Kitabı oku: «Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)», sayfa 5

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7 Diskussion

Die Ergebnisse unserer Studie machen deutlich, dass sich Jugendliche durch die vorherrschende Geschlechtstypik der Berufe in ihrer Berufswahl einschränken lassen. Nur wenige Jugendliche entschieden sich für einen Ausbildungsberuf, der für das eigene Geschlecht untypisch ist. Dabei wird insbesondere die Zone der akzeptablen Berufe (Gottfredson, 2002) der jungen Männer eingeschränkt. Die Mehrheit der jungen Männer erwirbt in der beruflichen Grundbildung einen männerdominierten Beruf und es gibt kaum junge Männer (1.4 %), die sich in der Ausbildung in einem frauendominierten Beruf befinden. Etwas flexibler scheint die Berufswahl junger Frauen zu sein, da sie sich mehrheitlich in der Ausbildung zu einem geschlechtsneutralen Beruf befinden und doppelt so häufig wie junge Männer einen geschlechtsuntypischen Beruf erwerben. Dies deckt sich mit Befunden anderer Studien zum Berufswahlverhalten von Jugendlichen (Faulstich-Wieland, Scholand, Beer, Carroccia & Lucht, 2017; Makarova & Teuscher, 2018; OECD, 2006; WEF, 2017).

Dass sich die am Arbeitsmarkt de facto vorhandene horizontale Geschlechtersegregation auf die eigene Berufswahl einschränkend auswirkt, ist den Jugendlichen nicht bewusst. Ihrer Einschätzung nach ist die berufliche Geschlechtstypik sowohl für die Wahl der Berufslehre als auch für die Wahl der späteren Berufslaufbahn unbedeutend. Dieses Ergebnis lässt sich vor dem Hintergrund von sozialisationstheoretischen Ansätzen der Berufswahl gut einordnen, da die geschlechterstereotypen Zuschreibungen bereits in der Kindheit auf die berufswahlbezogenen Präferenzen wirksam einwirken und sich mit der Zeit zu relativ stabilen Überzeugungen verfestigen, die meistens nicht hinterfragt werden. Somit braucht es gezielte Maßnahmen im Bereich der gendersensiblen Berufsorientierung, die eine Reflexion der Rolle der beruflichen Geschlechtstypik für die eigene Berufswahl hervorrufen können (Makarova & Herzog, 2013).

Ähnlich urteilen Jugendliche über den Einfluss der Eltern auf die eigene Berufswahl. Sie messen der Erfüllung der Elternerwartungen bei der Wahl der Berufslehre und der Berufslaufbahn eine äußerst geringe Relevanz bei. Die Forschung belegt jedoch, dass elterliche Erwartungen eine zentrale Rolle im Berufswahlprozess ihrer Kinder spielen (Makarova et al., 2016b; Makarova & Herzog, 2014).

Generell lässt sich aufgrund der Ergebnisse zu Berufswahlmotiven sagen, dass sich Jugendliche sowohl bei der Wahl der Berufslehre als auch bei der Wahl der künftigen Berufslaufbahn stärker durch intrinsische als durch extrinsische Motive leiten lassen. Jedoch gewichten Frauen bei der Wahl der Berufslehre eine erfüllende Arbeit viel stärker als Männer; diese messen einem lückenlosen Übergang in das Erwerbsleben retrospektiv eine höhere Relevanz bei. Ähnlich verhält es sich mit der Begründung der künftigen Berufslaufbahn: Für Frauen sind die gemachten Erfahrungen in der Berufslehre ausschlaggebender, während es für Männer vor allem um die Karrierechancen, die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen, und das Einkommen geht (BFS, 2009; Heine et al., 2008). Diese Unterschiede in den Berufswahlmotiven gehen mit der vorherrschenden gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Eagly & Wood, 1999) einher, nach der die Übernahme der «Ernährerrolle» bei den jungen Männern stärker ins Gewicht fällt als bei jungen Frauen.

Dass eigene berufliche Präferenzen durch die Konjunktur am Arbeitsmarkt beeinflusst werden, scheint den Jugendlichen schon während der Berufslehre bewusst zu sein. Dabei sorgen sich vor allem Jugendliche in den geschlechtstypischen Berufen um ihre Chancen am Arbeitsmarkt: So gewichten junge Männer in der geschlechtstypischen Berufslehre einen lückenlosen Übergang nach der Ausbildung in den Beruf viel stärker als junge Frauen. Sie finden es wichtig, offen gegenüber beruflichen Alternativen zu sein. Aber auch junge Frauen in der Ausbildung zu einem frauendominierten Beruf gewichten die Offenheit gegenüber Alternativen stärker als Frauen in Berufslehren mit anderer Geschlechtstypik.

Bezogen auf die berufsbezogene Zufriedenheit während der Berufslehre bestätigt unsere Studie die Befunde vorausgehender Forschung in der Schweiz (Neuenschwander et al., 2012) und zeigt, dass sich junge Frauen und Männer bezüglich der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf generell nicht unterscheiden. Dennoch unterscheiden sich Frauen in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit in Zusammenhang mit der Geschlechtstypik der gewählten beruflichen Grundbildung. So befinden sich Frauen, welche unzufrieden mit dem gewählten Beruf sind, eher in der Ausbildung zu einem männerdominierten Beruf. Dies lässt nicht ausschließen, dass die verhältnismäßig geringe Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf mit unvorteilhaften Erfahrungen, die jungen Frauen in einem geschlechtsuntypischen Berufsfeld begegnen können, zusammenhängt (Aeschlimann et al., 2016; Makarova et al., 2016a). Wenn es um die Zufriedenheit im Beruf nach dem Eintritt ins Erwerbsleben geht, sind es generell mehr Männer und dementsprechend weniger Frauen, die mit ihrem Beruf zufrieden sind. Der ermittelte Interaktionseffekt zwischen dem Geschlecht und der geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung zeigt jedoch, dass sich dieser Unterschied besonders stark unter Männern und Frauen in geschlechtstypischen Berufen akzentuiert. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Geschlechtstypik des gewählten Berufs während der beruflichen Ausbildung oder Ausübung zu einer nicht zu unterschätzenden kontextuellen Bedingung gehört, die die Beurteilung der Zufriedenheit im Beruf mitzuprägen vermag.

Unsere Studie ist durch ein querschnittliches Design und eine kleine Fallzahl – insbesondere von männlichen Jugendlichen in den geschlechtsuntypischen Passungen – limitiert. Daher tragen die Ergebnisse einen tendenziell deskriptiven Charakter. Sie sind deswegen jedoch nicht weniger aufschlussreich. Insgesamt zeigen die Ergebnisse unserer Studie, dass die berufliche Geschlechtstypik nicht nur ein gewichtiger Faktor ist, wenn es um die Begründung der Berufswahl und der Wahl der Berufslaufbahn, sondern auch wenn es um die Beurteilung der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf geht.

Literaturverzeichnis

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Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito, Sandra Hafner

Die Fachmittelschule als «Mädchenschule»!? Eine Bildungsinstitution der Sekundarstufe II zwischen Reproduktion und Transformation der geschlechtertypischen Berufswahl
Abstract

Die Fachmittelschule (FMS) hat sich ab den 1970er-Jahren aus Schulen, welche junge Frauen auf Berufsausbildungen in Gesundheit, Sozialem und Erziehung vorbereiteten, zum dritten eidgenössisch anerkannten nachobligatorischen Bildungsweg mit Hochschulzugang transformiert. Obwohl dieser Schultyp heute auch den Männern offensteht, beträgt deren Anteil nur rund ein Viertel. Der Beitrag versucht zu erklären, weshalb sich diese Geschlechtsspezifität nur langsam wandelt. Zum einen gehen wir der Frage nach, welche sozialen Mechanismen die Reproduktion der Geschlechtsspezifität beförderten. Zum anderen werden Mechanismen dargestellt, welche das Potenzial hatten oder haben, einen Wandel der Geschlechtertypik zu begünstigen, aber es wird auch verdeutlicht, wie dieser verhindert wurde.

Theoretisch beziehen wir uns auf Helga Krüger (1991) und ihren Beitrag zur Institutionalisierung von Geschlechterverhältnissen in Bildungsinstitutionen sowie auf das analytische Konzept von James Mahoney (2000) zu verschiedenen sozialen Mechanismen, welche sowohl Reproduktion als auch Transformation von Institutionen erklären können. Die Daten stammen aus einem Forschungsprojekt, das die Institutionalisierung der FMS mittels Dokumenten, Interviews und statistischen Analysen untersucht. Die Reproduktion der Geschlechtsspezifität ist darauf zurückzuführen, dass die Schule sich im Zuge ihrer Institutionalisierung auf ihre traditionelle Funktion stützen musste, um ihr Überleben zu sichern und ihre Position als dritter Bildungsweg zu legitimieren. Bemühungen der FMS-Akteure, das berufliche Spektrum der Schule zu erweitern, scheiterten bisher oft an den Widerständen mächtiger Vertreter der Berufsbildung.

1 Einleitung

Bildungs- und Berufsorientierungen von weiblichen und männlichen Jugendlichen sind trotz gesellschaftlichem Wertewandel und geschlechterpolitischen Bemühungen nach wie vor stark durch geschlechtsspezifische Muster geprägt, die sich nur sehr zögerlich verändern. Durch die geschlechtsspezifischen Strukturen in der Ausbildungswahl reproduziert sich die Geschlechtersegregation in den Schul- und Berufsbildungsangeboten, wodurch diese wiederum häufig mit einem der beiden Geschlechter konnotiert werden. In unserem Beitrag lenken wir den Blick auf die Bildungsinstitutionen und fragen danach, welche sozialen Mechanismen zur Reproduktion und welche zum Wandel der Geschlechtstypik führen können. Wir analysieren diese Frage am konkreten Fall der sogenannten Fachmittelschule (FMS) in der Schweiz, welche großmehrheitlich von jungen Frauen besucht wird. Sie ist im Schweizer Bildungssystem neben dem Gymnasium und der beruflichen Grundbildung der dritte eidgenössisch anerkannte Bildungsweg auf Sekundarstufe II. Theoretisch beziehen wir uns auf soziologische Ansätze, welche sowohl die Reproduktion als auch den Wandel von Institutionen in den Blick nehmen. Die Daten der Untersuchung stammen aus einem Forschungsprojekt zur FMS.[1] Für diesen Beitrag analysieren wir bildungspolitische Dokumente zur Transformation der Schule, Medienartikel, Interviews mit Rektorinnen, Rektoren und Lehrkräften sowie Daten des Bundesamtes für Statistik. Die Studie verweist auf Geschlechterordnungen, die sich historisch in den Bildungsinstitutionen niedergeschlagen haben und dadurch auf die Bildungswege und -wahlen von jungen Frauen und Männern einwirken. Sie zeigt auf, welche sozialen Mechanismen die Geschlechtstypik einer Bildungsinstitution aufrechterhalten und welche zu einem Wandel führen können.

Im Beitrag werden zuerst die FMS, ihre historischen Wurzeln und ihre Geschlechtstypik beschrieben (Kapitel 2). Nach der Erörterung des theoretischen Rahmens (Kapitel 3) gehen wir der Frage nach, welche sozialen Mechanismen die institutionelle Persistenz der Geschlechtertypik erklären können (Kapitel 4). In Kapitel 5 verweisen wir auf Konstellationen und Bestrebungen der Transformation der Geschlechtertypik und arbeiten soziale Mechanismen heraus, welche einen Wandel der Geschlechtstypik einleiten können. Kapitel 6 dient einer Zusammenfassung und Diskussion der Resultate. Im Ergebnis soll verständlich werden, weshalb die Geschlechterordnung der FMS trotz größerer Umgestaltungen des Schultyps bis ins 21. Jahrhundert reicht und damit auch die Orientierungen von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften und weiteren im Schul- und Berufswahlprozess involvierten Akteuren beeinflusst.

2 Die Fachmittelschule als «Mädchenschule»

Die Sekundarstufe II in der Schweiz zeichnet sich seit 2004 durch drei formal anerkannte Bildungswege aus – die berufliche Grundbildung, das Gymnasium und die Fachmittelschule. Alle drei Bildungswege können mit einer Maturität abgeschlossen werden, welche – je nach Weg spezifisch – den formalen Zugang zu drei Typen von Hochschulen (Fachhochschule, Pädagogische Hochschule, Universität), teilweise auch zu Höheren Fachschulen eröffnet. Rund 5 Prozent der Schulabgängerinnen und -abgänger wählen innerhalb von zwei Jahren eine Ausbildung an einer FMS[2] (Laganà & Gaillard, 2016, S. 18). Als allgemeinbildende Schule ist sie nicht berufsbefähigend, bereitet jedoch auf Berufsausbildungen auf Tertiärstufe insbesondere im Bereich Gesundheit, Soziale Arbeit und Erziehung vor. Die Schülerinnen und Schüler wechseln nach Abschluss der Schule mit der Fachmaturität beispielsweise an eine pädagogische Hochschule für das Studium zur Primarlehrkraft, an eine Fachhochschule für Gesundheit für das Studium zur Pflegefachperson oder an eine Fachhochschule für Soziale Arbeit. Bezüglich der Steuerung und Aufsicht handelt es sich um eine kantonale Schule. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK regelt und akkreditiert jedoch den Rahmenlehrplan und die Anerkennung der Abschlüsse.

Die Wurzeln der Schule liegen in den sogenannten Höheren Töchterschulen, welche im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in größeren Städten entstanden sind (Joris & Witzig, 1987, S. 338). Sie boten damals für junge Frauen die fast einzige Möglichkeit, zu höherer Bildung zu gelangen (EKFF, 2009). In diesen Schulen wurden die weiblichen Jugendlichen des oberen Mittelstandes auf ihre zukünftige standesgemäße Rolle als Hausfrau und Mutter hin sozialisiert. Im ausgehenden 19. Jahrhundert übernahmen die Schulen zunehmend eine Brückenfunktion, um die jungen Frauen für Berufsausbildungen im Bereich von Erziehung, Pflege und Sozialer Arbeit vorzubereiten, die erst mit 18 bis 20 Jahren begonnen werden konnten (Joris & Witzig, 1987, S. 335 ff.). Die Schulen boten jedoch keine formal gesicherten Anschlussmöglichkeiten für diese weiteren Bildungswege und wurden auch als Sackgasse empfunden. Ab den 1970er-Jahren hat sich die Schule in einem drei Jahrzehnte laufenden Prozess (Criblez, 2002; Leemann & Imdorf, 2019) von diesen sehr heterogenen städtischen Schulen für junge Frauen zu einem auch den jungen Männern zugänglichen Bildungsweg auf Sekundarstufe II mit Hochschulzugang transformiert. Dabei hat sie auch den Namen gewechselt, in einem ersten Schritt zur Diplommittelschule (DMS), später zur Fachmittelschule (FMS). Neu wurden Berufsfelder eingeführt, die meist zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahrs gewählt werden. Die Kantone haben die Möglichkeit, Gesundheit, Soziales, Pädagogik, Information/Kommunikation, Gestaltung/Kunst, Musik/Theater sowie ab 2019 Gesundheit in Kombination mit Naturwissenschaften anzubieten.

Das Geschlechterverhältnis beim Schulbesuch betrug im Schuljahr 2016/17 72 Prozent Frauen und 28 Prozent Männer.[3] In Abbildung 1 ist der Frauenanteil beim Abschluss der Schule mit der Fachmaturität abgebildet. Gegenüber 83 Prozent im Jahre 2012 ist er im Jahre 2017 leicht gesunken und beträgt 80 Prozent. Dargestellt ist auch der Frauenanteil in den einzelnen Berufsfeldern. In Pädagogik und Soziale Arbeit liegt er über dem Durchschnitt, in Gesundheit entspricht er in etwa dem Durchschnitt. In den Berufsfeldern Information/Kommunikation, Gestaltung/Kunst und Musik/Theater (zusammengefasst) sowie Naturwissenschaften und Gesundheit/Naturwissenschaften (zusammengefasst) ist er dagegen – mit einer Ausnahme im Jahre 2017 für die letztgenannte Fachrichtung – geringer.[4] Diese Berufsfelder scheinen für junge Männer attraktiver zu sein und führen dazu, dass sie vermehrt eine Ausbildung an der Schule besuchen.


Abbildung 1: Frauenanteil in verschiedenen Berufsfeldern der Fachmaturität, Entwicklung 2012–2017 (Daten: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung)