladen werden, zu einer Ruine oder auf eine Waldlichtung. Richter ist ein Freigraf, der als Zeichen seiner Macht ein Schwert und einen Strick vor sich ins Gras legt. Ein anderer ist der Henker.“

Die meist heiteren Züge von Ekhard verhärteten sich, er runzelte die Stirn. „Damit begeben wir uns auf dünnes Eis. Wer sich an so etwas beteiligt, endet früher oder später vor dem Scharfrichter.“

Frederik rieb sich den Hals und blinzelte, als sei ihm eine Mücke ins Auge geflogen. „Wir müssten uns gut vermummen… sollten uns Mützen nähen lassen, die nur ein paar Sichtlöcher offen lassen.“

Dirk hob den Weinkelch. „Wer trinkt darauf mit mir?“

Frederik blickte auf seine Hand, die schon über den Tisch fingerte, um mit ihm anzustoßen. „Wir würden Angst säen unter denen, die sonst keinem Rechenschaft schulden. Und genau das fehlt..., aber lasst uns zunächst nach Stedingen reiten. Sie haben mächtige Deichgrafen, denen die Raffgier der Oldenburger sicherlich die Gemüter erhitzt wie uns.“

Dirk wartete unbewegt ab, den Weinkelch erhoben, bis Frederik nachfüllte, ihm den Kelch bot und Dirk klirrend anstieß. „Dann so… wir werden sehen, was sich ergibt. Auch das ist besser als gemach die Hände im Schoß zu falten.“

Das klang weniger spektakulär, und es überzeugte auch Godeke und Ekhard. Dirk grinste Frederik zu. „Mir geht es einzig und allein darum, dem unmenschlichen Treiben des Oldenburgers Grenzen zu setzen. Klären wir, ob er aus persönlicher Habsucht die Befreiung vom Frondienst aufgehoben hat oder ob unser Erzbischof dahinter steht.“

Er war der Erste, der sich vom Stuhl erhob. Seine Augen streiften von einem zum anderen und begegneten erneut dem unsicheren Blick von Godeke. Als Dirk freundschaftlich zwinkerte, zog er die Lippe hoch. „Es wird das Beste sein, für das ich im Leben eingetreten bin.“

6. Kapitel

An einem sonnigen Nachmittag im Herbst 1204 nach der Fleischwerdung des Herrn erschienen vier Ritter in Berne und erregten Aufsehen. Sie waren als Eigenbrötler verschrien unter den Edlen, ungern und argwöhnisch geduldete Neue am Rande der Bremischen- und Oldenburger Ritterschaft. Sie blieben Sachsen, die im Sprachschatz sächsisches beibehielten. Deshalb nannten sie sich hinsichtlich der Schlüssel im Wappen die Keyhuser, und man erzählte sich, sie spielten den Junkern von Specken vor Jahren übel mit. Auch äußerlich stachen sie ab von ihren Standesgenossen. Ockerfarbene Reitstrümpfe aus feinem Leinen hatten sie an, besetzt mit kleinen Eisenringen, und darüber anschmiegsame Kettenhemden in kurzem Schnitt.

Dirk zügelte vor dem Kirchturm das verschwitzte Ross und warf sich selbstbewusst in die Brust, da sich ein Ausblick auf den freien Platz bot, in dessen Mitte an diesem Morgen ein kleiner Markt stattfand, wie an jedem Dienstag. Wo sich beim Erntedankfest noch das Bühnengerüst ausbreitete, reihten sich die zahllosen Buden, Stände und Zelte der fahrenden Händler längs des Palisadenzaunes. Das Gras am Zelt einer Garküche wirkte gelblich.

Für Frederik hatten sie einen Abstecher in Kauf genommen, zu einem Gestüt im Raum Hannover; der ritt auf einem Hengst mit dunkelbraunem Fell, das gepflegt glänzte. Um den Schnitt mit der inselhaften Glatze zu vergessen, rasierte er sich den ganzen Schädel und versteckte das unter einer losen Kapuze, die er einfach von der Kutte abtrennte. Er trug das Kettenhemd, das ihm früher gute Dienste leistete, darüber einen Wappenrock wie Godeke, Ekhard und Dirk. „Und nun - ? Ich kenne mich hier nicht aus, Dirk.“

Er zog nachhaltig den Zügel straff, und der stattliche Hannoveraner, dem sein Reiter noch fremd war, schnaubte auf dem Fleck tretend aus und schüttelte störrisch die Mähne.

Dirk konnte den Blick nicht von dem anderen Teil der Warft lösen, den neuerdings ein Wassergraben von der Hauptinsel abgrenzte. Stapel von Bauholz und Backsteinen erhoben sich drüben, abgedeckt mit Planen.

„Man erkennt schon den Rahmen der geplanten Burg“, stellte er fest und wies mit dem Kinn hinüber. Nach wie vor stand der kleine klotzige Fachwerkbau der alten Schmiede mit dem Schornstein, unter dem sich die Ässe der Schmiede befand. Sich im Wind kräuselnder Rauch stieg auf; man hörte das helle Klingen von geschlagenem Erz. Dirk sagte sich, Lüder sei letztlich wohl einsichtig gewesen und arbeite schon im Dienste des Grafen. Langsam ließ er das Pferd hin traben und die anderen Reiter folgten gemächlich, bis er absprang und an dem Gatter neben der Tür den Zügel festzurrte.

An der Stelle von Lüder schwang ein stiernackiger Geselle in blanker Lederweste den Schmiedehammer. Die Muskeln leicht angespannt, hielt er mit einer Zange ein Stück rotwarmes Eisen auf den Amboss gestreckt, und der handliche Schmiedehammer schlug den Takt und formte es, dass es hell und heiter durch die offenstehende Tür in den Morgen hinaus klang. Der Satz, den er sich im Geiste für Lüder zurechtgelegt hatte, blieb Dirk im Hals stecken. „Sei mir gegrüßt, Schmied“, begrüßte er den Mann ganz profan, während Godeke hinter ihm die von stickiger Hitze erfüllte Werkstatt betrat.

Ärgerlich brummte der Mann vor sich hin, ehe er sich umdrehte und sie mit einem scharfen Blick musterte, wer ihn da wohl störte. Sein Gesicht wirkte gewöhnlich, ein grob geschnittenes Bauerngesicht mit hohlen Wangen, die Stirnglatze übersät mit den Spuren verblasster Sommersprossen. Die ruppige Nase erinnerte Dirk seltsam an einen Habicht. „Was wollt ihr von mir?“, fragte er, ohne richtig die Lippen auseinander zu bekommen. „Ist ein Ross zu beschlagen?“

„Wo finde ich Lüder, der vorher diese Schmiede bestellt hat?“

Der neue Schmied zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ob er tot ist? Ich weiß nicht“, erwiderte er kurzsilbig.

„Tot?“ Dirk wiederholte ihn ungläubig. „Seit wann?“

„Fragt mich nicht, ich frag Euch ja auch nicht. Für mich war’s ein Schlendrian. Der ist aus der Schmiede, ohne aufgeräumt zu haben und hat’s auch nicht nachgeholt. Kein guter Mann rennt so von der Arbeit weg.“

„Lüder war ein tüchtiger Schmied“, belehrte ihn Dirk. Ihn ärgerte dieses vorschnelle Urteil.

Der Mann leckte sich unzugänglich die Zähne. „Langweilt mich nicht, auch wenn ihr ein Ritter seid. Langweilt mich nicht.“

„Wie starb Lüder?“, fragte Dirk ihn und blickte Godeke zerknirscht an. „Eigentlich wollte ich mir bei ihm ein Schlachtschwert schmieden lassen.“

Der neue Schmied betrachtete die Edelleute aus zusammengekniffenen Augen, kalt, starr und feindselig und kam zu dem Schluss, lieber zu schweigen.

„Du weißt nicht, was mit Lüder geschehen ist?“, folgerte Dirk.

„Ich bin meinem Grafen verpflichtet und werde mir nicht die Zunge verbrennen oder so.“

„Na das ist ja eine Auskunft“, sagte Dirk und überlegte, ob sich dem Mann nicht ein wenig mehr aus der Nase ziehen ließe. „Auf einem Turnier in Hannover fiel mir ein dänischer Edelmann auf. Der trug geschultert ein blankes Schwert, das war das gewaltigste und furchterregendste, das man sich vorstellen kann… gut vier oder sogar fünf Fuß lang... Kannst du mir eine solche Waffe herstellen, mit einer ungewöhnlich langen Klinge… drei Hand breit der Griff?“

Dirk schätzte ihn richtig ein. Es weckte geschäftliches Interesse an dem Fall und seinen Ehrgeiz. „Bis wann? Sicher… das will ich tun. Ihr habt Glück, ich verfüge über einen Schleifstein und habe lange Jahre bei einem Schwertfeger gearbeitet.“

„Das trifft sich. Der Griff sollte mit schwarzem Leder überzogen sein. Die Klinge muss perfekt ausbalanciert werden, damit das Schwert in der Hand liegt wie ein gewöhnliches. Das setzt Können voraus. Als Knauf nimm ein hübsches Medaillon mit irgendeiner Gravur, in die Klinge arbeite bitte eine Blutrille ein.“

Dirk hielt sich die Hand flach an die Brust. „Das Ganze in etwa so groß, vom Erdboden gemessen.“

Der Schmied furchte skeptisch die Stirn. „Über vier Fuß hinaus geht auf Kosten der Qualität. Also Ihr habt Wünsche, Herr Ritter. Na ja, ein wenig länger als vier Fuß oder so, das ist machbar. Ich habe noch einen halbfertigen Rohling liegen… Trotzdem. Kostet Schweiß und ist mühsam, so ein langes Ding. 20 Mark muss Euch das wert sein, sonst stehlt mir nicht die Zeit.“

Dirk holte vernehmlich Luft. Der, für den der Rohling war würde sich gedulden müssen, und das machte es für ihn teuer. Die Vorstellung, Lüder sei tot, rief Erinnerungen an Ulrike wach. Es war heiß am Schmiedefeuer, und er wischte sich über die Brauen. „Ich schwitze wie ein Bulle, aber ich gehe nicht, ehe ich nicht weiß, was hier los war nach Erntedank.“

Überlegend blickte er Godeke an, und der schüttelte den Kopf über ihn. „Das ist ein Vermögen, Dirk. Bedenke, was du tust.“

Für 20 Mark hätte Dirk einen Bauernhof kaufen können, aber das schien ihm egal. Adalbert gönnte er sich damals ebenso aus einer Laune heraus für viel Geld. Dieses Schlachtschwert war ein lang gehegter Traum, gut genug für einen König. Er hatte sich entschlossen, seinem Leben einen Sinn zu geben, und dieser Leichtsinn würde ihn beflügeln zum nächsten Schritt, gleichgültig, ob es ihn um die gesamte Barschaft brachte und er danach den Freunden auf der Tasche lag. Die unsichere Hoffnung, vermutlich bei den Aumunds unterzukommen, tröstete ihn darüber hinweg. „Gut, Schmied. Der Auftrag gilt. Brauchst du Geld im Voraus?“

„Die Hälfte“, bellte der Schmied begeistert.

„Wohlan, wir werden uns einig. Vorausgesetzt, du verrätst uns, was oder wer Lüder umbrachte.“

„Ich weiß es bloß ungefähr. Sicher ist, seine Töchter brachen vom Gutshof der Aumunds am Sonntag nach dem Erntefest auf zur Kirche von Berne und kamen nie an. Die Pferde gingen durch oder so, hab‘ ich gehört. Der Großknecht des Hofes fand sich tot an der Unfallstelle, und die Fräulein, in dem Versuch, zu Fuß die Kirche zu erreichen, wurden von den Rittern der Lechterburg verschleppt. Daraufhin brach Lüder zur Burg auf, und man munkelt, er wurde umgebracht.“

Dirk schlug sich an die Stirn. „Mein Gott, so starb er. Und Rike?“

„Rike kenne ich nicht“, gab ihm der Schmied zu verstehen, nahm aber gern den Auftrag an, da Dirk ihm zuvorkommend zehn Markstücke auf die offene Hand zählte. „Gebt mir sechs Tage, und Ihr habt Euer Ungetüm von Schwert.“

Als Dirk nach draußen kam, sahen auch Frederik und Ekhard ihm an, ihm wühlte eine schlechte Neuigkeit im Magen. „Arme Rike“, sagte er traurig vor sich hin, setzte den Stiefel in den Steigbügel und warf mit Schwung das Bein über den breiten Pferderücken, um dann, fest im Sattel verankert, Godeke ernst in die Augen zu fassen. „Und das verdankt Lüder unserem werten Freund Konrad. Was sagst du dazu?“

„Wir sollten uns anhören, was deine Liebste dazu zu erzählen weiß.“

„Ja. Und ich bereue nicht länger, mich mit meinem Vater überworfen zu haben. Ulrike braucht mich jetzt.“

Die vier Ritter brachten den Alten Deich in wildem Galopp hinter sich und bogen mit flatterndem Haar ab zur Huntebrücke, um bald darauf vor der Fachwerkfassade des Gutshofes, bei einer schrundigen Trauerweide abzusitzen. Geldis trieb es gerade zu den Kühen, in jeder Hand einen Holzeimer. Sie staunte angesichts der Reiter. Auf dem Erntedankfest sah sie Ulrike mit diesem jungen Ritter ausgelassen tanzen. Sie stellte die Eimer ab, strich sich freudig am grünlich blassen Leinenrock die Hände trocken und knickste. „Hoher Herr, Euch schickt der liebe Gott. Etwas Schreckliches ist geschehen.“

„Ich weiß…“ Dirk wirkte plötzlich nervös. „Führst du mich zu ihr, zeigst mir ihre Kammer?“

Geldis schüttelte halsstarr den Kopf. „Ihr würdet sie nicht antreffen.“

„Wo dann?“

„Sucht sie auf dem Kirchhof… Sie wird sich freuen, schätze ich. Aber bitte nur, wenn Ihr es ernst meint mit ihr. Sie ist so anders seit Tagen und will sich nicht mit dem Tod ihres Vaters abfinden.“

Dirk nickte überlegend. „Hat man seine Leiche gefunden?“

„Nein.“

„Siehst du, darum hofft sie. Und das kann ich verstehen.“

Sie lächelte bitter, als die Ritter wieder der Dorfstraße zustrebten. Hohles Geklapper klang vom Fluss her an ihr Ohr, als sie über die Huntebrücke abzogen, nun den weiten Weg nach Berne noch einmal zurück. Denn seit fast hundert Jahren beerdigten die Stedinger der Lechterinsel ihre Toten auf dem Friedhof hinter der Kirche zu Berne, weil die Warft, auf der sich Kirche und Rathaus erhob, mit Sicherheit niemals überschwemmt wurde.

Wieder blieben Dirks Freunde bei den Pferden und Dirk zog die quietschende Pforte im Schatten der Friedhofslinde auf und holte tief Luft, als er den christlichen Gottesacker betrat. Das Gefühl, das ihn beschlich, streiften die Augen über das Gräberfeld, war nie schön, aber diesmal schauderhaft, obwohl ein Friedhof in der kalten aber hellen Herbstsonne kaum unheimlich zu nennen wäre. Ziegen weideten das hohe Gras, wo die Vergessenen schliefen. Kinder spielten Verstecken hinter kostspieligen Granitskulpturen, verwildertem Gestrüpp, Füllhörnern und dicken posaunenden Engeln. Freche Phantasiegeschöpfe wie pausbäckige Seraphsköpfe, Nasentrompeter und Figuren, die ihren nackten Hintern in die Luft strecken, lockerten die Idylle der zahllosen mit Namen und Alter gravierten Denkmäler, Säulen und Kreuze auf. „Ewig… Oh ist das lang…“ las Dirk über einem kleinen Heidebeet.

Ein knurrender Hund tauchte über den mit Tannenzweigen bedeckten Gräbern auf, einen Kinderschädel in den Lefzen. Dirk stockte der Atem und er besann sich, hier wie in Zwischenahn, gebührte keinem außer den Vornehmen, Geistlichen und Betuchten eine bepflanzte Ruhestätte... Der Köter wies ihm den Weg zu der hübschen kleinen Kapelle mit der nie voll werdenden Grube der Namenlosen. Hier, unter dem ausladenden Schirm einer stattlichen Eiche, traf Dirk auf eine Schar Trauernder, die sich mit gefalteten Händen um einen frischen Erdaufwurf mit Kränzen und Blumengebinde versammelt hatte, einen Anverwandten zu verabschieden. Einiges war geschehen, von dem sich Dirk keine Vorstellung machte, aber auch sonst verging selten eine ganze Woche, ohne dass man in dieser Gruft wühlte und Zuwachs beisetzte. Von einem zünftigen Grab konnte in dem Fall kaum die Rede sein: Leichnahm wurde auf Leichnahm gebettet, und wenig dazwischen geschüttet, die Erdschicht blieb stets dünn. Starke Regenfälle spülten dann und wann auch eine widerliche Hand oder einen Fuß frei, und die unseligen Toten der Armen fanden eigentlich nie wirkliche Ruhe.

Als die Trauergesellschaft wich und es alle zum Leichenschmaus zog, schmückten zahllose Kränze das Armengrab, ein Gärtner krempelte die Ärmel hoch und machte sich daran, es ansehnlich zu haken.

Dirk wollte eben die Suche aufgeben, da kam hinter den einen Augenblick länger ausharrenden Anverwandten Ulrike zum Vorschein - in eingesunkener Haltung an einem Grab kniend, auf dem sich Kriechwachholder ausbreitete. Lüder hatte seine Frau abgöttisch geliebt, und den Rest des Geldes, das noch aus den Tagen des westfälischen Hausstandes stammte, für einen Stein geopfert. Einen Batzen Silber musste er berappen für diesen Luxus. Fremdes Getier, nämlich winzige rot gemusterte Feuerwanzen krabbelten im Grün und auch auf dem verwitterten Grabstein, wo zwei Rosenstöcke einen Sonnenfleck offenließen. Sie hockte verneigt davor und merkte nicht, wer hinter ihr stand. Und er war unschlüssig, ob er sie sinnlos erschreckte, sollte er sie so ansprechen.

Endlich richtete sie sich auf, betete und wandte sich zu gehen. Sie zuckte zurück, als Dirk ihr in die geröteten Augen schaute. „Du…? Hier?“

Er atmete tief durch angesichts ihres burschikos gestutzten Haars, da vergrub Ulrike vor Scham ihr Gesicht in den Händen und weinte. „Wer?“, fragte er, und die Frage kam wie ein Aufschrei. „… hat dir das angetan?“ Das lange Haar gehörte zu ihr wie die Himmelfahrtsnase, und sie wirkte schlimm zugerichtet, da Johann den Zopf oben am Haaransatz kappte.

„Der Hauptmann… von der Lechterburg“, brachte sie verstört hervor und wagte nicht mehr, Dirk in die Augen zu schauen. Sie fühlte sich so wertlos, und je länger sie weinte, desto hemmungsloser flossen die Tränen.

Für Dirk lag auf der Hand, die rauen Gesellen auf der Burg zerschnitten ihr brutal die Haare… Deshalb wirkte sie ungewohnt verschüchtert. Aber es waren Tränen der Freude. Jeden Tag hatte sie um dieses Wiedersehen gebetet, so oft sie Zeit fand, den Kirchhof aufzusuchen – und er war gekommen. Was die beiden füreinander empfanden, kam an einen Punkt, an dem sich Standesunterschiede erübrigten, zumal sie unter sich waren. Für Ulrike zählte über allem anderen, er kam früher zurück als vorhergesagt, und für ihn, dass sie plötzlich an seiner Schulter hing und schluchzte, als wäre der Einzige erschienen, der ihr noch helfen konnte.

„Sie haben Vater… in der Lechterburg… und ich fürchte, die foltern ihn. Er ist verschwunden, seit er von Berne aufbrach, Wibke und mich nach Hause zu holen.“

Stockend berichtete sie, und Dirk nahm sich heraus, ihr über das Haar zu streichen, um sie zu beruhigen. Doch ob er seinen ehemaligen Waffenbruder Konrad bewegen könnte, Lüder frei zu lassen, bezweifelte er. Dafür lag dem zu viel am Wohlwollen des Flamen, der in Bauern nur Kreaturen zwischen Mensch und Tier sah. „Du meinst, dein Vater lebt?“

Sie zog einen wehmütigen Mund und blickte ihn aus flackernden Augen an, mit dem Gefühl, er könnte nicht richtig zugehört haben.

„Was ist denn, mein Täubchen?“, fragte er, weil er das spürte.

Sie kniff eine Braue an, machte ein schiefes Gesicht wie Lüder, lief dem eine Sache gründlich gegen die Hutschnur. „Täubchen?“, wiederholte sie ärgerlich und glaubte Konrad zu hören. Aufgebracht stieß sie mit dem Zeigefinger auf ihn ein. „Nenn‘ mich nie wieder so. Hörst du?“

„Nie wieder“, versprach er.

Sie war so durcheinander, und was sie quälte saß tiefer: Da waren die Einsamkeit, die jeden am Grab der Mutter befällt, und der Gedanke, künftig allein für ihre Geschwister sorgen zu müssen, schnürte ihr beengend das Herz ein. Den Vater niemals wieder um Rat fragen zu können, überstieg ihre Kraft, und die Hoffnung, sein Verschwinden könnte andere, nebulose Gründe haben, die bislang unbeachtet blieben, entsprang eher einer kindlichen Sehnsucht, das eigentlich schmerzende so lange wie möglich nicht an sich heranlassen zu wollen. Zu denen, die zeitlebens Wünsche, Träume und Wirklichkeit in einen Topf warfen und alles so drehten, wie es sich leichter ertragen ließe, wollte sie nie gehören.

Er sah ihr den Kummer an und drückte sie ein wenig unbeholfen an sich, aber sie wähnte sich in die Arme Lüders versetzt und sah gerührt zu ihm hoch. „Warum tut uns Gott das an?“, klagte sie mit wehleidiger, leicht zitternder Stimme, und was sie seit Tagen um den Schlaf brachte, platzte heraus wie Wasser aus einem brechenden Krug. „Ich habe immer versucht, gut zu sein… Das ist nicht gerecht.“

„Nicht gerecht?“, wiederholte Dirk und lächelte dazu genau das Lächeln, das ihr so gut tat. „Das kann man wohl sagen.“

„Glaubst du an Gott?“, fragte sie, als sei es ihr wichtig.

Er strich sich nachdenklich durchs Haar und nickte gelassen. „Na sicher, nur stelle ich mir unter dem Begriff vermutlich etwas Anderes vor als du.“

Es zauberte ein überraschtes Lächeln in ihr trauriges Gesicht. „Na hör mal“, gab er ihr verwundert zu verstehen, „die meisten Menschen glauben doch.“

„Sie mögen zum Gottesdienst erscheinen, sicherlich.“ Soweit gab sie ihm vorbehaltlos recht. „Aber ihre Gesichter, lauschen sie Wilke Holms, sind wie Masken, ohne einen Funken Ehrfurcht vor dem Geist, der dem Gotteshaus innewohnt. Sie lieben den Holms für seine Predigten, aber sie wissen die Botschaften nicht zu deuten, die er aus dem Leben einstreut. Drei von vier Leuten sind Lästermäuler, es ist wie die Kirche mit zwei Zugängen. Zu der einen führt eine breite Straße, zur anderen ein holperiger Pfad. Alle wählen sie den leicht begehbaren Weg, den des geringsten Widerstandes, aber der andere Weg führt in den Himmel.“

Dirk nickte beifällig. „Meine Güte, das klingt nach einem großen Herzen. Aber das gefällt mir.“

„Ich glaube“, erklärte sie, wischte sich wie erlöst die Tränen von den Wangen. „Jeder Mensch hat eine Aufgabe in seinem Leben.“

„Sagt das Lüder?“

„Nein, Wilke Holms, und zwar mit genau den Worten.“

„Ein weiser Mann“, raunte Dirk.

Ulrike, eben noch zu Tode betrübt, erweckte von einem Moment zum anderen den Eindruck, innerlich wieder aufzublühen, und sie gestand ihm, „ich weiß wohl, es ist ein törichter Kindertraum, aber ich bete jeden Abend vor dem Schlafengehen und könnte ohne nicht einschlafen.“

„Ich auch. Allerdings leise, ohne die Lippen zu bewegen. Es ist eine Stimme in uns, auf die man hören sollte.“

Ulrike nagte an ihrer Unterlippe, als würde sie darüber nachdenken. Und so sehr sie sich freute, wie sie sich auch in der Hinsicht glichen, kam sie unweigerlich wieder auf den unseligen Tag zu sprechen, der im Rittersaal der Lechterburg endete, da sie nicht einsehen wollte, warum der liebe Gott, der doch allmächtig ist, alles sieht und alles weiß, zulassen konnte, wie ihr mitgespielt wurde. Nur brachte sie das wirklich Ungeheuerliche beim besten Willen nicht über die Zunge, und als sie ins Stocken geriet, beschlich ihn der Verdacht, dass Johann ihr wahrscheinlich nicht aus Gehässigkeit, sondern auf Order von Konrad den Zopf genommen hatte, um sie für ihn unattraktiv zu machen. Mit dem Hintergedanken, er würde dadurch das Interesse an ihr verlieren. Seine Art, Weiber nur nach Schönheit zu beurteilen, regte ihn früher schon auf.

„Ach Ulrike, Haare wachsen nach…“, beruhigte er sie. „Mich hält das nicht davon ab, dich zu mögen. Es ist etwas ungewohnt, ohne den Zopf, aber ich fange schon an, mich daran zu gewöhnen. Na komm, ich lade dich ein, auf einen Becher Wein im Bunten Hahn.“

So erschienen die beiden munter plaudernd im Steintor des Kirchhofs. Ekhard lehnte am weißen Steinpfosten, die Beine auf den Feldweg gestreckt, die Laute auf dem Schoß, während die Rosse zufrieden waren mit dem saftigen Gras am Wegesrand. Da es nahelag, nun gemeinsam zum Gut der Aumunds zu reiten, erhoben sich Frederik und Godeke wie gerufen. Ekhard zog sogar das Barett und verneigte sich mit wedelndem Hut vor ihr.

„Das sind meine Freunde“, stellte Dirk sie vor, und sie schauten den beiden unschlüssig nach, weil Dirk ihnen zwar zunickte, aber ohne mehr Worte zu vergeuden, vorbeiging.

Wo Tische und Stühle vor der Tür standen, kehrten die beiden in das Wirtshaus ein, das gleich neben dem Fachwerkhaus der Herberge lag. Dirk bestellte einen guten Jahrgang Burgunder und jeder am Kelch nippend, saßen sie sich in einer Ecke bei Kerzenschimmer gegenüber, obwohl es draußen taghell war und sonnig.

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