Kitabı oku: «Das Virus in uns», sayfa 2
Italien: Die Welle schwappt nach Europa
»Das war der Punkt, an dem wir nervös wurden«, sagt der Intensivmediziner Maurizio Cecconi.22 Er meint den 20. Februar 2020. In Codogno, einer Stadt mit knapp 16.000 Einwohnern in der Region Lombardei etwa 60 Kilometer südöstlich von Mailand, ist an jenem Tag ein 38-jähriger Mann mit schwerer Atemnot in die Intensivstation eingewiesen worden.
Es ist feuchtkalt in der Lombardei, der Smog verhindert gelegentlich sogar die Landung von Flugzeugen in Mailand. Die Grippewelle ist spürbar in den Kliniken, wie jeden Spätwinter. Ältere und kranke Menschen sterben um diese Zeit regelmäßig häufiger. Aber der neue Patient in Codogno ist jung und ohne Vorerkrankungen, ein ungewöhnlicher Fall. Als die konventionellen Behandlungsmethoden gegen Lungenentzündung nicht anschlagen, werden die Ärzte hellhörig. Und tatsächlich: Der Test auf SARS-CoV-2 ist positiv. Die Ärzte recherchieren sofort in seinem Umfeld: Der junge Mann hat zwei Wochen zuvor einen Freund getroffen, der aus China eingereist ist.
Um diese Zeit kehrten etwa 10.000 Menschen von den chinesischen Neujahrsfeiern in die Textilzentren der Lombardei zurück. 50.000 Chinesen nähen dort für die trendigen Modelabels Norditaliens zu günstigen Preisen, die meisten seit vielen Jahren, sie sind längst italienische Staatsbürger.
Intensivmediziner Cecconi, der Leiter des »COVID-19 Lombardy ICU Network«, lässt sofort die Patienten in anderen Intensivstationen testen. 38 von ihnen waren infiziert, hatten aber keinen Kontakt mit »Patient 1« gehabt. Sie mussten sich also bei anderen Personen angesteckt haben. Nun ist klar, dass das Virus schon massiv im Umlauf sein muss und eine dramatische weitere Ausbreitung wahrscheinlich ist.
Die Politiker der Region fordern einen shut down in den betroffenen Gemeinden. Menschen mit Fieber oder Husten strömen besorgt in Scharen in die Klinik-Ambulanzen, um sich testen zu lassen und Hilfe zu erhalten.
Inzwischen stellte sich heraus, dass »Patient 1« bereits am 16. Februar bei der Notaufnahme der Klinik mit hohem Fieber und Grippesymptomen vorstellig wurde. Nach einer Untersuchung schickte man den »grippekranken« Mann allerdings wieder nach Hause.
Drei Tage später wurde er von seiner Ehefrau, die im achten Monat schwanger und inzwischen auch infiziert war, abermals in die Klinik von Codogno gebracht – mit noch höherem Fieber und akuter Atemnot.
Dem Spitalspersonal fehlte weitgehend Schutzkleidung. Bald stellte sich heraus, dass auch Dutzende Ärzte und Spitalsmitarbeiter infiziert waren – inzwischen sind es Tausende. Pensionierte Ärzte wurden zu Hilfe gerufen – von ihnen sollten besonders viele sterben. Weil die Kliniken in der Region bald voll waren, wurden Patienten mit leichteren Symptomen in Pflegeheimen untergebracht, was dort zu massiven Ansteckungen des ungeschützten und wegen Sparmaßnahmen im Zuge vorangegangener Privatisierungen schlecht ausgebildeten Personals und der anderen Insassen führte.
Erst am 23. Februar riegelte Italien die betroffenen Gebiete ab. Trotz harter Quarantäne-Maßnahmen stieg die Zahl der Infizierten rasant. Heute ist bekannt: Etwa die Häfte der Covid-19-Erkrankten in Italien hat sich im Krankenhaus angesteckt.
Weil dort überwiegend alte und schwerkranke Menschen liegen, war bald auch die Sterblichkeit der neuen Viruserkrankung mit 5,8 Prozent viel höher als in China. Die Erfahrungen in Wuhan hatten gezeigt, dass fast nur Menschen über 65 mit Krebs, Herz- oder Lungenerkrankungen durch Covid-19 einer tödlichen Gefahr ausgesetzt sind.
Bis zum 26. Februar waren in Italien 374 Menschen mit dem Virus angesteckt, zwölf davon waren gestorben. Die Lombardei ist eine der reichsten Regionen der Welt. Aber die Politik der vergangenen Jahrzehnte hat Spuren hinterlassen, es fehlte an allem: Intensivbetten wurden knapp, Schutzkleidung war nicht vorrätig. Weil inzwischen Deutschland und Österreich die Grenzen geschlossen hatten, kamen Lieferungen mit der lebenswichtigen Schutzkleidung erst drei Wochen später an.
An diesem 26. Februar appellierte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides an die Mitgliedsstaaten der Union, die Pandemiepläne zu aktivieren und anzupassen. »Noch befinden wir uns in der Eindämmungsphase«, betonte die griechische Politikerin. Aber es wurde nichts eingedämmt.
»Wir haben es vergeigt. Wir haben zu spät begonnen zu bremsen«, sagt auch Alexander Kekulé, Professor für Virologie an der Universität Halle-Wittenberg.23 Er hat genau an diesem 26. Februar der deutschen Regierung vorgeschlagen, in allen Kliniken Patienten mit verdächtigen Symptomen testen zu lassen. »So hätten wir sichergestellt, dass kein größerer Ausbruch unentdeckt bliebe.«
Deutschlands Politiker verzichteten zunächst auf Ausgangssperren. Virologe Kekulé findet das sinnvoll: »Wenn die Sonne scheint, sollen die Leute raus, da sind die Viren im Eimer, die lieben Innenräume. Wenn sie die Leute einsperren, machen sie genau das Falsche. Auch aus psychologischen und sozialen Gründen. Das ist für mich unzumutbar und ein überzogenes Mittel.«
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Wir sind der Gast
Sie sind viele. Sie sind überall. Und sie sind keine Killer: Viren. Diese raffinierten Überlebenskünstler, so alt wie das Leben selbst, haben die Evolution entscheidend vorangetrieben, auch die des Menschen.
Wer an Viren denkt, denkt an grässliche Krankheiten, an outbreaks aus Katastrophenfilmen. An Ebola oder Aids, an Pocken und Influenza, an Masern und Schnupfen und in letzter Zeit an das Coronavirus SARS-CoV-2. Viren werden gleichgesetzt mit Bedrohung, mit Epidemie und Pandemie, mit Abwehr und Abscheu, mit Tod. Das ist offenbar schon länger so, denn das lateinische Wort virus bedeutet Schleim oder Gift.
Aber dieses Bild hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten gründlich gewandelt. Erst seit 100 Jahren kann man Viren und Bakterien voneinander unterscheiden, seit 80 Jahren können Viren sichtbar gemacht werden. Erstmals war es seit der Entwicklung der gigantisch schnellen Sequenziermaschinen in den vergangenen zwei Jahrzehnten möglich, nicht nur das menschliche Genom zu entschlüsseln, sondern auch das der vielen Mikroben, die uns umgeben. Und da zeigt sich nach und nach, dass Viren keineswegs ausschließlich Krankheitserreger sind. Diese winzigen Eiweißpartikel, in die Erbinformation verpackt ist, sind unerlässliche Wegbegleiter, ja Architekten sämtlichen Lebens. »Galten Viren bislang nur als die Feinde von Mensch und Tier, ja allen Lebens, so zeigt sich nun, dass sie zur Entstehung und Entwicklung des Lebens entscheidend beigetragen haben«, schreibt die in der Aidsforschung bekannt gewordene Berliner Virologin Karin Mölling in ihrem Buch »Supermacht des Lebens«.24
Viele Forscher meinen nach wie vor, Viren seien keine Lebewesen. Aber so richtig leblos sind sie auch nicht: Seit Milliarden Jahren reproduzieren und verändern sie sich und sie spielten bei der Entstehung der ersten komplexen Lebensformen wahrscheinlich eine entscheidende Rolle. Viren sind überall, sie sind die ältesten biologischen Elemente auf unserem Planeten. Und sie sind auch mit Abstand die häufigsten. Oft wird immer noch der Mensch als »Wirt« der Mikroorganismen beschrieben. Aber angesichts der Erkenntnisse über deren Rolle in unserem Leben und deren Menge ist man geneigt, das Bild umzudrehen: Wir sind der Gast. In unserem Körper gibt es hundertmal mehr Viren als menschliche Zellen, und unser Erbgut wird von Viren maßgeblich mitgestaltet: Immerhin zur Hälfte besteht das menschliche Erbgut aus Viren oder, genauer, aus Virenresten.25
Viren sind raffinierte Überlebenskünstler, so alt wie das Leben selbst, und sie haben als Motoren der Evolution andere Lebewesen vorangebracht – auch den Menschen. Mit ihm und seinen Vorfahren verbindet sie eine jahrmillionenalte Wechselbeziehung. Dabei sind Viren und Menschen eine vorwiegend friedliche Koexistenz eingegangen. Krankheiten entstehen erst dann, wenn die Balance des Systems gestört wird, durch reduzierte Artenvielfalt, bedrohte Lebensräume für einzelne Arten, übervölkerte Städte.
Wollte man den Erfolg einer Kreatur danach bemessen, wie viele Exemplare es davon gibt, dann wären Viren die Sieger der Evolution. 1033 Virenpartikel gibt es auf dem Planeten, damit sind sie zehnmal häufiger als Bakterien. Wären einzelne Virenpartikel so groß wie ein Sandkorn, dann würde allein ihre Menge die gesamte Erdoberfläche mit einer 15 Kilometer dicken Schicht bedecken.26
In jedem Kubikmillimeter Meerwasser finden sich zehn Millionen Viren27, 100 Millionen verschiedene Virentypen werden insgesamt vermutet, 320.000 davon kommen in Säugetieren vor. Und unser Wissen ist trotz der rasanten Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren immer noch marginal: Gerade einmal 5630 Virenarten sind bisher identifiziert und beschrieben.28
Viren sind – mit Ausnahme der sogenannten Riesenviren – winzig, wesentlich kleiner als Bakterien, selbst unter dem Lichtmikroskop nicht auszumachen. Wäre ein Mensch so groß wie ein Fußballstadion, hätte ein Bakterium die Größe eines Fußballs und ein Virus wäre so groß wie eines der schwarzen achteckigen Felder auf dem Ball. Oder ein anderes Bild: 20.000 von ihnen aneinandergereiht, messen gerade einmal einen Millimeter.29
Viren sind allgegenwärtig – im Meer, an Land, tief unter der Erde, zu finden überall dort, wo es Zellen gibt. Denn sie brauchen, um sich fortzupflanzen, andere Mikroorganismen. Im Grunde sind Virenpartikel (Virologen nennen sie »Viria«) nichts anderes als proteinbesetzte Kapseln mit Erbgut darin, manchmal noch mit einer Hülle rundherum. Träger der Erbinformation sind die Nukleinsäuren DNA oder RNA.
Dass sich Viren nicht selbst vermehren können, ist der Grund, warum sie bei den meisten Wissenschaftlern auch nicht als Lebewesen gelten. Als solche müssten sie zudem wachsen, Energie und Eiweiß erzeugen können. Dazu sind Viren nicht in der Lage. Auf der Suche nach dem geeigneten Wirt, den sie für ihre Fortpflanzung brauchen, helfen Rezeptoren an der Oberfläche der Viruskapsel, die zu jenen der Wirtszelle passen. Einmal angedockt, schleust das Virus seine Erbinformation in das Innere der Zelle und veranlasst sie, Viren-Bruchteile zu produzieren, die sich in der Zelle zu Viren-Kopien zusammenfügen. Damit ist der Reproduktionszyklus komplett, und die aus der Wirtszelle austretenden Abertausenden Viren-Kopien kapern ihrerseits weitere Zellen.
Manchmal ist dieser Vorgang allerdings äußerst aggressiv. Die befallene Zelle wird dann veranlasst, so viele Kopien herzustellen, dass sie vor Erschöpfung zerplatzt. Ein Beispiel dafür ist das Ebolavirus, das beim Menschen nicht nur die Zellen der Leber und anderer Organe befällt, sondern auch Lymphknoten und Abwehrzellen des Immunsystems. Ein Großteil seiner Opfer stirbt rasch. Aus Sicht der Viren sind Menschen damit freilich ein Fehlwirt, da sie oft nicht lange genug leben, um die Viren-Kopien weiterzugeben. Die meisten der bisher beobachteten Ebola-Ausbrüche waren deshalb auch schnell wieder zu Ende.
Die überwiegende Mehrzahl der Viren pflegt einen deutlich weniger radikalen Stil. Besonders schlau machen es Rhinoviren, die häufigsten Auslöser von Schnupfen. Sie verbreiten sich in der Nasenschleimhaut von Zelle zu Zelle. Als Immunreaktion schwillt die Nasenschleimhaut an und bildet größere Mengen eines schleimhaltigen Sekrets: Die Nase läuft – und Unmengen frisch geschlüpfter Viren laufen mit, um sich neue Wirte zu suchen, die sie mit Schnupfen anstecken können. Die Viren verwenden das Immunsystem also gleichsam als Helfer bei ihrer Vermehrung.
Lebendige Flüssigkeit
Das erste Virus, das sichtbar gemacht werden konnte, war der Erreger der Mosaikkrankheit auf Tabakpflanzen, die sich in gekräuselten Blättern und mosaikartiger Marmorierung äußert.30 Das war 1940, doch diesem Fund war eine 50 Jahre dauernde Suche vorangegangen. Der deutsche Agrikulturchemiker Adolf Mayer hatte sich bereits seit 1889 bemüht, die Ursache für die welkenden Tabakpflanzen zu finden, konnte im Mikroskop jedoch keinen Erreger ausmachen. Dabei musste es einen solchen geben, denn Mayer hatte den Saft kranker Pflanzen gesunden injiziert, deren Blätter sich ebenfalls zu verfärben begannen. Selbst wenn der Pflanzensaft ganz fein gefiltert wurde, blieb er infektiös. Der russische Biologe Dmitri Iwanowski, der sich der Sache ebenfalls annahm, vermutete, eine lebendige Flüssigkeit müsse Ursache der Infektion sein, und sprach von einem »Virus«, einem Gift. Das wurde allerdings nicht schwächer, wenn man es verdünnte, es musste sich also irgendwie vermehren.
Viel wurde spekuliert, was dahinterstecken könnte, zumal zur selben Zeit auch die Jagd nach bis dahin unbekannten Erregern anderer Krankheiten begonnen hatte.31 Etwa nach jenem der Maul- und Klauenseuche, bis heute eine der gefährlichsten Infektionserkrankungen bei Tieren.
Immer wieder vertieften sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt in das Problem des unsichtbaren Tabakpflanzenschädlings, ohne eine Lösung zu finden. Erst 1935 entdeckte der US-amerikanische Biochemiker und Virologe Wendell M. Stanley winzige Kristallnadeln im Saft einer befallenen Pflanze. Bestätigt werden konnte Stanleys Fund mithilfe des ersten Elektronenmikroskops 1940. Sechs Jahre später bekam er dafür den Nobelpreis für Chemie.
Lange Zeit nach ihrer Entdeckung beschäftigten die Viren die Forscher jedoch hauptsächlich wegen ihrer krankmachenden Eigenschaften. Das ist nicht verwunderlich, denn gegen viele der Krankheiten, die die Menschheit – oft seit Jahrtausenden – plagten, gab es lange kein Mittel: Die Masern haben ganze Kulturen ausgelöscht, die Pocken hinterließen bei jenen, die sie nicht dahinrafften, bleibende Entstellungen, die Spanische Grippe forderte mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg.
Dass wir mit jedem Salatblatt eine große Anzahl harmloser Viren mitessen und bei jedem Gang nach draußen durch einen Schwarm Virenpartikel wandern, die uns nichts anhaben, ist eine relativ neue Erkenntnis.
Viren, so groß wie Bakterien
Im Wasser eines Kühlturms in England hatten Mikrobiologen 1992 eine bis dahin unbekannte Mikrobe entdeckt – und hielten sie aufgrund ihrer Größe für ein Bakterium. Zehn Jahre sollte es dauern, bis ein Team um den südfranzösischen Infektiologen Didier Raoult, der während der Corona-Krise mit der Propagierung des Medikaments Hydroxychloroquin überregionale Bekanntheit erlangte, den Irrtum entdeckte. Es handelte sich um ein Virus, er nannte es »Mimivirus« – ein Virus, das so tut, als wäre es eine Mikrobe, ein lebendiger Organismus. In den folgenden Jahren wurden noch etliche weitere solcher Riesenviren gefunden, die allesamt ganz besondere Merkmale tragen. Ihr Wirt sind Amöben und ihre Erbsubstanz ist von einer Doppelhülle umgeben, deren äußere einen vieleckigen Körper darstellt. Andere, etwas später isolierte Riesenviren haben die Form einer griechischen Amphore und werden deshalb Pandoraviren genannt. Im Gegensatz zu ihren winzigen Verwandten verfügen sie alle über ein üppiges Erbgut. Bei Pandoraviren ist es nahezu so umfangreich wie jenes von Einzellern, und genetisch verfügen sie über fast alles, was zur Eiweißproduktion benötigt wird. Damit verschwimmt die Grenze zwischen Viren und Lebewesen. 2013, als die französische Forschergruppe weitere Riesenviren entdeckte, hieß es im Wissenschaftsmagazin »Nature«, diese neu identifizierten Mikroben würden einen bis dahin unbekannten Teil des Lebensbaums sichtbar machen.32
Auch wenn die Existenz der Riesenviren erst unlängst bekannt wurde, so sind sie doch steinalt. Mindestens 30.000 Jahre, denn in einem so alten Stück sibirischen Permafrostbodens wurde ebenfalls ein Riesenvirus entdeckt. Seine DNA hatte überdauert und das Virus konnte wieder infektiös gemacht werden.33
Obwohl Viren für gewöhnlich immer noch nicht zu den Lebewesen gezählt werden, können sie sich verändern. Oft sind sie schlampig, wenn es um Vermehrung geht, und mutieren innerhalb des Reproduktionszyklus. Danach können sie anders aussehen oder sich anders verhalten. Das kann langsam vor sich gehen, oder es können mit einem Schlag mehrere Eigenschaften verändert werden. Und aus einer harmlosen Mikrobe kann, wenn sie einen anderen Wirt befällt, etwa von Tieren auf Menschen überspringt, eine Bedrohung werden, ein Supervirus, das sich schnell verbreitet und schwerwiegende Gesundheitsschäden verursacht.
Erhöhte Wachsamkeit
»Wir brauchen eine permanente Beobachtung und erhöhte Wachsamkeit gegenüber dem Auftauchen neuer Virusstämme durch zoonotische Übertragung«, sagt Rasmus Nielsen, Evolutionsbiologe an der University of California.34 Er untersucht, was auf molekularer Ebene passiert, wenn Viren ihre Wirtszellen wechseln. Dass Viren den Sprung über die Artengrenze schaffen, ist kein neues Phänomen. Wenn sie dann nicht nur von Tieren auf Menschen übergehen, sondern sich so anpassen, dass sie von Mensch zu Mensch übertragen werden können, wird es wirklich unangenehm. Denn dann können sie sich schnell ausbreiten und je nachdem, wie ansteckend sie sind, zu Epidemien oder Pandemien führen. Die Zahl der Säugetier- und Vogelviren, die theoretisch den Menschen zum Wirt nehmen können, wird auf 700.000 geschätzt, 260 haben es bisher tatsächlich geschafft.35
Das war vor mehr als 130 Jahren so, als ein im Nachhinein Betacoronavirus genannter Keim von Mäusen auf Kühe und dann auf den Menschen übersprang und wahrscheinlich Auslöser einer Pandemie war, die weltweit mehr als eine Million Menschen tötete.36 Das war bei HIV so, da kam das Virus von Schimpansen und Gorillas; das ist beim Influenzavirus so; und bei den Coronaviren SARS 1 und MERS, die sich ursprünglich in Fledermäusen und dann Schleichkatzen bzw. Dromedaren breitmachten. Und beim Coronavirus SARS 2.
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Die Covid-Lawine
Ein Wintersportort in den Tiroler Alpen wurde zum Hotspot für das neue Virus. Wie in China reagierten Behörden und Verantwortliche zunächst mit Leugnen und Vertuschen. Schließlich sorgte die Vertreibung der internationalen Gäste für die rasche Verbreitung von SARS-CoV-2 in Nord- und Westeuropa.
Im Winter nach Ischgl reisen, tagsüber die Skipisten runterbrettern und abends das Leben feiern – so stellen sich viele Europäer ihren Urlaub im Schnee vor. Für zahlreiche Wintersportfreunde gehört ein Trip in den berühmten wie beliebten Skiort in Tirol einfach dazu, wenn sich die weiße Pracht im Land ausbreitet. Denn hier befindet man sich unter Gleichgesinnten. Mit 1,4 Millionen Nächtigungen belegt Ischgl Rang zwei in der Tiroler Urlauber-Statistik, aber im »Ibiza der Alpen« drängt sich vermögenderes Volk als am Mittelmeer, dafür sorgen schon allein die Preise.
Paris Hilton hat sich hier ebenso sehen lassen wie Bill Clinton, gehobener Mittelstand aus ganz Nord- und Westeuropa trifft sich hier zum Schwingen auf den autobahnähnlichen Pisten. Danach geht es zunächst zur Hüttengaudi neben den Pisten und am Abend dann weiter in die Bars, Pubs und Klubs im Zentrum des Skiortes. Junge Frauen in Lederhosen oder in kurzen Dirndl-Röckchen tanzen dort auf dem Tresen, der Rest ergibt sich.
Die Saison 2020 sollte wie üblich Anfang Mai mit einem Groß-Event zu Ende gehen. »Starke Gefühle übernehmen die Regie, wenn beim letzten Top of the Mountain Concert der Saison Eros Ramazzotti die Idalp in seinen Bann zieht«, kündigt die Fremdenverkehrswerbung stolz an, »mit seinen Klassikern und Ohrwürmern im Gepäck kommt der italienische Großmeister am 2. Mai 2020 und begeistert die Besucher und Skifahrer in der Silvretta-Arena.«37
Im Jahr davor feierten 18.000 Besucher den Schluss der Skisaison und bestaunten zwei Jets des österreichischen Bundesheers und die aus Helikoptern springenden »Skydiver« in ihren Fledermauskostümen. Aber 2020 wurde alles anders. »Abgesagt«, steht lapidar neben der Ankündigung auf den Webseiten der Tiroler Tourismuswerbung.