Kitabı oku: «Das Virus in uns», sayfa 3

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Lawinenwarnung

Die Geschichte, die zu dieser Absage führte und Ischgl zum Wuhan Europas machen sollte, begann offenbar bereits im Januar 2020. Das Dorf mit 1600 Einwohnern und 10.600 Gästebetten befand sich im Vollbetrieb. »Born to be Wahnsinn«, betitelt das Ischgler Lokal »Kuhstall« seine Après-Ski-Werbung: »Zeigs der Welt: So schön kann schräg sein.«38

Daren Bland aus East Sussex, England, kam am 15. Januar für eine Woche mit seinen Freunden, zwei aus Dänemark und einer aus den USA. Und erlebte, wie schön »schräg« sein kann. Bis zu 25.000 Menschen drängen sich tagsüber durch die Tunnel-Anlagen unter dem Dorf über Rolltreppen, die an U-Bahn-Stationen erinnern, zu den Liftanlagen und den 238 Pistenkilometern. Die werden meist schon von den Lautsprechern der immer noch »Hütten« genannten Mega-Restaurants und Schirmbars am Pistenrand beschallt.

Und abends ging’s zum Feiern. »Die Bar war gerammelt voll, die Leute sangen und tanzten auf den Tischen«, berichtet der englische IT-Berater über Après-Ski im »Kitzloch«, einer weiteren Bar gleich neben dem »Kuhstall«. »Die Leute waren heiß und verschwitzt vom Skifahren, und die Kellner haben zu Hunderten Shots an die Tische gebracht.«39 Seine Handyvideos zeigen, wie die Menschen sich anschreien und in enger Umarmung tanzend Lieder wie »Highway to Hell« grölen.40 Bland berichtet auch von durchaus extravaganten Spielen. Die Bar sei bekannt für »Beer Pong« – ein Trinkspiel, bei dem die Après-Ski-Sportler abwechselnd versuchen, denselben Tischtennisball in ein Bierglas zu werfen. Manchmal werden die Bälle auch in den Mund genommen und gespuckt.

Schon in der Woche davor, am 9. Januar, warnte die EU-Kommission alle Mitgliedsländer mittels »Early Warning and Response System« (EWRS) vor einer »ernsten, grenzüberschreitenden Bedrohung für die Gesundheit« durch ein neues Virus aus China. Die Plattform wurde 1998 für den Austausch von Informationen zu Infektionskrankheiten etabliert und vernetzt die Europäische Kommission, die Seuchenbehörde und die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. So sollen Infektionsausbrüche durch geeignete Diagnosemethoden rasch erkannt und durch Quarantäne-Maßnahmen für die Kontaktpersonen von Infizierten sofort gebremst werden, um eine Pandemie zu verhindern.

Am 12. Januar übermittelte China das Genom des neuen Coronavirus an die Weltgesundheitsorganisation WHO. Vier Tage später, am 16. Januar, vermeldet der Virologe Christian Drosten an der Charité Berlin, dass bereits ein Test zum Nachweis entwickelt wurde.41 Die Virologie in Berlin entwickelte sich zusehends zur weltweiten Drehscheibe für den teuren Test.

Ab dem 20. Januar vermeldeten auch die Medien die massive Verbreitung der Erkrankung in China. Die Börsen reagierten, der Ölpreis sank, auf den Flughäfen wurden erste Kontrollen eingeführt, und die WHO berief am 20. Januar den Notfallausschuss ein. »Wir haben Isolationsrichtlinien erarbeitet, sowohl für Heimquarantäne als auch für Spitäler, und wir haben einen ersten Kapazitätscheck für die Krankenhäuser vorgenommen«, erinnert sich Reinhild Strauss, Epidemiologin im österreichischen Gesundheitsministerium.42

Ankunft in Europa

Am 24. Januar wird Wuhan abgeriegelt, erste Studien zeigen, dass das neue Virus durchaus gefährlich ist. Am selben Tag meldet das Frühwarnsystem des ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) drei SARS-CoV-2-Infizierte in Frankreich. Das Virus ist in Europa angekommen.

Zwei Tage später erlässt der neue Gesundheitsminister Österreichs, Rudolf Anschober, seine erste Verordnung. Die »neue Erkrankung an 2019-nCoV« wird zur anzeigepflichtigen Infektion nach dem Epidemiegesetz.43 Von da an sind die Ärzte und Behörden verpflichtet, bei jedem Verdacht »unverzüglich die zur Feststellung der Krankheit und der Infektionsquelle erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen einzuleiten«. Betroffene müssen Auskunft geben, und bei Gefährdung sind Betriebsstätten zu schließen und auch für Kontaktpersonen von Infizierten Quarantänen zu verhängen.

Inzwischen gibt es erste positiv Getestete auch in Deutschland und mit der Untersuchung der von ihnen Angesteckten neue Erkenntnisse. Eine Person des Clusters hatte gar keine Symptome, andere Infizierte nur sehr milde. Dennoch trugen sie alle eine hohe Viruskonzentration im Rachen. Die Forscher schließen, dass auch Menschen, die sich gesund fühlen, infiziert sein und das Virus weitergeben können. Das war bei SARS-1 nicht der Fall. »Ab dem Moment war mir klar: Das Virus marschiert durch«, sagt Dorothee von Laer, Professorin am Lehrstuhl für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck.44 Von Laer wendet sich an die Tiroler Behörden: »Ich habe an die Landessanitätsdirektion geschrieben und angeboten, dass wir testen können. Ich habe aber keine Antwort erhalten.«45 So wurde in Tirol wochenlang auf die Durchführung von Tests zum Erkennen der Infektionen verzichtet.

Die WHO ruft am 30. Januar eine internationale Gesundheitsnotlage aus. Aber in den Hotelburgen der Alpen nimmt davon niemand Notiz.

»Nach meiner Rückkehr war ich zehn Tage lang krank. Ich konnte nicht aufstehen, ich konnte nicht arbeiten, ich hatte Atemnot«, berichtet Daren Blank. Er hat auch seine Frau angesteckt. Seine Freunde reisten nach dem Urlaub zurück nach Dänemark und in die USA. Dort wurden sie etwas später positiv auf das Coronavirus getestet.

Feiern bis zum Untergang

Aber in den Tiroler Skigebieten wurde munter weitergefeiert, von Infektionen in der Gegend erfuhren die Fremdenverkehrs-Mitarbeiter und die Gäste nichts.

Im Februar erkrankten in Ischgl Dutzende Mitarbeiterinnen von Hotels und Restaurants sowie auch Gäste an Grippe mit merkwürdigen Symptomen – zu Fieber und Husten kam oft auch Erbrechen. Zumindest in einem Fall – bei einer Kellnerin, die am 8. Februar erkrankte –, wurde nachträglich von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) nachgewiesen, dass es sich um Covid-19 handelte.46

Aber niemand meldete das und bei den Gesundheitsbehörden nahm davon niemand Notiz. »Es wurde Mitarbeitern verboten, nach Landeck ins Krankenhaus zu fahren, um sich testen zu lassen, damit keine Panik entsteht. Man wollte das so lang wie möglich rauszögern«, berichtete ein Seilbahn-Mitarbeiter in der ORF-Sendung »Am Schauplatz«.47

»Beer Pong« erfreute sich weiter großer Beliebtheit im »Kitzloch« und anderen Bars, erzählt Henrik Lerfeldt dem US-Sender CNN aus seiner Quarantäne, in die er nach dem Skiurlaub wegen der SARS-CoV-2-Infektion musste. Der 56-jährige Däne berichtet, dass die »Kitzloch«-Barkeeper mit Trillerpfeifen unterwegs waren, um die Leute dazu zu bringen, den Weg frei zu machen. Mehrere Gäste hätten zum Spaß in dieselbe Trillerpfeife geblasen. Und die Gläser, in die die Tischtennisbälle gespuckt werden, machten weiter die Runde.48

Am 25. Februar wurde in Tirol der »erste Covid-19-Fall« offiziell. Eine Angestellte des Hotels Europa in Innsbruck kam mit Symptomen aus ihrem Urlaub in Italien zurück, wurde positiv auf SARS-CoV-2 getestet und separiert. Hier reagierten die Gesundheitsbehörden, wie es im Epidemiegesetz festgelegt ist: Am selben Abend wurde das Hotel von Polizisten abgesperrt. Es wurden alle Angestellten getestet und das Hotel konnte erst wieder öffnen, als alle weiteren Speichelproben negativ waren. Die Landesregierung bildete einen Krisenstab. Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete am 26. Februar die weitere Marschrichtung: Es bräuchte rasche und harte Maßnahmen, um das Virus bestmöglich einzudämmen.

Pingpong aus Island

Sonntag, 1. März: Alle Passagiere eines Flugs von München nach Island werden nach der Landung auf das Coronavirus getestet. Torolfur Gudnason, Chefepidemiologe in Island, meldet am 3. März 16 Corona-Fälle über das EU-weite Frühwarnsystem für Infektionskrankheiten »Early Warning and Response System« nach Wien.49 Alle Betroffenen sind Ischgl-Heimkehrer. Die isländischen Gesundheitsbehörden geben eine Reisewarnung für Ischgl heraus.

Der Österreichische Verbraucherschutzverband hat präzise dokumentiert, was dann geschieht: Am 4. März etwa fragt eine Touristin im Hotel garni Martina via WhatsApp an: »Hallo zusammen. Denke wir kommen gegen 16/17 Uhr. Was macht der Corona V bei Euch????« Die Hotelmitarbeiterin antwortet darauf ebenfalls via WhatsApp: »Hallo, wir wünschen euch eine gute Anreise. Das Corona Virus ist noch nicht in Ischgl und bleibt hoffentlich noch lange weg.«50

Am 5. März wird eine E-Mail aus Island vom Wiener Gesundheitsministerium nach Tirol weitergeleitet. »Dear colleagues«, schrieben die isländischen Behörden, »we have a total of 14 cases with travel history to Ischgl via Munich.« Die Tiroler Behörden wissen also spätestens jetzt, dass das Virus bereits seit Ende Februar in Ischgl im Umlauf ist. Und: Die Isländer listen in der E-Mail auch alle fünf Hotels auf, in denen sich die isländischen Gäste aufgehalten haben.51

Zunächst geschieht nicht viel. Ein eigens einberufener Krisenstab tagt in Ischgl – vertreten sind die Größen der Hotellerie und der Seilbahngesellschaft, der Gemeindearzt und die Polizisten des Ortes. »Vom TVB (Tourismusverband) konnten 14 Hotels, welche zu dem in Frage kommenden Zeitraum Isländer beherbergt hatten, ausfindig gemacht werden«, protokollieren die Beamten. »TVB Mitarbeiter werden persönlich die Hotels informieren, bzw. dort Nachfrage halten. Die Polizei wird dann in zivil die Gästeblätter abholen.«52

Aber in den genannten Hotels wurde nur eine einzige Mitarbeiterin ergebnislos getestet, nirgends wurde die gesetzlich geforderte Quarantäne verhängt. Selbst nachdem am 7. März ein Barkeeper im »Ibiza der Alpen« positiv getestet wurde, teilte Tirols Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber mit, es erscheine »wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist«. Die Touristen aus Island hätten sich wohl im Flugzeug angesteckt – das war schon allein aufgrund der Inkubationszeit erkennbar falsch. Auch eine Übertragung des Virus »auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«. Besorgten Hoteliers wurde versichert, dass kein Risiko bestünde.

Aus Urlauberwelle wird Coronawelle

Am selben Tag – es ist Samstag, 7. März – reisten mehr als 100.000 Urlauber aus den Tiroler Wintersportorten ab, ebenso viele kamen an. Busse und Sammeltaxis brachten wieder 10.000 nach Ischgl. Informationen über Infektionsgefahren gab es nirgends, erzählen die Touristen. Das Partywochenende in Ischgl, in Sölden, am Arlberg und im Salzburger Land konnte wie geplant starten. Alle Skilifte, Hütten und Bars waren offen. Der Tourismusverband Paznaun-Ischgl versandte am Abend eine E-Mail an alle Hotels, in der die falsche Darstellung, dass sich die infizierten Isländer im Flugzeug angsteckt hätten, wiederholt wurde.

In den Bars mussten sich die Kellner weiter mit Trillerpfeifen den Weg durch die Menge bahnen. »Wir haben getanzt, geschmust und aus denselben Gläsern getrunken«, erzählt ein deutscher Urlauber, dessen Freund inzwischen an Covid-19 gestorben ist. Mitarbeiter einiger Hotels berichten, dass sie die Anweisung erhalten hatten, bei Grippesymptomen ausschließlich den Gemeindearzt Andreas Walser aufzusuchen.

»100, 200 Mitarbeiter waren da schon bei mir«, berichtet Walser. »Da standen Hunderte vor der Praxis und wollten sich testen lassen«, erzählt dagegen ein Mitarbeiter, »der Doktor hat niemanden drangenommen.«53 Schließlich habe der Gemeindearzt am Ohr Fieber gemessen und ihm eine Bescheinigung ausgestellt, dass er sich bester Gesundheit erfreue und »es keinerlei Kontakt mit Covid-19-getesteten Personen gab«.

Eine Restaurant-Mitarbeiterin berichtet, dass allein in ihrem Gasthaus fünf Mitarbeiterinnen schon Anfang März erkrankt waren. Der Gemeindearzt habe bei der ersten Betroffenen lediglich Bettruhe verordnet, die habe dann weitergearbeitet und alle anderen angesteckt.54

Doch allmählich scheint das Raunen um die Epidemie Ausmaße angenommen zu haben, sodass es die Verantwortlichen nicht mehr wegschieben können. Am 8. März entsendet die Tiroler Landessanitätsdirektion Ärzte nach Ischgl, um dort zu testen – allerdings nur ausgewählte Personen. Immer noch geben die Behörden öffentlich Entwarnung. »Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«, informiert Anita Luckner-Hornischer von der Landessanitätsdirektion Tirol. »Für alle BesucherInnen, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und keine Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig. BarbesucherInnen, die aktuell grippeähnliche Symptome haben, sollen die Gesundheitshotline 1450 wählen und werden in der Folge ärztlich abgeklärt. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«55

In Norwegen registriert man unterdessen bereits 500 Corona-Fälle, bei denen die Ansteckung in Österreich erfolgt sein musste. Die große Mehrheit davon in Ischgl. Tirol wird daher auch dort auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. Am Morgen des 9. März leitet das Gesundheitsministerium in Wien diese Meldung an die Landessanitätsdirektion Tirol weiter. Auch Dänemark hat Ischgl mittlerweile auf die Liste der Hochrisikogebiete gesetzt.

Am selben Tag wird bekannt, dass die Tests von 16 Mitarbeitern und Kontaktpersonen im »Kitzloch« positiv ausgefallen sind. Erst jetzt ordnet die Bezirkshauptmannschaft Landeck die sofortige Schließung des Lokals an. Die Touristen werden allerdings immer noch nicht informiert, Hotels und Skilifte bleiben im Vollbetrieb.

Und inzwischen ist durchgesickert, dass es auch in anderen Skiorten wie St. Anton und Lech am Arlberg zahlreiche Infizierte gibt.

Feiern trotz Schließung

»Bei allen in der Gemeinde Ischgl bewilligten Après-Ski-Lokalen ist der Après-Ski-Betrieb unverzüglich einzustellen.« So steht es in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck, die für Ischgl zuständig ist, vom 10. März. Aber kaum ein Wirt hielt sich daran: Noch am selben Abend wurde in Bars gefeiert, als gäbe es weder das Coronavirus noch die behördlichen Betriebssperren. Das belegen unter anderem Fotos und Videos, die sechs deutsche Urlauber der Zeitschrift »profil« zur Verfügung stellten – die Aufnahmen aus dem Après-Ski-Lokal »Trofana Alm« stammen vom 10. März um 21:31 Uhr, das geht aus den Metadaten hervor.56

Das Lokal war zu dieser Zeit voll, die meisten Gäste sangen und tanzten eng an eng zur Musik. Zurück in Deutschland, wurden die sechs Urlauber alle positiv auf Corona getestet. Der Betreiber der »Trofana Alm« ist Obmann des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl. Auch andere Après-Ski-Bar-Betreiber wollten das verfrühte Saisonende nicht so recht einsehen. Zunächst versuchten sie, ihre Partybuden mit anderen Konzessionen – etwa für den Betrieb eines Restaurants – weiterzuführen. Noch am Vormittag des 11. März stellte die Bezirkshauptmannschaft per E-Mail klar: »Es ist nicht relevant, welche zusätzlichen Konzessionen das Lokal besitzt. Es sind daher die betreffenden Lokale spätestens mit 16:00 Uhr zu schließen.«

Bei einer Kontrolle um 16 Uhr stellten Ischgler Polizeibeamte fest, dass sich mehrere Lokale dennoch nicht an diese Vorgaben hielten, schreiben die Beamten in ihren Aktenvermerk. Die »Schatzi-Bar« etwa hatte ihren Ausschank kurzerhand ins Freie verlegt. Die Eigentümerin, die im Aufsichtsrat des Tourismusverbands sitzt, erklärte den Beamten, dass »der Betrieb als Restaurant geführt werde« und »kein Après-Schi veranstaltet werde«. Die Beamten schritten nicht ein. Sie berichteten der Bezirkshauptmannschaft Landeck bloß, dass eine »zwangsweise Durchsetzung der Verordnung aufgrund des wetterbedingt starken Personenverkehrs und dem Umstand, dass damit lediglich eine Verlagerung der Menschenansammlungen erzielt würde, nicht verhältnismäßig erschien«. Die Polizisten regten bei der Bezirkshauptmannschaft an, dass den Betreibern am folgenden Tag »nochmals die Einhaltung der Verordnung nahelegt wird«, berichtet das »profil«.

Der Skibetrieb ging weiter. Alle anderen Restaurants waren weiter offen, ebenso die Skilifte.

Lockdown ins Chaos

Erst am Freitag, dem 13. März, reagierten die Gesundheitsbehörden und die Landesregierung. Sie verhängten eine Quarantäne über das Paznauntal, in dem Ischgl liegt, und St. Anton am Arlberg. »Ausländische Urlauber dürfen die Gebiete noch verlassen, müssen aber an den Kontrollpunkten ein Formular mit den wesentlichen Kontaktdaten vorweisen«, wurde verlautbart, »Personal der Tourismusbetriebe und Gäste aus Österreich dürfen die Gebiete nicht mehr verlassen.« Die Benutzung von Seilbahnanlagen wurde ebenfalls verboten.

Doch die Seilbahnen liefen weiter. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gab Freitagmittag eine Pressekonferenz. Er verkündete höchstpersönlich die Quarantäne über die Skiorte. Und während die Behörden den ausländischen Gästen lediglich die Möglichkeit einräumten, nach Bekanntgabe ihrer persönlichen Daten auszureisen, forderte Kurz diese via TV auf, die Urlaubsorte zu verlassen. Dass diese Gäste genauso unter Quarantäne gestellt werden müssten, sagte er nicht. Die Folge waren hektische Stunden. Auswertungen von Mobilfunkdaten zeigen es deutlich: Nachdem das Land Tirol am 13. März die Quarantäne über das Paznauntal verhängt hatte, verließen Massen an Urlaubern die Skigebiete Richtung Heimat. Viele von ihnen brachten das Virus mit nach Hause.

Wäre es besser gewesen, die Touristen vorher zu testen oder für zwei Wochen zu isolieren? Dominik Oberhofer, Abgeordneter zum Tiroler Landtag (NEOS) und selbst Hotelier, vermutet finanzielle Interessen hinter der verordneten Massenausreise: »Die wollten natürlich nicht die Logie und die Verpflegung der Urlauber für 14 Tage Quarantäne zahlen.« Etwa 7000 Gäste reisten in dicht gedrängten Bussen, Pkws, Taxis ab, aus der vorgesehenen Registrierung wurde meist nichts.

Statt wie vorgeschrieben die potenziell Infizierten unter Quarantäne zu stellen, wurden die Nicht-Österreicher in einen höchst infektiösen Massen-Exodus geschickt. Der österreichische Verbraucherschutzverein, der inzwischen im Namen von 6000 Geschädigten agiert, die sich in den Tiroler Bergdörfern das Virus geholt hatten, listet die weiteren Folgen auf:

57 Prozent der in Österreich aufgetretenen Corona-Fälle lassen sich auf Ischgl zurückführen, mehr als zwei Drittel der im Ausland infizierten Deutschen haben sich in Österreich angesteckt, 90 Prozent davon in Tirol. Dazu kommen jeweils Hunderte Infizierte in Norwegen, Schweden, Island, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.

Ground Zero der Alpen

»Home Of Wahnsinn«, »Ground Zero« der europäischen Corona-Pandemie – an internationaler Negativpresse fehlt es der Skigemeinde im Paznauntal in den letzten Wochen und Monaten nicht. Im Eintrag auf Wikipedia wird Ischgl schon im vierten Satz mit Corona in Verbindung gebracht, der deutsche »Spiegel« ortet in Ischgl »Gier und Versagen«. Der Vorwurf: Zu lange hätte die Tiroler Landespolitik mit der mit ihr verbandelten Tourismusindustrie auf einen Shutdown der Skisaison zugewartet.

Wie groß der Einfluss der Superspreader-Location auf die Infektionswelle in Deutschland ist, ließ sich bislang nur mutmaßen. Das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) konnte im Mai nun Daten vorlegen. Diese Studie basiert auf Daten des Robert-Koch-Instituts aus 401 deutschen Landkreisen.57 Dabei wurden die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. So werde die »geografische Nähe zu Ischgl in Tirol« als »einer der Hauptrisikofaktoren für eine vergleichsweise hohe Infektionsrate« in der deutschen Bevölkerung angesehen.

Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts, wird hinsichtlich Ischgl konkreter: »Nicht nur Deutschland wäre ohne die Ischgl-Fälle wohl deutlich glimpflicher davongekommen. So hätten Daten vom 20. März aufgezeigt, »dass ein Drittel aller Fälle in Dänemark und ein Sechstel aller Fälle in Schweden auf Ischgl zurückgeführt werden konnten«.58

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23 aralık 2023
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9783990406021
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