Kitabı oku: «Beziehungsweisen», sayfa 3

Yazı tipi:
A Das Netz der Beziehungen

II „Lebten wir in Zeit und Geist genössisch?“ – Zeitgenossen

Von Manfred SturSturmann, Manfredmann, 8. September 1966 Nr. 24

Ich freue mich, dass Sie das bibliographische Material nunmehr für Ihr Archiv beisammen haben.

Herr Otto Heuschele, OttoHeuschele* hat sich in meinem „früheren“ Leben in rührender Weise bei meinem Start als junger Schriftsteller für mich eingesetzt. Da mir aber keinesfalls klar ist, welche Haltung er während der Nazizeit eingenommen hat, besteht von meiner Seite nicht die Absicht, die Verbindung mit ihm aufzunehmen. Wenn er mir schreibt, werde ich ihm selbstverständlich höflicherweise antworten.

* Otto Heuschele, OttoHeuschele (1900–1996), Schriftsteller, Essayist, Aphoristiker, Herausgeber; vgl. Brief Nr. 45

An Manfred SturSturmann, Manfredmann, 1. Oktober 1966 Nr. 25

Was Herrn Heuschele, OttoHeuschele betrifft, haben Sie gewiss recht. Wir werden ja sehen, ob er sich meldet. Gerechterweise will ich vorsichtig sein und ein Sich-nicht-Melden nicht gerade als Zeichen des schlechten Gewissens beurteilen. Indessen will ich aber den „Fall“ untersuchen. Ich dachte anfangs nicht daran, weil er mir, als ich kam, andeutete, Herr Wilhelm von Scholz, Wilhelm vonScholz*, den ich vorher gesprochen hatte, wäre doch nicht einwandfrei. So hielt ich ihn selbst für „einwandfrei“, was mir durch seine harmlose Erscheinung bestätigt zu sein schien. Nun aber will ich Ihnen noch einen anderen Gruß bestellen – von Georg von der Vring, Georg von derVring**, mit dem ich befreundet bin, den ich auch lieb habe. Er ist bestimmt einwandfrei***. Es geht ihm in letzter Zeit nicht gut, sogar so wenig gut, dass man kürzlich schon das entsetzliche Gerücht verbreitete, er wäre gestorben. So schlimm ist es aber nicht, er ist nur alt geworden und hatte sich einen Arm gebrochen. Er ist ein wirklicher Dichter, wenn auch die junge Generation solche Dichtung nicht mehr gelten lassen will. Deshalb bleibt er es dennoch, allen zum Trotz.

* Wilhelm von Scholz, Wilhelm vonScholz (1874–1969), Schriftsteller, Aphoristiker. Er arrangierte sich früh mit dem NS-Regime und wird wegen seiner zustimmenden Haltung zum Nationalsozialismus der NS-Literatur zugerechnet – so lt. Wikipedia

** Georg von der Vring, Georg von derVring ( 1898–1968), Schriftsteller und Maler; vgl. Die Eselin Bileams und KoheletKohelets Hund, S. 190 ; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 58

*** Bestimmt einwandfrei: „So vorsichtig prüfend ich mich glaubte, musste ich mir nach und nach das ,bestimmt ʻ sowohl als auch das ,einwandfreiʻ abgewöhnen; das geschah nicht ohne Folgen für meine Aphoristik.“ (An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 25.4.2018)

An Hildegard Schultz-Baltensperger, HildegardSchultz-Baltensperger, 13. Januar 1991 Nr. 26

Dank für das allermerkwürdigste „Du“-Heft*. Als ichʼs in der Hand hielt, dachte ich, ich hätte Deinen Brief nicht richtig gelesen, Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt könne doch unmöglich gestorben sein. Die Einleitung zum Heft las sich aber wie eine melancholische Ironie, als würden Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt oder seine Seele irgendwo im Raum über uns schweben. Das tat sie dann also auch. Ein Zusammentreffen von Datum und Seele in einem Zwischenraum. Voreilig schickte ich Christoph Grubitz, ChristophGrubitz** zum Neujahr eine aphoristische Auswahl aus Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatts Werken (Diogenes-Büchlein)*** mit meinen verdrossenen Anmerkungen. Ich glaube nach wie vor, dass Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt groß im Großen ist, aber nicht im Kleinen. Unbegreiflich war es mir, wie er dieser Auswahl nur zustimmen konnte. Jetzt, nach dem Interview mit ihm, kann ich es verstehen. Die Schweiz hat ein Prachtexemplar seiner besten Gattung verloren, Israel einen seltenen, auch kostbaren, weil nur kritisch liebenden Freund.****

* Du – die Zeitschrift der Kultur. Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt (70). Tages-Anzeiger Zürich 1991. Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt starb im Dezember 1990.

** Vgl. Verzeichnis der Briefpartner(innen)

*** Das Dürrenmatt, FriedrichDürrenmatt Lesebuch. Herausgegeben von Daniel Keel. Mit einem Nachwort von Heinz Ludwig Arnold, Heinz LudwigArnold. Zürich: Diogenes 1991

**** Presseartikel „ Ich stelle mich hinter Israel“ (1973), Träger der Buber, MartinBuber-Rosenzweig, FranzRosenzweig-Medaille 1977, Ehrendoktorat Jerusalem

An Edith SilberSilbermann, Edithmann, 10. August 1991* Nr. 27

Nicht ich habe Margarete Susman, MargareteSusman** die „große Großmutter“ genannt, sondern Bodman, Clara vonClärle***, die sich selbst dann die „kleine Großmutter“ nannte. Sie war um fast zwanzig Jahre jünger als Margarete Susman, MargareteSusman, verehrte sie aber auch. Margarete Susman, MargareteSusman ist mir ganz natürlich Großmutter geworden, Bodman, Clara vonClärle wollte es sein, Annette Kolb, AnnetteKolb – die stolze Jungfrau („Ich war nie einem Mann erlegen!“) – war zu solchen Gefühlen nicht fähig, auch zu solchen Spielen nicht, aber zu anderen, wie eben mit dem „wilden Hebräer“ und seiner christlichen Schwester, das gefiel ihr, für das Geschwisterliche hatte sie im Leben wie im Werk Gefühl und Sinn, wir trafen uns auch öfter mit ihrem Bruder Paul. Sie war älter als Margarete Susman, MargareteSusman, und es gibt eine Briefstelle von Margarete Susman, MargareteSusman, in dem sie den Umstand mit Humor erwähnt, dass sie – meine Großmutter – nun auch die Großmutter meiner Schwester sein müsste. Das und anderes mehr können Sie in meinem Kolb-Buch lesen. Aber wie kommen wir zum Buch, da nun der Stiehm-Verlag eingegangen ist? Vielleicht finden Sie es im Ramsch.

Vor zwei oder drei Jahren erschien Annette Kolb, AnnetteKolbs Briefwechsel mit René Schickele, RenéSchickele, damit ist die Frage nach ihrem Antisemitismus laut geworden. Es ist eine Frage, aber eine für mich nicht mehr interessante, da ich nun alle meine Pappenheimer kenne. Antisemitismus lebt vom Hörensagen, vom Leichtsinn, aus Ignoranz und Charakterlosigkeit. Damit will ich seine Gründe nicht genannt haben, Annette Kolb, AnnetteKolb aber aus der langen Reihe der charakterlosen Schriftsteller herausnehmen. Das war sie in keinem Fall, in keinem Punkt; die Schwächen teilte sie mit vielen anderen. Die Stärke behält man für sich und zur Not. Sie gehört zu den besten, tapfersten und ehrlichsten Schriftstellern deutscher Sprache: auch hinsichtlich der Judenfrage; sie war sogar eine entschiedene und konsequente Zionistin, wovon man in Deutschland nichts wissen will; es ist leichter und billiger, für die große Europäerin zu schwärmen. Also bewährte sie sich im Leben und im Werk, für das sie in der Öffentlichkeit mit Namen und Gesicht, die sie hätte verlieren können, einstand. Mehr kann ich von einem Schriftsteller nicht verlangen. Kein deutscher Schriftsteller setzte sich mit einer Fußnote ein Denkmal, wie Annette Kolb, AnnetteKolb auf S. 176 ihres Romans „Die Schaukel“, Berlin 1934.****

Und schließlich ihre letzte Reise. Alle ihre illustren Freunde waren gegen ihre Reise; die 96jährige wollte von ihrem innigen Wunsch, das altneue Volk in seinem altneuen Land zu sehen, nicht lassen. Natürlich haben die Katholiken auch die Absicht ihrer Reise gefälscht, die Wahrheit darüber steht in meinem (vielverschwiegenen) Buch. „Dein Land ist schon mein Land geworden“ ist Annette Kolb, AnnetteKolbs letzte schriftliche Mitteilung an mich. Bodman, Clara vonClärle hatte mein Buch schon während seines Entstehens kennengelernt, sie zitiert mitunter sogar eine frühe Fassung, die im Druck nicht nachweisbar ist.

Unter welchen Umständen ich Margarete Susman, MargareteSusman kennengelernt habe, ist im Brief vom Oktober 1966 (aufgenommen in „Treffpunkt Scheideweg“, S. 115ff.) nachzulesen; wie ich zu Annette Kolb, AnnetteKolb kam – in meinem Buch „Annette Kolb und Israel“*****.

Zu Clara von Bodman, Clara vonBodman kam ich durch Empfehlung eines ehemaligen Nazis: Wilhelm von Scholz, Wilhelm vonScholz, den ich in Konstanz besuchte, da ich auf der Spur Fritz Mauthner, FritzMauthners****** war, dem er, der Dichter Wilhelm von Scholz, Wilhelm vonScholz, die Grabrede hielt. Scholz, Wilhelm vonScholz war ein Schulkamerad Emanuel von Bodman, Emanuel vonBodmans, sie machten auch ihre ersten Schritte in der Literatur zu gleicher Zeit. Erst in der Nazizeit wandte sich Emanuel von Bodman, Emanuel vonBodman von Scholz, Wilhelm vonScholz ab. Ich kannte auch das Werk von Bodmans, vor allem aber wusste ich, dass er mit Gustav Landauer, GustavLandauer befreundet war, und die Briefe Landauers hatten mich interessiert. Nun sagte mir Scholz, Wilhelm vonScholz, die Witwe Emanuels lebe in der Nähe, in Gottlieben, und Frau Scholz – die mich herzlich gern loswerden wollte – telefonierte sogleich, und in zehn Minuten stand ich schon im herrlichen Treppenhaus in Gottlieben. Die Freundin, die mich dahin begleitete und dann wieder abholte, ist später meine Gattin geworden: eben jene, heute weitbekannte Miniaturmalerin Metavel (Ehefrau EBs)Metavel (vielleicht kennen Sie ihre „Haggada schel Pessach“, die bei Schocken herauskam). Clara von Bodman, Clara vonBodman wohnte wenigstens zweimal einem jüdischen Gottesdienst mit mir bei; ich erinnere mich an einen Jom-Kippur in Konstanz und an ein Wochenfest in Kreuzlingen. Durch ihren Besuch in der Synagoge in Kreuzlingen kam sie der Familie Robert Wieler, RobertWielers******* näher und wurde wiederholt eingeladen, den Schabbat mitzufeiern.

Sie wünschen sich Näheres über den Rilke-Brief********, was könnte ich noch dazu sagen? Er betrifft – für jenen Zeitpunkt ziemlich aufrichtig – mein Verhältnis zu Rilke, Rainer MariaRilke, meint aber noch ganz besonders Emanuel von Bodman, Emanuel vonBodman, für den Clara unablässig missionierte. Von mir und meinen Gedichten angetan, wollte sie in mir auch unbedingt den spätgeborenen Freund sehen, von dem Emanuel in einem Sonett träumte*********. Ihre Versuche, mich für Emanuels Gesamtwerk zu interessieren, musste ich abwehren, sonst wäre die vielversprechende, aber doch erst aufkeimende Beziehung zwischen uns in die Brüche gegangen. Ich war innerlich zu sehr mit „meinen Juden“ befasst und poetologisch bereits so weit von jener Generation weg, dass ich mich unmöglich mit dem lyrischen Werk Emanuels hätte beschäftigen können. Es mussten einige Jahre vergehen, bis ich geduldiger wurde und einer Lyrik wie der von Bodman, Emanuel vonBodmans gerecht werden konnte. Die „Gottlieber Dichterfreunde“ waren die Freunde eines einzigen Dichters, dessen Werk sie in schmalen, aber noblen Heften in einem kleinen Kreis verbreiten wollten. Der Dichter bin ich gewesen. Die Initiative ging von C. v. B. aus, die das Geld für das erste Heft vorstreckte. Druck und Vertrieb besorgte die Gottlieber Malerin Lore Gerster, LoreGerster. Es erschienen sechs Hefte; sie sind so gut wie vergriffen, tauchen antiquarisch selten und nie vollzählig auf.

* Edith SilberSilbermann, Edithmann, die auch eine bekannte Rezitatorin war, wollte einen Abend um den Briefwechsel mit Clara von Bodman, Clara vonBodman in Düsseldorf veranstalten, woraufhin sie EB viele Fragen stellte; vgl. Olivenbäume, S. 221

** Margarete Susman, MargareteSusman (1872–1966), Essayistin, Lyrikerin; vgl. Allerwegsdahin, S. 99–105, 180f.; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 33, 55; Vielzeitig, S. 273 et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 49, 62, 101–106, 182, 306f., 359–361 mit Anmerkungen

*** Clara von Bodman, Clara vonBodman: Solange wie das eingehaltene Licht, S. 56–57; vgl. Allerwegsdahin, S. 124–126; vgl. Das Mehr gespalten, S. 198f.

**** Annette Kolb, AnnetteKolb: Die Schaukel. Roman. Mit einem Nachwort von Joseph Breitbach, JosephBreitbach. Berlin: S. Fischer 1977, S. 160: „Vom Tage an, da die Juden im geistigen Leben an Einfluss gelangten, machten sich in der gefährdeten Existenz des Künstlers gewisse Chancen fühlbar, dass er nicht mit einer Mühsal wie bisher […] sich durchzuringen hatte. […] Wie dem auch sei, wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar von Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewusst bleibt. (Dieser Roman entstand 1934 in der Emigration.)“

***** EB: Annette Kolb, AnnetteKolb und Israel, S. 29–32

****** FritzMauthner, Fritz Mauthner (1849–1923), Philosoph, Schriftsteller, Publizist. In Meersburg am Bodensee entstand die von Martin Buber, MartinBuber angeregte und Gustav Landauer, GustavLandauer gewidmete Monographie „Die Sprache“ (1907).

******* Robert Wieler, RobertWieler, geboren 1912, war Mitbegründer der jüdischen Gemeinde in Kreuzlingen und ist 2012 in Jerusalem gestorben.

******** Solange wie das eingehaltene Licht, S. 39–42, vgl. „Vielzeitig“, S. 168

********* „Du fremder Freund, den ich nicht sah, noch kenne / Du bist mir nah in manchen späten Stunden, / Wenn ich die Tagesarbeit überwunden / Und wach im Kreise meiner Lampe brenne” […]. (Bodman, Emanuel vonBodman: Der unbekannte Freund. In: Die gesamten Werke 3, S. 159)

An Ulrich Sonnemann, 21. Januar 1992 Nr. 28

Lieber Ulrich, Dein Geburtstag rückt näher, schon steht er bevor, die vielen kleinen Wörter ballen sich zu einem großen Wort zusammen, wie soll es lauten, soll es heißen. Du hast so viel erlebt, erreicht, bewirkt, und wurdest von keinem guten Geist verlassen. Deine Rückkehr nach Deutschland, das kann man schon sagen, gehört zur Geschichte des neuen Deutschlands.* Und nun steht auch Dein Wort wieder an einem Anfang: poethisch, deutschbekümmert, europa-würdig. Dein Rückblick mit 80 wird nicht mehr nur Trümmer sehen. Ich freue mich Deines Rückblicks, bin froh, Dein Werk solange begleitet haben zu dürfen und danke Gott, dass ich mich, ohne Verdienst, doch reinen Herzens Dein und Brigittes Freund nennen darf.

* Sonnemann, 1940 in Brüssel verhaftet und im Lager Gurs interniert, konnte 1941 von dort aus in die USA flüchten. Er kehrte 1955 nach Deutschland zurück. Vgl. EB: Logorhythmen. In: Sabotage des Schicksals. Für Ulrich Sonnemann. Hg. von Gottfried Heinemann und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik. Tübingen: Gehrke 1982, S. 367–371; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. In: Spontaneität und Prozess. Zur Gegenwärtigkeit kritischer Theorie. Hg. v. Sabine Gürtler. Ulrich Sonnemann zum 80. Geburtstag. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992, S. 251–263; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein; Grubitz: Dasein ist hiersinnig, S. 69–80

An Anemone Bekemeier, AnemoneBekemeier, 14. Mai 1992 Nr. 29

Nimm zum Beispiel Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa. Es ist recht bescheiden, was in diesem hübschen Heft* abgedruckt ist, schaust Du aber genau hin, findest Du meine ganze Intention, und es fragt sich, warum sie Dir so viel zu schaffen machen soll. Auf S. 22 steht: „Verse immerzu, ich vertreibe sie, wie immer, bis ich eine wirkliche Zeile höre.“ Und: „Aber ‚Michal‘ gelingt noch nicht, das heißt, da schwirrt etwas Zweitrangiges“. Also: eine wirkliche Zeile – und nichts Zweitrangiges.

* Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa: Vor den Fenstern Frost. Gedichte und Prosa. Übersetzt von Barbara Honigmann und Fritz Mierau. Berlin: Friedenauer Presse 1988, S. 22

An Christoph Grubitz, ChristophGrubitz, 17. Februar 1993 Nr. 30

Freut mich, dass Du endlich Sonnemanns Festschrift bekommen hast. Mein Büchlein darin* – samt Untertitel – müsstest Du unbedingt in der neuen Fassung Deines Buches** berücksichtigen. Für meinen leidenden Freund bete ich täglich. Übrigens sagte er mir, dass er „Was nicht zündet …“ ganz anders las und erlebte als alle meine anderen Bücher. Es erschien ihm als etwas „ganz Ganzes“, ganz Menschliches, schon ganz Verklärtes, und er betonte das mit dem Wort: universell. Er sprach davon sichtlich gerührt. Gern wollte er ein Nachwort zur geplanten, erweiterten Ausgabe schreiben, „wenn man ihm dazu Zeit lässt“. Aber er ist zum Schreiben nicht mehr fähig, ist schwach und verunsichert. Ich wollte Dir eben eine schöne Widmung von ihm mitteilen***, die auf den Unterschied zwischen mir und Kraus, KarlKraus**** abzielt, aber nach einem halbstündigen Suchen finde ich das Buch noch immer nicht!

* Siehe Anmerkung zum Brief Nr. 28

** Christoph Grubitz, ChristophGrubitz: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz.Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8)

*** Sie lautet: Dem Freund und Sprach-Hauptmitbewohner. Zu Paul Schick, PaulSchick

**** zu Karl Kraus, KarlKraus vgl. Olivenbäume, S. 15 et pass; vgl. Aberwenndig, S. 37

An Matthias Hermann, MatthiasHermann, 22. Februar 1993 Nr. 31

Du bist ein guter, ernster Leser. Ich kann Dich jetzt, anhand Deines Briefes, gut dabei beobachten. Du gefällst mir in Deiner Strenge. So muss es sein, unter Dichtern, die Dichtung betreffend. Und doch ist die Verantwortung des „aphoristischen Dichters“ eine weitere oder jedenfalls eine andere, was zur Folge hat, dass Poetik und Rhetorik mitunter auseinandergehen, bzw. in Widerspruch zueinander geraten. Ich muss an vielerlei Menschen denken, auch an solche, die mit Poesie nichts zu tun haben. Die vielen Menschen, die bestimmte Zeit, die Herausforderung eines Augenblicks, die Reizbarkeit eines Nervs, die Art und Intention eines Büchleins – sie alle spielen eine Rolle, machen Strategien nötig. Freilich ist auch dies ohne Selbstbetrug weder denkbar noch zu machen. Das hast auch Du zwischendurch gemerkt, so z.B. wenn Du zum Folgenden – „Was du nicht verhinderst, das hast du geschehen lassen“ – schreibst: „Auch nicht neu, doch aus aktuellem politischen Anlass würde ich es stehen lassen.“

Der aktuelle politische Anlass – zumal der altneue Antisemitismus – steht ja vor und über diesem Büchlein – „Träuma“ –, das ich auf die Herausforderung Rufus Flügge, RufusFlügges, des ehemaligen Superintendenten von Hannover, geschrieben habe. Als ich nämlich von meiner letzten Lesereise zurückkehrte, fand ich seinen Brief vor, der also endete: „Erheben sollst Du Deine Stimme.“ Also versuchte ich, meine Stimme zu erheben. Flügge, RufusFlügge schreibt mir zum Manuskript: „Die Reihenfolge und Kapiteleinteilung ist in dieser Form sehr einleuchtend, es ist ein fortlaufender Gedankengang und zum Lesen und wahrscheinlich zum Vorlesen gut geeignet. Es sind viele besondere Kostbarkeiten darin. Du erhebst deine Stimme wie eine Posaune. Schone nicht.“ Ich schone nicht und schone doch auch, denn ich möchte viele erreichen. Das wird mir oft nur mit einem Satz gelingen. Und auch dies wäre schon ein Erfolg.

Das, lieber Matt, vermag überlegene Ironie allein nicht. Natürlich kommt sie bei mir vor und ist auch Dir, so unangenehm Dich der „heilige Ernst meiner Prosa“ berührt, nicht ganz entgangen.

Heilig – ja; gesalbt – nein; auch nicht weihevoll. Es gibt eine seelsorgerliche Sprache, die viele nicht mehr verstehen und nur wenige noch sprechen, diese aber wissen sie zu schätzen und wüssten mir Dank, wenn sie fühlten, dass ich gerade sie meine, da ich mich ihrer Sprache bediene.

„Ordination“, übrigens, habe ich nicht geschrieben, sondern aus dem Stegreif für Silke* in ihrer Kirche gesprochen. Ich mache nicht gern „Sprüche“, aber auch Salomo machte sie nur ungern, was besagt, dass sie gemacht werden mussten.

„Hinfällig ist alles, was auf Gott hofft und nicht baut“ ist nach meinen Begriffen gerade nicht erbaulich. Ich habe alle Deine Anmerkungen in das Manuskript eingetragen, so habe ich jetzt ein ganz interessantes Exemplar.

Deine treffende, nicht zutreffende Bemerkung „Wenn sie doch wenigstens unsere Witze sammeln würden, die mit lachendem und weinendem Auge entstanden, sie hätten beides – die Tränen und den Witz“ wollte ich, da sie mich entzückte, gleich in mein Büchlein aufnehmen – mit Deiner Erlaubnis, versteht sich. Aber Deine Bemerkung brächte meinen Satz doch um seine schon erprobte Wirkung. Auch trifft sie, wie gesagt, nicht zu. Jüdische Witze wurden und werden gesammelt. Und mancher lacht dabei Tränen.

* „Ordination“: Träuma. Herrlinger Drucke 3, Mai 1993, S. [15], [38]; Silke Alves-Christe, SilkeAlves-Christe, vgl. Brief Nr. 136

An Hans Otto Horch, Hans OttoHorch, 22. Juli 1993 Nr. 32

Ich sollte Ihnen längst schreiben, wollte es aber nicht tun, ehe ich Ihren „Strauß, LudwigStrauß“* gelesen habe.

Zum Anfang Ihres Nachworts möchte ich bemerken, dass mir das direkte und ehrliche Zeugnis Albrecht Schaeffer, AlbrechtSchaeffers** besser gefallen würde als das indirekte Hannah Arendt, HannahArendts; und gerade von Ihnen hätte ich es erwartet, zumal nach unserem Gespräch hier. Es ist sehr wichtig, dass wir deutsche Zeugen und Zeugnisse finden, verhören, vernehmen und auch beherzigen. Schaeffer, AlbrechtSchaeffers Beitrag über Strauß, LudwigStrauß ist ein Zeugnis, das nicht unbeachtet bleiben darf, auch poetologisch nicht, obschon er umständlich ist und mitunter leicht konfus erscheint. Ich schätze seine Resultate, mehr noch sein Bemühen, am meisten seine Bereitschaft, dem jüdischen Dichterfreund einen hohen Rang und einen ehrenvollen Platz in seiner Dichter-Galerie zuzuweisen.

Das Interessanteste an Strauß, LudwigStrauß ist, dass er auf allen Gebieten Bedeutendes leistete, aber in seiner Bedeutung nicht vermochte, anstachelnd zu wirken. Er ist zu gut, um noch interessant zu sein. Dass er „beides zugleich und in eins war“, daran liegts. Es fehlt die Zerrissenheit. Und was könnte entbehrlicher sein als ein jüdischer Hölderlin, FriedrichHölderlin? Ludwig Strauß, LudwigStrauß ist der größte Entbehrliche der deutsch-jüdischen Dichtung, und eben das macht ihn mir interessant und auch (seiner hebräischen Gedichte wegen) teuer. Man kann von ihm nur viel lernen, nicht viel haben. Er ist allemal ein Gewinn, aber keine Bereicherung.

* Ludwig Strauß, LudwigStrauß: Prosa und Übertragungen. Gesammelte Werke. Bd. 1. Hg. von Hans Otto Horch, Hans OttoHorch. Göttingen: Wallstein 1998 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 73)

** Albrecht Schaeffer, AlbrechtSchaeffer: Über Ludwig Strauß. In: Ders.: Dichter und Dichtung. Kritische Versuche. Leipzig: Insel 1923, S. 83–125

An Hans Otto Horch, Hans OttoHorch, 29. September 1993 Nr. 33

Sie haben, bis auf einen Punkt, in allem recht. Auch mit „Träuma“. Es ist ein zwiespältiges Wort für eine zwiespältige Sache, ein missglücktes Wort für eine missglückte Sache oder noch besser: ein unglückliches Wort für eine unglückliche Entwicklung. („Treffpunkt Scheideweg“ hieß ursprünglich „Träuma“.) Ihre ernsthaften Bemühungen um Ludwig Strauß, LudwigStrauß gaben mir Anregung und Anlass, noch einmal meine Stellungnahme zu ihm zu formulieren. Das tat ich in einem Brief an Sie. Gut möglich, dass ich mein Urteil revidiere, solange bleibt mein letztes Wort über Strauß, LudwigStrauß in meinem Brief an Sie enthalten. Ich wollte mit diesem nicht maßgeblich sein, andererseits auch nicht sagen, dass alles Positive, auch wenns nicht bereichert, schon ein Gewinn sei. Das denke ich wirklich nicht. Strauß, LudwigStrauß ist eine Ausnahme und dadurch von Bedeutung. Sein Zionismus richtete sein deutsches Gedicht auf und bereicherte es. Erst als überzeugender Zionist wurde er ein deutscher Dichter von Rang. Dies ist die Ausnahme. Von wem könnte man das, guten Gewissens, sonst noch behaupten? Sie haben recht, wenn Sie in diesem Zusammenhang auf Richard Beer-Hofmann, RichardBeer-Hofmann zu sprechen kommen. Sieht man von Deutschland weg, kommt man auf ihn, dann aber auch wieder von ihm weg. Richard Beer-Hofmann ist immer, in allem „der Ältere“. Das würde zu seinem Namen gehören: „Richard Beer-Hofmann, RichardBeer-Hofmann d. Ä.“ Davon abgesehen hatte er mehr Personen als Strauß, LudwigStrauß; und er bleibt in allem, möchte man sein Werk auch aus den Augen verlieren, unvergesslich. Wieso und warum? Er war entschieden, aber in dieser Entschiedenheit, der keine Entscheidung vorausgegangen zu sein scheint, trug er seinen Kampf mit dem Engel aus. Das mag fatal klingen, so sage ich lieber: vielleicht, weil er den „Tod Georgs“* schrieb. Oder weil er Paula so liebte.**

Was Sie von Schaeffer, AlbrechtSchaeffer sagen, zeigt mir, dass auch er zerrissen war. Ob er mit seinem späteren Brief sein öffentliches Zeugnis, seine Einsichten widerrufen wollte? Ob das ohne weiteres möglich wäre?

Es sind Fragen, denen wir uns stellen müssen. Wie bedrückend sie sein können, habe ich erfahren, als der Briefwechsel Kolb, AnnetteKolb/Schickele, RenéSchickele*** erschienen ist. Sie können es jetzt, wenn Sie mögen, in meinem Beitrag zum Katalog der eben in München eröffneten Kolb, AnnetteKolb-Ausstellung nachlesen (verlegt bei Eugen Diederichs)****.

* Richard Beer-Hofmann: Der Tod Georgs. Roman. Berlin: S. Fischer 1900

** 1898 heiratete er Pauline Anna Lissy.

*** Annette Kolb, AnnetteKolb, René Schickele, RenéSchickele: Briefe im Exil 1933–1940. Hg. von Hans Bender, HansBender. Mainz: v . Hase und Koehler 1987

**** Ich habe etwas zu sagen. Annette Kolb, AnnetteKolb 1870–1967. Ausstellung der Münchener Stadtbibliothek anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens. Hg. von Sigrid Bauschinger. München 1993

An Annemarie Moser, AnnemarieMoser, 15. Juni 1995 Nr. 34

Da ich Ihre anderen Werke noch nicht kenne, kann ich nicht sagen, dass Sie mit den „Türmen“* die beste Wahl getroffen haben, doch nun, da ich das Buch gelesen habe, bin ich in der Lage, Ihre Wahl zu verstehen und bin Ihnen umso dankbarer für dieses Geschenk, das für Sie nicht nur spricht, sondern Sie auch enthält. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, denn ganz anders als Ihr Buch können Sie unmöglich sein. Und dieses ist ohne Falsch; der Versuchungen der Poetisierung an keinem Punkt erliegend. Wer diesen Grad an Gradheit erfahren will, der muss nach Wr. Neustadt fahren. Also war Wr. Neustadt auch aus diesem Grund der Reise wert. Was den Roman als solchen anlangt: Er bringt alles, was er verspricht, zur Deckung. Das Bedeutsame meidend, ist das Entsprechende sein Erfolg. Merkwürdig, dass der Waschzettler Hans Weigel, HansWeigel** sagen lässt, was Sie selbst mit gleichen Worten, aber viel besser, weil „turmhoch“, auf S. 188 sagen: „Und ich sah einen Turm, einen silbern schimmernden Turm aus Worten, und dachte: ‚Das wird das Protokoll meiner Heilung.‘“ – Zu dieser gehört am Ende, so unverhofft wie unvermeidlich, die alte Frage: „Wie war das möglich?“ und das „nun begriff ich“, wofür zehn Jahre eines falschen Bekenntnisses der Preis gewesen ist: ein hoher Preis, doch auch dieser wiederum nicht ohne Lohn: eben dieses Buch geschrieben zu haben. Mir haben Sie damit noch viel anderes geschenkt, z.B. eine Sinngebung des mir lange belanglos scheinenden Faktums, dass ich just in Wr. Neustadt zur Welt gekommen bin. Sie mussten in die Stadt zurück, mit der Sie aus den Trümmern stiegen. Durch Sie habe ich etwas davon nacherleben und „mitbekommen“ können. Noch will ich Ihnen sagen, dass das Unbeirrbare Ihres Sprachvermögens wohltuend wirkt.

* Türme. Roman. Graz: Styria 1981

** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 77

An Angelika Hübscher, AngelikaHübscher, 4. Juli 1996 Nr. 35

Es freut mich, dass eine Arthur Hübscher, ArthurHübscher-Ausstellung* stattfindet, und natürlich soll Hugo Bergmann, HugoBergmann** in ihr nicht fehlen. Das Material in der Mappe*** ist allerdings gering, für mich aber von großer Rührung. Ich werde im kommenden Jahr 60, als mich Hugo Bergmann, HugoBergmann Arthur empfohlen hatte, war ich 27 Jahre alt, und was sonst? Für Hugo Bergmann, HugoBergmann immerhin „ein junger hebräischer Dichter von Rang“. Er hatte mir immer freudig zu meinen Gedichten geschrieben, und einmal legte er ein Gedicht von mir seiner Neujahrspredigt zugrunde. Einmal im Jahr, eben am Rosch-Haschanah, pflegte er in seiner Synagoge zu predigen. Er hielt mich auch für den besten Kenner der deutschen Literatur und hat meine Wissbegier unermüdlich unterstützt; also dachte er, dass ich geeignet wäre, eine Brücke nach Deutschland zu bauen. Er schrieb mir oft liebevolle, mitunter zarte Briefe, aber er ging mit mir auch hart ins Gericht: über meine Aphorismen, die ihm zu geistreich erschienen; über mein deutsches Schreiben, das er für zu schnell erlernt und zu gut gemeistert hielt. Er war ja ein Frühzionist und hatte dieser Welt der „Geistreichen“ den Rücken gekehrt. Er hatte mich gewarnt, aus tiefer Liebe, die immer missverständlich ist, aber nur selten irrt. Also irrte sich Bergmann, HugoBergmann nicht: Ich hörte auf, ein „junger hebräischer Dichter“ zu sein, und bin ein deutscher Aphoristiker „von Rang“ geworden. Ein Visitenkärtchen, wenige Worte der Empfehlung – und diese ganze Geschichte dahinter, die allerdings noch besser, länger und trauriger hätte erzählt werden können.

Und doch war es mir andererseits eine Freude, mich einen Augenblick lang in Arthurs Augen zu sehen, wie er da am 16. November 1964 Hugo Bergmann, HugoBergmann berichtet: „Mit Elazar Benyoëtz stehe ich übrigens in dauernder brieflicher Verbindung – ein äußerst begabter, interessanter und menschlich liebenswerter junger Mann.“ Wie sehr mich das beruhigte, liebe Angelika. Mein Weg bleibt mir selbst unergründbar, er war nicht gerade, keinem erwünscht, aber auch nicht verfehlt: „Nirgends zu Hause, allerwegs in Gottes Hand.“

Ende November findet in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften der 2. Wiener Kulturkongress zum Thema: „Auf der Suche nach dem verlorenen Gott – Zukunft von Religion und Glaube in einer säkularisierten Welt“ statt. Ich wurde um einen Beitrag gebeten, dieser wird lauten: „Die Sprache des Glaubens, Oder: Alle Siege werden davongetragen“****. Im Januar werden wahrscheinlich einige Lesungen in Österreich stattfinden; im Februar erscheint mein Buch über den Glauben: „Variationen über ein verlorenes Thema“ (bei Carl Hanser in München) – das besagt: Ich komme wahrscheinlich nach Deutschland, und selbstverständlich will ich gern meiner Freundschaft für Arthur, für Euch Ausdruck geben. Aber ein Termin lässt sich noch nicht ausmachen (Du hast selbst ja auch keinen), auch nicht, ob die Erinnerungsworte bei der Eröffnung der Ausstellung effektivste Form des Nachrühmens wären. Ich würde z.B. eine Lesung zu seinem Andenken, in die ich Erinnerungen, Zitate und Briefstellen einflechten könnte, für wirkungsvoller halten. Zwar wird es Mühe kosten, aber sich dann auch gelohnt haben. Die Lektüre meiner Briefe an Arthur kann nicht so einfach vor sich gehen, allein die Begegnung mit meiner frühen, so unbeholfenen deutschen Handschrift; mit meinem Deutsch von anno dazumal; mit meiner so kühnen Naivität.

₺2.833,79

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
631 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783772001093
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок