Kitabı oku: «Breathe», sayfa 7
»Du solltest mich nicht wütend machen. Ich bin heute ziemlich schlecht gelaunt. Es schläft sich nicht so gut, wenn jemand wie du neben einem liegt.«
Ich hole vorsichtig Luft, aber ich lasse mich nicht von ihm einschüchtern. Ich starre ihn herausfordernd an und spucke ihm ins Gesicht. »Du machst mir keine Angst.« Trotzdem lasse ich die Schultern fallen, entspanne meinen Körper, weil mir die Kraft für noch mehr Kampf fehlt. Ich fühle mich schlapp und krank. Schon gestern Abend hatte ich das Gefühl, dass sich etwas anbahnt. Was ich wirklich nicht gebrauchen kann, ist jetzt auch noch krank zu werden. Reicht denn dieser ganze Wahnsinn der letzten Tage nicht? Aber ich denke, dass dieser Irrsinn schuld daran ist, dass mein Körper schlapp macht.
»Dieser hübsche Mund macht manchmal Sachen, die mir nicht gefallen. Dabei könntest du damit bestimmt Sinnvolleres tun.« Er gleitet mit seinem Daumen über meine Lippen. Langsam, aber mit genug Druck, um es eine Warnung sein zu lassen. Sein Blick ist auf meinen Mund gerichtet, sein Brustkorb presst sich gegen meinen, noch stärker, wenn er einatmet. So stark, dass ich seinen rasenden Herzschlag spüren kann. »Dieser Mund«, flüstert er heiser. »So verführerisch, so schmutzig. Ich werde dir jetzt meinen Daumen zwischen die Lippen schieben.«
Ich stoße ein bitteres Lachen aus. Der Griff um meine Kehle lockert sich und ist nicht mehr so schmerzhaft, trotzdem wage ich nicht, mich ihm zu entziehen. »Und was, wenn ich dich beiße?«
»Dann werde ich dir wehtun. Oder vielleicht gefällt es mir auch.« Seine Augen richten sich auf meine, und um seine Mundwinkel zuckt ein Lächeln. »Finde es heraus.« Der Zorn in seinem Blick ist einem neuen Gefühl gewichen: Verlangen. Ich wünsche mir, dass der Zorn zurückkommt, weil ich besser damit umgehen kann, wenn er mich hasst. Dass er sich nach mir verzehrt, verwirrt mich und lässt mich straucheln. Nein, damit kann ich gar nicht umgehen. Besonders, weil mein Körper heftig und unkontrolliert darauf reagiert.
Hitze steigt in meine Wangen. Er weiß, was in meinem Inneren passiert, wenn er mir so nah ist. Er fühlt es so sehr wie ich. Er zieht mich an und schürt eine Sehnsucht in mir, die ich mehr als alles andere verabscheue. Aber sie ist da und beschämt mich. Ich kann seine Erektion an meinem Bauch spüren. Und wieder reagiert mein Körper anders, als ich es will. Ich lecke über meine Lippen, ohne dass ich mich zurückhalten kann. Ein Teil von mir will seinen Daumen schmecken. Einem Teil von mir gefällt es, wie grob er zu mir ist. Es ist dieser dunkle Teil in mir, den ich nicht verstehe und den ich bisher nur bei Nick aus mir herausgelassen habe. Und Ice erkennt diesen Teil, denn er lächelt zufrieden.
»Das macht dich an«, stellt er überrascht fest. »Das sollte es nicht, du solltest dich nicht nach dem sehnen, was ich mit dir tun würde.«
Ich lache abfällig auf. »Du hast keine Ahnung. Du weißt überhaupt nichts über mich. Sex ist nur gut, wenn er die Fähigkeit besitzt, den Schmerz in dir auszulöschen. Und dafür musst du in die dunkelsten Abgründe einer zerstörten Seele hinabsteigen.«
»Deiner Seele?«, will er mit rauer Stimme wissen und nimmt die Hand von meiner Kehle.
Ich wende mich ab, als ich die Neugier in seinem Blick sehe und atme zitternd und ein wenig beschämt ein. Er weiß nichts über mich. Nicht, wie es sich anfühlt, dabei zuzusehen, wie die eigene Mutter sich mit Alkohol und Drogen zerstört. Oder ihren Körper an widerliche Typen verkauft, um neue Drogen zu beschaffen. Er weiß nicht, wie es ist, einsam zu sein, weil in der Schule jeder dich meidet, da deine Mutter eine Stadtbekannte Säuferin ist. Oder wie es ist, den Dealer deiner Mutter in deinen Körper zu lassen, um den Schmerz zu betäuben. Er weiß nichts über mich.
Ich hole zitternd Luft. Solange ich wütend war und der Zorn an meinem Verstand gezerrt hat, war es leicht, mit ihm zu reden und herauszulassen, was so tief in mir schlummert. Aber jetzt ist es das nicht mehr. »Auch«, bringe ich mühsam hervor und unterdrücke das Verlangen, mir noch einmal über die Lippen zu lecken, weil ich noch immer seine Berührung dort fühle. Ich will nur noch weg von ihm, weswegen ich mich verzweifelt in seinem Griff winde.
7
Was zur Hölle ist los mit mir? Ich fühle mich heute Morgen, als wäre ich unter Betonplatten begraben. Als würde auf mich ein Gegner einschlagen, den ich nicht sehen kann. Etwas reißt an mir, zerrt an meinen Gefühlen. Das Tier wütet in mir und kratzt an meinem Verstand. Raven zu riechen, sie zu spüren, zu sehen überreizt meine Sinne. Ich war zu lange nicht mehr laufen. Ich muss raus, muss rennen, bis jeder Muskel brennt und dieses Zerren endlich schweigt.
Mit einem abfälligen Schnauben wende ich mich ab und ziehe Raven hinter mir her in die Küche, wo ich ihre Handschelle löse und sie wortlos auffordere, sich an den Tisch zu setzen. Es riecht nach Toast, Eiern und Speck, aber am dankbarsten bin ich Sam für die große Kanne Kaffee, die er gekocht hat, denn in der vergangenen Nacht habe ich mehr mit dem Chaos in meinen Gedanken und Gefühlen gekämpft als geschlafen. Ich fühle mich erschöpft, was nicht nur an Raven und meinen Schuldgefühlen ihr gegenüber liegt, sondern vor allem an den Wochen, in denen Sam und ich jetzt schon auf der Flucht sind und um sein Leben kämpfen. Und ich fühle mich, als wäre in mir alles außer Kontrolle geraten. In der einen Sekunde denke ich darüber nach, die Frau neben mir unter meinem Körper zu begraben und nicht aufzuhören, bis sie sich mir völlig unterwirft und meinen Namen schreit. Und in der nächsten zittert jeder Muskel in mir vor Wut und ich will sie umbringen. Im einen Augenblick kann ich ihr nicht nahe genug sein. Und im nächsten kann ich nicht weit genug fort sein. Und bei all dem Chaos darf ich nicht vergessen, dass sie nur wegen Sherwood hier ist. Dass sie seine Tochter ist.
Eins muss man über Sherwood wissen: Er verlangt absoluten Gehorsam. Zuwiderhandlung wird hart bestraft. Immer. Das gilt für jeden, weswegen er auch keine Ausnahme bei unserer Mutter, seiner Partnerin, gemacht hat. Weil sie Sams Betrug gedeckt hat, musste sie sterben. Gerade deswegen ist Sherwood zuverlässig. Jeder im Clan weiß zu jeder Zeit genau, dass er sich auf seinen Anführer verlassen kann. Die Gesetze werden durchgesetzt. Dass Sam und ich geflohen sind, dürfte einiges an Chaos verursacht haben. Und für Sherwood ist es umso wichtiger, zu zeigen, dass er noch immer die Kontrolle hat, indem er Sam seiner Strafe zuführt. Und mich meiner. Weil ich meinem Bruder zur Flucht verholfen habe. Er lässt uns also jagen. Aber was ich brauche, was ich unbedingt will, ist, dass er mich jagt. Dass er sich mir stellt. Damit ich es beenden kann.
»Hast du das Frühstück allein zubereitet?«, will Raven von Sam wissen und sieht ihn bewundernd an, als er Teller mit Ei und Speck vor uns auf den Tisch stellt.
Sam ist in dem Alter, in dem einen jegliches Lob noch peinlich ist. Er verzieht verschämt das Gesicht, presst die Lippen aufeinander und brummt leise zur Bestätigung. »Hat Ma mir beigebracht.« Sams Blick wandert über Raven, seine Augen verengen sich misstrauisch und er tritt einen Schritt von ihr zurück, als brauche er dringend Abstand zwischen sich und ihr.
Dieser Abstand würde mir auch guttun, denn ich halte es in ihrer Nähe kaum noch aus. Meine Gedanken kreisen um das Gefühl, sie in den Armen gehalten zu haben, gemeinsam mit ihr aufgewacht zu sein, und wie sehr mich alles zu ihr hinzieht. Ich erwische mich dabei, wie ich auf ihre vollen Lippen starre, die Biegung ihres Halses mustere und den Klang ihrer Stimme in mich aufsauge.
Erschöpft reibe ich über mein Gesicht. Vielleicht war ich schon zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen. Ich habe mich seit Wochen ausschließlich auf Sam und Sherwood konzentriert. Da war keine Zeit dafür, meinen Trieben nachzugeben und mir ein kurzes Abenteuer zu suchen. Normalerweise ist meine Lust auf Frauen ausgeprägt, aber ich habe dem Druck kaum nachgegeben. Sams Schutz steht vor allem anderen. Aber jetzt mit Raven in der Nähe, scheint mein Körper auf seinem Recht zur Befriedigung zu bestehen. Was für ein Bullshit, fluche ich innerlich über meine eigenen Gedanken. Ich fühle mich, als würde ich außer Kontrolle geraten. Als würde der Teil in mir, den ich mühsam versuche, zu unterdrücken, jeden Augenblick explodieren. Aber das darf ich nicht zulassen. Ich brauche jetzt meinen Verstand.
Ich nehme die Kanne und fülle Raven und mir Kaffee in die Tassen. Sam schiebt ihr Zucker und Milch zu, aber sie schüttelt den Kopf und bedankt sich. Sie kostet von dem Ei und stöhnt zufrieden. »Das ist wirklich gut, danke.«
»Ich geh dann laufen«, sagt Sam. Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue fragend an, bis ich nicke. Er wirkt auch ein wenig fahrig heute morgen. Seine Finger zucken die ganze Zeit, als wollten sie nach etwas greifen, seine Stirn ist tief gerunzelt. Irgendetwas verstört ihn, wahrscheinlich Ravens Anwesenheit. Er hat nicht viel Kontakt zu Frauen. Schon gar nicht zu Mädchen in seinem Alter.
»Laufen?«, hakt Raven erstaunt nach. Sie mustert mich einen Augenblick verwundert. Dieser Augenblick, in dem ihr Blick nur auf mich konzentriert ist, fühlt sich viel zu intim an. Ich möchte in ihren Augen versinken, in diesem kurzen Moment verharren. Was stimmt mit mir nicht? Was stimmt mit ihr nicht? Wieso hat sie diese Wirkung auf mich? Ihre Nähe ist wie eine Qual. Eine, die ich nur zu gerne auf mich nehme, wenn das bedeutet, dass ich sie nicht loslassen muss. Irgendwie hat unsere Nacht in einem Bett alles verändert. Ich bekomme sie einfach nicht mehr aus meinem Verstand. Die ganze Nacht schon war sie immer da. In meinen Gedanken und in meinen Eingeweiden. »Hast du keine Angst, dass jemand ihn sehen könnte?«
»Du klingst, als wärst du besorgt«, werfe ich grinsend ein und balle fahrig meine Hände zu Fäusten, um meine Gedanken auf etwas anderes als auf meine Erregung zu fokussieren.
»Bild dir bloß nicht ein, ich wäre um dich besorgt. Ich will nur nicht, dass Sam etwas zustößt. Du hast selbst gesagt, dass mein Vater hinter ihm her ist«, schnaubt sie und mustert Sam, der kopfschüttelnd abwinkt, weil ihm ihre Sorge unangenehm ist.
Er beschäftigt sich mit dem schmutzigen Geschirr und räumt es in die Spüle. »Hier draußen ist sonst niemand außer uns. Ich laufe durch den Wald, der gleich hinter dem Haus beginnt.«
»Aber könnte es nicht sein, dass mein Vater …«, wirft sie mit gerunzelter Stirn ein und sieht mich hilfesuchend an.
Ich grinse noch breiter, als mir bewusst wird, dass sie sich ernsthaft Gedanken um Sam macht, obwohl sie ihn kaum kennt und er nicht gerade dazu beiträgt, dass ich sie freilasse. Zuerst war ich mir sicher, ihre Sorge wäre gespielt und sie würde sich vielmehr dafür interessieren, ob sich aus Sams Abwesenheit eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde. Aber ihre Augen sind geweitet und ihre Lippen leicht geöffnet, ihre Atmung beschleunigt. Ihre Furcht ist also echt. Mein Blick heftet sich auf ihren Hals, wo ich deutlich sehen kann, wie ihr Puls flattert. Der Gedanke, dass sie sich um meinen Bruder sorgt, gefällt mir irgendwie. Fühlt sich aber auch schlecht an, weil ihre Sorge noch mehr auf mein Gewissen drückt.
»Niemand wird ihn hier entdecken, und ich würde ihm nie verbieten, zu laufen. Den ganzen Tag hier eingesperrt, seit Wochen, im Moment ist das die einzige Möglichkeit für ihn, hier mal rauszukommen«, erkläre ich ihr und nicke Sam noch einmal zu. Ich kann ihr nicht sagen, warum es wichtig ist, dass Sam laufen kann, weswegen es für sie wahrscheinlich nicht nachvollziehbar ist, dass ich ihn in Gefahr bringe. Aber nicht zu laufen, wäre auch gefährlich.
»Nicht lange«, sage ich zu ihm. »Du musst dich vorbereiten. Sobald Will mehr weiß, fahrt ihr los. Du packst dann am besten gleich, was du brauchst.«
Er verzieht das Gesicht, weil er noch immer nicht glücklich mit meinen Plänen ist, aber er wird nicht länger darüber diskutieren, er weiß, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als zu tun, was ich sage. »Ich bin in einer Stunde zurück, spätestens«, fügt Sam an und auf sein Gesicht tritt ein erleichtertes Leuchten. Ich kann seine Vorfreude verstehen, ich würde auch gerne dort rausgehen und einfach nur laufen, bis ich am Ende meiner Kräfte bin, mein Körper von Adrenalin geschwängert ist und jeder Muskel vor Erschöpfung brennt. Aber das muss warten. Wahrscheinlich wartet es schon zu lange und ich fühle mich heute deswegen so gereizt.
»Iss«, sage ich zu Raven, als sie mich nur weiter nachdenklich anstarrt.
Sie schiebt sich eine Gabel voll Ei in den Mund und verzieht theatralisch das Gesicht. »Ich esse, siehst du?«
»Ja, ich sehe es«, antworte ich und trinke meine Tasse Kaffee aus, nur um sie gleich wieder zu füllen. Ich stehe mit der vollen Tasse in der Hand auf und lehne mich gegen den Kühlschrank, in der Hoffnung, dass die Entfernung zwischen ihr und mir dafür sorgt, dass mein heiß gelaufener Körper sich endlich beruhigt.
»Also, was tun wir heute so den ganzen Tag?«, will Raven wissen, ihre Stimme trieft nur so vor Sarkasmus.
»Ich bin nicht dafür zuständig, für dein Unterhaltungsprogramm zu sorgen. Aber wenn du darauf bestehst, dann hätte ich den einen oder anderen Vorschlag«, füge ich breit grinsend an.
Raven verzieht abfällig das Gesicht, aber in ihre Wangen steigt eine Hitze, die meinen Puls beschleunigt. Ich verstecke meine Reaktion hinter meiner Kaffeetasse, tanke zügig große Schlucke und weiche ihrem Blick aus. Als es an der Tür klopft, bin ich froh, dass mir das einen Grund gibt, die Küche zu verlassen. »Sitzenbleiben«, knurre ich Raven an, als gäbe es irgendeine noch so winzige Möglichkeit, dass sie dieses Knurren als das versteht, was es ist: ein Befehl.
»Will«, begrüße ich meinen Onkel, trete zur Seite und lasse ihn ins Wohnzimmer.
»Für euch.« Will drückt mir eine Tüte mit weiteren Lebensmitteln in die Hand und wirft einen Blick an mir vorbei. »Wo ist sie?« Auf seine Lippen tritt ein vielsagendes Grinsen. Er schiebt sich an mir vorbei, tätschelt Sultans Kopf im Vorbeigehen und bleibt im Türrahmen zur Küche stehen. »Guten Morgen, wie geht es heute? Wie war die Nacht?« Er hüstelt und sieht mich über die Schulter zurück an.
»Du blockierst die Tür«, stoße ich genervt aus, die Papiertüte noch immer in den Armen. Will weicht in die Küche aus und lässt mich an sich vorbei.
»Die Matratze war so … unbequem wie der Gastgeber«, sagt Raven und sieht mich mit wütend funkelnden Augen an. Sie steht vom Tisch auf und stellt ihr Geschirr in die Spüle. Ihr Blick geht nach draußen, wo hinter dem Haus in etwa 500 Metern der Wald beginnt, in dem Sam gerade verschwunden ist.
»Sie macht sich Sorgen um Sam. Der war heute Morgen etwas angespannt«, erwähne ich und beginne damit, die Tüte auszuräumen.
Will brummt düster. Seine Stirn ist in Falten gelegt und er mustert Raven mit einem Blick, der mich nervös macht. Ich kann fühlen, dass sich etwas an Wills Haltung verändert, sich jeder Muskel in seinem Körper anspannt, als wäre er in Alarmbereitschaft. Als er seine Hände zu Fäusten ballt und mir einen Blick zuwirft, der so zornig ist, dass mich ein warnender Schauer durchläuft, werde ich nervös und lege die Packung Frühstücksspeck, die ich eben in den Kühlschrank legen wollte, zurück auf den Tisch. Ich habe Will schon wütend erlebt, aber in seinem Blick liegt viel mehr als Wut. Er ist entsetzt. Etwas stimmt ganz und gar nicht und ich weiß nicht, was es ist.
»Was ist los?«, will ich wissen und runzle verwundert die Stirn. Das Tier in mir fühlt sich so sehr alarmiert, es will sich schützend vor Raven stellen, obwohl Will niemals eine Gefahr für sie sein könnte, solange er das Moonshine nimmt, das Sherwood allen Abtrünnigen aufzwingt. Ich strecke trotzdem meine Nackenmuskeln, meine Finger und Arme und fühle, wie sich Schauer über meinen Rücken wälzen. Der Wolf in mir ist bereit, sich auf Will zu stürzen, um Raven zu retten.
»Komm sofort mit«, brüllt Will mich wütend an.
Ich sehe zu Raven, die sich mit geweitetem Blick zu uns umsieht und runzle die Stirn. »Was soll das, Will? Du musst besser aufpassen, wenn Sherwood mitbekommt, dass du das Moonshine nicht nimmst, wird er dich umbringen.«
»Hier geht es nicht um das verdammte Moonshine. Außerdem nehme ich es und bestehe jeden Test, dem seine Jäger mich unterziehen. Du solltest das wissen«, wirft er mir vor.
Ich bin einer dieser Jäger und ich weiß es besser. Trotzdem mache ich mir Sorgen um Will, denn er wird seine Kleinstadt niemals verlassen. Er liebt sein menschliches Leben, das er sich hier aufgebaut hat, weil es weit weg von den Kriegen ist, die unser Leben beherrscht haben. Sollte er sein Moonshine nicht nehmen und sich nicht regelmäßig auf der Farm melden, um neues zu bekommen und sich überprüfen zu lassen, wird der nächste Jäger, der vorbeikommt, ihn töten. Aber selbst, wenn er aus der Stadt flüchten würde, früher oder später, finden die Jäger jeden flüchtigen Abtrünnigen. Sherwood lässt keine Verletzung der Regeln zu, er will immer über jedes Mitglied des Clans die volle Kontrolle. Über kurz oder lang geben die meisten Abtrünnigen auf und schließen sich der Farm an, weil der Druck, den Sherwood und seine Jäger ausüben, zu groß wird. Weswegen es ohnehin nur noch wenige Abtrünnige gibt, die außerhalb der Farm leben.
Will kneift die Augen zusammen, fährt sich durch die Haare und wendet sich von Raven ab. »Sieh zu, wir müssen reden«, flüstert er wütend. Ich verstehe nicht, was ihn plötzlich so aufgebracht hat.
»Was soll das?«, schreie ich Will draußen vor dem Haus an und lasse die offen stehende Tür hinter ihm nicht aus den Augen.
»Konzentrier dich«, knurrt Will. »Willst du mir erzählen, dass du es nicht mitbekommen hast?«
»Was mitbekommen?« Ich sehe ihn ratlos an.
Will schüttelt den Kopf und reibt sich lachend über seine Wangen. Er sieht zur Haustür und schüttelt noch einmal den Kopf. »Hol Luft«, verlangt er. »Konzentrier dich auf ihren Geruch.«
Raven bleibt im Türrahmen stehen, sie beobachtet uns, ihre Hand liegt auf Sultans Rücken, der seinen Körper vor ihre Beine geschoben hat, um sie nicht aus dem Haus zu lassen. Sein Blick ruht aufmerksam auf mir. Es braucht nur ein Zeichen von mir, und er würde seine Zähne in Ravens Fleisch vergraben, um zu verhindern, dass sie entkommen kann. Trotzdem lasse ich sie nicht aus den Augen, denn sie wird auf keinen Fall dieses Haus verlassen. Nicht, solange ich sie brauche. Nicht, solange ich sie hier bei mir haben will.
»Ich weiß nicht, was du willst. Was ist denn los mit dir? Was macht dich so wütend?«, fahre ich ihn fassungslos an. Gestern Abend war alles noch in Ordnung und plötzlich führt er sich auf, als wäre Raven eine Kriminelle.
Will stöhnt genervt. »Streng dich an. Konzentriere dich darauf, wie sie riecht. Und dann sag mir, dass hier nicht irgendwas verdammt falsch läuft.«
Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf nichts anderes, als auf sie. Ich atme ihren Duft ein, der seit vergangener Nacht auch auf meiner Haut klebt, obwohl ich versucht habe, ihn unter der Dusche loszuwerden. Sie riecht noch immer fruchtig-süß, sommerlich, aber die erdige Note, die ich schon vorher schwach bemerkt habe, ist jetzt deutlich stärker hervorgetreten. Sie dominiert ihren ursprünglichen Geruch, überlagert ihn. Es ist diese Note, die an mir zerrt und mir das Gefühl gibt, meinen Verstand zu verlieren, wenn ich sie nicht verschlingen kann. Wenn ich sie nicht sofort besitzen kann.
Ich balle meine Hände, als eine weitere Welle Gefühlschaos mich trifft und sich das Raubtier gegen meinen Willen wirft, um aus seinem Gefängnis ausbrechen zu können. »Was hat das zu bedeuten?«, stoße ich unbeherrscht aus, ohne den Blick von Raven zu nehmen, die mich noch immer fixiert. Selbst von hier aus kann ich sehen, dass sich ihr Brustkorb unter schweren Atemzügen hebt und senkt. Auch sie kämpft gegen einen unsichtbaren Feind an.
»Sie verwandelt sich«, sagt Will mit unterdrückter Stimme. »Sie ist eine von uns, was eigentlich unmöglich sein sollte.«
Ich versuche, mich auf Will zu konzentrieren, aber es fällt mir schwer, mich von Raven zu lösen. All meine Instinkte fordern, sie von Will wegzuschaffen. Mich mit ihr allein irgendwo zu verschanzen und keinen anderen Mann in ihre Nähe zu lassen. Ich sehe Will an, der die Arme vor der Brust verschränkt und eine Augenbraue hochzieht, als er bemerkt, dass jeder Muskel meines Körpers zittert.
»Du hast ein verdammt großes Problem, mein Junge, und du weißt es noch nicht einmal. Aber ich freue mich, dir dabei zusehen zu dürfen, wie du es herausfindest.«
»Dass sie eine Wölfin ist?«, will ich verwirrt wissen.
»Nein, das ist offensichtlich«, antwortet er. »Das meine ich nicht, aber du wirst es früh genug kapieren. Wenn sie die Wandlung überlebt.«
Ich schüttle den Kopf, und ignoriere Wills verwirrende Andeutung. Viel wichtiger ist, wie das alles hier überhaupt passieren kann. »Wie kann sie eine Wölfin sein? Sherwood ist ein Halbblut. Seine Exfrau ist ein Mensch. Wir bekommen keine Kinder mit Menschen. Ein Halbblut kann nur menschliche Kinder zeugen.«
»Haben wir gedacht, aber wir haben auch gedacht, ein Gebissener könnte niemals Alpha sein.« Will zuckt mit den Schultern, aber seiner verstörten Grimasse kann ich deutlich ansehen, dass er so wenig begreift, was hier passiert wie ich. »Ich weiß es nicht, aber das Arschloch hat es geschafft. Seine Tochter ist eine Wölfin.«
»Noch ist sie keine Wölfin. Wenn sie es überlebt, ist sie eine Wölfin«, murmle ich. Ich fühle mich merkwürdig in ihrer Nähe. Will dagegen wirkt völlig entspannt, seit er den ersten Schock überwunden hat. Da ist nur dieses breite Grinsen in seinem Gesicht. »Sie wäre die erste junge Wölfin seit sechzehn Jahren. Die Einzige, die jung genug wäre, um noch Kinder zu bekommen.«
»Die erste seit Ende des Kriegs.« Ich betrachte Raven, die sich noch immer von Sultan zurückhalten lässt. Sie wirkt ein wenig blass heute Morgen, sonst sieht man ihr die Wandlung nicht an. Wenn sie gebissen worden wäre, hätte die Wandlung durch das Gift fast sofort eingesetzt, deswegen überleben nur wenige Menschen. Das Gift hätte einen sauren, eitrigen Geruch verströmt, der aus jeder ihrer Poren gedrungen wäre. Es wäre mir unmöglich gewesen, es nicht zu bemerken. Der Gestank ist für Menschen nicht wahrzunehmen, aber für uns ist er das. Außerdem wäre sie längst tot. Weil der menschliche Körper nur selten die Gewalt einer Wandlung überlebt. Frauen überleben nie.
»Vielleicht wurde sie doch gebissen«, werfe ich trotzdem ein, obwohl ich weiß, wie absurd das ist. Ich ringe um eine Erklärung, denn Raven dürfte gar nicht existieren. Meine Mutter war eine der letzten auf diesem Kontinent und schon seit ein paar Jahren zu alt, um Kinder zu bekommen. Ich kenne nur noch Bobbys Frau, die schon weit über 100 Jahre alt ist. Die Vollblutwölfe sind schon seit einer Weile dazu verurteilt, auszusterben, weil wir keine Kinder mehr bekommen können ohne unsere Gefährtinnen. In ein paar Jahrzehnten, wenn die letzte Generation, zu der Sam und ich zählen, verstorben ist, wird es nur noch Gebissene geben.
»Hast du sie gebissen?«, hakt Will nach und zieht eine Braue hoch. Er drängt mich weiter auf den Sheriffwagen zu und bringt so mehr Abstand zwischen uns und Raven. Offensichtlich will er nicht, dass sie uns weiter zuhören kann.
»Habe ich nicht. Außerdem wäre sie dann schon tot.« Ich stoße ratlos die Luft aus. »Das hätte sie nicht überlebt. Manche Männer schaffen es. Aber Frauen? Du weißt selbst, dass das so gut wie nie vorkommt. Ich kenne keine einzige Frau, die das überlebt hat. Sie muss so geboren sein«, überlege ich, obwohl ich es selbst nicht glauben kann. »Vielleicht hat Sherwoods Ex geschafft, was wir immer für unmöglich gehalten haben«, spekuliere ich. Hinter meinen Schläfen hämmert es. Ich kann mich kaum konzentrieren, weil ich nur daran denken kann, Raven weg von Will zu bringen. Das Tier in mir zerrt an seinen Ketten und will Raven unbedingt beschützen. Dabei ist Will keine Gefahr für sie.
»Vielleicht hat er seine Frau gebissen und sie hat tatsächlich überlebt. Es soll schon passiert sein, dass eine menschliche Frau stark genug war. Und wenn sie stark genug war, den Biss zu überleben, dann vielleicht auch, um ein Kind zu bekommen.« Wills Zweifel ist deutlich in seiner Stimme zu hören. Will schüttelt entschieden den Kopf und sieht zu Raven, die sich mit einer Hand am Türrahmen festhält und winkt frustriert ab. »Warum interessiert uns das überhaupt, wie es dazu kam, dass die Frau dort eine Wölfin ist? Der Punkt ist, sie ist eine. Und du warst der einzige Wolf, der ihr nah genug kam, um die Wandlung auszulösen.«
Ich schüttle entschieden den Kopf und knurre Will an. »Ich war nicht der Einzige. Sam und du. Wir kommen alle infrage.«
Will knurrt zurück. »Keiner war ihr so nah wie du. Diese Sache musst du durchziehen. Allein. Sam ist zu jung und ich will damit nichts zu tun haben. Nie wieder«, fügt Will an und sieht mich ernst an. Will hat vor 16 Jahren im letzten Kampf seine Gefährtin verloren, seither ist er als Abtrünniger unterwegs. Er hat sich vom Rudel losgesagt, den Clan verlassen und alles, was unser Leben betrifft, hinter sich gelassen. Er hat es in der Nähe von Wölfen nicht mehr ausgehalten. »Du wirst dich darum kümmern müssen«, stößt Will aus und löst sich von mir in dem Augenblick, in dem Sam aus dem Wald tritt.
Ich starre ihn hilflos an. Wie kann er glauben, dass ich das schaffe? Ich hab es kaum bei Sam geschafft, zuzusehen, wie er um sein Überleben kämpft. Bei Raven kommt dazu, dass der Wolf in mir sich zu Raven hingezogen fühlt. Zumindest verstehe ich jetzt, warum ich ihr von Anfang an kaum widerstehen konnte. Warum mich alles zu ihr hingezogen hat. Mein Tier hat es schon vor Tagen gewusst, ich habe nur nicht zugehört.
Sam schlüpft in sein Shirt und mustert uns verwirrt, während er die Straße überquert. »Warum steht ihr hier draußen? Ist was passiert?«, will er wissen. Sein Blick geht von mir zu Will und vorsichtig zu Raven, die noch immer mit Sultan im Türrahmen steht und uns anstarrt, als wisse sie nicht, ob sie uns lieber zerreißen oder einen neuen Fluchtversuch wagen soll.
»Du kommst erstmal mit zu mir«, sagt Will knapp und wirft mir einen warnenden Blick zu, als ich protestierend Luft hole. Er umgreift meinen Oberarm, zieht mich ein Stück von Sam weg und sieht mich ernst an. »Du kannst Sam das nicht antun. Er hat zugesehen, wie seine Mutter umgebracht wurde. Willst du ihn jetzt zusehen lassen, wie diese Frau während ihrer Wandlung draufgeht? Er hat seinen Wolf nicht unter Kontrolle, weil seine Wandlung erst ein paar Monate her ist. Wenn er unter dem Stress zusammenbricht, wie willst du auf beide aufpassen?«, stößt er flüsternd aus.
Ich lache bitter auf. Sam hat seinen Wolf nicht unter Kontrolle, weil er ihn nicht akzeptiert. Deswegen hat er auch das Moonshine genommen. Ein weiterer Protest gegen Sherwood, mit dem er ihm zeigen wollte, wie wenig er in ihm seinen Vater sieht. Ein Protest, der so viel Schmerz ausgelöst hat und mich manchmal noch immer wütend auf ihn macht. Ich schiebe den Gedanken schnell von mir. Ich darf nicht vergessen, dass Sam noch ein Kind ist. Er hat einen Fehler begangen und wir alle haben bitter dafür bezahlt. Aber er ist auch mein Bruder.
»Was ist denn hier los?«, will Sam ungeduldig wissen.
Ich sehe Raven an, die versucht, sich an Sultan vorbeizuschieben. »Bleib!«, warne ich sie eindringlich und untermauere meinen Befehl mit einem dunklen Knurren. »Bei dir ist er nicht sicher genug«, werfe ich ein. Will lebt in einer Kleinstadt etwa 30 Meilen von hier. Sherwoods Jäger kennen seinen Wohnort, weil sie ihn, wie alle Abtrünnigen, regelmäßig kontrollieren.
»Ich will wissen, was hier los ist«, verlangt auch Raven harsch.
»Ich erklär dir gleich alles«, antworte ich ihr und wende mich Sam zu. Ich ignoriere das sich wild aufbäumende Monster in mir, das immer lauter tobt, je länger der Sheriff sich in Ravens Nähe aufhält. »Will hat recht, du gehst besser mit ihm. Die nächsten Tage willst du nicht hier sein.«
Sam schnappt nach Luft. »Aber was ist denn los?« Er versteht es genauso wenig wie ich. Das hier ist für uns völlig neu. Und trotzdem muss ich mich dem stellen, denn was Raven gerade passiert, ist meine Schuld. Und wenn keiner von uns sich dem stellt, dann sind ihre Überlebenschancen bei null. Ich muss es also versuchen.
»Ich erklär dir alles«, sagt Will. »Verschwinden wir hier«, knurrt er Sam an und öffnet die Tür des Autos für meinen Bruder. »Mach dir keine Sorgen um ihn, ich verstecke ihn, bis du diese Sache hier hinter dich gebracht hast.«
Die Sonne brennt heiß auf mein Gesicht und blendet mich, weswegen ich die beiden Männer nur schemenhaft sehen kann. Aber an den wütenden Worten, die sie sich zubrüllen, erkenne ich, dass sich ihr Streit um mich dreht. Nur verstehe ich nicht, was sie sagen. Ich höre die Worte, jede geknurrte Silbe, aber ich verstehe ihren Inhalt nicht. Wandlung? Wölfin? Geboren? Gebissen? Worüber reden sie da? Ich reibe mir über die hämmernde Stirn und versuche, den Schwindel in meinem Kopf durch bloßes Blinzeln zu bekämpfen. Aber er lässt sich nicht vertreiben. Genauso wenig wie der Schweiß, der mir aus sämtlichen Poren dringt. Es sind nur wenige Minuten vergangen, aber ich fühle mich noch deutlich schlechter als vor dem Frühstück. Das letzte Mal habe ich mich so gefühlt, als ich eine Lungenentzündung hatte und Doktor Irvine mich für ein paar Tage in einem der Betten in seiner Praxis behalten hatte. Die Praxis von Doc Irvine war das, was einer Klinik in Black Falls am nächsten kam. Das nächste Krankenhaus war über eine Stunde entfernt. Wenn ich nur krank genug bin, wird Ice mich dann zu einem Arzt bringen? Wahrscheinlich habe ich nur eine Sommergrippe, aber er müsste doch dafür sorgen, dass ich Hilfe bekomme.